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ALLGEMEmE MIKROBIOLO(
STOFF- UND lOlAFTWECHSBL DER KLEINWEE
FÜE ARZTE BSD NATÜBPOBSCHEK
DARGESTELLT
Dr. med. WALTHER KRUSE
LEIPZIG
VERLAG VON F. C. \V. VOGEL
1910
Nacbdnick verboten
Übersetzungen vorbehalten
Copyright 1010 by F. C. W. Vogel, Leipzig.
Druck vun A u g u s t P i' i e s in Leipzig.
' -^\ 1\
• •
HERRN CARL FLÜGGE
DEM SCHÖPFER DER „MIKROORGANISMEr
UND
MEISTER DER 6ESUNDUEITSLEHRE
IS ALTER VEREHRUNG
DER VERFASSER
1^364033
Vorwort
Dieses Buch macht den Anspruch, ein völlig neues und selbstän-
diges Werk zu sein, und ist doch äußerlich betrachtet in Abhängigkeit
von einem älteren, den Flügge sehen „Mikroorganismen" entstanden.
Bekanntlich hat Flügge 1886 in seinen „Mikroorganismen'',
die er als 2. Auflage der 1883 im Handbuche der Hygiene von Ziems-
s e n und Pettenkofer erschienenen „Fermente und Mikropara-
siten" bezeichnet hat, zum ersten Male den Versuch gemacht, die da-
mals zwar nicht mehr ganz junge, aber doch erst seit dem Auftreten
Pasteurs und R. Kochs mit reichem Inhalt gefüllte Lehre Non
den Kleinwesen zugleich vom naturwissenschaftlichen und medizinisth-
hygienischen Standpunkte aus umfassend und tiefgründig zu bearbeiten.
In wie vollständigem Maße ihm das gelungen ist, weiß derjenige zu
schätzen, der sich damals in die Wissenschaft einzuarbeiten und darin
mitzuarbeiten hatte. Das zeigte sich auch, als wir, d. h. Frosch,
E. Gotschlich, Kolle, R. Pfeiffer und ich, 10 Jahre
Später von Flügge die Neubearbeitung der 3. Auflage übertragen
erhielten. Sie war zwar äußerlich stark verändert und auf das Doppelte
erweitert, trug aber doch allenthalben noch den Stempel des Flügge-
j^chen Geistes. Auch dieses' Werk hat eine Reihe von Jahren seinen
Zweck, eine möglichst vollständige Zusammenfassung des mikro-
biologischen Wissens zu liefern, erfüllt.
Als 1902 die Aufgabe an Flügge herantrat, eine 4. Auflage
zu veranstalten, lehnte er wegen Überlastung mit anderen Arbeiten
jede weitere Beteiligung ab und übertrug mir, der ich schon den größeren
Teil der 3. Auflage bearbeitet hatte, die Herausgabe. Ich übernahm
sie freudig, obwohl ich mir die Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden
waren, nicht verhehlte. Die wohl in der Geschichte der Wissenschaften
beispielloeea Fortschritte, die das Ende des letzten und der Anfang
<1hs neuen Jahrhunderts der Mikrobiologie gebracht hat, machten für
(lie Xeubearbeitung eine Änderung des Planes nötig. Es standen zwei
VVpge offen. Wenn ich das Werk mit den alten Zielen fortsetzen wollte,
hätte ich es auf mindestens 4 Bände erweitern und die Hilfe zahreicher
VI Vorwort.
Mitarbeiter in Anspruch nehmen müssen. Ich verzichtete darauf, und
zwar zunächst schon aus dem äußeren Grimde, weil zu jener Zeit zwei
derartige große Sammelwerke, das eine von K o 1 1 e und Wasser-
mann, vorwiegend für Ärzte, und das von L a f a r , für Gärungs-
physiologen bestimmt, im Erscheinen begriffen waren. Mit ihnen in
Wettbewerb zu treten war kaum zweckmäßig. Andererseits verkannte
ich nicht, daß solche Sammelwerke doch verschiedene Nachteile haben :
sie lassen notwendigerweise die Einheitlichkeit der Auffassimg und
Darstellung vermissen, geben hier leicht zu viel, da und dort zu wenig.
Ich gestehe also, es hatte viel Verlockendes für mich, selbst das ganze
Werk zu schreiben. Natürlich mußte ich mich dann wegen der über-
wältigenden Menge des Stoffes in gewisser Weise bescheiden und konnte
das auch ganz gut. Vor allem lag kein Bedürfnis vor, die Einzeldar-
stellimgen der Kleinwesen und ihrer Leistungen, deren Vollständigkeit
ja den Haupt wert der Sammelwerke ausmachen, zu wiederholen.
Ebenso war es erlaubt, die hygienischen und technischen, diagnostischen
und therapeutischen Gesichtspunkte, die heutzutage in allen Lehr-
büchern zur Geltung kommen, mehr in den Hintergrund treten zu
lassen, und erwünscht, in erster Linie die biologische und
pathologische Seite zu berücksichtigen.
Trotzdem ist mir das Werk imter den Händen mehr, als ich dachte,
angeschwollen. Ich übergebe hier zunächst den ersten Teil, die all-
gemeine Mikrobiologie, der Öffentlichkeit. Sie behandelt
die Lehre vom Stoff- und Kr aftwechsel der Klein-
wesen, ist von den folgenden Teilen völlig unabhängig und nicht
bloß für Ärzte, sondern für alle solche Naturforscher geschrieben, die
sich nicht in ihr Sonderfach einspinnen wollen. Sind doch die Leistungen
der Kleinwesen einerseits so mannigfaltig und eigenartig, andererseits
oft so durchsichtig, daß die Wissenschaft vom Leben in allen ihren
Teilen aus ihrer Kenntnis reiche Früchte ziehen kann, aber auch die
Chemie alle Ursache hat, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Die Handschriften für die folgenden Teile, die Infektions-
und Immunitätslehre, sind in der Hauptsache ebenfalls
vollendet.
Ich sagte oben, mein Buch mache den Anspruch auf Selbständig-
keit. Das heißt natürlich nicht, daß ich die Arbeit meiner Vorgänger
gering einschätzte — im Gegenteil verdanke ich ihnen sehr viel — ,
sondern nur, daß ich bestrebt war, mir möglichst überall durch Zurück-
gehen auf die Quellen und möglichst oft durch Nachprüfung ein eigenes
Urteil zu bilden. Die Laboratoriumserfahrung des einzelnen, mag sie
noch so vielseitig sein und sich auf ein halbes Menschenleben voll Arbeit
gründen, ist ja freilich bei der heutigen Ausdehnung unseres Faches
Vorwort. VII
und der Beschränktheit der in unsem Instituten verfügbaren Mittel und
Hilfskräfte kaum mehr als ein Tropfen in dem vollen Becher der
Wissenschaft.
Da ich ja auch noch viele andere Dinge zu tun hatte, sind
acht Jahre über der Arbeit hingegangen. Ich darf aber wohl sagen,
daß sie mir bis zidetzt Freude gemacht hat, und daß ich viel
dabei gelernt habe. Hoffentlich geht es anderen bei der Benutzimg
dieses Werkes ebenso.
Man verübele es mir nicht, daß ich mir einige Mühe gegeben habe,
wo angängig Fremdwörter durch deutsche zu ersetzen. Ich sehe nicht
ein, warum die wissenschaftliche Sprache, insbesondere der Ärzte
durchaus ein Kauderwelsch sein soll.
Durch möglichst zahlreiche Verweisimgen im Text, denen ein aus-
führliches Inhalts- und Stichwörterverzeichnis zur Seite steht, glaubte
ich die Benutzung des Buches zu erleichtern.
Königsberg, im Oktober 1910.
Kruse.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Widmung III
Vorwort V
Tnlialtsv^erzeichnis IX
Kap. I. Bau der Kleinwesen und mikrochentisches Verhalten ... 1
§ 1. Bau und Chemismus. § 2. Plasmolyse. § 3. Unregel-
mäßige Formen. § 4. Kapseln. § 5. Zerstörung durch mecha-
nische Einflüsse.
§6. Zerstörung durch chemische Einflüsse.
§ 7. Pyocyanase. § 8. Lipoide. § 9. Selbst Verdauung. § 10.
V^erdauung. § 11. Bakteriolyse durch Serum. § 12. Antifor-
min. § 13. Alkalien. § 14. Salze und andere Lösungsmittel. § 15.
Schlußfolgerungen aus der Wirkung der Lösungsmittel. § 16.
Koagulierende und andere desinfizierende Einflüsse.
§ 17. Farbstoffe. Kernfärbungen bei Bakterien. § 18.
Gramfestigkeit. § 19. Säurefestigkeit. § 20. Schlüsse aus den
Farbreaktionen auf die Natiu* der Bakterienzelle. § 21. Kör-
nerfärbungen. § 22. Vorratsstoffe. Fett. Volutin.
Kap. n. Chemische Zusammensetzung der Kleinwesen 51
f 23. Analysenergebnisse. § 24. Schlüsse aus den Ana-
Ijrsen. § 25. Proteinstoffe und deren Abkömmlinge. § 26.
Fette, Cholestearin, Lezithin, Wachs usw. § 27. Kohlenhydrate
und Membranstoffe. § 28. Aschenbestandteile.
Kap. III. Die Nährstoffe der Kleinwesen 88
§ 29. Einleitung. Methoden. § 30. Bedarf an Aschenbe-
standteilen, Schwefel und Phosphor. § 31. Bedarf an Sauer-
stoff. Aerobiose und Anaerobiose. § 32. Der Stickstoff bedarf.
§ 33. I>er Kohlenstoffbedarf. § 34. Zusammenfassung.
Kap. IV. Weitere Bedingungen der Ernährung 124
§ 35. Aufgaben der Ernährung. Beziehung der Nähr-
stoffe zu bestimmten Zell eist ungen. § 36. Wachstum, Leben
und Tod. § 37. Erklärung der W^achstumserscheinungen.
Hungertod. § 38. Dauerzustände. Si)oren. § 39. Befruch-
tung der Protozoen.
§ 40. Dichtigkeit der Nährböden. § 41. Reaktion der
Nährböden. § 42. Einfluß der Temperatur auf die Ernährung.
§ 43. Bewegung und Erschütterung. § 44. l>ruckorhöhung. § 45.
Elektrizität und Licht. § 46. Beeinflussung der Bewegungen
durch physikalische Reize.
X Inhaltsverzeichnis.
Seite
§ 47. Schädigung durch eigene Stoffwechsel er Zeugnisse.
Selbstvergiftung. § 48. Schädigung durch fremde Stoffwechsel-
erzeugnisse. § 49. Fördenuig durch eigene Stoffwechselerzeug-
nisse. Autobiose. § 60. Förderung durch fremde Stoff wechsel-
erzeugnisse. Symbiose imd Metabiose. § 51. Vergiftung und
Infektion höherer Organismen. Schädliche Parasiten. § 52.
Nützliche und harmlose Parasiten. § 53. Reizstoffe der Wirte
und Parasiten. Gegenwirkungen. § 54. ICleinwesen als Nah-
rungsspender und Erzeuger anderer nützlicher Stoffe.
§ 55. Chemische Emährungsreize. § 56. Chemische Bewe-
gungsreize § 57. Emährungsgifte und Gegenwirkungen der
Mikroorganismen. § 58. Auswahl der Nährstoffe bei gemischter
Ernährung. Spaltung razemischer Verbindungen, Zusammen-
wirken von Nährstoffen.
Kap. V. Die Stoff Wechsel Vorgänge im allgemeinen 196
§ 59. Einleitung. § 60. Hydrolytische Spaltungen und
Verflüssigungen. § 61. Spaltungsgärungen. § 62. Oxydationen.
§ 63. Reduktionen. § 64. Anhydridbildung. § 65. Verdich-
tungen. § 66. Synthesen. § 67. Zusammenfassung. § 68. Fort-
setzung. Gegenstoffe, Hilfsstoffe der KJeinwesen.
Kap. VI. Umwandlungen der Kohlenhydrate im Stoffwechsel . . 214
§ 69. Hydrolytische Spaltungen. Verzucke-
rung der Stärke. Diastase. § 70. Verzuckerung des Dextrins.
Dextrinase. § 71. Inulinase. § 72. Glykogenase. § 73. Ver-
flüssigung des Pflanzenschleims. § 74. Pektinase. § 75.
Pektingärung. § 76. Zellulase (Zytase). § 77. Hydrolyse
der Di- und Trisaccharide. § 78. Saccharetse (Invertase). § 79.
Maltase. § 80. Trehalase. § 81. Melibiase. § 82. Laktase. § 83.
Raffinase. § 83 a. Zusammenfassung.
§ 84. Spaltungsgärungen der Kohlenhy-
drate. Alkoholgärung. § 85. Erreger der Alkohol-
gärung. § 86. Verhalten der zusammengesetzten Kohlenhydrate
zur Alkoholgärimg. Einteilung der Hefen. § 87. Beziehungen
der Vergärbarkeit zum Bau der Monosaccharide. § 88. Theorie
der alkoholischen Zuckerspaltung. § 89. Zymase. § 90. Er-
zeugnisse der alkoholischen Gärung. § 91. Einfluß des Hefe-
wachstums und des Sauerstoff Zutritts auf die Gärung. Selbst-
vergärung. § 92. Selbst Verdauung der Hefe und ihre Hem-
mung. § 93. Gärungsgeschwindigkeit, Gärvermögen und Ver-
gärungsgrad. § 94. Gärungsgewerbe. Bierbrauerei. § 95. Wein-
bereitiuig. § 96. Branntweinbrennerei. § 96a. Aus Misch-
gärungen hervorgehende Gcnußmittel.
§97. Milchsäure- und gemischte saure Gä-
rungen. Einteilung ihrer Erreger. § 98. Verschiedene Arten
der sauren Gärung. § 99. Milchsäuregärung. § 100. Einfluß
des Gärmaterials auf die Milchsäuregärung. § 101. Stärke
der Milchsäuregärung. Gärungsenzym. § 102. Die Beschaffen-
heit der Milchsäure. § 103. Die anaerobe Easigsäuregärung
oder essigsaure Gärung der Kohlehydrate. § 104. Alkoholische
Inhaltsverzeichnis. XI
Seite
Gärung durch Bakterien. § 105. Wasserstoffgärung. § 106.
Glyzerin-, Mannit- und Schleimgärung. § 107. Bernsteinsaure-
gärung. § 108. Ameisensäuregärung. § 109. Fropionsäiu'e-
gärung. § 1 10. Andere Nebenerzeugnisse der Milchsäuregärung.
§ 111. Bedeutung der Milchsäurebakterien für die
Gewerbe. § 112. Verwertung der Säure- und Gasbildung
zur Unterscheidung der Bakterien.
§ 113. Buttersäure- und But yla Iko h o 1 g ä -
rung. Erreger. § 114. Chemismus der Buttersäuregärung.
§ 115. Chemismus der Butylalkoholgärung. § 116. Bedeutung
der Buttersäuregärung.
} 117. Vergärung der Zellulose und des
Gummis. Sumpfgasgänuig. § 118. Entstehung des Humus,
der Kohle, des Grubeng£Lses.
§119. Oxydation der Kohlenhydrat e. §120.
Glykonsäinre-, Glykuronsäure-, Zuckersäuregärung. § 121. Zitro-
nensauregärung. § 122. Oxalsäuregänmig. § 123. Vollständige
Verbrennung der Kohlenhydrate.
§ 124. Reduktion der Kohlenhydrate: Mannit-
gärung. §125. Schleimige Mannitgärung. § 126. Mannitbil-
dung durch Schimmelpilze.
§ 127. Aufbau von^ Disacch ariden und Poly-
sacchariden aus Hexosen und Fentosen. § 128. Gummi
und Schleimgärungen. § 129. Zusammensetzung und Ent-
stehung des Bakterienschleims. § 130. Bildung von Stärke
imd Zellulose.
Kap. VII. Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren ... 418
§ 131. Umwandlungen der höheren Alko-
hole. Gärungen. § 132. Oxydationen der höheren Alkohole.
Sorbosegärung.
§ 133. Umwandlungen der niederen Alko-
hole. §134. Verbrennung der Alkohole. §135. Aerobe Essig-
säuregärung. § 136. Gewerbliche Darstellung des Essigs.
§ 137. Umwandlungen der Fette und Fett-
säuren. Hydrolysen. § 138. Lipasen. § 139. Spaltungs-
gärungen der Fettsäuren. § 140. Vergärung der Ameisen-
säure. § 141. Sumpfgasgärung der Essigsäiu'e. § 142. Ver-
gärung der Milchsäure. § 143. Vergärung der Glykolsäure,
Oxalsäure, Bernsteinsäure, Br enz weinsäur e. § 144. Vergärung
der Glyzerinsäure. § 145. Sumpfgasgärung der Buttersäure.
§ 146. Vergärung der Apfelsäiu*e. § 147. Vergärung der Wein-
säure. § 148. Vergärung der Zitronensäure, Schleimsäure,
Glykuronsäure. § 149. Oxydation der Fette und Fett-
säuren. § 150. Das Ranzigwerden der Fette. §151. Reduk-
tion von Fetten und Fettsäuren. § 152. Synthesen aus
Fettsäuren.
Kap. VIII. Wandlungen der Glykoside und aromatischen Körper . 454
§ 153. Einleitiuig. § 154. Hefe-Emulsin. § 155. Scliim-
melpilZ'Emulsin. § 156. Zersetzungen von Glykosiden diu'ch
XII Inhaltsverzeichnis.
Seit«
Bakterien. Farbgärungen. § 157. Tabaksfermentation, Selbst-
erhitzung des Heus und anderer Pflanzenstoffe. § 158. Ver-
änderungen der Gerb- und Humusstoffe. § 158 a. Verände-
rungen von aromatischen Holzbestandteilen durch Pilze. § 159.
Oxydasen. §160. Katalase. §161. Reduktion von Farbstoffen.
Reduktasen. § 162. Reduktionen in Milch und Abwasser.
§ 163. Synthesen von Glykosiden und aromatischen Stoffen.
Kap. IX. Wandlungen der Eiweißkörper 482
§164. Einleitung. § 165. Proteolytische (Ver-
dauungs-)E n z y m e. § 166. Selbstverdauung der Kleinwesen.
Endotrypt€use.
§ 167. Tiefe Spaltung der Eiweißkörper.
Fäulnis. § 168. Fäulnis diu'ch Anaerobier. § 169. Fäulnis
durch Proteusbazillen. § 170. Eiweißspaltungen durch Vibrio-
nen und andere Aerobier. Ptomaine. § 171. Fortsetzung.
Ammoniakbildung durch Aerobier. § 172. Eiweißspaltung
durch Schimmelpilze und Strahlenpilze. § 173. Eiweißspaltung
durch Hefe. Bildung von Alkoholen und Aldehyden, Geruchs-
und Geschmacksstoffen. § 174. Eiweißspaltung durch nicht
peptonisierende Bakterien. § 175. Zusammenfassendes über die
Eiweißspaltungen.
§ 176. Oxydation von Eiweißstoffen. Ver-
wesung.
§ 177. Eiweißgerinnung. Labenzym. § 178. Käse-
reifung.
§ 1 79. Gemischte Fäulnis und Verweaung.
Produkte derselben. § 180. Erreger der Fäulnis und Ver-
wesung, insbesondere des Fleisches. § 181. Fäulnis und Ver-
wesung anderer tierischer Stoffe. § 182. Fäulnis xind Ver-
wesung von Pflanzenstofien. § 183. Fäulnis und Verwesung
im Boden und Wasser. § 184. Wirkung des Luft Sauerstoffs auf
die Fäulnis. § 185. Einfluß der Reaktion auf Fäulnis und
Verwesung. § 186. Einfluß gewisser Stoffe auf die Fäulnis.
§ 187. Einfluß physikalischer Bedingungen auf Fäulnis xind
Verwesung. § 188. Fäulnis und Krankheit.
Kap. X. Wandlungen einfacher Stickstoffkörper r^SS
§ 189. Einleitung. Spaltung des Lezithins und Cholins.
§ 190. Spaltung der Gallensäuren und des Taurins. § 191.
Spaltung der Säiu*eamide, besonders der Hippiu'säiu'e. § 192.
Fleiscliextraktivstoffe. § 193. Harnsäure, Purinbasen. § 194.
Zersetzung des Kalkstickstoffs. § 195. Vergärung des Harnstoffs.
§ 196. Nitrifikation. Salpetergärung.
§ 197. Denitrifikation, Nitritbildung. § 198.
Stickstoffgärung. § 199. Reduktion der Salpetersäure zu
Ammoniak. § 200. Entwicklung von Stickstoffoxyden. Be-
deutung der Stickstoffentbindung.
§ 201. Bindung freien Stickstoffs. KnÖll-
chenbakterien. § 202. Wurzelpilze, § 203. Stickstoffbindende
Kleinwesen. § 204. Bedeutung der Stickstoffbindung im Boden.
Inhaltsverzeichnis. XIII
Seite
Kap. XI. Wandlungen des Schwefels 634
§ 205. Einleitung. Abspaltung des Schwefelwasserstoffs
aus organischen Verbindungen. § 206. Merkaptanbildung.
§ 207. Oxydation des Schwefels und seiner Verbindungen. § 208.
Farblose Schwefelbakterien. § 209. Purpurbakterien. § 210.
Andere Erreger der Schwefelsäuregärung. § 211. Reduktion
des Schwefels und seiner Verbindungen. § 212. Sulfatreduktion.
Schwefelwasserstoff gärung.
Kap. XII. Wandlungen anderer anorganischer Stoffe 658
§ 213. Einleitiuig. Wandlungen des Phosphors. § 214.
Reduktion der selenigen und tellurigen Säure. § 215. Reduk-
tion des Arsens durch Schi nunelpi Ixe. § 216. Eisenbakterien.
§ 217. V'eränderiuigen der Chlor-, Brom- und Jodverbindungen.
Kap. XIII. Die Wege des Sauerstoffs und die Beziehungen des Stoff-
und Kraftwechsels 667
§218. Einleitung. § 219. Atmung der Aero-
b i e r. Atmimgsquotient. § 220. Ergebnisse von Atmungs-
verauchen. § 221. Verfahren zur Gasuntersuchung. § 222.
Sauerstoffübertragende Enzyme. Oxydasen. § 222 a. Sauer-
stoffspeicherung. § 223. Intramolekulare Atmung
und Gärung. 224. Fortsetzung. Befriedigimg des Energie-
hungers durch die Gärung. § 224 a. Gärungsenzyme. § 225.
Atmung durch sauerstoffreiche Verbindungen. § 226. Atmung
im Hungerzustande. Selbstverbrennung. § 227. Berechnung
der Wärmeentwicklung bei der Atmung und Gärung.
§228. Verflüssigimgs- und Verdauungsvorgänge. Hydrolysen.
§ 228 a. Reduktionen. § 228 b. Anhydridbildung und
Kondensationen. Gerinnung. § 229. Stoffaufbau. Bildung
der Kohlenhydrate. § 230. Bildung der Fette. § 231. Bildimg
der Eiweißkörper.
§ 232. Stoff- und Kraft Wechselrechnung.
Ausnützung und Verbrauch der Nahrung bei Schimmelpilzen.
§ 233. Stoff- und Kraftwechsel bei Hefepilzen. § 234. Stoff-
und Kraftwechsel aerober Bakterien. § 235. Stoff- und Kraft-
wechsel bei gärungerregenden Bakterien. § 236. Zusammenfas-
sendes über die Stoff- und Kraftwechselbilanz der Kleinwesen.
§ 237. Kraftleistungen der Kleinwesen.
Wärmeentwicklung. § 238. Lichtentwicklung.
Kap. XIV. Fermente (Umsatzstoffe) 749
§ 239. Einleitung. § 240. Ausscheidung, Darstellung
und chemische Natur der Enzyme. Zeitlicher Verlauf der Fer-
mentwirkung. Abhängigkeit von der Dichte der zu verändernden
Stoffe. § 242. Abhängigkeit der Wirkiuig von der Fermentmenge.
Verbrauch der Fermente. § 243. Untersuchungsverfahren.
§ 244. Einfluß der Temperatur auf Fermente und Fer-
mentwirkung. § 245. Einfluß des Lichts vmd der Elektrizität.
§ 246. Einfluß von Säuren und Alkalien. § 247. Einfluß von
Salzen, Metalloxyden und anderen Bestandteilen des Nährbodens.
Kofermente. § 248. Einfluß von Giften. Zymoparalysatoren.
XIV Inhaltsverzeichnis.
Seit«
§ 249. Spezifische Wirkung und Bindung der Fermente.
Gegenkörper und Zwischenkörper der Enzyme. § 250. Bildung
der Fermente. Zymogene. §251. Grenzen der Fermentierung.
Umkehrbarkeit ihrer Wirkung. Synthetische Fermente.
Kap. XV. Farbstoffe der Kleinwesen 778
§ 252. Vorkommen imid Lagerung. § 253. Chemische Zu-
sammensetzung der Farbstoffe. § 254. Bedingungen der Farb-
stoffbildung. § 255. Bedeutung der Farbstoffe.
Kap. XVI. Gifte der Kleinwesen 790
§ 256. Einleitung. Beschaffenheit und Wirkungsweise.
§ 257. Bedeutung der Gifte für ihre Erzeuger.
§ 258. Stoffwechselgifte. § 259. Organische
Basen. Ptomaine. § 260. Giftige Fette.
§261. Geschichte und Darstellung des
Diphtheriegiftes. § 262. Bau des Diphtheriegiftes.
T o X o i d e. § 263. Diphtherie-T o x o n e. § 264. Giftspektren.
Proto-, Deutero-, Tritotoxine und -Toxoide. § 265. E p i -
toxonoide. § 266. Schlußbemerkungen über die Ehr-
lichsche Giftanalyse. § 267. Vorübergehende Veränderungen
des Diphtherie- und anderer Impfgifte.
§ 268. Die Eigengifte der Kleinwesen im
allgemeinen. § 269. Einfluß des Wirkungsortes und der
Tierart auf die Giftigkeit. § 270. Wirkungsweise der Eigengifte.
Inkubationszeit. § 271. Bildungsweise der Eigengifte. § 272.
Gewinnungsweise der Eigengifte. Ekto- imd Endotoxine. § 273.
Reinigung der Eigengifte. Chemische Natur. § 274. Giftzerstö-
rende luid giftbindende Einflüsse.
§ 275. Bau der Impfgifte (Immuntoxine).
§ 276. Abweichende Auffassungen über den Bau der Impf-
gifte. § 277. Fortsetzung. § 278. Bedingungen, welche die
Giftbindung beeinflussen. § 279. Verhältnis der zuleitenden
und impfenden zu der bindenden Giftgruppe. Ehrlichs
Seitenkettentheorie.
§ 280. Endotoxine, sekundäre Gifte, Bakterion-
proteine. Entzündungs-, Fieber-, Darmgifte.
§281. Die Eigongifte der einzelnen Bak-
terien. Tetanusgift. § 282. Wurstgift. § 283. Rauschbrand-
und andere Anaerobiergifte. § 284. Choleragift. § 285. Vibri-
onengifte. § 286. Typhusgift. § 287. Paratyphus- imd Fleisch-
gifte. § 288. Gifte des ColibaziUus. §290. Die Gifte der
hämorrhagischen Septizämien. § 291. Pestgifte. § 292.
Milzbrandgift. § 293. Rotlaufgift. § 294. Pneumoniegift. § 295.
Streptokokkengift. § 296. Meningokokkengift. § 297. Gono-
kokkengift. § 298. Streptokokkengift. § 299. Pyocyaneusgifte.
§ 300. Proteusgift. § 301. Gifte von Heubazillen, Prodigiosus
und anderen Saprophyten. § 302. Influenzagift. § 303. Keuch-
hustengift. § 304. Tuberkelgift. § 305. Rotzgift. § 306. Gifte
der Strahlenpilze. § 307. Gifte von Schimmelpilzen. § 308.
Inhaltsverzeichnis. XV
Seite
•
Gifte von Hefepilzen. § 309. Gifte bei Pflanzenkrankheiten.
§310. Gifte der Protozoen. § 311. Gifte der Chlamydozoen.
§ 312. B 1 u t g i f t e (Hämolysine) der Bakterien. § 313.
Hämolysine als spezifische Gifte. § 314. Der Vorgang der Hä-
molyse. § 315. Hämolytische Wirksamkeit der Kleinwesen im
Tierkörper. § 316. Hämagglutinine der Bakterien.
§317. Leukozidine. § 318. O r gang i f t e.
Kap. XVn. Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe 1021
§ 319. Geschichte und Vorkommen der Angriffsstoffe
(Aggressine). § 320. Darstellung und Eigenschaften der
Aggressine. §321. Aggressivität und Giftigkeit. § 322. Wir-
kung der Angriffsstoffe auf Leukozyten, Phagozyten und
Opsonine. § 323. Antibakterizide Wirkung der Angriffsstoffe.
§ 324. Antilytische Wirkung der Angriffsstoffe. § 325. Antikom-
plementare Wirkungen der Angriffsstoffe. § 326. Schluß.
§ 327. Angriffstoff e, Bakterienrezeptoren tmd Impfstoff e. §328.
Theorie der Virulenz. §329. Fortsetzung. Andere Erklärungen der
Virulenz. § 330. Veränderlichkeit der Virulenz und Angriffsstoffe.
§331. Reiz- und Impfstoffe. Entzündungs-
ond Fieberstoffe. § 332. Spezifische Entzündungsstoffe.
§ 333. Lysinogene und tropinogene Impfstoffe. § 334.
Andere Impfstoffe (Antigene). § 335. Agglutinogene. Inunu-
nisierende Fähigkeit. § 336. Zusammengesetzte Natur der
Agglutinogene. § 337. Bindende Fähigkeit der Agglutinogene.
§ 338. Bindimgsgesetz. § 339. Natur der Bindtmg. § 340.
Veränderungen des Bindungsvermögens. § 341. Agglutinier-
barkeit. § 342. Präzipitinogene. § 343. Reaginogene. § 344.
Anaphylaxogene.
Kap. XVIII. Veränderlichkeit und Stammesgeschichte der Klein-
wesen 1122
§ 345. Allgemeines. § 346. Form und Größe. § 347.
Sporen. § 348. Beweglichkeit. § 349. Zuseunmensetzung des
Mikrobenleibes und mikrochemische Reaktionen. § 350. Wider-
standsfähigkeit. § 351. Wachstum in künstlichen Nährböden
und Kolonieformen. Peptonisierungsvermögen und Schleim-
bildung. § 352. Temperatur und Sauerstoff Spannung. § 353.
Zersetzungen und Zersetzungsstoffe. § 354. Färb-, Riechstoffe
und Lichtbildung. § 355. Giftigkeit. § 356. Infektiosität.
§ 357. Natürliche Abarten und Arten. § 358. Entstehen
und Verschwinden von Krankheitserregern in der Geschichte.
§359. Einteilung und Abstammung der Klein-
wesen.
Stichwörterverzeichnis 1170
Kapitel I.
ßan der Kleinwesen nnd mikrochemisches Verhalten.
§ L Bau und Chemismos. Wenn wir uns vergegenwärtigen»
daß die chemischen Leistungen der Eleinwesen wie der höheren SicUen in
letzter Linie auf der Anordnung der sie zusammensetzenden Moleküle
beruhen, so könnten wir uns von vornherein wohl vorstellen, daß es
einmal gelänge, aus den sichtbaren Eigenschaften, der Form, Größe
und dem Aussehen der Mikroben diese Leistungen zu erschließen, mit
anderen Worten, die Ergebnisse der sogenannten morphologischen Un«
tersuchnng für die Aufklarung der chemischen Eigenschaften zu be-
nutzen. Lides hat die Erfahrung immer wieder gelehrt, daß trotz aller
Vervollkomnmungen unseres Sehvermögens durch das moderne Mi-
kroskop und mikroskopische Hilfsmittel davon bisher gerade in der
Welt der Mikroben nicht die Rede sein kann. Allerdings wissen wir,
daß Drusen-, Muskel- und Nervenzellen ein besonderes Aussehen haben
und glauben wohl mit Becht, daß die Leistungen derselben mit gewissen
feinen für uns sichtbaren Merkmalen etwas zu tun haben, aber allzu
weit führt uns diese Kenntnis nicht, und bei den Kleinwesen läßt uns
die mikroskopische Untersuchung fast vollständig im Stich. Einer
Hefezelle können wir nicht ansehen, ob sie Alkohol zu erzeugen vermag
oder nicht, einem Bakterium nicht, ob es Milchsäure erzeugt, Gelatine
verflüssigt oder eine Krankheit erregt. Ja, im allgemeinen können
wir noch nicht einmal nach dem Aussehen entscheiden, ob eine Zelle
tot oder lebendig ist. Trotzdem ist die Morphologie (Formenlehre)
der Mikroben natürUch auch für die chemische Mikrobiologie von
großer Bedeutung, zunächst schon deswegen, weil sie uns die Er-
kennung der Gärungs- und Krankheitserreger erleichtert. Wissen
wir doch, daß nicht unterschiedslos alle Leistungen mit jeder Form
verbunden sein können, sondern daß z. B. die hauptsächlichen Erreger
der alkoholischen Gärung unter den Sproßpilzen, die der Milchsäure-
gärung unter den Streptokokken und gramfesten Bazillen, die der
Buttersäuregärung unter den Anaerobiem, und ebenso die Ursachen
des Tetanus, der Pest, der Cholera, der Tuberkulose auch unter be-
stimmten Bakterienformen zu suchen sind. Weiter zeigt uns die Mor-
Kruse, Mikrobiologie. 1
2 Kap. 1, § 1 u. 2.
phologie, ob und inwieweit die Form und die Formentwicklung der
Kleinwesen denen höherer Jollen ähnelt und erweitert dadurch unsere
Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen Form und Lebens-
erscheinungen. Das wichtigste Ergebnis der Forschung, das in dieser
Beziehung gewonnen ist, nehmen wir hier gleich vorweg: es ist die,
trotz aller Versuche, das Gegenteil zu beweisen, gesicherte Tatsache,
daß ein Kern in dem Sinne, wie wir ihn bei den
höheren Wesen finden, bei der wichtigsten
Klasse der Mikroben, den Bakterien, fehlt, oder
anders ausgedrückt, daß die Zelle bei diesen Wesen sich noch nicht
deutlich in Kern und Plasma geschieden hat, also besser vielleicht als
Zytode bezeichnet wird. Die Lehren und Vermutungen, die über die Be-
deutung der Kerne für das Leben ausgesprochen worden sind, finden
also hier keine Anwendung. Vielleicht hängt damit auch der Mangel
der geschlechtlichen Fortpflanzung^) bei den
Bakterien zusammen. Durch ihre Kernlosigkeit trennen sich
die Bakterien von den beiden anderen Hauptgruppen *^) der Mikroben,
den Pilzen und Protozoen und stellen sich als die niedersten Wesen
dar, die in gewisser Weise den H ä c k e 1 sehen Moneren entsprechen.
Allerdings besitzen die Bakterien, wenigstens häufig, eine mehr oder
weniger deutliche Zellhaut, stehen also in dieser Hinsicht, wie die Pilze,
über den meisten Protozoen. Die letzteren benutzen freilich diesen
scheinbaren Mangel gewöhnlich in einer Weise, die man als einen Fort-
schritt bezeichnen kann: sie verleiben sich durch Verschiebungen
1) Als primitive Art der Kopulation faßt Schaudinn (Aroh.
Protistenkiinde 1 und 2, 1902 — 03) die Vorgänge bei der Sporenbildung des
Bac. Bütschlii (aus dem Darm der Küchenschabe) und des Biic. sporonenia
(aus Meerwasser) auf. Hier tritt zuerst eine Zellteilung ein, die aber wieder
zurückgeht, dabei bilden sich 1 — 2 Sporen. Nach Schaudinn handelt
es sich lun eine rückschrittliche Entwicklung, die von echter Kopulation
zum Verlust der Befruchtung führt. Wenn sich die Mitteilungen Schau-
d i n n 8 bestätigten, würden wir uns auf den umgekehrten Standpunkt
stallen, weil wir die Bakterien als die niedersten Wesen betrachten (§ 359).
Der Vorgang wäre übrigens ein ähnlicher, wie bei dem zu den Sproßpilzen
gehörigen Schizosaccharomyces octosporus (S c h j ö n n i n g).
2) Eine vierte Gruppe, die der „filtrierbaren Virus" oder ,,Chlamy-
dozoen" (v. Prowazek), steht wohl den Protozoen am nächsten (§ 359).
Über ihre Morphologie ist nichts bekannt, da die eigentlichen Keime un-
sichtbar, die sichtbaren ,,Zelleinschlüsso" aber wahrscheinlich Reaktions-
produkte der tierischen Zellen sind. Trotzdem scheint die Größe der Para-
siten nicht jenseits der mikroskopischen Sichtbarkeit zu liegen, denn R o -
s e n t h a 1 (Zeitschr. f. Hyg. 60) fand in sorgfältigen vergleichenden Ver-
suchen die Chamberlandfilter F für Spirill. par\^um (1 — 3^^:0,1 — ,03 j«)
durchlässig, nicht für den Erreger der Hühnerpest.
Bau und mikrochemisches Verhalten, 3
ihres hüllenlosen Protoplasmas feste Nahrung ein, zeigen also die erste
einfachste Form der tierischen Ernährung, während Pilze
und Bakterien auf die Aufnahme gelöster Nahrung angewiesen sind.
Auf die verwickelten Einrichtungen, die bei höheren Protozoen mit
dieser Art der Ernährung verbunden sind, brauchen wir hier um so
weniger einzugehen, als gerade die ims als Krankheitserreger wesentlich
angehenden Protozoen fast alle einfacher gebaut sind, ja sich vielfach
nach Art der Bakterien und Pilze durch Diffusion von ge-
lösten Stoffen nähren. Im übrigen betrachten wir es nicht als
unsere Aufgabe, die morphologischen Verhältnisse der Mikroben aus-
führlich zu behandeln^), sondern begnügen uns, in folgendem die Er-
gebnisse der mikrochemischen und mikrophysikalischen Forschung
wiederzugeben, die uns freilich noch nicht das Verständnis der lebenden
Substanz und der Lebenserscheinungen erschließen, aber doch die
ersten Schritte in dieser Richtung darstellen und jedenfalls die Er-
gebnisse der groben chemischen Untersuchung (Kap. II) ergänzen.
§ 2. Plasmolyse. Einen wichtigen Aufschluß über den Bau der
Bakterienzellen haben ims zunächst gegeben die Beobachtimgen über
Plasmolyse, d. h. die Zusammenziehung des Protoplasmas unter dem
Einfluß wasserentziehender Stoffe, wie stärkeren Salzlösungen, Zucker
und dergl. Besonders A. Fischer^) hat diese Erscheinung syste-
matisch studiert und gefunden, daß sich eine große Anzahl von Bak-
terien, wie der Vibrio cholerae und andere kleine und große Spirillen,
der Bacillus typhi, coli, pyocyaneus, fluorescens, prodigiosus, der
Micr. candicans, Cladothrix und Crenothrix gegenüber den genannten
Mitteln, z. B. einer mehrprozentigen Kochsalzlösung^) ähnlich verhalten
1) Vgl. über die Morphologie der Bakterien außer den Lehrbüchern
Kruse in Fluges Mikroorganismen, 1. Bd., 1896, M i g u 1 a , System
der Bakterien, 1. Bd., 1897, Gotschlich in Kolle - Wassermann
Handb., 1, 1903, und Ergänzungsband 2, 1907; über Pilze die bekamiten
älteren Werke und Lindau in Engler- Prcwitl Pflanzenfamilien 1897 — 1900;
über Hefe die Bücher von K 1 ö c k e r, 1900, Lindner , 1901 und Kohl
1908, über Chlamydozoen die seit der Entdeckung des Cytoryctes variolae
durch («uarnieri (1892) veröffentlichten Einzelarbeiten über Parewiten
der Variola, Brußtseuche, Maul- und Klauenseuche, Kinderpest, Hundswut,
Hühnerpest, des Trtwihoms (?) usw.
2) Ber. Sachs. €re8. d. Wiss., Leipzig (1891). Jahrb. wiss. Bot., 27
(1894). Vorlesungen über Bakterien, 2. Aufl. (1903), S. 20.
3) Die Plasmolysierbarkeit schwankt, sie ist z. B. bei Cholerabazillen
ftuf salzarmen Nährböden geringer als auf salzreichen. Aus der Grenz-
konzentration, bei der Plasmolyse stattfindet, berechnet sich der osmotische
t^lierdruck (Turgor) im gewöhnlichen Nährboden auf 1,4 — 2,1 Atmosphären;
der gesamte osmotische Druck (in destilliertem Wasser) würde danach
^»8—3,5 betragen. Bei Züchtung auf stärker salzhaltigem Agar kann der
4 Kap. 1, § 2.
wie Pflanzenzellen, d. h. Lücken in dem mehr oder weniger homogenen
Inhalt erscheinen lassen, die ganz den Eindruck machen, als ob sich die
plasmatischen Zellkörper von einer unveränderten äußeren Schicht
zurückziehen, also die Zellen auch bei den Bakterien mit einer Haut
oder Membran bekleidet seien. Meines Erachtens kann über das Vor-
handensein einer solchen nach dem Bilde, das man bei der künstlichen
Plasmolyse zu sehen bekommt, kein Zweifel sein. Insofern ist freilich
der Widerspruch, den Zettnow^) gegen die Membrantheorie äußert,
berechtigt, als nicht alle Bakterienarten und auch nicht alle Individuen
in Kulturen sich plasmolysieren lassen. Einige ziehen sich vielmehr
im Ganzen zusammen, so daß man daraus eine gewisse Elastizität der
Zellhaut erschließen könnte^), in anderen Fällen sieht man überhaupt
keine deutliche Veränderung, so daß die Annahme einer Membran hier
zunächst in der Luft schwebt. A. Fischer selbst unterscheidet die
plasmolysierbaren (oben genannten) Arten von den nicht plasmolysier-
baren, zu denen er den Bac. Anthracis, subtilis, megatherium, mesen-
tericus, Staphylokokken, Sarcinearten und Milchstreptokokken (den
„Bac. lactis acidi"), ferner mit Wahrscheinlichkeit Tuberkel- und Diph-
theriebazillen rechnet, und nennt die ersteren impermeabel'), die letzteren
permeabel, indem er annimmt, daß die Zurückziehung des Plasmas
von der Membran dann erfolge, wenn zwar die Moleküle des Wassers
durch die Grenzschicht des Plasmas nach außen, aber die Salzmole-
küle der Umgebung nicht durch sie von außen nach innen hindurch-
wandern können, der osmotische Druck im Innern also steigen muß,
während das Plasma seinen osmotischen Druck und deshalb seine
gewöhnliche Form behalte, wenn seine Grenzschicht für Wasser- imd
Salzmoleküle in gleicher Weise durchgängig sei*).
Übrigens ist die Undurchgängigkeit des Plasmas stets nur eine
letztere Wert natürlich viel höher steigen. Schimmelpilze haben nach
Eschenhagen (Leipzig, philos. Dissert. 1889) und F a 1 c k (Haus-
schwammforschiingen, H. 1, 1907) und Hefenpilze nach Swellengrc-
b P 1 (Zentr. Bakt., 2. Abtlg., 14, 1905) gewöhnlich einen höheren Druck
(10 AtmoHphären u. mehr). Auf salzreichem Nährboden kann er bis auf
160 Atmosphären steigen. Der osmotische Druck der Pflanzen beträgt
meist 5 — 15 Atmosphären, derjenige der tierischen Zellen liegt in der Nähe
der unteren Zahl, da aber die tierischen Säfte einen ähnlichen Druck be-
sitzen, so fehlt hier der Überdruck. Gleich Null ist der osmotische Druck
oder Tiu*gor bei den im Wasser frei lebenden hüllenlosen Amöben.
1) Zeitschr. f. Hyg., 24 (1897).
2) Nfwjh Z e 1 1 n o w gehören auch die großen Spirillen hierher,
nach Hinze (Ber. bot. Ges. 1901, 369) die Beggiatoen.
3) Besser ,, semipermeabel".
4) Die Zell haut selbst wäre nach Fischer in jedem Falle permeabel.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 5
vorübergehende, denn nach einiger Zeit, bei diesen Bakterien früher,
bei jenen später, gleicht sich die Plasmolyse regelmäßig aus, sie kann
auch anscheinend bei einer und derselben Bakterienart je nach dem
Zustand, in dem sie sich befindet, verschieden sein und auch durch
künstliche Behandlung beeinflußt werden. Bemerkenswert ist weiter,
daß Harnstoff, Glyzerin, Antipyrin, Chloralhydrat, und vielleicht alle
Stoffe, die in Lipoiden ISslich sind, keine Plasmolyse hervorrufen, das
Plasma der Bakterien also für sie ebenso durchlässig ist, wie das der
Pflanzenzellen, roten Blutkörper usw. (H. Meyer, Overton).
Auch Gifte wie Jod in Salzlösimg und konzentrierte Metallsalzlösung
u. a. töten die Zellen erst, nachdem sie Plasmolyse hervorgerufen haben,
dringen also langsam ein. Bakterien, die auf irgendeine Weise getötet
oder freiwillig gestorben sind, werden nicht mehr plasmolysiert, sind
also durch das Abst-erben durchgängig geworden. Wir werden dieser
Veränderung von Reaktionen beim Absterben noch öfter begegnen.
Man könnte die Erklärung Fischers für das Ausbleiben der Pias-
moljBe, wenn auch andere später zu besprechende Gründe dagegen
vorliegen, zunächst zulassen, ohne doch die Voraussetzimg zu bilUgen,
daß überall eine eigentliche Zellhaut oder Membran bestände. Die im
wesentlichen starren Formen der nicht plasmolysierbaren Bakterien
ließen sich auch erklären durch die Annahme, daß die äußerste Schicht
des Plasmas bei ihnen nur eine dichtere Beschaffenheit besitze, aber
noch nicht in Form einer echten Membran abgeschieden sei. Freilich
haben wir gerade auch bei manchen nicht plasmolysierbaren Arten
andere Beweise für das Vorhandensein einer Zellhaut, so machen die
Erscheinungen, die in sporenbildenden Bakterien, manchmal auch an
alten Individuen nicht sporenbildend ar Formen als sog. „Schatten"
auftreten, ganz den Eindruck, als ob sich uns hier die Membran im
leeren Zustande darstelle. Bei der Zerquetschung mancher großer
Bakterien ist ähnliches beobachtet worden (§5.) Daß Sporen eine
oder mehrere deutliche Membranen besitzen, wird fast allgemein zu-
gegeben. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß eine Zellhaut not-
wendigerweise allen Bakterien und in allen Entwicklungsstadien zu-
kommen müsse.
Auf die Beziehungen der Färbbarkeit (Gramfestigkeit) zur Plas-
molysierbarkeit und die Erklärung der beiden Eigenschaften kommen
wir später zurück (§ 18).
Man hat die Bedeutung der Plasmolyse und überhaupt der osmo-
tischen Druckschwankungen für das Leben der Bakterien manchmal
sehr hoch eingeschätzt^), sie z. B. als Ursache der spezifischen bakteri-
1) Vgl. Baumgarten (Berl. klin. Wochenschr., 99, 41 und 1900,
6 Kap. 1, § 2 u. 3.
ziden Wirkungen des Blutserums angesehen, A. Fischer^) wollte
sogar eine eigentümliche Art der Zerstörung von Bakterien, die „Plas-
moptyse" unter derartigen Bedingungen im Mikroskop beobachtet
haben. Aber die von A. Fischer selbst gemachte Beobachtung,
daß die Plasmolyse nur ein vorübergehender Zu-
stand ist, daß femer die Beweglichkeit trotz beste-
hender Plasmolyse erhalten bleiben kann, vor
allem die Prüfung von Bakterien, die derartigen Druckschwankungen
durch Überführung in stärker oder schwächer konzentrierte Nähr-
lösungen unterworfen wurden, mittels Plattenzählungen*) haben uns
schon vom Gegenteil belehrt. Schließlich hat L e u c h s ®) festgestellt,
daß es gar keine Plasmoptyse gibt, die von Fischer beschriebenen
Veränderungen vielmehr durch Unreinigkeiten des Deckglases vor-
getäuscht werden. Damit wird natürlich nicht widerlegt, daß einer-
seits zu verdünnte Lösungen und namentlich destilliertes Wasser, und
andererseits konzentrierte Salz- und Zuckerlösungen das Leben der
Mikroben ungünstig beeinflussen, aber es liegt näher, an chemische
Wirkungen dieser Mittel *) zu denken (§ 14). Sehr zweifelhaft ist es,
wie weit man Bilder, die man bei vielen Bakterien, sei es im frischen,
sei es im fixierten Zustande, in jungen oder alten Kulturen beobachtet,
auf Plasmolyse beziehen soll. Dahin gehören z. B. die Zerfallserschein-
ungen, die viele Forscher unter verschiedenen Bedingungen im Leibe
von Milzbrandbazillen gesehen haben^), die Polkömer in Typhusbazillen
auf Kartoffeln, die scheibenartigen Glieder in Diphtheriebazillen, die
„Vakuolen" in Hühnercholerabazillen („Polfärbung"). Es ist wahr-
scheinlich, daß viele davon in das Gebiet der Chromatolyse G a -
meleias (§6), andere in das normaler Zellstrukturen gehören, oder
auch nur Kunstprodukte sind, die durch die eingreifende Behandlung
(Erhitzung) in den zarten Bakterienleibem hervorgerufen werden. Man
könnte freilich noch daran denken, daß die Steigerimg der molekularen
Konzentration, d. h. des osmotischen Druckes, die nach Zange-
7 — 9; Arb. des pathol. Inst. Tübingens 3, 131) und seine Schüler B r a e m
(ebd. 1), Jetter, Walz, D i e t r i c h , (ebd. 3), F i n c k h (ebd. 4).
1) Zeitschr. f. Hyg., 35 (1900).
2) Vgl. z. B. V. L i n g e 1 s h o i m , Zeitschr. f. Hyg. 37 mit Lit.,
1901.
3) Areh. f. Hyg. 64, 408. vgl. auch die Anm. in Fischers Vorlesun-
gen, S. 31.
4) Vgl. auch die oligodynamischen Wirkungen von Beimischungen
im destillierten Wasser bei F i c k e r , Zeitschr. f. Hyg. 29, 1898.
5) Vielleicht gehören auch hierher die Bilder von ,, Plasmolyse**, die
Podwyssotzky und Taranouchine in Lezithinnälu'böden ge-
sehen haben (s. u. § 8).
Bau und mikrochemisches Verhalten. 7
meister^)in älteren Kulturen und patiiolo^schen Sekreten eintritt,
mit derartigen Veränderungen zuBammenhinge, aber schon die Dauer-
haftigkeit derselben spricht gegen ihre Deutung als plasmolytischer
Vorgange,
§ 3. Unregelmäßige Formen. Nicht nur durch ihre Dauerhaf-
tigkeit, sondern auch durch ihre ganz andersartigen Folgen zu trennen
von den plasmolytischen Einflüssen sind diejenigen, die zwar auch
von konzentrierten Salzlösungen, außerdem aber von verdünnten
Salzen oder anderen bekannten und unbekannten Stoffen ausgehen.
Die ersten Beobachtungen über eigentümliche, von den gewöhnlichen
abweichende Wuchsformen von Pestbazillen in salzreichen Nährböden
machten H a n k i n und L e u m a n n 2), nachdem Haffkine
bereits auf das gelegentliche Vorkommen von solchen in gewöhnlichen
Nährboden aufmerksam gemacht hatte. Auch zahlreiche andere Bak-
t<^rien zeigen nach Skschivan^), Matzuschita*)u. a. eine
mehr oder weniger ausgesprochene Neigung zu ähnlichen Abweichungen
vom Typus in kochsalzhaltigen Nährböden. Systematische Unter-
suchungen über die Reize, die zu ihrer Entwickelung führen, verdanken
wir namentlich Gamaleia^), Maassen^), Rajat und P e j u').
Sie sprechen von Heteromorphie oder teratologischen
Wuchsformen, die letztgenannten wenig glücklich von Poly-
morphosen, meinen damit aber dasselbe, was schon seit N ä g e 1 i
unter dem Namen der Involutionsformen bekannt ist, und was wir
als unregelmäßige Formen bezeichnet haben^), d. h. kuglig, keulen-
spindelförmig oder wurstartig aufgetriebene, mehr oder weniger, zum
Teil riesig vergrößerte oder fadenförmig verlängerte, echt verzweigte
oder auch schraubenartig gedrehte Gestalten, die in alten Kulturen
fast aller Bakterien hin und wieder vorkommen. Wenn man die Ursache
ihrer Bildung in diesen Fällen mit einem gewissen Recht in den schäd-
lichen Stoffwechselprodukten, die sich in alten Kulturen entwickeln,
sehen darf, so hat schon Hansen^) darauf hingewiesen, daß bei
den Essigbakterien die Involutionsformen bei bestimmten Tempera-
1) Münch. med. Wochenschr. 1904, 4.
2) Zentralbl. Bakt. 22, 438, 1897.
3) Ebenda 28, 289, 1900.
4) Zeitschr. f. Hyg. 36, 1900.
5) Elemente der allgem. Bakteriologie, 1900.
6) Arb. K. Gesundheitsa. 21, 1904.
7) Soc. biol. 21, 12, 1907.
8) Kruse, Allgem. Morph, d. Bakt. in Flügges Mikroorg^ 3. Aufl.
1. 61, 1896.
9) Ber. botan. Ges. 1893, 69.
8 Kap. I, § 3 u. 4.
turen schon auf der Höhe des Wachstums auftreten, und eher ein
Zeichen guten Gedeihens als des Absterbens sind. Damit stimmt
freilich nicht überein, daß Guignard und Charrin^), Was-
serzug*), Kubier*) und Verfasser*) dergleichen Formen
bei Pyocyaneus- und Prodigiosusbazillen massenhaft sich entwickeln
sahen, wenn sie diese in Nährboden mit entwicklimgshemmenden Zu-
sätzen wachsen ließen. Diese Erfahrung sowie der oben erwähnte
Einfluß starker Salzlösungen und die von G a m a 1 e i a und M a a s -
s e n festgestellte fast spezifische Wirkung der Lithiumsalze (0,5 — 2%)
und des Koffeins (0,4%) spricht vielmehr dafür, daß die unregelmäßigen
Bildungen durch besondere Wachstumsreize veranlaßt
werden. Wenn sie in gärenden Flüssigkeiten zahlreich gesehen werden,
so braucht man sie deshalb mit H ü p p e noch nicht als „Gärungs-
formen'' zu bezeichnen. Und erst recht ist es unstatthaft, diese oder
jene Involutionsform, wie es von jeher von einzelnen Forschern und
neuerdings wieder von Almquist®) versucht worden ist, mit
Fruchtbildungen höherer Pilze auf eine Stufe zu stellen. Die Ähnlichkeit
mit „Conidien'' ist eine rein äußerliche. Das gilt auch für die Kolben
der Strahlenpilze und anderer Bakterien ®). Diese werden mit größerem
Recht jetzt ähnlich wie die Kapseln der Bakterien als Schutzbildungen
aufgefaßt^). Daß sie selbst meist fortpflanzungsunfähig sind, ändert
daran nichts. Die „Drusen'' im Ganzen wirken wohl als Abwehrorgane.
Die früher nur selten bei einigen Bakterienarten beobachteten,
neuerdings aber bei allen Bakterie ngruppen
gefundenen Verzweigungen als „Rückschläge" zu be-
trachten, wird nur der vermögen, der mit A. Meyer®) die Bakterien
als entartete Pilze ansieht. Uns erscheint dies ausgeschlossen % Wir
1) Compt. rend. ac. sc. 105.
2) Ann. Pewteur 1888. Wiederholte Erhitzung auf 50" hat ähnliehe
Folgen.
3) Vgl. Zentralbl. f. Bakt. 5.
4) a. a. O.
6) Zentralbl. f. Bakt. 37.
6) Daß außer den manchmal allerdings in Kulturen nur in bazillären
Formen auftretenden (vgl. z. B. Wolff u. Israel, Zeitschr. f. Hyg. 29)
Mitgliedern der Aktinomyceten (Mykobakterien) auch echte granuiegative
Bazillen ähnliehe Drusen im Gewebe erzeugen können, scheint aus den
Angaben von L i g n i e r e s und Spitz über „Actinobacillose" (Rivista
Sociedad medica Argentina 1902) hervorzugehen.
7) Vgl. z. B. Mertens, Zeitschr. f. Hyg. 42 mit Lit. und L o e 1 e,
ebd. 60, 1908.
8) ebenda 30.
9) Vgl. den letzten Abschnitt dieses Bandes: Über die Abstämmling
der Mikroben (§ 359).
Bau tind mikrochemisches Verhalten. 9
folgern umgekehrt daraus, daß die Zweigbildung der Pilze eine Eigen-
schaft ist, die schon bei den Bakterien im Keim angedeutet ist, sich
aber erst bei den Pilzen und Strahlenpilzen zu einer festen Eigenschaft
entwickelt hat. Ebenso wird vielleicht durch das Vorkommen monaden-
ähnlicber Formen bei manchen Bakterien^) die Abstammimg der Flagel-
laten von ihnen wahrscheinlicb. Im Falle der sogenannten B a k t e -
roiden der WurzelknöUchen erfüllen die verzweigten Formen
außerdem eine wichtige biologische Aufgabe, indem sie entweder selbst
die Stickstoffassimilation bewirken oder wenigstens als Eiweißspeicher
für ihre Wirte dienen.
§ 4. Kapseln. Einer besonderen Art von Reizwirkung verdanken
anscheinend auch die sogenannten Kapseln der Bakterien und
pathogenen Hefepilze ihre Entstehung. Sie sind seit Metschni-
koffs ersten Beobachtungen an Milzbrandbazillen bei zahlreichen
Arten, die sonst kapselfrei sind, zunächst im infizierten Tier gefunden^)
und deswegen als Schutzorgane gegenüber den keimwidrigen Kräften
(Serum, Freßzellen u. a. m.) der Tiere betrachtet worden. Damit
stimmt überein, daß sie auch außerhalb des Tierkörpers im Serum
sich bilden. Die Beobachtung von D a n y s z 3), daß abgeschwächte
Milzbrandbazillen nicht nur im baktericiden Serum, sondern auch in
einem Nährboden, in dem das Alexin durch einen ander v?n wachtum-
hemmenden Stoff (Arsenik) ersetzt worden war, sich mit Kapseln
nmkleiden und dadurch an das Wachstum darin gewöhnt werden
konnten, sowie die von H 1 a v a ^), der fand, daß die gemeinen patho-
genen Streptokokken in Kulturen mit ungewöhnlich hohem Zucker-
gehalt (18%) Kapseln bilden, die den bekannten Bildungen des Leu-
conostoc mesenterioides vergleichbar sind, passen ebenfalls zu dieser
Vorstellung, xmd man könnte diese auch auf die schon in den üblichen
Nährböden gekapselten sogenannten Schleimbakterien (vgl. § 128),
anwenden. Indessen liegen die Dinge nach den Fesstellungen von
B a i 1 ^) und Eisenberg*) doch nicht so einfach. Denn das Serum
behält seine die Kapselbildung anregende Fähigkeit auch, wenn es
1) Russell, Zeitschr. f. Hyg. 11, 201.
2) S. bei E i 8 e n b e r g Zentralbl. 45, 148, 1907.
3) Annal. Pasteur 1900.
4) Zentralbl. Bakt. 32.
5) Zentralbl. 46, 488.
6) Ebenda 47, 415, 1908. Hier auch Methodik der Kapseldarstellung
(vgl. Hamm, Zentralbl. 43, 287, der empfiehlt, die Bakterien in Aszites-
flüssigkeit aufzuschwenunen, 30" mit Osmiumdämpfen zu fixieren, zu
trocknen und nach G i e m s a zu behandeln, wodurch sie rot, die Bak-
terien blau gefärbt werden).
10 Kap. I, § 4 u. 6.
durch Erhitzung oder durch Berührung mit Bakterienleibem seiner
keimwidrigen Eigenschaften beraubt wird, oder, wie manche Tiersera,
überhaupt von Anfang an die Entwicklung der Milchbrandbazillen
nicht behindert. Die genannten Forscher kommen deshalb zu dem
Schluß, daß die Kapsel nicht einfach als Abwehrorgan, als zweckmäßige
Bildung, aufgefaßt werden dürfe, sondern daß gewisse Nahrungsrei^e,
z. B. Eiweißstoffe im Serum sie veranlassen. Durch zu starke Er-
hitzung, Verdauung, Zusatz von Eiweißstoffen in großer Menge, ferner
durch Berührung mit Zellen, Wachstum der Bazillen im Serum oder
längeren Aufenthalt bzw. Überwucherung der Bazillen im Tierkörper
kann sich der Reiz erschöpfen. Uns scheint die Frage noch nicht ge-
nügend geklärt. Denn es könnte sich hier doch um Stoffe handeln,
die wenigstens Abkömmlinge der normalen Schutzstoffe des Serums
sind und ihre Reizwirkung noch festhalten, wenn sie ihre schützende
Wirkung schon verloren haben, etwa in ähnlicher Weise wie Toxoide
nicht mehr giftig sind, aber ihre antitoxinbindende und -bildende
Fähigkeit noch besitzen. Auch der Umstand, daß auf anderen an-
scheinend guten Nährböden einzelne Bakterienindividuen oder Stämme
oder Arten mehr oder weniger zur Kapselbildung neigen (s. o.), ist
meines Erachtens noch kein Grimd, die teleologische Auffassung ab-
zulehnen. Ebensowenig der Nachweis, daß in vielen Fällen die Ent-
wicklung einer Kapsel ihrem Träger gar keinen Schutz gewährt. Auch
bei anderen Schutzeinrichtungen bleibt der Erfolg häufig aus, ohne
daß man^darum an ihrer Zweckmäßigkeit zu zweifeln brauchte. Im
übrigen könnte man ganz gut die Vorstellung verteidigen, daß die
Zusammensetzimg der Kapseln bis zu einem gewissen Grade eine
spezifische ist, daß also die Kapsel nur die äußerlich allein sichtbare
Grundlage für bestimmte, je nach dem Reiz verschiedene Schutzstoffe
ist. Bei Gelegenheit der Antigene kommen wir darauf zurück (§ 322
und 328).
Ähnlich zu beurteilen wie die Kapselbildung ist wohl die Ver-
größerung, die bei manchen nicht zur Kapselbildung befähigten Bak-
terien, wie Typhusbazillen, Choleravibrionen u. dgl. unter ähnlichen
Bedingungen auftritt (Bail und Rubritius, Tsuda^),
Eisenberg). In dem einen wie in dem anderen Falle handelt es sich
um eine Art „Hypertrophie des Ektoplasmas" (§ 20). Der „Riesen-
wuchs", der unter dem Einfluß von antiseptischen Mitteln beobachtet
wird, (s. o. § 3) ist vielleicht auch eine ähnliche Erscheinung.
§ 5. Zerstörung durch mechanische Einflüsse. Wir kom-
men jetzt zu denjenigen Einflüssen, die das Aussehen der Kleinwesen
1) Zentr. Bakt. 46, 502.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 11
unter Schädigung ihrer Leistungsfähigkeit verändern. In erster Linie sind
die mechanisclien Einwirkungen^) zu nennen, die den Zusammenhang
des Leibes zerstören. Durch Zerreiben in mehr oder weniger wasser-
freiem oder gefrorenem Zustand oder Zerschüttelung in feuchtem ge-
lingt dies am besten, man bedient sich daher dieser Verfahren mit
Erfolg, um die Leibesstoffe der Mikroben für die chemische Analyse
(Kap. II) und den Nachweis von Enzymen (XIV), Giften (XVI) und
Impfetoffen (XVII) zu gewinnen. Selbstverständlich erklärt sich der
Erfolg dadurch, daß man nach der Zertrümmerung der einzelnen Be-
standteile die Zellen mit den Lösungsmitteln in innigere Berührung
bringen kann, das Wesentliche ist dabei aber oft nicht etwa die Zer-
störung des Protoplasmas selbst, sondern die Sprengimg der Zellhaut,
mag man sich diese nun als eine besondere, z. B. durch Plasmolyse
ablösbare Schicht oder als einen verdickten Teil des Plasmas selbst
vorstellen. Unmittelbar beobachten kann man die Folgen dieses Ein-
griffs bei großen Bakterienformen, z. B. dem Chromatium Okenii nach
Bütschli^), dem Bac. oxalaticus nach M i g u 1 a ^), großen Spi-
rillen nach Z e 1 1 n o w *), dem Bac. sporonema nach S c h a u d i n n^).
Diese Forscher beschreiben den Vorgang allerdings nicht in der gleichen
Weise. Während nach der einen Darstellung das Protoplasma der ge-
quetschten Zellen aus einer deutlichen Haut heraustritt, und dann mehr
oder weniger schnell, zum Teil unter Zurückbleiben von kleinen oder
großen Kömern, aufquillt, zerfällt und sich löst, hat Z e 1 1 n o w
nichts von einer Haut gesehen und schreibt auch dem Plasma eine er-
hebliche Widerstandsfähigkeit selbst gegenüber verdünnter Kalilauge
(§ 13) zu. Man ist daher wohl, selbst wenn man die Beobachtung Zett-
n o w s über das Fehlen einer besonderen Haut nicht für ganz zweifellos
hält, zu dem Schlüsse berechtigt, daß die Haut allein in vielen Fällen
den mehr flüssigen ZeUkörper zusammenhält und auch dessen Wider-
standsfähigkeit gegenüber chemischen Mitteln bedingt, während in
1) Von den sonst bekannten physikalischen Einflüssen, z. B. Licht,
Wärme, scheint keiner wesentliche sichtbare morphologische Veränderungen
von Bakterien zu veranlassen, auch nicht das Trocknen und das Erfrieren
mit nachfolgendem Auftauen, selbst wenn es z. B. 40 mal bei Cholera-
bakterien wiederholt wird (B r e h m e r , Arch. f. Hyg. 40). Protozoen
werden aber meist dadurch sichtbar zerstört. Auch die Bakterien erleiden
unsichtbare Veränderungen, denn sie verhalten sich nach Erhitzung, Ab-
kühlung und Trocknen, wie verschiedene im folgenden aufzuführende Bei-
spiele zeigen, anders als frische. Zum Teil liegt deus am Absterben, zum Teil
an unbekannten Einwirkiuigen (Koagulation ?).
2) Bau der Bakterien 1890.
3) System der Bakterien, 1., 85, 1897.
4) Zeitschr. f. Hyg. 24. 91, 1897.
5) Arch. Prot. 2, 1903.
12 Kap. I, § 6 u. 7.
anderen das Plasma selbst aus einer zähen und widerstandsfähigen
Masse besteht. Grenaue Angaben über die einzelnen Bakterienarten
fehlen. Es verhalten sich übrigens nicht etwa alle nicht plasmolysier-
baren Bakterien wie die Z e 1 1 n o w sehen Spirillen, wenigstens be-
richtet von Lingelsheim (§ 298) von den Staphylokokken, daß
sie trocken zerrieben zu 90% in klare Lösung gehen. Selbst die Tu-
berkelbazillen geben, allerdings erst nach sehr gründlicher Zertrüm-
merung etwa die Hälfte ihrer Substanz an Wasser ab (Kuppel,
§304).
§6. Zerstörung durch chemische Einflüsse. Die Wandlungen,
die die Kleinwesen durch chemische Mittel erleiden, sind gründlicher
studiert worden, im Zusammenhange namentUch von 0 a m a 1 e i a ').
Er stellt die koagulierenden Desinfizientien, wie Säuren, Formaldehyd,
Alkohol, Sublimat, hohe Temperaturen und die spezifischen Bakterien-
koaguline, (auch „Elysine'^ d. h. Präzipitine und Agglutinine) den
lösenden gegenüber imd trennt wieder die vollständige Bakterioljse
von der Chromato- und Stromatolyse. Bei der Chromatolyse
soll der eigentliche Zellkörper in Lösung gehen und schließlich nur die
leere Membran als farbloser Schatten zurückbleiben^). Destilliertes
Wasser, Ptomaine, wie Methylamin, Äthylamin, Triäthylamin, Äthylen-
diamin, nukleinsaures Ammoniak, Kasein, ein peptisches Verdauungs-
produkt des Kaseins, namentlich aber Glutaminsäure und Koffein
wirken chromatolytisch, während pflanzliche Alkaloide, sowie das
dem Koffein nahestehende Theobromin, Xanthin, Harnsäure, ferner
Nucleohiston und Nuklein unwirksam sind. Umgekehrt sollen nur
die Bakterienmembran unter Schleimbildung lösen — Stroma-
tolyse verursachen — Alkalien und starke Salzlösungen. Die vöDige
Auflösung des ganzen Bakterienleibes, die eigentliche Bakterio-
1 y s e , wie man sie namentlich unter dem Einflüsse der Immunkörper
beobachtet, soll auch durch eine andere Gruppe von Stoffen hervor-
gerufen werden, auf deren Darstellung G a m a 1 e i a , wie er sagt,
durch die Überlegung gekommen ist, daß man den Lösungsvorgang
vielleicht mit Hilfe von Bakterien selbst durch eine Art „Vaccination
im Reagenzglas'* verstärken könne. In der Tat soll man aus einer
Flüssigkeit, in der Chromatolyse erfolgt ist, durch Fällimg mit Essig-
säure und Lösung des Niederschlags in Ammoniak ein „Bakteriolysin",
das Bakterien völlig zerstört, z. B. eine dicke undurchsichtige Bakterien-
1) Elem. der allg. Bakteriol. 1900. S. 153 ff. und Anhang 207 und 219.
Referat über die russischen Originalarbeiten im Zentralbl. Bakt. 26, 661.
2) Als bestes Mitt<»l zur Darstellung von lytischen Erscheinungen
empfiehlt Oamaleia Methylenblaufärbung.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 13
aufschweminung in eine durchscheinende, kaum noch trübe FUissigkeit
verwandelt, darstellen können. Gamaleia betrachtet dies „Fer-
ment*^ alB eine Verbindung der chromatol3rtischen Substanz, z. B. der
Glutaminsäure, mit einer Bakteriensubstanz, dem „Chromatinin^^ und
glaubt, daß es ein spezifischer Körper sei. Wenigstens löste das anthra-
kolytisclie Ferment viele Bakterien gar nicht und Milzbrandbazillen
am stärksten. — Entsprechende Bakteriolysine erhielt Gamaleia
aus Choleravibrionen und Diphtheriebazillen. Solche aus Tuberkel-
bazUlen, Staphylokokken, Streptokokken, Typhus- und Pyocyaneus-
baallen zu gewinnen, glückte ihm erst dadurch, daß er die Bakterien
oder den tuberkulösen Eiter mit Trypsin oder Pepsin verdaute und die
Lösung dann wieder mit Essigsäure fällte usw. Wie er die Verdauung
bewerkstelligte (mit Chloroformzusatz?) gibt er nicht an. In den so
dargestellten Lysinen soll die Bakteriensubstanz mit dem Verdauungs-
ferment verbunden und dadurch unmittelbar den bekannten Hämo- und
Bakteriolysinen des Immunserums vergleichbar sein, da diese ja nach
Ehrlich ebenfalls aus dem im tierischen Körper vorhandenen ferment-
artigen Komplement und einer durch Immunisierung entstehenden
Zellensubstanz (Immunkörper) zusammengesetzt seien. Um auch den
Lysinen, die durch Behandlung mit Glutaminsäure gewonnen werden,
einen ähnlichen Bau zuschreiben zu können, spricht Gamaleia
die Vermutimg aus, bei ihnen würde die Fermentgruppe durch die
Endotryptase der Bakterien selbst (§ 9) geliefert. Auch die in alten
Kulturen auftretenden Zerfallsformen bezieht Gamaleia an-
scheinend auf die Wirkung dieser eigenen Bakteriolysine.
Die koagulierenden Einflüsse, (Kochhitze, Sublimat und Formalin)
sollen nach Gamaleia die Chromatolyse (durch Koffein) auf-
halten, während das Chloroform, das wohl in anderer Weise den Tod
der Bakterien bewirkt, dazu nicht imstande ist.
§ 7. Pyocyanase. Die von Gamaleia mitgeteilten Beobach-
tungen genügen kaum, seine theoretischen Vorstellungen zu begründen,
es fragt sich aber vor allem, ob sie den Tatsachen entsprechen. Eine
gründliche Nachprüfung fehlt bisher. Indessen begegnen wir auch
sonst ähnlichen Vorstellungen. Unabhängig von Gamaleia ge-
langten Emmerich und L ö w ^) namentlich auf Grund des
Studiums der Vorgänge in alten Kulturen zu der grundsätzlichen
Identifizierung der Bakteriolyse durch Immunsera mit der Selbst-
verdauung der Bakterien. In alten Kulturen seien es tryptische, das
Xuklein auflösende Fermente (Nukleasen), z. B. die Pyocyanase,
1) Münchn. med. Wochenschr. 1898, 1433 und Zeitschr. f. Hyg. 31,
1899.
14 Kap. 1, S 7.
Typhase usw., die die Auflösung bewerkstelligen, im immunisierten
Körper Kombinationen derselben mit Körperstoffen („Immunpro-
tefdine"). Wir kommen noch näher auf die Selbstverdauung zurück,
wollen aber hier das Wesen eines von Emmerich und Low dar-
gestellten Präparates, der Pyocyanase^), erörtern, weil es nicht nur
die eigenen, sondern auch fremde Bakterien sehr energisch löst
oder wenigstens tötet und schon durch diese letztere Eigenschaft gegen-
über Typhus-, Cholera-, Diphtherie-, Pestbazillen, Staphylokokken,
sowie durch seine Hitzebeständigkeit von den gewöhnUchen Ver-
dauungsfermenten abweicht. Genauere Angaben machten Emme-
rich und Low zunächst nur über die bakteriziden Eigenschaften.
Wir blieben daher im Dunkeln darüber, ob wirklich die Pyocyanase
eine Bakteriolyse vergleichbar der Serumbakteriolyse oder Verdauung
hervorruft. Nur für Milzbrandbazillen wiesen Emmerich und
S a i d a^) auflösende Wirkungen nach. In einer späteren Arbeit mach-
ten Emmerich und L ö w^) dann genauere Angaben auch über
die Möglichkeit, künstlich, d. h. im Reagenzglas durch Verbin-
dung mit Körpereiweiß ihr Pyocyanase- und Erysipela8e-(Rotlauf-)
Immunproteidin herzustellen. Leider bleibt es, da kein Versuchs-
protokoll über die Wirkung angeführt wird, ganz zweifelhaft, ob das
bloß kräftig immunisierende Stoffe sind oder solche, die dem Immun-
serum durch ihre unmittelbar schützende oder heilende Wirkmigen
gleichgestellt werden können. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das
nicht der Fall, denn sonst hätte man jedenfalls von dem Ersatz des
Immunserums gegen Schweinerotlauf durch das Immunproteidin
mehr gehört. Der Beweis für die auch sonst ohne Erfolg versuchte
künstliche Herstellung von Immunkörpern ist also auch von E m -
m e r i c h und Low nicht geführt worden. Damit ist wohl das Urteil
gesprochen über ihre und G a m a 1 e i a s Vorstellung, ein von den
Bakterien selbst gebildetes bakteriolytisches Ferment finde sich als
ein Bestandteil des Immunserums wieder. Im übrigen wurden die
Angaben von Emmerich und Low über die bakterizide imd teil-
weise bakteriolytische Wirkung ihrer Pyocyanase, obwohl man die
theoretische Erklärung meist angriff, mehrfach bestätigt.*) Ebenso
aber auch die Tatsache, daß es sich nicht um spezifische Leistungen
1) Alte Bouillonkulturen, filtriert, auf den 10. Teil eingedampft und
dialysiert.
2) Zentralbl. f. Bakt. 27, 1900.
3) Zeitschr. f. Hyg. 36, 1901.
4) Dietrich in Baumg. Arb. Tübing. path. Inst. 3, 345, 1901.
Auch Habilit.- Schrift. V a e r s c h. Zentralbl. Bakt., 31, 304, Tavernari
ebd. 792, K 1 i m o f f , Zeitschr. f. Hyg. 37, 1901.
Bau und mikrochemiBches Verhalten. 15
handelt. K I i m o f f suchte dann weiter die Frage zu entscheiden,
ob die Pyocyanase die Bakterien morphologisch in ähnlicher Weise
verändert, wie Seriunalexin. An Milzbrandbazillen konnte er damit
zwar keine Lösungserscheinungen hervorrufen, wie Emmerich
und S a i d a sie beschreiben, wohl aber eine Granulierung, die viel-
leicht der von Löwit geschilderten entspricht (§ 11). Diphtherie-
bazillen und Staphylokokken wiirden gar nicht verändert. Typhus-
und Cholerabazillen erlitten, allerdings erst nach 24 Stunden, stärkere
Veränderungen, indem sie sich in Körner verwandelten, lückenhaft
oder gar nicht färbten imd mannigfache unregelmäßige Formen zeigten.
Ein Vergleich mit der eigentlichen Bakteriolyse durch Serum schien
K 1 i m o f f daher nicht statthaft. In einer Erwiderung bestritten
Emmerich, Low und K o r s c h u n^) aber diese Angaben und
gaben Abbildungen von verschiedenen Bakterienarten, aus denen die
außerordentlich schnelle und weitgehende Auflösung zu ersehen ist.
Bilder von Cholerabazillen sind leider nicht darunter. Aber es wird
angegeben, daß trübe Aufschwemmungen von Cholerabazillen in Pyo-
cyanase schon nach wenigen Minuten geklärt werden. P o d w y s -
s 0 1 z k i und A d a m o f f ^) sahen ferner umgekehrt die Diphtherie-
bazillen am schnellsten und vollständigsten (nach 2 Stunden) die
Cholerabazillen etwas langsamer (nach 3 — 4 Stunden), den Colibazillus
am unvollkommensten zugrunde bzw. in Lösung gehen. Man muß
also wohl zugeben, daß eine Zellzerstönmg der Pyocyanasebehand-
lung folgen kann, immerhin ist bei der Unbeständigkeit dieser Er-
scheinung die Frage berechtigt, ob die allgemein zugegebenen bakteri-
ziden Wirkimgen der Pyocyanase mit den „verdauenden" zusammen-
fallen, und ob wir es bei der einen wie bei der anderen Wirkung über-
haupt mit Enzymen oder Fermenten zu tun haben. Die Ferment-
natur der Pyocyanase ist von Emmerich und Low hauptsächlich
deshalb angenommen worden, weil ihr neben den bakteriziden Wir-
kungen deutliche verdauende Kräfte gegenüber Fibrin und Eiweiß
zukommen; und an der Berechtigung dieser Auffassung würde die
von den Gegnern oft hervorgehobene Tatsache auch nichts ändern,
daß die Pyocyanase hitzebeständig, ja kochfest ist, denn es gibt koch-
feste Enzyme (§ 244). Die Deutung wird aber dadurch zweifelhaft,
daß nach Emmerich, Low und Korschun die tryptische
Wirksamkeit der Pyocyanase schon durch viertelstündiges Kochen
zerstört, die bakterizide und bakteriolytische aber erst nach l^^^stün-
digem Aufenthalt im Dampf beeinträchtigt wird. Danach ist also die
1) Zentr. Bakt. 31. 10, 1002.
2) Ebd. 50, 1909.
16 Kap. I, ! 8.
Lösung der Bakterien durch die Pyocyanase nicht mit ihrer Verdauung
identisch. Großen Wert legt Emmerich auf die übrigens von
K I i m o f f bestrittene agglutinierende und ebenso auf die antitoxische
Wirkung der Pyocyanase als Beweis ihrer Fermentnatur. Wir sehen
nicht ein, warum. Beide Arten von Leistungen sind ja gewöhnlich
keine fermentativen.
§ 8. Lipoide. Es bleibt also wesentlich nur die gegenüber manchen
Bakterien hervortretende lösende Wirkung der Pyocyanase bestehen,
aber diese braucht auch nicht durch ein Ferment bewirkt zu werden,
denn wir kennen sie auch an anderen, sicher von den Fermenten zu
scheidenden Stoffen. Während Alkalien (s. u. § 13) in der Pyocyanase
nicht in Betracht kommen, haben Raubitschek und R u B^)
an Lipoide gedacht, denen nach einer ganzen Reihe von Forschern
keimtötende und -lösende Eigenschaften zukommen. In der Tat ließen
sich die wirksamen Bestandteile der Pyocyanase durch Alkohol, Äther,
Benzol, Benzin, Azeton, Petroläther und Chloroform faat vollständig
von ihnen trennen, und ähnliche Stoffe auch unmittelbar aus den
Leibern der Pyocyaneusbazillen gewinnen. Danach hat es also große
WahrscheinUchkeit für sich, daß sich die bis dahin rätselhafte
Leistung der Pyocyaneusbazillen mindestens zum Teil auf diese Weise
erklärt. Warum sich die einzelnen Bakterienzellen bzw. Stämme in
ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Abtötung und namentlich gegen
Auflösimg so verschieden verhalten, wäre aber noch festzustellen
(§ 15). Außerdem fehlt eine genaue Bestimmung ihres „Lipoides"
noch hier wie in vielen anderen Fällen. So kann man zwar die zytoly-
tischen^) (hämolytischen) und bakteriziden^) Wirkungen hitzebestän-
diger Organ- und Zellextrakte, sowie die entsprechenden Wirkungen
von Bakterien-, Pilz- und Protozoenextrakten*) mit einem gewissen Recht
auf Lipoide zurückführen und will sogar die hitzeempfindlichen hämo-
und bakteriolytischen Stoffe des Serums (Komplements) in irgend-
eine Beziehung zu Lipoiden bringen^), kann aber vorläufig nicht die
Natur derselben angeben. In anderen Fällen ist das aber möglich ge-
1) Wiener klin. Woohenschr. 1908, 8 und 23, Zentralbl. f. Bakt. 48.
114, 1908. Vgl. dagegen Emmerich imd L ö w in Wiener klin. Woch.
36. 1908.
2) Korschun und Morgenroth, Berl. klin. Wochenschr.
1902, Landsteiner imd H. Ehrlich, Zentr. Bakt. 45. 247, 1908.
Literatur.
3) Landsteiner und Ehrlich, ebd. Lit.
4) Landstoiner u. Raubitschek, ebd. 660, Raubitschek
ebd. 46, 508. Fukuhara, Arch. Hyg. 71, 1909, Lit. Vgl. Cerosin § 26.
5) S. bei Landsteiner und Ehrlich, ferner P o r g e s , in
Kraus und Levaditi, Handb. 2. 1162, 1909.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 17
wesen. So kennt man schon lange die entwicklungshemmende und
keimtötende Kraft der Galle für manche Bakterien. N e u f e 1 d^)
fand weiter, daß die Galle aller möglichen Tiere frisch oder gekocht
noch in Verdünnungen von 1 : 10 — 20 Pneumokokken binnen 3 bis
20 Minuten oder auch etwas später fast vollständig löste, ohne daß
vorher eine Formveränderung erfolgte. Nur ein Pneumokokkenstamm
widerstand, ebenso blieben ungelöst alle daraufhin geprüften Bak-
terien, wie Milzbrand, Cholera, Typhus, Bact. coli, Pyocyaneus, Diph-
therie, hämorrhagische Septikämie, Rotlauf, Staphylokokken und
Streptokokken, ja wuchsen sogar meist in der Galle. N e u f e 1 d
macht ferner darauf aufmerksam, daß die Galle auch die Erreger der
Rinderpest (R. Koch) und der Hundswut (V a 1 1 e e) abtöte, und
daß der wirksame Bestandteil wahrscheinlich die Gallensäure bzw.
die Cholakäure sei. Die meisten Forscher bestätigten diese Befunde
X e u f e 1 d s , nur daß Mandelbau m^) und R. L e v y^) dieselbe
Löslichkeit durch Galle und gallensaure (taurocholsaure) Salze auch
bei dem nahe verwandten Strept. mucosus fanden, und für die übrigen
Streptokokken die Galle sich wenigstens als bakterizid oder entwick-
lungshemmend erwies.*)
Ebenso verhalten sich nach Neufeld, v. Prowazek^)
und Händel*), Levaditi und R o se n b au m*^) Spirochaeten
und Trypanosomen, sowie andere Protozoen gegen gallensaure Salze,
Saponin, Kobragift und Kobralezithide, reine Oleinsäure imd olein-
saures Natron und die aus Pankreas- und Lymphdrüsenextrakt ge-
wonnenen Fettsäuren und fettsauren Salze, die daher vielleicht als
die wirksamen Bestandteile in Organauszügen zu betrachten sind.
Da dieselben Stoffe im allgemeinen die Bakterien und im besonderen
die Spirillen nicht lösen, glauben die genannten Forscher in ihnen
Reagentien gefunden zu haben, die es gestatten, Bakterien von Proto-
zoen und Sltrierbaren Virus zu unterscheiden, und sind geneigt, die
Spirochaeten darum den Protozoen anzureihen. Unseres Erachtens ist
dieser Schluß schon wegen des abweichenden Verhaltens echter Bak-
terien von der Regel nicht erlaubt®). Es gehört dazu nicht nur der
1) Zeitfichr. Hyg. 34, 1900.
2) Münch. med. Wochenschr. 1907, 29.
3) Virch. Arch. 187, 1907.
4) Vergl. Lit. bei Vetrano, Zentr. Bakt. 52, 1909.
5) Arb. k. GeBundheitsamt 25. 510, 1907.
6) Ebd. 28. 572, 1908.
7) Ann. Pasteur 1908.
8) Vgl. auch im letzten Abschnitt dieses Buches das über die Stellung
der Spirochaeten gesagte ( § 359).
Krase, MikxoUologie. 2
1 8 Kap. I, S 8 u. 9.
Pneumokokkus. So hat F i c k e r^) beobachtet, daß zwar der Diplo-
coccus crassus (Jägers Meningokokkus) von Galle nicht gelöst wird,
wohl aber der echte Meningokokkus. Ich selbst habe neuerdings mit
Schreiber gefunden, daß auch andere Bakterien, wie z. B. Milz-
brandbazillen und Choleravibrionen von Galle mindestens sehr stark
angegriffen werden. Vergleichende Untersuchimgen über die Wirkung
der Galle und anderer Lipoide sind in meinem Laboratorium im Gange.
In der Literatur finden sich darüber manche Unstimmigkeiten. So
haben, um von den Angaben über Pyocyanase ganz abzusehen (§ 7),
Landsteiner und Ehrlich (s. o.) eine starke bakterizide Wir-
kung der Ölsäure und ihrer Salze auf Milzbrand- und Massauavibrionen
festgestellt, auf eine lösende Wirkung dabei freilich nicht geachtet.
In den Versuchen von Levaditi und Rosenbaum erwiesen
sich umgekehrt die gleichen Stoffe für Cholerabazillen ganz unwirk-
sam. Lezithinaufschwemmungen sollen nach Bassenge ^) Typhus-
bazillen zur Auflösung bringen, und zwar in frischem Zustand lang-
sam, in älterem schnell ; nach D e y c k e und M u c h^) lösen sie zwar
Coli und Anthraxbazillen nicht, töten sie aber,*) beeinflussen Staphy-
lokokken anscheinend gar nicht, lösen aber wiederum manche Stämme
von Tuberkelbazillen. S 1 e e s w y k^) endlich führt die sehr unbe-
ständige Wirkung des Lezithins auf Beimengung freier Fettsäuren
zurück. Ebenso bestreitet L ö w e n s t e i n*) die Angaben von
D e y c k e und M u c h , daß Cholin und Neurin Tuberkelbazillen
auflöse.
Ferner beobachtete N o c') eine kräftigere bakteriolytische Wir-
kung des Kobragiftes auf asporogene Milzbrandbazillen, Cholera-
vibrionen, Eiterstaphylokokken, Diphtheriebazillen, junge Heubazillen,
als auf Trypanosomen, die freilich von einer 1 prozentigen Giftlösung
auch schon nach 30 Minuten gelöst wurden. Die Hülle der Bakterien
1) Arch. f. Hyg. 68, 1908.
2) Deutsch. med. Woch. 1908,29. Vgl. Fukuhara, Arch.Hyg. 71, 398.
3) Medizin. Klin. 1908, 40.
4) In Lezithinnährböden sollen aber nach Podwyssotzky und
Taranouchine (Annal. Fast. 1898, 508) Milzbrandbazillen wcwjhsen,
allerdings „plasmolysiert", so daß man deutlich die (nicht aus Zellulose
bestehende) Membran sehen kann. Auch sonst werden lezithinhaltige Stoffe,
wie z. B. Gehirn, als gute Nährböden betraclitet. Über Äther, Alkohol,
Chloroform und namentlich Benzoylchlorid als Lösungsmittel für säiu*efeste
Bazillen vgl. Bakterienfetto § 22 und 26.
5) D. med. Woch. 1908, 52.
6) Zentr. Bakt. 53, 1910.
7) Annal. Past. 1904, vgl. auch Cal motte in Kolle-Wass er-
mann s Handb., 2. Erg.-Bd. 263, 1908.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 19
scheint sich dabei zuerst aufzulösen, dann der Leib und schließlich
die Körnchen im Inhalt. Bei Bact. coU und Typhusbazillen ist die
Erscheinung weniger deutlich, fehlt fast ganz bei Pyocyaneus und
Prodigiosus und vollständig bei Tuberkelbazillen. Durch Erhitzung
auf 60^ wird die Löslichkeit nach Calmette erhebUch herabgesetzt.
Mit der verdauenden Eigenschaft der Gifte hat die lösende nichts zu
tun, weil die erstere bei 85® sofort verschwindet, die letztere erst nach
halbstündiger Behandlung. Ebensowenig fällt die lösende Fälligkeit
des ScUangengiftes etwa mit der der Serumalexine zmammen, die eine
hebt vielmehr die andere auf. Nach Levaditi und Rosen-
b a u m wäre freilich auch die Wirkung des Giftes auf rote Blutkörper,
Protozoen und Spirochäten verschieden von der auf andere Bakterien,
die erstere ginge überhaupt nicht durch Erhitzung auf 85® verloren.
Leider fehlt eine Prüfung der Meningo- und Pneumokokken gegenüber
diesem Gift.
Erwähnt sei schließlich noch, daß das Glyzerin, das freilich
nicht eigentlich zu den Tipoiden zu rechnen ist, umgekehrt Bakterien
im allgemeinen stärker angreift als Protozoen, einschließlich der
rhlamydozoen und filtrierbaren Virus. Das entspricht der Tatsache,
daß es die ersteren nicht, die letzteren wohl plasmolysiert, also dort
schneller, hier langsamer eindringt.
Aus diesen Angaben ergibt sich, daß vorläufig Gesetzmäßigkeiten,
die eine scharfe Trennung ermöglichen, in dem Verhalten der Proto-
zoen und Bakterien gegen „Lipoide" nicht bestehen. Es ist aber viel-
leicht dennoch die von N e u f e 1 d u. a. ausgesprochene Vermutung
berechtigt, daß diejenigen Mikrobenarten oder -Stämme — denn es
scheinen Unterschiede bei einer und derselben Art vorzukommen — ,
die der völligen Auflösung durch dieses oder jenes Lipoid unterliegen,
ebenso wie die Protozoen oder tierischen Sfellen dadurch eher eine
besondere chemisch-physikalische Beeinflußbarkeit ihrer Haut oder
der als solche dienenden plasmatischen Grenzschicht als ihres Plasmas
selbst beweisen. Grenau diese Beschaffenheit zu bestimmen, dazu
fehlen uns freilich vorläufig die Mittel. Die in dieser Beziehung nament-
lich für höhere Zellen entwickelten Theorien (H. Meyer, Overton,
Nathanson) sind nicht ausreichend.^)
§ 9. Selbstverdaunng. Unter den übrigen, eine völlige Lösung
der Mikroben bewirkenden Mitteln ist vor allem die eigentliche Ver-
dauung zu nennen. Wir betrachten an erster Stelle die sogenannte
Selbßtverdauimg, weil ohne ihre Kenntnis der Einfluß der künstlichen
Verdauung durch zugesetzte Enzyme nicht genügend sicher fest-
1 ) Vgl. H ö b e r , Physikal. Chemie der Zellen und Gewebe, 2. Auf 1. , 1 906.
2»
20 Kap. I. § 9.
gestellt werden kann. Bei der am längsten bekannten Selbstverdauung
(Autodigestion, Autolyse) der Hefe — über die chemischen Vorgange
soll später (§ 166) berichtet werden — bleibt die Sicllwand erhalten,
weil sie offenbar dem verdauenden Enzym, der von Hahn und
6 e r e t sogenannten Endotryptase, Widerstand leistet. Das Plasma
erfährt aber innerhalb der Sicllen eine tiefgehende Auflösung, die sich
auch durch den Austritt großer Mengen seiner Substanz aus den Zellen
äußert. Die Bedingungen für die Selbstverdauung der Hefe verdienten
noch näher studiert zu werden; diese scheint überall zu fehlen, wo die
Zellen in Vermehrung oder in lebhafter Gärtätigkeit begriffen sind,
und setzt umgekehrt ein, wenn diese Voraussetzungen fehlen und
gleichzeitig eine zu niedrige oder zu hohe Temperatur der Wirksam-
keit der Endotryptase nicht im Wege steht, namentlich dann also,
wenn die Hefe in nährstofffreier oder -armer Flüssigkeit aufgeschwemmt
ist. Der äußere Anstoß zur Selbstverdauung liegt also wohl im N a h -
rungsmangel bzw. in dem dadurch bedingten Z e 1 1 1 o d.
Darum beginnt sie auch sofort bzw. wird verstärkt, wenn man die Zellen
durch schwache Antiseptika, wie Chloroform, Thymol, Toluol, Salizyl-
säure, 0,1 prozentiges Formaldehyd, 1 prozentige Blausäure tötet,
während starke Antiseptika, die auch die Endotryptase schädigen
(3% Karbolsäure, 0,1% Sublimat, Temperaturen über 60°), die Selbst-
verdauung hemmen oder aufheben. Bei anderen Pilzen haben wir
ähnUche Verhältnisse zu erwarten. Bei Bakterien sind Vorgänge, die
wir jetzt als autol}rtische bezeichnen müssen, ebenfalls lange bekannt,
wenn auch nicht als solche erkannt. So beobachteten Kruse und
P a n s i n i^), daß die Pneumokokken, nachdem ihr Wachstum in
Bouillon aufgehört hat, aus den Kulturen unter Zurücklassung geringer
Spuren verschwinden. Bei anderen Bakterien pflegt ähnliches in
älteren Kulturen vorzukommen, nur in weniger ausgedehntem Maße
oder nach längerer Zeit. Die Meningo- und Gonokokken kommen
den Pneumokokken am nächsten: schon nach wenigen Tagen beginnt
hier, wie Färbungen zeigen, die Auflösung der Bakterien. Die gleichen
Erscheinungen in alten Pyocyaneus-, Milzbrand-, Typhuskulturen usw.
führten dann Emmerich und L ö w zu ihren im § 7 erwähnten
Vorstellungen über Selbstverdauung der Bakterien und zur Ent-
deckung der Pyocyanase. Im Anschluß an ihre erste Arbeit imd die
Darstellung Gamaleias (§ 6) erschienen genauere Untersuchimgen
über die Bedingung der Selbstverdauung der Milzbrandbazillen von
Seiten Malfitanos^) und Danysz'^). Der erstere zeigte, daß die
1) Zeitschr. Hyg. 11, 314.
2) Compt. rend. ac. sc. 131. 293, 1900.
3) Aiinal. Past. 1900.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 21
Selbstverdauung dieser Bazillen in destilliertem Wasser ausbleibt,
wenn die Bazillen vorher auf 65® erhitzt werden, dagegen eintritt,
wenn sie bei 55 — 60® abgetötet worden sind, oder wenn sie bei 45®
aufbewahrt werden. In jeder beliebigen Flüssigkeit erfolgt femer die
Verdauung, wenn die Lebensfähigkeit der Bazillen nicht durch höhere
Temperaturen, sondern durch Zusatz von Chloroform^), Xylol oder
Thymol beeinträchtigt oder aufgehoben wird. Nach Malfitanos
sehr berechtigter Vorstellung liegt die Ursache darin, daß endotryp-
tische Fermente (die „Protease") nur wirksam sind, wenn die normale
Lebenstätigkeit der Bakterien ausgeschaltet, nicht vernichtet wird.
Femer finden wir bei M a 1 f i t a n o die wichtige Bemerkung, das
Koffein, die Pyocyanase usw., die in den Versuchen von G a m a 1 e i a ,
Emmerich und Low die Lösung der Bakterien verursacht haben,
wirken in ähnlicher Weise, d. h. nur dadurch, daß sie die Lebensfähig-
keit der Bakterien beeinträchtigen und so deren eigener Verdauungs-
tätigkeit Spielraum gewähre. D a n y s z hat diese Erfahrungen
bestätigt und unter demselben Gresichtspunkt die Bakteriolyse der
Hilzbrandbazillen im Rattenserum studiert. Nach ihm erfolgt die
Lösung dieser Bakterien ungefähr in gleicher Weise, ob man sich eines
aktiven Serums bedient, oder eines seiner Alexine durch Erhitzung
oder Absättigung mit Bakterien beraubten, aber mit Chloroform ver-
setzten^) Serums, bzw. einer anderen Flüssigkeit bedient, die durch
Zusatz von Antisepticis als Nährboden unbrauchbar geworden ist.
Die Voraussetzung sei nur, daß das Antisepticum nicht das autoly-
tische Ferment zerstöre. So fehle denn die Bakteriolyse ebensowohl
im aktiven Seruln als in den übrigen Medien, wenn die Bazillen durch
starkes Erhitzen oder Säuren abgetötet werden. Nach D a n y s z
wirkt also das Alexin nur abtötend wie die Antiseptika, während die
Bakteriolyse durch das eigene Ferment der Bakterien verursacht
wird. Die Zusanmiensetzung des Mediums ist im allgemeinen von
Einfluß auf die Schnelligkeit und Ausdehnung der Selbstverdauung:
am größten ist sie im Serum, geringer in Peptonbouillon und am ge-
ringsten in destilliertem Wasser und Kochsalzlösung; in saurer Lösung
fehlt sie. Unter Umständen tritt in denselben Mitteln Bakteriolyse
und Wachstum neben oder nacheinander auf, indem nämlich die durch
Selbstverdauung schon zugrunde gegangenen Bakterien den übrig
1) Malfitano machte später (Annal. Past. 1902. 646), die noch
unerklärte Beobachtung, daß Chloroform (nicht andere Antiseptica) bei
Abwesenheit von Sauerstoff die Autolyse verhindert.
2) So ist vielleicht auch die Wirkung der Preßsäfte au.s Organen,
Eigelb und Eiweiß, die T u r r ö (Zentr. Bakt. 32. 105, 1902) nach Zusatz
von 2% Fluomatrium beobachtete, zu deuten.
22 Kap. I, § 9.
gebliebenen den Nährboden dadurch verbessern, daß sie entweder
— in reinem destillierten Wasser und Kochsalzlösung — bei der Auf-
lösung Nährstoffe abgeben oder — im aktiven nicht zu kräftigen
Serum — die Alexine neutralisieren.
Wir kommen auf diese Vorstellungen, die der Selbstverdauung
auch eine ausschlaggebende Bedeutung bei der Serumbakteriolyse
zuschreiben, später noch zurück und wollen hier nur betonen, daß
sie bei der Erklärung der Auflösungserscheinungen, die wir unter dem
Einfluß aller möglichen entwicklungshemmenden oder keimtötenden
Stoffe, namentlich auch der Lipoide beobachten, wohl Berücksichti-
gung verdient. Eine Entscheidung der Frage, ob die letzteren allein
oder unter Mitwirkung selbstverdauender Enzyme die früher be-
sprochenen Veränderungen hervorrufen, wird wohl nur von Fall zu
Fall an der Hand des morphologischen und chemischen Studiums der
Selbstverdauung zu geben sein. Von den chemischen Nachweisen,
die bisher für die Bakterien seit den Arbeiten von Hahn und G e r e t
geliefert worden sind, handeln wir später (§ 166). Die morphologischen
Verhältnisse habe ich durch vergleichende Untersuchungen, die ich
in jüngster Zeit, mit Schermann und Schreiber^) zusammen
an einer großen Zahl von Bakterien vorgenommen habe, aufzuklären
gesucht. Wir fanden dabei ganz erhebliche Unterschiede^) zwischen
den einzelnen Bakterienarten. Wurden Aufschwemmungen von
frischen Agarkulturen (je eine Schrägkultur auf 5 — 10 ccm Kochsalz-
lösung) mit Chloroform (oder Toluol) versetzt im Brutschrank ge-
halten, so zeigten einige (grampositive) Bakterien, wie Staphylokokken
und Megatherium, nach 24 — 48 Stunden keine Veränderung ihrer Auf-
schwemmungen für das bloße Auge und auch unter dem Mikroskop
keine Abweichungen von der gewöhnlichen Form und Färbbarkeit.
Eine schwache Aufhellung der Trübung, aber keine deutlich nachweis-
bare mikroskopische Veränderung trat ein bei den von uns geprüften
Kulturen der Enteritis- und Proteusbazillen und manchmal auch bei
Coli- und Dysenteriebazillen. In anderen Fällen waren die Aufschwem-
mungen der letzteren, ebenso wie die der Pseudodysenterie-, T)rphu8-,
Paratyphus-, Pneumoniebazillen deutlich aufgeklärt, die Bazillen selbst
schwächer färbbar und wohl zum kleinen Teil ganz aufgelöst. Sehr viel
stärker war die Lösung beimFIuorescensliquefaciens und namentlich beim
Milzbrand, Prodigiosus, Pycoyaneus, Cholerabazillus, sowie bei Meningo-
und Pneumokokken. Die mikroskopischen Veränderungen gingen dabei
sehr weit, zum Teil bis zum völligen Verschwinden der Bakterien.
1) Die Arbeit erscheint im Laufe des Jahres 1910.
2) Vgl. Stab 1 der Tafel II in § 10.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 23
Die Auflösung begann schon nach wenigen Stunden. Auch
wenn das Chlorofoim weggelassen wurde, war
die Sei b s t V er d auu n g bei vielen der Bakterien
annähernd ebenso kräftig, wahrscheinlich deswegen, weil
die Kochsalzlösung allein die Keime schon erheblich schädigte. Wurden
die Bakterien durch Erhitzung auf 60 — 100® abgetötet oder dauernd
bei niedrigen Temperaturen gelassen, so blieb die Lösung ganz oder
fast ganz aus. Durch die hohe Temperatur werden offenbar das oder
die Enzyme der Selbstverdauung ebenfalls zerstört oder geschädigt
und durch niedere Temperaturen in ihrer Tätigkeit gelähmt. Wir halten
diese für die wichtigste Ursache der Lösung; ob nicht manchmal aber
noch andere nicht enzymatische Stoffe (Lipoide § 8) beteiligt sind,
wollen wir vorläufig dahingestellt sein lassen. Die Möglichkeit, daß
auch verdauungshemmende Einflüsse daneben in Betracht kommen,
ist ebenfalls gegeben. Ob man aber von Antifermenten (s. u. § 10)
sprechen darf, ist recht zweifelhaft. Sicher setzen lebenskräftige Bak-
terien unter günstigen Bedingungen der Selbstverdauung erfolgreichen
Widerstand entgegen. Schon der Nahrungsmangel schwächt sie aber
so, daß die Lösung eintreten kann. Sehr schön zeigt das ein von uns
wiederholter Versuch F i c k e r s ^). Wenn man Cholerabazillen aus
einer frischen Agarkultur vom Nährboden abnimmt und ohne jeden
Zusatz in eine feuchte Kammer bringt, sterben die Keime namentlich
bei 37* schnell ab. F i c k e r führt das auf eine Art Selbstverbrennung
zurück. Auch wir wollen oxydative Vorgänge keineswegs ausschließen.
Die nükroskopische Prüfung zeigt uns aber, daß dabei die Lösung
in derselben Weise eintritt, wie nach Ausschaltimg der Lebenstätig-
keit durch Chloroform und nach Behandlung mit Verdauungsenzymen
(s. u.). Daraus imd aus der Wirkung der gleichzeitig gebildeten schäd-
lichen Stoff Wechselerzeugnisse (§ 47) erklären sich auch die oben er-
wähnten Auflösungserscheinungen in alten Kulturen. Das verschiedene
Verhalten der einzelnen Bakterienarten und -stamme wird wohl auf
cüe ungleiche Ausstattuug mit Selbstverdauungsenzymen oder deren
ungleiche Widerstandsfähigkeit zurückzuführen sein. Über den Mecha-
nismus, durch den die Lebenstätigkeit die Selbstverdauung verhindert,
können wir wenig aussagen.^)
§ 10, Verdauung. Nachdem wir so die Erscheinungen der Selbst-
verdauung kennen gelernt, können wir zu der Erörterung des Ein-
flusses der Verdauungsfermente schreiten. Daß dieser gegenüber
lebenden Kleinwesen nur gering ist, hat man schon lange aus dem
1) Zeitochr. f. Hyg. 29. 27, 1898.
2) Vgl. § 67 am Schluß, § 92 und § 166.
24 Kap. 1, § 10.
Vorkommen von Bakterien und Protozoen im Darminhalt und aus
dem Verhalten von Bakterien gegenüber Darmsekreten^) im Reagenz-
glas erschlossen. Schon einige ältere Beobachtungen von G a m a -
1 e i a (§ 6), S i e g w a r t*), und M o u t o n^) lehrten aber, daß durch
Chloroform, Säure, Hitze, Trocknen, destilliertes Wasser abgetötete
Bakterien durch die Verdauung viel stärker angegriffen wurden. Neuer-
dings wurde die Frage, und zwar von verschiedenen Seiten und unab-
hängig voneinander, wieder aufgenommen. Eine Mitteilung von
Jochmann*) besagt , daß lebende Typhus- und Colibazillen von
einem tryptischen Leukozjrtenferment nicht geschädigt, aber ebenso
schnell wie Fibrin oder Eiweiß aufgelöst werden, wenn sie durch Chloro-
form oder Temperaturen von 65 — ^70* abgetötet sind. Der Versuch,
ein „Antiferment" in den lebenden Bakterien dafür verantwortlich
zu machen, gelang nicht, wenn es auch auffiel, daß zuweilen ein Zusatz
von Bakterienkulturen zu Eiter dessen Verdauungskraft abschwächte.
F e r m i^) kam zu ähnlichen Ergebnissen: lebende Bakterien (und Pilze)
verschiedener Art wurden durch Trypsin (und Pepsinsalzsäure) nicht
beeinflußt, zeigten aber bei Zusatz von 1% Karbolsäure mit Ausnahme
von Staphylokokken und Tetragenus mehr oder weniger deutliche
Zeichen der Lösung*). Die Fermente ihrerseits wurden durch Mikroben
nicht angegriffen, mit Ausnahme des Pepsins'), auf welches die Mikro-
benprodukte (karboUsierte Bouillonkulturen) eine antipeptische Wir-
kung auszuüben schienen®). D e W a e 1 e*) verglich die Veränderungen,
die zahlreiche durch Chloroform- Azeton abgetötete Bakterienarten er-
litten, wenn sie unerhitzt oder auf 55 — 100® erhitzt, bei 37° einer 0,2 pro-
zentigen Trypsinlösung 3 — 12 Stunden ausgesetzt wurden. Nach Aus-
weis der beigegebenen Tabelle wurden die meisten von ihnen nach Er-
hitzung auf 75 — 100® viel vollständiger gelöst, als diejenigen, die nied-
1) Vgl. z. b. Fermi. Zentr. Physiol., 1895, 21. Vollst. Literatur in
der Infektionslehre.
2) Arbt. d. pathol. Inst. Tübingens 3. 277. (Pepsin und Trypsin).
3) Ann. Pasteur 1902. 489 (Amöbenferment).
4) Zeitschr. f. Hyg. 61, 1908.
5) Zentr. Bakt. 52. 252, 1909.
6) 3 Ösen Agarkultur wurden dabei auf 10 com Pepsin (1: 1000) oder
Trypsin (1 : 150) oder Papain (1 : 200) verteilt und nach 5 Tagen unter-
sucht.
7) Vgl. Papasotiriu, Arch. f. Hyg. 57.
8) Nach C h a r r i n und L e Play (Compt. rend. ac. sc. 141. 75,
1903) sollen aber Bakterien, z. B. Heubazillen, Papain so fest binden, daß
es aus ihnen auf dem Filter nicht ausgewaschen werden kann. Wir selber
beobachteten auch eine Bindung von Trypsin durch Bakterien (s. im Text)
9) Zentr. Bakt. 50. 40, 1909. Meis\ wurden 1— 2 wöchentl. Bouillon-
kulturen benutzt.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 25
rigeren Temperaturen ausgesetzt oder nicht erhitzt worden waren.
Am wenigsten (anerhitzt oder auf 55® erhitzt gar nicht) angegriffen
wurden Tetragenus, Streptokokken, Staphylokokken (mit Ausnahme
von hämolytischen) und Meningokokken (?), am stärksten (meist auch
etwas unerhitzt oder auf 55® erhitzt) Typhus, Paratyphus, Coli, Enteri-
tis, Vibrio Metschnikoff und Nasik, Megatherium (?). Die Hemmung
der Verdauung soll durch eine bei 75 — 100® zerstörte „Antiprotealase"
bewirkt werden. Vibrio Finkler, Pyocyaneus, Proteus, Prodigiosus,
Fluorescens und Anthrax wurden umgekehrt stärker gelöst in uner-
hitztem Zustande oder auf 55® erhitzt, als gekocht. D e W a e 1 e will
diese Unterschiede daraus erklären, daß mit der Antiprotealase selbst-
verdauende proteolytische Wirkungen in den Kulturen selbst in Wett-
bewerb traten.
Seit Ende 1908, also unabhängig von diesen Forschern, wurden
in meinem Laboratorium Untersuchungen über Verdauung von Bak-
terien vorgenommen. Zunächst fand Eantorowic z^), daß die
gramnegativen Bakterien (der Coli- und Vibrionengruppe) erst durch
Erhitzung auf 75 — 80® und mehr ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber
der Verdauung durch Trypsin verlustig gingen, was durch das Vor-
handensein eines auch in Lösung zu erhaltenden Antiferments erklärt
wurde. Andere Arten der Abtötung, z. B. durch Chloroform, Karbol,
Erhitzen auf 60 — ^70®, wären nicht imstande, die Verdauung zu ermög-
lichen, die Ausschaltung der Lebenstätigkeit hätte also nichts mit
der Verdaulichkeit zu tun. Grampositive Kokken und Bazillen, Staphy-
lokokken, Streptokokken, Sarzine, Diphtherie, Milzbrand würden
andererseits selbst durch Kochen nicht für die Verdauung vorbereitet.
Einige Unstimmigkeiten in den Ergebnissen Kantorowiczs
und der älteren Forscher bewogen mich, die Frage weiter zu verfolgen
und die Verdauung zusammen mit der Selbstverdauung (s. o. § 9) ge-
nauer zu studieren. Die von mir selbst, Schermann und
Schreiber gemachten Versuche ergaben noch verwickeitere Ver-
hältnisse, als sie die übrigen Arbeiten festgestellt. Verhältnismäßig
einfach lagen die Dinge allerdings bei der Pepsinsalzsäureverdauung.
Aus der folgenden Übersicht, die sich hauptsächlich auf Versuche
Schermanns stützt, ist zu entnehmen, daß die meisten Bakterien
im unerhitzten Zustand — in Kochsalzlösung aufgeschwemmt — sehr
widerstandsfähig gegen künstlichen Magensaft sind: sie zeigen nach
48 8tündiger Behandlung mit 1 prozentiger Lösung keine Veränderung.
Ausnahmen kommen allerdings vor, so wurden Prodigiosus- und Pro-
teusbazillen schwach, Cholera stärker angegriffen. Nach Erhitzung
1) M^inch. med. Woch. 1909, 18.
26 Kap. I, § 10.
auf 60**, 70®, manchmal erst nach solcher auf 90 — 100** zeigte sich aber
bei den granmegativen Bakterien eine mehr oder weniger deutliche,
ja selbst starke Lösung. Die grampositiven Bakterien wurden dagegen
überhaupt nicht verändert.
Tafel I. Verdauung mit Pepsinsalzsäure.
Unerhitzt
60«
70»
80«
90»
lOO»
Dysenterie
0
0
0
0
(tt)
tt
Typhus
0
0
0
t
tt
tt
Paratyphus
0
0
0
0
(t)
(t)
Coli
0
0
(t)
(t)
t
t
Cholera
tt
tt
•
.
m
tt
Proteus
t
t
tt
tt
tt
tt
Enteritis
0
0
(t)
(tt)
tt
tt
Pneumoniebaz.
0
0
(t)
t
t
t
Prodigiosus
t
(ttt)
(ttt)
(ttt)
(ttt)
(ttt)
PyoeyaneuR
•
(tt)
(tt)
(tt)
(tt)
(tt)
Meningokokkus
•
(tt)
(tt)
(tt)
(tt)
(tt)
Milzbrand
0
0
0
0
0
0
Megatherium
0
0
0
0
0
0
Staphylokokken
0
0
0
0
0
0
In l%iger Trypsinlösung ergaben sich dagegen die in Tafel II
zusammengestellten Verhältnisse :
Tafel II. Selbstverdauung und Trypsinverdauung.
Selbstverdauung Trypsin mit
Trypsin
mit Chlor ofortn
mit Chloroform,
Chloroform,
60»
80»
100»
unerhitzt
unerhitzt
Dysenterie
(t)
tt
0
ttt
Typhus
(t)
tt
0
tt
Paratyphus
(t)
ttt
0
ttt
Coli
0
(tt)
0
ttt
Cholera
ttt
ttt
(t)
ttt
Proteus
(t)
tt
ttt
ttt
Fluorescens non
liq. (tt)
(ttt)
t
ttt
Enteritis
(t)
tt
tt
ttt
Pneumoniebaz.
t
tt
tt
tt
Prodigiosus
tt
tt
(ttt)
ttt
Pyocyaneus
tt
tt
tt
ttt
Meningokokkus
(tt)
ttt
ttt
ttt
Pneumokokkus
tt
t
ttt
ttt
Milzbrand
tt
tt
t
(t)
0
Megatherium
0
0
0
0
0
Staphylokokken
0
0
0
0
0
Anm. : 0 bedeutet keine Lösung, (f) Spur, t schwache, (ft) deutliche,
tl starke, (ttt) f****^ vollständige, ftt vollständige Verdauung.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 27
Nicht angegeben ist in der vorstehenden* Tafel das Ergebnis der
Verdauung lebender Bazillen mit Trypsin, weil es stets das gleiche
war: es fehlte jede Verdauung der lebenden Keime
in Trypsinlösung, öfter trat sogar ein deutliches Wachstum
ein, offenbar weil die Lösung ein Nährboden war. Sobald die Lebens-
tatigkeit der Bakterien aber durch Chloroform (5%) ausgeschaltet war,
wurde das Bild ein anderes: meist setzte jetzt die Verdauung, und zwar
meist recht kräftig, ein; noch kräftiger war sie, ja, ging gewöhnlich
bis zur völligen Lösung, wenn die Bakterien nicht durch Chloroform,
sondern durch Erhitzung auf 80 — 100 abgetötet waren. Nach Er-
hitzung auf 60^ waren die Veränderungen dagegen ungleichmäßig, indem
die Losung bald eintrat, bald fehlte oder geringer war. Wie soll man
sich die Ungleichheiten erklären? Vergleicht man zunächst Stab 2
mit Stab 1 der Tafel, in der die Ergebnisse der Selbstverdauung mit
Chloroform mitgeteilt sind, so sieht man, daß durch Beigabe des Tryp-
sins die Lösung, wo sie vorher überhaupt bestand, nicht deutlich ver-
stärkt wurde, imd wo sie nicht bestand, entweder, wie bei Colibazillen,
in geringem Grade erfolgte, oder wie bei Megatherium und Staphylo-
kokken ausblieb. Die ebenfalls grampositiven Milzbrandbazillen wur-
den mit oder ohne Trypsin gleich gut gelöst, die grampositiven Pneumo-
kokken sogar anscheinend bei Gegenwart von Trypsin weniger ver-
ändert. Man bekonunt dadurch den Eindruck, als ob die gram-
festen Bakterien, auch wenn sie abgetötet sind,
durch Trypsin nicht angegriffen werden, wäh-
rend das bei der gramnegativen regelmäßig, und
zwar in viel erheblicherem Grade der Fall ist,
als bei der Pepsinsalzsäureverdauung. Wenn die
Abtötung durch Kochen erfolgt, ist das Ergebnis noch klarer : da fehlt
jede Lösung bei den gramfesten Bakterien, auch der Milzbrandbazillus
wird jetzt nicht mehr angegriffen. Den Grund dafür kann man wohl
darin sehen, daß das Selbstverdauungsenzym durch Kochen vernichtet
wird. Auch andere gramfeste Keime, wie Bac. subtilis, racemosus,
Streptokokken und Diphtheriebazillen, Strahlenpilze, Hefen, Oidien,
säurefeste Bakterien werden nach neueren Feststellungen Schrei-
bers in gekochtem Zustand von Trypsin nicht verändert, während
umgekehrt alle gramnegativen Bakterien, auch zahlreiche andere, in
der Tafel nicht aufgeführte, wenn sie gekocht sind, völlig oder fast
ganz aufgelöst werden. Nur der Pneumokokkus macht eine Ausnahme
von der Regel. Ob sich das dadurch erklärt, daß sein Selbstverdauungs-
enzym ausnahmsweise durch Erhitzen nicht verändert wird, oder ob
bei ihm besondere auflösende Kräfte (vgl. Lipoide § 8) mitwirken,
können wir vorläufig nicht sagen. Die Erhitzung auf 80® hat fast den-
28 Kap. I, f 10 u. 11.
selben Einfluß, wie die. auf 100^ nicht dagegen die auf 60^ im Gegen-
teil veistärkt die letztere in vielen Fällen die Widerstandsfähigkeit
gegenüber der Verdauung ebenso wie gegenüber der Selbstverdauung.
Wir möchten annehmen, daß die koagulierenden Wirkungen mäßiger
Hitze auf das Protoplasma daran schuld sind, Wirkungen, die durch
starke Erhitzung wieder ausgeglichen werden. Dagegen spricht nichte
für die von Kantorowicz (s. o.) vertretene Auffassung, daß Anti-
fermente hier im Spiel seien, denn es ist doch sehr unwahrscheinlich,
daß Erhitzung auf 60® diese weniger schädigen sollte als Chloroform-
behandlung. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Kleinwesen, wie
die höheren Zellen, antifermentativer Wirkungen völlig beraubt seien.
Wir haben ebenso wie Kantorowicz eine gewisse antitrjrptische
bzw. trypsinbindende Wirkung an Bakterienextrakten und abgetöteten
Bakterien beobachtet, aber gefunden, daß diese recht gering sind und
erst bei hundertfach stärker verdünnten Trypsinlösungen zur Geltung
kommen.
Auf die Ursachen der Widerst^indsfähigkeit gramfester Keime
gegen die Trypsinverdauung kommen wir später zurück, wenn wir
von der chemischen Natur des Bakterienleibes sprechen (§ 18). Wie
die Lebensfähigkeit oder Lebenstätigkeit sämtliche Keime gegen Tryp-
sin zu schützen vermag, ist ein ungelöstes Rätsel (s. o. Pepsinver-
dauung).
§ 11. Bakteriolyse darch Serum. Wir können jetzt der Frage
näher treten, ob die Veränderungen, die durch Verdauung und Selbst-
verdauung hervorgerufen werden, etwas mit den Erscheinungen der
eigentlich so genannten Bakteriolyse im lebenden Tier bzw.
in Serum und Freßzellen zu tun haben. Sehen wir uns zunächst die
Schilderungen an, die darüber in der Literatur vorliegen.
Schon der erste Beobachter der .keimschädigenden Eigenschaften
der Körpersäfte, N u 1 1 a 1 1 *), stellte an den in erster Linie von ihm
studierten Milzbrandbazillen deutliche degenerative Veränderungen
fest, ja, bemaß sogar danach die bakterizide Wirkung des Blutes oder
Exsudates. Im frischen Zustand bestanden die Veränderimgen in
„kolbiger oder knotiger Auftreibung und stellenweisem Zerfall der
Stäbchen,'' nach Färbung mit Metylenblau außerdem darin, daß die
betreffenden Stäbchen sich nicht wie gesunde Bazillen mit Methylen-
blau schön blau, sondern in einem schmutzigen, mehr oder weniger
violetten Tone färbten, der um so blasser wurde, je stärker die Degene-
ration entwickelt war. In ihrer Art unterschied sich
die Entartung der Bazillen innerhalb wie außer-
1) Zeitschr. f. Hyg. 4. 358 ff, mit Tafel IV.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 29
halb der Leukozyten nicht. An einer anderen Stelle
schildert N u 1 1 a 1 1 diesen Zerfall der freien Bazillen im hängenden
Tropfen von Froschlymphe folgendermaßen: „Die Veränderungen
bestanden hauptsächlich darin, daß das Protoplasma der Bazillen zu-
nächst körnig wurde, und die Konturen eine sehr unregelmäßige
Begrenzimg annahmen. Nach und nach verschwand entweder die
körnige Struktur wieder, die Konturen erschienen scharf, der Bazillus
selbst aber wurde blasser und entschwand dem Blicke fast vollständig;
oder die Körnung des Protoplasmas nahm noch mehr zu und der Ba-
zillus zerfiel in mehrere Stückchen. Auch kolbige und knotige Auf-
treibung beobachtete man an den absterbenden Bazillen ziemlich oft.
Ebenso ist Quellung oft um das Doppelte der normalen Dicke nichts
Seltenes." Der ganze Prozeß nimmt (bei Zimmertemperatur) viele
Standen in Anspruch. Ebensolche Bilder von Milzbrandbazillen wurden
später von zahlreichen Beobachtern innerhalb und außerhalb des
tierischen Körpers gesehen, oft genug aber auch darauf aufmerksam
gemacht, daß ähnlich degenerierte Formen auch in manchen Rein-
kulturen auf allen Arten von Nährböden oder unter Einwirkung anderer
Schädlichkeiten, z. B. von Verdauungsenzymen, mehr oder weniger
häufig vorkommen. L ö w i t ^) glaubt allerdings mit Hilfe der Gram-
färbung die Verändenmgen, die unter dem Einfluß von Serum- Alexinen
entstehen, von anderen unterscheiden zu können. Nach ihm erleiden
virulente Milzbrandbazillen „bei etwa viertel- bis halbstündigem Auf-
enthalt in aktivem Kaninchenserum eine fein- und grobkörnige Um-
wandlung des normalerweise (bei der Gramfärbung) homogenen Bak-
tenenleibes, mithin eine Zerbröckehmg und Zerklüftung mit oder ohne
gleichzeitige vakuolenähnliche Umwandlung desselben". Unregel-
mäßige Form, Verquellung der Stäbchen, schwere Färbbarkeit usw.
stellen keine beständigen Erscheinungen dar und werden auch sonst
gelegentlich, besonders im Serum, aber häufiger nur bei schwach
virulentem Milzbrand beobachtet (s. u.). Der Vergleich mittels der
Prüfung auf Platten zeigt, daß im allgemeinen ein Parallelismus
zwischen Plattentod und Granulabildung besteht,
wenn auch die letztere manchmal etwas später zu erfolgen scheint.
In solchen Fällen sieht man aber meist ein Vorbereitungsstadium vor-
hergehen, in dem die Bazillen wie „angefressen" aussehen (Prägranu-
lation). Ob die schmale Hülle, die man bei Gramfärbung und noch
besser bei Färbung mit rotstichigem Methylenblau nahezu regelmäßig
in den der Serumwirkung 15 — 30 Minuten ausgesetzten Bazillen be-
1) Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wies. Wien. Math.-natui*wtss. Kl. 113,
Abt, m, Oktober 1904, S. 367 ff. Mit Photogrammen.
30 Kap. I. § 11.
merkt, und die sich später zu einer deutlichen Kapsel entwickelt, nicht
auch ebenso früh in inaktivem Serum auftritt (§ 4) hat L ö w i t nicht
untersucht. Die Beseitigung der Alexine durch Erhitzen des Serums
(auf 63'), Ansäuerung oder 2% Magnesiumsulfat hebt auch die Gra-
nulabildung auf, und L ö wi t fing daher das aus deir Gefäßen fließende
Blut in letzterer Lösung auf, um die extravasale Granulabildung zu ver-
hüten. Die an den Bazillen beobachteten Veränderungen waren trotz-
dem die gleichen. L ö w i t schließt daraus auf die Wirksamkeit der
Alexine im lebenden Blut, die vielfach geleugnet worden ist. Ratten-
serum verhält sich entsprechend seiner starken bakteriziden Wirkung
wie Kaninchenserum, die wenig oder gar nicht wirksamen Sera vom
Hunde, Meerschweinchen, Binde und Huhn rufen ebensowenig Gra-
nulierung hervor. Wie gesagt, gilt das auch für alle möglichen anderen
milzbrandschädigenden Stoffe, so das destillierte Wasser und Salz-
lösungen (s. u. § 14). Wenn überhaupt darin morphologische Ver-
änderungen auftreten, was nur bei wenig virulentem Milzbrand in großer
Ausdehnung zu geschehen pflegt, so sind sie anderer Art. In frischen
Kulturen virulenter Bazillen fehlt die Granulierung ebenfalls, ältere
wurden leider nicht untersucht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß hier
neben anderen Entartungserscheinungen auch die Granulabildimg
nicht fehlt. Nur die Pyocyanase schien nach Emmerich und
S a i d a und K 1 i m o f f (s. o. § 7) ähnlich zu wirken. Wenn man von
dieser Ausnahme absieht, wäre nach L ö w i t also nur die
schnelle Granulabildung, mindestens bei viru-
lenten Milzbrandbazillen, als charkteristischer
Ausdruck der Alexinwi rk.u ng, die sonst beschrie-
benen Entartungen aber als unwesentlich oder
als Folgezustände anzusehen. Nachprüfungen der
L ö w i t sehen Ergebnisse liegen nicht vor. Nimmt man sie als richtig
an, so würde daraus folgen, daß die Serumwirkung gegenüber den Milz-
brandbazillen von den durch die Selbstverdauung oder Verdauung
hervorgerufenen verschieden sei. Wohl aber würden die späteren Ver-
änderungen der Bazillen, denen man ja unzweifelhaft oft genug in
Milzbrandtieren oder im Serum begegnet, vielleicht doch auf ver-
dauende Einflüsse bezogen werden können.
Von den Veränderungen anderer Bazillen unter dem Einfluß der
Alexine sind am besten untersucht die der Cholerabazillen.
Bei ihnen beobachtete zuerst R. Pfeiffer^) einen förmlichen Auf-
lösungsprozeß, die von ihm sogenannte Bakteriolyse. Besonders schnell
verläuft sie in der Bauchhöhle immunisierter Meerschweinchen. Nach
1) Zeitschr. f. Hyg., 18, 1894.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 31
10—20 Hinuten können sich die vorher reichlich vorhandenen beweg-
lichen Vibrionen in unbewegliche, kokkenähnliche, aber mehr oder
weniger schlecht färbbare Körner (Granula) verwandeln und nach
weiteren 10 Minuten völhg zerfallen. Im Reagenzglas kann man, wie
zuerst Metschnikoff und B o r d e t ^) beobachteten, in Serum
oder Exsudaten denselben Vorgang verfolgen, er führt hier freilich
nicht immer zu einer völligen, jedenfalls nicht zu einer schnellen Auf-
lösung. Die Granula können vielmehr, wie wir bestätigen müssen, und
neuerdings wieder von Neufeld ^) betont wird, tagelang sich im
Serum erhalten. Von N e u f e 1 d weichen wir allerdings darin ab,
daß wir einen anderen Teil der Granula nicht blos im Tierkörper, wo
ja andere Einflüsse in Frage kommen könnten (z. B. die Freßzellen),
sondern auch im Reagenzglas gänzlich und schnell zugrunde gehen
sahen. Cantacuzene') behauptet andererseits sogar, die bak-
teriolytischen Granida wären gar nicht abgestorben, sondern könnten
wieder zu Kommabazillen auswachsen . Nach unseren eigenen Beob-
achtungen möchten wir diese Möglichkeit nicht ganz ausschließen.
In einzelnen Fällen zeigt die Plattenzählung, daß trotz sichtbarer Gra-
nulabildung die Keime nicht erheblich spärlicher auswachsen als Kon-
trollen ohne Körnchen. Man sieht auch häufig im Anfang der Ver-
änderung nicht nur die teilweise aufgequollenen Bazillen, sondern auch
völlig runde Granula in deutlicher Bewegung. Im allgemeinen ist aber
die Umbildung der Bazillen in Kömchen von ihrer Abtötung gefolgt.
Die Granulabildung findet sich zwar am schönsten bei den Cholera-
bazillen, und ähnlichen Vibrionen, aber auch bei Typhus-, Paratyphus,
Ruhr-, Coli-, Pestbazillen und Spirochaeten, und zwar wird sie sowohl
im Serum bzw. in der Exsudatflüssigkeit, als in den Phagozyten beob-
achtet. Hier und da ist zwar auch von Granulabildung in anderen
Flüssigkeiten gesprochen worden, wir müssen aber gestehen, etwas
ähnliches weder bei der Verdauung noch Selbst-
verdauung, noch bei irgendeinem anderen Auf-
lösungsvorgang der Bakterien gesehen zu haben.
Die Granulabildung der gramnegativen Bazillen
und Spirillen wäre demnach ebenso wie die im
Aussehen übrigens sehr verschiedene Löwit sehe
Granulierung der grampositiven Milzbrand-
bazillen Erscheinungen besonderer Art*). Neu-
1) Annal. Pasteur 1895.
2) Zeitfichr. f. exp. Path. u. Ther. 6, 1909.
3) Annal. Past. 1898.
4) Auch sonst scheinen gerade die grampositiven Bakterien (Strepto-,
l*neuino-, Staphylokokken) weniger leicht der Bakteriolyse und auch der
32 Kap. I, § 11 u. 12.
f e 1 d möchte sie hervorgehen lassen aus einer Auflösung der Bakterien-
membran, weil die sonst gegen taurocholsaures oder ölsaures Natron
widerstandsfähigen Bakterien (§ 8) nach der Verwandlung in Granula
von diesen Stoffen gelöst werden, wie membranlose tierische Zellen,
Protozoen, Pneumokokken usw., und will anscheinend diese Ansicht
noch durch den Nachweis stützen, daß die Granula der Cholerabazillen,
d. h. also deren nacktes Protoplasma noch immunisierend („antigen")
wirkten, während die durch Kalilauge ihres Plasmas beraubten „Hülsen"
(§ 15) derselben Cholerabazillen dazu kaum imstande sind^). Für die
N e u f e 1 d sehe Deutung spricht sicher der Umstand, daß die Granula
kugelig sind, also in der Tat dieselbe Form besitzen wie das auf mecha-
nischem Wege aus der Membran herausgepreßte Bakterienprotoplasma
(§5). Aber mit Neufelds Annahme läßt sich wieder die oft erheb-
liche Widerstandsfähigkeit der Granula nicht vereinigen, ebensowenig
die von mancher Seite (z. B. E i s e n b e r g § 20 und 328) mit einem
gewissen Recht vertretene Vorstellung, daß gerade die äußere Bak-
terienschicht der Sitz der Bakterienrezeptoren bzw. Antigene sei.
Ferner müßte man, wenn man die Deutung N e u f e 1 d s annähme,
nach einer anderen Erklärung für die Bakteriolyse bei Milzbrand suchen.
Sei dem, wie ihm wolle, ebenso wenig wie bei den Milzbrandbazillen
sind bei den Cholera- und ähnlichen Bakterien mit der spezifischen
Granulabildung die Veränderungen im Serum und namentlich im
Tierkörper abgeschlossen. Die Granula verfallen zum Teil selbst der
Auflösung, zum Teil gehen die Bakterien nicht durch das Stadium der
Granulabildung hindurch, sondern lösen sich, wie fremde^) und eigene
Beobachtungen lehren, in anderer Weise, nämlich unter Verkleinerung
oder auch Vergrößerung ihres Umfanges (Quellung) und Abnahme
ihrer Färbbarkeit auf, d. h. unter Erscheinungen, die wir als Merkmale
der nicht spezifischen Auflösung bzw. Verdauung kennen gelernt haben.
Bei den Bakterien der Coli- und Vibrionengruppe, ferner bei zahl-
reichen anderen Infektionserregern, die bisher nicht genannt sind, z. B.
Pneumo-, Strepto- und Staphylokokken, den Anaerobiern, kommt
diese nicht spezifische Auflösung vor oder ist die herrschende. Eigen-
tümlicherweise wird die Granulabildung selbst bei Cholerabazillen
vollständig durch diese zweite Art der Veränderung ersetzt, wenn sie
vorher durch Erhitzung auf 90* oder Chloroform abgetötet worden sind
Bakterizidie des Serums zu verfallen. Man könnte daher wohl daran denken,
daß der Widerstand gegen die Serumbakteriolyse ebenso wie die gegen Ver-
dauung mit der Gramfestigkeit etwas zu tun hätte (§§9 und 10).
1) Vgl. § 333.
2) z. B. bei R a d z i e w s k y , Zeit«chr. f. Hyg. 37, 1901.
Bau und mikroohemisoheB Verhalten. 33
(Cantacuzdne^), Radziewsky^), Verfasser). Man könnte
eineiseits daraus schließen, daß die Granulabildung eine Reaktion der
lebenden 2ielle wäre, andererseits, daß die Selbstverdauung nicht die
Ursache der nicht spezifischen Veränderungen wäre, sondern Einflüsse
des tierischen Körpers. K a n t o r o w i c z (s. o. § 10) ist in meinem
Laboratoiium dieser Erscheinung weiter nachgegangen. Nach ihm
verlieren Colibazillen nach einem Aufenthalt von 2 — 3 Stunden in
frischem Serum von Meerschweinchen und Menschen ihre Färbbarkeit
in Methylenblau, wenn sie auf 75^, nicht wenn sie auf 60^ erhitzt worden
sind, Staphylokokken überhaupt nicht. Durch Hitze inaktiviertes
Serum bringt diese Verändemg nicht hervor, tagelang stehendes, das
keine bakteriziden Kräfte mehr besitzt, wohl. In Leukozyten verläuft
der Vorgang ähnlich, auch in Leukozytenextrakten, jedoch sind letztere
hitzebeständig. Auch kann durch Bakteriensubstanz („Antiferment")
die Wirksamkeit des Serums und der Leukozytenextrakts aufgehoben
werden. Die Ähnlichkeit mit den früher besprochenen Verdauungs-
erscheinungen liegt auf der Hand, wenn es auch — vielleicht wegen der
zu großen Bakterieneinsaat — nicht zu einer vollständigen Auflösung
der Bakterien, sondern nur zu einem Verschwinden ihrer Färbbarkeit
(Karyolyse Gamaleias §6) kam. Kantorowicz nimmt
deshalb an, in dem Serum und den Leukozyten sei ein trypsinartiges
Ferment enthalten, dessen Beziehungen zu dem Komplement zweifel-
haft seien. Das letzte Wort in der Frage ist noch nicht gesprochen, die
Natur des Komplements sowie der wirksamen Leukozytenbestandteile
(Leukine ?) ist auch noch völlig unbekannt. Namentlich in den Extrakten
der Leukozyten kommen natürlich wieder die Lipoide (s. o. § 8) in Frage.
§ 12. Antiförmin. Unter allen Lösimgsmitteln für Mikroben ist
das stärkste das sogenannte Antiförmin, d. h. eine Mischung
von etwa gleichen Teilen Natriumhypochlorit (10 prozentige Javelle-
8che Lauge) imd Kalilauge (5 — 10%). Es löst nach Uhlenhuth
und Xylander*) meist schon in Verdünnungen außer Cellulose
und Wachs fast sämtliche organische Stoffe, einschließlich des Chitins,
Keratins und Fettes und sämtliche Pilze, Protozoen und Bakterien mit
Ausnahme der säurefesten, d. h. wachshaltigen (z. B. Tuberkel- und
Leprabazällen^)). Am schnellsten — schon nach Sekunden in 2 bis
5prozentigen Lösungen — verschwinden Choleravibrionen, Spiro-
1) Annal. Pasteur 1898, 297.
2) ZeitBchr. f. Hyg. 34. 447, 1900.
3) Arb. K. Geeundh. 32. 1909.
4) Im Widerspruch damit steht der Verlust der Säurefestigkeit bei
den Tuberkel- und Thimotheebazillen nach kurzer Behandlung mit Javelle-
scher Lösung (Grimme, Zentr. Bakt. 32. 171).
Krase, lUkrobiologi«. 8
34 Kap. I. §§ 12— U.
chaeten, Trypanosomen^), nach etwas weniger als 15 Minuten Kokken,
gramnegative und Diphtheriebazillen, nach 30 — 45 Minuten die gram-
positiven Bazillen des Milzbrands und Rotlaufs. Am widerstands-
fähigsten sind Sporen von Bakterien und Pilzen, indem sie selbst nach
24 Stunden noch nicht völlig gelöst zu sein brauchen. Nicht unwichtig
ist die Tatsache, daß die Lösungsfähigkeit des Antiformins im ganzen
parallel geht mit seinem Desinfektionsvermögen, was bei den übrigen
Desinfektionsmitteln durchaus nicht der Fall ist. So blieben die Tuber-
kelbazillen in den Antiforminlösungen lange lebend, was dafür spricht,
daß das Mittel nicht nur die wachsartigen Bestandteile ihres Leibes
nicht zu lösen, sondern überhaupt nicht in das Protoplasma einzu-
dringen vermag. Daraus zu schließen, daß das Wachs nur eine undurch-
dringliche Hülle bilde, dünkt mich aber zu weit gegangen, denn wie sollte
dann überhaupt eine Ernährung der Bazillen erfolgen können? Die
Hüllentheorie wird auch dadurch nicht bewiesen, daß die Tuberkel-
bazillen vielleicht Entwicklungsstadien durchlaufen können, (Much
vgl. § 19 und 349), in denen sie nicht säurefest sind, also nach der
gewöhnlichen Auffassung kein Wachs enthalten. Wahrscheinlicher ist
uns, daß die ganze Substanz der säurefesten Bakterien mit Wachs
durchtränkt ist. Die Wirkung des Antiformins erklärt sich daraus,
daß es die Leistungen zweier schon an sich recht wirksamen Lösungs-
mittel vereinigt und durch diese Vereinigung erheblich verstärkt. Die
J a V e 1 1 e sehe Lösung, die in der Botanik schon lange gebraucht
wird, um protoplasmatische (stickstoffhaltige) Stoffe aufzulösen, löst
für sich allein nur wenige Bakterien vollständig und sonst nur Teile
des Plasmas (A.Meyer, Grimme (§22)). Eine genaue ver-
gleichende Prüfung fehlt noch.
§ 13. Alkalien. Die verdünnte Kalilauge war bereits lange aner-
kannt als ein Mittel, das zwar tierische Substanzen völlig löse, aber die
Bakterien unberührt lasse und daher zu ihrer Erkennung benutzt
werden könne. Weigert hat schon 1876 angegeben, daß diese Regel
für die Spirochaeten des Rückfallfiebers nicht gilt. Eine zweite Aus-
nahme habe ich 2) gefunden in den eigentümlichen Bazillen, die im
Froschblutkörper schmarotzen. Z e 1 1 n o w^) erwähnt weiter, daß
Spirillum undula majus zwar in stärkeren (25%) Kalilösungen nur fein-
körnig wird, sich aber in 5 prozentigen schon binnen einer Minute völlig
auflöst. Freilich widerstreben auch hier die jungen bzw. lebenskräftigen
1) Nach H ü b n e r (Zentr. Bakt. 47, 586) wird aber das filtrierbare
Virus der Schweinepest langsamer (nach 2 Stunden) zerstört als die sog.
Schweinopestbazillen (30 — 40 Min.).
2) Kruse, Virch. Arch. 120, 1890.
3) Zeitschr. f. Hyg. 24. 90, 1897.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 35
Indi\adueii, und zwar auch dann, wenn sie zerquetscht sind (§ 5), so
daß man nicht daran denken kann, daß sie durch ihre Membran oder
Hüllschicht geschützt werden. Eine teilweise Lösung vieler
Bakterien durch dünne Kalilauge haben auch Nencki, Buchner,
Lustig und Galeotti bei ihren Versuchen, die chemische Zu-
sammensetzung der Bakterien zu bestimmen bzw. daraus Gifte oder
Impfstoffe darzustellen, festgelegt (§25). Neufeld ^) hat dann
vor kurzem die Lösungserscheinungen einiger Bakterien auch unter
dem Mikroskop studiert. Nach ihm würden Cholera- und andere Vibri-
onenaufschwemmungen fast völlig geklärt, es blieben nur schattenhafte
Formen, „Hülsen", zurück, die man nicht im gefärbten Trockenpräparat,
sondern nur bei Zusatz von Farbstoff im frischen Zustand darstellen
könnte. Weder Natriumtaurocholat und -oleinat, noch bakteriolytische
Sera seien imstande, die aus der Lauge ausgeschleuderten Hülsen weiter
zu verändern, auch seien sie nicht befähigt, im Tier Antikörperbildung
auszulösen. Typhusbazillen werden nach N e u f e 1 d weniger stark,
Staphylokokken noch weniger, Botlaufbazillen gar nicht aufgelöst.
Mit der N e u f e 1 d sehen Ansicht stimmt nicht überein die Auf-
fassung Gamaleias (§ 6), nach der die Alkalien wie die starken
Salzlösungen gerade umgekehrt nur die Bakterienmembran unter
Schleimbildung lösen sollen, also Stromatolyse verursachen, während
Ammoniak, Aminbasen und namentlich Koffein chromatolytisch wirken.
Ich habe mit Schreiber entsprechende Versuche an einer
großen Reihe von Bakterien begonnen und gefunden, daß auch hier
wie bei der Tr y ps i n v er dauung vor allem ein
Gegensatz besteht zwischen grampositiven und
gramnegativen Bakterien. Die ersteren werden
durch Iprozentige Kalilauge kaum angegriffen,
die letzteren mehr oder weniger stark. Es handelt
sich dabei anscheinend um keine isolierte Auflösung der Membran oder
des Plasmas, sondern um eine freilich bei den einzelnen Individuen
und Arten ungleichmäßig fortschreitende Zerstörimg der ganzen Zellen.
In lOprozentiger Kalilösung werden dagegen
sämtliche Bakterien, außer den säurefesten,
bis auf Spuren aufgelöst.
§ 14. Salze und andere Lösungsmittel. Die augenblickliche
Wirkung der Salze und anderer Kristalloide auf Bakterien haben wir schon
bei Gelegenheit der Plasmolyse (§ 2) erörtert und dort erwähnt, daß sie
auch als Liösungsmittel wirken können. Hin und wieder hat man davon
Gebrauch gemacht, um Stoffe aus den Bakterien zur chemischen Ana-
1) Zeitschr. f. exx)erini. Fath. 6, 1909.
36 Kap. I, S 14 u. 15.
lyse (Kap. II) oder zur Darstellung von Antigenen (Kap. XVII) aus-
zuziehen. Systematisch studiert sind die mikroskopischen Verände-
rungen, die dabei entstehen, außer von Gamaleia (§6), auch von
Condelli^). Seine Versuchsanordnung war die, daß er frische
Agarkulturen in den Lösimgen der betreffenden Stoffe — meist Normal-
lösungen von Ammonium-, seltener Kaliumsalzen — au&chwemmte,
mit Chloroformzusatz 2 — 5 Tage bei 37® hielt und dann mit Methylen-
blau färbte. Es ergab sich, daß man Bakteriolyse und Stromatolyse
(im Sinne 6 a m a 1 e i a s) an Milzbrand-, Diphtherie-, Cholera-,
TjrphuB-, Dysenterie- imd Colibazillen mit vielen anorganischen und
organischen Salzen erzielen kann. Gewisse Gesetzmäßigkeiten zeigen
sich insofern, als die Haloidsalze um so kräftiger wirken, je geringer
das Atomgewicht der Halogene, die Oxysalze der Halogene, der Schwefel-
und Fhosphorgruppe umgekehrt, je größer das Atomgewicht der Metal-
loide ist. Sonst bestehen viele Unregelmäßigkeiten, namentlich bezüglich
des Verhaltens der einzelnen Bakterien. Auch ließ sich keine Beziehung
zwischen Bakterie- und Chromatolyse feststellen. Bakteriolytisch
wirkten am kräftigsten Fluor- und Chlorammonium, Ammonium-
selenit imd -tellurit, chromatolytisch Jodammonium, die Seleniate,
Tellurate und Phosphate. Was uns aber in erster Linie interessiert, die
Bakteriolyse der Milzbrandbazillen durch Chlor- und Fluorammonium
war unabhängig davon, ob die Bakterien lebendig oder stundenlang auf
65 — 100*^ erhitzt verwendet wurden. Die Selbstverdauimgstheorie
Malfitanos und Danyszs (§9) wäre also hierauf nicht anzu-
wenden; geradezu in Widerspruch zu den Angaben der letzteren Ver-
fasser stehen aber die Ergebnisse Condellis in reinem Wasser,
indem auch hier sich kein Unterschied zwischen lebenden und gekochten
Bazillen zeigte. Die Auflösung dieses Widerspruches liegt vielleicht
darin, daß mit verschiedenen Stämmen der Milzbrandbazillen
gearbeitet vnirde (s. o §11 Löwits Versuche über Bakteriolyse
in Serum).
Ich selbst habe nur einige Versuche Condellis zugleich mit
solchen Gamaleias über die Koffein-, imd Bassenges über
die Lezithinwirkung (§8) an Ruhrbazillen wiederholt, indem ich eine
dünne Aufschwemmung von diesen gekocht und ungekocht in destil-
liertes Wasser, 0,9 prozentige und 0,6 prozentige Kochsalzlösung,
6 prozentige Salmiak-, 2 prozentige Koffein-, % oder 0,1 prozentige
Lezithinlösung brachte und 6 Tage lang bei 37® hielt. Wesentliche Unter-
schiede konnte ich dabei nicht feststellen; in allen Böhrchen zeigten
sich neben gut auch schlechter gefärbte Individuen; danach wäre also
1) Annali d'ig. sperim., Roma 1904.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 37
überall nach der Gamaleia sehen Bezeichnung eine gewisse Chro«
matolyse eingetreten.
Verdünnte Säuren haben nach alteren und neueren Erfahrungen
(^gl- § 10 Pepsinverdauung) kaum eine lösende Kraft auf Bakterien.
Daß destilliertes Wasser als solches auf Bakterien wirkt, ist längst
bekannt^), ebenso daß die Wirkung einerseits sehr verstärkt wird durch
die Gegenwart kleinster Mengen — den „oligodTnamischen^^ Einfluß
— von giftigen Stoffen (Alkalien, Metallen) im Wasser und andererseits
geschwächt wird durch spurweise Beigabe von i Salzen und Nähr-
stoffen'). Sehr wahrscheinlich wirkt das destillierte Wasser dabei als
Lösungsmittel für Bestandteile des Bakterienkörpers; in der Tat be-
kommt man ja auch in wässerigen Aufschwemmungen, namentlich wenn
sie längere Zeit bei hoher Temperatur gehalten werden, selbst ohne
Schütteki einen Auszug von Bakterienstoffen, deren giftige, aggressive
und antigene Natur leicht festzustellen ist (Kap. XVT u. XVII).
FreiUch ist schwer zu entscheiden, wie weit die Selbstverdauung, die
durch den Nahrungsmangel im Wasser in Gang gebracht wird (s. o. §9),
die Lösung beschleunigt bzw. erst ermöglicht. Morphologische Ver-
änderungen der Bakterien (Gamaleias Chromatolyse) sind dabei
vielfach beobachtet worden.
§ 15. Schlußfolgerungen aus der Wirkung der Lösungs-
mittel. Aus den Untersuchimgen über die mikrochemische Einwirkung
von Lösungsmitteln auf Bakterien allgemeine Schlüsse über die Be-
schaffenheit ihres Körpers zu ziehen, geht kaum an, da ihre einzelnen
Arten und manchmal sogar ihre Stamme und Individuen zu viele Unter-
schiede untereinander zeigen. Es lassen sich verschiedene Stufen der
Widerstandsfähigkeit unterscheiden, die eine unleugbare Beziehung
zur Färbbarkeit zu haben scheinen. Obenan stehen die säurefesten
Bazillen und Sporen, dann folgen die gramfesten und schließlich die
granmegativen Formen. Indessen fallen einige Arten aus dieser Grup-
pierung heraus, so stehen die gramfesten Pneumokokken, die gram-
negativen Meningokokken und Spirochäten durch ihre Widerstands-
losigkeit gegen Lipoide den Protozoen, die Pneumokokken durch ihre
Loslichkeit in Yerdauungsflüssigkeiten den gramnegativen Bakterien
näher. Die Widerstandsfähigkeit der letzteren selbst wieder zeigt
zahlreiche Abstufungen. Die von Gamaleia versuchte Einteilung
1) Protozoen, z. B. Trypanosomen und Wutvirus sohädigt es aber
im allgemeinen schneller, so daß N o v y \uid Knapp ( Joum. of infect.
diseases 1906, 303) aus der Widerstandsfähigkeit der Spirochaeten bei der
Dialyse in KoUodiumsäckchen gegen Wasser auf ihre bakterielle Natur
schließen (vgl. § 359).
2) Vgl. namentlich Ficker, Zeitschr. f. Hyg. 29. 4Ö, 1898.
38 Kap. I, f 16 u. 17.
der Lösungsmittel in stromato-, chromato- und bakteriolytische läßt
sich unseres Erachtens schon wegen des sehr ungleichen Verhaltens
der Bakterienarten nicht durchführen.
§ 16. Koagulierende und andere desinfizierende Einflüsse.
Sehen wir zu, ob es gelingt, mit Hilfe anderer Reagentien über den Bau
der Mikroben bzw. der uns wegen ihrer Abweichungen von anderen Klein-
wesen in erster Linie interessierenden Bakterien ins Klare zu kommen.
Morphologische Veränderungen werden nach Einwirkung der von
Gamaleia (§ 6) sogenannten koagulierenden, d. h. der meisten
desinfizierenden Mittel kaum beobachtet. Ob sie wirklich alle in den
Verdünnungen, in denen sie töten, koagulierend wirken, ist übrigens
zweifelhaft. Oft genug, so z. B. bei den schweren Metallsalzen, wird
jedenfalls die physikalische — niederschlagende Wirkung — begleitet
von einer chemischen Bindung, die vielleicht das Wesentliche an dem
zerstörenden Vorgang darstellt. Noch weniger wissen wir über die
Wirkungsweise anderer für Mikroben giftiger Stoffe, wie z. B. des
Chloroforms, des Toluols usw., die, wie wir schon sahen, zum Teil
dadurch für die Biochemie wichtig geworden sind, daß sie die Lebens-
tätigkeit der Mikroben nicht vollständig und plötzlich aufheben, son-
dern gewisse Fermentvorgänge (z. B. die Selbstverdauung § 9) mehr
oder weniger unberührt lassen und dadurch mittelbar auch morpho-
logische Veränderungen tiefgehendster Art veranlassen. Schließlich
gehören hierher auch die Farbstoffe, deren zum Teil spezifische anti-
septische Leistungen gegenüber einzelnen Bakterienarten und Proto-
zoen schon früher und neuerdings wieder differentialdiagnostische und
therapeutische Verwendung gefunden haben. Auf sie werden wir im
folgenden wegen ihrer Bedeutung für die mikroskopische Zellenlehre
näher eingehen, während wir die Erörterung der Giftwirkungen, weil
sie nicht in dies Gebiet schlägt, an anderer Stelle fortsetzen werden
(§ 55).
§ 17. Farbstoffe. Kernfärbungen bei Bakterien. Wegen
ihrer für das Auge auffallenden Wirkimgen besonders viel studiert sind
die Farbstoffe. Allerdings wollen wir gleich vorwegnehmen, daß
die Hoffnungen, die man wegen der glänzenden Ergebnisse, die sie
in der höheren Gewebs- imd Zellenlehre geliefert haben, auf sie gesetzt
hat, bei den Bakterien sich nicht oder wenigstens nicht in der gleichen
Richtung erfüllt haben. Denn es ist bisher nicht mit Sicherheit oder
auch nur Wahrscheinlichkeit gelungen, bei ihnen den typischen Bau
der höheren Zellen, vor allem das Vorhandensein echter Kerne nach-
zuweisen. Die sehr große Literatur über diese Frage hier ausführlich
zu besprechen, ist nicht unsere Aufgabe, zumal da das bis in die letzte
Zeit hinein oft genug geschehen ist. Schon der Umstand, daß sich
Bau und mikrochemisches Verhalten. 39
die abweichendsten Ansichten über die Natur der Bakterienkerne
noch schroff gegenüberstehen, spricht dafür, daß eine Lösung des
Problems nicht gefunden worden ist, oder vielleicht, besser gesagt,
auf dem begangenen Wege überhaupt nicht gefunden werden kann.
Als Kerne hat man angesehen erstens die Hauptmasse der Bakterien
selbst, indem man entweder mit B ü t s c h 1 i^), Löwit, Boni,
Z e 1 1 n o w den nach den gewöhnlichen Methoden allein fäxbbaren
Teil als einen dem Zentralkörper der Cyanophyceen vergleichbaren
Kern und die meist schwerer, z. B. durch Geißelfärbung darstell-
baren Hülle als Plasma betrachtete, oder unter Ablehnung der letzten
Deutung die ganzen Bakterien mit Hüppe, Klebs, Wahr-
lich u. a. als Zellkerne oder mit R u z i c k a und A m b r o z wenig-
stens als Analoga des Zellkerns ansprach.^) Eine zweite Reihe von
Forschem hält an der Zellennatur der Bakterienmasse fest und glaubt
darin diese oder jene meist erheblich an Masse zurücktretenden, kömigen
oder stäbchenförmigen, in der Ein- und Mehrzahl vorhandenen Be-
standteile als Kerne deuten zu dürfen (Schottelius, Sjöb-
ring, A. Meyer*) und Grimme, Feinberg, Nakanishi,
Vejdowsky, Rayman und Kruis, Mencl, Preisz,
Amato u. a.). Auf Grund der Tatsachen, daß die färbbare Sub-
stanz der Bakterien oft in verteiltem Zustand auftritt und sich ge-
legentUch im Lauf der Sporenbildung zu einem massigen Körper ver-
dichtet, hat man femer mehr oder weniger ausdrücklich von einem
im Plasma verteilten „Chromidialnetze" gesprochen (R. H e r t w i g ,
Schaudinn*) u. a.^) oder läßt, wie S we lle n gr e b e 1®), in
den Bakterien nicht einen eigentlichen Kern im Zellplasma gelten,
sondern nur „Chromatin", das bald „diffus verteilt", bald in „Quer-
binden, Zickzacklinien oder Netzen angeordnet", bald „zentralisiert"
auftrete, in einem „Amphiplasma". Wenn man sich durch ungleiche
Ausdrücke nicht beirren läßt, findet man keinen großen Unterschied
zwischen den von Schaudinn, Swellengrebel und selbst
R u z i c k a und A m b r o z vertretenen Anschauungen und der von
Weigert, Mitrophanow, zuletzt von G o t s c h 1 i c h') ge-
äußerten, wohl von den meisten Bakteriologen und Botanikern
(Fischer, M i g u 1 a) geteilten Ansicht, in den Bakterien
1) Bau der Bakterien, 1890.
2) Vgl. Lit. namentlich bei Ambro z, Zentr. Bakt. 51. 213, 1909.
3) Flora 84, Erg. H. 1897; 86, 1899.
4) Aroh. Protist. 1, 1902; vgl. ebenda 2, 1903.
6) Vgl. bei Ruzicka, Zentr. Bakt. 23. 289, 1909.
6) Arch. f. Hyg. 70. 400, 1909.
7) KoUe-Wasserraann Handb., 2. Erg. Bd., S. 5, 1907.
40 Kap. I, § 17 u. 18.
seien die beiden Hauptbestandteile der höheren
Zelle, Kern und Zellplasma, noch nicht scharf
geschieden, sondern mehr oder weniger innig
gemischt, d aneben aber noch eine bald stärker, bald schwacher
ausgebildete Hülle (Membran, Ektoplasma) vorhanden. Wir hätten
Neigung, uns dieser Meinung anzuschließen, betonen aber ausdrück-
lich, daß die Vorstellung, die Bakterien seien Analoga der Kerne, in
der allgemein anerkannten Verwandtschaft für Kemfarben und der
schon von Wahrlich, Buzicka, Swellengrebel für
einzelne Fälle und von F e r m i und uns allgemein nachgewiesenen
Widerstandsfähigkeit gegen Pepsin Verdauung (§ 10) auf den ersten
Blick eine Stütze findet. Wir würden danach der obigen Definition
hinzuzufügen haben, daß die kernähnlichen Bestandteile in den Bak-
terienzellen stark überwiegen. Indessen dürfen wir die Kemähnlich-
keit der Bakterienmasse nicht überschätzen. Zunächst steht folgendes
fest: Ebensowenig wie dem gewöhnlichen Zellplasma entspricht der
Bakterienleib in der Hauptsache durchaus dem gewöhnlichen
Zellkern. Mindestens ein großer Teil von Bakterien, die soge-
nannten gramfesten, unterscheiden sich von den Kernen durch ihr
Verhalten zu Farben imd Lösungsmitteln sehr erheblich; sie sind nicht
nur besonders intensiv färbbar und gramfest, sondern widerstehen
auch vollständig der Einwirkung von Pepsinsalzsäure, Trypsin und
verdünnter Kalilauge. Die gleichen Eigenschaften finden sich bei
anderen Zellarten nur ausnahmsweise wieder, unseres Wissens näm-
lich, wenn man von den verhornten Zellen absieht, nur bei den Pilzen.
Femer zweigt sich von den grampositiven Bakterien eine weitere
Gruppe ab, die der säurefesten Bazillen, die, außer durch ihre Färb-
barkeit, durch ihren Widerstand auch gegen starke KaUlauge und
Antiformin gekennzeichnet sind. Etwas, was ihnen an die Seite zu
setzen wäre, scheint sich sonst im ganzen Reiche der Lebewesen nicht
zu finden. Offenbar müssen wir uns über das Wesen der Gramfestig-
keit und der Säurefestigkeit einigen, bevor wir etwas Bestimmtes über
die Natur der Bakterienzelle aussagen dürfen.
§ 18. Gramfestigkeit. Die wenigen Forscher, die sich bisher mit
den Ursachen der Gramfestigkeit abgegeben haben, namentlich Unna,
A. Fischer^), Grimme*), Brudny^), Eisenberg*), sind
verschiedener Ansicht. Unna glaubt, das Fortbestehen der Färbimg
bei den gramfesten Bakterien erkläre sich am besten aus einer festen
1) Färbung, Fixierung und Bau des Protoplfitömas, 1899.
2) Zentr. Bakt. 1. Abt. 32. 163, 1902.
3) Ebenda 2. Abt. 21. 66, 1908.
4) Ebenda 1. Abt. 49, 473 ff, 1909. Vgl. auch ebenda 53, 1909.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 41
chemischen Verbin du n g „Gewebe -\- Pararosanilinsalz +
Jod im Inneren der Bakterien", während die gramnegativen Gewebe
die Jod-Pararo6anilinverbindung nur locker bänden und darum bei
der Alkoholbehandlung nicht festhielten. Dieser Auffassung schloß
sich Grimme an und lehnte die von Fischer versuchte physika-
lische Erklärung ab, weil weder die Entfernung der Hülle durch kurzes
Aufkochen in 5 prozentiger Salzsäure noch eine Lockerung des Plas-
mas durch Behandlung mit Pepsinsalzsäure, Trj^in, 5 prozentige
Kalilauge und Natriumkarbonat die Gramfestigkeit beeinträchtigen.
Fischer folgert dagegen aus der Beobachtung, daß eine durch For-
maldehyd, Platinchlorid oder Ealiumbichromat gefällte Albumose
um so gram- und säurefester ist, je größer die Granula sind, daß die
beiden Eigenschaften auf einem größeren Substanzreichtum und der
damit verbundenen größeren Absorptionsfähigkeit der gram- und
säurefesten Bakterien beruhe. Ein zweiter Schüler A. Meyers,
B r u d n y , nimmt diesen an sich wohl berechtigten Gedankengang
wieder auf, setzt ihn allerdings in einer wenig überzeugenden Weise
fort, indem er zunächst voraussetzt, daß die Intensität der Farbstoff-
absorption mit der Größe der intermizellaren Räume zimehmen müsse.
Da mit dieser Größe auch die Durchlässigkeit des Plasmas für große
Moleküle steige, könnte das Jod tief in das Innere der gramfesten
Bakterien, in das der gramnegativen nur oberflächlich eindringen.
Deshalb würden die ersten mit der Pararosanilinjodverbindung stärker
gesattigt sein und der Entfärbung durch Alkohol Widerstand entgegen-
setzen, oder, wie nach d^n Untersuchungen Neides^) besser gesagt
wild, langsamer durch Alkohol entfärbt werden. Andererseits könnte
aber nach Fischer die Undurchlässigkeit für gelöste, chemisch
indifferente Stoffe auch an der Plasmolysierbarkeit (§ 2) erkannt
werden, die plasmolysierbaren Bakterien müßten also gramnegativ,
die nicht plasmolysierbaren grampositiv sein. Das ist nun, wie B r u d n y
nachweist, tmd wie leicht zu bestätigen ist, allerdings der Fall. Sind
aber darum die Schlußfolgerungen dieses Forschers über das Wesen
der Gramfestigkeit auch richtig? Meines Erachtens ist kaum ein
einziger seiner Sätze haltbar oder gar bewiesen. Die größere Dichte
der Bakteriensubstanz imd deren größere Absorptionsfähigkeit kann
nicht auf der Größe ihrer intermizellaren Bäume, sondern muß
gerade umgekehrt auf ihrer Kleinheit beruhen, denn je kleiner
die Poren einer absorbierenden Substanz, z. B. des Sandes sind, desto
gröfier ist bekanntlich die Gesamtoberfläche ihrer Teilchen, desto
größer auch ihr Absorptionsvermögen. Auch die größere Dichte
1) Zentr. Bakt. 35, 1904.
42 Kap. I, I 18.
können wir uns doch nur so zustandegekommen denken, daß die
zwischen größeren Teilchen vorhandenen Poren möglichst durch kleine
ausgefüllt sind. Dadurch werden aber die Poren wieder verkleinert
und die Oberfläche vergrößert. Weiter ist durch nichts bewiesen,
daß das Jod sich ebenso verhält wie die „indifferenten" Stoffe, die
Plasmolyse bewirken; höchstens von dem Jodkalium, das in der Lugol-
schen Lösung neben dem Jod vorhanden ist, könnte man das sagen.
Nun weiß man zwar seit Gram, daß alkoholische Jodlösung die Re-
aktion nicht hervorbringt, ebensowenig Jodkalium, sondern nur die
Lugolsche Lösung. Um die Durchlässigkeitstheorie aufrecht erhalten
zu können, müßte man also annehmen, daß mit der Lugolschen Lösung
das Jod leichter einzudringen vermöge als mit der alkoholischen,
also eher in Form kleiner Moleküle darin enthalten sei. Davon
wissen wir nichts. Endlich ist die Fischer sehe Deutung der Plasmo-
lyse auch nicht bewiesen. Die mangelhafte Plasmolysierbarkeit der
gramfesten Bakterien brauchte nicht auf leichterer Durch-
gängigkeit für gewisse Stoffe, sond^^rn könnte gerade auf der
von Fischer selbst für die Erklärung der Gram- imd Säurefestig-
keit herangezogenen größeren Dichtigkeit des Zellkörpers,
d. h. seiner schwereren Durchgängigkeit für alle
Stoffe, einschließlich Wasser beruhen, soweit sie nicht auf einen
festeren Zusammenhang zwischen Membran und Zellkörper, der beide
unter dem Einfluß wasserentziehender Mittel gemeinsam schrumpfen
läßt, zu beziehen ist. Eisenberg erklärt sich ebenfalls für die
Durchlässigkeitstheorie, will aber die Unterschiede mehr in die Mem-
bran und die plasmatische Rindenschicht, die zusammen als „Ekto-
plasma" bezeichnet werden, als in den eigentlichen Zellkörper, das
Endoplasma, verlegen und beruft sich dafür auf Bilder, die er bei
gewissen Veränderungen des Gram sehen (oder Claudius sehen)
Verfahrens erhielt, und in denen das Ektoplasma die Farbe stärker
bzw. länger festhielt als das Endoplasma.
Die meisten übrigen Forscher benennen umgekehrt die nach
innen gelegene, viel dünnere, namentlich bei vitaler Färbung leichter
als solche darstellbare „Rindenschicht" Eisenbergs Membran
und die äußere, viel dickere, schwer färbbare „Membran" Schleim-
hülle. Die sogenannte „Kapsel" ist nach der gewöhnlichen Ansicht
nur die unter bestimmten Bedingungen besonders stark entwickelte
(s. o. § 4) Schleimhülle, die freilich manchmal Schichtung erkennen
läßt. Eisenberg wird wesentlich durch den Umstand zu seiner
Ausdrucksweise verführt, daß nach Einwirkung schrumpfender Mittel
seine Rindenschicht sich (bei grampositiven Bakterien) mit dem eigent-
lichen Bakterienkörper zusammen von der Schleimschicht zurück-
Bau und mikrochemisches Verhalten. 43
zieht. Wir haben daraus früher (§ 2) den Schluß gezogen, daß die
,,Membran^* der Autoren bei gramfesten Bakterien entweder elastisch
sei oder überhaupt nur eine festere Rinde darstelle, die sich nicht von
dem Zelleib trennen lasse, können also in dieser Beziehung gegen
Eisenbergs Bezeichnung nichts einwenden. Statt seiner „Mem-
bran'^ möchten wir aber lieber den alten Namen Schleimhülle bei-
behalten (§ 20). Wir geben zu, daß die gewöhnlich schwer oder gar
nicht färbbaren Außenschichten der Bakterien bei der Gram sehen
Methode sich mitfärben, weshalb die danach behandelten Bakterien
ganz allgemein größer erscheinen als die anders gefärbten. Ebenso
ist das ja bei allen Bakterien nach der Geißelfärbung der Fall. Das
beweist aber nur, daß man bei sehr starker Färbung, Anwendung
von Beizen u. dgl. die äußere Bakterienhülle mitfärben kann. Aber
nur ausnahmsweise erhält man doch die von Eisenberg in den
Vordergrund gerückten Bilder, gewöhnlich eine mindestens ebenso
starke und haltbare Färbung im Inneren des Zellkörpers. Dafür, daß
die physikalische oder chemische Beschaffenheit der Außenschichten
an dem Zustandekommen der Gram sehen Reaktion wesentlich be-
teiligt sei, hat man deshalb nicht den geringsten Anhaltspunkt.^)
Und erst recht sehen wir nicht ein, wie gerade die Durchlässigkeit der
äußeren Schichten an dem Erfolge der Gramfärbung schuld sein soll.
Mit einem Schlage wird dagegen das Wesen der letzteren aufgeklärt
durch den oben von uns gelieferten Nachweis^), daß die gram-
festen Bakterien gegen Iprozentige Kalilauge
sowohl wie gegen Try psi n v er d auun g im allge-
meinen viel widerstandsfähiger sind als die üb-
rigen. Das kann natürlich nicht erklärt werden
durch ihre zu große, sondern höchstens durch
ihre zu geringe Durchlässigkeit, die man am ein-
1) Umgekehrt ist zuzugeben, daß bei schwachen Färbungen die Be-
schaffenheit der Außenschicht von Bedeutung ist. Starke Sehleimhüllen
verhindern in diesem Falle leicht den Eintritt der Farbe ins Innere. Ebenso
sind wohl zu beurteilen die sog. vitalen, d. h. im frischen Zustand vorge-
nommenen Färbungen, die nicht nur eine erheblich schwächere Annahme der
Farbe im ganzen ergeben, sondern auch oft eine ungleichmäßige, in der
Peripherie stärkere Färbung (A. Meyer, Grimme a.a.O.). Über
\itale Färbungen vgl. femer Büchner, Zentr. Bakt. 7. 733. P 1 a t o ,
Arch. mikr. Anatom. 56 und Zeitschr. f. Hyg. 38 (Neutralrot); P6ju
und K a j a t , Soc. biol. 25. V. 1907 (Unterscheidung der einzelnen Farben
in Nährböden). S. u. (§ 22) auch die Färbxmg von Fett und Volutin.
2) Vgl. Kruse, Beziehungen zwischen Plasmolyse, Verdaulichkeit,
Ukliolikeit und Färbbarkeit von Bakterien. Vorlauf. Mitt. Münch. med.
Wochenschr.. 1910, Nr. 13.
44 Kap. I, §§ 18--20.
fachstenmitA. Fischer auf eine größere physika-
lischeDicliti gkei tdesZellkör persdergr amf esten
Bakterien zurückfüliren dürfte. Aber auch die
Auffassung Unnas hätte hier vorläufig Gleich-
berechtigung in dem Sinne, daß die größere
Widerstandsfähigkeit gegenüber der Grambe-
handlung sowie den Lösungsmitteln auf chemi-
schen Unterschieden beruhte. Die Entscheidung darüber,
welche dieser beiden Erklärungen die richtige ist, ließe sich vielleicht
treffen durch Untersuchungen über das Verhalten der gründlich zer-
riebenen Bakterienkörper gegenüber den genannten Reagentien.
Übrigens schließen sich die physikalische und chemische Auffassung
nicht gegenseitig aus, sondern der besondere chemische Charakter
der gramfesten Bakterienmasse könnte ganz gut mit einer größeren
Dichtigkeit, einem festeren Zusammenhalten, vereinigt sein, das ja
bei manchen Bakterien nach den Zerquetschungsversuchen zu be-
stehen scheint (s. o. § 5). Stellen wir uns, wozu wir wegen der außer-
ordentlich großen Widerstandsfähigkeit der gramfesten Bakterien
gegenüber Trypsin und Kalilauge große Neigung verspüren, auf den
chemischen Standpunkt, so werden wir fragen können, ob nicht diese
Widerstandsfähigkeit auf einer besonderen Beschaffenheit des Bak-
teriennukleins und damit der Eemstoffe beruhen könnte. Dagegen
spricht aber anscheinend die Tatsache, daß auch die Pilze, und ins-
besondere die Sproßpilze, deren Eernhaltigkeit nach fremden und
eigenen Beobachtungen feststeht, in ihrem ganzen Plasma, also auch
außerhalb der Kerne, die Gramfärbung annehmen. Ein gewisser Zu-
sammenhang zwischen Gramfestigkeit und Kernsubstanz ist auf der
anderen Seite insofern nicht zu leugnen, als ganz allgemein die Ge-
webskeme nach Gram langsamer entfärbt werden als das Plasma.
Es braucht kaum gesagt zu werden, daß die oft gemachte Erfahrung
(vgl. Eisenberg a. a. 0.), wonach Bakterien im Zustande des
Alters, der Entartung, des Zerfalls ihre Gramfestigkeit verlieren kön-
nen, und die ebenso bekaimte Tatsache, daß die Gramfestigkeit eine
Eigenschaft ist, die verschiedene Grade aufweist, sowohl der physika-
lischen als der chemischen Erklärung zugänglich ist.
§ 19. Säurefestigkeit. Auch die sogenannte Säurefestigkeit
wird, wie wir sahen, durch Fischer aiuf eine größere Substanzdichte
zurückgeführt, und für diese Deutung spricht auf den ersten BUck
der doppelte Umstand, daß außer den Tuberkelbazillen und Ver-
wandten alle echten Bakteriensporen, deren Aussehen und Wider-
standsfähigkeit gegen schädliche Einflüsse man gern durch große
Dichtigkeit erklärt, säurefest, und daß die säurefesten Bakterien
Bau und mikrochemisches Verhalten. 45
gleichzeitig gramfest sind, ja, nach älteren und neueren^) Beobach-
tungen Entwickelungsstadien zu durchlaufen scheinen, in denen sie
nicht saure-, wohl aber gramfest sind. Indessen sind auch andere
Deutungen aufgestellt worden. So sollte nach Ehrlich die Hülle
der Bazillen für Säure undurchlässig sein, nach H e 1 b i n g und R u p -
p e 1 die Säuref estigkeit an dem Gehalt der Bakterien an Chitin oder
chitinähnliclien Stoffen (§ 27), nach zahlreichen Forschern an ihrem
Fett- und Wachsgehalt (§26) liegen, oder auch allen möglichen Bestand-
teilen ihres Körpers anhaften (Auclair und Paris). Nach Grimme^)
soll es ein Stoff sein, der in heiBem Xylol, 80 prozentigem Alkohol,
J a V e 1 1 e scher Lösung ^), 0,5 prozentiger Salzsäure, weit weniger
gat in Äther, nicht in Yerdauungsflüssigkeiten löslich ist bzw. durch
sie zerstört wird, also sich nur in einzelnen Beziehungen wie ein Fett
verhält. Das Vorratsfett der Bazillen wäre nach Grimme über-
haupt nicht säurefest, sondern geradezu die Ursache der ungefärbten
Lücken in den Bazillen (s. u. § 22). Eine eigentümliche Beziehung
der Säurefestigkeit zur Fettaufspeicherung der Bakterien sah aber
G r i m noL e insofern, als er nicht nur die Sporenanlagen, sondern auch
die jüngeren Keimstäbchen des Bac. tumescens, mycoides und anderer
Bakterien, die Fett, nicht Glykogen aufzuspeichern pflegen, säure-
fest fand. Das erinnert an die freilich ebenso oft bestrittene Angabe
älterer und neuerer Forscher, nach der Bakterien durch Fetternäh-
ning Säurefestigkeit gewinnen sollen (§ 349). Die Sachlage ist offen-
bar noch nicht geklärt, wahrscheinlich gibt es aber verschiedene Ur-
sachen der Säurefestigkeit.
Für das Zellproblem ist die Säurefestigkeit mancher Bakterien
wohl nur dadurch wichtig, daß sie für die Zelle eine Zusammensetzung
bezeugt, die sonst im Bereich der Lebewesen höchstens einzelnen Zell-
teilen zukommt. Eine besondere Beschaffenheit der Eemstoffe in
den Bakterien, wie sie sich vielleicht in der Gramfestigkeit darstellt,
beweist sie aber wohl nicht.
§ 20. Schlüsse aus den Farbreaktionen auf die Natur
der Bakterienzelle. Das Ergebnis der §§ 17—19 ist, daß die Zu-
sammensetzung der Bakterienleiber trotz mancher Ähnlichkeit mit der
Kemmasse in vielen Beziehungen so eigentümlich ist, daß wir schon des-
1) Vgl. Much, Beitr. Klin. Tukerkulose, 8, 1907, Berl. klin. W. 1908,14.
W i r t h B , Manch, med. Wochenschr., 1908, 32. Vielleicht besteht eine
Beziehung der gramfesten Kömchen zu den Spenglerschen Bazillensplittem
(Zeitechr. f. Hyg. 49). Die ganze Frage ist aber noch nicht spruchreif.
Vgl Berger, Zentr. Bakt. 53. 174, 1910, mit Lit.
2) Zentr. Bakt. 32. 165, 1902, mit Lit.
3) S. auch oben § 12.
46 Kap. I, § 20 u. 21.
wegen die Analogie der Bakterien mit Kernen nicht als zutreffend an-
erkennen können. Dazu kommt noch die äußere Ausstattung dieser
Leiber mit Geißeln und Hüllen und die innere mit Fermenten, Giften usw.,
d. h. mit Organellen und Stoffen, die wir sonst als Erzeugnisse des
Protoplasmas anzusehen gewohnt sind. Eine durchschlagende Be-
deutung haben freilich diese Erwägungen auch nicht, denn bei manchen
Protozoen hängen die Geißeln doch mit dem Kern und nicht mit dem
Plasma zusammen, und den Ursprimg der Fermente usw. kennen wir
überhaupt nicht, sondern höchstens ihre schließliche Lagerung im
Plasma. Wenn wir die Dinge im ganzen betrachten, ziehen wir des-
halb vor, statt den Bakterienkörper als ein reichlich mit Kemstoffen
durchsetztes, zum Teil mit einer deutlichen Membran, mindestens
aber mit einer Schleimhülle umkleidetes Plasma zu bezeichnen, itm
als Bildung besonderer, sonst nicht vorkom-
mender Art anzuerkennen, die man dann besser nicht
Zelle, sondern etwa mit dem H ä c k e 1 sehen Wort Zjrtode nennt.
Membran und Schleimhülle könnte man allenfalls als Ektoplasma
zusammenfassen, müßte sich aber dabei bewußt bleiben, daß es sich
um Bildungen handelt, die verschieden sind von anderen so genannten
Bildimgen, z. B. dem Ektoplasma der Amöben. Auch in dieser Be-
ziehung bestehen freilich Meinungsverschiedenheiten. So wollen
manche Forscher, wie M i g u 1 a und Schaudinn auf Grund von
Bildern, die bei Geißelfärbungen plasmolysierter Bakterien erhalten
worden sind, die Geißeln vom Ektoplasma ausgehen lassen. Wir miß-
trauen mit A. Meyer diesen Bildern, da sie, soweit sie überhaupt
deutlich sind, ganz gut Kunstprodukte sein können.^) Wenn wir im
Gegensatz dazu Membranen und namentlich Schleimhüllen mehr ak
Absonderungen, denn als lebende Bestandteile dieser selbst auffassen,
so wird damit nicht bestritten, daß sie einen hohen biologischen Wert
besitzen können, indem sie als Schutzorgane dienen, Antigene auf-
gespeichert enthalten u. dgl. (§ 4). Über die gröbere chemische Natur
der Membran können wir bisher wenig Sicheres aussagen, da die mikro-
und makrochemische Reaktion auf Zellulose oder Chritin nur aus-
nahmsweise ein Ergebnis geliefert hat (§ 27). Etwas besser sind wir
über die chemische Zusammensetzung der Schleimhüllen, die übrigens
zu wechseln scheint, unterrichtet (§ 27 u. 129), allerdings nur über
die gröbere, während die feineren, aber biologisch gerade wohl wich-
tigeren Bestandteile der Hülle der Analyse entgehen und die Färbungen
(Gram, Löffler§ 18, Giemsa §4) uns ebenfalls wenig sagen.
1) S. auch die Beobachtungen von E 1 1 i s , Philos. Dissert. Msu'burg
1903, S. 31.
Bau und mikrochemisches Verhalten, 47
Man hat auch versucht, durch Untersuchungen im frischen und
namentlich im gefärbten Zustand über den physikaUschen Bau des
Bakterienkörpers Klarheit zu gewinnen, wir erinnern an die Be-
mühungen Bütschlis, eine wabige Beschaffenheit, imd an die
Fischers und M i g u 1 a s ^), einen zentralen Saftraum (Vakuole^))
in den Bakterien nachzuweisen. Sie haben keinen Anklang gefunden
und verdienen es auch nicht, da selbst bei den größten Formen die
betreffenden Bildungen nicht regelmäßig genug sind und bei den
kleinen alle Versuche im Stich lassen.
§ 21. Körnerfärbnngen. Über die Angaben derjenigen Forscher,
die sich mit Erfolg bemüht zu haben glauben, einen oder mehrere
echte Kerne im Inneren des eigentlichen Bakterienkörpers aufzu-
decken, sind wir oben (§ 17) kurz hinweggegangen, weil uns der Beweis
für die Kernnatur der betreffenden Gebilde nicht erbracht zu sein
scheint. Wenn wir davon absehen, daß sie manchmal offenbar optische
Täuschungen der Kunstprodukte sind, daß die in anderen Fällen ge-
fundenen Kerne überhaupt nicht Bakterien, sondern anderen Mikroben
zuzugehören scheinen, so bat man sicher zum Teil auch Vorratsstoffe,
wie Volutin und Fett (§ 22) oder Körnchen, die an der Scheidewand-
l)ildung') beteiligt sind, für echte Kerne angesehen oder auf metachro-
matische Färbungen und überhaupt auf Färbungsreaktionen zuviel
Gewicht gelegt. Unseres Erachtens kann man z. B., wenn man die
unregelmäßigen und gerade in den jüngsten und daher lebenskräftigsten
Individuen oft negativen Ergebnisse der Romanowski- (Giemsa-)
Färbung*) bei Bakterien betrachtet, kaum im Zweifel sein, daß hier-
durch Kerne nicht nachgewiesen werden können. Selbst das ist zweifel-
haft, ob es hierdurch, wie durch andere Färbungen möglich ist, in
den Bakterien das Vorhandensein echten Chromatins im Sinne der
1) Vgl. System der Bakterien, 1. Bd., 1897.
2) Anders sind zu beurteilen die sog. Zentralkörper, die Bütschli
Nu manchen großen, algenähnlichen Bakterien gefunden \ind mit den Zentral-
kör])em der Spaltalgen in Parallele gestellt hat. Bis in die letzte Zeit ist
ü>K*r die Kemnatur dieser Gebilde kein Einverständnis erzielt worden. In-
dessen darf zugegeben werden, daß hier eine Annäherung an den Kern vor-
Heut. aus deren Vervollkommnung sich von den Spaltalgen aus der wahre
AlKenkem entwickelt haben mag. Nicht wahrscheinlich aber ist es, daß
>i(h der Kern der Protozoen (Flagellaten), die wir ebenfalls von den Bakterien
herleiten (vgl. § 369) auf ähnliche Weise bzw. durch die Algonbakterien
'Phykobakterien) hindurch entwickelt hat.
3) S. Lit. bei A m b r o z a. a. O.
4) Zettnow, Zeitßchr. f. Hyg. 30, 1899, und Zentr. Bakt. 29, 1900.
VrI. dazu F i c k e r , Arch. f. Hyg. 46. 187, 1903.
4B Kap. I, { 22.
höheren Zellenlehre aufzudecken. Man traut diesem, wie wohl den
meisten mikrochemischen Identifizierungsverfahren^) doch zuviel zu.
§ 22. Vorratsstoffe. Fett. Volutin. Das eine Gute haben,
abgesehen von gewissen praktischen Anwendungen^), die Eörnchen-
färbungen gehabt, daß sie den Anlaß gegeben haben zu einer genauen
mikrochemischen Untersuchung der Bakteriengranula. Nachdem das
Vorkonmien von Schwefel (§ 208), Stärke, Glykogen u. dgl. (§ 27)
in den Bakterien schon lange bekannt geworden war, haben sich nament-
lich A. M e y e r^) und seine Schüler, Gottheil, Ellis und
G r i m m e*) um den Nachweis anderer in Körnchenform abgeschie-
dener „Reserve-" oder Vorratsstoffe verdient gemacht. Erstens handelt
es sich um Fett. Bei allen möglichen sporen- und nichtsporen-
bildenden Bakterien, z. B. Erdbazillen, Pseudomonaden, Spirillen,
säurefesten, namentUch aber auch Milzbrandbazillen wird es in mehr
oder weniger großen Mengen, manchmal so reichlich gebildet, daß
die Zellen prall mit Tröpfchen gefüllt zu sein scheinen: Freilich sind
sie nicht von allen Forschern als Fett anerkannt, sondern nach dem
Vorgang von B u n g e^) als „sporogene" oder „sporoide" Körner be-
zeichnet worden, von Dittrich und Liebermeister®) als
sauerstoffübertragende Kömchen, zuletzt von B u z i c k a als „Plastin-
gebilde" bezeichnet worden. Mit der Sporenbildung haben sie sicher
nichts zu tun, ja, sie finden sich mit Vorliebe gerade dann, wenn es
nicht zu Sporenbildung kommt. Die Reaktionen stimmen auch durch-
aus mit denen von Fett überein, wie außer den genaimten Forschern
S e 1 1 e r') in meinem Laboratorium, Eisenberg®) imd auch später
Dietrich^) feststellten; sie sind nämlich kugelrund und fettglänzend,
1) Hierher gehören auch die Versuche Ruzickas, Arch. f. Hyg.
51 und 64, Chromatin, Plast in usw. in den Bakterien nach der Methode von
Schwarz u. a. darzustellen. Über deren Unsicherheit vgl. Zimmer-
mann, Morph, und Physiol. des pflanzlichen Zellkerns, 1896, und weiU^r
unten (§ 22) bei den Fettreaktionen.
2) Z. B. haben sich die von Babes, A. Neisser, Ernst zu-
erst beschriebenen Körner für die Trennung der Diphterie- von den Pseudo-
diphteriebazillen im großen imd ganzen gut bewährt (M. Neisser).
Über die Reaktionen dieser Diphteriegranula s. u. Volutin. Vgl. F i c k e r
Arch. f. Hyg. 46. Dort auch über die vermeintlichen Beziehungen der
Kömchen ziu* Virulenz (vgl. § 329).
3) a.a.O. (§17) imd Praktikiun der botanischen Bakterienkunde, 1903.
4) Zentr. Bakt. 32 und 36, 352, 1904.
5) Fortschr. d. Mediz., 1895.
6) Zentr. Bakt. 32.
7) Ebenda, 37, 1904.
8) Ebenda 48, 1908 und 51, 1909.
9) Zentr. Path., 19, 1908.
Bau und mikrochemisches Verhalten. 49
färben sich namentlich in unfixiertem Zustand nicht mit den ge-
brauchlichen basischen und sauren Anilinfarben, wohl in alkoholischem
Dimethylamidoazobenzol (gelb), Sudan III (rot), Indophenolblau,
Dimethylparaphenylendiamin + alkalischem a-Naphthol (blau), und
auch mit manchen gewöhnlichen Farbstoffen, z. B. Fuchsin, wenn
gleichzeitig Beizung in derselben Naphthol- oder in alkalischer Phenol-
oder Lugollösung erfolgt^), Jod allein färbt sie nur schwach gelb,
J a y e 1 1 e sehe Lauge löst sie nicht, dagegen konzentrierte Chloral-
hydratlösung und heiße alkoholische Kalilauge. Die Säurefestigkeit,
die von Bunge betont wurde, besteht nicht überall, wie ja über-
haupt die F€urbreaktionen je nach der Zusammensetzung des Fettes
verschieden auszufallen, z. B. bei dem Fettwachs der säurefesten Bak-
terien zu fehlen scheinen. So kommt es nach Grimme, daß die
Fetttropfen in Tuberkel- und Thimotheebazillen sich einerseits mit
Hilfe der Fettfarben allein darstellen lassen, andererseits bei der ge-
wöhnUchen Tuberkelbazillenfärbung als helle glänzende Lücken
(„Sporen" älterer und neuerer Forscher^)) zwischen den säurefesten
Bestandteilen hervortreten. Die Auffassung der Fetttropfen als Vor-
ratsstoffe ist wohl ebenfalls nicht immer berechtigt, z. B. macht die
Anhäufung des Fetts in den Milzbrandbazillen auf Glyzerinnährböden
(Seiter, Ruzicka) eher den Eindruck einer Entartungserschei-
nung. Das erinnert daran, daß auch die übertriebene Stärkebildung
in den Butt«rsaurebakterien von Graßberger und Schatten-
froh als Erkrankung (eine Art „Zuckerkrankheit") betrachtet wird
(§ 130).
Chemisch nicht so sicher bekannt wie die Fettkörner, aber mikro-
chemisch anscheinend genügend gekennzeichnet sind die von A. M e y e r^)
Volutin (Volutanskugeln) genannten, auch in Form lichtbrechender
Kugeln auftretenden Inhaltskörper des Spirill. volutans und vieler
anderer Bakterien. Die bekannten Körner in Diphtheriebazillen sollen
auch hierher gehören. Im Gegensatz zum Fett färben sich die Volutans-
kugeln mit den gewöhnlichen Anilinfarben (Methylenblau, Karbol-
fuchsin), und zwar besonders tief und kräftig, so daß sie die Farben
aus dem übrigen Bakterienleibe an sich reißen, wenn 1 prozentige
'Schwefelsäure zugesetzt wird. Mit Jod färben sie sich gelb, sie sind
weder gram- noch säurefest. In Wasser von 28® lösen sie sich unter
Quellung in 2 Tagen, bei 80 — 100° in einigen Minuten, nicht anders
1 ) Näheres über diese und andere Färbungen bei Eisenberg.
2) Vgl. die Doppelfärbung von Fontes, Zentr. Bakfc. 49. 317, 1909
rait Z i e h 1 und Gram und die von B e t e g k (ebenda 461 ) mit Silber-
uitrat und Karbolfuehsin.
3) a. a. O. und Bot. Zeitung 1904. Vgl. Grimme a. a. O.
KrnBe, Mikrobiologie. 4
50 Kap. I, § 22 und Kap. II, § 23.
in Trypsin und Pepsinlösungen. 5 prozentige Schwefelsäure löst in
10 Minuten, gesättigtes Natriumkarbonat in einigen Minuten, während
konzentrierte Chloral- und J a v e 1 1 e sehe Lösung in 5 Minuten,
10 prozentiges Kochsalz in 15 Minuten, Alkohol, Äther und Chloro-
form auch bei längerer Behandlung keine Wirkung entfalten. Nach
A. Meyer handelt es sich um Eiweißkörper mit reichlichem Nuklein-
säuregehalt, die anstelle des Fettes oder neben ihm als Vorratsstofle
dienen sollen. Das Volutin ist auch bei Filzen, Spaltalgen und
Protozoen weit verbreitet ; nach Guillermond und M a w a 8 ^)
bestehen die Körner der Mastzellen ebenfalls daraus.
Alle hier berichteten Tatsachen der mikrochemischen und -physika-
lischen Untersuchung sind gewiß wichtig genug, aber sie sind, wie wir
schon in den einleitenden Worten dieses Kapitels bemerkten, nicht
dazu angetan, uns einen genügenden Einblick in den feineren Bau
des Leibes der Kleinwesen zu gewähren und vermögen uns nament-
lich nicht die stofflichen Grundlagen für die mannigfachen Leistungen
derselben zu erschließen. W^ir müssen uns deswegen in dieser Be-
ziehimg vorläufig genügen lassen an Vermutungen, z. B. an dem recht
anschaulichen Bilde, das uns Hoffmeister ^) in einem Vortrage
„Über die chemische Organisation der Zellen" entwirft. Wir kommen
weiter unten, wenn wir von dem Stoffwechsel der Kleinwesen sprechen,
darauf zurück (vgl. § 67).
1) See. biol. 22. II. 1908.
2) Braunschweig' 1901. '
Kapitel II.
Chemische Znsammensetzung der Kleinwesen.
§ 23. Aualysenergebnisse. Es ist klar, daß die Eigetischaften
der Mikroorganismen von ihrer stofflichen Zusammensetzung abhängig
sind. Nun fragt es sich, ob wir mit unseren jetzigen Mitteln imstande
sind, die chemischen Bestandteile der Zellen scharf genug zu charakteri-
sieren. Bestehen nachweisbare Unterschiede in der chemischen Zu-
sammensetzung zwischen den Mikroorganismen und den höheren
Lebewesen, zwischen den einzelnen Mikroorganismenarten und bei
jeder Spezies wieder unter verschiedenen Entwicklungsbedingungen?
Wir wollen hier gleich bemerken, daß ebensowenig wie die mikro-
chemischen Verfahren, die wir im vorigen Kapitel besprochen haben,
die grobe chemische Analyse diese Aufgabe zu lösen imstande ist, und
der ganzen Art des Verfahrens nach wohl auch kaum jemals dazu
imstande sein wird. Zahlreiche Unterschiede werden freilich bei der
chemischen Analyse gefunden, aber sie genügen kaum, um einige
große Unterabteilungen der Mikroorganismen — etwa die Pilze, Bakterien
und säurefesten Bakterien (Mykobakterien) voneinander zu trennen.
Über die Hauptergebnisse der bisherigen Untersuchungen be-
lehren die Tafeln I, II und III. Die letzte Tafel gibt besonders gut
vergleichbare Resultate, weil die Züchtungen und Analysen von N i -
c 0 1 1 e und Alilaire nach einheitlichem Verfahren ausgeführt wurden.
Die Trockensubstanz wird in der Weise erhalten, daß
die von den Nährböden vorsichtig abgenommenen oder von flüssigen
Kulturen durch Ausschleudern und Filtrieren getrennten Mikroorganis-
men gewogen werden, imd mit diesem „feuchten Gewicht" das Ge-
wicht verglichen wird, das nach dem Trocknen bei 100 — 110® erhalten
wird. Es ist klar, daß eine Fehlerquelle darin liegt, daß das in den
kapillaren Zwischenräumen zwischen den Zellen festgehaltene Wasser
mitgewogen wird. Im allgemeinen erscheint dadurch der Trockengehalt
zu niedrig; nur bei den schon in frischem Zustande durch Luft vonein-
ander getrennten Schimmelpilzsporen werden richtigere Zahlen erhalten
werden. Am größten wird der Fehler sein bei den Bakteriensporen, die meist
in einer sehr wasserreichen, aus den Resten der nicht zur Sporenbildung
verwandten Leibesstoffe bestehenden Substanz eingebettet sind (s. u.).
52 Kap. II, § 23.
Noch größer können die Fehler werden, die sich bei BestimmuDg
des Fettgehaltes (Ätherextraktea) ergeben, weil es ohne Zer-
störung der Zellmembran und des Zusammenhanges des eigentlichen
Zellkörpers nur unvollständig gelingt, das Fett aus dem letzteren
auszuziehen. Man hat versucht, mit allerhand chemischen und physika-
lischen Mitteln zum Ziel zu gelangen. So bekamen z. B. N ä g e I i
und Low bei anhaltender Behandlung scharf getrockneter Hefe mit
kochendem Äther nur 1,85% flüssiges Fett, nach vorheriger Behand-
lung mit konzentrierter Salzsäure 4,6% Fettsäure, d. h. etwa 5,3%
Fett. Ähnlich wirkt nach R u p p e 1 die Erhitzung unter Druck auf
die Gewinnung des Fettes aus Tuberkelbazillen. In den meisten Fällen,
wo man sich ohne solche Mittel beholfen hat, werden deshalb die Fett-
zahlen unserer Tabelle zu niedrig sein.
Für die anderen Bestimmungen ist die Undurchlässigkeit der
Zellen ebenfalls sehr hinderlich, sie zwingt zu eingreifender Behand-
lung mit Lösungsmitteln, die geeignet sind, die Natur der Körper-
substanzen zu verändern. Zudem scheint die energische Einwirkung
von Alkohol-Äther die Bakterienkörper noch unempfindlicher gegen
die übrigen Extraktionsmittel zu machen (A r o n s o n). Fast alle
diese Analysen stammen aus älterer Zeit.
Anm. zur Tafel I: a) S i e b e r, Joiirn. prakt. Chem. N. F, 23, 1881.
b) Marschall, Arch. Hyg. 28. bb)Nikolsky, Zentr. Hakt, 2. Abt. 12. 674,
1904. Nach Stutzer bestimmt, c) Gramer, Arch. Hyg. 13 und 28.
d) N ä g e 1 i (und L o e w), Journ. prakt. Chem. N. F. 17. e) B r u h a t,
zit. nach H e d r i c h , Deutsche Ärzte-Zeitg. 1904, 3. f) K a p p e s , Ana-
lyse der Massenkult, einiger Spaltpilze und der Soorhefe, Dissert. Leipzig
1890. g) Nencki und Sehaffer, Journ. prakt. Chemie N. F. 20.
h) L ö w in Nä g e 1 i s Theorie der Gärung, S. 111. i)Brieger, Zeitschr.
physiol. Chemie 9. k) K a p p e s a. a. O. (unter f)). 1) N i s h i m u r a ,
Arch. Hyg. 18. m) C r a m e r , Arch. Hyg. 16, 18 und 22. n) Lyons,
Arch. Hyg. 28. nn) R u b n e r , Arch. Hyg. 57. 178, 1906. o) D z i e r z -
g o w 8 k i und Rekowski, Arch. sc. biol. Petersburg 1892. p) H a ra -
merschlag, Sitzber. Akad. Wiss. Wien 13. 12., 1888, Zentr. klin. Med.
1891,1. q)Kresling, Zentr. Bakt. 30. 24. r) D y r m o n t , Arch. exp.
Pathol. 21. s) Salzmann, Chem. -physiol. Untersuch, etc., Phil. Dissert.
Königsberg 1901. t) Stoklasa, Zentr. Bakt., 22. Abt., 21. 631, 1908
1) aus der Differenz berechnet. 2) davon 5,0 „Cellulose" und 2,8 „Stärke'*.
3) Darunter stickstoffhaltige Körper. 4) davon 11,1 Zellulose und 1 7,0 Stärke.
5) Extrakt Stoffe, darunter Leuzin und andere Aminosäuren, Dextrin, Gly-
zerin etc. 6) Von mir nach dem N-Gehalt berechnet ( x 6,25). 7) Bei der
Berechnung der N-Substanz als Eiweiß der Trockensubstanzbestandteile
meist etwas weniger, manchmal auch etwas mehr als 100%. 8) Als Zellulose
bezeichnet. 9) Chloroform-Alkoholextrakt. Die von Kresling ange-
gebenen Zahlen sind von mir auf das Trockengewicht umgerechnet worden.
10) stammen aus einer anderen Analyse als die Zahl für das Eiweiß.
Chemische Zusammensetzung.
53
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54
Kap. !
II, § 23.
Tafel IL Elementaranalyse der
Mikro Organismen.
Art der
Mikroorganismen.
Die Trockensubstanz enthält in %
Kohlen>
Stoff
Wasser-
stoff
Stick-
stoff
Bemerkungen üb.
die Berechnung
Schimmelpilze a)
3,8
aschefrei
b)
46,4
7,0
5,3—5,6
fett- u. aschefrei
c)
7,5—8,3
aschefrei
» cc)
44 56,5
7,0 9,1
2,3—6,6
fast aschefrei
d)
—
8 11
dd)
3,7—16,2
Schimmelpilzsporen e)
48,9
6,5
4,6
aschefrei
Hefe f)
47,9 60,0
6,5—6,7
9,8—11,8
aschefrei
g)
46,5—62,5
6,2-7,2
9,4 9,7
aschefrei
h)
48,6—49,3
7,1-8,2
7,8—10,5
aschefrei
i)
50,6
7,3
15,0
aschefrei
11)
6,7 9.6
mit 6,5—10,8
Asche
Soorhefe k)
12,2
Fäulnisbakterien 1)
53,1 53,8
7,8
13,8 14,3
fett- u. aschefrei
Essigmutter m)
1,8
mit 3,4% Asche
Micrococcua m)
—
10,65
mit 6,9% Asche
Essigbakterien x)
4,8
—
Bac. pneumoniae n)
6,7
mit 30,2% Asche
Mi Ichsäurebakterien x )
4,2 15,0
_^
Bac. prodigiosus o)
11,4
mit 13,5% Asche
Bac. xerosis o)
12,1
mit 9% Asche
Wasserbazillen p)
51,0
0,8
11,1
fett- u. aschefrei
Verschied. Bakterien q)
48,9 51,8
6,5 7,5
9,4 15,0
cischefrei
I^oteusbazillen qq)
9,8
mit 8.1% Asche
Heubazillen r)
5,3 11,2
Diphtheriebazillon s)
48,9
1 '
8,6
11,2
mit 4,6% Asche
Tuberkel bazillen t)
1
6,6
mit 6% Asche
u)
8,6
mit 2,6% Asche
uu)
50.18
7,33
9,87
fettfrei mit 6,95
% Asche. Phos-
phorgehalt 1.67
%, davon die
Hälfte organiscl)
gebunden.
Milzbrandbazillen v)
6,3
Milzbrandsporen v)
10
mit 2% Asche
Streptothrix odorif era w)
7,4
mit 9,2% Asche
Amylobact. butylicum z)
4,0
—
Azotobactor chroococ-
CUHl y)
9,8 13,1
aschehaltig
Anm. : a) Stutzer, Zeitschr. physiol.
Taf . I a). c) M a r s c h a 1 1 , Agl. Taf. I b). cc)
Chem. 6. b) S i e b e r , vgl.
Maz6, Annal. Pasteur 1902,
Chemisohe Zusammensetzung.
55
374. d) C z a p e k , Hofmeisters Beitr. 2. dd) Nikolsky, Zentr. Bakt.,
2. Abt., 12. 674, 1904. e) C r a m e r , vgl. Taf. Ic). f)Schloßberger,
Ann. Phys. und Chem. 80 (D u c 1 a u x). g) v. W a g n e r , zit. nach D u -
claux, Mikrobiol. h) Hessenland, Zeitschr. f. Rübenziickerind. 92.
(D u cl a u x). i) D u m a 8 , Trait^ de chimie (D u c 1 a u x). ii) R u b n e r ,
Arch. Hyg. 48. 310, 1004. k) K a p p e s, vgl. Taf. If). 1) N e n c k i und
Schaffer, vgl. Taf. Ig), m) L ö w , vgl. Taf. I h). Riemer, Arch.
Hyg, 71. 171, 1909 bestimmte in frischen Kvilturen des Staphylococ. pyogenes
8.3% Stickstoff, n) B r i e g e r, vgl. Taf. Ii). o) K a p p e s , vgl. Taf. If).
p)Ni8himura, vgl. Taf. II). q)Cramer, vgl. Taf. I m). qq) s. unter ii).
r)Vincenzi, Zeitschr. physiol. Chem. 11. s)Dzierzgowski und
Hekowski, vgl. Taf. lo). t) Hammerschlag, vgl. Taf. I p).
u) Kresling, vgl. Taf. I q). uu) Kutscher, Sitzber. Gesellsch.
Eieford. Naturw. Marburg 1910. v) Dyrmont, vgl. Taf. I r). w) S a 1 z -
mann, vgl. Taf. I s). x) K a y s e r , Annal. Pasteur 94, 763 ff. y) S t o k -
1 a s a , Zentr. Bakt., 2. Abt., 21, 506 und 629, vgl. Taf. I f ). G e r 1 a c h
und Vogel finden 10—12% ebenda 8., 1902. z) vgl. Beijerinck
Verh. Kon. Akad., Wetenschap. Amsterdam, 2. Sect. Deel I, S. 39, 1893.
Tafel III. Analysen von Nicolle und Alilaire.^)
1
Wasser-
In % der Trockensubstanz
•
gehalt
in%
Stick-
stoff.
Azeton-
extrakt
Chloroform-
extrakt ■)
Phosphor
% im Fett»)
Rotz
76,6
10,5
11,7
8,6
2,5
Hühnercholera
79,3
10,8
7,6
6,3
2,4
Cholera
73,4
9,8
8,7
6,8
2,4
Dysenterie
78,2
8,9
12,8
10,6
1,6
Proteus vulgaris
80,0
10,7
10,9
7,1
1.6
Typhus
78,9
8,3
15,4
10,6
1,2
Bspor. Milzbrand
81,7
9,2
6,3
1,5
0,9
Ptettdotuberkulose
78,8
10,4
15,6
10,3
0,8
Bac. pneumoniae
85,5
10,4
15,4
10,3
0,8
Bac. coli
73,3
8,3
15,2
11,8
0,8
Bac. prodigiosus
78,0
10,5
9,0
6,6
0,5
Pftittakosebac.
78,0
9,5
11,1
7,0
0,5
Diphterie
84,5
7.0
5,2
o,2
Pyocyaneus
75,0
9,8
15,8
10,7
0,2
Lymphangitis'
bazillus.
77,9
9,2
6,8
2,5
0,2
Hefe Frohberg
69,2
10.0
4,2
2,9
0,0
Chlorella vulgaris.
63,6
3,9
21,1
12,8
0.0
1) Annal. Pasteur 1909, 7. (etwas verkürzt wiedergegeben). Sämtliche
Bakterien wurden 24 Stunden bei 37® auf Fleisch-Kartoffelsaftagar, die
Hefe einen Tag bei 30® auf Malzsyrup, die Algen 15 Tage bei 20® auf Kar-
toffelagar in großen verzinnten Kupferblechdosen gezüchtet.
2) Aus dem Azetonextrakt dargestellt.
3) d. h. wohl aus dem Chloroformexjbrakt.
56 Kap. n, § 23 u. 24.
Es ist anzunehmen, daß wir jetzt, wo wir durch E. und H. B u c h -
n e r und Hahn^), R. Koch, Macfadyen und R o w 1 a n d-)
mechanische Mittel kennen gelernt haben, um die Mikroorganismen-
zellen zu eröffnen, auch einwandfreiere chemische Analysen erhalten
werden. Dies gilt insbesondere für die Bestimmimg der Kohlehydrate
imd stickstoffhaltigen Substanzen, die vorläufig noch ziemlich zweifel-
hafte Ergebnisse gehabt hat (s. u.). Die Resultate der Elementar-
analysen (Taf. II) werden allerdings durch die erwähnten Schwierig-
keiten nicht beeinträchtigt, recht unsicher sind aber die Eiweißzahlen
der Taf. I, die mit wenigen Ausnahmen auf Grund des Stickstoff-
gehalts — durch Multiplikation mit 6,25 — berechnet worden sind.
Wir müssen erwarten, daß andere N-haltige Körper dabei vernach-
lässigt werden. Die „Kohlehydrate" der Taf. I sind vielfach nur aus
dem Rest berechnet worden, der nach Abzug des Äther- und Alkohol-
extraktes, der Asche und des „Eiweißes" verbleibt. In dem Alkohol-
extrakt wird natürlich der größte Teil des Zuckers der Zellen enthalten
sein. In dem „Rest" der Tab. I werden wir, wo die Kohlehydrate nicht
besonders bestimmt worden sind, diese neben den verschiedensten
Substanzen zu suchen haben.
Selbst die Aschenbestimmungen sind nicht ganz richtig, da viel-
fach in den Extrakten noch mancherlei Bestandteile enthalten sind,
imd schon reichliches Auswaschen der Mikroorganismen ihnen einen
sehr bedeutenden Teil der Mineralsalze entziehen kann (R a u 1 i n).
Mit diesen Einschränkungen nur können wir das Bild, das uns
die Tafel I bietet, als zutreffend erachten. Einige Schlüsse kann man
aber wohl aus ihr und aus Tafel II und III ableiten.
§ 24. Schlüsse aus den Analysen. 1. Der Wassergehalt der
Mikroorganismen zeigt im großen und ganzen keine bedeutenden Ver-
schiedenheiten. Er ist hoch, wenn man ihn mit demjenigen tierischer
Organismen vergleicht, weicht dagegen kaum von demjenigen der
höheren Pilze und Pflanzen ab. Stark abweichende Zahlen finden ^dr
nur bei den Schimmelpilzsporen, die nach Gramer sehr wenig, und bei
der Essigmutter, die nach N ä g e 1 i und Low sehr viel Wasser ent-
halten. Beides ist charakteristisch. Die hohe Zahl für die Trocken-
substanz der Sporen beweist uns, daß die Dauerformen der Schinmiel-
pilze ein Protoplasma besitzen, das durch seinen geringen Wasser-
gehalt sich von allen vegetativen Zellen unterscheidet. Bezeichnend
ist auch, daß die geringe Quantität Wasser, die den Schimmelpilzen
anhaftet, nach Gramer nicht in der Weise an die Zellen gebunden
1) S. bei der Zymasedarstellung § 89.
2) S. bei der Giftdarstellung § 272 ff.
Chemische Zusammensetzung. 57
ist, wie bei den übrigen Mikroorganismen, sondern als hygroskopisches
Wasser zu betrachten ist. Im Gegensatz zu den letzteren nahmen die
scharf getrockneten Sporen in feuchter Umgebung schnell das ver-
lorene Wasser wieder auf. Durch diesen geringen Wassergehalt er-
scheint das Plasma der Sporen stärker lichtbrechend als die vegeta-
tiven Zellen, dadurch wird es auch widerstandsfähiger gegenüber
schädigenden Einflüssen, wie z. B. der Erhitzung. So kommt es femer,
daß die Sporen vor der Eeimimg viel Wasser aufnehmen, daß sie
quellen müssen.
Sehr wahrscheinlich haben auch die Dauerzustände anderer Mikro-
organismen dieselbe Eigenschaft, so besonders die Sporen der Bak-
terien. Allerdings tritt das in der Analyse Dyrmonts (Taf . I) wie
in den Versuchen, die Almquist zur Bestimmung des spezi-
fischen Gewichts vornahm^), kaum hervor. Wir wissen aber
aus dem mikroskopischen Bilde, das versporte Milzbrandkulturen
bieten, daß hier die Sporen in einer gallertartigen Masse, die von zer-
fallenden Stäbchen herrührt, eingebettet liegen. Offenbar bedingt
diese den hohen Wassergehalt, während die Sporen selbst ein noch
stärker konzentriertes Protoplasma haben, wie die Schimmelsporen ^).
Ähnhch erklärt sich der verhältnismäßig hohe Wassergehalt der Essig-
mutter, der nach Tabelle I mehr als 98% beträgt. Die Bakterien selbst
werden wohl nicht anders zusammengesetzt sein wie die übrigen Mikro-
organismen, sie sondern aber mächtige Mengen schleimiger Zwischen-
substanz ab (s. Bact. xylinum, § 27), deren Wassergehalt maßgebend
ist für die Analyse. Zur Ergänzimg der Tabelle bemerke ich, daß ich
wiederholt bei Ruhrbazillen (von Agarplatten abgekratzt) ein Trocken-
gewicht von 25% gefunden habe. Das entspricht vielen der von N i -
c 0 1 1 e imd A 1 i 1 a i r e bestimmten Zahlen, während die übrigen
Bakterienanalysen selten so hohen Trockengehalt ergeben haben.
Letztere Forscher bringen wohl mit Unrecht, wie schon aus ihren
eigenen Analysen hervorgeht (vgl. Bac. pneumoniae!) einen besonders
hohen Wassergehalt der Bakterien zu der Gramfestigkeit in Beziehung.
Nach unserer Auffassung (§ 18) liegt die Sache gerade umgekehrt, ist
aber durch unsere Massenanalysen der Bakterien nicht festzustellen.
1) ZeitBchr. f. Hyg. 28, 1898. Andere Bestimmungen des spezifischen
Ciewichts verschiedener Bakterien s. bei Stigell (Zentr. Bakt. 45, 1908).
Auf Agaroberflächen fanden sich Schwankungen von 1,12 (SubtiHs) bis 1,32
(Staphylokokken), bei Tuberkelbazillen solche von 0,887 — 1,287. Bouillon-
häutchen ergaben 0,92^0,98.
2) R e i n k e , Untersuchungen aus dem botanischen Laboratoriiun
zu Göttingen, H. 3, Berlin 1883, schließt aus seiner Analyse des Äthalkun
i^ticum auch bei der Sporenbildung in den Schleimpilzen auf eine An-
hydridbildung im Protoplasma.
58 Kap. II, § 24.
2. Auffällig hoch ist der Fettgehalt (Ätherextrakt) der
Tuberkelbazillen nach Eresling und anderen Autoreo
(§ 26), er übersteigt mit 32% weit den aller übrigen MikroorganiBmen
der Taf . I. Nur ganz alte degenerierte Hefezellen sollen nach D u -
c 1 a u x^) einen ähnlichen Fettgehalt aufweisen. ^) Wahrscheinlich haben
wir übrigens keine spezifische Eigenschaft der Tuberkelbazillen vor uns,
sondern auch andere „säurefeste'' Bakterien teilen sie (s.u. N as t i n , § 26).
3. Weit verbreitet ist die Ansicht, daß die N-haltigen
Stoffe bei Bakterien und Hefepilzen der Regel
nach die N-freien überwiegen, während das Gegen-
teil bei den Schimmelpilzender Fall se i.') Zum min-
desten läßt diese Regel zahlreiche Ausnahmen zu. So ist z. B. der Eiweiß-
gehalt der sogenannten Essigmutter, einer Art von Bakterien, die
ungewöhnlich dicke Zellhüllen ausscheidet (B. xylinum), ein ganz
niedriger (Taf. I) imd auch bei anderen Bakterien mit und ohne Schleim-
hüllen (z. B. Milchsäure, Heubakterien, Amylobact. butylicum) findet
man ebenso kleine Stickstoffzahlen wie bei Schimmelpilzen. Auf der
anderen Seite geben die Analysen, die von Schimmelpilzen vorliegen,
durchaus kein einheitliches Bild. Die letzten Untersuchungen von
C z a p e k am Aspergillus niger haben sogar bei diesem Pilz den hohen
Stickstoffgehalt von 8 bis 11% festgestellt (Taf. II). In vielen Fallen
lehrt allerdings schon der mikroskopische Augenschein, daß bei den
Schimmelpilzen die membranbildenden stützenden Bestandteile einen
größeren Teil der Substanz ausmachen als bei Hefen und Bakterien,
werden doch gewöhnlich nur die Spitzen des Myzels vollständig vom
Protoplasma erfüllt, während der ganze Rest im wesentlichen aus den
Membranen besteht, die große Safträume einschließen. So kann es
denn nicht Wunder nehmen, daß einige Pilze — freilich bei sehr mangel-
hafter Stickstoff zufuhr — sogar bis auf einen Stickstoff gehalt von 1%
heruntergehen (Ger lach und Vogel*)). Es ist übrigens selbst-
verständlich, daß, von allen übrigen Dingen abgesehen, das Alter der
Kultur und die Art der Ernährung das Verhältnis der stickstofffreien
und stickstoffhaltigen Stoffe bei allen Mikroorganismen beeinflussen
werden (s. u.).
1) Trait6 de microbiologie 1. 166.
2) Das Sklerotium der Claviceps purpurea (Mutterkorn) enthält eben-
falls bis 35% Fett (F 1 ü c k i g e r).
3) Die höheren Pilze stimmen mit den Schinmielpilzen überein. Vgl.
die beiden Taf. in Zopfs „Pilze**, Breslau 1890, S. 119 und 121. Der
Gehalt an Eiweiß schwankt von 11 — 51%, die Asche von 2 — 15%, das Fett
von 1—10%, die Kohlehydrate von 37—82%.
4) Zentr. Bakt.. 2. Abt. 10, 643.
Chemische Zusammensetzung. 59
4. Eine ivichtige Folgerang, die sich sofort aus den Tafeln ergibt,
ist die, daß die Zusammensetzung der Organismen
in weiten Grenzen schwankt. Es ist besonders das Ver-
dienst von Gramer und seinem Schüler Lyons, das für die
Bakterien nachgewiesen und begründet zu haben : die Bakterien
vermögen sich in hohem Maße dem Nährboden an-
zupassen. So fand z. B. Gramer bei Züchtung der Gholera-
baziUen in 1 prozentiger Sodabouillon 8 — 10% Asche, in 4 prozentiger
Phosphatbouillon 2Q — 25% und in 3 prozentiger Eochsalzsodabouillon
22—28%^), femer auf der peptonfreien Uschinsky-Lösung einen Eiweiß-
gehalt von 34 bis 60%, auf Sodapeptonbouillon einen solchen von 62
bis 65%. Eine verhältnismäßig geringe Steigerung des N-Grehalts be-
merkte Gramer, wenn er statt einer 1 prozentigen eine 5 prozentige
Peptonbouillon benutzte. Lyons sah bei mehreren schleimbildenden
Bazillen mit einer Steigerung des Zuckergehalts in der Nährlösung
von 1 bis 10% die N-freie Substanz zu-, die N-haltige abnehmen.
Daran sind das Fett (Ätherextrakt) bis zu einem mäßigen Grade, die
alkohollöslichen Eztraktstoffe und der „Rest", d. h. wohl Kohle-
hydrate in erster Linie beteiligt. Andere Schwankungen in
der Zusammensetzung zeigen sich, wenn man die
Wachstumsbedingungen (Temperatur) verändert
oder Kulturen verschiedener En t wi ckl un gs -
Stadien vergleicht. So fand z. B. Gramer den Trocken-
gehalt von Bakterien, die bei Bruttemperatur gewachsen waren, höher
als bei solchen, die er bei Zimmertemperatur gezüchtet hatte, ebenso
bei jungen Kulturen höher als bei alten.
Auch bei anderen Mikroorganismen, z. B. den Hefepilzen ist man
auf solche Veränderlichkeit gestoßen. So erhielt D u c 1 a u x (a. a. 0.)
aus 15 Jahre alter Hefe 20—30% imd selbst über 50% Fett und dabei
gleichzeitig nur 2,7% Stickstoff, während frische Hefe nur wenige
Prozente Fett und 8,9% Stickstoff enthielt. W i j s m a n^) fand sogar
binnen wenigen Stimden beträchtliche Veränderxmgen im N- Gehalt
der Hefe. So soll dieselbe während der Gärung von einem Anfangs-
wert von 7,1% schon nach einer Stunde auf 9,9 gestiegen sein, sich
dann einige Stunden auf der Höhe gehalten und nach 10 Stunden nur
noch 6,4% betragen haben. ÄhnUche Unterschiede fand K a y s e r
(Taf. II) bei Milchsäurebakterien in verschiedenen Stadien der Gärung.
1) Schon Raulin sah den Aschegehalt des Aspergillus niger von
2 auf 6 und 6,4% steigen, wenn er die Konzentration der Mineralbestandteile
in der Nährlösung von 0,2 auf 1,7 und 2,7% erhöhte.
2) Ref. Kochs Jahresber. 1891, 120.
60
Kap. II, S 24 u. 26.
So enthielt eine der von ihm untersuchten Arten am 3. Tage 9,1%
am 12. Tage 10,8, am 45. Tage 11,8% Stickstoff. Gleichzeitig schritt
die Zuckerzersetzung fort, während die Vermehrung der Bakterien
bald zum Stillstand zu kommen schien. K a y s e r stellte in einigen
anderen Yersachen noch merkwürdigere Differenzen zwischen L
Bakterien, die bei Sauerstoffzutritt und -abschluß gewachsen waren,
fest, sie enthielten:
im I. Versuch
II.
)i
>>
bei Sauerstoffzutritt bei Sauerstoffabschluß
6,5% 4,2% Stickstoff
13,6% 9,50/^ „ .
waren also stets stickstoffreicher bei ungehinderter Luftzufuhr. Wie
es kommt, daß die Zahlen im ersten Versuch halb so klein waren, ab
im zweiten, ist nicht ersichtlich. Es handelte sich um dieselben Mikroben
und um eine ähnliche Nährlösung.
Bei dem Schimmelpilz Mucor Amylomyces stellte Nikolsky
(Taf. I und II) sogar Schwankungen^) des Stickstoffgehalts von 3,7
bis 16% fest bei Ernährung mit einer und derselben Nährlösung (Maltose),
und zwar war der Stickstoff am reichlichsten vertreten, wenn die
Kultur jung war (4 Tage) und nahm mit steigendem Alter (bis zu
14 Tagen geprüft) immer weiter ab. Das Wachstum schritt dabei
immer fort, obwohl langsamer. Die absolute Menge des Stickstoffs
in der Ernte stieg zuerst, sank aber in den letzten Tagen. Auch bei
Ernährung mit Glykose und Saccharose zeigten sich ähnliche Verhält-
nisse, Wurde aber eine wenig geeignete Nahrung gewählt, wie Fruk-
tose, Raffinose und Dextrin, so blieb der Stickstoffgehalt andauernd
auf der Höhe von 9% und mehr. Die Zahlenreihen der Analysen
Nikolskys zeigten allerdings einige unerklärliche Unregelmäßig-
keiten. So schwankten sie z. B. in dem obigen Beispiel (abgekürzt)
wie folgt:
1 Trocken-
Stickstoff-
Stickstoff-
Versuchs tag
Substanz
gewicht
gehalt
Bemerkungen
4. Tag
0.46 g
0.075 g
16,2%
Zu dem Versuche
6. „
0,51 „
0,043 ,.
7,1 ,,
dienten 6 Kolben.
8. „
1,12 „
0,062 „
5,6 „
die mit gleichem
10. „
1.67 „
0,104 „
6,2.,
Nährmaterial be-
12. „
1,72 „
0.090 „
5.2 „
schickt, in derselben
14. „
1.83 ,.
0,068 „
3,7 „
Weise geimpft und
gehalten waren.
1) Die höheren Prozentzahlen (bis 36!) beruhen offenbar auf fehler-
haften Bestimmungen, die bei allzugeringer Ernte verständlich sin4-
chemische Zusamiuensetziing. 61
Zum Teil spielen hier mit die Veränderungen, die im Hunger-
zußtande imd bei der sogenannten Selbstverbrennung (§ 226), Selbst-
vergänmg (§ 91) imd Selbstverdauung (§ 166) der Mikroben eintreten.
DaB dabei einerseits große Eohlenstoffverluste, z. B. durcb Vergärung
des Glykogens in der Hefe, andererseits große Stickstoffverluste, z. B.
bei der Autolyse der Proteusbazillen eintreten, ist sicher. Aber auch
umgekehrt können dabei vielleicht aus Eiweißstoffen Eolhehydrate
hervorgehen. Einige Angaben darüber, die von M a z e stammen
(vgl. Taf. II cc), sollen schon hier Platz finden. Nach ihm kann man
aus Kulturen der Eurotiopsis Gayoni auf Zucker- bzw. Alkoholnähr-
bcden durch Kochen mit verdünnter Schwefelsäure bei 120" umso-
mehr (16 — 42%) zuckerartige Stoffe gewinnen, je älter die Kulturen
sind. In einer Versuchsreihe sank bei Sauerstoffzutritt das Trocken-
gewicht im Zeitraum von 6 bis 25 Tagen von 330 auf 195 mg, während
der genannte Extrakt von 87 bis 108 mg stieg und der Stickstoff-
gehalt von 5 bis 6% auf 2,9 — 3,5% fiel. Gleichzeitig schwand übrigens
das Fett des Myzels fast völlig (von 20,6 bis 2,6%). Auch bei der
Anaerobiose trat der Stickstoffverlust ein, nicht der Fettverlust. Ver-
fasser ist geneigt, den Zuwachs an Kohlehydraten aus den zu Verlust
gegangenen Eiweißstoffen herzuleiten.
Unglaublich klingt die Angabe F e r m i s^), es solle Schimmel
und Hefen geben, die auf salz- und N-freien Nährböden wachsen und
selbst N-frei bleiben (vgl. oben G e r 1 a c h und Vogel).
Von den Unterschieden, die durch die Sporenbildung bedingt
werden, wurde schon gesprochen.
Wenn wir uns jetzt zu den einzelnen Bestandteilen wenden, die
den Körper der Mikroorganismen zusammensetzen, so müssen wir
leider von vornherein auf die Unvollkommenheit unserer Kenntnisse,
die sich zimi Teil durch die oben angedeuteten Schwierigkeiten der
rntersuchung erklärt, hinweisen. Ein Hauptmangel vieler der vor-
liegenden Analysen besteht auch darin, daß sie nicht untereinander
vergleichbar sind, weil sie an verschiedenen und oft nicht einmal ge-
nügend bekannten Mikroorganismen und mit verschiedenen Methoden
gewonnen sind.
§ 25. Proteinstoffe nnd deren Abkömmlinge. Die ersten
Autoren, die sich mit chemischen Untersuchungen von Bakterien be-
faßten, Nencki und Schaffer (Taf. I auf S. 52) schlugen aus Kul-
turen von Fäulnisbakterien in 2% Gelatinelösung oder in 3,3 prozentiger
Losung von schleimsauren Ammoniak die Bakterien durch Kochen
mit 2,5 prozentiger Salzsäure nieder, wuschen den Niederschlag mit
Wasser aus, trockneten und extrahierten ihn mit Alkohol und Äther,
digerierten ihn auf dem Wasserbade mehrere Stunden lang mit 0,5 proz.
62 Kap. II, § 25.
KalilÖBung, wobei nur ein geringer Rest (die Membran ? § 13 u. § 27)
übrig blieb, und fällten schließlich nach Neutralisierung des Alkalis
durch Salzsäure bis zu schwach saurer Reaktion mit Hilfe von konzen-
trierter Kochsalzlösung oder Eintragen von Steinsalz bis zur Sättigung
einen eigentümlichen Körper, den sie Mykoprotein nannten.
Dieser Stoff ist frisch darsgestellt in Wasser, Säuren und Alkalien
leicht löslich, wird aber nach dem Trocknen bei HO'* von Wasser
nicht mehr völlig gelöst. Die wässerige Lösung reagiert schwach sauer.
In Lösungen neutraler Salze ist das Mykoprotein unlöslich und wird
aus saurer, nicht aus alkalischer Lösung durch gesättigte Salzlösung
gefällt. Seine Lösungen geben mit Ferrocyankalium, Gerbsäure, Pikrin-
säure und Quecksilberchlorid starke Niederschläge. Salpetersäure
gibt nur eine schwache Trübung und keine X an th o pro te in-
reaktion. Die Miller sehe Reaktion und die B i u r e t - Probe
fallen positiv aus. Durch Alkohol wird die wässerige
Lösung nicht gefällt. Die Elementaranalyse ergab in 4 Be-
stimmungen:
Mykoprotein aus Bakterien (aschefrei): 52,1 — 52,6% C.
7,3- lfi% H.
14,5—14,9% N.
Das entspricht etwa der Formel C25 H42 N^ O3. Weder
Schwefel noch Phosphor war in der Substanz
nachweisbar. Da Nencki und Schaffer aus dem Ge-
wicht der entfetteten Bakterien 40 — 50% reines Mykoprotein darstellen
konnten, und sie die elementare Zusammensetzung der ganzen Bak-
terien (s. Taf. II) sehr ähnlich fanden, schlössen sie, daß das Myko-
protein bei weitem den größesten Teil des Bakterienkörpers (90%)
ausmache. Auch aus Hefe, nicht aus Schimmelpilzen (S i e b e r) wurde
von den Autoren durch Ausziehen mit verdünnter Salzsäure, Fällung
mit Steinsalz und Behandlung mit Alkohol und Äther ein ganz ähn-
licher Stoff gewonnen, der in 2 Bestimmungen enthielt:
Mykoprotein aus Bierhefe (aschefrei) 52,1 — 52,5% C.
7,60/^ H.
14,6—14,9% N.
Schloßberger*) hatte schon durch Ausziehen der entfetteten
Hefezellen mit verdünnter Kalilauge und Neutralisation des Filtrate«
einen Eiweißkörper erhalten, der auch schwefelfrei war und aus 55,5% C,
7,5% H, 14,9% N bestand. Nach Nencki und Schaffer wäre
hierin noch eine alkohollösliche eiweißartige Substanz enthalten ge-
1) Ann. Chem. Pheurm. 51. 205.
Chemische Zusammensetzung. 63
wesen, denn wenn sie den Niederschlag aus ihrem Salzsäuren Hefe-
auszttg nur mit Äther behandelten, bekamen sie ein Präparat, das fast
genau die gleiche Zusammensetzung wie das von Schloßberger
gefundene hatte.
Wenn es hiemach schien, als ob in dem Mykoprotein eine gut
charakterisierte, den Mikroorganismen eigentümliche Eiweißsubstanz
gewonnen wäre, so haben die späteren Untersuchungen das leider nicht
bestätigt, da das Mykoprotein niemals wiederge-
funden worden ist. Ob die besondere Beschaffenheit desselben
sich aus der die Zellsubstanz stark angreifenden Darstellungsmethode
erklärt^ wie man anzunehmen wohl ein Recht hätte, oder aus der Eigen-
tümlichkeit der untersuchten Bakterien, mag dahingestellt bleiben.
Die letztere spielt sicher eine wichtige Rolle. Jedenfalls ist es vielfach
sonst gelungen, aus Mikroorganismen Eiweißstoffe zu erhalten, die sich
den bekannten namentlich auch in ihrem Schwefelgehalte^) anreihen.
Wir zählen hier die von den verschiedenen Forschern erhaltenen Er-
gebnisse auf.
Schon das von N e n c k i selbst und seinem Schüler D y r -
m o n t ^) aus Milzbrandbazillen und Sporen gewonnene Anthrax-
protein unterscheidet sich durch seine Zusammensetzung (52,6% C,
6,8% H und 16,2% N) und seine Reaktionen weniger von den gewöhn-
lichen Eiweißstoffen, wenn es auch noch als schwefelfrei beschrieben
wird. N e n c k i selbst vergleicht das Anthraxprotein einerseits den
Schleimstoffen, andererseits den Pflanzenkaseinen. Ebenso wenig
gelang es Brieger'), aus den Leibern des Bac. pneumoniae Myko-
protein darzustellen. Die organische Grundsubstanz der Bakterien
ergab Eiweißreaktionen, enthielt aber nur 9,75% Stickstoff, muß also
mit anderen Stoffen stark gemischt gewesen sein. Wie N e n c k i
stellte Buchner*) seine hitzebeständigen Bakterienpro-
teine, insbesondere das Pneumobazillen- und Pyocyaneusprotein
durch Digerieren der Bakterien mit verdürmter Kalilauge dar. Sie unter-
schieden sich aber von dem Mykoprotein durch den positiven Ausfall
der Xanthoproteinreaktion, die Fällbarkeit durch Alkohol imd ver-
dünnte Säuren, die Nichtfällbarkeit durch Quecksilberchlorid. Übrigens
betrug die Ausbeute nur etwa ^/^ der Trockensubstanz. Andere Bak-
terien, z. B. Bac. prodigiosus, ergaben sogar nur Spuren von Protein.
1) Rubner (Arch. Hyg. 57, 180) fand d€W Verhältnis zwischen dem
Stickstoff- und Schwefelgehalt bei Proteusbazillen in Fleischextrakt ziemlich
beständig (1 : 0,05—0,08), in Agarkulturen 1 : 0,14.
2) Arch. exp. Path. Pharm. 21.
3) Zeitechr. physiol. Chemie 0.
4) BerL klin. W. 1890, 30 und 47.
64 Kap. II, § 26.
Eine Elementaranalyse wurde von B u eh n e r nicht gemacht. Später
stellte Büchner^) nach dem Vorgang von Römer ähnliche
Proteine her durch einfaches längeres Auskochen der Bakterienleiber
mit Wasser, das besonders wirksam war, wenn die Bakterien vorher
scharf getrocknet waren. Die Menge der Substanz wurde dadurch so
gesteigert, daß sie bis zu ^/g der Trockensubstanz betrug. Von den
alkalischen Auszügen unterschieden sich die so hergestellten Extrakte
dadurch, daß sie durch schwaches Ansäuern nicht mehr gefällt wurden.
Genaue Untersuchungen dieser sicher stark veränderten Substanzen
fehlen (vgl. § 280).
Wohl charakterisierten Eiweißstoffen, und zwar einem Glo-
bulin und einem Alkalialbuminat entsprachen die Sub-
stanzen, die H e 1 1 m i c h 2) durch sehr vorsichtige Behandlung (Aus-
ziehen mit 5 — 6 prozentigen Ammonsulfat und 0,5% Sodalösung in
der Kälte) aus Heubazillen darstellte. Die gewonnenen Mengen scheinen
aber nur klein gewesen zu sein, auch ist das Verfahren sonst ohne Er-
folg (B u c h n e r).
Sehr ausführlich sind schon die älteren Studien von N ä g e 1 i
und L ö w ^) über die Hefe. Sie erhielten aus Hefezellen, die sie während
eines Jahres in 1 prozentiger Phosphorsäure mazeriert und dann elfmal
binnen 20 Tagen mit Wasser gekocht hatten, 36% „gewöhnliches
A 1 b u m i n^\ das dem Eieralbumin am nächsten verwandt war, 9%
leicht zersetzbares „Protein**, das teilweise alkohollöslich war und
auch in seinen übrigen Eigenschaften dem Glutenkasein Ritthausens
entsprach, ferner 2% Pepton und etwas Leucin, nebst Spuren
von Guanin, Xanthin, Sarkin und anderen Extraktstoffen, die wohl
anderer Herkunft waren wie Glyzerin, Bernsteinsäure, Cholestearin.
Daß echtes Eiweiß ein Hauptbestandteil der Hefezellen ist, haben
auch spätere Untersuchungen bestätigt. Sehr einfach gelingt die Dar-
stellung durch folgendes Verfahren*), das auch technische Verwertung
gefunden hat^); Frische, gut abgepreßte Hefe wird mit Äther innig
1) Münch. med. W. 1891, 49.
2) Arch. exper. Path. und Pharm. 26, 346.
3) Journ. prakt. Chem. N. F. 17.
4) Es ist wahrscheinlich, daß man auch bei gramnegativen Bakterien
auf ähnliche einfache Weise Eiweißstoffe der Leibessubstanz gewinnen kann.
Bei der ,,Aggressin-Dar8t<?llung" (§ 320) von Ruhr- und anderen Bakterien
erhält man durch 24 stündiges Ausziehen mit Weisser oder Kochsalzlösung
bei 20— 37<^, schneller bei 60" mit oder ohne Schütteln bis zu 25—30% der
Trockensubstanz. Genauere Untersuchungen dieser eiweißreichen Lösun-
gen fehlen.
5) Über andere technische Verfahren zur Gewinnung eiweißreicher
Hefeextrakte s. in Lafars Handb. techn. Mykol. 5. 123, 1905.
Chemische Zusammensetzung. 65
durchmischt und bei möghchst niederer Temperatur über Nacht stehen
gelassen. Am folgenden Morgen hat sich die Hefemasse durch Selbst-
verdauung in eine^ dünnen Brei verwandelt, aus dem sich nach An-
rühren mit viel Wasser ein schleimiger Bodensatz und darüber eine
klare Flüssigkeit absondert. Die letztere enthält das Eiweiß, das nach
Ansäuern mit Essigsäure durch Kochen abgeschieden wird. Schrö-
der^) fand als Zusammensetzung dieses Hefeeiweißes :
52,4% C, 6,9% H, 15,8% N, 0,72% S, 0,06% P nebst 0,14% Asche.
Er gewann daraus durch Spaltimg mit Säuren neben viel Aminosäuren
(70,5% des Stickstoffs, danmter namentlich Leucin, wenig Tyrosin
und Phenylalanin, kein Glycocoll), in bedeutender Menge Basen bzw.
Diaminosäuren, und zwar 11,9% des Stickstoffs als Arginin und Histidin,
11,0% als Lysin. Cystin wurde in Spuren, eine Eohlehydratgruppe
nicht erhalten«
Während N ä g e 1 i und Low das Vorhandensein eines beson-
deren phosphorhaltigen Proteinstoffes (Nuklein) in der Hefe nicht
amiehmen wollten, wiesen Hoppe-Seyler*), Kossei ^) und
Stutzer seine Existenz nach. E o s s e 1 erkannte sogar in der Hefe
ein besonderes geeignetes Material zur Darstellung der Nukleine und
zum Nachweis ihrer Zusammensetzung. A 1 1 m a n n stellte aus ihnen
zuerst die Nukleinsäure dar, E o s s e 1 fand, daß sie beim
Sieden mit verdünnter Säure neben den spurenweise schon von N ä -
g e 1 i und Low beobachteten Nukleinbasen (Xanthin-
körpem) reduzierenden Zucker (Glykose und Pentosen^) abspalten.
Nach Stutzer*) verteilt sich der Stickstoff in Schimmel- und
Hefepilzen folgendermaßen: Es enthalten Stickstoff:
im ganzen
in verdaulichem Eiweiß,
in unverdaulichem „Nuklein**,
in „Amiden** und Peptonen.
Wollte man in der gleichen Weise nach der Verdaulichkeit im
Magensaft den Nukleingehalt der Bakterien bestimmen, so würde
man wahrscheinlich (s. Eap. I § 10) den größten Teil ihres
Körpers als Nuklein bezeichnen müssen (s. u.).
Schimmel
Hefe
3.78%
8,65%
1,49 „
5,51 „
1,54,,
2,26 „
0,75 „
0,88,,
1) Hofmeisters Beitr. ehem. Phys. 2, 389.
2) Medizin, chenpt. Untersuchungen.
3) Dubois-Reymonds Arch. f. Phys. 1891—93.
4) Vgl. Levene, Zeitschr. physiol. Chem., 37. 402, 1903.
5) Zeitschr. physiol. Chem. 6.
Krate, lOkrobiologle. 5
66 Kap. II, § 25.
Die Nukleinbasen stellten v. Lehmann*) und Nishimura^)
quantitativ aus der Hefe dar. Es bestimmten
Xanthin Guanin Adenin H}rpoxanthin
V.Lehmann 0,-0,05 0, --0,124 0,22— 0,29 % d. Trockensubstanz,
N i s h i m u r a 0,0265 0,006 0,07 0,07 % d. Trockensubstanz.
Später isolierten A s c o 1 i ^) und L e v e n e*) aus Hefenuklein auch
die Muttersubstanz des Thymins (Uracil) und das Cjrtosin.
Das am wenigsten eingreifende Verfahren zur vollständigen Ge-
winnung der Eiweißstoffe aus Hefezellen besteht in der Preßsaftdar-
stellung nach E. und H. Buchner und M. Hahn (vergl. Zymase
§ 89). Der ursprünglich schwach saure Saft hat nach E. Büchner^)
ein spezifisches Geweht von 1,027 — 1,057, einen Trockengehalt von
8,5—14,3% mit 5—6% gerinnbarem Eiweiß, 0,8—1,4% Gesamtstick-
stoff, 0,228% organischem Phosphor, 0,065% organischem Schwefel,
1,3—1,8% Asche. Schon bei 35 — 40® gerinnt ein Teil des Eiweißes,
bei höherer Temperatur erstarrt die ganze Masse. Wroblewski*)
fand im Preßsaft außer stickstoffreien Körpern (Kohlehydraten) Le-
zithin, Albumin, Globulin, Nukleinalbumin und mucinartige Körper,
Proteosen, Peptone, Tyrosin, Leucin, Glutaminsäure, Xanthinkörper
und andere Basen').
Die Bedeutung der phosphorhaltigen Eiweißstoffe ist auch für die
Bakterien festgestellt worden. So fand N i s h i m u r a (s. o.) in einem
Wasserbazillus von Xanthinbasen 0,07% Xanthin, 0,14% Guanin,
0,08% Adenin, kein Hypoxanthin in der Trockensubstanz.
Schon vor Nishimura hatte übrigens van de V e 1 d e ^) bei
der Analyse des Bac. subtilis Nuklein nachgewiesen. Lustig und
Galeotti*) stellten dann zuerst aus Pestbazillen durch Ausziehen
mit verdünnter Kalilauge in der Kälte und Niederschlagen mit Essig-
säure oder Ammonsulf at ein Nukleoproteid dar, aus dem sie
Guanin gewinnen konnten; Galeotti^®) bestimmte in einem auf
1) Zeitschr. physiol. Ch. 9.
2) Arch. Hyg. 18. 325.
3) Zeitschr. physiol. Ch. 31.
4) Ebd. 39.
5) Zymasegärung 1903.
6) Zentr. Physiol. 1898. 697; Journ., prakt. Chem. 64. 1, 1901.
7) Hier sei auf die ähnliche Zusammensetzung des von Reinke
und Rodewald (Unt. bot. Inst. Göttingen 1881) untersuchten Proto-
plasmets des Äthalium septicum, eines Schleimpilzes, hingewiesen. Analysen
von Protozoen liegen nicht vor.
8) Zeitschr. phys. Chem. 8.
9) Deutsch, med. W. 97. 226.
10) Zeitschr. phys. Chem. 25.
Chemische Zusammensetzung. 67
ähnliche Weise erhaltenen „Nukleoproteid" des Bac. ranicida den Gehalt
an Stickstoff auf 12, an Phosphor auf 1 — 1,8%. Auf Grund ihrer Studien
über die Sarcina lutea und den Bac. coli betrachten Y a u g h a n ,
W h e e 1 e r und L e a c h ^) die Bakteriensubstanz als im wesent-
lichen aus „Glykonukleoproteiden" bestehend. Freilich scheint der
Gegenstand ihrer Untersuchungen nicht gerade glücklich gewählt zu
sein, wenigstens mußte W h e e 1 e r , um überhaupt einen Eiweißstoff
aus den Leibern der Sarcina lutea zu gewinnen, sie bei 120^ mit 10 proz.
EaUlauge kochen und erhielt dabei nach Fällung mit Salzsäure und Al-
kohol nur etwa 4% der ursprünglichen Trockensubstanz, einen Körper,
der zwar 0,86% Phosphor enthielt und die Furfurolreaktion, aber
nicht einmal die gewöhnlichen Eiweißreaktionen gab. Xanthinbasen
wurde nicht hieraus erhalten, aber aus einem schwefelsauren Auszug
der Bakterien, übrigens auch nur in ganz geringer Menge. Nach C a r a -
p e 1 1 e ^) wäre auch in den Prodigiosusbazillen ein Glykonukleoproteid
enthalten.
Befriedigendere Besultate bekam Aronson^) mit Diphtherie-
bazillen. Zunächst erhielt er durch Ausziehen mit verdünntem Alkali
in der Kälte, bei 100^ und 130® und Fällen mit Essigsäure und saurem
Alkohol ziemlich viel Eiweiß (ca. 15%) neben Nukleoproteiden, die
Xanthinbasen und Pentosen abspalteten, und aus dem essigsauren
Filtrat durch Alkohol noch kleinere Mengen Nukleinsäuren, die durch
ihre Zersetzungsprodukte Xanthinbasen, Pentosen und Phosphor-
säure charakterisiert waren.
Aus Typhusbazillen will Paladino-Blandini*) ein Nuklein
und ein Nukleoalbumin isoliert haben (vgl. Gamaleia § 284).
Durch Ausziehen mit Kupferazetatlösung und weitere Behandlung
dieser Lösung stellte Iwanoff ^) aus den Milzbrand-, Pyocyaneus-
und Megatheriumbazillen ebenso wie aus Schimmelpilzen Nukleopro-
teide dar.
Stoklasa^) bestimmte (wie oben Stutzer bei Pilzen) bei
dem Stickstoff assimilierenden Azotobacter chroococcum nach Ent-
fernung der äther- und alkohollösUchen Substanzen den Gehalt an
im Hagensaft verdaulichen Eiweißstoffen und unverdaulichen „Nuk-
leinen". An ersteren fanden sich etwa 20% (14,7% N und 0,6% P),
1) Transactions of the Association of american physicians 1902, 243 ff.
2) Zentr. Bakt. 44. 440, 1907.
3) Arch. Kinderh. 30.
4) Kif. medica 1901, ref. Baumg. Jahresber. 1901, 228.
5) Hofmeisters Beitr. 1. 624, 1902.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 21. 629, 1908.
5*
68 Kap. 11, § 25.
am letzteren 80% (mit 15,8% N und 3,9% P). Die Nukleine enthielten
die Basen Guanin, Adenin und Hjrpoxanthin.
Zahlreich sind die Arbeiten über die Stickstoff Substanz des T u <
berkelbazillus. Schon Hammerschlag (vgl. Taf . I S. 52)
gelang es, mit Alkalien einen Eiweißkörper aus den Bazillen auszuziehen,
der durch Ammoniumsulfat fällbar war. v. Hof mann ^) erhielt
durch verschiedene Methoden (Ausziehen mit Wasser in der Kälte,
mit 1 Voriger Salzsäure und 2 Voriger Kalilauge) 6 verschiedene Eiweiß-
körper, die zusammen 25% der trockenen Tuberkelbazillensubstanz
ausmachten. K 1 e b s *) entfettete die Bazillen, verdaute sie mit
Pepsin und Salzsäure und zog dann aus dem Rest mit Alkalien einen
Körper aus, der sich als ein Nuklein mit 8 — 9% Phosphor erwies.
H. Buchner und M. H a h n ^) wandten die Preßsaftmethode auch
auf Tuberkel-, Typhus-, Cholera-, Milzbrandbazillen und Staphylokokken
an, scheinen aber die so gewonnenen Piasmine nicht näher untersucht
zu haben. Den größten Teil der Eiweißkörper, die durch Essigsäure in
der Kälte gefällt werden und sich im Überschuß nicht wieder lösen,
betrachten sie als Nukleoalbumin. R u p p e 1 *) führte diese Unter-
suchungen weiter, indem er nach dem Vorgange von R. K o c h *) die
Tuberkelbazillen in trockenem Zustande zerrieb, bis keine unver-
sehrten Bazillen mehr vorhanden waren. Die Substanz der verkleinerten
Bazillen löste sich jetzt etwa zur Hälfte in Wasser, der ungelöste Teil
kann durch Zentrifugierung getrennt werden. Die Lösung reagiert
schwach alkalisch oder neutral, enthält keine koagulierbaren Eiweiß-
körper imd liefert von allen Farbreaktionen der Eiweißkörper nur die
B i u r e t - Reaktion. Sie besitzt die Eigenschaft, genuine Eiweiß-
körper aus ihren Lösungen niederzuschlagen. Essigsäure erzeugt in der
Flüssigkeit eine starke Fällung, die sich in einem Überschuß der Säure
nicht löst, in verdünnten Alkalien löslich ist und die etwa 4% Phosphor
enthält und die Biuretprobe gibt. Durch Ausschütteln mit 1 prozentiger
Schwefelsäure wird sie gespalten in einen wasserlöslichen Rückstand,
der 9,4% Phosphor enthält, genuine Eiweißkörper zu fällen imstande
ist imd sich auch sonst als eine Art Nukleinsäure erweist, R u p p e 1 s
Tuberkulinsäure®), tmd ein phosphorfreies Produkt, das aus
1) Wien. klin. Woch. 1894, 38.
2) Zentr. Bakt. 20. 488.
3) Münch. med. Woch. 1897. 1344.
4) Zeitschr. physiol. Chem. 26, 1899.
5) Deutsch, med. Woch. 1897. 14.
6) Ruppel und Kitashima spalteten neuerdings (bei Behring
Diphterie in Colers Bibliothek 1901, 92) die Tuberkulinsäure weiter in
Tuberkulothyminsäure und das kristallinische Tuberkulosin, das dem
Thymin ähnelt und wie alle anderen Präparate giftig ist ( § 304),
Chemisohe 2usamxneilBetzung. 69
der schwefelsanren Losung durch absoluten Alkohol niedergeschlagen
wird, in warmem Wasser löslich ist, durch Barytwasser von der Schwefel-
saure geschieden und durch Alkohol als freie Base, die den Protaminen
gleicht (Kuppeis Tuberkulosami n), erhalten werden kann.
Neben dieser Nukleinsaure-Protaminverbindung, die durch Essigsäure
aus dem Tuberkelbazillenauszug niedergeschlagen wird, ist in diesem
Nukleinsäure, die durch salzsäurehaltigen Alkohol gefällt wird, noch
in freiem Zustande vorhanden. Aus den ausgelaugten Bazillenkörpern
kann man durch sehr verdünnte Alkalien Stoffe ausziehen, die sich wie
Xukleine verhalten. Der Rest besteht aus Fett (s. u. § 26). Aus
den ganzen Bazillen ließen sich diese Substanzen nicht gewinnen, sie
gaben vielmehr zunächst an Sodalösung und Wasser in der Kälte und
Wärme pseudomucinähnliche^) Stoffe (ca. 15%) und nach
dieser Behandlung und gründlichen Entfettung an 5 prozentiges 61y-
zerinwasser erst bei 150* Albumosen in größerer Menge (18 — ^20%) ab.
Aus den Lösungen fällt beim Abkühlen eine geringe Menge gänzlich un-
löslicher Substanz aus, die merkwürdigerweise sehr giftig ist. Wieder-
holte Behandlung mit Glyzerinwasser entzieht den Bazillen noch 6 bis
8% Albumose. Die übrigbleibenden Bazillenleiber (45%) enthalten noch
ziemlich viel Fett und außerdem Stoffe, die sich erst in konzentrierter
Salzsäure lösen und die dem Keratin oder Chitin nahe zu stehen scheinen
(§27).
Die quantitativen Verhältnisse^) ergeben sich aus folgenden Zahlen :
In 100 g scharf getrockneter Tuberkelbazillen sind nach R u p p e 1
enthalten 8 5 ^ Tuberkulinsäure,
24,5 „ Nukleoprotamin,
23,0 „ Nukleoproteid (Nuklein),
26,5 „ Fett und Wachs,
9.2 „ Asche,
8.3 „ Albuminoide, Keratin usw.
Albumosen und Spuren von Peptonen wurden schon von K ü h n e ^)
neben Albimünaten im Koch sehen Tuberkulin gefunden, sie ent-
stammten hier freilich zum größeren Teil oder auch ganz dem Nähr-
boden, und jener kleinere Teil wieder brauchte auch in den Bazillen-
leibem nicht vorgebildet, sondern konnte aus komplizierten Eiweiß-
körpem durch die eingreifende Behandlung abgespalten sein. Zu etwas
abweichenden Ergebnissen führten die Untersuchungen von de
1) Vgl. die älteren Angaben von Th. Weyl über ein „Toxomucin" des
baziUofl (Deutsche med. Woch. 1891, 256). Über echte Mucine s. u.
2) Vgl. andere Analysen der Tuberkelbazillen bei den Fetten § 26.
3) Zeitflchr. f. Biol. 30, 1894.
70 Kap. n. § 26.
G i a X a ^). Er erhielt aus den gut entfetteten ganzen Bazillen
mit Kalilauge von 0,5 — 5% und mit Glyzerinwasser bei 37® und 100®
allmählicli eine beträchtliche Menge (22 — ^24% der TrockenBubstanz)
von Eiweißkörpem, die er wegen ihrer Reaktionen als Nukleoproteide
betrachtet. Dieser Extraktionsmethode widerstand der Rest (35 — 42%
der Trockensubstanz), den er wegen seines hohen Phosphorgehalts und
der Xanthinprobe Nuklein nannte. Ähnliche Ergebnisse bekam übrigens
Barone^), der nach der Methode de Giaxas arbeitete, bei
avirulenten Diphtheriebazillen und einer Aktinomy-
zesart. Bendix') erhielt ebenso aus Tuberkelbazillen schon durch
kurzes Ausziehen mit verdünnter Natronlauge bei 60 — ^70® und Fällung
mit Essigsäure ein „Nukleoproteid'\ das unlöslich in Wasser, Säuren
und Alkohol, leicht löslich in Alkalien, resistent gegen die Pepsinver-
dauung, stark phosphorhaltig war und außerordentUch starke Pentoaen-
reaktion gab. Die letztere gelang B e n d i x übrigens auch nach Aus-
kochen mit 5 prozentiger Salzsäure, Neutralisierung und nochmaliger
Ansäuerung in dem Filtrat bei „F ä k a 1 b a k t e r i e n^^ und D i p h -
theriebazillen, nicht bei Typhusbazillen. Levene*)
arbeitete wieder mit zerriebenen Tuberkelbazillen und gewann aus
ihnen außer freier Nukleinsäure durch Ausziehen mit 8prozentigem
Ammoniumchlorid drei phosphorhaltige Körper, die sämtlich durch
verdünnte Salzsäure und Ammoniumsidfat gefällt, die ferner durch
Hitze, und zwar verschiedene Temperaturen, von 50 — 64", 72 — ^75*
und 94 — ^95** koaguUert wurden und sich außerdem durch ihr Verhalten
gegen Kochsalz- und Magnesiumsulfatlösung voneinander trennen
ließen. Der Autor betrachtet sie daraufhin als Nukleoproteide.
Schließlich sprechen A u c 1 a i r und P a r i s ^) von einem B a z i 1 1 o-
k a s e i n der Tuberkelbazillen, das sie nach gründlicher Entfettung
(§ 26) durch Erhitzung mit konzentrierter Essigsäure bei 80® und
Niederschlagen mittels Alkali gewannen.
Das Vorkommen einer Kohlehydratgruppe (Glukosamin?) in ver-
schiedenen phosphorhaltigen Eiweißkörpern der Bakterien wurde schon
oben erwähnt. (Vaughan, Wheeler und Leach, Cara-
pelle). Von Mucinbildung durch Bakterien hat man eben-
falls öfter gesprochen, H e i m ^) benennt z. B. die Kapselsubstanz der
Milzbrandbazillen so, es fehlt aber der Nachweis der Identität, und man
1) Annal. d'igien, sperim. 1900, 191.
2) Baumgartens Jahresber. 1901, 803.
3) Deutsche med. Woch. 1901, 2.
4) Joum. medic. research. 1901, 135, zit. bei Leach a. a. O.
5) Compt. rend. £ic. sc. 146. 301, 1908 imd Arch. m^. expör. 1908.
6) Münch. med. Woch. 1904, 10.
Chemische Zusammensetzung. 71
wird woU aucli hier an andere Eiweißkörper, z. B. Pseudomucine denken
können^). Ein Versuch zur Darstellung der Substanz der Milzbrand-
kapsel hat P r e i s z gemacht^). Die sulzige Bakterienmasse aus
2—3 wöchentlichen Kulturen in Pferdeserum wurde durch Kalilauge
oder Sodalösung gelöst, durch Papier, dann durch Ton filtriert und
mit Essig^ure gefällt, gewaschen und im Vakuum getrocknet. Bio-
logisch ist dieser Stoff nach P r e i s z dadurch wichtig, daß er die
Wirkung milzbrandtötender Sera aufhebt (vgl. Aggressine § 319).
In manchen Fällen ist der Bakterienschleim sicher von Kohle-
hydraten gebildet. Bei den letzteren (§ 27) und der Schleimgärung
(§ 128) wird weiter davon die Rede sein. Ein echtes Mucin soll dagegen
nach C h a r r i n und Desprez'^) in den Kulturen auf Fleisch-
bouillon (nicht in mineraUschen oder Peptonlösungen) des Bac. pyo-
cyaneus und vielleicht mancher anderen Bakterien (Staphylokokk,,
B. coh, Cholera) sich bilden, während der Bac. fluorescens, der dem
Pyocyaneus nahe verwandt ist, nach Lepierre*) auch bei Er-
nährung mit milch-, malon-, äpfel- und weinsauren Salzen, am besten
sogar mit Peptonen Mucin erzeugen soll ^). Man darf wohl annehmen,
daß dieser in den Kulturen gefundene Schleimstoff aus den Bakterien-
zellen selbst stammt.
Über das Vorkommen von Abbauprodukten oder Vorstufen der
Eiweißkörper, insbesondere Albumosen, Peptonen und Aminosäuren
in den Leibern der Mikroorganismen findet sich, außer dem wenigen,
was oben schon bei den Hefepilzen und Tuberkelbazillen erwähnt wurde,
kaum etwas in der Literatur angegeben. Trotzdem und obwohl sie gerade
in den genannten Fällen wohl im wesentlichen als Kunstprodukte zu
betrachten sind, wird man nicht fehl gehen, wenn man die beständige
Anwesenheit von derartigen Stoffen auch in den Zellen selbst für alle
Mikroorganismen annimmt. Man hat ihnen bisher nur zu wenig Auf-
merksamkeit geschenkt, und sie sind auch wohl in kleinsten Mengen als
solche in den Zellen vorgebildet. Wir werden im weiteren Verlauf der Er-
örterungbei Besprechung des Stoffwechsels, der Gifte usw. darauf zurück-
kommen. Bewiesen ist das Vorhandensein nicht unbedeutender Mengen
N-haltiger Abkömmlinge der Eiweißkörper bekanntlich für die höheren
(eBbaren) Pilze. Bei Schimmelpilzen (Mucor, Aspergillus, Penicillium) fand
1) Vgl. Hamm, Zentr. Bakt. 43. 287, 1907.
2) Ebenda 44. 209, 1907.
3) Compt. rend. ac. sc. 126, 596.
4) ibid 761.
ß) Vgl. auch R e 1 1 g e r , Joum. of. med research. 1903. Schleim-
produktion durch Bac. subviscosus Mig.
72 Kap. n, i 25 u. 26.
Marschall^) außer den Eiweißkörpern noch beträchtliche Mengen
wasserlöslicher Extraktivstoffe mit einem N-Glehalt von ca. 6 — S%
Es ist zweifelhaft, um was es sich dabei gehandelt hat, wahrscheinUch
waren es zum größten Teil nur Kunstprodukte, die bei der Löslich-
machung der Eiweißkörper aus deren Zerfall gewonnen wurden. Bei
der Analyse von Mikroorganismen ist femer nicht zu vergessen, daß
dieselben bei der Selbstverdauung (§ 166) aus Eiweißstoffen einfache
N - haltige liefern können.
Noch fast gar nicht studiert ist bisher die feinere Zusammen-
setzung der bakteriellen*) Eiweißkörper nach den von E. Fischer
angegebenen Methoden. Nur London und R i v k i n d^) geben an,
daß sich die Eiweißstoffe der Tuberkelbazillen, wie es ja schon aus
den Analysen B u p p e 1 s wahrscheinlich war, den sonst bekannten,
mit mittlerem Diaminosäurengehalt nähern. Es wäre wichtig, diese
Erfahrungen zu erweitern und namentlich festzustellen, wie sich die
Zusammensetzung des Bakterien- und Pilzeiweißes mit der Ernährungs-
weise ändert, ob z. B. die einseitige Ernährung mit diesen oder jenen
Aminosäuren auf sie einen Einfluß hat.
Aber auch davon abgesehen weisen die bisherigen Untersuchimgen
noch zahlreiche Widersprüche und Lücken auf. Es fehlt vor allem an
einer systematischen Vergleichung möglichst verschiedener Mikroben-
arten unter Benutzung der einzelnen bisher empfohlenen Methoden.
Noch nicht aufgeklärt sind ferner die Beziehungen, in denen das Ver-
halten der Bakterien gegen die Gramfärbung und die damit nach
unserer Darstellung (s. o. § 18) parallel gehende Widerstandsfähigkeit
gegen Verdauungsfermente, Alkalien, Serumbakteriolyse usw. einer-
seits und die Zusammensetzung des Protoplasmas andererseits stehen.
Etwas mehr wissen wir über die Beziehungen zwischen Säurefestig-
keit der Mykobakterien und ihrem Fettgehalt (§ 26). Daß die Natur
der mikrochemisch nachweisbaren Inhaltsbestandteile, z. B. des
Meyer sehen Volutins uns noch ziemlich unbekannt ist, wurde schon
erwähnt (§ 22).
Die chitinartigen N-haltigen Stoffe und N-haltigen Fette (Lezithin)
werden weiter unten bei den Kohlehydraten imd Fetten (§ 26, 27)
besprochen werden, die stickstoffhaltigen oder mindestens von stick-
stoffhaltigen, meist sogar eiweißähnlichen Beimengungen nicht zu
trennenden Enzyme, Gifte, Angriffs- und Impfstoffe, ferner die Pig-
mente, in besonderen Kapiteln.
1) Arch. Hyg. 28.
2) Über Hefe s. o. Nägeli und Low, Schröder, Wroblewski.
3) Zeitschr. physiol. Chemie 56, 550.
Chemische Zusammensetzung. 73
§ 26. Fette, Cholestearin, Lezithin, Wachs usw. Daß den
Mikroorganismen regelmäßig ein gewisser Fettgehalt zukommt, haben
wir schon aus Taf. I u. III (S. 53 u. 55) ersehen. Manchmal läßt sich das
Fett sogar schon mikroskopisch in Tröpfenform durch mikrochemische
Reaktionen erkennen (§ 22). Über die chemische Beschaffenheit des
Fettes geben verschiedene Arbeiten Aufschluß. N ä g e 1 i und Low
(Taf. I) fanden in der Hefe ein bei gewöhnhcher Temperatur flüssiges,
vollständiges verseifbares Fett, das sie deshalb als zum größten Teil
aus Ölsäure bestehend betrachteten. Lezithin, das Hoppe-Sey-
ler^) festgesteUt hatte, konnten sie nicht nachweisen, wohl aber ge-
ringe Mengen Cholesterin. Hinsberg und B o o s ^) fanden vor
kurzem im Ätherauszug der Bierhefe neben zwei Cholesterinen und
einem ätherischen öl eine gesättigte Fettsäure von der Formel CuHg^Og,
eine imgesattigte Säure C^^HgjOg und eine Säure von der Zusammen-
setzung der Ölsäure. Das C e r o 1 i n , das neuerdings an Stelle der
Hefe selbst als Heilmittel gegen Furunkulose gebraucht wird, ist nichts
anderes als das Fett der Hefe ^). S i e b e r (Taf. I) fand in dem äthe-
rischen Auszug von Schimmelpilzen nicht nur „Fett", sondern
auch Farbstoff imd in geringer Menge eine kristallinische Substanz,
die er nicht näher bestimmen konnte, die aber hauptsächlich von
Alkohol aufgenonmien wird und auch in Wasser gut löslich ist. Auch
machte er das Vorhandensein von Lezithin wahrscheinlich durch Dar-
stellung von Phosphorsäure und eines Platindoppelsalzes aus dem
Atherextrakt. Marschall (Taf. I) beschreibt den Ätherextrakt
aus Schimmelpilzen als zähflüssig, den Alkoholextrakt als harz-
artig. Es mag hier daran erinnert werden, daß höhere Pilze oft
sehr große Mengen von Harzen teils ausscheiden, teils in den Zell-
häuten oder im Zellinhalt ablagern (Zop f). Auch Fettfarb-
Stoffe (Lipochrome) werden von ihnen häufig gebildet, fehlen aber
auch den Bakterien nicht (Kap. XV).
Aus Fäulnis bakterien stellten schon N e n c k i und Schaf-
fer (Taf. I) ein Fett dar, das bei gewöhnhcher Temperatur fest war
und 72,5% C und 11,7% H enthielt. Sie schUeßen aus dem etwas
niedrigen Kohlenstoffgehalt, daß außer Fett noch andere kohlenstoff-
ärmere Substanzen in geringer Menge beigemischt waren. C r a m e r^)
fand in dem Ätherextrakt seiner Eapselbazillen ein Fett, das fast
weiß war und nicht viel über 40* C schmolz, also auch wohl vorwiegend
1) ZeitBchr. physiol. Chem. 2 und 3.
2) Ebenda 38, 1903.
3) Hinsberg und R o o s , Münch. med. W. 1903, 28~-29.
4) Arch. Hyg. 16.
74 Kap. II, { 26.
Olein, und zwar umsomehr, je reicher der Gehalt des Nährbodens an
Traubenzucker war. Der viel beträchtlichere Alkoholeztrakt stellte
eine gelbbraune Masse dar, die sich im Wasser fast gar nicht, in ver-
dünnter Natronlauge und wenig Alkohol leicht löste. Auch das Fett,
das Dzierzgowski und Rekowski (Taf . I) aus Diphtherie-
bazillen auszogen, hatte eine ähnüche Zusammensetzung, es schmolz
schon bei 37,5®. Cholesterin fehlte. Auch A r o n s o n^) beschreibt
das Fett der Diphtheriebazillen ähnlich. Die Ölsäure selbst neben
Palmitin- und Stearinsäure gewann Nishimura (Taf. I) aus dem
Ätherextrakt seiner Wasserbazillen, außerdem noch beträchtlicbe
Mengen von Lezithin (0,68% der Trockensubstanz), dagegen Chole-
sterin nur einmal in Spuren. Stoklasa (Taf. I) schließt aus den
Phosphorgehalt im Äther- Alkoholextrakt des Azotobacter chroococeum,
daß der größere Teil desselben aus Lezithin bestehe. Daß auch
zahlreiche andere Bakterien Lezithin enthalten, ist aus der nach dem
Phosphorgehalt geordneten Taf. III (S. 55), die einer Arbeit von
N i c o 1 1 e und Alilaire entnommen ist, zu ersehen.
Besonders zahlreich sind die Untersuchungen über das Fett der
Tuberkelbazillen, das in ihnen, wie wir schon gesehen, sehr reichlich
enthalten ist. Der erste Autor, dem diese Tatsache auffiel, Ham-
merschlag (Taf. I), wies auch darauf hin, daß die Fettsäuren
des Tuberkelbazillenfettes erst bei höherer Temperatur (63*) schmolzen,
also wesentlich aus Palmitin- und Stearinsäure beständen. Auf das Vor-
handensein von Lezithin schloß er aus dem Phosphorsäuregehalt des
mit Bariumhydroxyd veraschten Fettes. Cholesterin schien zu fehlen.
Klebs^) hatte etwas andere Resultate; er erhielt durch Ausziehen
mit Äther 20,5% der Trockensubstanz als ein festes, rotgefärbtes Fett,
das bei 42 • schmolz und außerdem durch Benzol 1,14% als eine in
Äther unlösliche weiße Masse, die jenseits 50* schmolz. Gleichzeitig
wies K 1 e b s darauf hin, daß die Säurefestigkeit der ge-
färbten Tuberkelbazillen auf ihrem Gehalt an Fett beruhe. Das Fett
gibt die Reaktion gerade so wie die ganzen Bazillen, und die ent-
fetteten Bazillen geben die Reaktion nicht mehr. Später ist diese Be-
obachtung wiederholt bestätigt worden, namentlich von Koch,
A r o n 8 o n und de G i a x a ^), ohne daß dadurch aber über die Natur
der säurefesten Substanz völlige Klarheit geschaffen worden wäre.
R. K o c h ^) fand in den Tuberkelbazillen das Fett in Form un-
gesättigter Säuren, und zwar ließ sich ein Teil schon in der Kälte durch
1) Arch. Kinderheilk. 30.
2) Vgl. Lit. in § 25, S. 68 ff.
3) Deutsche med. Woch. 1897, 14.
Chemische Zusammensetzung. 75
verdünnten Alkohol, der andere erst in der Siedehitze durch absoluten
Alkohol oder Äther ausziehen. Beide nehmen die spezifische Bazillen-
färbung an. Bei Behandlung mit heißer Natronlauge sieht man, wie
das Fett tropfenförmig aus den Bazillen austritt, die dann schließUch
nicht mehr die spezifische Färbung geben.
A r o n s o n^) erhielt aus den Tuberkelbazillen durch Äther-
Alkohol 20 — 26% des Trockengewichts als eine gelbbraune, zähe Masse,
im ganzen aus mehreren hundert Litern Kultur 70 g Substanz. Sie
bestand zu 17% aus freier Fettsäure, die zum größten Teil in Alkohol
löslich war, und sonst aus Wachs, d. h. aus Estern von Fettsäure und
höheren, im Wasser unlösHchen Alkoholen, welche letztere durch
Kochen mit alkoholischer Kalilauge abgeschieden wurden, in Äther,
Petroläther und Aceton löslich waren und beim Kochen mit Essig-
saureanhydrid unter Bildung eines Essigsäureesters sich lösten. Die
Reaktion auf Cholesterin versagte. A r o n s o n ist der Meinung, daß
die Hauptmenge des Tuberkelwachses nicht in den Leibern der Bazillen
selbst, sondern als ein Sekretionsprodukt zwischen ihnen
liege. Dieses extrabazillare Wachs werde zimächst bei der Ätherbehand-
lung entfernt, nur teilweise das intrazelluläre. Daher bleibe vorläufig
die Säurefestigkeit bei der Mehrzahl der Bazillen bestehen.^) Ähnlich
waren die Befunde von de G i a x a.
R u p p e 1 (§ 25) unterscheidet in den Tuberkelbazillen drei Arten
von Fett: Das erste, etwa 8%, löst sich in kaltem Alkohol, ist salben-
artig, rot, enthält viel freieFettsäure und schmilzt bei 55 — 60®,
das zweite wird durch heißen Alkohol den Bazillen entzogen, es ist
farblos, wachsartig, schmilzt bei 65® und läßt sich nur sehr
schlecht verseifen.*) Der dritte Anteil, der durch Äther ausgezogen
1) Berl. klin. Woch. 1898, 484.
2) Setzt man in geringer Menge Salzsäure zu dem Äther-Alkohol-
gemisch, so geht die Säurefestigkeit schnell verloren. A r o n s o n erklärt
das dadurch, daß die Saure die Hülle der Bazillen durchgängiger mache.
Grimme (Zentr. Bakt. 32) findet aber, daß Tuberkel- und Thimothee-
bazillen nach dreitägigem Aufenthalt in 0,5%iger Salzsäure oder nach
einer 10 Min. währenden Einwirkung von Javelle-Lösung vollständig oder
größtenteils ihre Säurefestigkeit einbüßen. Der färbbare Stoff könne also
kein Fett sein, wenn er sich auch durch Fettextraktionsniittel (namentlich
Xylol) entfernen lasse. Zu den Eiweißkörpern, wie Hammerschlag
meint, scheine die Substanz ebensowenig zu gehören, da Verdauung mit
Trypsin sie nicht zerstöre. Vgl. aber über Säurefestigkeit B u 1 1 o c h und
Macleod, Auclair und Paris weiter unten im Text und H e 1 -
b i n g ( { 27) beim CHiitin.
3) Levene (Joum. med. research 1904, 251) findet den Schmelz-
punkt des durch heißen Alkohol aus den gepulverten Bazillen ausgezogenen
und dann mit kochendem Benzol aufgenommenen Fettes bei 55 — 60®.
Auch ihm gelingt die Verseifung nicht.
76 Kap. n, § 26.
wird, sclimilzt bei 65 — ^70®, ist "wachsartig und gibt aach beim
Erwärmen einen dem Bienenwachs ähnlichen Geruch. Im
ganzen betrug die Fettmenge 8 — ^26% der Trockensubstanz. Einen
guten Teil des Fettes kann man den Bazillen erst entziehen, nachdem
sie bei 150^ gekocht worden sind.
Die ausführlichste Arbeit über das Fett der Tuberkelbazillen ver-
danken wir K r e s 1 i n g^). Aus seinen Versuchen wäre nach ihm
„zu ersehen, daß das Fett der Tuberkelbazillen eine ganz- ei gen-
artige Substanz darstellt, welche keinerlei Ähnlichkeit mit
irgendeinem anderen Fett oder Wachs aufweist. Es handelt sich hier
eher um ein Gemisch, zusammengesetzt aus freien
Fettsäuren, Neutralfetten, Fettsäureestern und
höheren Alkoholen (Lezithin, Cholesterin) und
außerdem einer großen Menge von Extraktiv-
stoffen, welche in Wasser unlöslich, aber in Äther, Alkohol, Chloro-
form oder Benzol löslich sind, und welche beim Erwärmen zum Teil
zerfallen, um in Wasser lösliche Produkte zu bilden. Die Menge solcher
Produkte bildet, zusanmien mit den wasserlöslichen Fettsäuren, dem
Glyzerin ( ?), dem Cholin und dem ähnlichen, 25,764% des gesamten
Fettes." Die freien Fettsäuren betragen 14,38%, die Neutralfette und
Fettsäureester 77,25%, die aus den letzteren abgeschiedenen Alkohole
(mit dem Schmelzpunkt 43,5—44») 39,10%, das Lezithin 0,16% der
durch Chloroform aus den Bazillen gewonnenen Substanz. Die Menge
des Cholesterins und die der Fettsäuren überhaupt (mit dem Schmelz-
punkt 53,5) wurde nicht bestimmt. Im Mittel von 4 Bestimmungen
betrug die Gesamtmenge der Fettsubstanz 38,95% des Trocken-
gewichts der Bakterien.
Ähnlich hohe Fettzahlen wie Kresling erhielten auch noch
de G i a X a (a. a. 0.), B a u d r a n (s. u.), de Schweinitz und
D o r 8 e t ^), imd zwar die letzteren am meisten — 37,4% — bei einem
stark abgeschwächten, d. h. lange künstlich kultivierten Stamme von
menschlicher. Tuberkulose, am wenigsten — 20,6% — bei Bazillen
vom Schweine, mittlere Mengen von 26,3 bis 30,8% bei Bazillen vom
Rinde, Menschen, Huhn und Pferd. Dieselben Autoren hatten schon
früher^) aus den Schmelzpunktbestimmungen geschlossen, daß der
Tuberkelbazillus außer etwas flüchtiger Fettsäure Palmitin-, Arachin-
und Laurinsäure, der Rotzbazillus Olein- und Palmitinsäure
enthalte; ferner hatten sie aus Kulturen der Tuberkelbazillen auf
1) Zentr. Bakt. 30. 24.
2) Zentr. Bakt. 32. 3.
3) Zentr. Bakt. 19. 707 und 22. 209.
Chemische Zusammenfassung. 77
Asparagin-Nährlösungen eine kristallinische Säure von der Formel
C-H^qO^ dargiestellt, die also der Teraconsäure entspricht (vgl. Gifte,
§260).
Nach einer Untersuchung von B u 1 1 o c h und Macleod^)
sind den Fettsauren (Olein-, M3rristin-, Laurinsauren) und ihren Fetten
Lipochrome (Fettfarbstoffe) und Fettsaureester eines höheren Alkohols
beigemengt, dessen Zusammensetzung noch nicht feststeht, der aber
dadurch interessant ist, daß er die Säurefestigkeit der Tuberkelbazillen
bedingt (s. o.). Der Alkohol wird aus trockenen Tuberkelbazillen, die
vorher mit Methylalkohol und alkoholischer Kalilauge ausgekocht sind,
durch Ausziehen mit Petroläther erhalten. Die nähere Darstellungs-
weise muß im Original nachgelesen werden.
Die Analysen Baudrans^) führten zu folgendem Ergebnis:
Die Trockensubstanz der Tuberkelbazillen soll enthalten:
Fettstoffe 36-44%
und zwar Cholesterin 5 — 7%
Stearin 15—18%
Olein . 10—12%
Lezithin 6—7%
femer Cellulose 3,6—5,5%
Nuklein 3-4%
Eiweißstoffe 50—56%
Eisen 0,006—0,008%
Mangan Spuren
Auclair und Paris') weichen von den meisten vorstehenden
Forschem dadurch ab, daß sie die Säurefestigkeit der Bazillen auch
nach vollständiger Entfernimg der Fett- und Eiweißstoffe durch Be-
handlung mit Alkohol, Äther und Chloroform, sowie Auskochen mit
Kali in dem zellulosehaltigen Kest^) fortbestehen sehen. Danach
wären alle diese Stoffe an der Säurefestigkeit beteiligt.
Einen physiologisch sehr wichtigen Bestandteil, das sogenannte
Tuberkulo-Nastin, trennte D e y c k e ^) von den übrigen
Fettstoffen der Tuberkelbazillen, die er als ein Gemisch von Neutral-
fetten und hochmolekularen Alkoholen auffaßt. Es soll identisch
mit dem früher von ihm und Keschad-Bey*) aus einem säure-
1) Joum. of hyg. 1904, 1.
2) Compt. rend. ac. sc. 142. 667, 1906.
3) Ebenda 144. 278, 1907.
4) Vgl. S 27.
5) Lepra. Bibliotheca international is 7, 188, 1907-.
6) Deutsch, med. Woch. 1907, 3.
78 Kap. II, S 27.
festen Strahlenpilz (Aktinom. oder Streptothrix leproides) dargestellten
N a s t i n , mit dem bei der Behandlung der Lepra große Erfolge er-
zielt worden sind, und ein Neutralfett vom Schmebspunkt 48 — 51^
sein. Am wirksamsten ist das Nastin in einer Lösung von Benzoyl-
Chlorid, das sich übrigens auch nach der Angabe D e y c k e s ganz
besonders als Lösungsmittel für alle Fettstoffe der säurefesten Bazillen
empfiehlt.
§ 27. Kohlehydrate und Membranstoff e.^) Von Kohlehydra-
ten, insbesondere Hexosen und Pentosen, als Bestandteilen der Mikro-
organismenleiber war schon im § 25 die Rede, doch handelte es sich da
nur um solche, die aus Glyko- und Nukleoproteiden, Muzin und Nuklein-
säuren entbunden werden können, hier haben wir uns mit den freien
Kohlehydraten des Zellkörpers zu beschäftigen. In erster Linie inter-
essiert uns die Frage, ob den Mikroorganismen, wie den eigentlichen
Pflanzen echte Cellulose als Membranbestandteil zukommt oder
nicht. Die Antwort lautet verschieden je nach dem untersuchten
Material und dem untersuchenden Autor. De B a r y ^) hatte schon
für die echten Pilze angegeben, daß sie sich ungleich gegenüber den
mikrochemischen Cellulosereaktionen verhielten. Die Zellenmembran
vieler Algenpilze färbt sich mit Chlorzinkjodlösung violett, mit
Jod und verdünnter Schwefelsäure blau imd löst sich sowohl in Kupfer-
oxydammoniak als in konzentrierter Schwefelsäure, wäre danach als
echte Cellulose anzusprechen. Bei den Mycomyceten, zu denen
die meisten Schimmel- und die Hefepilze gehören, erhält man meist
die Reaktionen nicht oder nur zeitweise, z. B. bei jungen Membranen.
De B a r y schreibt ihnen deshalb eine besondere Modifikation des
Zellstoffs, die P i 1 z c e 1 1 u 1 o s e zu, die sich durch den Mangel der
Farbreaktionen und der Löslichkeit in Kupferoxydammoniak aus-
zeichnen soll. S i e b e r (Taf. I, S. 52) scheint diese Substanz in Händen
gehabt zu haben, ebenso Marschall (ebenda), beiden Autoren fiel
aber auf, daß der größte Teil der stickstofffreien Schimmelpilzsubstanz
beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure gelöst wurde, also keine
echte Cellulose sein konnte (s. u. bei Hemicellulose). Marschall
unterließ es übrigens, die Löslichkeit des Rückstands in Kupferoxyd-
ammoniak zu prüfen, und bezeichnete wohl nur deshalb die erhaltene
Substanz als echte Cellulose. Für die Hefe besitzen wir Unter-
suchungen von Schloßberger, Liebig, Nägeli und Low,
Salkowski*) u. a. Nach den meisten Forschern läßt sich die
1) Über die Membran der Bakterien vgl. Kap. I, § 2, 6 und 20.
2) Morph, u. Phys. der Pilze etc. in Hofmeisters Handb. Leipzig, 1864.
3) Arch. exp. Path. 13. 537.
Chemische Zusammensetzung. 79
Hefencellulose nicht vollständig vom Stickstoff befreien und geht
durch Kochen mit verdünnter Schwefelsäure zum größten Teil in Zucker
über, während der Best in Eupferoxydammoniak unlöslich ist. Auch
Salkowski findet Unterschiede von der gewöhnlichen Cellulose:
die von ihm Membranin benannte Substanz geht durch lang-
dauerndes Kochen mit Wasser schon teilweise in Lösung und läßt
sich aus dieser Lösung durch Alkohol als ein dem tierischen Glykogen
sehr ähnlicher Körper gewinnen. Später^) unterscheidet derselbe Autor
neben Hefengummi (s. u.) noch lösliche Erythrocellulose, die sich mit
Jod braun färbt und mit verdünnten Säuren Dextrose liefert, und
unlöshche Achroocellulose, die sich in Jod nicht färbt und mit Säuren
Dextrose und Mannose liefert. Die letzten Untersucher, M e i g e n
und Spreng'), kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Nach Ent-
fernung des Hefegummis durch Kochen mit 3 prozentiger Kalilauge
und Fällen mit Fehlingscher Lösung ließ sich durch Kochen mit 15 pro-
zentiger Kalilauge ein „Dextran'\ das sich von Hefegummi durch
das spezifische Drehungsvermögen und das Fehlen einer Verbindung
mit dem Kupfer der Fehlingschen Lösung unterscheidet, und ein un-
lösUcher Rückstand, „Mannosodextran^\ gewinnen. Beide sind in
der Hefe in der Form von Hemicellulose enthalten (s. u.). Echte Cellu-
lose fehlt dagegen, ebenso Chitin. Van Wisselingh^) versuchte
vor allem auf mikrochemischem Wege der Aufgabe beizukommen.
Nach ihm lassen sich durch Erwärmimg in Glyzerin bis auf 300^ in
kurzer Zeit sehr viel beigemengte Stoffe aus der Zellwand entfernen,
während die Cellulose zurückbleibt und durch die bekannten Reak-
tionen erkannt werden kann. Auf diese Weise fand der Autor echte
Cellulose nur bei Myxomyceten, Per onosp or e en
und Saprolegniaceen, nicht bei 100 anderen Pilzen aller
Ordnungen, z. B. Mucor, Penicillium, Aspergillus, auch weder bei
Saccharomyces, noch bei Bac. megatherium, mesentericus, fluorescens
putidus, violaceus usw. Es ergab sich dabei, daß die Wände der Bak-
terien und Hefe die Erwärmung in Glyzerin nicht aushalten, die der
Bakterien auch nicht die Erwärmung in konzentrierter Kalilauge (§ 13),
die nach Hoppe-Seyler und Lange bei 180® die Cellulose
unberührt läßt (s. u. beim Chitin). Allerdings entspricht dies Resultat,
was die Bakterien anlangt, nicht ganz den Feststellungen der übrigen
Untersucher, so vermißten zwar Vandevelde und Vincenzi
(Taf. I, S. 52) bei Heubazillen, N i s h i m u r a ^) bei Wasserbazillen
1) Ber. ehem. Ges. 27. 3326.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 66, 1908.
3) Jahrb. wiss. Bot. 31.
4) Areh. Hyg. 18 und 21.
80 Kap. II, § 27.
und Tuberkelbazillen die Cellulose, aber Hammerschlag (Taf. 1)
fand sie in beträcbtliclier Menge in Tuberkeibazillen, Dreyfus^)
wenigstens Spuren davon in Eiter- und Heubazillen. D z i e r z •
g o w 8 k i und Rekowski (Taf. I) bestimmten sogar 28% Cellu-
lose in den Diphtheriebazillen. Alle Reaktionen der Cellulose erhielten
ferner N ä g e 1 i und Low*) mit dem Schleim der Essigmutter und
B r o w n ^) mit dem wohl identischen des Bact. xylinum. Danach
darf an der Fähigkeit einzelner Bakterien, Cellu-
lose zu bilden, nicht gut gezweifelt werden. Inter-
essant ist die Beboachtung Halliburtons*), daß auch die Kolo-
nien des Infusoriums Ophrydium versatile eine Hülle besitzen,
die aus Cellulose besteht.
In einer Anzahl von Fällen, die teilweise schon erwähnt worden
sind (Nishimura, Aronson), löste sich allerdings die cellu-
loseartige Substanz beim Kochen in verdünnter Säure und gab dabei
reduzierenden Zucker, entsprach also der sogenannten Hemicellu-
lose E. Schulzes^). Nishimura stellte das z. B. für seinen
Wasserbazillus, ferner für den Bac. prodigiosus, den Staphylococcus
pyogenus citreus und die Tuberkelbazillen fest. Der Autor hält es aber
für möglich, daß der Cellulosegehalt tuberkulöser Organe, auf den
zuerst E. Freund®) hingewiesen hat, auf einer Umwandlung der
in den Tuberkelbazillen enthaltenen Hemicellulose in echte Cellulose
beruhe. Die Ergebnisse von M e i g e n und Spreng über die Hemi-
cellulose der Hefe wurden schon erwähnt. Unseres Erachtens ist aus
den widerstreitenden Ergebnissen der verschiedenen Forscher viel-
leicht zu schließen, daß Übergänge dieser Substanzen ineinander
häufiger vorkommen.
Dasselbe gilt auch von den Schleimstoffen und Gummi-
arten, die mehrfach aus den Mikrobenkörpern dargestellt worden
sind. Der Hefeschleim wurde zuerst von N ä g e 1 i und Low
genau untersucht. Er läßt sich durch wiederholtes langdauemdes Aus-
kochen der Hefepilze mit Wasser erhalten, durch Fällen mit Bleiessig
von Peptonen befreien und mit heißem Alkohol fällen. Er reduziert
F e h 1 i n g sehe Lösimg nicht, zum Unterschied von Dextrin, und
1) Zeitschr. physiol. Chem. 18.
2) Journ. pr. Chem. 17.
3) Ref. Ber. chem. Ges. 20. 580,
4) Quarterly Journ. microsc. sc. July 1885.
5) Zeitschr. physiol. Chem. 14 luid 16.
6) Jahrb. der Gesellsch. Wiener Ärzte 28. Über die Zunahme der
,,Rohf€töer** im Baumwollensaatmehl durch Wucherung der Heubazillen
vgl. König, Spieckermann und O 1 i g § 130.
Chemissche Zusammensetzung. Sl
wird durch Säuren nur langsam verzuckert. Mit Gerbsäure gibt er
keinen Niederschlag, ebenso wenig mit Borax oder Bleiessig (zum Unter-
schied von gelöster Stärke, Arabin und Dextrin). Er ist schwach
rechtsdrehend, wird mit Jod braun gefärbt und durch Salpetersäure
nicht zu Schleimsäure, sondern zu Zucker- und Oxalsäure oxydiert*
Die Formel CigHg^Oj^ entspricht der Analyse am besten. W e g n e r ^)
erhielt freilich durch Kochen mit Kalkmilch aus Hefe einen Gunmii,
der stark rechts drehte und anscheinend mit Scheiblers Dextran
identisch war; nach Hessenland ^) wäre er aber vom Dextran
nicht nur durch die etwas abweichende Drehung, sondern auch da-
durch verschieden, daß er bei der Hydrolyse Mannose, das Dextran
Dextrose ergäbe. Der Hefegummi hätte ferner die Zusammensetzung
CjgH^jOji, ^^ Dextran O^Hj^Og. Nach M e i g e n und Spreng
(s. o.) sind die Präparate von Hessenland und N ä g e 1 i und
Low Gemische, aus denen durch Fällen mit F e h 1 i n g scher Lösung
die Gummikupferverbindung und durch Zersetzung in Salzsäure,
nochmaliges Fällen mit Alkohol der Hefegummi rein zu gewinnen ist.
Ebenso läßt er sich durch das Salkowski sehe Verfahren, nämlich
durch kurzes Auskochen mit 3 prozentiger KaUlauge und Fällung mit
F e h 1 i n g scher Lösung erhalten. Er ist in der Tat nach der Formel
Hessenlands zusammengesetzt, hat das spezifische Drehungs-
vermögen 89,6® und ist ein Dextromannan, in dem doppelt so viel
Mannan wie Dextran enthalten ist. Dextran hatte schon vorher
Scheibler') als Hauptbestandteil der Gallerte des Leuconostoc.
mesenterioides nachgewiesen. Wir werden auf diese und andere
Schleimstoffe, die mehr als Sekrete, denn als Bestandteile der Zellen
anzusehen sind, bei den Schleimgärungen (§ 128 u. 129) zurückkommen.
Stärke ist bisher bei den echten Pilzen nicht gefunden, wohl
aber durch die Jodreaktion bei nicht wenigen Bakterien nachgewiesen
worden, so beim Jodococcus vaginatus und anderen Mundbakterien
(Miller^), bei vielen EssigbsJ^terien ^) (Bact. pasteurianum und
kützingianum Hansen), dem Vibrio Rugula, beim Clostridium butyri-
cum Prazmowski, Granulobacter Beijerinck und Amylobacter van
Tieghem, aber auch gelegentUch bei allen anderen Anaerobiern ^), bei
1) Kochs Jahresber. 90. 33.
2) ibid. 92. 67. Vgl. auch Salkowski, Ber. ehem. Gesellsch. 27,
497 und 925.
3) Zeitflchr. verein. Rübenzuckerindustrie 1874,
4) Mikroorganismen der Mundhöhle 1892.
5) Vgl. Beijerinck. Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 209, 1898, Henne-
b e r g tmd H o y e r ebenda 4. 14 und 867, Hansen, Kochs Jahresber*
1900, 299, A. Meyer, Ber. bot. Gesellsch. 1901, 428,
6) Vgl. S 130.
Kruse, Mikrobiologie. Q
82 Kap. II, f 27.
denen sein Auftreten augenscheinlich mit der Bildung von Bläh- oder
Clostridienf ormen zusammenhängt (von Hibler, Graßberger
und Schattenfroh). Aber auch nicht sporenbildende Aerobier,
wie z. B. bac. coli geben manchmal die Reaktion^). Beiierinck^)
konnte aus seinem Granulobacter butyricum durch längeres Kochen
mit Wasser Stärke ausziehen, allerdings nur so wenig, daß sich das
Wasser gerade mit Jod bläute. Bei sehr langem Kochen mit Säuren
verschwindet die Granulöse, und man findet Dextrin und Zucker
in der Lösimg. Viel leichter geschieht diese Umwandlung durch diasta-
tisches Ferment. Es kann also, auch von der Jodreaktion abgesehen,
kaum einem Zweifel unterliegen, daß wir es hier mit einem reduzierenden
Kohlehydrat, wahrscheinlich mit Stärke, zu tun haben. Arthur
M e y e r ^) hat darauf aufmerksam gemacht, daß manche Bakterien
sich mit sehr wenig Jod blau, mit mehr rotbraun färben, und schließt
daraus auf einen geringen Gehalt an Stärke und einen hohen Gehalt
an Glykogen oder Amylodextrin. Rote Färbungen sind auch schon
früher und später neben oder statt der blauen vielfach beobachtet
worden. Auf die Bildung dieser Stärke und stärkeähnlichen Stoffe
kommen wir später noch zurück (§ 130). Meist handelt sich um aus-
schließUch intrazellulare Erzeugnisse, indessen bei den Essigbakterien
bekommt man die Jodreaktion, und zwar sogar vorwiegend, ähnlich
wie die Zellulosereaktion bei dem verwandten Bact. xylinum (s. o. S. 80)
— in dem die Bakterien zusammenhaltenden und die Decke auf der
Flüssigkeit bildenden Schleim.
Glykogen wurde in Pilzfäden zuerst gesehen von de B a r y
als stark lichtbrechende Substanz, die durch Jodjodkalium schön rot-
braun gefärbt wurde. E r r e r a *) stellte diesen Stoff aber erst dem
tierischen Glykogen gleich und gewann ihn in größerer Menge aus
einigen höheren Pilzen. Laurent^) bestimmte, allerdings nicht auf
ganz einwandfreie Weise, den Glykogengehalt der Hefe und fand bis
zu 20% des Trockengewichts. Clautrian*) erhielt eine Glykogen-
lösung aus Hefe dadurch, daß er die Zellen mit Quarz zu Pulver zerrieb,
mit schwach alkalischem Wasser auskochte und die schleimige Lösung
1) Vgl. Graßberger, Passini, Arch. Hyg. 48. 42.
2) Verh. Koninkl. Akad. Wetensch. Amsterdam 1893.
3) Flora 1899.
4) L'^piplasma des Ascomyc^tes et le glycogene des v6götaux. These.
Bruxelles 1882 und verschiedene Arbeiten in den Compt. rend. 101, Bot.
Zeitg. 1886 usw.
6) Kochs Jahresber. 1890, 57.
6) Ac€ul. Roy. Belg. 3. III. 1895 mit ausführl. Ref. in Kochs Jahres-
ber. 1895, 34.
Chemische Zusammensetzung. S3
von den darin enthaltenen gummiartigen Körpern befreite, indem er
mit ChlorkaUum und Natriumphosphat einen Niederschlag von Kalzium-
phosphat erzeugte. Das ans der Lösung dargestellte gereinigte Gly-
kogen hat wie das tierische die Zusammensetzung C^HjoOg, enthält
aber mehr Asche, gibt in wässeriger Lösung eine viel geringere Opal-
esoenz, färbt sich mit Jod violettrot, nicht braurot, entfärbt sich erst
bei 72 — ^73*, während die entsprechende Temperatur bei dem Leber-
glykogen des Kaninchens zwischen 58 und 60® liegt, und zeigt schließlich
eine etwas geringere Drehung des polarisierten Lichtes. Das Vor-
handensein des Glykogens ist durch die Jodreaktion in zahlreichen
Mikroorganismen nachgewiesen worden, so in Schimmelpilzen (be-
sonders Mucor), Hyphomyceten (z. B. den Hautschmarotzern, wie
Favus, vom Verfasser), allen Sproßpilzen (Verfasser), vielen Bakterien
(Arthur Meyer, Heinze^), Verfasser), in großer Menge auch
in den merkwürdigen stickstoffixierenden Azotobakterien. Ob es sich,
freilich bei der mikrochemischen Reaktion stets um dieselbe Substanz
handelt, muß fraglich bleiben. Auch Dextrine geben ja eine ähnliche
Färbung (s. o.). Die Menge des Glykogens in den Zellen wechselt sehr
erheblich. La jimgen, noch sprossenden Hefezellen bekommt man auf
die gewöhnliche Weise keine Glykogenreaktion, aber sofort, wenn man
die Zellen vorher durch Erhitzen abtötet oder eine konzentrierte Jod-
lösong anwendet^). Der Glykogengehalt der Hefe ist am höchsten am
Schlüsse der Hauptgärung. Dann nimmt er wieder ab, aber auch in
hungernder Hefe finden sich noch einige Zellen, die starke Reaktion
geben. In erster Linie scheinen das die Dauerzellen zu sein.
Zuckerarten konmien wahrscheinlich im Zellkörper der
Mikroorganismen in freiem Zustande vor. Sind sie doch auch bei den
höheren Pilzen, teilweise sogar in bedeutender Menge, nachgewiesen
worden (Zop f ). Für die Mikroorganismen liegen nur wenige Bestim-
mungen vor. L a u r e n t (a. a. 0.) will in der Hefe bis zu 12% Trauben-
zucker gefunden haben. B r u h a t fand in einer Bierhefenkonserve
(Levuretin) 0,7% Zucker neben 11,1% Glykogen. Dasselbe gilt übrigens
vom M a n n i t.
G i 1 s o n *) und Winterstein*) wiesen zuerst in höheren
Pilzen an Stelle der Zellulose das stickstoffhaltige Chitin nach,
^uHjoNjOjj' ^^ ^^ dahin nur in tierischen Membranen gefunden
worden war. Es färbt sich mit Jod braun, manchmal nach Zufügung
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12 und 14, 1903—1904.
2) Meissner, Zentr. Bakt. 2. Abt., 6. 517, 1900. vgl. auch H e i n z e
a, a. O.
3) La GeUule 11, 1805.
4) Ber. bot. Gesellsch. 95, 65.
6*
84 Kap. II, § 27.
von Ohlorzinklösung auch violett, ist unlöslich in den meisten Lösungs-
mitteln, liefert mit konzentrierter KaUlauge bei 180® einen Rückstand
von Mykosin und nach Behandlung mit erwärmter konzentrierter Salz-
säure Kristalle von salzsaurem Glukosami n.
M y k o s i n , von Hoppe-Seyler Chitosan genannt, gibt
mit Jod und Schwefelsäure oder mit Chlorzinkjodlösung eine rötlich-
violette Färbung, aber zum Unterschied von Zellulose nur, wenn man
die ßeagentien mit Wasser verdünnt, enthält übrigens noch den Stick-
stoff des Chitins (C^« HgeNgO^Q), löst sich femer schon bei gewöhnlicher
Temperatur in sehr verdünnter Salzsäure und Essigsäure, nicht in
diesen Säuren, wenn sie konzentriert sind. In verdünnter Schwefel-
säure ist es bei Erwärmung löslich. Das salzsaure Glukosamin (oder
Chitosamin C^ Hj3 N O5) färbt sich nach Zusatz von Alkalien erst grün,
dann braimrot, endlich tiefbraun bis schwarz, es reduziert in alkalischer
Lösung Kupferoxyd und Wismutoxyd wie Glykose. Nach der gründ-
lichen Arbeit von Wisselinghs (a. a. 0.), deren Angaben Gar-
bo w s k i ^) bei einer teilweisen Nachprüfung bestätigte, kommt
Chitin vor bei den Mukorineen, einigen Chytridiaceen (z. B. den
Sporen von Plasmodiophora Brassicae und bei Synchy-
trium Taraxaci), ferner bei Empusa Muscae (Entomophthoreen),
vielen Ascomyceten (Erysiphe, Aspergillus, Penicillium,
Pyrenomyceten und Discomyceten), den Ustilagineen, Uredineen und
Basidiomyceten; Chi tin fehlt dagegen bei Bakterien,
S ach ar o my ce t e n , P er o nospo r e en und Saprole-
gniaceen. Man kann also im allgemeinen sagen, daß diejenigen
Pilze, die Zellulose bilden, kein Chitin führen imd umgekehrt; nur
Bakterien und Sacheromyceten sollen nach von Wisselingh weder
den einen noch den anderen Stoff erzeugen, man fragt sich aber da,
welcher Art die entschieden sehr resistente Zellmembran bei diesen
Organismen sein könnte. Nach den oben gemachten Ausführungen ist
die Regel von Wisselinghs jedenfalls nicht ohne Ausnahme, es
kommt bei Bakterien echte Zellulose vor. Für das Vorhandensein
einer chitinartigen Hüllsubstanz sprechen ebenfalls manche der vor-
handenen Analysen. So fand Emmerling^) nicht reine Zellulose,
sondern Chitin bei Bact. xylinum. R u p p e 1 (S. 69) läßt bei den Tuber-
kelbazillen unbestinmit, ob sie Keratin, Chitin oder Fibroin enthalten,
H e 1 b i n g ^) führt aber die „Säurefestigkeit'' dieser Bazillen geradezu
auf ihren Chitingehalt zurück. Körper, die dem Chitin zum mindesten
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 20. 109, 1908. Auch die Bakteriensporen
geben keine Chitinreaktion.
2) Ber. ehem. Ges. 1899, 541.
3) Deutsch, med. Wochenschr. 1900, 23. Veroinsbeilage S. 132.
Chemische Zusammendeizung. S5
sehr nahe stehen, erhielt J w a n o f f aus denselben Bakterien, aus
denen er, wie wir S. 67 gesehen haben, die Nukleoproteide der Zell-
körper darstellte, indem er den Eupferoxydhydrat enthaltenden Nie-
derschlag mit Wasser auswusch, dann mit verdünnter Säure behandelte
und die unlöslichen Membranteile mit Wasser, Alkohol undÄther reinigte.
^^ie erwiesen sich in Kupferozydammoniak unlöslich, lösten sich aber
allmählich in konzentrierter Schwefelsäure, nicht vollständig in kalter
konzentrierter Salzsäure. Aus dieser Lösung fiel durch Neutralisierung
mit Alkalien oder nach reichlichem Wasserzusatz ein weißflockiger
Niederschlag aus, der sich mit verdünnter Schwefelsäure und Jod rot-
violett, mit Chlorzinkjodlösung braun färbte und nach Kochen mit
verdünnter Mineralsäure reduzierende Körper abspaltete. Die Analyse
ergab für die Membran des Pyocyaneus, Megatherium imd B. anthracis
46% C, 6,7—7,0% H, 8,4—8,8% N, also eine ähnliche Zusammen-
setzung wie die des Chitins.
Neben der Zellulose finden sich in den Membranen der höheren
Pflanzen auch noch Pektinstoffe und Kallose, nach M angin, der
sich um ihren Nachweis große Verdienste erworben hat^), fehlen diese
Stoffe auch den Pilzen nicht, und zwar sollen die Peronosporeen und
Saprolegniaceen Zellulose imd Kallose, die Mukorineen Zellulose und
Pektinstoffe, die Ascomyceten reine Kallose führen. Von Wisselingh
schlägt allerdings den Wert der von M a n g i n hauptsächlich be-
nutzten Farbreaktionen für die Erkennung dieser Stoffe, z. B. mit
Rutheniumrot, Methylenblau und Brillantblau nicht hoch an, da das
von M a n g i n noch nicht gekannte Chitin ähnliche Reaktionen gebe.
Wenn die vorgetragenen Untersuchungen für die Membran der
Bakterien nur ausnahmsweise einen bestimmten chemischen Bestandteil
nachweisen konnten, so ist auch das in Kap. I beschriebene mikrosko-
pische Verhalten der Bakterien gegen Lösungsmittel, namentlich gegen
Veidauungs- und Selbstverdauungsenzyme, Alkalien und Lipoide, so
ungleichmäßig, daß wir daraus allgemeine Schlüsse über die Zusammen-
setzung der Bakterienmembran nicht ziehen können.
§ 28. Aschenbestandteile. Genaue Aschenanalysen der
Schinunelpilze scheinen nicht vorzidiegen^), um so mehr solche von
Hefepilzen. Einer Zusammenstellung von Ad. Mayer^) entnehme
ich die folgenden Werte.
1) Compt. rend. Aead. sc. 117, 816. Journ. de botan. 1893. Vergl.
Strasburger, Botan. Practicum 1902.
2) Zopf (Pilze, S. 118) gibt als Mittel einer Analyse von höheren
Pilzen 40% Phosphorsäure, 46% Kali, 1,4% Natron, 2% Magnesia, 1,5%
Kalk, 1% Kieselsäure, 1% Eisenoxyd, 8% Schwefelsäure und l<;'o Chlor.
3) Gärungschemie, 5. Aufl., S. 118, 1902.
86
Ki^. n, S 28.
Es bilden Phosphorsäuie
EaU
Natron
Magnesia
Kalk
Kieselsäure
Eisenoxyd
Schwefelsäuie
Chlor
51 — 59% der Hefenasche
28—40
0,5—1,9
4,0—8,1
1,0—4,5
0—1,6
0,1—7,3
0,6—6
0,03—1
»>
yy
yy
>>
>>
»>
>>
Phosphorsäure und Kali sind also in bedeuten-
dem Übergewicht, Magnesia überwiegt denEalk;
Natron, Schwefelsäure^) und Chlor können sehr spärlich vorhanden sein,
erst recht natürlich Eisenoxjd und Kieselsäure. Die Schwankungen
sind zum Teil sehr bedeutend. Zum Vergleich diene eine Analyse der
Asche der der Hefe sehr nahestehenden Soorhefe nach Kappes')
(Taf. I, S. 52).
Es bilden
Phosphorsäure
57% der Soorhefenasche
Kali
9
Natron
19
Magnesia
7
Kalk
14
Kieselsäure
2
Chlor
0,3 „
Das Bild ist im allgemeinen ein ähnliches, nur tritt Kali vor Natron,
Magnesia vor Kalk in den Hintergrund. Sehr wahrscheinlich sind Ver-
schiedenheiten des Nährbodens wenigstens zum Teil dafür verant-
wortlich zu machen. Die Hefe war auf vegetabilischem, die Soorhefe
auf animalischen Nährboden gezüchtet worden.
Für Bakterien liegen Aschenanalji^en vor von K a p p e s (a. a. 0.)
und Gramer^), de Schweinitz und D o r s e t *) für Bac.
prodigiosus, xerosis, Spirill. cholerae und Bac. tuberculosis. Die Zahlen
lauten abgekürzt in Prozenten der Asche berechnet:
Xerose- t» j- • Tuberkel- Cholera-
, .,1 rrooigiosus , .„ . .„
bazillus ^ bazillus spinllum
Phosphorsäure 34% 36% 55,2% 10—45%
1 ) Bei der Schwefelsäure liegt das wahrscheinlich an der analytischen
Methode.
2) S. Anm. zu Taf. I, S. 52.
3) Arch. Hyg. 28.
4) Zentr. Bakt. 23, 993.
Chemische Zusammensetzung. S7
Xerose- t> i- . Tuberkel- Cholera-
, .„ rrodigiosus , .„ . .„
oazillus ^ bazillus spirülum
/o
KaU
11%
11%
6,4%
4—6
Natron
24.,
28 „
13,6 „
27—34
Magnesia
6„
7„
11,6 „
0,1—0,6
Kalk
3„
i„
12,6 „
0,3 1,3
Kieselsäure
0,5 „
0,5 „
0,6 „
Schwefelsäure
>>
»>
0
1—8
Chlor
0.6 ,.
5„
0
5 44
Der Xerosebazillus und Prodigiosus waren von Kappes auf Fleisch-
extrakt-Pepton-Agar mit 0,5% EochBalzlösung gezüchtet worden, ihre
Trockensubstanz wurde zu 15% des Gewichts des feuchten Bakterien-
leibes bestimmt, ihr Aschegehalt betrug 9,5 und 13,5% der Trocken-
substanz. Wie man sieht, stimmt die Zusammensetzung ihrer Asche
in bemerkenswerter Weise überein bis auf den Chlorgehalt, der aller-
dings recht verschieden ist^). Auch die Abweichungen gegenüber der
Soorhefe, die von demselben Autor auf dem gleichen Nährboden ge-
züchtet wurde (s. o.), sind nicht erheblich, nur hat die Phosphorsäure
in der Bakterienasche nicht das bedeutende Übergewicht wie in der
Hefenascfae. Beim Tuberkelbazillus ist das aber doch der Fall und nach
Stoklasa (Taf . I) noch mehr beim Azotobacter chroococcum.
Letzterer wurde allerdings fast ausschließlich mit Ealiumphosphat als
Mineralstoff genährt.
Sehr stark weicht die Asche des Cholerabazillus von der der
anderen drei Bakterien ab, zeigt aber auch in ihrer eigenen Zusammen-
setzung große Schwankimgen. Beide Tatsachen lassen sich zum Teil
aus der Verschiedenheit des Nährbodens erklären. C r a m e r züchtete
die Cholerabazillen nebeneinander auf gewöhnlicher Sodaapepton-
bouillon (1% Soda), auf derselben Bouillon mit Zusatz von 4% phos-
phorsaurem Natron und auf Bouillon mit 3% Chlomatrium. Da ist
von vornherein zu erwarten, daß einerseits Magnesia und Kalk in den
Choleraspirillen fast vollständig fehlen werden, weil die stark alkalische
Bouillon diese Stoffe nur noch in geringer Menge enthält imd daß
andererseits die Schwankungen in der Zusammensetzung wesentlich
die Phosphorsaure und den Chlorgehalt betreffen, wie ja auch die
Analyse erweist. Ein Vergleich des Aschegehaltes im Nährboden und
in den Bakterien ergibt folgendes:
1) In der Asche der Tuberkelbazillen fanden Proskauer und
Beck (Zeitschr. Hyg. 18, 139 Anm.) nur Spuren von Chloriden.
88 Kap. II, $ 28 und Kap. HE, § 29.
Soda- Phosphat- Kochsalz-
Bouillon bouillon bouillon
Aschegehalt der Bakterien in der
Trockensubstanz 9,3 % 22,3 % 25,9 %
Aschegehalt in der feuchten Masse 1,34,, 2,75,, 3,73,,
Aschegehalt des Nährbodens in der
feuchten Masse 1,25,, 2,50,, 4,12,,
Die Übereinstimmung in dem Qehalt der feuchten Masse, des Nähr-
bodens und der Bakterien an Asche ist also eine fast vollkommene.
Betrachten wir weiter den Gehalt an einzelnen Bestandteilen, so finden
wir in denselben drei Bouillonarten, den
Phosphorsäuregehalt in der Bakterienasche 28,7% 38,4 % 10,9%
Phosphorsäuregehalt in der Nährbodenasche 7,9 „ 39,8 „ 2,1 „
Chlorgehalt in der Bakterienasche 16,9,, 7,97,, 40,7,,
Chlorgehalt in der Nährbodenasche 23,0,, 11,4 „ 49,2,,
Hier ist von Ubereinstimmimg keine Rede mehr. Die Phosphor-
säuremenge schwankt im Nährboden um das 5 — ^20 fache, in den
Bakterien knapp bis zum 3 fachen. Etwas größer ist der ParalleUsmus
im Chlorgehalt. Offenbar verhalten sich also die Bakterien den einzelnen
Mineralbestandteilen des Nährmaterials gegenüber sehr verschieden.
Wir werden im § 58 darauf zurückkommen.
§28a. Andere Bestandteile. Hierhergehören diejenigen Stoffe,
die entweder nur in geringer Menge oder nur bei einzebien Spezies
von Mikroorganismen in größerer Menge vorkommen, so z. B. der
Schwefel im Körper der sogenannten Schwefelbakterien (§ 208 u. 209),
das Eisenoxyd und Manganoxyd in den Scheiden der Eisenbakterien
(§ 216), die Farbstoffe in den Pigmentbakterien (Kap. XV), giftige
Substanzen von verschiedener Zusammensetzung Angriffs-, Reiz- und
Impfstoffe in den Krankheitserregern (Kap. XVI u. XVII), Stoff-
wechselerzeugnisse (Kap. VI ff.) und Fermente in allen Mikroorganis-
men (Kap. XIV) usw. Wir behandeln sie, schon um uns nicht wieder-
holen zu müssen, in besonderen Abschnitten, die sich mit den
Bedingungen ihres Vorkommens und der Art ihrer Entstehung
beschäftigen.
Kapitel III.
Die Nährstoffe der Kleinwesen,
§ 29. Einleitung. Methoden. Unsere nächste Aui^abe besteht
darin, za erforschen, durch welche Nährstoffe das Leben der Mikro-
organismen zu erhalten und ein Wachstum zu erzielen ist. Dieses
Problem ist oft weniger schwierig zu lösen, als das im vorigen Ab-
schnitt behandelte, weil wir es in der Hand haben, die Zusammen-
setzung der Nährböden durch Mischung der verschiedensten reinen
Stoffe nach streng chemischen Gesichtspunkten zu regeln. Solche
künstlichen Nährlösungen hat wohl zuerst Pasteur^) angewandt
in der ausgesprochenen Absicht, nach dem Vorgänge der Pflanzen-
physiologie und Agrarkulturchemie die Bedingungen für das Wachstum
der niederen Oi^anismen (Schinmielpilze, Hefen und Bakterien) fest-
zustellen. P a s t e u r benutzte eine Lösung aus destilliertem Wasser,
Hefeasche und weinsaurem Ammoniak mit oder ohne Zucker. Er fand,
daß die Mikroorganismen nicht zum Wachsen kamen, wenn er einen
der genannten Bestandteile wegließ. Nebenbei machte er die interessante
Beobachtung, daß von Bakterien und Schimmelpilzen nur der eine Be-
standteil der Traubensäure, die rechtsdrehende Weinsäure, als Nähr-
stoff ausgenutzt wurde, die linksdrehende aber zurückblieb. Weitere
ausführliche Versuche wurden später von zahlreichen Forschern ange-
stellt. Die Methodik war dabei eine verschiedene. B a u 1 i n ^) stellte
sich zunächst eine Lösung zusammen, die für das Wachstum eines
Schimmelpilzes, des Aspergillus niger, besonders gut geeignet war;
sie enthielt •) z. B. auf 1500 ccm Wasser 70 g Rohrzucker, 4 g Weinsäure,
4 g Ammoniunmitrat, 0,6 g Ammoniumphosphat, 0,6 g Kaliumkarbonat,
0,4 g Magnesiumkarbonat, 0,25 g Ammoniumsulfat und je 0,07 g Zink-
1 ) Compt. rend. ac. sc. 48 und Ann. chim. et phys. 68 und 64.
2) Ann. sc. nattir. botanique 1869.
3) In den einzelnen Versuchen wurden kleine Abänderungen vor-
l^ommen, die ohne erheblichen Einfluß auf die Ernte waren. So konnte
Anmionnitrat durch Kalimnnitrat oder Ammontartrat und die Anunon-
Hslze der Phosphor- und Schwefelsäure durch die Kaliumsalze ersetzt
werden.
90 Kap. III, f 29.
Sulfat, Eisensulfat und Ealiumsilikat. Die Flüssigkeit wurde in 2 — 3 cm
hoher Schicht in größere Schalen gebracht, mit Pilzsporen besät und
3 Tage bei 35® stehen gelassen. Das reichlich entwickelte Mycel wurde
dann abgenommen und von der Flüssigkeit nach weiteren 3 Tagen ein
neuer Eulturrasen gewonnen, nach dessen Entfernung sich die Nähr-
kraft der Flüssigkeit so gut wie erschöpft zeigte. Das Trocken-
gewicht der beiden Ernten betrug zusammen
ca. 25g. Mit diesem günstigsten Resultat wurden
diejenigen Erntegewichte verglichen, die sich
erzielen ließen, wenn der eine oder andere Be-
standteil der Normallösung fortgelassenwurde.
R a u 1 i n fand in verschiedenen Versuchen die Ernte herabgedrückt auf
1/65 beim Fehlen des Zuckers,
1/24—1/153 „ „ des Stickstoffs,
1/24 — 1/182 „ „ der Phosphorsäure,
1/11,6 — 1/91 „ „ der Magnesia,
1/13—1/25 „ „ des Kalis,
1/2 — 1/15,4 „ „ der Schwefelsäure,
1/2—1/10 „ „ des Zinkoxyds,
1/1,4 — 1/2,7 „ „ des Eisenoxyds,
1/1,2 — 1/1,4 „ „ der Kieselsäure.
Die verhältnismäßige Wichtigkeit der einzelnen Bestandteile
erhellt trotz der beträchtlichen Schwankimgen der Ergebnisse ohne
weiteres aus diesen Zahlen. Es ist aber leicht einzusehen, daß das Gewicht
der Ernte allein noch nicht genügt, um ihre wirkliche Bedeutung zu
beurteilen, weil ja bei gleichem Gewicht die Beschaffenheit der ge-
bildeten Zellen eine verschiedene, diese gesund und jene krank sein
können. Um darüber völlige Klarheit zu gewinnen, wäre es nötig ge-
wesen, die einzelnen Ernten in ihrem mikroskopischen imd chemischen
Aufbau zu vergleichen und nicht nur eine, sondern mehrere Grenera-
tionen hintereinander auf den modifizierten Nährböden zu züchten.
Ein anderer Einwand gegenüber den R a u I i n sehen Zahlen läßt sich
ferner nicht abweisen : man hat wohl, trotz der von R a u 1 i n auf-
gewandten Sorgfalt ein Recht, zu bezweifeln, daß seine Chemikalien
völlig rein gewesen sind, daß also z. B. mit der Entziehung des Kalis,
der Schwefelsäure, des Eisenoxyds wirklich jede Spur dieser Stoffe
aus dem Nährboden beseitigt war. Ebenso ist an die Abgabe kleinster
Stoffmengen aus dem Glase, an die Absorption aus der Luft zu denken.
Vielleicht erklärt sich so die Veränderlichkeit der Resultate. Trotz
dieser Ausstellungen bleiben die Versuche R a u 1 i n s sehr lehrreich
und die Grundlage unserer Kenntnisse namentlich über die mineralischen
Nährstoffe. 91
Nährstoffe der Pilze. Wir werden auf sie noch mehrfach zurückzu-
kommen haben.
"Ein anderer naheliegender Weg wurde vielfach eingeschlagen, um
die Nährfähigkeit der einzelnen N-haltigen und N-freien Eohlenstoff-
verbindungen und Metallsalze festzustellen. Man ersetzt z. B. in einer
künstlichen Nährlösung, die sich bewährt hat, die stickstoffliefemde
Substanz durch andere Stickstoffverbindungen, ein Metall durch ein
anderes und vergleicht wieder die Ernten miteinander. Die Aussaaten
werden am besten mit bestinmiten reinkultivierten Mikroorganismen
gemacht. In anderen Fällen, wo es sich darum handelt, festzustellen,
ob eine bestimimte Lösung, die sich für die geprüften Mikroorganismen
als angeeignet erwiesen hat, nicht doch imstande ist, anderen Lebct^
Wesen zur Nahrung zu dienen, überläßt man die Einsaat dem Zufall bzw.
der stets keimhaltigen Luft oder impft mit verschiedenen keimhaltigen
Gemengen, wie Faulflüssigkeiten, Erde, Wasser usw. Durch solche
Ansleseversuche hat man schon eine große Zahl wichtiger
Entdeckungen gemacht, so die Salpeterbildner, die stickstoffbindenden
and stickstoffentbindenden, die Harnstoff-, Ameisensäure-, Oxal-
säaremikroben, die Wasserstoff-, Schwefel- und Eisenbakterien usw.
kennen gelernt. Von umfassenden Arbeiten, die im folgenden noch
öfter zu nennen sein werden, erwähne ich: N ä g e 1 i s ^) Forschungen
über die Ernährung der niederen Pilze durch Kohlenstoff- und Stick-
stoffverbindungen, die für Pilze und Bakterien gleich wichtig sind, die
interessanten Ausleseversuche, die neuerdings Bierema^) mit allen
möglichen Stickstoffverbindungen (außer Eiweiß) gemacht hat,
Stutzers^), Reinkes^), Wehmers*), Racibowskis^),
Bokornys^), Labordes®), Klebs'^), Czapek b^% E m -
merlings^^) Untersuchungen über die Ernährung der Schimmel-
pilze (meist Aspergillus niger) mit C- und N- Verbindungen, Laurents^^),
1) Ehnährung der niederen Pilze in den „Untersuchungen über
niedere Pilze". 1882.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23, 672, 1009.
3) Landwirtschaf tl. Versuchstationen. 1878.
4) Untersuchg. aus d. botan. Laborat. Göttingen. 3. Heft. 1883.
5) Botan. Zeitg. 1891, 331.
6) Flora 82, 1896.
7) Koch's Jahresber. 1896, 47.
8) Ann. Pasteur 1897.
9) Jahresber. wiss. Bot. 33, 1899.
10) Hofmeisters Beitr. z. ehem. Phys. u. Path. 2 und 3.
11) Ber. ehem. Ges. 1902. 2289 und Zentr. Bakt. 2. Abt. 10, 274. 1903.
12) Annal. Pasteur 1889 und Kochs Jahresber. 1890, 54.
92 Kap. in, S 29 u. 30.
Beijerincks^), Bokornys*), Pringsheims^) ent-
sprechende Arbeiten über die Hefepike. Bakteriengemisclie studierte
B o k o r n y *), den Micrococus ureae v* J a c k s c h ^), die ver-
schiedenen Milchsäurebakterien H ü p p e ^), G. F r ä n k e H),
Eayser, Capaldi u. Proskauer, Eozai, Henne-
berg, L. Müller^), den TuberkelbazUlus Kühne*), Pros-
kauer und Beck^^), C. FränkeH^), die Essigbakterien
H o y e r ^^) und Henneberg ^'), die Bac. fluorescens, coli und
typhi Capaldi und Proskauer ^*), Laurent ^^), mehrere
denitrifizierende Bazillen und die Streptothrix ((Actinomyces) odorifera
Salzmann ^^). M a a s s e n ^^) verdanken wir einige sehr umfang-
reiche Arbeiten über die Assimilation der organischen Säuren durch
Bakterien. Andere wichtige Untersuchungen über die Nitro-, Schwefel-
und Eisenbakterien und über die Bedeutung, der Mineralstoffe, des
Sauerstoffs usw. kommen hinzu.
Wir besprechen nacheinander die Bedeutung der Aschenbestand-
teile (einschließlich des Schwefels und Phosphors), des Sauerstoffs,
Stickstoffs, Kohlenstoffs. Der Wasserstoff bedarf keiner besonderen
Zufuhr, da er schon von dem für das Leben unumgänglich nötigen
Wasser und außerdem von allen organischen Verbindungen geliefert
wird. Ausnahmsweise findet er auch Verwendung in freiem Zustande
(§ 33).
§ 30. Bedarf an Aschenbestandteilen, Schwefel und Phos-
phor. Die höheren Pflanzen bedürfen zu ihrer Ernähnmg bekanntlich
außer dem Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff noch der
Elemente Schwefel, Phosphor, Kalium, Kalzium, Magnesium und
Eisen, die ihm gewöhnlich in Form anorganischer Salze geliefert werden.
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17
Zentr. Bakt. 11, 68, 1891.
Kochs Jahresber. 1897, 86.
Biochem. Zeitschr. 3, 1907.
Kochs Jahresber. 1897. 39.
Zeitschr. phys. Chemie 5.
Mitteil. Gesundheitsamt 2, 1884.
Hyg. Rundschau 1894. 769.
Lit. in § 97 u. 99.
Zeitschr. Biol. 29 und 30.
Zeitschr. Hyg. 18.
Hyg. Rundschau 1900, 617.
Zeitschr. f. Essigindustrie 1899.
Ebenda 98 und Centr. Bakt. 2. Abt. 4, 14.
Zeitschr. Hyg. 23, 1896.
Ann. Pasteur 1899.
Chem.-physiol. Untersuchungen etc. Phil. Dissert. Königsberg 1902.
Arb. Gesundheitsamt 12 iind 18.
Nährstoffe. 93
Niedere Algen sollen allerdings auch das Kalzium (M o 1 i s c h) und
Kalium (Ben ecke) entbehren können. Schon die oben (§ 29) er-
wähnten Versuche R a u 1 i n s haben erwiesen, daß Schimmelpilze
auch vorzüglich auskommen mit anorganischen Salzen, die nur Schwefel-
säure, Phosphorsaure, Kaliimi und Magnesium enthalten. Freilich wird
das Wachstum verstärkt durch geringe Zusätze, einige Zentigramme
im Liter der Nährfliissigkeit, von Kieselsäure, Eisen und merkwürdiger-
weise besonders von Zink. Die Möglichkeit, daß mit der Phosphor- und
Schwefelsäure dem Kalium und Magnesiimi der Aschenbedarf der meisten
Mikroorganismen gedeckt werden kann, ist auch auf Orund der späteren
Untersuchungen kaum noch zu bezweifeln. Die Tuberkelbazillen
nehmen z. B. nach Proskauer und Beck (§ 29) mit Mono-
kaliumphosphat und Magnesiumsulfat vorlieb, die Schimmelpilze be-
gnügen sich nach Naegeli ebenfalls mit den vier Elementen, nur
die Hefe scheint neben dem Magnesium auch noch des Kakiums
zu bedürfen^).
Manche Autoren haben auch die Unentbehrlichkeit der Schwefel-
säure leugnen zu müssen geglaubt, so hat sie C. F r ä n k e 1 ^) aus der von
Uschinsky ursprünglich angegebenen Nährlösung weglassen
können, ohne das Wachstum vieler Bakterien dadurch zu beeeinträch-
tigen. Beijerinck') kam zu ähnlichen Ergebnissen. Wahrscheinlich
ist der Grund aber dafür der, daß die übrigen Bestandteile der Nähr-
lösung Schwefel in irgendeiner Form als Verunreinigung enthalten
haben. Diese Tatsache ist schon öfter festgestellt worden ( A d. M a y e r ^),
N ä g e 1 i und L ö w). Ebensowenig verdient die Angabe H o 1 1 e r -
m a n n s ^), Pilze seien in phosphorfreien Nährböden zu züchten, Ver-
trauen. Die Phosphorsäure braucht freilich nicht in Form von Salzen,
sondern kann auch z. B. an Nukleinsäure gebunden dargereicht werden
(Iwanow *)). N ä g e 1 i hat ferner angegeben, daß der Schwefel
auch aus schweflig- und unterschwefligsauren Salzen, Sulfosäuren und
Albuminaten entnommen werden könne, nicht dagegen aius Sulfo-
hamstoff und Rhodanverbindungen. Schwefelwasserstoff, Schwefel
und niedere Oxydverbindungen des Schwefels dienen den sogenannten
1) Bokorny, Pflügere Arch. 97, 1903. Ad. Mayer u. a. hielten
allerdings Kalzium für entbehrlich.
2) Hygien. Rundschau 1894, 769.
3) Centr. Bakt. 2. Abt., 6, 2.
4) Gärungschemie 1874. 1. Aufl., S. 129, 6. Aufl. 149. Die Unent-
behrlichkeit des Schwefels für die Hefeemährung betont auch Stern
(Proc. ehem. soc. nov. 1898, nach D u c 1 a u x Microbiol. 3, 167).
6) Ref. Bot. Zeit. 56, 269.
6) Zeitschr. physiol. Ch. 39, 1903.
94 Kap. III, S 30.
Schwefelbakterien Winogradskys und Beijerincks nicht
nur als Schwefelquelle» sondern auch als Ejraftquelle anstelle anderer
Nahrungsmittel (§ 208 u. 210). Umgekehrt braucht das Spirillum
desulfuricans Beijerincks (§212) die übrige Nahrung nur zu
dem Zwecke, um den Sauerstoff der Sulfate auszunutzen. Trotz der
nachweislichen Unentbehrlichkeit des Schwefels im allgemeinen wird
man die Möglichkeit, daß manche niederen Organismen auch ohne
Schwefel auskommen können, nicht gänzlich ablehnen, zumal
da die Analysen von einigen bakteriellen Eiweißkörpem und auch
von ganzen Bakterien das Fehlen des Schwefels ergeben haben (vgl.
N e n c k i und Schaffer §25 und die Asche des Tuberkelbazilius
nach de Schweinitz und Dorset § 28).
Was das Kalium und Magnesium betrifft, so ist von N ä g e 1 i
die Lehre aufgestellt worden, daß für Kalium nicht etwa Natrium
und Lithium, sondern Rubidium und Cäsium, für Magnesium Kalzium,
Barium oder Strontium eintreten können. Mit einigen Einschränlnmgen
hat die erste Hälfte dieses Satzes auch durch die sorgfältigen Unter-
Buchungen von Benecke ^) Bestätigung gefunden. Rubidium und
Cäsium können bei der Ernährung des Aspergillus niger das Kalium
vertreten, allerdings ist das Wachstum etwas verzögert und führt nicht
zur Sporenbildung. Lithium kann sogar, selbst in kleinen Mengen,
giftig wirken, ist andererseits gelegentlich ein Reizmittel (s. u.). Un-
ersetzlich scheint dagegen nach Benecke, Molisch') und
Günther*) das Magnesium zu sein, insofern als höchstens ein
schwaches Auskeimen der Pilzsporen in den Mg-freien Nährlösungen ein-
tritt, das Wachstum aber nicht soweit vorschreitet, daß an eine Wägung
gedacht werden kann. Für die Wichtigkeit des Kaliums wie des Ma-
gnesiums ist beweisend die Tatsache, daß B e n e c k e innerhalb ge-
wisser Grenzen eine regelmäßige Zunahme des Erntegewichts mit dem
steigenden Gehalt der Nährlösung an den betreffenden Salzen erhielt.
Auch bei Bac. fluorescens und pyocyaneus liegen nach Benecke ^)
die Dinge ähnlich. Doch gelten diese Regeln zunächst wieder nur für
diejenigen Mikroorganismen, für die sie festgestellt sind^). Es liegen
schon Mitteilungen vor, die dartun, daß das Aschenbedürfnis ein recht
verschiedenes ist. Sehr sorgfältig scheint wenigstens von G e r 1 a c h
1) Jahrb. wiss. Bot. 28, 1898.
2) Sitzungsber. Wien. Akad. 103, 1894.
3) Dissertation Erlangen 1897.
4) Bot. Zeit. 1907. Hier wurden Bergkristallgefäße benutzt.
ö) Vergl. auch „Neue Forschungen über die Bedeutung der Neutral-
salze für die Funktionsfähigkeit des tierischen Protoplasmas*'. Sammel<
referat von H ö b e r , Biochem. Gentralbl. 1903, 497.
Nährstoffe. 95
und V o g e 1 ^) festgestellt worden zu sein, daß das Azotobacter Chroo-
cooconiy das den freien Stickstoff der Atmosphäre assimiliert, nur mit
Kalk und Phosphorsäure versorgt zu werden braucht, die Alkalien
aber völlig entbehren kann. Femer können Bac. Stützen und Hartlebi
nach Salzmann (§ 29) ihren Mineralbedarf aus Kalium und Phos-
phorsäure decken, wenn ihnen daneben noch eine Spur von Schwefel-
saure geboten wird. Der Nachprüfung bedürftig ist die Angabe C.
Fränkels, daß Natriumphosphat als einziger mineralischer Be-
standteil in einer Asparaginlösimg für viele Bakterien genüge (a. a. 0.)
und femer die Bemerkung von Proskauer und Beck, daß
Tuberkelbazillen auch auf kaliumfreien Nährböden zu wachsen imstande
seien.
Über die Bedeutung des Eisens für die Ernährung der Mikro-
organismen sind die Akten noch nicht geschlossen. M o 1 i s c h ')
hatte im Gegensatz za früheren Forschern die Notwendigkeit dieses
Hetalles bei der Ernährung der Pilze betont und die entgegenstehenden
Befunde durch Verunreinigung der Nährstoffe mit Eisen erklärt.
Stoklasa') fand das auch für den Bac. megatherium bestätigt.
Benecke glaubt sich nicht so entschieden aussprechen zu dürfen,
wenn er auch, wie W e h m e r *), eine Begünstigung des Wachstums
luid der Sporenbildung durch Eisen, also eine Reizwirkung
dieses Metalls zugibt. Schon B a u 1 i n hatte das ja gefunden (§ 29).
Winogradsky (§209) sah auch die Entwickelung der Purpur-
bakterien, Kossowicz^) die der Hefe, L o e w und K o z a i *)
die des Bac. prodigiosus durch Eisen gefördert. Längst bekannt ist
die Beziehung des Eisens zu der Vegetation der sog. Eisenbak-
terien (Crenothrix polyspora, Lieptothrix und Cladothrix ochracea
usw.), d. lu fddiger Organismen, die in ihrer Scheide Massen von Eisen-
oxydhydrat aufhäufen. Über diesen Prozeß selbst, der zu dem Leben
dieser Bakterien in einem engen Verhältnis stehen soll, werden wir
spater handeln (§216), hier interessiert uns nur die Tatsache, daß das
im Wasser gelöste Eisenoxydul die Quelle dieser Ablagerung ist, daß
nach M o 1 i s c h das Eisen durch Mangan vertreten werden kann und
letzteres nach anderen sogar notwendig ist für die Entwickelung einiger
Pilze. Bei den übrigen Mikroorganismen leugnet M o 1 i s c h die
M^lichkeit, Eisen durch Mangan, Kobalt u. dgl. zu ersetzen.
1) Zentr. Bakt. 2. Abt., 10, 639.
2) Die Pflanzen in ihren Beziehungen zum Eisen. Jena 1892.
3) Campt, rend. ac. sc. 127, 282, 1898.
4) Kochs Jahresber. 1895, 70.
5) Zeitschr. landwirtsch. Versuchswesen Österreichs, 1903.
6) Ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 10, 264, 1903.
96 Kap. III. § 30 u. 31.
Ähnliche Reizwirkungen üben auch andere Metalle aus, so nach
R a u 1 i n u. a. das Zink, das allerdings die Konidienbildung beein-
trächtigt, nach Richards^) das Lithium ^) auf Pilze, nach S t o k -
lasa das Mangan auf die Azotobakterien (§ 203).
Vollständig von den bisherigen Erfahrungen über die Notwendig-
keit der Mineralsalze zur Ernährung weichen die Befunde von F e r m i ^)
ab. Er erhielt in Eisen-, Blei-, Kupfer- und Nickelgefäßen auf 2 prozen-
tigen Lösungen von milchsaurem Ammon, die frei von anorganischen
Stoffen waren, Ernten des Aspergillus niger, die getrocknet 0,5, 0,4, 0,33
und 0,08 g wogen und deren Asche nur aus den betreffenden Metallen
bestand. In Gold-, Aluminium-, Zinn-, Nickel- und PorzellangefaOen
erfolgte auf ähnlichen Nährlösungen ebenfalls Entwickelung des Pilzes
mit fast unsichtbarem Rückstand bei der Veraschung. Silbergefäße
erlaubten zuerst das Wachstum nicht, nach Zusatz von Rohrzucker
und Glyzerin trat aber ein solches schließlich ein.
Auch C a c h e ^) will beim Bact. coU ein Wachstum erzielt haben
auf einem Nährboden, der außer sorgfältig destilliertem Wasser nur
Traubenzucker, Asparagin und etwas Ammoniak enthielt. Reichlicher
wurde dieses Wachstum allerdings erst, wenn Kaliumphosphat und
Natriumsulfat hinzukamen, und Gärung trat erst ein nach Zusatz eines
Magnesium- oder Ealziumsalzes.
Die Wichtigkeit des Magnesiumsulfats für die Farbstoffbildung
(§ 254) und die der Salzart und -menge für die Lichtentwicklung (§ 238),
die Schädlichkeit starker Salzlösungen (§ 40) besprechen wir später.
§ 31. Bedarf an Sauerstoff. Agrobiose und AnaSrobiose.
Bei den Mikroorganismen hat man zuerst die allen früheren Beob-
achtungen widerstreitende Erfahrung gemacht, daß ein Leben ohne
freien Sauerstoff möglich ist, ja, daß es sogar unter
ihnen solche gibt, die bei Zutritt von freiem
Sauerstoff überhaupt nicht bestehen können,
sondern durch ihn getötet werden. Pasteur^)
fand diese merkwürdige Eigenschaft zuerst im Jahre 1861 bei den
„Vibrionen" der Buttersäuregärung, bald darauf auch bei Bakterien,
die weinsauren Kalk vergoren, und führte dann auch die stinkende
Fäulnis auf derartige Lebewesen zurück. Die Methoden, mit denen
P a s t e u r arbeitete, genügen hohen Anforderungen, und man be-
1) Jahrb. wiss. Bot. 30, 665, 1897.
2) Vgl. über Lithiumwirkung auch § 3.
3) Zentr. Bakt. 29.
4) Zentr. Bakt. 40, 256, 1905.
5) Compt. rend. ac sc. 52, 340 u. 1260; 56, 1190.
Nährstoffe. 97
greift heutzutage, wenn man die Arbeiten des genialen Franzosen
studiert, nicht recht, wie es möglich war, daß seine Lehre noch lange
Zeit Zweifeln begegnete. Es wäre das wohl auch nicht geschehen, wenn
P a 8 1 e u r nicht selbst von Anfang an die „Anaerobiose'' mit einem
anderen wichtigen Lebensvorgang, um dessen Kenntnis er sich eben-
falls die größten Verdienste erworben hat, der Gärung, verknüpft hätte.
Xach ihm ist Gärung nichts weiter als Leben ohne
Sauerstoff. Wir werden später bei Betrachtung der energetischen
Verhältnisse (§ 223 u. 233) sehen, daß dieser Satz im wesentlichen
richtig ist, daß aber ein scheinbarer Widerspruch daraus entsteht, daß
in manchen Fällen auch mit Sauerstoffzutritt die Gärung möglich ist,
ja bis zu einem gewissen Grade dadurch gefördert wird. Das war ex-
perimentell, imd zwar gerade bei der bekanntesten, der alkoholischen
Gärung, leicht nachzuweisen und konnte natürlich der Pasteur-
schen Theorie Abbruch tun. So hat man sich denn auch Mühe genug
gegeben, weiter nachzuweisen, daß es eine eigentliche Anaerobiose
überhaupt nicht gebe, sondern daß immer noch Spuren freien
Sauerstoffes im Nährboden zurückbleiben, die erst das Leben
ermöglichen. Bei Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse ist
klar, daß man, selbst wenn dieser Nachweis gelungen wäre, damit nichts
gewonnen hätte, da ja der Sauerstoff bei den gewöhnlichen sauerstoff-
liebenden Lebewesen nicht etwa als ein Kontaktkörper betrachtet
werden kann, der selbst in den kleinsten Mengen fortdauernd seine
Wirksamkeit behält, sondern als ein Stoff, der nur in demselben Ver-
hältnis das Leben ermöglicht, als er dabei verbraucht wird, und dessen
Menge dabei erfahrungsgemäß nicht unter einer gewissen, recht beträcht-
lichen Größe liegen darf. Der Grund dafür besteht darin, daß bei den
„strengen Aerobiem" die durch den Sauerstoff der Luft vermittelten
Oxydationen ausreichen müssen, den gesamten, für das Leben nötigen
Energiebedarf zu decken, und das wird durch Spuren Sauerstoff niemals
geleistet. Das grundsätzlich abweichende Wesen der Anaerobiose be-
ruht dagegen , wie P a s t e u r ganz richtig erkannte, darin, daß die
zum Leben nötige Energie aus anderen Quellen geschöpft werden muß
als aus den Oxydationen, und diese Quellen erkannte er ebenso richtig
in den Gärungen. In der Folge hat sich gezeigt, daß der hier geschilderte
Gegensatz zwischen strenger („obligater") Aerobiose und Anaerobiose in
Wirklichkeit nicht so groß ist, als es zuerst schien, weil er durch Über-
gänge ausgeglichen wird.
Betrachten wir zimächst die Beziehungen des Wachstums der
Mikroben zum freien Sauerstoff. Da hat sich, wie das ja eigentlich von
vornherein zu erwarten war, da es in der Natur keine Sprünge gibt,
herausgestellt, daß das Wachstum der einzelnen Arten nicht so sehr
KroB«, Mikrobiologie. 7
98 Kap. ni, ! 31.
von dem unbedingten Mangel oder Vorhandensein, als von der Menge
des Sauerstoffs, seiner Spannung abhangig ist. Es zeigt sich
erstens, daß die strengen Anaerobier allerdings imstande sind, bei ganz-
lichem Sauerstoffabschluß gut zu wachsen, aber auch bei gewissen nied-
rigen Sauerstoffspannungen noch dazu befähigt sind. Chudiakow^)
verdanken wir darüber genaue Mitteilungen. Das Bactridium butyricum
war am empfindlichsten gegen den Sauerstoff, es wurde am Wachstum
verhindert bei Verdünnung der Atmosphäre auf 15 mm Druck, gedieh
aber noch bei einem Luftdruck von 5 mm, d. h. einem Sauerstoffgehalt
von 0,13%. Das Clostridium butyricum wuchs noch ffut bei 10 mm,
die B;kterien des malignen ödem^mid Tetanus bei 20 mm und die
Rauschbrandbazillen sogar noch bei 40 mm Druck. Ebenso interessant
sind die Feststellungen, die Chudiakow an strengen Aerobiem
machte. Sie vertrugen zwar den völligen Sauerabschluß nicht, wuchsen
aber doch, wenn auch kümmerlich, bei recht niedrigen Spannungen.
Der Bac. substilis z. B. vermehrte sich noch bei 10 mm Druck, nicht
mehr bei 5 mm. Der Aspergillus niger, Penicillium glaucum und Mucor
stolonifer entwickelten sich sogar noch etwas bei 5 mm Druck. Um-
gekehrt wurden selbst die luftliebenden Mikrobien durch zu stark
erhöhte Sauerstoffspannungen am Wachstum gehindert, so z. B. der
Bac. subtilis durch einen Druck von 2 — 4 Atmosphären, der Aspe^llus
niger und die Bierhefe durch einen solchen von 2^ — 3 Atmosphären.
Neuerdings hat P o r o d k o *) die Untersuchungen C h u d i a -
k o WS vervollständigt, indem er für eine größere Reihe von Bakterien
den größten und kleinsten Sauerstoffdruck feststellte, bei dem noch ein
Wachstum eintrat'). Die Ergebnisse waren folgende:
Art der Mikroorganismen Sauerstoffmaximum Sauerstoffminimum
in Atmosphären*) in Vol.-%.
Schwefeibakt. Nathanson (§ 210) 0,68—0,81 —
1) Russisch 1896. Ref. Zentr. Bakt. 2. Abt., 4. 389. und Kochs
Jahresber. 1897, 44.
2) Jahrb. wiss. Bot. 41, 1904.
3) Die geringen Sauerstoff Spannungen wurden dadurch erzielt, daß
die Luft in einer Glasglocke mittels Wtisserstrahlpumpe auf 2 mm Druck
(0,06 Vol.% Sauerstoff) verdünnt, dann reiner Wasserstoff zugelassen und
nochmals auf 2 mm — 0,00016% O — ausgepumpt wurde. Die Angaben
der Tabelle beziehen sich übrigens auf eine Versuchsdauer von höchstens
8 Tagen. Bei einer solchen von 29 Tagen war noch nach dreimaligem Aus-
pumpen (0,0000004% O) Wachstum der Schwefelbakterien, des Pyocyaneus
und Fluorescens zu bemerken.
4) Eine Atmosphäre reinen Sauerstoffs entspricht einer Sauerstoff -
Spannung von 760 mm, d. h. einer etwa fünfmal größeren als der gewöhn-
lichen.
Nährstoffe.
99
Art der Mikroorganismen
Sauerstoffmaximum
Sauerstoffminimum
in Atmosphären
in Vol.-%
Bac. ß (Sapropliyt)
1,26 2,22
0
Rosahefe
1,68—1,94
0,00016—0,06
Bac. cyanogenus
1,68—1,94
0,00016--0,06
Spirillom volutans
1,68 2,25
Bac. pyocyaneus
1,81 2,18
Bac. mycoides
1,94—2,18
Bac. fluoreac. liquefac.
1,94 2,51
0,00016
ÄspeigillnH niger
1,94 2,51
0,06-^,66
Sarcina lutea
2,51 3,18
0,00015-^0,06
Vibrio albensis
2,51-^,18
0—0,00016
Penidlliam glaucum
3,22—3,63
0,06-^0,66
Mucor stolonifer
3,22—3,63
0,06— ,0,66
Bac. subtilis
3,18 3,88
0,-0,00016
Bac. Proteus vulgaris
3,63—4,35
0
Bac. coli conununis
4,09—4,84
0
Bac. prodigioBUS
5,45-^,32
0
Bac. c
9,38—?
0
Hiemach wären die Schimmelpilze am empfindlichsten gegen Sauer-
stoffmangel, die meisten streng aeroben Bakterien wüchsen noch bei
Vorhandensein einer so geringen Sauerstoffepannung, daß die strengen
Anaeroben dabei gedeihen könnten. Manche bekannte „fakultative
Anaerobier", wie der Coli-, Prodigiosus- und Proteusbazillus entwickelten
sich in den weitesten Grenzen, nämlich von 0 bis 4 — 6 Atmosphären
Saaerstoffdruck, d. h. bei vollständigem Mangel des Sauerstoffs imd
noch bei einem Überdruck von 20 — 30 gewöhnlichen Atmosphären.
Das Vorhandensein indifferenter Gase (Stickstoff, Wasserstoff) ändert
an dem Ausfall der Versuche nichts, wie schon P. B e r t für höhere
Organismen gefunden hatte (vgl. § 44). Die Teilverrichtungen der Mikro-
organismen werden durch verminderte Sauerstoffspannung ungleich
beeinflußt. Zuerst erlischt die Fähigkeit der Farbstoffbildung bei den
Bakterien und der Sporenbildung bei den Schimmelpilzen.
M. W u n d t ^) hatte bei der Untersuchung von 22 saprophytischen
Arten ähnliche Ergebnisse. Zur Ergänzung dieser Tatsachen dienen
einige, zum Teil schon früher gemachte Beobachtungen. So hatte schon
P a 8 1 e u r bemerkt, daß das Wachstum der Hefe um so geringer wird,
je vollständiger man den Sauerstoffzutritt ausschließt (§ 233). Später
ist das allgemein anerkannt, über die Frage, ob nun wirklich die Hefe
2n den strengen Aerobiem gehöre, d. h. ohne freien Sauerstoff nicht zu
1) Phil. Dissert. Marburg 1906, vgl. Bot. Zeitg. 1906, 344.
7*
100 Kap. III, § 31.
wachsen vermöge, ist aber noch kein völliges Einverständnis erzielt
worden. Wahrscheinlich ist es aber — wenigstens für die gewöhnliche
Bierhefe. Winogradsky beschrieb femer schon 1887 ein eigen-
tümliches Verhalten der Schwefelbakterien (§ 208). Obwohl die Beg-
giatoen des Sauerstoffs der Luft zu ihrem Leben bedürfen, entwickeln
sie sich stets erst in einiger Entfernung von der Oberfläche der Flüssig-
keit. Winogradsky erklärte das daraus, daß die Mikroben gleich-
zeitig auf den Schwefelwasserstoff angewiesen wären, der bei allzu reich-
lichem Sauerstoffzutritt nicht bestehen könnte. Daraus mag sich ja aller-
dings die Anpassung an die geringere Sauerstoffspannung entvdckelt
haben. Beijerinck^) machte bei dem Amylobacter butylicum
folgende Beobachtung. Insofern erwies es sich als Anaerobier, als es in
Würze durch Zutritt freien Sauerstoffs am Wachstum gehindert wurde
und bei strenger Anaerobiose durch beliebig viele Gärungsgenerationen
hindurchgeführt werden konnte. Andererseits gedieh es aber auch in
Leitungswasser mit 1% Pepton und 0,5% Stärkekleister bei niederer
Temperatur, ohne daß der Sauerstoff völlig abgeschlossen war, ja, es
wuchs anscheinend sogar besser als bei Luftabschluß. Auch die Würze
soll nach dem Auskochen noch Sauerstoff gebunden enthalten. Ein
gewisses Maß von Sauerstoffspannung wäre also nach Beijerinck
diesen Bakterien nicht nur zuträglich, sondern sogar nötig. Das erstere
können wir nicht bestreiten, das letztere ist aber nicht bewiesen, im
Gegenteil unwahrscheinlich. Besser bewiesen ist die „Mikroaerophilie'\
d. h. die Vorliebe für einen niederen Sauerstoffdruck durch B e i j e -
r i n c k 2) bei einigen anderen Bakterien. Zuerst beobachtete er in einer
dünnen wässerigen Bohnenaufschwemmung im Reagenzglas eine An-
sammlung bestimmter Bakterien in einer gewissen Höhe der Flüssig-
keitsschicht. Dies „Bakterienniveau" bildet sich aber ebenso in Rein-
kulturen und bei andern Bakterien. So sollen T3^hus- und Golibazillen
sogar ein doppeltes Niveau erzeugen. Auch zwischen Deckglas und
Objektträger lassen sich „Atmungsfiguren" erhalten ^). Hierher gehört
auch das Verhalten des von Bang*) und Stribolt studierten
Bazillus des seuchenhaften Abortus des Rindes. In hohen Schichten
von Serumagar entwickelt sich derselbe unter gewöhnlichen Umständen
nur in einer Zone von 1, — 1,5 cm Breite und 0,5 cm unter der Ober-
fläche, in einer sehr sauerstoffreichen Atmosphäre aber gerade an der
Oberfläche. Es bestehen für ihn also zwei Sauerstoffoptima. Das gilt
1) Vorhandel. Kon. Akad. Wetensch. Amsterdam 1893, 2. Sect. I.
2) Zentr. Bakt. 14. 827, 1893.
3) Weiteres über Bakterienniveaus und Atmungsfiguren § 56.
4) Zeitschr. Tiermed. 1, 1897, vgl. Ostortag in KoUe-Was-
8 e r ni a n n , Handb. 3. 830.
Nährstoffe. 101
nach R. Müller^) auch für den Bazillus der Geflügeldiphtlierie und
nach Wittneben*) auch für manche Eiterstreptokokken. Nur
liegen hier die beiden Optima unter dem gewöhnlichen Sauerstoffdruck,
und bei dem erstgenannten Bazillus findet sich noch die Eigentümlirh.
keit, daB er bei Vorhandensein von Hämoglobin (Blutagar) auch auf der
Nährbodenoberfläche wächst (s. u.).
Man kann sich das Sauerstoffbedürfnis der Kleinwesen etwa in
folgender Weise zeichnerisch veranschaulichen. In nachstehender Figur
ist die Sauerstoffspannung, innerhalb deren ein Wachstum möglich ist,
durch Linien von verschiedener Begrenzung angegeben.
Sauerstoffdruck in Atmosphären^).
0 0.2 0.4 0,6 0.8 1.0
1
2d
2t
2C
2d
3
4d
4d
Nr. 1, wo die Linie auf einen Pimkt zusammengeschrumpft ist, würde
Anaerobier im strengsten Sinne des Wortes bezeichnen, d. h. Keime,
die überhaupt nur bei vollständigem Sauerstoffabschluß gedeihen
könnten. Ob es solche gibt, ist aber nach den oben erwähnten Angaben
Chudiakows fraglich. Nr. 2 a und 2 b gibt die Verhältnisse unge-
fähr 80 ¥rieder*), wie sie bei den bisher bekannten strengen Anaerobiem
wirklich bestehen; Nr. 2c und 2d die Verhältnisse der sogenannten
fakultativen Anaerobier (z. B. Coli- und Proteusbazillen). Nr. 3 ent-
spricht den Bedingungen bei den strengen Aerobiern (Schimmelpilzen,
Hefen, Subtilis). Nr. 4 a würde etwa für Beggiatoen ®) bezeichnend sein.
1) Zentr. Bakt. 4L 521 \ind 621.
2) Ebenda 44. 99.
3) Die senkrechte Linie bei 1,0 bezeichnet die Stelle der normalen
Sauerstoff Spannung (etwa 21 Volumprozent). Hier sind also gewöhnliehe
Atmosphären gemeint.
4) Auf eine genaue Wiedergabe der Maß Verhältnisse mußte der Deut-
lichkeit wegen verzichtet werden.
6) Die Purpurbakterien verhalten sich nach M o 1 i s (J h (Pürpür-
bakterien 1907, 50 ff) verschieden. Einige entsprechen dem Typus 2 a und b,
andere (Spirillum rubrum) 2 c, wieder andere 4 a. Die zur Bildung des Farb-
stoffs (vgl. § 209 u. 254) nötige Sauerstoffspannung ist auch ungleich.
102 Kap. III, { 31.
4b für die Bazillen der Greflügeldiphtherie und manche Streptokokken,
4c für die Abortusbazillen. Auch Nr. 5, d. h. ein auflschließliches Wachs-
tum bei höherer als atmosphärischer Sauerstoffspannung wäre denkbar,
ist aber noch nicht nachgewiesen.
Unsere Zeichnung würde die natürlichen Beziehungen noch ge-
nauer wiedergeben, wenn wir der Einfachheit halber nicht darauf ver-
zichtet hätten, statt der geraden Linien keil- oder spindelförmige
Figuren anzulegen, -^^^ oder -^^^^^^ , um damit anzudeuten,
daß das Wachstum in der betreffenden Zone nicht gleichmaßig ist,
sondern von einer oder beiden Seiten bis zu einem Höhepimkt
zunimmt, oder wenn wir versucht hätten, auch noch, etwa durch über-
einander gelegte farbige Striche, die Tatsache auszudrücken, daß auch
die übrigen Eigenschaften der Mikroben, wie z. B. die Sporenbildung
und -Auskeimung, Beweglichkeit und Bewegungsrichtimg, die Ferment-,
Färb- und Leuchtstoffbildung von der Sauerstoffspannung abhängig
sind. Die Untersuchungen von Hansen, Wundt (a. a. O.) u. a.
haben nämlich ergeben, daß diese Eigenschaften meist in Spannungs-
grenzen zutage treten, die bei den einzelnen Arten recht ungleich sind.
Begelmäßig sind diese Grenzen enger gezogen
als diejenigen für das Wachstum; indessen gilt das
anscheinend nur für die Bildung, nicht für die Tätigkeit der
Leuchtstoffe, sowie der Fermente. So genügen schon die kleinsten, für
das Wachstum ungenügenden Spuren von Sauerstoff, um phosphores-
zierende Bakterien zum Leuchten zu bringen (§ 238), imd mit oder
ohne Sauerstoff behalten die einmal gebildeten Enzyme ihre Wirksam-
keit. Am besten scheint die obige Regel bewiesen zu sein für clie Sporen-
bildung bei Bakterien, Hefe usw. Doch wird von M i g u 1 a ^) und
Matzushita^) angegeben, daß obligate Anaerobier Sporen auch bei
freiem Luftzutritt bilden können. Es mag dahingestellt bleiben, ob
hier die plötzliche Erhöhung der Sauerstoffspannung nicht blos als
Reiz zu beschleunigter Entwickelung auf die schon in Sporenbildung
begriffenen Keime wirkt. Auch sonst ist die Vorstellung, daß der Sauer-
stoff bei Anaerobiern einen Reiz darstelle, ausgesprochen worden, so
sollen nach B u r r i und Kürsteiner ^) Putrificusbazillen, die
vorher anaerob zu wachsen angefangen haben, durch Sauerstoffzutritt
zu reichlichem Wachstum angeregt werden können. Die Beobachtung
selbst scheint uns bei der oft unregelmäßigen Ausbeute in den Kulturen
1) Lafars Handb. 1. 112, 1904.
2) Arch. Hyg. 43, 1903.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt., 21. 289, vgl. Pringsheim ebenda 673.
Nährstoffe. 103
noch nicht genügend gesichert zu sein. Die Möglichkeit einer Reiz-
wirknng besteht aber vielleicht hier wie für andere Gifte ( § 55). Daß
der Sauerstoff in höherer Konzentration iräklich ein Gift für Anae-
roben ist, kann u. a. nach Pasteurs und Ghudiakows Er-
fahrungen nicht bezweifelt werden. Letzterer Forscher stellte fest,
daß die Giftigkeit um so deutlicher hervortritt, je höher die Spannung
über das noch mit dem Wachstum verträgliche Maaß steigt. Wie sich
diese Giftwirkung erklärt, ist nicht bekannt, — man könnte daran
denken, daß sich ihnen Oxydationsprodukte^) in gewisser Konzentration
schädlich erwiesen. Besondere Schwierigkeiten macht natürUch das
Verhalten der Mikroorganismen mit „doppeltem Niveau" (s. o. S. 100).
Übrigens liegen bei cliesen noch keine Beobachtungen über die Giftig-
keit des Sauerstoffs in der für das Wachstum ungenügenden Zone vor.
Ebenso fehlen genügende Untersuchungen über die Schädlichkeit des
Sauerstoffmangels bei den Aerobiem. Man weiß nur, daß diese beim
Aufhören der Sauerstoffzufuhr nicht weiter wachsen, ob sie aber in ähn-
licher Weise wie höhere Tiere und Pflanzen an dem Sauerstoffmangel
»»ersticken'^ ist nicht untersucht. Wahrscheinlich ist eine plötz-
liche Wirkung bei den aeroben Mikroorganismen aber nicht, sondern
sie sterben allmählich unter den Erscheinungen der Selbstverdauung
(§ 9 u. § 166) und Selbstvergärung (§91) ab.
Zweifel bestehen femer über die Möglichkeit einer zeitlich
beschränkten Anaerobios e. Pasteur^) hatte aus
seinen Beobachtungen geschlossen, daß die Hefe imstande sei, einen
Sauerstoffvorrat aufzuspeichern, der ihr gestatte, eine gewisse Zeit
auch ohne freien Sauerstoff zu wachsen. Beijerinck^), der diese
Zeit für die Hefe auf etwa 20 — 30 Generationen festsetzte, glaubte
dann auch sein Amylobact. butylicum und überhaupt alle sogenannten
obligaten Anaerobier bzw. die von ihm selbst früher „permanente
fakultative^^ Anaerobier genannten Bakterien als „temporäre fakul-
tative Anaerobier'' auffassen zu dürfen. Das ist aber nach den zahl-
reichen Erfahrungen, die über dauernde Fortzüchtung der letzteren
unter Sauerstoffabschluß vorliegen, ausgeschlossen. Daß es dagegen
1) Sicher ist, daß kleinste, an sich mit dem Leben verträgliche Sauer-
»toffmengen, die echten Ana^roben beständig geboten werden, in den
Kulturen verschwinden, also zu irgend welcher Oxydation benutzt werden ;
daher kann man die strengen Anaeroben nicht definieren als Wesen, die
zur Oxydation ganz unfähig seien; nur beschränkt und nicht unumgänglich
nötig ist ihre Oxydationsf^gkeit.
2) Etudes sur la bi^, 1876.
3) a. a. O. und Zentr. Bakt. 2. Abt., 2. 41, vgl. Fermi und
Bassu, Zentr. Bakt. 1. Abt., 38. 138 ff., 1905.
104 Kap. in, § 31.
eine Sauerstoffspeiclierung gibt, zeigte E w a r t ^) an
einigen Bakterien, wie Bact. brunneum, cinnabarinum, Micr. agilis,
Staphjl. citreus, Bac. jantbinus. Die Fähigkeit scheint an Farbstoffe
gebunden zu sein (§ 253). Der Beweis wurde dadurch erbracht, daß
Mikroben, die auf Sauerstoffzutritt mit Bewegungen antworten, bei
Gegenwart des betreffenden Bakteriums beweglich wurden. Die Be-
deutung der Einrichtung scheint danach weniger darin zu liegen, daß
der gespeicherte Sauerstoff für die eigene Atmung der Pigmentbakterien
verwendet, als an die Umgebung abgegeben wird. Die ganze Frage der
zeitweiligen Anaerobiose und Sauerstoffspeicherung bedarf übrigens
noch einer gründlichen Bearbeitung.
Mit der zeitlich beschränkten Aerobiose^) imd Anaerobiose ist
nicht zu verwechseln die durch Anpassung (oder freiwillige „Mutation")
erworbene oder durch Unterschiede in der Zusammensetzung des Nähr-
bodens bedingte Änderung des Verhaltens zum Sauerstoff. Daß es
Rassen von Rauschbrand- ^) und Tetanusbazillen *) gibt, die mehr oder
weniger gut den Sauerstoff vertragen, ist bekannt (§ 352). Durch
allmähliche Steigerung der Luftzufuhr vermochte Chudiakow das
Bactridium butyricum, Rosenthal ^) den Bac. botulinus, die
Achalmeschen Bazillen des Gelenkrheumatismus, den Bazillus des
Gasbrandes und malignen Odems an höhere und sogar an die gewöhnliche
atmosphärische Sauerstoffspannung zu gewöhnen. Umgekehrt gelingt
es auch, Bakterien an geringe Sauerstoffspannng anzupassen. So sah
Ijafforgue*) den Bac. mesentericus, der sonst Häute auf der Ober-
fläche bildet, in Filtraten schon bewachsener Bouillon unter Trübung
der ganzen Flüssigkeit wachsen und diese Neigung zur Anaerobiose
auch beibehalten"^). Um keine Umwandlung, sondern nur um die Folge
einer ungleichen Empfindlichkeit gegenüber dem Sauerstoff bei ver-
schiedenen Temperaturen handelte es sich in dem vom Verfasser beob-
achteten Fall. Ein köpfchensporenbildender Bazillus kam zwar bei 24fi
auf der Oberfläche der Nährböden leidlich fort, nicht aber bei 37", wo
er nur in der Tiefe des Stichs gedieh. Umgekehrt liegen die Dinge nach
Rabinowitsch®) und S c h ü t z e *) bei thermophilen Bakterien
1) Bei Pfeffer, Verhandl. k. sächs. Ges. Wiss. T^ipzig 1896. 46. 379.
2) So kann man die oben auf Keizwirkungen zurückgeführten Er-
scheinungen benennen.
3) Kitt, Zentr. Bakt. 17. 168. 1895.
4) B r a a t z , ebenda 737, R i g h i , ebenda, ref. 315.
5) Compt. rend. soc. biol. 50. 1292. 1903; 60. 874, 1906.
6) Soc. biol. 18. V. 1907.
7) Vgl. auch Garbo w Ski: Zentr. Bakt. 2. Abt. 19—20.
8) Zeitschr. f. Hyg. 20, 169.
9) Arch. Hyg. 67, 55.
Nährstoffe. 105
imd Strahlenpilzen, die bei niedrigerer Temperatur besser anaerob, bei
höherer besser aerob wachsen ( § 42).
Die Abhängigkeit des Sauerstoffbedürfnisses von der Zusammen-
setzimg der Nährböden ist schon den früheren Forschern auf dem
Grebiete der Anaerobiose angefallen. So beruhen viele zur Züchtung
der Anaeroben angegebenen Verfahren^) auf bestimmten Zusätzen
zum Nährboden. Zucker empfahlen dafür schon Pasteur imd
dami Liborius^), dem wir clie erste systematische Behandlung des
Reinkulturproblems bei Anaeroben verdanken. Eitasato und
W e 7 1 ^) hatten ähnliche Erfolge mit ameisensaurem Natron, indig-
schwefelsaurem Natron, Brenzkatechin oder Eikonogen, B e i j e -
r i n c k *) mit Natriumhjdrosulfit, Trenkmann^) mit Schwefel-
wasserstoff und Natriumsulfid, Hammerl^) mit Ammonsulfhydrat.
H a t a '') züchtete Odembazillen sogar in gewöhnlichen Bouillon-
Töhrchen mit 0,3%Ferrosulfat, allerdings war das Wachstum nur gut,
wemi die durch den Zusatz entstehende Trübimg nicht durch Filtrieren
beseitigt worden war. Diesen letzteren Untersuchungen schlössen sich
an die Beobachtungen von Th. Smith ®),Tarozzi^),Wrzo8ek ^®),
Pfuhl^), Harras^*), Liefmann^®), Guillemot und
Szczawinska^^) und H a t a selbst über die Möglichkeit, Anae-
roben ohne besondere Vorsichtsmaßregeln zur Entfernung des Sauer-
stoffe in Nährböden zu züchten, denen man gewisse Fremdkörper zu-
gesetzt hatte. UrsprüngHch hatte man dazu keimfrei entnommene Stück-
1 ) Vgl. außer den Lehrbüchern und Omelianski. in Laf ars
Handb. 1. 576, 1907, z. B. bei F e r m i und B a s s u (Zentr. Bakt. 35 u.
38 1905, bis 1906), Matzushita (Arch. Hyg. 43, 1902); femer die
Abänderungen des B o t k i n sehen Verfahrens durch Grassberger
und Schattenfroh (Arch. Hyg. 37 imd 42), G h o n und Sachs
(Centr. Bakt. 32); die Züchtung in luftleerem Raum bzw. unter verschie-
denem Druck bei P o r o d k o (im Text S. 98), bei A. Meyer (Zentr,
Bakt. 2. Abt. 15. 337, 1905 und Bredemann (ebenda 23. 409, 1909).
2) Zeitschr. Hyg. 1, 1886.
3) Ebenda 8, 1890.
4) S. o. Verhandel. Akad. Wet. 1893.
5) Zentr. Bakt. 23. 1038, 1898.
6) Ebenda, 30. 658, 1901.
7) Ebenda 46. 549, 1908.
8) Smith, Walker und Brown, Journ. med. research. 14,
193, 1905.
9) Zentr. Bakt. 38. 619, 1905.
10) Wien. klin. Woch. 1905, 1268. Centr. Bakt. 43. 17; 44. 607.
11) Ebenda 44. 378. 1907.
12) Münch. med. Woch. 1906, 46.
13) Ebenda 1907, 17.
14) Soc. biol. 1. II. 1908.
106 Kap. III. f 31.
chen lebender tierischer oder pflanzlicher Organe empfohlen und als
dabei wirksam eine hitzeempfindliche organische Substanz angesehen.
Diese Substanz sollte auch in Lösung gehen, so daß die Bouillon auch
nach Herausnahme des Organstückchens zur Züchtung brauchbar
wäre. Die nähere Prüfung zeigte aber, daß die Hitzeempfindlichkeit
nur eine relative ist, die organischen auch durch unorganische
Stoffe wie Kohle, Kreide, Eisen, Zink, Zinn, weniger gut durch Alu-
minium und dessen Verbindungen, soweit sie einen Niederschlag geben,
ersetzt werden können, die Hauptsache also das Vorhandensein
gröberer oder nur als Trübung erscheinender
Fremdkörper ist, die wahrscheinlich allerdings nicht allein als
solche, d. h. indem sie den Anaerobiern mechanischen Schutz vor dem
unbeschränkten Luftzutritt gewähren, sondern auch durch ihre R e -
duktionskraft wirken. Die Wirkung wird daher auch befördert
durch reichliche Einsaat von Keimen und durch Mitüber-
tragung von festen (klumpigen) Kulturstückchen, z. B. von Agar. Die oben
erwähnten gelösten Stoffe einschließlich des Zuckers hatte man ja auch
im Hinblick auf ihre Reduktionskraft ausgewählt. Durch diese Fest-
stellungen wurden auch ältere Erfahrungen, clie man über den günstige n
Einfluß von Mischkulturen auf das Wachstum der Anae-
robier gemacht, verständlich. Schon P a s t e u r hatte beobachtet,
daß luftliebende Bakterien, wenn sie in Gemeinschaft mit Anaeroben
wachsen, deren Gedeihen befördern, sei es, indem sie durch Decken-
bildung den Zutritt der Luft in die Tiefe der Nährflüssigkeit behindern,
sei es, indem sie den darin schon gelösten Sauerstoff in Beschlag nehmen.
Er führte darauf die Möglichkeit für Anaeroben, imter natürlichen Ver-
hältnissen sich zu entwickeln, zurück. Später wurde die Tatsache
selbst allgemein bestätigt, ja, es gelang Kedrowsky^) selbst bei
langsamer Durchleitung von Luft durch die Kulturflüssigkeit oder
auf schrägem Agar Aeroben und Anaeroben nebeneinander zu züchten.
Nach Scholtz^) vermögen sogar Rauschbrandbazillen mit den
langsam wachsenden Tuberkelbazillen und Strahlenpilzen zusammen
sich an der Oberfläche der Bouillon zu entwickeln. Kedrowsky
wies ferner nach, daß vorsichtig — durch Chloroform — abgetötete
Aeroben-Leiber eine ähnliche Wirkung auf die Anaeroben ausüben
wie lebende und schloß daraus auf das Vorhandensein eines die Anae-
roben begünstigtenden Ferments. Die Versuche von S c h o 1 1 z und
von V. Oettingen') zeigten aber, daß, wenn ein solches etwa ge-
1) Zeitschr. f. Hyg. 20, 1895.
2) Ebenda 27, 1898.
3) Ebenda 43, 1903.
Nährstoffe. 107
bildet wild, es jedenfalls nicht löslich und filtrierbar ist. Betrachten
wir die lebenden oder toten Leiber der aeroben Bakterien als redu-
zierende Fremdkörper (§ 161), so haben wir wohl eine genügende Er-
klärung.
In dem Falle von Bienstock^), der Anaeroben in einer durch
Kochen abgetöteten Kultur des Pyocyaneus zum Wachstum kommen
sah, spielt wahrscheinlich außerdem noch das Fibrin eine Rolle, das der
Kultur als Nährstoff zugesetzt worden war.
Schwieriger zu deuten sind die Beobachtungen R. Müllers an
dem früher (S. 101) erwähnten Bazillus der Geflügeldiphtherie. Er
fand nämlich, daß dieser auch aerob (auf Platten) wuchs, wenn ihm
Blut, Serum, Milch oder rote Blutkörper als Nahrung geboten wurden.
Man könnte daran denken, daß hier die Verbesserung des Nährbodens
das Hemmnis überwinden hülfe, das durch den Sauerstoffzutritt ge-
schaffen würde, wenn nicht das Verhalten der Reagenzglas- Schüttel-
Kulturen in Serumagar, bei dem ja das aerobe Wachstum ausbleiben
soll, dagegen spräche. Bemerkenswert ist auch in Hinblick auf die
negativen Erfolge S c h o 1 1 z ' und Oettingens die Angabe,
daß das keimfreie Filtrat einer Sarcine das (redeihen des Bazillus
ebenso befördere wie clie lebende Sarcine.
Auf die bessere Ernährung ist wohl zurückzuführen, daß nach
Omeliansky^) das Bac. formicicum ameisensaure Salze unter
streng anaeroben Bedingungen nur dann vergärt, wenn sie ihm in
Bouillon, nicht wenn sie in mineralischer Lösung zur Verfügung stehen,
während die Gärung auch in letzterer Lösung bei Sauerstoffzutritt
erfolgt. Die Begünstigung, die das anaerobe Wachstum vieler Bakterien
durch Zucker erfährt, beruht wahrscheinlich auch nicht blos auf dessen
reduzierenden Fähigkeit, sondern auf seiner Eigenschaft als guter Nähr-
stoff und geeigneter Gegenstand für das Gärver-
mögen der Bakterien. Früher hat man die Begünstigung
des anaeroben Wachstums durch vergärbare Stoffe so aufgefaßt, daß
diese den Sauerstoff liefern sollten für die Atmung, die sonst mit Hilfe
des atmosphärischen Sauerstoffs erfolgte. Zugunsten der energetischen
Auffassung hat man diesen Gedanken jetzt wohl allgemein fallen lassen
und hält ihn nur bei denjenigen „Gärungen'' noch aufrecht, die Sal-
petersäure (§ 198) und Schwefelsäure (§ 212) betreffen. Diese sauer-
stoffreichen Körper sind allerdings nachweislich imstande, den zur Oxy-
dation der Nährstoffe (z. B. Zucker) nötigen Sauerstoff abzugeben und
somit den Sauerstoff der Luft vollständig zu ersetzen, d. h. das anaerobe
1) Annal. Pasteur 1903, 12.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt., 11. 177, 1903.
108 Kap. m, $ 32.
Dasein zu ermöglichen. Merkwürdigerweise haben aber einige dieser
Organismen sich so vollständig an diese mittelbare Art der
Oxydation angepaßt, daß sie geradezu unfähig geworden sind, sich
freien Sauerstoffs zu bedienen, also in diesem Sinne zu strengen Anae-
roben geworden sind. Auf die näheren Verhältnisse der Ausnutzung
des an Salpeter-, salpetrige imd Schwefelsäure gebundenen Sauerstoffes
gehen wir später ein. Andere Peroxyde, wie z. B. Wasserstoffsuperoxyd,
werden anscheinend nicht dem Stoffwechsel dienstbar gemacht, sondern
nur unter Entbindung von Sauerstoff zersetzt {§ 160).
Über die durch die Anaerobiose und Gärung bei manchen Mi-
kroben gesetzten Gestaltsveränderungen s. Buttersäuregärung § 113 ff.
und § 130.
§ 32. Der Stickstof f bedarf ^). Daß Mikroorganismen ohne
Stickstoff gedeihen können, ist bisher nur von F e r m i ^) behauptet
worden. Es soll Schimmel- und Hefepilze geben, die auf N-freien Nähr-
böden leben und selbst N-frei bleiben ! Im allgemeinen nimmt man an,
daß organische Substanzen nicht ohne Eiweiß, und Eiweiß nicht ohne
Stickstoff denkbar ist. Der Stickstoff kann freilich gerade bei den Mikro-
organismen in sehr verschiedener Form und Menge geliefert werden,
a. Höchst verwickelt gebaute Stickstoffverbindungen, also Pro-
teinstoffe, verlangen bekanntlich — mit vorläufig noch zweifelhaften
Ausnahmen — die Tiere zur Nahrung. Es gibt auch unter den kleinsten
Lebewesen, besonders unter den parasitischen, solche, die ebenfalls
darauf angewiesen sind. So wachsen Influenzabazillen am besten auf
Hämoglobin und sonst allenfalls noch auf Sperma, Blutserum, Bak-
terienleibern, Gono- imd Meningokokken auf Menschenblutserum und
nur kümmerlich auf anderen Serumarten oder Albumosen, ebenso
Schanker-, Keuchhustenbazillen und Trypanosomen nur auf Blutnähr-
böden, die Spirillen des Rückfallfiebers anscheinend nur in lebendem
Blut, andere strenge („obligate") Parasiten nur in diesem oder jenem
lebenden Organ bestimmter Tiere. Allerdings dürfen wir uns nicht
allzu bestimmt darüber äußern, ob ein Mikroorganismus zu dieser
Gruppe gehört, weil wir vor Überraschungen nicht sicher sind. Noch
ist es nicht gar so lange her, daß man gelernt hat, die Tuberkelbazillen,
die früher als Tjrpus der anspruchsvollen Bakterien erschienen, auf
Nährböden zu züchten, die eiweißfrei sind, ja, den Stickstoff nur in
Form von Ammoniaksalzen (Proskauer und B e c k) zu enthalten
brauchen. Außerdem sind die Ursachen der Vorliebe der Parasiten auf
1) Litt. s. o. § 29 und bei Beneoke in Lafars Handb. 1,
383, 1905.
2) Zentralbl. Bakt. 2. Abt., 2. 650.
Nährstoffe. 109
bestimmte Organe und Organstoffe noch keineswegs durchsichtig.
Sie brauchten gar nicht in der für die Assimilation besonders geeigneten
Beschaffenheit gewisser spezifischer Eiweißstoffe zu liegen, sondern
könnten beruhen in dem Fehlen wachstumshemmender oder umgekehrt
in dem Vorhandensein wachstumsbefördemder Stoffe, also von Gift-
oder Reizstoffen unbekannten Baus. Auf deren Bedeutung für die Er-
nährung in verwickelt zusammengesetzten Nährböden und besonders
für das parasitische Dasein kommen wir später zurück (§ 55).
b. Der Ejreis derjenigen Mikroorganismen^), die zwar auch von
weniger verwickelten Stickstoffverbindungen, Aminosäuren, Säure-
amiden, Ammoniaksalzen der organischen Säuren, Nitraten usw. leben,
aber ebenso gut oder auch besser auf Eiweißstoffen, insbesondere den
leicht diffusiblen Albumosen und Peptonen gedeihen, ist ein sehr weiter.
Er umfaßt wohl die große Mehrzahl sämtlicher Bakterien imd Pilze,
einschließlich der Hefepilze.
Manche Mikroorganismen assimilieren umgekehrt den Stickstoff
besser aus einfachen Verbindungen, als aus Peptonen und echten Eiweiß-
körpem oder lassen diese letzteren überhaupt unberührt. So kann
nach Beijerinck der Saccharomyces Mycoderma und nach
W e h m e r der Aspergillus niger mit Anmionsalzen (und mit Harnstoff)
besser ernährt werden als mit Amiden oder Peptonen. Bemerkenswert
ist aber, daß die meisten dieser Gruppe angehörigen Mikroorganismen,
wenn sie auch eine gewisse Vorliebe für diese oder jene Substanz haben,
doch imstande sind, ihren Stickstoffbedarf aus den einfachsten wie den
verwickeltsten Verbindungen zu entnehmen. Die einfachsten sind die
1) Man kann die Angehörigen dieser Gruppe mit A. Fischer (Vor-
lesungen über Bakterien) den luiter.a genannten imd den unter c zu er-
wähnenden „monotrophen" als „polytrophe** gegenüberstellen. Die Para-
siten bezeichnet Fischer als „paratrophe", die Stickstoff (oder andere
Elemente) assimilierenden als »»prototrophe", die auf Verbindungen ange-
wiesenen als „metatrophe". Die letzteren zerfielen dann wieder, je nach-
dem sie sich von anorgeinischen oder orgcuiischen Verbindungen nähren,
in „autotrophe" und „heterotrophe" (Pfeffer). Ebenso könnte man mit
Beijerinck u. a. Ammon-, Amid-, Popton-, Eiweißmikroben unter-
scheiden, und je nachdem die Ernährung auf eine Art von Stoffen beschränkt
ist oder nicht, von obligaten oder fakultativen Amnion- usw. Mikroben
^j>rechen. Außer den unter a und c genannten ist aber eine, solche Be-
Nchrankung kaum sicher nachgewiesen, sondern es handelt sich immer um
eine mehr oder weniger große Vorliebe für die eine oder andere Art. Viel-
fach ist die Vorliebe bei den einzelnen Stänunen einer und derselben Art
ungleich entwickelt. So konnte Kirstein (Zeitschr. f. Hyg. 46. 254)
T^phosbaziUen nur zum Teil in Asparaginagar züchten. Die Möglichkeit
^n Anpassung an ungünstige Nährböden ist durch zahlreiche Erfahrungen
bewiesen (Kap. XVIII).
110 Kap. m. § 32.
AmmoniakBalze der anorganischen Säuren und die Nitrate. Beide
Arten von Salzen genügen den Schimmelpilzen (N ä g e 1 i) und Bak-
terien (Maassen, Bierema), die Ammoniaksalze sagen den
Hefepilzen ^) viel besser zu als die Nitrate, wenn auch diese nicht ganz
unbrauchbar sind (Laurent). Die Verwendung der letzteren im
Stoffwechsel ist allerdings eine wechselnde, wir werden darüber in einem
besonderen Abschnitt }iandeln (§ 197 ff).
Nitrite wirken als Oifte in saurer Lösung, werden aber in alka-
lischer Losung meist assimiliert (Nägeli, Maassen, Laurent).
Von den Ammoniaksalzen konmien in erster Linie in Betracht die
der anorganischen Säuren. Ihre Eignung ist je nach der Art des Mikro-
organismus verschieden. So kann z. B. der Tuberkelbazillus nach
Proskauer und Beck das salzsaure oder kohlensaure Ammon
außer dem Schwefel- und salpetersauren verwenden, der Aspergillus
niger nach Czapek nur die beiden letzteren. Ähnlich wider-
sprechende Befunde wurden übrigens für eine
große Anzahl anderer Stickstoff- und kohlen-
stoffhaltiger Verbindungen gemacht; offenbar
ist es nicht angängig, die Ergebnisse, die bei
der Ernährung eines Mikroorganismus erhalten
werden, auf andere Arten zu übertragen. Unter
dieser Einschränkung müssen daher die Resultate der sehr ausgedehnten
Untersuchungen Czapeks*) über die Stickstoffemährung des
Aspergillus niger, über die wir unter Übergebung einiger älterer Arbeiten
hier in Kürze berichten, betrachtet werden. Es fand sich, daß die
Ammonsalze der Essigsäurereihe gänzlich ungeeignet, die der
Milchsäure- und Oxalsäurereihe dagegen ebenso wie die der weiter
hydroxylierten Säuren (Apfel-, Wein-, Zitronensäure) vorzüglich
geeignet waren. Von den Säureamiden gestattete Formamid
kein Wachstum (wohl bei Bakterien, B i e r e m a), Acetamid erwies
sich als sehr brauchbar, Propionamid schon weniger und Butylamid
gar nicht. Die Amide der Milch- und Bemsteinsäure sind wieder gute
Nährstoffe, ganz besonders das Amid der Aminobernsteinsäure (Aspa-
ragin). Schlechte Stickstoff quellen sind samt und sonders die Säure-
n i t r i 1 e von der Blausäure an (vgl. Nägeli), desgleichen die
1 ) Nach Pringsheim soll die Hefe außer Ammoniak nur
solche N- Verbindungen brauchen, die, wie Fischers Peptide, die
Gruppe— CO— NH—CH = enthalten.
2) Eine willkommene Ergänzung dazu bieten namentlich die An-
reicherungsversuche Bieremas, die sich auf Pilze und Bakterien
erstrecken.
"Nährstoffe. 1 1 1
Cyanverbindungen^) mit Ausnahme des Bhodannatriums.
Als durchgängig sehr gute Nährstoffe kennt man seit langem die
A m i n o s äu r e n '). Auch deren Substitutionsprodukte Methyl-
gljkokoll ((Sarkosin), Trimethylglykokoll (Betain), Benzoylglykokoll
(Hippursäure), Oxyphenylalanin (Tyrosin)') und selbst die Aminoäthyl-
sulfosaiire (Taurin) werden von dem Aspergillus und manchen Bakterien
(6 i e r e m a) mehr oder weniger vollständig ausgenutzt, während sie
meist nngeeeignet sind für den Tuberkelbazillus. Gute Stickstoff-
nahrung bieten sowohl primäre als sekundäre oder tertiäre Amine,
doch zeigen, wie auch sonst so häufig, isomere Verbindungen beträcht-
liche Unterschiede. Ganz vorzüglich wirken namentlich Glukosamin
und Cholin. Das Verhalten der Endprodukte des tierischen Stoffwechsels,
des Harnstoffs usw. ist besonders interessant. Für Aspergillus
niger ist der Harnstoff eine leidliche Stickstoff quelle, weniger für Bier-
hefe (M a y e r')), eine gute aber wieder für Eahmhefe und viele Bak-
terien, keine ausreichende für Tuberkelbazillen. Die Abkömmlinge des
Harnstoffs verhalten sich verschieden, der Methylhamstoff wird vom
Aspe^Uus schlecht, der asymmetrische Dimethylhamstoff gut as-
miliert, ebenso Biuret, ferner auch Harnsäure, Alloxan, Alloxantin,
Parabansäure, Allantoin, Hydantoin, Guanidin, schlecht dagegen
Kreatin und Koffein. Für die Tuberkelbazillen eignet sich von diesen
Substanzen nur Biuret. Harnsäure und Hippursäure wird auch von
Bakterien ausgenutzt (Salzmann, Bierema,) ebenso Kreatin
(Vandervelde *)), Kreatinin (B r i e g e r ^)), anscheinend sehr
schlecht Koffein und gar nicht Theobromin (B e i n k e).
Von den aromatischen Körpern wurden schon einige
Verbindungen mit Fettsäuren als gute Stickstoffquellen bezeichnet,
dasselbe läßt sich sagen von den Ammoniaksalzen der Salicylsäure,
Gallussäure, Zimmtsäure, Chinasäure, auch noch von der m- imd p-
Ozybenzoesäure und Phthalsäure. Das hydrozimmtsaure Ammon ist
1) Auch die Zersetzung des Kalkstickstof fs erfolgt zunächst wesentlich
ohne Hilfe von Bakterien. Erst wenn sich durch chemisch-physikalische
Einflüsse aus den Cyanverbindungen Harnstoff gebildet hat, greifen Harn-
Btoffbakterien ein (} 194).
2) Tjrrosin soll nach Emmerling nur durch Verunreinigungen
nähren. Bei ihm und bei Low (Hofmeisters Beitr. 4) noch andere An-
gaben über Aminosäuren und Kritik der Czapek sehen Bemerkungen
über die Bedeutung der Konstitution für die Nährfähigkeit. G a l i m a r d,
L a c o m m e und Morel (Öompt. rend. ac. sc. 143. 349, 1906) finden
für Bakterien (Pyocyaneus) alle Amino- und Diaminosävu'en geeignet.
3) Gärungschemie S. 134.
4) Zeitschr. f. physiol. Chem. 8.
5) Ibidem 9.
112 Kap. III, § 32.
dagegen fast, das benzoesaure völlig unbrauchbar. Die o-, p- und m-
Aminophenole zeigen ganz verschiedene Nährkraft, Anilin und Dirne-
thylanilin sind mäßig geeignet, Methylanilin gar nicht. Die Nitro-
verbindungen, Pikrin- und Nitrobenzoesäure sind Gifte. Die
für Tiere so giftigen Alkaloide z. B. Nikotin, sind dagegen für
Bakterien und Pilze Nährstoffe.
Nukleinsäure eignet sich nach Iwanow für Pilze ebenso
zur Entnahme des Stickstoffe wie des Phosphors (§30). Jedoch muß
auffallenderweise Kohlenstoff noch in anderer Form zugeführt werden,
während das bei den Bakterien nicht nötig zu sein scheint. Nur be-
stimmte Bakterien, wie der Bac. chitinovorus — und wohl auch einige
Hautschmarotzer unter den Pilzen — vermögen das Chitin und
Keratin auszunutzen (Benecke^)).
Von anderen schwer zersetzlichen Körpern seien noch die Humus-
Stoffe genannt, die in der Natur ja sehr verbreitet sind und regel-
mäßig eine geringe Menge Stickstoff enthalten. Wie Reinitzer^)
und Nikitinsky^) an rein dargestellten Humusstoffen festgelegt
haben, kann dieser von Pilzen und Bakterien assimiliert werden, doch
ist es noch nicht ganz sicher ausgemacht, ob nur der Ammon- oder auch
der Amidstickstoff der Humussäure au^enommen wird.
c. Eine besondere Stellung unter den Mikroorganismen nehmen die
Salpeterbakterien oder Mikroorganismen der Nitrifi-
kation ein, die ihren Stickstoff ausschließlich der salpetrigen Säure
oder dem Ammoniak entnehmen und, wie wir gleich sehen werden
(§ 33), als Kohlenstoff quelle nur die Kohlensäure selbst brauchen
können, insofern also den chlorophyllführenden Pflanzen verwandt
sind. Sie sind aber in ihrer Ernährung weit mehr beschränkt, als letztere,
weil es gelingt, die Pflanzen auch mit verwickelt gebauten Stickstoff-
verbindungen zu erhalten, und verdienen also ganz besonders den
Namen von „monotrophen" Organismen.
d. Fast noch erstaunlicher war die Entdeckung, daß es Mikro-
organismen gibt, die freien Stickstoff assimilieren können.
An die Möglichkeit einer nutzbringenden Verwertung derselben durch
Pflanzen hatte man zwar schon früher gedacht, aber erst ein praktischer
Landwirt, Schultz-Lupitz, hat 1881 den Anstoß zu einer er-
neuten wissenschaftlichen Bearbeitung der Frage gegeben, indem er
auf die Anreicherung des Stickstoffs im Boden durch die Anpflanzung
von Leguminosen hinwies. Den Grund dafür fand Hellriegel in
1) Botan. Zeit. 1906.
2) Botanische Zeitg. 1900.
3) Jahrb. wiss. Bot. 37, 1902.
Nährstoffe. 113
der Assimilatioii des freien Luftstickstoffes durch die sogenannten
Bakteroiden, die sich in den Wurzelknöllchen der Pflanzen finden.
Der weitere Gang der Dinge (§ 201)) hat diesem Forscher vollständig
Recht gegeben. Es gelingt ohne Mühe, den Bac. radicicola (B e i j e -
r i n c k) zu isolieren, durch Impfung sterilisierter Erde mit seinen Rein-
kulturen die Entwicklung der Wurzelknöllchen mit den charakte-
listischen Bakteroiden hervorzurufen und durch sie das Wachstum der
Legnminosenpflanzung auf stickstof&eiem Boden zu ermöglichen. Nicht
ganz sicher ist es, ob es auch unter den Schwefel- und Wasserstoff-
bakterien, die wie dieNitrobakteiien die Fähigkeit besitzen, Kohlensäure
zu assimilieren (§ 33), solche gibt, die ausschließlich auf anorganische
Stickstoffverbindungen angewiesen sind. Es scheint nur festgestellt,
daß ihr Stickstoffbedarf aus Ammoniak und Nitraten gedeckt werden
kann.
Außer den Bakterien der Wurzelknöllchen imd den ihnen vielleicht
an die Seite zu stellenden Wurzelpilzen (Mykorrhizen § 202)
gibt es im Erdboden auch noch andere, die zur Assimilation des freien
Stickstoffs fähig sind. Dahin gehört vor allem Clostridium
Pastorianum Winogradky und Azotobacter Chro-
ococcum Beijerinck, die sogar in völlig N-freien Nährböden
gezüchtet werden können und teilweise recht bedeutende Stickstoff-
mengen der Luft entnehmen. Wahrscheinlich ist übrigens die Fähigkeit
Stickstoff zu assimilieren, noch viel weiter verbreitet unter den Klein-
wesen (§ 203) und kommt auch höheren Wesen zu. Auf die näheren
Bedingungen der Stickstoffassimilation kommen wir später zurück.
e. Nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ ist der Stick-
stoffbedarf der einzelnen Mikroben sehr verschieden. Manche wachsen
schon in ganz verdünnter Nährlösung und werden durch stärkere Kon-
zentration geradezu geschädigt. Wir kommen bei der Besprechung
des Einflusses der Dichtigkeit der Nährstoffe darauf zurück (§ 40),
machen aber der methodischen Wichtigkeit wegen hier schon darauf
aufmerksam.
Überraschend wenig Stickstoff scheinen zu ihrer Ernährung Bak-
terien zu bedürfen, die Beijerinck und van. Delden^) unter
dem Namen des Bac. oligocarbophilus beschreiben. Sie brauchen außer
Kalium-, Magnesiumsalzen imd Phosphorsäure nur kleinste Mengen
von Nitraten, Nitriten und Ammoniaksalzen und gedeihen sogar im
Notfall, wenn ihnen nur Spuren von Stickstoff durch die organischen
Verunreinigungen der Luft zugeführt werden (S. 122),
bilden aber doch — ungleich den Wasserbakterien, die zwar auch in
1) Zentrbl. Bakt. II. Abt., 10. 2, 1903.
Krose, Mikrobiologie. 8
114 Kap. III, § 33.
reinem Wasser wachsen, aber erst durch die Flattenkulturen nach-
weisbar werden, dem bloßen Auge sichtbare Häute auf der Lösung.
Auch 6 e r 1 a c h und V o g e P) sprechen von Schimmelpilzen,
die gewöhnlich mit dem Azotobacter chroococcum (s. o.) zusammen,
aber auch selbständig leben und mit den geringsten Spuren von Stick-
stoff auskommen. Sie sollen in ihrer Trockensubstanz weniger als 1%N
enthalten. Auch nicht viel mehr Stickstoff braucht das Bacterium
xylinum (§ 23). Durch solche Vorkommnisse mag sich allenfalls die
Behauptung F e r m i s , mit der wir § 32 eröffnet haben, recht-
fertigen lassen.
§ 33. Der Kohlenstoff bedarf ^), Der Kohlenstoff macht den
größten Teil der organischen Substanz aus, daher können wir auch er-
warten, daß der Kohlenstoffbedarf am größten ist. Das ist in der Tat
der Fall. Die Art und Weise, wie er befriedigt wird, ist sehr verschieden.
a. Ob es Mikroorganismen gibt, die für'ihre Kohlenstoffemährung
ausschließlich auf die verwickeltsten Verbindungen, die Protein-
k ö r p e r angewiesen sind, also nicht imstande sind, z. B. Kohlenhy-
drate zu verwenden, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist es nicht,
wenn wir an die Verhältnisse bei den anspruchsvollsten Organismen,
den höheren Tieren, denken. Es scheint aber, wie wir schon bei Gelegen-
heit der Stickstoffnahiung (§ 32a) gesehen haben, Mikroben zu geben,
die ohne Eiweißstoffe einschl. der Peptone und Albumosen) keinesfalls
auskommen, und die im Notfall jede andere Kohlenstoffverbindung
entbehren können. Wir sagen im Notfall, denn viele Erfahrungen
weisen darauf hin, daß eine Zugabe, sei es nun von Kohlen-
hydraten oder Glyzerin u. a. m. zu den Eiweiß-
stoffen das Wachstum verbessert. In den natürlichen
Nährböden fehlen solche Stoffe ja ohnehin so gut wie niemals.
b. Gehen wir zu dem weit größeren Kreise von Mikroorganismen
über, die auch ohne Eiweiß leben können, so hätten wir für jede
Spezies eine Stufenleiter der Stoffe zu bilden, je nach ihrer Eignung
zur Kohlenstoffernährung. Auch hier stehen zwar für viele wieder die
Eiweißstoffe, insbesondere die leicht diffusiblen Peptone bzw.
Albumosen, obenan. Sie können im allgemeinen sowohl als Stickstoff-
wie als Kohlenstoff quelle dienen; doch soll es Bakterien (z. B. Bac.
Stutzeri imd Hartlebi nach Salzmann) geben, die Pepton („aus
Eiweiß" von Merck) zwar als Stickstoff-, aber nicht zugleich als
Kohlenstoffnahrung benutzen können. Möglich ist es freilich, daß das
nur an dem Peptonpräparat gelegen hat, denn auffällig bleibt es doch.
1) Ebenda 10. 20/22.
2) Lit. § 29 und bei Be necke a. a. O. (§ 32).
Nährstoffe. 115
daB schon eine so schlechte Eohlenstoffquelle, wie Harnstoff es ist,
(8. u.) nach S a 1 z m a n n als Zugabe zu dem Pepton genügte, um das
Wachstum zii gestatten.
Den Eiweißstoffen stehen am nächsten die Zuckerarten.
Sie sind sogar für nicht wenige Mikroorganismen bei Vorhandensein einer
anderen guten Stickstoff quelle dem Pepton gleichwertig oder überlegen.
In erster Linie sind es die Hexosen, und unter ihnen wieder der
Traubenzucker, die den meisten Ansprüchen genügen; ihnen schließen
sich unmittelbar die Disaccharide, Maltose und Saccharose, an. Am
wenigsten geeignet von allen Zuckern erweist sich der Milchzuck er.
Die Pentosen und Tetrosen stehen den Hexosen im allgemeinen weit
nach. Worauf die eigentümlichen Unterschiede der Nährfähigkeit so
nahe verwandter imd häufig isomerer Stoffe beruhen, werden wir bei
Gelegenheit der Zuckerzersetzungen (Kap. VI) ausführlich zu erörtern
haben. Sehr nahe kommen den Zuckern in ihrer Nährfähigkeit die
sechswertigen Alkohole, die sich nur durch ein Mehr von 2 Wasser-
stoffatomen unterscheiden, insbesondere M a n n i t , ferner die zuge-
hörigen Säuren (Schleimsäure, Zuckersäure), auch der dreiwertige
Alkohol, das Glyzerin. Dieser letztere Stoff übertrifft sogar alle
übrigen weit bei der Ernährung des Tuberkelbazillus, so daß wir ihn
auf den künstlichen Nährböden kaum entbehren können (P r o s -
k a u e r und Beck). Gute Euohlenstoff quellen sind auch noch die
Aminosäuren, nach N ä g e 1 i für Pilze insbesondere das Leucin, nach
Czapek das Alanin, nach Uschinsky^), C. Fränkel^)u. a.
für Bakterien das Amid der Asparaginsäure, das Asparagin. E m -
m e r 1 i n g konnte nachweisen, daß die verschiedenenSchim-
melpilze eine spezifische Vorliebe für die ein-
zelnen Aminosäuren haben, die jeder Regel spottet. Manche
waren überhaupt nicht imstande, gleichzeitig als Kohlenstoff- und
Stickstoffnahrung zu dienen. Vielleicht hätte aber, wie wir es oben beim
Pepton gesehen haben, schon die Zugabe einer schlechten Kohlenstoff-
quelle genügt, um ihre Assimilation zu ermöglichen. Andere Beispiele
für eine spezifische Auswahl von Nährstoffen, insbesondere von orga-
nischen Säuren und Zuckerarten, werden wir übrigens später kennen
lernen (§ 58).
Der Regel nach brauchbar sind unter den organischen
Säuren die Bernstein-, Äpfel-, Wein-, Zitronensäure, die Oxybutter-
saure und von aromatischen Säuren die China-, Gallus- und Oxy-
benzoesäure, von den Aminen namentlich Propylamin, weniger
1) Zentralbl. Bakt. 14.
2) Hygien. Rundschau 1894.
8*
116 Kap. III, § 33.
Äthyl-, am wenigsten Methylamin, von den Säureamiden das
Lactamid and Acetamid. Die Essigsäure und d ie Milch-
säure sowie der Äthylalkohol sind schlechte Nährstoffe für
die meisten Organismen, für die Kahmhefe, den Milchschinmiel, die
Essigbakterien, die Eurotiopsis Gayoni (L a b o r d e) ganz vortreffliche.
Ein Vergleich der Nährkraft verschiedener Alkohole und Al-
dehyde für den Aspergillus niger hat Conpin^) gezeigt, daß
nur der Äthylalkohol ein brauchbarer Nährstoff ist, Methylalkohol
und Glykol überhaupt nicht assimiliert wird, und Amyl- und Allyl-
alkohol ebenso wie Methyl-, Äthyl- und Benzaldehyd giftig wirken.
Jedoch finden sich nach L ö w ^) auch wieder bestimmt« Organismen
(Bac. methylicus), die nicht nur Methylalkohol, sondern auch
Formaldehyd imd Ameisensäure assimilieren.
Höhere Fettsäuren und ihre Glyzeride, die Fette,
werden von Bakterien ziemlich schlecht, von Schimmelpilzen und Hefen
gut assimiliert (Rubner®), Schreiber*), Spieckermann
und B r e m e r ^) u. a.®) ; R. B. S c h m i d t ^) konnte zeigen, daß Asper-
gillus niger mit Mandelöl als einziger Kohlenstoff quelle ganz vorzüglich
gedieh, und W e h m e r hat sogar bei der Ernährung dieses Pilzes
mit Olivenöl größere Pilzemten als mit jeder anderen Nahrung erhalten.
Die den Fetten nahestehenden Kohlenwasserstoffe sind
viel weniger zur Lieferung von Kohlenstoff geeignet, doch gelang es
R a h n ®), einen Schimmelpilz zu finden, der imstande war, sich aus-
schließlich von Paraffin und Ammoniak zu ernähren. Selbst für
die gasförmigen Kohlenwasserstoffe scheint ähnliches zu gelten, mit
Erfolg untersucht ist freilich bisher nur das Sumpfgas. Nach
Söhngen®) und Kaserer^") dient es als alleinige Kohlenstoff-
quelle in einer mineralischen Lösung für den Bac. methanicus. Letzterer
Forscher^^) glaubt auch, daß Kohlenoxyd von einem anderen
Bakterium, das er mit dem Bac. oligocarbophilus Beijerincks
(s. u. S. 122) identifiziert, ebenso ausgenutzt, imd daß das Kohlen-
oxyd durch zwei andere Gase, den Wasserstoff als Kraftquelle und
1) Compt. rend. ac. sc. 138. 389, 1904.
2) Zentrbl. Bakt. 12, 1892.
3) Arch. Hyg. 38.
4) Ebenda 41.
5) Landwirtsch. Jahrb. 1902.
6) Weitere Litt, vergl. § 137 u. 149.
7) Flora 91.
8) Zentr. Bakt. 2. Abt., 16. 382, 1906.
9) Ebenda 15. 513, 1906.
10) Ebenda 15. 573.
11) Vgl. auch ebenda 16. 769.
Nährstoffe. 117
und die Kohlensäure als Kohlenstoff quelle ersetzt werden könne.
Während dieser Mikrobe als autotroph zu bezeichnen sei, begnüge sich
eine zweite Art, der Bac. pantotrophus zwar bei Fehlen anderer Nahrung
mit Wasserstoff und Kohlensäure, könne sich aber auch mit Formal-
dehyd und höheren organischen Verbindungen ernähren. Niklews-
k i ^) leugnet die Assimilation des Kohlenoxyds und die Identität
des Bac. oligocarbophilus mit dem von ihm selbst gefundenen, weit
verbleiteten Wasserstoff und Kohlensaure assimilierenden Bakterium,
hält es übrigens auch für heterotroph, ohne es aber mit dem Bac.
pantotrophus zu identifizieren. Andererseits haben Nabokich und
Lebedeff^) in sorgfältigen Versuchen festgestellt, daß in Eoiall-
gasgemischen Wasserstoff und Sauerstoff gleichmäßig (manch-
mal bis zur Entstehung eines Vakuums) verschwinden, wie es der Oxy-
dation von Wasser entspricht, bezeichnen übrigens wieder die Bakterien
als autotrophe. Offenbar sind die Verhandlungen über diese merk-
würdigen Wesen noch nicht geschlossen. So hat Nikitinsky^)
die Vermutung Kaserers, daß es auch eine Ausnutzung des
Wasserstoffis durch Bakterien unter anaeroben Bedingungen gebe,
bestätigt gefunden. Vielleicht wird hier der zur Oxydation nötige
Sauerstoff durch Sulfate (§ 212) geliefert.
Wenn wir viele Stoffe noch nicht genannt haben, so folgt daraus
nicht, daß sie keine oder schlechte Kohlenstoffquellen darstellen. Die
systematischen Prüfungen auf Nährfähigkeit haben sich ja bisher nur
auf verhältnismäßig wenige Arten beschränkt, und doch haben sie
schon jetzt gezeigt, daß Stoffe, die für den einen Mi-
kroben nicht assimilierb ar sind, es für denan-
deren ganz gut sein können. So hielt N ä g e 1 i Harn-
stoff, Ameisensäure und Oxalsäure, Oxamid, Äthylamin, Trimethyl-
amin für ungeeeignet zur Kohlenstoffemährung. Von den Aminen
wurde oben schon gesprochen, für Ameisensäure oder vielmehr deren
Salze ist das Gegenteil bewiesen durch Diakonow^) am Peni-
cillium und durch Low am Bac. methylicus (s. o.). Auch Oxalsäure
kann nach Wehmer^) Pilzen und Bakterien als ausschließliche
Kohlenstoffnahnmg dienen. Harnstoff soll Pilzen (D i a k o n o w)
und einzelnen Bakterien (Bac. Stutzeri und Hartlebi Salzmann)
den nötigen Kohlenstoff bieten können, wenn er auch gewöhnlich nur
als Stickstoff quelle (§ 32) dient. Jedenfalls ernähren die dem Harnstoff
1) Zentrlbl. Bskt. 2. Abt., 20. 469, 1908.
2) Ebenda 17. 350.
3) Ebenda 19. 495.
4) Ber. bot. Gesellsch. 1887, 385.
6) Bot. Zeitg. 1894, 324.
118 Kap. ni, i 33.
seinem Bau nach verwandte Parabansäure und Demethyloxamid eben-
falls Schimmelpilze (Reinke). Femer haben manche Erfahrungen
gelehrt, daß Stoffe, die als alleinige Eohlenstoff-
quelle für die Ernährung nicht verwendbar sind,
es werden, wenn sie mit anderen zusammen-
wirken. Das ist ein Vorteil unserer zusammengesetzten Nährböden.
So sind z. B. nach Proskauer imd Beck Traubenzucker, Rohr-
zucker, Malzzucker, Raffinose und Milchzucker allein nicht imstande,
die Tuberkelbazillen zu ernähren, verbessern aber das Wachstum be-
deutend, wenn sie mit Glyzerin zusammen gegeben werden. Die
Ameisensäure und andere Säuren werden in Peptonnährlösungen von
vielen Bakterien angegriffen, die sie allein nicht verwerten können
(M a a s 8 e n). So vergärt auch das Bact. formicicum 0 m e 1 i a n s -
k 7 s ameisensaures Salz nur bei Peptongegenwart (§ 140). In anderen
Fällen kann von Nährfähigkeit keine Rede sein, wenn man die betreffen-
den Stoffe in Konzentrationen anwendet, die giftig sind; verdünnt
man sie aber genügend» so werden sie Nährstoffe,
z. B. Karbolsäure nach N ä g e 1 i. Die Reaktion des Nähr-
bodens spielt ebenfalls häufig eine Rolle. So
sind freie Buttersäure und Baldriansäure nach Stutzer giftig,
werden aber in Gestalt von Salzen assimiliert. Umgekehrt hat man
Stoffe als assimilierbar betrachtet, die selbst unangreifbar, die aber
gewöhnlich mit nährfähigen Stoffen venmreinigt sind.
Dazu gehören die H umus s t of f e nach Reinitzer und Niki -
t i n 8 k y (s. o. S. 112). Doch hat der letztere Forscher selbst festgestellt,
daß die Oxydation dieser Substanzen, die schon ohne Beteiligung von
Mikroorganismen durch den Sauerstoff der Luft erfolgt, beschleunigt
wird durch die Anwesenheit der letzteren. Eine, wenn auch sehr lang-
same Assimilation des Kohlenstoffes der Humussäuren könnte wohl
die Ursache sein. Um so mehr ist das wahrscheinlich, als die Mikro-
organismen ja auch imstande sind, den Stickstoff der Humussub-
stanzen zu ihrer Ernährung zu benutzen, durch dessen Entziehung
also wohl diese Verbindungen lockerer und angreifbarer gemacht
werden. Klar sind die Verhältnisse freilich noch nicht. Ob die An-
greifbarkeit des reinen Kohlenstoffes (in Holzkohle, Lam-
penruß, Kohle und Torf), die P o 1 1 e r ^) beobachtet hat, zu Recht
besteht oder durch Verunreinigungen vorgetäuscht wird, muss unent-
schieden bleiben.
Wenn wir die Befriedigung des Stickstoff- und Kohlenstoffbedürf-
nisses, die sich ja nur künstlich trennen lassen, noch einmal im Zu-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt., 21. 647, 1908.
Nährstoffe. 119
sammenliang betrachten, so kann, man in Anlehnung an N ä g e 1 i
und Czapek etwa folgende Stufenleiter für die Nähr-
fähigkeit der organischen Stoffe aufstellen: 1. Die
günstigsten Emährungsbedingungen gewährt die Vereinigung von Ei-
weiß (Pepton) mit Zucker, 2. folgt die Mischung von Amino-
säuren mit Zucker, 3. von Ammonsalzen der übrigen
organischefi und anorganischen Säuren oder sal-
petersauren Salzen mit Zucker. 4. Eiweiß oder
Pepton allein. 5. Aminosäuren. 6. Ammonsalze der
Oxysäuren und Säureamide. 7. Ammonsalze der
Fettsäuren. Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß diese
Reihenfolge nur einen ungefähren Anhaltspunkt für die Zusammen-
setzung der Nährung gewähren soll. Entscheidend ist in letzter linie
das spezifische Bedürfnis der Mikroorganismen. Auf die Vorteile
zusanrniengesetzter Nährlösimgen haben wir eben schon hingewiesen,
sie sind erfahrungsgemäß besonders groß in den deshalb so oft benutzten
sog. natürlichen Nährböden aus dem Pflanzen- und Tier-
reich, zum Teil vielleicht, weil hier zu der geeigneten Nahrungsmischung
noch Reizstoffe hinzutreten (§ 55).
Man könnte denken, daß die Unlöslichkeit mancher Stoffe
in Wasser ihre Verwendbarkeit zur Ernährung ausschlösse, indessen
ermahnen uns die neueren Erfahrungen über die Assimilation der Koh-
lenwasserstoffe (s. o.) auch in dieser Hinsicht zur Vorsicht. Andere an
sich unlösliche oder schwer diffundierbare Verbindxmgen werden an-
greifbar dadurch, daß sie von den Mikroorganismen erst durch gewisse
Ausscheidungsprodukte (Enzyme) gelöst werden, so wird Zellulose xmd
Stärke verflüssigt, Dextrin und Glykogen verzuckert, Eiweiß pepto-
nisiert, Fett verseift (Kap. VI ff). Selbst im allgemeinen so wider-
standsfähige Pflanzenschleime wie Agar-Agar werden von einzelnen
Arten angegriffen (§ 73).
Man hat sich viele Mühe gegeben, aus der chemischen Konstitution
und neuerdings aus den chemisch-physikalischen Eigenschaften die Nähr-
fähigkeit der organischen Verbindungen zu erklären. So stellten schon
Stutzer, Nägeli und Reinke, femer Low (Zentrbl. Bakt. 9 und 12)
sowie zuletzt noch Czapek Regeln dafür auf. Nach Stutzer ernährt
die Carboxylgruppe nicht, sind ceu-boxylierte und hydroxylierte Kohlen-
wasserstoffe sämtlich brauchbar. Nach Nägeli kann der Kohlenstoff
nicht assimiliert werden, wenn er nicht unmittelbar am H hängt, sondern
an einem anderen Elemente, wie im Cyan, dem Harnstoff, in der Oxalsäure ;
assimilierbare Kohlenstoffverbindungen müssen die Gruppe CH^ oder CH
enthalten, die CH-Qruppe ernährt aber nur dann, wenn zwei oder mehrere
C-Atome, an denen H hängt, unmittelbar mit einander verbunden sind.
Nach Low nimiBt der Nährwert der Fettsäuren mit steigendem C- Gehalt
ab, mit neu eintretenden Anudo- oder Hydroxylgruppen zu; mehn^'ertige
120 Kap. in, $ 33.
Alkohole haben höheren Nährwert als die entsprechenden einwertigen; in
Substitutionsprodukten verringert Anhäufung von Methylgruppen an Stelle
von H- Atomen sehr den Nährwert. Nach Salzmann sind zwei-basische
Fett- und deren Oxysäuren von der Oxalsäure aufwärts Nährstoffe für
Actinomyces odorifera, einbasische nicht. Das gleiche soll für die Keimung
der Hausschwanunsporen gelten (R a m a n n bei Möller, Haus-
schwammforschungen 1. Heft 43, 1907). Solche Regeln mögen wohl für
viele Fälle zu Recht bestehen, haben sich aber bei fortschreitenden Er-
fahrungen fast immer als nicht allgemein gültig erwiesen. Das zeigt sieh
auch bei dem Versuch Czapeks, die verschiedene Brauchbarkeit der
Stidkstoffquellen auf ihre mehr oder weniger große Verwandtschaft mit
Aminosäuren zurückzuführen (Vgl. die Kritik von Emmerling a.a.O.
und L ö w in Hofmeisters Beiträgen, 4). Daß auch die Zersetzlichkeit
einer Verbindung einen Einfluß auf ihre Nährfähigkeit besitzt, kann
nicht bestritten werden. Nur ist danüt im einzelnen Falle gar nichts gesagt,
denn für den einen Mikroorganismus — und gerade das ist der Punkt, an
dem bisher alle Erklärungsversuche gescheitert sind — kann ein und der-
selbe Stoff leicht, für den anderen schwer oder gar nicht angreifbar sein.
c. Da wir schon bisher Mikroorganismen kennen gelernt haben,
die sich mit den einfachsten Kohlenstoffverbindungen begnügen, haben
wir eigentlich keinen großen Sprung zu machen, um zu denjenigen
überzugehen, die unter Ausschluß aller organischen Verbindungen
ihren Kohlenstoff bedarf allein aus der Kohlensäure decken. Es
sind zunächst dieselben, die ihreii Stickstoff dem Ammoniak oder
Nitrit entnehmen, die Salpeterbakterien. Daß es solche Bakterien gebe,
haben bei Gelegenheit ihrer Studien über die Ursache der Nitrifikation
zuerst Heraeus^) und H ü p p e ^) erkannt. H e r a e u s sah
nach Einsaat von 50 g Gartenerde in eine Lösung von 1 g Ammon-
karbonat auf 500 g Wasser binnen 14 Tagen eine zarte Bakterienhaut
sich auf der Oberfläche entwickeln, imd gleichzeitig eine starke Nitrat-
und Nitritreaktion eintreten. Die Weiterimpfung auf eine Salzlösung,
die neben 0,05 Vqq Kaliumphosphat, 0,01 V^o Magnesiumsulfat, 0,05%
Chlorcalcium noch 1 y o^ Ammonkarbonat enthielt, ergab nach 10 Tagen
eine noch kräftigere Bakterienvegetation in Form einer dicken Haut.
Die Flüssigkeit zeigte wieder dieselben Reaktionen. Damit schien der
Beweis geliefert, daß chlorophyllfreie Organismen im-
stande seien, allein auf Kosten von^Ammoniak
und Kohlensäure und unter Bildung von Sal-
petersäure sich reichlich zu vervielfältigen. Die
Reinzuchtversuche führten aber sowohl H e r a e u s wie H ü p p e
nicht zu einwandfreien Resultaten. Man kann auch nicht leugnen, daß
beide Forscher den Beweis für ihren Satz nicht ganz streng geliefert
1) Zeitschr. f. Hyg. 1, 226.
2) Tagebl. Naturforscher Versammlung 1887, 244.
Nährstoffe. 121
haben, insofem sie die Mögliclikeit, daß Spuren organischer Substanz
in ihren Lösungen vorhanden waren oder als Luftverunreinigungen
ihnen zugeführt werden konnten, nicht genügend berücksichtigt haben.
Daß hier die größte Vorsicht am Platze ist, werden wir gleich sehen.
Die Gültigkeit dea genannten Satzes ist erst durch die ausgezeichneten
und methodologisch höchst wichtigen Untersuchungen Winograds •
k y 8 (§ 196) über allen Zweifel erhoben worden. Auf Einzelheiten gehen
wir erst später ein, hier interessiert uns nur das Resultat : nach W i n o -
g r a d 8 k y gibt es zwei Gruppen von chlorophyllfreien Mikroorganis-
men, die Kohlensäure assimilieren und bei der Nitrifikation eine Rolle
spielen, nämlich die Nitritbakterien, die Anmioniak in sal-
petrige Säure, und die Nitratbakterien, die salpetrige Säure
in Salpetersäure überführen. Was die Herkunft der Kohlensäure angeht,
so ist weder die CO« der Luft noch die der Monokarbonate allein assi-
milationsfähig, sondlm sie scheint in Fom von Bikarbonaten geboten
werden zu müssen. Merkwürdig ist die Wirkung von gleichzeitig vor-
handenen organischen Stoffen auf dsA Wachstum der nitrifizierenden
Bakterien. Nicht nur sind sie unfähig, ihren Kohlenstoff oder Stickstoff
diesen zu entnehmen, sondern sie sollen — auch bei Abwesenheit anderer
Mikroorganismen — geradezu in ihrer Entwicklung gehemmt werden
schon durch verhältnismäßig geringe organische Beimengungen. Die
gewöhnlichen Nahrungsmittel wirken also auf diese sonderbaren Lebe-
wesen wie Gifte. Mag das letztere auch nicht in vollem Maße zutreffen,
jedenfalls haben wir in den Salpeterbakterien neue Zeugen für die
eigenartige Ausgestaltung — „Spezialisierung" — der bio-
chemischen Vorgänge bei unserer Mikroorganismen.
Ahnliche Eigenschaften besitzen nach Nathanson und
Beijerinck (§ 210) gewisse Schwefelbakterien, die
Schwefel, Schwefelwasserstoff und schwach oxydierte Schwefelver-
bindungen zu Schwefelsäure oxydieren. Dieser Prozeß dient ihnen als
Kraftquelle, um den Kohlenstoff der Kohlensäure zu assimilieren,
ebenso wie die Nitrifikation den Salpeterbakterien. Auch die oben
besprochenen Wasserstoffbakterien (S. 116) gehören hier-
her, nur ist noch zweifelhaft, ob sie die Kohlensäure nur bei Fehlen be-
sonderer Nährstoffe assimilieren oder auch streng „autotrophe"Wesen^)
unter sich zählen. Bemerkenswert ist, daß das Wachstum der Salpeter-
und übrigen Kohlensäure assimilierenden Bakterien zum Unterschied
von den grünen Pflanzen nicht abhängig ist von der Belichtung, daß
außerdem nicht nachgewiesen ist, daß sie die Kohlensäure unter Sauer-
1) Vgl. Amn. 1 auf S. 109. Über andere autotrophe Bakterien, die
«ich von Kohlenoxyd und Sumpfgas nähren, s. o. S. 116 u. 117.
122 Kap. in, § 33 u. 34.
stoffabsclieidung spalten. Im Gegenteil ist das niskch den vorliegenden
Untersuchungen unwahrscheinlich. Dadurch wird ausgeschlossen, daB
die Kohlensäureassimilation bei ihnen durch einen Stoff bedingt wird,
der dem Chlorophyll entspricht. Dagegen gibt es grün gefärbte Bak-
terien, die nach Engelmann u. a. im Lichte Kohlensäure spalten
und deren Farbstoff mit dem Chlorophyll identisch sein soll (§ 252).
Die früher von Engelmann aufgestellte Ansicht, daß die soge-
nannten Purpurbakterien im Lichte Kohlensäure unter Sauer-
stoffentbindung assimilieren, wurde durch Molischs Arbeiten als
unrichtig erwiesen (§ 209). Die Bedeutung des Farbstoffe und der
Belichtung für diese Wesen ist noch nicht völlig klar gestellt.
d. Was oben (S. 113) von dem Stickstoffbedürfms gesagt wurde,
gilt auch von dem Kohlenstoffbedürfnis. Auch quantitativ ist es sehr
ungleich und manchmal außerordentlich gering. Die sogenannten
Wasserbakterien (§40) kommen in destilliertem Wasser und
in jedem natürlichen Wasser fort, obwohl man Mühe hat, darin überhaupt
noch Spuren organischer Substanz nachzuweisen. Ihre Vegetation ist
freilich dem Gewichte nach sehr geringfügig. Noch anspruchsloser, aber
dabei reicher an Ausbeute ist der schon wiederholt erwähnte B. o 1 i g o •
carbophilus, der nach B e i j e r i n c k und van D e 1 d e n
in Erde weit verbreitet ist und auf einer Minerallösung mit 0,01% Ka-
liumbiphosphat und 0,01 — 0,1% Kaliumacetat und Spuren von Magne-
sia, Eisen und Mangansulfat allmählich eine trockene Haut bildet. Die
Kultur gelingt auch auf gut ausgelaugtem Agar oder Kieselgallerte.
Die Ausbeute an Trockensubstanz betrug nach einem Jahre bis zu 500 mg
auf den Liter. Der Stickstoff kann auch aus Nitriten und anorganischen
Ammoniaksalzen entnommen werden — wobei keine Nitrifikation erfolgt
— oder aber wie der Kohlenstoff aus organischen Verun-
reinigungen der Luft. Die Existenz nicht ganz imbedeuten-
der Mengen solcher Stoffe in der Luft hat schon Karsten^) 1862
entdeckt und Henriet^) bestätigt^). Man müßte sich vorstellen,
daß sie mit der durch den Watteverschluß hindurch diffundierenden
Luft an die Kulturflüssigkeit herantraten. Jedenfalls soll die freie
Kohlensäure der Luft oder die gebundene des Nährbodens nicht von dem
ß. oligocarbophilus assimiliert werden. Durch die Entdeckung der
Kohlenwasserstoff, Kohlenoxyd und Wasserstoff verbrauchenden
Bakterien (S. 116) hat die Frage ein anderes Gesicht bekommen. Ein
1) Poggend. Annal. 115. 343.
2) Compt. rend. ac. sc. 135, 101 und 136, 1465.
3) Nach der Reaktion dieses Körpers faßte H e n r i e t ihn als
Amid der Ameisensäure auf. Später (C. r. 138. 203) fand er 0,001—0,005^0
Formaldehyd in der Luft.
Nährstoffe. 123
von den Autoren gleichzeitig gefundener Strahlenpilz (Streptothrix)
soll ähnliche Eigenschaften haben. Weitere Mitteilungen über diese
rätselhaften Organismen sind abzuwarten.
§ 34. Zasammenfassnng. Aus unserer Darstellung ergibt sich
eine solche Mannigfaltigkeit des Nahrungsbedürfnisses der Mikroorganis-
men, daB es fast unmöglich ist, allgemeine Regeln aufzustellen, außer
etwa die, daß zur Ernährung in allen Fällen notwendig ist Kohlen-
stoff, Stickstoff, Wasserstoff, Sauerstoff,
Phosphor und ein Metall. Wir sehen davon ab, daß selbst
die Uneisetzlichkeit des Stickstoffe, Phosphors iind des Metalls bestritten
wird (F e r m i). Bezüglich des Schwefels sind alle Zweifel noch
nicht behoben, wenn auch seine Notwendigkeit sehr wahrscheinlich ist.
In vielen Fällen ist darüber nicht zu streiten, ebenso wenig wie über das
Bedürfnis an den zwei Metallen Kalium und Magnesium. Es gibt aber
auch Mikroorganismen, die ebensoviel Elemente zu ihrer Ernährung
brauchen wie die höheren Pflanzen und Tiere, also noch einige Metalle
mehr.
Gehen wir weiter auf die Form ein, in der Kohlenstoff, Stickstoff,
Sauerstoff geboten werden können und müssen, so ist die Mannigfaltig-
keit noch deutlicher: hier werden nur freier, da nur gebundener, dort
(zu Oxydationen) überhaupt kein Sauerstoff, hier nur anorganische,
dort nur organische Kohlen- imd Stickstoffverbindungen gebraucht.
Manche Mikrooi^nismen sind auf eine ganz einförmige Ernährung, auf
bestimmte Stoffe, seien es nun verwickelt, seien es einfach zusammen-
gesetzte, angewiesen, andere sind so vielseitig, daß sie imstande sind,
ihren Bedarf aus den allerverschiedensten Stoffen zu decken. So lehrt
uns die Forschung, daß diese äußerlich so wenig unter-
schiedenen, so einfach geformten Wesen, was
ihr Nahrungsbedürfnis angeht, im übrigen
organischen Reiche ganz unerhörte Besonder-
heiten zeigen.
Je weiter wir in den folgenden Kapiteln in die übrigen Emährungs-
bedingungen und in die Stoffwechselvorgänge eindringen, desto mehr
werden uns diese „spezifischen** Unterschiede oder, wie man vom
stammesgeschichtlichen Standpimkte (Kap. XVIII) sich auszudrücken
pflegt, diese höchst eigenartigen Anpassungen der Mikro-
oiganismen zum Bewußtsein kommen.
Kapitel IV.
Weitere Bedingungen der Ernährung.
§ 35. Aufgaben der Ernährang. Beziehungen der Nähr-
stoffe zu bestimmten Zelleistungen. Man kann als Aufgabe der
Ernährung im weitesten Sinne des Wortes betrachten die Lieferung aller
derjenigen Bedingungen, die das Leben imterhalten, d. h. alle seine Er-
scheinungen oder Leistungen ermöglichen. Im engeren Sinne bezeichuet
der Begriff der Ernährung nur die Zufuhr der im vorigen Kapitel be-
handelten eigentlichen Nährstoffe von außen her. Dann muß man
daneben noch von äußeren und inneren, physikalischen und chemischen
Bedingungen oder Beizen für das Leben sprechen. Dazu gehören in
unserem Falle einerseits Wärme, Licht, Luftdruck, Bewegung, Konzen-
tration und Reaktion der Nahrung, Reiz- und Giftstoffe in derselben,
andererseits die Fähigkeit der Kleinwesen, die Nahrungsstoffe zu ihren
verschiedenen Leistungen zu benutzen, aus ihnen Auswahl zu treffen,
von den Reizen und den Giften beeinflußt zu werden und sich ihrer durch
Gegenwirkimgen zu erwehren. In den folgenden Abschnitten wird
davon die Rede sein. Hier wollen wir nur die Bedeutung der Nährstoffe
für die einzelnen Leistungen der Mikroben in Kürze besprechen. Als
solche Leistungen können vni imterscheiden :
L die Unterhaltung der Zellen einschließlich ihrer Hüllen, Be-
wegungsorgane usw.,
2. den Aufbau neuer Zellen (das Wachstum),
3. die Bildung der Dauerzustände (Sporen), Früchte, unregel-
mäßigen Formen und die Auskeimung der ersteren,
4. die Aufspeicherung von Vorratsstoffen, (Fett, Stärke, Glykogen,
Volutin, Schwefel),
5. die Bildung und Tätigkeit von zersetzenden und aufbauenden
Enzymen (Fermenten),
6. die Bildung von Giften, Angriffs- Reiz- und Impfatoffen,
7. die Bildung von Leucht-, Färb-, Riechstoffen und anderen
biologisch wichtigen Stoffwechselerzeugnissen (Säuren, Alkalien usw.),
8. die Lieferung der lebendigen Kräfte und der auslösenden Reize
für die physikalischen imd chemischen Leistungen (äußere und innere
Bewegung, Wärme- und Lichtbildung, Stoffzersetzung und -aufbau).
Emähningsbedingungen. 1 25
Man sieht sofort, daß diese Einteilung eine etwas künstliche ist,
indem z. B. Stoffersatz und -Aufbau, das Wachstum und die Tätigkeit
aufbauender Fermente, die Leistung zersetzender Enzjone, die Erzeugung
von Stoffwechselprodukten und die Kraftlieferung, der Aufbau der Zellen,
Enzyme, Gifte, Farbstoffe usw. eng zueinander gehören. Immerhin
empfiehlt sich die begriffliche Trennung, um zu einem besseren Ver-
ständnis der verwickelten Lebenserscheinungen zu kommen. Sehen wir
uns die Stoffwechselleistungen allein an, so kann man einfach unter-
scheiden solche, die der Erhaltung und dem Aufbau, und andere, die dem
Betriebe dienen. Dementsprechend werden die Nährstoffe in B a u -
und Betriebsstoffe — plastische tmd dynamogene
— zerfallen^). Die ersteren ergänzen die Lücken, die der Stoffwechsel
im Protoplasma reißt, darunter die ausgeschiedene Enzyme, Gifte,
Angriffetoffe7 liefern die für das Wachstum, die Dauer- und Frucht-
bildungen erforderlichen Bausteine und die Vorratsstoffe, die für alle
möglichen Zwecke in den Zellen aufgespeichert werden. Die Betriebs-
stoffe dagegen werden ohne längeren Aufenthalt in den Zellen zersetzt
and liefern die Masse der der Verdauung, Gärung und Oxydation ver-
fallenden Stoffe, deren Beste als „Exkrete'' die Zelle verlassen oder in
ihr als „Konkretionen'^ zurückbleiben. Indem sie der Zersetzung unter-
liegen, verschaffen sie der Zelle die nötige Betriebskraft, die sich messen
läßt in Wärme. Man darf sich freilich nicht verhehlen, daß manches an
dieser Einteilung nur Vermutung ist. So wissen wir größtenteils gar
nicht, wie die Enzyme, Gifte, Angrifibstoffe usw. in der Zelle entstehen,
und ob sie von Anfang an eine gesonderte Existenz darin führen. Kennen
wir doch schon gewöhnlich gar nicht ihre chemische Zusammensetzung.
Die Schwierigkeit, mit der sie oft aus den Zellen zu gewinnen sind, spricht
allerdings dafür, daß sie selbst Bestandteile („Seitenketten") des Pro-
toplasmas (§ 68) sind, und daß daher die Stoffe, aus denen sie entstehen,
erst vorher in den Bau des Protoplasmas selbst eingehen müssen. Viel-
leicht ist das Verhalten der eigentlichen Betriebsstoffe auch kein anderes,
vielleicht müssen sie, ehe sie dem Zerfall entgegengehen, vorübergehend
in eme, wenn auch lockere Beziehung zum Protoplasma treten.
1) Pfeffer (Pflanzenphysiologie 1, 270. 2. Aufl., 1897) nennt die
Baustoffe „formative", die Betriebsstoffe „plastische". Das scheint nicht
«•mpfehlenawert, weil plastisch nur das grichische Wort für formativ ist.
Die häufige Benennung der dynamogenen Nährstoffe als „respiratorische**
oder Brennstoffe ist nicht zutreffend, weil es sich oft (immer beim anaeroben
Stoffwechsel ) nicht um Oxydation (Verbrennung, Atmung) handelt. Als dritte
(iruppe von Nährstoffen mit Pfeffer dis „aplastischen** abzusondern,
i-^t wohl entbehrlich. Es sollten das Körper sein, deren Produkte dem
Stoffwechsel entzogen bleiben, wie Enzyme, Gifte u. a. Wir rechnen sie
Ii*'ber zu den Baustoffen (s. im Text).
126 Kap. IV. § 35.
Ferner ist unbestreitbar, daß ein und derselbe
Nährstoff, z. B. Pepton oder Zucker oder Oxalsäure, je nacli
dem Bedarf der Zelle und der sonstigen Zusammen-
setzung des Nährbodens zum Bau oder Betrieb
verwandt werden kann oder verwandt wird. Ob es
überhaupt Stoffe gibt, die nur plastischen oder dynamischen
Zwecken dienen können, ist zweifelhaft^). Selbst der Sauerstoff
ist nicht nur ein Betriebs-, sondern auch ein Baustoff. Umge-
kehrt sind die Nitrate und die Sulfate nicht nur als Stickstoff-
und Schwefelquelle, d. h. wesentlich zimi Aufbau verwendbar,
sondern wie die Salpeter- und Schwefelsäure vergärenden Bakterien
(§ 198 u. 212) beweisen, auch zur Lieferung von Sauerstoff für
die Verbrennung der kohlenstoffhaltigen Nahrung, d. h. für den
Betrieb dienlich, wobei Stickstoff und Schwefel ausgeschieden werden.
Bemerkenswerte Ausnahmen von der Regel bilden femer die
Nitrifikationsorganismen (Salpeterbakterien), die ihren Eraftbedarf
sogar ausschließlich durch Verbrennung von Ammoniak und salpetriger
Säure decken und den zum Aufbau nötigen Kohlenstoff einer anorga-
nischen Quelle, der Kohlensäure entnehmen (§ 196). Ähnlich machen
es die Schwefelbakterien, nur dient ihnen zur Kraftgewinnung die Ver-
brennung des Schwefels, des Schwefelwasserstoffs und der uuter-
schwefligen Säure zu Schwefelsäure mit Hilfe des Luftsauerstoffs
(§ 208—210).
Trotz alledem hat die Unterscheidung zwischen Bau- und Betriebs-
stoffen nicht nur theoretische, sondern auch praktische Bedeutung.
Man kann im allgemeinen sagen, daß reichliche Mengen von Stick-
st off Verbindungen und gewisse Salze zum Auf-
bau neuer Substanz unersetzlich sind, während
stickstoffreie Kohlenstoffverbindungen vor-
wiegend und unter Umständen sogar allein im-
stande sind, den Betrieb aufrecht zu erhalten.
Je mehr das Wachstum vorherrschende Verrichtung der Zelle ist, desto
größer ist der Bedarf an stickstoffhaltiger Nahnuig; je mehr Kraft-
leistungen, z. B. Gärung, in den Vordergrund treten, desto wichtiger
sind die stickstofffreien Nahrungsmittel, unter ihnen wieder die Kohlen-
hydrate. Das Maß des Kohlenstoffbedürfnisses beim Aufbau schwankt
natürlich sehr bedeutend, je nach dem Mengenverhältnis, in dem
Kohlenstoff und Stickstoff in dem Leibe der Mikroorganismen stehen.
1) Nach Hey er (§ 136) wäre der Alkohol für die Essigbakterien
nur Betriebsstoff („zymotische" Nahrung), nicht BauBt>off („gegetische'*
Nahrung).
Emährungsbedingungen . 127
(§ 23). Die sogenannte Essigmutter braucht sehr viel Kohlenstoff zur
Bildung ihrer mächtigen zelluloseähnlichen Hülle. Ein eigentümliches
Verhalten, wie kaum ein anderer Mikrobe, zeigt der Tuberkelbazillus:
er scheint als Kohlenstoff quelle das Glyzerin nicht entbehren zu können,
während sonst die Kohlehydrate, insbesondere die Zuckerarten, vor-
gezogen werden. Wahrscheinlich hängt das in einem gewissen Grade
mit seinem großen Gehalt an Fettstoffen zusammen (§ 26 u. 33).
Einen recht verschiedenen Ursprung haben wohl die „Vorrats-
stoffe'' (§ 22) der Sicllen außer dem Schwefel, indem sie ent-
weder direkt aus ähnlichen Substanzen des Nährbodens oder durch
Verwandlung aus anderen hervorgehen (§ 152 und 230, § 231, 130 u. 229).
Die bewegungsvermittelnden Organe der Mikroben (Geißeln,
Wimpern, undulierende Membranen, Scheinfüße), femer die Dauer-
zustände und Früchte scheinen keiner anderen Baustoffe zu ihrer Er-
zeugung zu bedürfen, wie das Wachstum selbst. Man kann aber sagen,
daß sie um so reichlicher gebildet werden, je günstiger der Nährböden
ist. Das schließt nicht aus, daß, wie wir im § 38 u. 39 sehen werden,
der Anstoß zur Bildung von Dauerzuständen (Sporen) erst durch Nah-
rongsmangel, und der Anstoß zur geschlechtlichen Vereinigung manch-
mal (bei den Plasmodien der Malaria) erst durch Nahrungs- (Wirts-)
Wechsel gegeben wird.
Die unregelmäßigen, häufig riesenhaften und verzweigten „In-
voIutions-'*Formen, einschließlich der Strahlenpilzkolben und Bak-
teroiden, wie die Kapseln der Bakterien, verlangen wohl nur
insofern besondere Stoffe zu ihrer Bildung, als diese als Beize wirken
(§ 3 u. 4).
Von den physikalischen Leistungen, die in Abhängigkeit stehen von
der Ernährung, ist neben der Beweglichkeit zu nennen die Wärme- imd
Lichterzeugung (§ 237 u. 238). Die Beweglichkeit setzt den Besitz von
Bewegungsorganen voraus (s. o.), die Lichtproduktion vielleicht beson-
dere Lichtorgane, sie erfordern also plastische Prozesse, alle drei Ver-
richtungen mehr oder weniger Betriebsmaterial. Besondere Betriebs-
stoffe sind aber wohl nicht nötig, wenn man vom Sauerstoff absieht,
der für die Lichtentwicklung und bei den Aeroben für die Bewegung
unumgänglich zu sein scheint, und von der Zufuhr von Natrium-
uud Magnesiumsalzen, durch die die Lichtentwicklung begünstigt wird.
Von den Nährstoffen sind wieder zu imterscheiden die Reizmittel, die
eine Bedeutung für Intensität und Richtung der Bewegungen haben
(§ 46 u. 56), aber vielleicht auch Wärme und Lichtentwicklung be-
herrschen.
Die notwendige Bedingung für das Zustandekommen von Verdau-
ungs-, Gärungs- und Oxydationsvorgängen ist selbstverständlich das
128 Kap. IV, S 3ö.
Vorhahdenseiii der zu verdauenden, zu vergärenden, zu oxydierenden
Stoffe in den Nährböden. Der zweite, ebenso wichtige Einfluß, die aus-
lösende Kraft für die genannten Yoi^änge, also die Enzyme oder die die-
selben vertretenden Stoffe im Protoplasma (Kap. XIV), steht allerdings
in vielen Fällen den Zellen zu Gebote, auch in Nährböden, die kein
Material, auf das sie wirken könnten, enthalten. So kann Lab, tryp-
tisches Enzym, Diastase von den Mikroorganismen gebildet werden in
Nährböden, die kein Kasein, verdauliches Eiweiß oder Stärke enthalten.
In anderen Fällen fehlt das Ferment, wenn es an vergärbarem Stoff
mangelt. Beispielen dafür werden wir bei der Besprechung der einzelnen
enzymatischen Vorgänge begegnen. Ausführliche Untersuchungen da-
rüber verdanken wir Fermi, Katz^), Duclaux*) und na-
mentlich W e n t ^). Ein dritter Fall, in dem zwar der Nährboden die
vergär- oder oxydierbare Substanz enthält, der an sich zur Zersetzung
befähigte Mikrobe aber doch nicht die Gärung oder Oxydation leistet,
wird ebenfalls öfter beobachtet. Zahlreiche Beispiele dafür bringen wir
in einem der folgenden Abschnitte, der von der Auswahl und dem Zu-
sammenwirken der Nährstoffe handelt (§ 58). Es zeigt sich dabei, daß
die Zersetzung entweder durch die gleichzeitige Gegenwart eines anderen
durch denselben Mikroben angreifbaren Stoffes verhindert wird, d. h.
erst nach dessen Verschwinden in Gang kommt oder umgekehrt erst
nach Zufügung eines neuen Stoffes beginnt. In welcher Weise diese Be-
günstigung und Hemmung der Zersetzung durch Nahrungsstoffe vor
sich geht, bleibt zweifelhaft. Wahrscheinlich ist dex Mechanismus ein
verschiedener. Einzelne der letztgenannten Beobachtungen erklären
sich wohl einfach daraus, daß die neu zugeführten Stoffe den zweiten,
für das Zustandekommen der Zersetzung unumgänglich notwendigen
Bestandteil, z. B. bei der Salpetervergärung den zu oxydierenden Stoff
darstellen. Man wird aber auch die Wirkimg nicht nährender Reiz- und
Hemmungsstoffe auf die fertig gebildeten Enzyme zum Vergleich heran-
ziehen können, femer den Wettkampf der verschiedenen gärungsfähigen
Stoffe miteinander um ein und dasselbe Enzym und umgekehrt die
Nützlichkeit eines Zusammenwirkens von solchen für möglich halten
dürfen. Die Notwendigkeit und Nützlichkeit bestimmter Baustoffe für
die Bildung der Enzyme ist dagegen bisher nicht bewiesen. Wahrschein-
lich werden sie nicht unmittelbar aus den Nährstoffen aufgebaut, son-
dern sind Erzeugnisse des Protoplasmas selbst (s. o.).
Das gleiche gilt wohl auch von der Mehrzahl der noch weniger be-
1) Jahrb. wiss. Bot. 31, 1898, vgl. § 69.
2) Microbiol. 2. 84, 1899.
3) Jahrb. wiss. Bot. 36, 1901. Enzyme einer Moniliasurt.
Ernährungsbedingungen. 129 I
kannten Eigengifte, Angriffe- und Impfstoffe (Kap. XVI u. XVII) der
Mikroorganismen. Die Erfahnmg lehrt freilich, daß sich auf gewissen
Nährboden diese Stoffe in besonderer Menge erzeugen, gebildet werden
sie aber selbst in den einfachsten Nährlösungen mit dem Protoplasma
selbst. Daneben gibt es allerdings Gifte (und Angriffsstoffe), die echte
Stoffwechselerzeugnisse sind, so Alkohol, Oxalsäure und Ptomaine,
für deren Bildung selbstverständlich die Gregenwart der betreffenden
Kohlehydrate, Eiweißstoffe usw. nötig ist.
Für die Farbstoffbildung mancher Bakterien hat man Kegeln auf-
gestellt, die namentlich die Ernährung mit Mineralsalzen betreffen
' § 254). So sollen Magnesiumsulfat und Ealiumphosphat unersetzlich
^in. Wenn man erwägt, daß das gerade diejenigen Salze sind, die
überhaupt als Nährsalze in Frage kommen, so gelangt man zu dem
Schluß, daß, je besser der Nährboden, um so reichlicher auch die Farb-
stoffe erzeugt werden. Analysen, die etwa beweisen, daß die genannten
Mineralien in die Zusammensetzung der Pigmente eingehen, liegen
nicht vor. Dagegen ist für das dunkle rotbraune Pigment, das manche
Abarten des Bac. pyocyaneus absondern, nach G e s s a r d das Ty-
rosin ein notwendiger Bildungsstoff, wahrscheinlich wie „Melanin"
überhaupt ein Oxydationsprodukt desselben.
Etwas besser au^eklärt ist die Entstehung der Riechstoffe. Daß
die Emährungsart hier einen Einfluß ausübt, ist wahrscheinlich. Nach
Salzmann (§ 29) entwickelt z. B. die Streptothrix odorifera ihren
charakteristischen Geruch, wenn sie mit Äpfel- oder Weinsäure, nicht
wenn sie mit Bernsteinsäure genährt wird. In anderen Fällen ent-
stehen Riechstoffe aus bestinmiten Aminosäuren (vgl. Fuselöl §90 u. 173).
Von den übrigen Stoffwechselerzeugnissen soll hier nur folgendes
gesagt werden: Alkali (Ammoniak) kann erzeugt werden aus allen
N-haltigen Stoffen (Eap. IX u. X), freie Säure setzt meist das Vor-
handensein von Kohlehydraten voraus, die in saure Gärung verfallen
i§ 97). Fast jede einzelne Säure bildet sich jedoch unter Umständen
aas verschiedenen anderen Stoffen, so Essigsäure auch aus Alkohol,
Buttersäure aus Fetten, beide Säuren ebenso wie Milchsäure auch aus
Eiweiß (§ 168). Das diagnostisch wichtige Indol entsteht ausschließlich
aus einer aromatischen Aminosäure, dem Tryptophan des Eiweißes
'§ 169 u. 174). Reduzierende Stoffe können aus jeder Nahrung hervor-
gehen, Nitrite sowohl aus Nitraten ( § 197) als aus Ammoniakverbindungen
^§ 196), Schwefelwasserstoff aus allen Schwefelverbindungen (Kap. XI).
Es braucht kaum gesagt zu werden und ist durch die öfteren Ver-
weise schon angedeutet, daß die hier gegebene Übersicht nur die in
spateren Kapiteln dieses Werkes zerstreuten ausführlichen Angaben
zusammenfassen soll.
Kruse, Mikrobiologie. 9
130 Kap. IV, § 36.
§ 36. Wachstum, Leben und Tod. Während wir bei höheren
Tieren zu sehen gewohnt sind, daß sie nach einer gewissen Zeit aufhören
zu wachsen und in dem einmal erreichten Zustand oft länger, als die Ent-
wicklung gedauert, verharren, ohne daß ihre Jjebenserscheinungen eine
Einbuße zeigen, während also hier der großen Mehrzahl der Zellen
wenigstens eine recht beträchtliche Lebensdauer innewohnt, beob-
achten wir umgekehrt bei allen anderen Wesen, daß sie beständig
wachsen, d. h. sich vermehren müssen, wenn sie auf der Höhe ihrer
Leistungsfähigkeit bleiben wollen. Dieses Wachstum ist bei den Klein-
wesen, namentlich bei den Bakterien, ein so schnelles, daß z. B. von den
Cholera- und Typhusbazillen durchschnittlich kaum 20 — 30 Minuten
dazu gebraucht werden, um sich aufs doppelte zu vermehren. Mit Hilfe
der Keimzählung in Platten oder unter dem Mikroskop in gefärbtem
oder frischem Zustand — mit oder ohne Beigabe von roten Blutkörper-
chen (W r i g h t), Tusche (B u r r i) und dergl. — kann man nach
Bu ebner, Longard und Riedlin^) diese „Generationsdauer''
leicht berechnen. Denn wenn die Zahl der eingesäten Bakterien a, die
in der Ernte nach der Zeit T und nach Zeugung von n Generationen b
genannt wird, ist b = a . 2°, also n = — ^ - - — und die durch-
log2
T
schnittliche Generationsdauer =
n
Impft man immer wieder von jungen Kulturen auf frische Nähr-
böden derselben Art und bei gleicher Temperatur, so bleibt die Gene-
rationsdauer sich im wesentlichen gleich, und man könnte auf diese
Weise — theoretisch — das Wachstum beliebig lange fortsetzen, ja,
wie man leicht sieht, ins unendliche steigern*). Allerdings ist unter
natürlichen Bedingungen dafür gesorgt, daß die „Bäume nicht in den
Himmel wachsen," so bemerkt man denn auch in den künstlichen
Kulturen bald, z. B. bei den gewöhnlichen Einsaaten und Züchtung aaf
schräger Agaroberfläche bei 37 •, wie die Vermehrung nach 24 Stunden
verlangsamt wird, bzw. aufhört und sogar einem mehr oder weniger
schnellen Absterben Platz macht. Nach Kruse und P a n s i n i ^),
Kruse*), Gotschlich und W e i g a n g ^), sterben besonders
schnell die Pneumokokken und Choleravibrionen, so daß Agarkulturen
■' - '■ ■ ■ — - 9
1) Zentr. Bakt. 2, 1887.
2) So würde ein Cholerabazinus bei regelmäßiger Verdoppelung binnen
20 Minuten in 24 Stunden zu 1600 TriUionen mit imgefähr 2000 Zentnern
Trockensubstanz angewachsen sein (A. Fischer).
3) Zeitschr. Hyg. 11. 139.
3) Zeitschr. f. Hyg. 17. 39.
4) Ebenda 20.
Emährungsbedingungen. 131
der ersteren schon nach einer Woche überhaupt keine lebenden Bak-
teiien, die der letzteren nach 2 Tagen kaum 10%, nach 3 Tagen kaum 1%
der auf dem Höhepunkt der Entwicklung gezählten Keime zu enthalten
pflegen, während einige Nachzügler überleben imd noch Wochen und
selbst Monate übrig bleiben. Typhus-, Coli-, Buhrbazillen u. a. nehmen
nach unseren Erfahrungen langsamer ab. Auch in den einzelnen Kolo-
nien zeigt sich die Abnahme, und zwar tritt sie nach Gotschlich
und Weigang im Zentrum derselben auf, während in der Peripherie
noch ein Wachstum stattfindet. In der eigentlichen Wachstumsperiode
ist die Wachstumsschnelligkeit sehr verschieden, so ist die Generations-
dauer namentlich auch zu Anfang und zu Ende derselben erheblich
größer (M. Müller^), Rahn ^)), ja, es kann sich die Zahl der in den
frischen Nährboden eingesäten Bakterien sogar in den ersten Stunden
verringern, statt zu wachsen („Inkubationszeit"). Die Temperatur
beeinflußt die Entwicklung außerordentlich (Gotschlich imd
Weigang, Müller, Ficker*), M. Ward *)); zu niedere und
zu hohe verlängern die Generationsdauer und die ersteren auch die
Wachstumsperiode^). Im übrigen bestehen für jedes Bakterium und für
jeden Nährboden besondere Verhältnisse. Als kurzlebig in unseren
künstlichen Kulturen sind bekannt außer den meisten Pneumokokken-
stämmen, Gono- und Meningokokken, Influenza- und Keuchhusten-
bazillen; eigentümlicherweise wachsen sie aber zunächst auch ungefähr
ebenso schnell wie die anderen Bakterien. Es ist also für die
große Mehrzahl der Bakterien ein sehr schneller
Anstieg der Keimzahlkurve bezeichnend, während
der Abfall derselben mehr oder weniger langsam ist. Die Sporen-
bildner machen insofern eine Ausnahme, als bei ihnen zwar der
Anstieg ebenso schnell stattfindet, der Abfall aber durch die Wider-
standsfähigkeit der auf der Höhe der Entwicklung gebildeten Sporen
besonders stark verlangsamt wird. Tuberkelbazillen und
Strahlen pilze wachsen dagegen verhältnis-
mäßig langsam, erreichen erst in Tagen und Wochen ihren
Höhepunkt, um dann wieder langsam abzusterben. Die schließliche
Bakterienausbeute ist übrigens recht verschieden, man vergleiche z. B.
die zarten Rasen der Pneumokokken und Influenzabazillen mit den
1) Ebenda 20 und Arch. Hyg. 47.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 16.
3) Wachstumsgeschwindigkeit des Bac. coli auf Platten. Med. Dissert.
Leipzig 1895.
4) Proceedings Roy. Soc. 58, 1895.
5) Bei zu hoher Temperatur scheint das Wcichstum bald überhaupt
aufzuhören, wird also die Wachstumsperiode abgekürzt.
9*
132 Kap. IV, § 36.
üppigen Wucherungen der Staphylokokken, Tuberkelbazillen u. a. ni.
Der Einfluß der Emährungsbedingungen auf den Verlauf des Wachstums
ist sehr erheblich, wenn auch nicht immer auf den ersten Blick erklärlich.
So zeigen z. B. die Untersuchungen, die ich mit D a v i d ^) an Ruhr-
bazillen vorgenommen habe, daß die Zahl der in einem gewöhnlichen
Bouillonröhrchen entwickelten Bakterien nach 24 Standen etwa 10 mal
so klein ist wie die auf der Oberfläche einer schräggeneigten Agarkultur,
trotzdem die Zusammensetzung der beiden Nährböden, wenn man von
dem selbst nicht angreifbaren Agar absieht, die gleiche ist. Die Ursache
dafür liegt wahrscheinUch an nichts anderem als dem ungleichen
Sauerstoffzutritt. Verteilt man die gleiche Menge Bouillon
auf ein Eölbchen mit flachem Boden oder auf eine Petrischale, so erhält
man etwa in derselben Zeit die gleiche Zahl von Keimen wie auf dem
Agar. Wahrscheinlich erklärt sich aus den Sauerstoffverhältnissen auch
die Tatsache, daß die Abnahme der Keime in Bouillonröhrchen nicht so
regelmäßig und schnell erfolgt wie auf der Agaroberfläche : der Nähr-
boden wird durch das rasche Wachstum dort nicht erschöpft, wie es
hier geschieht, sondern der mangelhafte Sauerstoffzutritt verlangsamt
nur das Wachstum, das auch in den folgenden Tagen in gewissem Um-
fange bestehen bleibt. Da freilich gleichzeitig im Bouillonröhrchen wie
auf dem Agar die zuerst gewachsenen Keime teilweise absterben, so
kann man aus der Keimzahl allein das Fortschreiten des Wachstums
nicht erschließen. Immerhin spricht die offenbare Zunahme der Bak-
terienmasse bzw. des Bodensatzes der Kultur^), namentlich in den
Fällen, in denen man die Röhrchen wiederholt schüttelt, d. h. mit
Sauerstoff neu in Berührung bringt, sowie das manchmal noch in
späteren Tagen deutliche Steigen der Keimzahl dafür, daß das
Wachstum in Bouillonröhrchen wirklich nicht so schnell zum Still-
stand kommt wie auf der Agaroberfläche. Bei strengen Aerobiern
(Heubazillen, Tuberkelbazillen), die nur auf der Oberfläche der Bouillon
wachsen, ist der Einfluß des Schütteins besonders deutlich; man
bringt dadurch die oberflächliche Bakteriendecke zum Niedersinken,
und es bildet sich darauf eine neue Haut.
Von dem gewöhnlichen Bakterienwachstimi unterscheidet sich das
der Pilze (und Protozoen')) dadurch, daß es nicht so schnell vorwärts
1) Nicht veröffentlicht.
2) R u b n e r , und seine Scliüler, die bei ihren Krntebeetimmungen
mit flüssigen Kulturen arbeiteten (§ 234), haben auch durch Wägungen
die Zunahme der Bakterien noch in späteren Perioden festgestellt. Vgl. auch
die Keimzahlen, die Berghaus ( Arch. Hyg. 64) und Riemer
(ebenda 71) geben.
3^ Vgl. die Züchtungsversuche bei Trypanosomen von N o v y und
Mc Neal, z. B. im Joum. of inf. diseas. 1904.
Ernähnmgsbedingungen . 133
geht, aber auch nicht so bald aufhört. Es ähnelt dadurch dem der
Tuberkelbazillen und Strahlenpilze. Übrigens ist bei den Pilzen wie
bei den Bakterien auch nachgewiesen, daß die Schnelligkeit des Wachs-
tums zu Anfang erheblich größer ist als später. So erhielt R a u 1 i n in
seinen bekannten Emährungsversuchen mit Aspergillus niger (§ 29)
am 1. Tage eine Ernte von 0,25 g, am 2. Tage 2,0, am 3. Tage 3,9,
am 4. Tage 3,3 g. Die Ergebnisse M a z e s und Nikolskis sind
ähnliche (§ 232). Sieht man sich allerdings die Zahlen genauer an, so
erkennt man, daß nach einer ersten Periode sehr schnellen Wachstums
bald eine solche folgt, in der dasselbe ziemlich gleichmäßig fortschreitet.
F a 1 c k^) hat für holzzerstörende Pilze durch Messung der Myzelfäden
gefunden, daß jede Art einen bestimmten Längenzuwachs hat, der z. B.
für den Hausschwamm bei günstiger Temperatur und dem gleichen
Nährboden 2,6 mm in je 4 Tagen beträgt. Da gleichzeitig der Dicken-
duFchmesser der Pilzfäden für jede Art beständig bleibt, so ist auch der
Volumenzuwachs ein gleichmäßiger. Verschiedene Ernährung ändert
denselben auffallenderweise, — wenigstens in gewissen Grenzen (1 — ^20%
Malzextrakt) — nicht. Wie R a u 1 i n fand F a 1 c k einen starken
Einfluß der Temperatur auf das Wachstum und entdeckte dabei das
Gesetz, daß das Längenwachstum innerhalb des Zwischen-
raums zwischen der niedrigsten und der günstigsten Temperatur
proportional dem Temperaturzuwachs zunimmt,
d. h. daß wir für das Wachstum der Pilze imter dem Einflüsse ver-
schiedener Temperaturen ein ähnliches Gesetz haben wie für die Aus-
dehnung der Gase und den osmotischen Druck von Flüssigkeiten.
Da er die niedrigste Wachstumstemperatur für seine Pilze etwa
J>ei 3* fand, so war a = a (t — 3) z*). Weiter ergab sieh, daß der Tem-
8
|)eraturkoe{fizient « = — ^ - -— , dividiert durch den Durohmesser der Pilz-
z(t— 3)
fäden v — den sogenannten Volumkoeffizienten des Längenwachstums — bei
10 Pilzarten gleich war: — = k = 0,0036. Grestützt auf Voraussetziingen,
auf deren Begründung wir hier nicht weiter eingehen können, konunt dann
F a 1 c k zu dem Schluß, daß der Wachstumsdruck dem osmotischen Druck
(entspreche und bei allen Pilzen unter wechselnden Temperaturen den gleichen
Wert — etwa 10 Atmosphären — besitze. In der Tat fand er durch luunittel-
bare Beobachtung für den osmotischen Druck eine solche Größe (s. o. Anm.
auf S. 4). Ob wir es hier mit mehr als zufälligen Übereinstimmungen zu tun
liÄl)en, darüber müßte eine Nachprüfung entscheiden. Jedenfalls geht es
1) Zeitsehr. f. Hyg. 55, 1906 und Möllers Hausschwammforschungen
1. H. 1907.
2) s = Längenzuwachs in i", a = Temperatiu-koeffizient, t = Temperatur
in ('•, z= Zeit in Minuten.
134 Kap. IV. f 37.
nicht an, allgemein das Wachstum auf den osmotischen Druck zurück-
zuführen*).
Wie bei den Bakterien kommt bei den Pilzen das Wachstum
schließlich zum Stillstand, und zwar meist unter Sporenbildung. Auch
hier findet man die Beobachtung bestätigt, daß die älteren Teile der
Kolonien absterben, während die jüngeren noch weiterwachsen. Nacli
Pantanelli^) soll die Lebensdauer der einzelnen Zellen des Myzels
von Aspergillus niger nur 4 — 5 Tage betragen. Übrigens ist nach
K ö h 1 e r ^) in diesen Grenzen jede aus dem Zusammenhang mit dem
Myzel abgetrennte Zelle von Aspergillus oder Penicillium imstande,
zu einem vollständigen Myzel auszuwachen, und das gleiche gilt zwar
nicht für alle, aber doch für viele Stücke des einzelligen Myzels der
Algenpilze.
§ 37. Erklärung der Wachstumserscheinangen. Hunger-
tod. Es fragt sich, wie wir uns die hier angeführten Tatsachen des
Wachsens, des Wachstumstillstandes und Absterbens erklären sollen.
Selbstverständlich handelt es sich dabei, wie bei allen Lebenserscheinun-
gen, um verwickelte Wechselbeziehungen zwischen äußeren Einflüssen und
inneren Verhältnissen, und ebenso selbstverständlich sind es chemische
Vorgänge, die diesen Verändenmgen, namentlich auch den mecha-
nischen Arbeitsleistungen, der Wachstumsbewegung und Zellteilung zu-
grunde liegen. Unsere Einsicht in die chemischen Vorgänge, die zum
Wachstum führen, ist allerdings weit geringer als in diejenigen, die etwa
die Gärungen und andere dissimilierende (zersetzende) Vorgänge be-
dingen ( § 66) . Für die letzteren haben wir treibende Kräfte kennen gelernt
in den Gärungszymen, die wir sogar von den lebenden ZeUen trennen
können; synthetische Enzyme, d. h. solche, die den Stoff aufbau, die
Assimilation, vermitteln, und daher das Wachstum erst ermöglichen,
sind aber bisher nur in ganz beschränktem Maße bekannt geworden
( § 228), und wenn wir sie kannten, wären wir damit auch noch nicht
am Ziele angelangt, denn erst das Ineinandergreif en der stoffzersetzenden
und aufbauenden Vorgänge und die damit verbundenen Gestalts-
veränderungen machen ja das Wachstum aus. Immerhin dürfen wir
sagen, daß die Assimilation wie die Dissimilation zur Voraussetzung
haben die Aufnahme von Nährstoffen. Wo die letztere nicht stattfinden
kann wegen Fehlens von Nährstoffen, mit anderen Worten, bei Nah-
rungsmangel, im Hungerzustand, fehlt auch das
Wachstum, zum mindesten das gesunde und andauernde Wachstum,
1 ) Vgl. über den Mechanismus dos Wachstums Pfeffer, Pflanzen-
physiülogie 2. Aufl., Bd. TT, § 7, 1901.
2) Jahrb. wiss. Bot. 40, 1904.
3) Flora 97, 1907.
Emährungsbedingungen. 1 35
das wir hier allein betrachten^). Daß wir dann eine der wichtigsten
Vorbedingungen für den Wachstumsstillstand auch in den Kulturen der
Kleinwesen zu erblicken haben, ist nicht zu bezweifeln, die Zufuhr
neuer Nährstoffe bringt, wie zahlreiche Erfahrungen beweisen, das
Wachstum oft genug wieder in Gang (§ 47). Im Hungerzustande haben
wir aber auch schon eine Ursache für die zweite oben festgestellte Er-
scheinung in unseren Kulturen, das Absterben, gefunden. In der Tat
setzt mit dem Nahrungsmangel auch die Selbstverdauung (und Selbst-
verbrennung) ein, die wir in ihren morphologischen Folgen schon früher
studiert haben (§ 9). Damit sind aber die Einflüsse, die zur Wachs-
tumshemmung und zum Tode der Klein wesen in Kulturen führen, noch
nicht erschöpft. Es kommt auch die Wirkung schädigender Stoff-
wechselerzeugnisse der Mikroben selbst in Betracht (§ 47). Von dem
je nach der Art verschiedenen Vorkommen derselben und der Empfind-
lichkeit der einzelnen Keime gegen Hunger bzw. „Selbstgifte" wird die
oben betonte ungleiche Schnelligkeit des Absterbens in den Kulturen
wesentlich abhängen.
Die Eigenart der Mikroben bestimmt andererseits auch in hohem
Grade die Schnelligkeit des Wachstums. So vermögen selbst die gün-
stigsten Emährungsbedingungen nicht die Vermehrung der Tuberkel-
bazillen so zu steigern, daß sie annähernd so schnell wachsen wie andere
Bakterien. Immerhin haben die Wachstumsbedingungen, bestehend
in der Dichtigkeit (§ 40) und Reaktion des Nährbodens (§ 41), in Tem-
peratureinflüssen (s. o. und § 42) oder in Bewegungs-, Belichtungs-
und Druckverhältnissen (§ 43 — 45) oder in chemischen Nahrungs-
reizen und Giften (§ 55 u. 57) eine große Bedeutung für das Wachstum.
So erklärt sich auch die auf den ersten Blick auffallende Beobachtung,
die ich zusammen mit David gemacht habe. Es zeigte sich, daß bei Ein-
bringen sehr großer Mengen, z. B. einer ganzen Agarkultur von
Huhrbazillen in einBouillonröhrchen überhaupt kein Auswachsen der Keime,
sondern von Anfang an eine Verminderung derselben eintrat. Schon der oben
erwähnte Umstand, daß wegen des mangelhaften Sauerstoffzutritts das
Wachstum in einer solchen Bouillon nur verhältnismäßig spärlich ist, hätte
^ bewirken müssen, daß die Keimzahl nur um ein geringes, z. B. von
40 Milliarden binnen 24 Stunden auf 44 Milliarden stieg, wenn man hätte
anaehmen können, daß nur ein kleiner, etwa der gewöhnlichen Einsaat in
Bouillon entsprechender Teil der wirklich eingesäten Bazillen die vor-
handenen Nährmittel ausnutzte. Da nun aber in Wirklichkeit die Nährstoffe
1) Ebenso wie die Selbstgärimg unterhalten wird aus den eigenen
Stoff Vorräten (Glykogen), so kann auch ein Wachstum auf Kosten der eigenen
Substanz z. B. der gleichen Zelle oder anderer Individuen derselben Kultur
stattfinden. Beides bleibt aber gewöhnlich nur kümniorlicli und auf kiu*z
Zoit beschränkt. Ausnahmen kommen vor, z. B. bei den ,, sekundären
Kolonien" (§ 49).
Ja
136 Kap. IV, § 37 u. 38.
der Bouillon sich von Anfang an auf eine viel größere Anzahl von Bakterien
verteilen, fällt auf jedes von diesen nicht so viel, als zur Vennehrung genügt,
sie geraten deswegen in einen (relativen) Hungerzustand, verzehren einen
Teil ihres eigenen Leibes und gehen infolgedessen ohne Wachstum leoigsam
zugnuide. Auch wenn man die Einsaat verringert, bleibt es zunächst dabei,
und erst, wenn sie sich dem zehntenTeil eines Agarröhrchen, d. h. der-
^ jonigen Menge, die überhaupt in der Bouillon unter spärlichen Belüftungs-
verhältnissen heranwachsen kann (s. o. S. 132), nähert, beobachten wir eine
gewisse Vermehrung. Daß diese Erklärung die richtige ist, folgt aus einer
Abänderung der Versuchsbedingungen; wenn nämlich die ganze Agarkultur
statt in ein gewöhnliches Röhrchen in einen fla<;hen Kolben mit der gleichen
Bouillonmenge gebracht wird, tritt deutliche Vermehrung ein, weil in diesem
Falle, wie wir oben sahen, die Emährungsbedingungen wegen des reichlichen
Sauerstoffzutritts viel günstigere sind. Wir sind durch diese Ergebnisse zu
dem Schluß gekonmien, daß die von Eijkman u. a. vorgebrachte Er-
klärung (§ 47), nach der „Selbstgifte** verantwortlich zu machen seien für
die Keimeurmut bzw. das Absterben der Bakterien im Dickdarm usw. nicht
stimmt, sondern daß im wesentlichen Nahrungsmangel daran schuld ist.
Aus der im Laufe dieser Erörterung (§ 36) gegebenen Darstellung er-
hellt, daß nicht alle Individuen einer Kultur gleichmäßig schnell absterben.
Auch bei Desinfektionsversuchen zeigt sich etwas Ähnliches, und das
gleiche lehren die Erfahrungen, die mit dem Überleben einzelner Keime
(ihrer ,, Latenz") im Tierkörper, d. h. unter dem Einfluß der keimwidrigen
Kräfte desselben gemacht worden sind^). Wir müssen daher annehmen,
daß die Individuen ungleiche Widerstandsfähig-
keit gegenüber schädlichen Einflüssen entweder von Anfang an be-
sitzen oder — etwa durch Anpassung (Kap. XVIII) — erwerben. Nach
F i c k e r s 2) Feststellungen scheint das letztere der Fall zu sein. Er fand
nämlich, daß die Haltbarkeit von Cholerabazillen in der feuchten Kam-
mer (s. o. S. 23) um so größer ist, je älter die Kultur ist, aus der sie
stammen, obwohl die Zahl der lebenden Bakterien in den alten Kulturen
unvergleichlich geringer ist als in den jungen. Diese größere Haltbar-
keit gilt aber nur unter den angegebenen Umständen, d. h. gegenüber
der Selbstverdauung, nicht gegenüber dem Austrocknen oder Erhitzen').
Auch ist nach anderen Forschem die größere Widerstandsfähigkeit der
älteren Bakterien nicht mit einer größeren, sondern geringeren Wachs-
tumsenergie verbunden, denn nach M. M ü 1 1 e r (§ 36) brauchen die
älteren Bakterien längere Zeit, um die kurze Generationsdauer jüngerer
Bakterien zu erreichen^). Auch viele andere Erfahrungen
sprechen übrigens in dem Sinne, daß irgendeine
1 ) Näheros darüber folgt im 2. Teil dieses Werkes (Infektionslelire).
2) Zeitechr. f. Hyg. 29. 29, 1898.
3) F i c k e r , a. a. O. S. 20 und 44.
4) R a h n (a.a.O.) bestreitet das allerdings für das von ihm geprüfte
Bakterium.
Emährungsbedingungen. 137
Schädigung, die die Bakterien getroffen hat,
deren Wach stu ms kraft ebenso wie ihre Gärkraft,
Virulenz usw. im allgemeinen herabsetzt (Kap. XVIII).
Friedrich^) spricht z. B. von einer Wachstumsverzögerung (In-
kubation) und einem Virulenzverlust trockener Keime, die in Bouillon
hineingebracht werden. Eine Steigerung der Wachstums-
kraft läßt sich umgekehrt durch Anpassung z. B. an bestimmte vorher
ungünstige Nährböden, Äntiseptica wie Fluorsalze usw. erzielen (§ 55).
§ 38. Dauerzustände. Sporen. Während die länger überleben-
den Keime der gewöhnlich nicht sporenbildenden Mikroben allenfalls als
,,Aasnahmezellen'^ zu bezeichnen sind, sind die auf ungeschlechtlichem
Wege entstehenden „Sporen" der Bakterien, Pilze und mancher Pro-
tozoen echte Dauerformen, d. h. Individuen, die mit besonderen Ein-
richtungen (Hüllen, Verdichtung des Plasmas) versehen sind, um schäd-
lichen Einwirkungen aller Art Widerstand zu leisten. Die Bedingungen
für die Sporenbildung und Keimung ebenso wie die morphologischen
Vorgänge dabei werden sehr verschieden geschildert. Wir gehen auf die
letzteren hier nicht ein. Was die ersteren anlangt, so ist der Vergleich
der Sporen- mit der Fruchtbildung mindestens bei Bakterien unseres Er-
achtens wenig passend xmd geeignet, irrige Vorstellungen zu erwecken.
Die Bakteriensporen zeigen immer das Ende der Entwicklung an, durch
fortgesetzte, frühzeitige Übertragung der Bakterien auf neue Nährböden
kann man die Sporulation dauernd unterdrücken, während die Frucht-
bildung ein notwendiges Glied und nicht immer das Endglied der Ent-
wicklung darstellt. Schon daraus folgt, daß die Bakteriensporen in ge-
wissem Sinne ein Erzeugnis ungünstiger Verhältnisse
sind. H. Büchner^) nahm schon seit 1880 an, daß Nahrungs-
mangel das schädigende Moment sei, das hier in Betracht konmie,
andere Forscher betonten dem gegenüber mehr die Wirkung schädlicher
Stoffwechselprodukte. Auf meine Veranlassung hat S e 1 1 e r ^) die
Frage noch einmal bearbeitet und stellt sich auf die Seite Buchners.
Der wichtigste Beweis dafür ist die Tatsache, daß gut ausgebil-
dete Bazillen am schnellsten in Wasser oder Kochsalzlösung zur
Sporenbildung schreiten. Sobald sie in irgendeiner Weise, z. B. durch
zu langes Verweilen in alten Kulturen, also wohl durch Stoffwechsel-
produkte mid länger dauernden Nahrungsmangel*) geschädigt sind,
1) Arch. Chir. 59, 1899.
2) Zentr. Bakt. 8.
3) Zentr. Bakt. 37, 1904. Lit.
4) Ähnliche Bedmgungen führen auch zu dauerndem Verhist des
Sporenbildungsvermögens (§ 347). t^ber die sog. sporogenen Körner
B u n g e s 8. § 22.
A
138 Kap. IV, S 38—40.
bilden sie keine oder nicht so reichliche Sporen. Weitere Voraussetzungen
für die Sporulation sind Temperaturen, deren Grenzen etwas
über der niedrigen und unter der höchsten Wachstumstemperatui
liegen, und für die Aerobier möglichst reichlicher Sauerstoff-
zutritt. Ob es bestimmte Nähr- oder Reizstoffe für die Sporen-
bildung gibt, ist sehr fraglich, sicher aber hemmen diese — wieder bei
Aerobiem — Zusätze von Glyzerin oder Traubenzucker. Bei Anaero-
biem ist das nicht der Fall, eher das Gegenteil^), auch ist kein Sauer-
stoffabschluß nötig (S. 102).
Auch bei den Saccharomyzeten haben wir nach E. C h r.
Hansen^) ganz ähnliche Verhältnisse. Das besagt schon die bekannte,
von ihm vor längerer Zeit zur Gewinnung von Hefesporen angegebene
Methode der Züchtung von Hefe auf mit Wasser befeuchteten Gips-
blöcken. Auch bei Schimmelpilzen hört das Wachstum an
jedem Pimkte einer Kolonie zugleich mit der Sporenbildung auf, während
es an der Peripherie, wo noch Nahnmg vorhanden ist, ohne daß dort
zimächst Sporen entständen, fortdauert. Wenn man sich femer auf
den Standpunkt D u c 1 a u x stellt, daß Oxalsäure ein „produit de
souffrance*' sei (§ 122), so kann man die Sporen ebenfalls als solche
auffassen, denn nach Charpentier*) bildet der Aspergillus niger
Sporen und Oxalsäure gleichzeitig.
Bei der Sporenkeimung soll zwischen Bakteriensporen
einerseits und Sproß- und Schimmelpilzen andererseits insofern ein
Unterschied bestehen, als nach zahlreichen Angaben die ersteren zum
Auskeimen einen guten Nährboden gebrauchen, die letzteren mit
Wasser vorlieb nehmen oder es sogar vorziehen. Neuerdings berichtet
aber Fischoeder*), daß Milzbrandbazillen ebenfalls in Leitungs-
wasser (nicht in destilliertem), wenn auch etwas schlechter als in
Bouillon, auskeimen. Man könnte unter diesen Umständen zu dem
Schlüsse kommen, daß die Sporen in demselben Mittel zu keimen
vermöchten, in dem sie sich bilden. Das ist aber, wie die Erfahrung lehrt,
im allgemeinen sicher nicht richtig^). Die Aufklärung muß erst durch
neue Untersuchungen kommen.
1) Nach Achalme, Annal. Pasteur 1902, 645, hemmt allerdings auch
Säurebildung (aus Kohlehydraten) die Sporenbildung der Anaerobier. Die
Dinge scheinen hier verwickelter zu liegen, vgl. die § 113 angefülirte Literatur,
namentlich von H i b 1 e ra Untersuchg. über pathogene Anaeroben. 1908.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5, 1899.
3) Compt. rend. ac. sc. 141. 367, 1905.
4) Zentr. Bakt. öl. 340, 1909. Lit.
5) Eine Ausnahme machen vielleicht stark entartete Kulturen, auf
denen aus Sporen gelegentlich ,, sekundäre Kolonien" aufsprossen können.
(Vgl. § 49.)
Emährungsbedingungen. 1 39
Da das Wachstum imter Bewegung vor sich geht, ist es, wie alle
Bewegcmgen, richtenden Einflüssen unterworfen. Wir werden diese bei
den physikalischen Wachstumsbedingungen (§ 46) und chemischen
Reizen (§ 56) besprechen. Auf das Aussehen der Mikrobenkolo-
nien, das ein gemeinschaftliches Erzeugnis des Wachstums, der Ge-
stalt und Größe der Mikroben, ihrer Beweglichkeit, ihres Schleim-,
Pigmentbildungs- und Yerflüssigungsvermögen ist, gehen wir hier, weil
eg in allen Lehrbüchern behandelt wird, nicht ein^).
§39. Befrachtimg der Protozoen. Die Dauerzustände (Zysten)
der Protozoen, z. B. der Amöben, entstehen vielfach unter ähnlichen
Bedingungen wie die der Bakterien und Pilze. In manchen Fällen,
z. B. bei Coccidien, geht ihrer Bildung eine geschlechtliche Vermischung
voran, in anderen erfolgt die Fruchtbildung auf geschlechtlichem oder
ungeschlechtlichem Wege, aber ohne daß die Früchte dauerhafte Zu-
stande darstellten, z. B. bei den Malariaparasiten. Die letztere Art der
Fortpflanzung (Schizogonie) tritt ein, wenn die Parasiten in ihrem
Wachstum in den roten Blutkörperchen eine gewisse je nach der Ab-
art wechselnde Größe erreicht haben. Ob man von eiuer Erschöpfung
des augenblicklich zur Verfügung stehenden Nährbodens sprechen darf,
ist zweifelhaft, jedenfaUs wiederholt sich die Bildung der Schizonten
beliebig oft, wenn auch in anderen Zellen, in derselben Weise. Die männ-
lichen und weiblichen Greschlechtskeime (Gameten) werden in ähnlicher
Weise periodisch gebildet, werden aber erst frei und vereinigen sich nur
unter ganz bestimmten Bedingungen, d. h. wenn das parasitenhaltige
Blut die Gefäße, z. B. um in einen anderen Wirt überzugehen, verläßt,
und schreiten auch erst in dem neuen Wirt zur Sporogonie. Bei den
Coccidien findet die geschlechtliche Vereinigung in demselben Wirte
statt, bedarf also anscheinend anderer Reize als des Wirtswechsels.
§ 40. Dichtigkeit der Nährböden. Daß die Dichtigkeit (Kon-
zentration) der Nährlösungen oder anders ausgedrückt ihr Wassergehalt
für das Gedeihen der Mikroroganismen sehr Wesentlich ist, lehren viele
Erfahrungen. Trockene Nahrungsmittel unterliegen nicht dem Ver-
derben, d. h. können nicht den kleinsten Lebewesen, die Fäulnis und
Gärung verursachen, zum Angriffspunkt dienen. Darauf beruhen ja
auch verschiedene Verfahren der Konservierung, so das Trocknen,
Pökeln und Einzuckern. Steigt der Wassergehalt nur über 10 — 20%,
und ist Gelegenheit zur Infektion mit Keimen gegeben, so können aller-
dings schon manche Keime zum Wachstum gelangen, aber keine Bak-
1) Vgl. darüber Hutchinson, Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 1907,
mit Lit., Will ebenda, und bei den Tropismen (§46 u. 56). Über ,, Bak-
terienblasen", „Infektionsfäden** und „Fruchtkörper'* der Myxobakterien
s. Schleimgärung (§ 128).
140 Kap. IV, I 40.
terien, sondern nur Pilze, und zwar in erster Linie Schimmelpilze. Immer-
hin wird deren Wucherung gewöhnlich erst üppiger bei einem höheren
Wassergehalt und erreicht ihr Optimum bei 75 — 90%^) Wasser. Damit
kommen wir auch den Grenzen näher, in denen noch das Bakterien-
wachstum gut vonstatten geht. Möglich ist es noch zwischen 65 — ^75%
(W e i g e r t)*) und ausnahmsweise noch bei 30 — 60% (s. u.). Jedoch
vertragen bei weitem nicht alle Arten eine starke Anhäufung von Nähr-
stoffen. So werden z. B. die Nikrobakterien. die freilich nur unorganische
Salze verwerten, schon durch die Gegenwart kleiner Mengen organischer
Stoffe geschädigt (§ 196). Diese und ähnliche Angaben, die Schwefel-
und Purpurbakterien betreffen, sind freilich jetzt zweifelhaft geworden
(§ 208, 209). Von den sogenannten Wasserbakterien, die mit
geringsten Spuren organischer Substanz vorlieb nehmen, sollte man am
ehesten annehmen, daß sie eine größere Nährstoffdichte nicht vertrügen,
Bei manchen von ihnen, so bei den nur in Heyden-Agar wach-
senden Wasserbakterien H e s s e s '^), mag das der Fall sein, gerade für
diejenigen aber, die wir durch die übliche Plattenkultur nachweisen
können, nur ausnahmsweise. So sah E. K o h n ^) den Micr. aquatilis
zunächst zwar in einer 5 prozentigen Nährlösimg nicht wachsen; später
erfolgte aber doch sichtbare Entwicklung in 8 prozentiger Lösung, und
selbst in 10 prozent. hätte man vielleicht mit Hilfe von Plattenkulturen
noch eine unsichtbare nachweisen können. Jedenfalls hat K o h n selbst
wie andere Forscher (s. u.) Anpassung von Wasserbakterien an hohe
Stoffdichten beobachtet. Die Grenze nach imten liegt im allgemeinen
recht tief, am tiefsten für die schon erwähnten „Wasserbakterien'*
B o 1 1 o n s ^), den Bac. oligocarbophilus Beijerincks (§ 33 am
Schluß) und manche Schimmelpilze. Aber auch unsere gewöhnlichen
Nährlösungen (Peptonbouillon), die etwa 2 — 3% Trockensubstanz ent-
halten, sind selbst bei 20 — iO facher Verdünnung noch für die Kulturen
1) Vgl. z. B. Raul ins Versuch, der in § 232 wiedergegeben ist.
Die beste Ausnutzung des Nährbodens, die wohl von dem größten Ernte-
ertrag zu unterscheiden ist, liegt allerdings, wie dort nachgewiesen ist, bei
weit schwächerer Konzentration (1 — 2%). Bei Bakterien fand Rubner
(§ 234) in Fleischextraktlösung bis zu 6% ein Steigen der absoluten und
relativen Ausbeute.
2) Zentr. Bakt. 36. 1, 1904. Lit. — König und Spieckermann
finden (Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 635), daß Futtermittel nicht zersetzt werden
bei einem Wassergehalt von über 30%.
3) Zeitschr. f. Hyg. 29 und 42. '
4) Zentr. Bakt. 2. Abt., 16. 721 und 17. 447.
5) Zeitschr. f. Hyg. 1, 1886. Vgl. Wolffhügel und Riedel.
Arb. K. Gesundlieitsamt 1, Rosenberg, Arch. f. Hyg. 5, T i e m a n n -
(} ä r t n e r , Untersuchg. des Wassers, ö27, 1895.
Ernährungsbedingungen . 141
pathogener Bakterien brauchbar, ebenso gestatten auch manche nicht
gerade besonders verunreinigte Brunnenwässer ein Wachstum, z. B. von
Cholerabazillen^).
Natürlich wird es nicht allein auf den unbedingten Gehalt eines
Nährbodens an festen Stoffen ankommen, sondern ganz wesentlich
auf die Art dieser Stoffe. Besonders zu beurteilen sind von vornherein
die nicht in Ijösung befindlichen Stoffe. Eigelb ist z. B. ein guter Nähr-
boden für Bakterien trotz seines Wassergehalts von 50%, offenbar,
weil der größte Teil der festen Substanz, das Fett, darin nicht gelöst,
sondern nur aufgeschwemmt, der Wassergehalt der Nährflüssigkeit
also in Wahrheit viel höher ist. Ebendahin gehört das Wachstum von
Schimmelpilzen in ungereinigtem Olivenöl, das nach van Tieghem^)
möghch ist, wenn man die Pilze in einem wasseranziehenden Körper
(Fließpapier) in das Ol einführt. Sämtliche Nährstoffe einschließlich des
Sauerstoffs sind in ihm in genügender Menge und, wenn man von dem
ungelösten Fett absieht, nicht zu stark konzentriert vorhanden. In
welcher Dichte die einzelnen wasserlöslichen Stoffe eine Aufhebung des
Wachstums bewirken, ist noch nicht im Zusammenhange untersucht
worden ; nur für Schimmelpilze teilt Eschenhagen ^) einige Zahlen
mit. Danach hemmt Zucker das Wachstum bei 51 — 55%, Glyzerin bei
37 — 43%, Natriumnitrat bei 16 — ^21%, Chlomatrium und Chlorkalzium
bei 16 — 18%. Häufiger hat man die Wirkung einiger Bestandteile, in
erster Linie der Salze studiert. So wurde festgestellt, daß viele Bakterien
(B. coli, enteritidis, morbificans bovis) schon bei 7 — 10% Kochsalz ihr
Wachstum einstellen (Stadler )*), daß es aber andere gibt, und zwar
namentlich Kokken, die noch bei 20% (Petterson^)) und sogar bei
20—25% (Lewandowsky®)) noch fortkommen. H o y e hat
eme Torula pulvinata gefunden^), die auf gewaschenem und getrock-
netem Dorsch mit 30% Kochsalz noch gedeiht. Ein Vergleich, den
Lewandowsky zwischen Kalium- und Natriumsalzen (der
Salz- und Salpetersäure) anstellte, zeigte eine energischere Wirkung der
letzteren, auch in äquimolekularen Lösungen. Selbst in einer gesättigten
d. h. ca. 30 prozentigen Salpeterbouillon vermehrten sich gewisse Bak-
1) Kruse, Zeitschr. f. Hyg. 17. 31 und bei Gärtner a. a. O.
2) D u c 1 a u X Microbiol. 4. 692.
3) Einfluß von Lösungen verschiedener Konzentration usw. Leipzig
Dissert. 1889 (nach Puriewitsch, Jahrb. wiss. Bot. 36, 1900.
4) Arch. Hyg. 36, 1899; vgl. die ältere Arbeit von F o r s t e r und de
Frey tag (ebenda 11), über den Einfluß des Pökeins.
5) Ebenda 37.
6) Ebenda 49.
7) ref. Zentr. Bakt. 31. 19.
142 Kap. IV, § 40 u. 41.
terien noch üppig. Auch nach Z o p f ^) und A. Fischer^) sind die
Eonzentrationsgrenzen beim Bact. vernicosum und dem Bac. subtilis
für die einzehien Salze verschieden und haben mit ihrem osmotischen
Wert unmittelbar nichts zu tun. Durchaus den sonst ermittelten Tat-
sachen entspricht die Beobachtimg Zopfs, daß die Grenzen für be-
stimmte Betätigungen der Bakterien, wie z. B. Säure- und Gasbildung,
enger gezogen sind als für das Wachstum. Für die Sporenbildung der
Anaerobier gilt z. B. nach Matzuschita^) dasselbe Gesetz. Daß
Meeresbakterien im allgemeinen einen höheren Salzgehalt lieben und auf
einem gewöhnlichen Nährboden deshalb zum Teil schlecht oder gamicht
wachsen, war von vornherein anzunehmen und ist auch für nichtleuch-
tende (Russell *)), für denitrifizierende (Gran § 198), Schwefel
oxydierende (Nathanson § 210) und Schwefelsäure reduzierende
(van Delden§212) und leuchtende Formen ( § 238) festgestellt worden.
Bei Pilzen liegen die Dinge nicht viel anders. Vor allem ist hier das Ver-
halten zum Zucker studiert worden. Die einzelnen Arten zeigen dabei
Besonderheiten. Im Gegensatz zum Aspergillus niger, der die besten
Ernten bei ziemlich niedriger Konzentration gibt (R a u 1 i n), wächst
z. B. Aspergillus repens besser bei 80 als bei 20% (Kleb s)^). Dem
Wachstumoptimum entspricht hier, wie in anderen Fällen, das Optimum
für die Sporenbildung. Letztere hört aber wieder sowohl bei Verringerung
als bei Erhöhung der Dichtigkeit früher auf als die vegetative Entwick-
lung. Ausnahmsweise gedeihen auch Bakterien bei ebenso hoher Zucker-
konzentration wie Pilze, so z. B. das Bact. vernicosum Zopfs (s. o.)
noch bei 70% Rohrzucker, 50% Milchzucker oder Dextrin imd 40%
Glyzerin.
Weniger ist bekannt über den Einfluß der Eiweißkonzentration
auf das Wachstum der Mikroben. Indessen werden auch hier große
Dichtigkeiten vertragen, wie aus der Brauchbarkeit des Eiweißes,
Eigelbs, Blutes und Blutserums zur Züchtung folgt. Ganz verkehrt
ist es, wenn Weigert auf Grund seiner Versuche mit eingeengtem
Fleischsaft (s. o.) folgert, daß der Wassergehalt des tierischen Körpers
(65 — 68%) zu gering sei, um Bakterienwachstum zu gestatten imd hierin
die Grundlage der natürlichen Immunität sucht. Nimmt man nämüch
die einzelnen Organe imd Gewebe, so findet man meist schon einen weit
größeren W^assergehalt imd die Interzellularflüssigkeit ist meist wasser-
reicher, jedenfalls eiweißärmer als Blutserum. Nur die Preßsäfte sind
1) Beitr. Morph, und Physiol. nied. Org., 1892.
2) Vorlesungen über Bakterien, 2. Aufl. 1903.
3) Arch. Hyg. 43, 1903.
4) Zeitßchr. f. Hyg. 11, 1890.
5) Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen, 1896.
Ernälmmgäbedingiingen . 143
reicher an Eiweiß, aber bekanntermaßen sogar ein besserer Nährboden
wie Blutserom (vgl. Immnnitätslehre). Wir sind daher gezwungen, nach
anderen Ursachen der Immunität zu suchen. Nur für die festesten Ge-
webe mag die Erklärung Weigerts zulässig sein, gilt aber schon
nicht für deren Safträume.
In welcher Weise hat man sich nun den wachstumhemmenden
Einfluß zu großer und zu kleiner Dichtigkeit zu denken ? Im Grunde
wissen wir darüber ebenso wenig zu sagen, wie über die ähnlichen
Wirkungen zu großer oder zu geringer Sauerstof&pcuinung (§ 31). Mit
dem Zurückgreifen auf osmotische Störungen (§ 2) ist wenig gewonnen,
da diese vielfach nicht nachweisbar sind, und wo sie es sind, ohne
Schaden für die Zelle ausgeglichen werden können. Es bleibt uns vor-
läufig nichts anderes übrig als die Vorstellung, daß jeder Organisnms,
um zu wachsen und sonst regelmäßig zu funktionieren, auf eine innerhalb
bestinmiter Grenzen schwankende Dichtigkeit der Nährstoffe angewiesen
ist. Das ist freilich kaum etwas anderes als eine Umschreibung der
nackten Tatsachen selbst.
Mehrfach wurde schon hingewiesen auf die Abhängigkeit anderer
Eigenschaften der Mikroben, z. B. der Sporenbildung, des Gärver-
mögens von der Dichtigkeit der Nährlösung. Noch nicht erwähnt wurde
die Beeinflussung der Virulenz, Giftigkeit, Leuchtkraft, der morpho-
Ic^schen Eigenschaften (§ 3). Einzelheiten darüber finden sich in den
besonderen Abschnitten. Daß auch eine Anpassung an ungewohnte
Nährstoffdichten möglich ist, ninmit uns nicht Wunder. Auch in dieser
Beziehung ist Veränderlichkeit geradezu ein Gesetz, das für die meisten
Mikroben gut (Kap. XVIII).
§ 41. Reaktion der Nährböden. Seit lange ist bekannt, daß die
Reaktion der Nährböden deren Nährfähigkeit in verschiedener Weise
beeinflußt. Im allgemeinen kann man sagen, daß die saure Beak-
tion das Wachstum von Pilzen einschließlich
Hefepilzen, die neutrale und alkalische das der
Bakterien begünstigt. Baulin (§ 29) stellte z. B. schon
fest, daß der Aspergillus niger auf seinen Zuchten sofort von Bakterien
überwachsen wurde, wenn er die Weinsäure daraus fortließ. Bei P/oo
Weinsäurezusatz blieben die Kulturen schon ziemlich rein von Bak-
terien und wuchsen gleichmäßig üppig bis zu ungefähr 6% Säuregehalt.
Erst bei 20% Säure hörte jedes Wachstum des Pilzes auf. Hefe verträgt
schon viel weniger, etwa 5 — ^7Voo Milch- oder Weinsäure, während
Buttersäurebakterien schon unter 1 — ^2VooSä^^® leiden (§ 116). Aus-
nahmen von der obigen Regel kommen freilich vor. So gedeihen die auf
der Haut schmarotzenden Fadenpilze besser auf alkalischen imd vor
allem Essigbakterien besser auf sauren Nährböden. Auch der Tuberkel-
144 Kap. IV, § 41 u. 42.
bazillus wird durch eine leicht saure Reaktion eher gefördert als ge-
hemmt. Die Widerstandsfähigkeit gegen Säure und Alkali unterliegt
eben nach je der Mikrobenart großen Schwankimgen. Der Typhus-
bazillus und viele Kokken sowie Milchsäurebakterien vertragen, um die
Beispiele fortzusetzen, mäßige Säuregrade (IVoo ^ ^^)' ^^i^ ^i^ &uch
langsamer wachsen als bei alkalischer Reaktion, das Choleraspirillum
ist hingegen sehr empfindlich gegen jede Spur Säure und wächst nocb
üppiger bei einer Alkalescenz, die den meisten anderen Bakterien
schädlich ist ^). In noch viel stärker alkalischen Nährböden kommen
die Hamstoffbakterien fort. Sie zersetzen (§ 195) bis zu 12% Harnstoff
und erzeugen dadurch schließlich 18% kohlensaures Ammon. Um-
gekehrt beginnen die Essigbakterien ihre Entwicklung bei 1 — ^2%E88ig-
säuregehalt der zu vergährenden Flüssigkeit und steigern den Säure-
gehalt bis auf 5%. Doch sind diese Bakterien nur für die Essigsäure
angepaßt, Mineralsäuren hemmen ihre Entwicklung schon in verhältnis-
mäßig geringer Menge (§ 135). Bei anderen Mikroorganismen, z. B. den
Milzbrandbazillen entfalten alle Säuren annährend eine gleiche Wirkung,
d. h. sie wirken gleich in äquivalenterMenge (v. Lingels-
h e i m ^)). Andererseits wollen K r ö n i g und P a u 1 *) die Wirkung
der Säure parallel gehen lassen ihrem elektrolytischen Dis-
soziationsgrad. Es dürfte wohl schwer fallen, allgemeine Re-
geln aufzustellen. Giftwirkimg auf manche Organismen entfalten sal-
petrige Säure, Ameisensäure, Buttersäure, Baldriansäure — aber nur
in freiem Zustande, nicht in Form von Salzen. Die Oxalsäure dagegen,
die für höhere Pflanzenzellen so giftig ist, schädigt SchimmelpUze selbst
in 1 prozentiger Lösung nicht. Hier liegt wohl die Erklärung nahe,
daß das geringe Kalkbedürfnis der Mikroorganismen (§ 28 u. 30) daran
schuld ist (L ö w).
Wie empfindlich manche Mikroorganismen gegen Veränderungen
der Reaktion sein können, lehrt folgendes Beispiel*): Pneumokokken
wurden in gleicher Menge geimpft in Röhrchen mit Nähragar, dann
eine steigende Anzahl Tropfen einer 1/10 Normalnatronlauge zugesetzt.
Der Agar wurde darauf sofort zu Platten ausgezogen und mehrere Tage
bebrütet. Die Zahl der Kolonien, die sich entwickelten, betrug
0 270 10200 ^ oc 13500 1800
bei Zusatz von 0 8 16 24 32 40 48 Tropfen Alkali.
1) bei einem Überschuß von 1/4% Soda. Kruse, Zeitschr. f. Hyg.
17. 35. Über Milchsäurebakterieu vgl. § 101.
2) Zeitschr. f. Hyg. 8. 202.
3) Zeitschr. f. Hyg. 25.
4) Kruse und Pansini, Zeitschr. f. Hyg. 11.
Emährungsbedingungen. 145
Die Bedeutung, welche die Reaktion des Nährbodens für den
Wettbewerb nebeneinander lebender Mikroorganismen haben muß, ist
ohne weiteres verständlich. So werden in sauren Lösungen, die Bak-
terien allein allenfalls noch ein Wachstum ermöglichen, diese von
Schimmelpilzen schnell unterdrückt, umgekehrt die letzteren von den
ersteren bei alkalischer Reaktion. Bakterien, die selbst Säure erzeugen,
Schimmelpilze, die Säure verzehren, können sich auf diese Weise ihr
eigenes Grab graben (vgl. Metabiose § 50). Aber die Schädigung er-
streckt sich bei den Mikroben, die Säure oder Alkali bilden, auch auf die
Entwicklung in Reinkulturen. So hören die Essig- und Milchsäure-
bakterien^), die Harnstoffvergärer imd andere Ammoniak erzeugende^)
^likroben schließlich selbst zu wachsen auf, wenn der Gehalt an Säure
oder Alkali zu hoch wird (vgl. Selbstgifte § 47). •
Aus dieser Empfindlichkeit der Mikroorganismen gegen die von
ihnen selbst gebildeten Säuren oder Alkalien erklärt sich die Begünsti-
gung, die ihr Wachstum erfährt durch Zusatz von Säure oder Ammoniak
neutralisierenden Mitteln zum Nährboden (kohlensaurer Kalk einerseits,
phosphor- oder schwefelsaurer Kalk andererseits).
§ 42. Einfluß der Temperatur auf die Ernährung. Maß-
gebend für die Ernährung ist unter den physikalischen Einflüssen vor
allem die Temperatur, bei der sie erfolgt. Für jeden Mikroorganismus
gibt es eine günstigste (optimale), eine oberste (maximale) und niederste
(minimale) Temperatur. Die Grenzen liegen verschieden weit ausein-
ander. Der gewöhnliche Schimmelpilz, Fenicillium glaucum, wächst am
besten bei Zinmiertemperatur, aber auch noch bei wenigen Graden (3*)
über 0 kommt er, wie die meisten saprophytischen Pilze, fort, bei Blut-
temperatur nicht mehr. Etwas höher liegen die Grenzen für die Bierhefe
und die Essigbakterien. Ein anderer Schimmel, Aspergillus fumigatus,
gedeiht zwischen 20 und 60 *, am besten bei 37 — 40®. Sehr viele Bak-
terien, darunter die meisten pathogenen, wachsen zwischen 3 — 45®;
manche pathogenen, wie die Tuberkelbazillen, Gono- und Meningokokken,
sind aber beschränkt auf Temperaturen, die der Bluttemperatur nahe
liegen. Im allgemeinen besteht die Regel, daß die für Warmblüter
pathogenen Bakterien und Filze auch bei der Bluttemperatur
am besten imd schneUsten wachsen, nur der Pestbazillus scheint eine
Ausnahme zu machen, insofern er zwischen 25 — 30^ am üppigsten ge-
deiht. Typhus, Milzbrand, Cholera, Fleischvergiftungen kommen noch
bei 3— 5*, wenn auch höchst kümmerlich, fort. Andere (Pneumokokken,
1) Über die emzelnen Arten von Säurebildnern vgl. § 35 am Schluß
und §97, über die auf die Säurebildung begründeten diagnostischen Methoden
§ 112.
2) Vgl. Kap. IX u. X.
Krase, Mikrobiologie. 10
146 Kap. IV, § 42.
DiphtheriebazUlen) können wenigstens noch bei 20 — ^24®, d. h. Tempe-
raturen, wie sie im Sommer häufig sind, sich vermehren. Die Protozoen
der Menschen- und Tiermalaria, der Hämoglobinurie der Kinder, walu-
scheinlich auch die Trypanosomen und Spirochaeten gedeihen nicht nur
in den Warmblütern, d. h. bei hoher Temperatur, sondern auch in Stech-
mücken, Fliegen, Zecken, also bei weit niedrigeren Temperaturen, doch
scheinen auch sie an Minima gebunden zu sein, die nur in der wärmeren
Jahreszeit erreicht werden. Daraus erklärt sich zum großen Teil die Vor-
liebe dieser Infektionen für das wärmere Klima.
Mikroorganismen, die besonders niedere Temperaturengrade ver-
tragen, werden auch alspsychrophile, glaziale oder „kälte-
liebende" bezeichnet. Solche sind zuerst von Förster^) aus allen
möglichen Substanzen (Gartenerde, Kanal wasser, Meerwasser), dann
von B. Fischer*), M. Müller^), Schmidt-Nielsen*) isoliert
worden. Der Name ist eigentlich nicht gerechtfertigt, denn sämtliche
bisher untersuchten Arten wachsen bei höheren Temperaturen, z. B.
10 — ^20** besser als in der Nähe von 0", man sollte sie daher „kältever-
tragende", psychrotolerante nennen.
Den Gegensatz zu den glazialen Formen bilden die t h e r m o -
p h i 1 e n , „hitzeliebenden", die zwischen 30 — ^70^, ja bis 80® ge-
deihen. Solche Mikroorganismen wurden zuerst 1881 von M i q u e 1
in Flußwasser, femer von van T i e g h e m , Certes und G a r r i g a n
gelegentlich gefunden, ihr regelmäßiges Vorkommen an allen mögUchen
Stellen der Erdoberfläche wurde von G 1 o b i g ^) nachgewiesen. In
anderen Stoffen wie Wasser, Pflanzenstoffen, Fäzes, Milch, Vaginal-
schleim fanden sie dann F. Cohn®), Macfadyen und B 1 a x a 1 1 "),
Rabinowitsch^), Karlinski •), Kedzior^®), Laxa ^*),
Oprescui2), S chi llinger^^)^ T siklinsky^*), Sames*^),
1)
Zentr. Bakt. 2. 337 und 12. 431.
2)
Zentr. Bakt. 4. 89.
3)
Arch. f. Hyg. 47.
4)
Zentr. Bakt. 2. Abt. 9.
5)
Zeitschr. f. Hyg. 3.
6)
Ber. bot. Ges. 1893. 66.
7)
Joum. of Path. Bact. 1894.
8)
Zeitschr. f. Hyg. 20.
9)
Hyg. Kundschau 1895. 695.
10)
Arch. Hyg. 27, 1896.
11)
Zentr. Bakt. 2. Abt., 4. 362, 1898.
12)
Arch. Hyg. 33, 1898.
13)
Hyg. Rundschau 1898. 568.
14)
Annal. Pasteur, 1899.
16)
Zeitschr. f. Hyg. 33, 1900.
£mälirungsbedingungen. 147
Schütze*), M i e h e *). Sehr merkwürdig sind diese Mikroorga-
nismen von zwei Gesichtspunkten aus; erstens, weil sie bei Temperaturen
zu leben vermögen, die für fast alle anderen Organismen schädlich, ja
in kürzester 2ieit tödlich sind, zweitens, weil man sich zunächst ver-
gebens fragt, wo sie denn überhaupt imter natürlichen Verhältnissen
die Bedingungen zu ihrem Fortkommen finden. Nur soweit sie in
heißen Quellen gefunden worden sind, beantwortet sich die Frage ohne
weiteres, aber die meisten haben mit solchen offenbar nichts zu tun.
Man wird in erster Linie mit G 1 o b i g daran denken müssen, daß die
Bestrahlung des Erdbodens durch die Sonne ihnen gelegentlich die
nötigen Bedingungen schafft. Andere Möglichkeiten werden ihnen aber
geboten durch die hohen Temperaturen, die in Misthaufen, Futterstapeln
nsw. durch Selbsterhitzung, d. h. mikrobiotische und makro-
biotische Fermentvorgänge erzeugt werden (Cohn, Schütze
vgl. § 157 u. 237). Die Zwischenzeit, wenn sie die nötige Wärme nicht
zur Verfügung haben, müssen sie in Form von Dauerzuständen über-
leben. In der Tat sind die Thermophilen sämtlich Sporenbildner, seien
es nun Bazillen oder Strahlenpilze (Eedzior, Tsiklinsky,
Sames, Schütze u. a.) oder Schimmelpilze (F. C o h n). Für
viele von ihnen besteht noch eine andere Möglichkeit: es sind diejenigen,
die auch bei niederen Temperaturen (20 — 40®) noch mehr oder weniger
gut wachsen können, die sog. thermotoleranten (Schil-
lin g e r). Ein eigentümliches Verhältnis haben für einige von diesen
Rabinowitsch und Schütze aufgedeckt: während sie bei
hohen Temperaturen regelmäßig besonders gut bei Luftzutritt, vege-
tieren, konmien sie bei niedrigen oft besser ohne Sauerstoff fort (vgl.
>^. 104). Zu den mäßige Hitze ertragenden Bakterien gehören übrigens
auch einige gute Bekannte, so das gewöhnliche Bact. coli des Säugetier-
und Vogeldarmes, das bei etwa 46® noch leidlich gedeiht und sich da-
durch von den Colibazillen anderen „unschuldigen" Ursprungs (E i j -
kman*), Christian u. a.) und den pathogenen Darmbakterien
(Kruse*)) unterscheidet.
Die obige Beobachtung Rabinowitschs gibt uns Anlaß,
auf andere Verschiedenheiten zurückzukommen, die sich in den Eigen-
schaften der Mikroorganismen zeigen, je nach der Temperatur, bei der
sie sich entwickeln. So werden von vielen Pigmentbakterien z. B. dem
1) Arch. f. Hyg. 67, 1809.
2) Zeitschr. f. Hyg. 62.
3) Zentralbl. Bakt. 37.
4) Zeitschr. f. Hyg. 69. 20, 1908. Hier wird auch die Brauchbarkeit
der ,,E i j k in a n sehen Coliprobe" für die Wfiwseruntersuchung besprochen.
V^gl. dazu Fromme, Zeitschr. Hyg. 65, 1910 (mit Lit.).
10*
148 Kap. IV, § 42 u. 43.
Prodigiosus bei Bruttemperatur keine Farbstoffe gebildet. Die Milz-
brandbazillen und andere pathogenen Bakterien verlieren bei 42— 43^
allmählich ihre krankmachenden Fähigkeiten^), die Hefe-, Coli- und
Essigbakterien gären viel schlechter bei den Grenztemperaturen. Die
Sporenbildung aller Mikroorganismen erfolgt in engeren Temperatur-
grenzen als das Wachstum^). Auch die Assimilation von Nährstoffen
ist von der Temperatur abhängig. Penicillium wächst z. B. nach Thiele')
bei Gegenwart von Glyzerin und ameisensaurem Natron noch bei 35 bis
36 •, bei der von 4% Traubenzurker nur noch bei 31 •. Auch Zunahme
der Konzentration der Zuckerlösung kann die obere Temperaturgrenze
hinaufschieben. Das Temperaturminimum ließ sich durch solche Ver-
änderungen der Nahrung nicht verschieben. Nach W e h m e r *) ist
Aspergillus niger bei 8 — 10® nicht imstande, Oxalsäure zu verbrennen,
wohl aber bei höherer Temperatur. Ganz allgemein wird durch diese
Beobachtungen das uns schon bekannte Gesetz bestätigt, daß die
Grenzen für das Wachstum der Mikroben nach oben wie nach unten
weiter vorgeschoben sind als diejenigen für die Betätigung ihrer übrigen
Eigenschaften^), z. B. Sporen- und Enzymbildung, Pathogenität.
Ebenso entspricht die Tatsache, daß eine Anpassung an höhere und
niedere Temperaturen möglich ist, den sonstigen Erfahrungen über
Veränderlichkeit der Kleinwesen (Kap. XVIII).
Wenn Mikroorganismen jenseits der Temperaturgrenzen, innerhalb
deren das Wachstum möglich ist, gehalten werden, beginnen sich zuerst
Entartungs-, dann Absterbevorgänge bemerklich zu machen. Diese
verlaufen in der Nähe der oberen Temperaturgrenze viel schneller als
in der der unteren. Damit stimmt zusammen die stärkere Desinfektions-
wirkung höherer Temperaturen und die schwächere oder fehlende
(konservierende Wirkung) niederer, auf die wir hier nicht näher eingehen.
§ 43. Bewegung und Erschütterung. Von anderen physika-
lischen Einflüssen kommt für die Ernährung der Mikroorganismen zu-
nächst die Bewegung oder Erschütterung des Nährmittels in Betracht.
1) Merkwürdigerweise verlieren die Kulturen des Trypeuiosoma
Brucei nach N o v y und Mc N e a 1 ( Joum. of infect. diseasis 1904, S. 23)
schon bei 34* ihre Virulenz, obwohl sie doch im Tierkörper weit höheren
Temperaturen ausgesetzt sind, ohne darunter zu leiden.
2) Nach Herzog (Zeitschr. phys. Chem. 37, 1903) soll die Ge-
schwindigkeit der Sporenbildung bei der Hefe in ähnUcher Weise von der
Temperatur abhängen, wie die Enzymwirkungen nach Tanimann(§ 244).
3) Kochs Jahresber. 1896. 45.
4) Ber. bot. Ges. 1891. 163.
ö) Vgl. § 31 und 38. Die Beweglichkeit macht eine Ausnahme (ß. u.
§ 46), audh die Enzyme der Mikroben wirken noch jenseits der Wachstums-
temperatur (§ 244).
Emähmngsbedingungen. 149
Hoppe-Seyler^) hat schon festgestellt, daß fortgesetzte ruhig fließende
Bewegung die Entwicklung der Spaltpilze nicht hemmt; dagegen
sollen nach Horvath') langdauemde intensive Erschütterungen
Entwicklungshemmung und sogar Abtötung veranlassen. B. Schmidt^)
hat das für Staphvlococcus pyogenes citr. und Spirillum Finkler, nicht
für den Typhusbazillus, den Bac. prodigiosus u. a., M e 1 1 z e r ^) für
Bac. megatherium, nicht für Bac. fiuorescens non liquef. bestätigen
können^). Sogar starke Schallwellen, die durch den Nährboden
geleitet werden, können nach Reinke ®), leise Zitterbewegungen
wie sie in Fabriken durch die Maschinentätigkeit hervorgerufen werden,
nach H e 1 1 z e r Verlangsamung des Wachstums und selbst feinkör-
nigen Zerfall der Bakterienzellen verursachen. Wenn hieraus schon
auf große Verschiedenheiten in der Empfindlichkeit der einzelnen Arten
geschlossen werden kann, so sprechen andere Beobachtungen M e 1 1 -
z e r s , die er an einem Wasserbazillus gemacht hat, dafür, daß ein
geringes Maß von Erschütterung sogar förderUch sein kann. Unbe-
dingte Ruhe sowie sehr starke Erschütterung übte auf denselben Wasser-
bazillus einen nachteiligen Einfluß. M e 1 1 z e r vergleicht danach die
Wirkung der mechanischen Bewegung mit der der Wärme: in beiden
Fällen würde äußere Energie den lebenden Zellen zugeführt, bis zu einer
gewissen Grenze mit günstigem Erfolge, jenseits der Grenze mit un-
günstigem. Je nach der Eigenheit der Mikroorganismen lägen diese
(vrenzen höher oder tiefer. Mit dieser Auffassung stimmen auch andere
Erfahrungen, die an gärenden Gemischen gemacht worden sind.
Schlösing^) fand durch Versuche, daß Umrühren, Umpacken,
1) Über den Einfluß des Sauerstoffs auf Gärungen, 1881.
2) Pflüger 8 Arch. 17, 1887.
3) Arch. f. Hyg. 13, 1891.
4) Zeitschr. f. Biol. 30, 1894.
5) Die Schüttelversuche mit Bakterien, die in Weisser aufgeschwemmt
Hind, gehören eigentlich nicht liierher, wo wir von Wachstumsbedingungen
-sprechen. Sie sind übrigens größtenteils früher negativ ausgefallen.
Die neuesten zur Gewinnung von Giften, Aggressinen und Antigenen ( § 272,
320, 333 ff.) angesteUten Schüttelversuche mit dichten * (meist wässerigen)
Aufschwemmungen von Reinkulturen zeigen aber, daß die Bakterienzellen
aucli ohne Beigabe von Sand und dgl. durch fortgesetztes Schütteln stark
geschadigt werden können, ja schon in kurzer Zeit absterben. Bei genügen-
der Dichte würde das in Nährflüssigkeiten wohl nicht anders sein; da die
Dichte und damit die Berührungsmöglichkeiten aber hier viel geringer sind,
wird es verständlich, daß nur empfindliche Keime Schfiwien erleiden. Selbst
das energische Ausschleudern in der Zentrifuge soll das Leben von Cholera-
^>aziUen schädigen (R. Pfeiffer).
6) Pflügers Arch. 23, 1880.
7) Corapt. rend. ac. sc. 125. 40.
1 50 Kap. IV, § 43 u. 44.
Erschütterungen von gärenden Tabakhanfen, Mist und dgl. die darin
herrschende Gärung beförderte, und daß daran nicht etwa die Luft-
emeuerung schuld wäre, sondern die Bewegung an sich. Bei der alko-
holischen Gärung durch Hefe liegen die Dinge etwas verwickelter. Be-
wegungen können hier sowohl dadurch wirken, daß sie die Berührung
der Hefe mit Sauerstoff erleichtem, als rein mechanisch. Wenn man
Luft oder reinen Sauerstoff durch die Hefekulturen leitet, machen sich
beide Einflüsse geltend, benutzt man dazu ein indifferentes Gas, nur der
letztere. B u c h n e r imd R a p p ^) haben dabei festgestellt, daß die
reichliche Sauerstoffzufuhr das Hefewachstum begünstigt imd —
wenigstens in gewissen Grenzen — die Gärung nicht beinträchtigt,
sondern befördert, daß aber starke Erschütterungen der Flüssigkeit,
wie sie bei zu reichlicher Durchleitung von Gas oder im Schüttelapparat
entstehen, die Hefe schädigen können, und zwar um so mehr schädigen,
je schlechter die Nährlösung und je weniger lebenskräftig die Hefe ist.
Die Frage, ob nicht leichtere Erschütterungen das Hefewachstum be-
günstigen, haben die Autoren nicht berührt. H a n s e n 2) glaubte sie
schon früher in bejahendem Sinne beantworten zu können. Der neueste
Forscher auf diesem Gebiete, A p p e 1 ^), will die Ergebnisse oder
wenigstens die Deutung Meltz er s nicht gelten lassen. In der Tat
scheint es, daß die nachteiligen Folgen der Erschütterung, soweit sie
überhaupt hervortreten, wohl am einfachsten durch die Reibung der
Keime aneinander, der Gefäßwände usw. zu erklären seien*). Sehr
der Nachprüfung bedürftig erscheinen die Angaben Holzingers^)
über den schädlichen Einfluß osmotischer Ströme auf Bakterien.
§ 44. Druckerhöhung. Steigerung des Druckes schädigt die
Lebensfähigkeit von Schimmelpilzen, Hefen und Bakterien, wenn über-
haupt, nur in verhältnismäßig unbedeutendem Grade, man findet daher
letztere Keime auch in den größten Meerestiefen, z. B. bei 1100 m
(Russell«), B. Fi sc her 7)), und selbst bei 200— 400 m Tiefe,
d. h. bei 20 — 40 Atmosphären Druck, noch so zahlreich, daß man an
ihr Wachstum an diesen Stellen glauben möchte. Für den Schlamm
des Mittelländischen Meeres aus Tiefen bis zu 1100m hat Russell
es sehr wahrscheinlich gemacht, daß die gefundenen Bakterien auch
dort zu wachsen vermögen, denn sie glichen nicht den Formen des
1) Zeitschr. f. Biol. 37, 1898. Vgl. § 91.
2) Compt. rend. du laboratoire Carlsberg 1879.
3) Scliriften der phys. Ökonom, (tos. Königsberg 1899, 40.
4) Vgl. Anm. 6, S. 149.
5) Münch. med. Woch. 1909, 46.
6) Zeitschr. f. Hyg. 11, 1891.
7) Deutsche med. Woch. 1899. 37.
Emährungsbedingungen. 151
darüber stehenden Wassers, waren auch viel reichlicher und bestanden
nur zum Teil aus Sporen. Sie gehörten anscheinend sämtlich zu den
gelegentlichen oder strengen Anaerobiem. Allzuviel Sauerstoff wird
ihnen übrigens in der Meerestiefe auch nicht zur Verfügung stehen,
trotzdem der hohe Druck an sich eine Übersättigung mit diesem Gase
gestatten würde. Dagegen ist den Keimen gerade im Mittelmeer eine
verhältnismäßig hohe Temperatur (13^) geboten. Von sonstigen An-
gaben über das Wachstum bei hohem Druck ist zunächst die ältere
von Certes^) zu erwähnen, nach der die Fäulnis in Meerwasser bei
350 — 500 Atmosphären langsam verlaufe, aber doch eintrete, ß e g -
n a r d ') bestätigt das insofern, als er Harn mit faulem Käse versetzt,
bei 600 Atmosphären 21 Tage lang zwar klar und geruchlos, aber nicht
bakterienfrei bleiben sah. Hefe- und Milchsäuregärung blieben unter
denselben Bedingungen aus. Danach würden also aerobe und anaerobe
Wachstumsvorgänge durch sehr hohen Druck mindestens behindert
werden. Von welcher Grenze an das geschieht, ist aber noch unbekannt.
Während der Sauerstoff in allen diesen Versuchen keine Rolle gespielt
TM haben scheint, wies Chudiakow, wie wir schon sahen (S. 98)
nach, daß, sobald dieser freien Zutritt zu den Nährlösungen hat, schon
verhältnismäßig geringe Überdrucke (ca. 3 — 10 Sauerstoff- Atmosphären)
das Wachstum aller daraufhin geprüften Mikroben unmögUch machen.
Hier ist es also nicht der Druck an sich, sondern die Sauerstoff-
spannung, die schädlich wirkt. Auch Druckverminde-
rung wird nur auf diesem Wege, selbstverständlich aber nur den
Äerobiern gefährlich.
Durch die schädliche Wirkung der zur Druckerhöhung benutzten
Kohlensäure erklärt sich wahrscheinlich die starke Beein-
trächtigung der Lebensfähigkeit von Bakterien, die
d'A r 8 o n V a 1 und C h a r r i n *) bei hohem Druck eintreten sahen.
Krause'), Chlopin und Tammann^) beobachteten nur
einen ziemlich geringen, übrigens je nach der Mikrobenart wech-
selnden Einfluß selbst bei Druck von 3000 Atmosphären, wenn sie
die obige Fehlerquelle, z. B. durch Pressung mit Rizinusöl ausschalteten.
Ijcider ist aus ihren Versuchen aber nicht zu ersehen, wie sich das
Wachstum in den unter Druck stehenden Flüssigkeiten selbst ver-
hielt. Da nach dem Aufhören des Druckes aber meist eine Schwä-
1) Compt. rend. ac. sc. 99.
2) Rech. exp6r. sur les eonditions physiquos de la vie dann les eaiix,
IHOl (bei Chlopin tind Tammann s. u.).
3) Kochs Jahresber. 1893, 115.
4) Zentr. Bakt. 31.
5) Zeitftchr. f. Hyg. 45, 1903.
152 Kap. IV. § 45.
chung der Wachstumssclmelligkeit, ebenso wie des Gärvermögens, der
Virulenz und Beweglichkeit festgestellt wurde, ist anzunehmen, daß
sich ähnliche Erscheinungen um so mehr während des Versuches
bemerkbar gemacht haben werden.
§ 45. Elektrizität und Licht. Der elektrische Strom scheint
— als Wechsel- oder konstanter Strom — nur durch seine thermischen
oder elektrol}rti8chen Wirkungen das Bakterienleben zu beeinflussen
(Thiele und W o 1 f i), Z e i t 2)). Nach R i e d e r ») schädigen da-
gegen Röntgenstrahlen und nach Pfeiffer und Friedberge r*),
T i z z o n i und Bongiovanni ^) Radiumstrahlen die Mikroben
ähnlich, wenn auch schwächer wie Lichtstrahlen (Dorn, Baumann
und Valentiner*). Wahrscheinlich sind die Wirkungen auf
tierische Gewebe und Protozoen stärker. So wiid auch von C h e n e -
V e a u imd B o h n angegeben^), daß Infusorien unter dem Einfluß
sehr starker Elektromagnete erheblich in ihren Lebenserscheinungen
beeinträchtigt werden.
Das Licht hat für die Ernährung der Mikroorganismen lange
nicht die Bedeutung, wie für die der chlorophyllhaltigen Pflanzen. Ein
günstiger Einfluß der Belichtung ist, wenn man von den Chlorophyll-
und Purpurbakterien absieht (§ 253), bisher fast nur bei Pilzen be-
obachtet worden. So will Gaillard®) gefunden haben, daß Peni-
cillium glaucum und Oidiimi albicans, sowie die Rosahefe sich unter
Belichtung besser entwickeln, Elfving*) sah aber umgekehrt bei
Penicillium unter zerstreuter Belichtung, wenn er die Pilze mit Zucker
und Ammoniak ernährte, eine Verlangsamung des Wachstums eintreten.
Die violetten Strahlen waren die wirksamen. In Kulturen mit Pepton oder
Pepton und Zucker war dagegen kein Unterschied zu merken. Die Sporen-
bildung wurde in keinem Fall beeinflußt. Brefeld^®) hat wiederum
1) Zentr. Bakt. 25 mit Lit., vgl. Lehmann und Zi erler,
Arch. f. Hyg. 46.
2) American Joum. of medic. association 1901 (Teslaströme).
3) Münch. med. Wochenschr. 1898, 4 imd 1902, 10. Vgl. aber die ent-
gegenstehenden Angaben Z e i t s über Bakterienbeeinflussung und die
sehr ungleichen von Schaudinn, Löwenthal und Rutkowski
(Therap. d. Gegenw., Sept. 1907) u. a. über ihre Wirktuigen auf Protozoen.
4) Zentr. Bakt. 34.
5) Ebenda 39.
6) Zeitschr. f. Hyg. 51, 1905.
7) Compt. rend. ac. sc. 136, 1903.
8) bei Raum, Zeitschr. f. Hyg. 6. 331.
9) Studien über Einwirkung des Lichtes. Helsingfors 1890 (nach
D u c 1 a u x).
10) Untersuchungen über Schimmelpilze Heft 8, 1889.
Emähmngsbedingungen. 153
angegeben, die Belichtung habe auf die vegetative Entwicklung höherer
Pike keinen Einfluß, begünstige aber, und zwar durch die violette Seite
des Spektrums, die Fruchtbildung. Hefe verhält sich nach K n y ^)
gleichgültig gegenüber mäßiger BeUchtung. Eine sorgfältige Unter-
suchung führte Lendner ^) zu dem Satz, daß das zerstreute Licht
für die Ausbildung der Sporangien- undKonidienfrüchte der Schimmel-
pilze nur nötig sei, wenn die sonstigen Emährungsbedingungen un-
günstige seien. Die einzelnen Arten der Schinmielpilze verhalten sich
aber nach seinen Angaben so verschieden, daß eine Regel überhaupt
nicht klar hervortritt. Die neuesten Versuche M a x i m o w s^) be-
treffen nur die Atmung, d. h. die Eohlensäureausscheidung der Schimmel-
pilze (§ 220), nicht die Ernährung imd sollen nur angeführt werden, weil
sie während einiger Stunden dem obigen Satze Lendners entspre-
chende Resultate ergaben: Alte und schlecht genährte Kultiuren er-
zeugten in der ersten Stunde der Belichtung mehr Kohlensäure als
unbelichtete; junge, gut entwickelte blieben unbeeinflußt.
Alle Forscher stinmien dann überein, daß allzu starke
Belichtung, z. B. durch die direkten Sonnenstrahlen oder eine
Bogenlampe, für Pilze und Hefen schädlich sei (vgl.
L 0 h m a n n *)). Die sehr zahbeichen Untersuchungen über die Ein-
wirkung des Lichts auf Bakterien^) haben fast ausnahmslos zu
dem Resultat geführt, daß unter allen Umständen selbst schwache
Belichtung dasWachstum beeinträchtige. Sehr be-
lehrend ist in dieser Beziehung die Versuchsanordnung Buchners:
man braucht nur eine gleichmäßig besäte Agarplatte auf der Unterseit-e
mit Papierbuchstaben oder Figuren zu bekleben imd dem Lichte von
dieser Seite her zeitweise auszusetzen, um nach einigen Tagen die Schrift
oder die Figuren 'durch das stärkere Wachstum der darunterUegenden
beschatteten Kolonien auf der Platte hervortreten zu sehen. Je stärker
das Licht, um so kräftiger natürlich die Wirkung. Sonnenlicht gehört
geradezu zu den stärksten Desinfizientien, da es selbst Sporen schnell
vernichtet. An der Wirkung sind das blaue, violette und ultraviolette
Licht am wesentlichsten beteiligt, aber auch das ultrarote wirksam. Sauer-
stoffzutritt befördert sie sehr, ebenso eine eigentümliche, noch nicht
1) Ber. bot. Ges. 1894.
2) Ann. sc. natur. 1897.
3) Zentr. Bakt., 2. Abt., 9. 6—8.
4) Kochs Jahresber. 1896. 90.
5) Altere Literatur bei Raum, Zeitsehr. f. Hyg. 6. Vgl. außerdem
Dieudonn^, Arb. k. Gesundheitsamt 9, Kruse, Zeitsehr. Hyg. 19, 1895.
Die Ergebnisse von Beck und Schenk (Kochs Jahresber. 1893. 53)
und Schultz (Zeitsehr. f. Hyg. 23) sind mit Vorsicht aufzunehmen.
Spätere Arbeiten s. bei W i e s n e r , Arch. Hyg. 61.
154 Kap. IV, § 46.
völlig erklärte Stoffumwandlong, die in den Nährböden selbst unter
der Belichtung entsteht.
Die nach Raab, U 1 1 m a n n u. a. bei Protozoen deutliche
„photodynamische" Wirkung in fluoreszierenden Lösungen
ist bei Bakterien recht gering ^). Dagegen scheinen die Enz3niie stärker
geschädigt zu werden (J o d 1 b a u e r und Tappeiner).
§ 46. Beeinflussung der Bewegungen durch physika-
lische Reize. Da die Bewegungen für die Ernährung bedeutungsvoll
sind, wollen wir hier auch die Beeinflussung der Bewegungen von Mi-
kroben durch physikalische Reize kurz besprechen*). Die Wachstums-
richtung kann durch die Schwerkraft, Druck, Strömungen und Berüh-
rungen, Wärme, Licht imd Elektrizität beeinflußt werden. Bei den
Fruchtträgem der Schimmelpilze ist der Einfluß der Schwerkraft
(Geotropismus) leicht nachzuweisen: sie wachsen nicht nur auf-
recht, sondern richten sich nach Entfernung aus ihrer aufrechten
Stellung wieder auf^). Bei manchen strahlenförmigen Ausläufern von
Bakterien, so z. B. beim Bact. Zopfi, glaubte man ähnliches beobachten
zu können (B o y c e und Evans*), Zikes ^)), doch hat außer
Beijerinck namentlich dessen Schüler Jacobsen®) gegen
diese Deutung der Erscheinungen Einspruch erhoben und sie durch
Wirkungen elastischer Körper im Nährboden selbst (E 1 a s t i k o -
tropismus) erklärt. Sergent') und Eisenberg®) haben
sich dem angeschlossen. Bei Pilzen hat man femer Wachstumskrüm-
mungen infolge Berührung mit festen Körpern (Haptotropismus*))
bei Pilzen und Myxomyceten auch durch Wasserströme (Rheotropis-
mus), und zwar teils von der gereizten Seite ab, teils nach ihr hin
festgestellt. Der Empfindlichkeit mancher Fruchtträger von Pilzen für
Lichtstrahlen (§ 45) entsprechend zeigen sie nach Hofmeister,
Steyer (a. a. 0.) u. a. einen positiven Phototropismus.
Nach 0 1 1 m a n n ^°) ist dabei nicht die Richtung der Lichtstrahlen
entscheidend, sondern der Unterschied der Helligkeit auf den beiden
Seiten des Fruchtträgers. Hier wie bei anderen Reizen gilt das W e -
1) Vgl. Reitz, Zentr. Bakt. 45, 1908. Lit.
2) Vgl. Bohrens in Lafars Handb. techn. Mykol. 1. 466,
1905. Über Chemo-, Osmo-, Hydro- und Aerotropismus s. u. § 56.
3) Steyer, Reizkrüniinungen usw. Leipzig, phil. Dissert. 1901.
4) Proceed. Roy. Soc. 54, 1893.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt., 11, 1903.
6) Ebenda 17. 53, 1907.
7) Annal. Pasteur 1907.
8) Zentr. Bakt. 48, 1908.
9) Jönsson, Bor. bot. Ges. 1883, 512. Stahl, Bot. Zeitg. 1884.
10) Flora 75, 1892 und 83, 1897.
Emährungsbedingungen. 155
bersche Gresetz, nach dem die Reizschwelle wächst mit der Stärke
des Reizes, unter dem der Organismus bereits steht. Auch ultrarote,
d. h. Wärmestrahlen sollen Bewegungen veranlassen, doch bestreitet
das S t e 7 e r , ebenso wie Jacobsen die von Beijerinck
gefundene Wirkung der Wärme auf die Wachstumsrichtung des B.
Zopfi anders deutet (s. o.).
Em Einfluß des Lichtes auf die Wachstumsbewegung der Bak-
terien scheint nicht zu bestehen, dagegen macht sich ein solcher
auf die freien Bewegungen derselben in gewisser Beziehung
bemerkbar. So wird nach Engelmann ^) die Bewegung der P u r -
purbakterien erst durch Belichtimg geweckt, durch Verdunke-
lung plötzlich zum Stillstand gebracht. Bei Bact. photometricum und
einigen anderen Purpurbakterien ruft umgekehrt plötzliche Vermin-
derung der Belichtung, nicht Verstärkung, heftige „Schreckbewegun-
gen'^ hervor; die Bakterien schlagen dabei eine rückläufige Bewegung
von der unbelichteten Stelle aus ein und häufen sich an den belichteten
an (Phobotaxis). Ultrarote Strahlen wirken am
stärksten phototaktisch. Alle Bakterien werden durch
stärkere Belichtung geschädigt und büßen dabei allmählich ihre Be-
wegungen ein. Anscheinend geschieht das schneller als sie absterben
(W i e s n e r ^)). Bewegungen nach dem Lichte hin treten nach W i e s -
n e r. ein, sollen jedoch passiver Art sein. Die positive Thermo-
t a X i s , die S c h e n k ^) bei Bac. prodigiosus und Staphyl. pyo-
genes ( !) beobachtete, wenn er einen erwärmten Kupferdraht in einen
hängenden Tropfen hineinbrachte, muß wohl anders gedeutet werden.
Im übrigen beeinflußt die Wärme die Beweglichkeit ebenso erheblich
wie das Wachstum. Zopf*) fand dabei, daß die Bewegungen eines
Bac. vemicofius noch bei Temperaturen (50®) fortdauerten, die keine
Vermehrung mehr erlaubten. Nach L e h ma n n und F r i e d ^)
wird die „Kältestarre*' besser vertragen als die „Wärmestarre". Durch
die Schwerkraft sollen nach Massart ^) einige Spirillen teils
an die Oberfläche gelockt, teils in die Tiefe getrieben werden (vgl. aber
Aerotaxis § 56). Sehr starker Druck lähmt die Beweglichkeit von
1) Pflügere Arch. 30, 1883, und 46, 1888; vgl. auch die Bestätigung
bei Winogradsky und Moliisch § 209.
2) Arch. f. Hyg. 61. 68, vgl. § 45.
3) Zentr. Bakt. 14, 1893.
4) Beitr. Physiol. u. Morph, nied. Organism. 1892.
5) Arch. f. Hyg. 46, 1903. Hier und bei S tri gell (Zentr. Bakt.
45. 298), Angaben über Schnelligkeit von Bakterien, die aber schlecht über-
Hnstimraen.
6) Bull. Acc. Roy. de Belg., 1891.
156 Kap. IV, ! 47.
Bakterien (C h 1 o p i n und Tammann § 44). Durch schwache
Strömungen sollen Bakterien nach B o t h ^) zur Stromaufwärts-
bewegung gereizt werden (B h e o t a x i s). Die Angaben über die
Beeinflussung der Bewegungen von Pilzen und Bakterien durch .elek-
trische Strahlen (Hegler, Steyer) und Ströme {V e r -
w o r n ^), L o r t e t *)) lauten nicht übereinstimmend. Tote und
lebende Bakterien werden wie anorganische Pulver nach Bill*)
vom elektrischen Strom fortbewegt und zwar in der oberen Schicht in
wässerigen Aufschwemmimgen nach dem positiven Pol, in der unteren
nach dem negativen; in Bouillon soll sich die Strömung umkehren,
in 1 prozentiger Peptonlösimg fehlen oder später einsetzen.
§ 47. Schädigung durch eigene Stoffwech^elerzeugnisse.
Selbstvergiftung. Schon lange hat man beobachtet, daß das Wachs-
tum der Kleinwesen in Reinkulturen früher oder später zum Stillstand
kommt, daß diesem Stillstand des Wachstums mehr oder weniger schnell
und vollständig das Absterben der die Kultur zusammensetzenden
Keime folgt, ja, daß schon während des Wachstums sehr häufig ein
Teil der früher gebildeten Individuen zugrunde geht^) {§ 36 und 37). Die
Ursache dafür hat man, abgesehen vom Nahrungsmangel in den Stoff-
wechselerzeugnissen der Mikroorganismen gesucht. So sah man, daß
die alkoholische Gärung aufhörte, wenn 12 — 14% Alkohol gebildet
waren, einerlei, ob noch Zucker in der Gärflüssigkeit vorhanden war
oder nicht. Es lag nahe, die Konzentration des Alkohols dafür ver-
antwortlich zu machen. Im großen und ganzen wurde diese Auffassung
durch die Tatsache bestätigt, daß Alkoholzusatz, meist allerdings bei
einem etwas höheren Prozentsatz, die Entwicklung der Hefe überhaupt
aufhebt. Die einzelnen Heferassen sind verschieden empfänglich®),
Mucor racemosus vergärt den Zucker nur bis zu 3 — 4%, Mucor stolonifer
nur bis 1,3%. Ähnlich liegen die Dinge bei anderen Gärungen, und
zwar sind es hier gewöhnlich saure Erzeugnisse, die hemmen, z. B.
weiß man, daß die Milchsäure- und Essigbakterien bei einem gewissen
Gehalt ihrer Nährflüssigkeit an Milch- oder Essigsäure aufhören zu
wachsen {§ 41); bei der sogenannten Buttersäuregärurig sind die hem-
1) Deutsch, med. Woch. 1893, 15. Die Bewegungen, die Bakterien
wie unbelebte feinste Körperclien im Darm entgegen der peristÄltischen
Bewegung nach oben einschlagen (s. Infektionslehre) müssen dagejjjen
passiver Art sein.
2) Pflügers Arch. 46, 1889.
3) Compt. rend. ac. sc. 122. 892, 1896.
4) Zentr. Bakt. 26, 1899.
5) Über die sichtbaren Veränderungen dabei s. § 3 u. 9.
6) Vgl. Prior, Zentr. Bakt., 2. Abt.. 1. 432.
Emährungsbedingungen. J 57
menden Stoffe nicht so gut bekannt, erst recht nicht bei den verwickelten
Eiweißgärungen, die wir als Fäulnis bezeichnen. Unzweifelhaft beteiligt
sind bei der letzteren Stoffe, die die Alkaleszenz erhöhen (§41), zum
Teil Amine, zum größten Teil aber wohl Ammoniak (Kap. IX). Auch
dieHamstoffbakterien stellen ihre Wucherung ein, wenn sie ein gewisses,
allerdings je nach der Art sehr ungleiches Maß von Ammoniumkarbonat
gebildet haben (§ 195). Bei vielen Mikroorganismen sind die hemmenden
Stoffwechselprodukte verschieden, je nach der Zusammensetzung des
Nährbodens. So bilden die Typhus-, Ruhr-, Cholera- und gewöhnlichen
Darmbakterien in Zuckerlösimgen Säure, in zuckerfreien Ammoniak.
Die Schimmelpilze häufen nach N i k i t i n s k y i) bei Ernährung mit
anorganischen Ammoniaksalzen die Säuren, bei Ernährung mit AlkaU-
salzen der organischen Säuren die Basen an. Daß wirklich sehr gewöhn-
lieh von der Reaktion die Hemmung des Wachstums ausseht,
kann nu«. häufig dadurch beweisen, daß die nachträgüche AbstumpLg
der Säure oder des Alkalis die Entwicklung neu belebt oder das Vor-
handensein säure- und alkalibindender Stoffe (kohlensaurer, phosphor-
saturer, schwefelsaurer Ealk) von vornherein das Wachstum begünstigt.
Doch hat auch das seine Grenze: trotzdem hört die Entwicklimg früher
oder später auf. Dann müßte man entweder an Erschöpfung des Nähr-
bodens, also Entwicklungshemmung durch Nahrungsmangel (§ 37) oder
an schädliche Stoffwechselprodukte anderer Art denken. Sirotinin*)
und Bitter^) fanden in Flügges Laboratorium, daß in den
meisten Fällen die Erschöpfung der Nahrung
neben der Reaktion eine ausschlaggebende Rolle
spielt. Zusatz von neuen Nährstoffen und Neutralisierung gab daher
den alten Kulturen die frühere Nährfähigkeit zurück. Doch haben sich
mehrfach bei den Versuchen dieser und anderer Forscher Anzeichen
dafür gefunden, daß besonders von einzelnen Bakterienarten außerdem
noch andere wachstumshenmiende Stoffe gebildet werden. Von vorn-
herein scheint Erschöpfung des Nährbodens auszuschließen bei solchen
Bakterien, die sehr spärlich wachsen und schnell in den Kulturen ab-
sterben. Kruse und Pansini*) schlössen daher aus der Tätsache,
daß Bouillonkulturen, auf denen Pneumokokken gewachsen und abge-
storben waren, nach Herstellung der richtigen Reaktion imd nach
Impfong mit Pneumokokken kein neues Wachstum gestatteten, auf
1) Jahrb. wiss. Bot. 40, 1904.
2) Zeitschr. f. Hyg. 4. 282; vgl. v. Freudenreich, Ann. de
micrographie 1889.
3) Über bakterienfeindliche Stoffe in Bakterienkulturen usw. —
Habilitationsschrift Breslau 1891.
4) Zeitschr. f. Hyg. 11. 320, 1891.
158 Kap. IV, § 47.
das Vorhandensein giftiger Stoffe in diesen. Welcher Art diese waren,
ließ sich nicht sagen. Im vorliegenden Fall waren sie jedenfalls k o ch -
beständig. Aus dem ebenfalls festgestellten Umstand, daß die
Pneumokokken auf Agarröhrchen, auf deren Oberfläche sie eben
ausgewachsen waren, nach Sterilisierung bei 100^ regelmäßig gut ge-
diehen, hätte man femer folgern können, daß sich diese „Selbstgifte''
nur in älteren Kulturen, etwa durch Zerfall, der Kokken gebildet hätten.
Ein solcher Zerfall ist gerade in älteren Bouillonkulturen sehr deutlich
(vgl. Selbstverdauung § 9). Freilich hätte man damit wieder keine
Erklärung für die Tatsache gehabt, daß die Pneumokokken auch auf der
Agarfläche ebenso schnell wie in Bouillon absterben, also doch auch
hier einer Vergiftung zu erUegen scheinen. Es wäre wichtig, diese Ver-
hältnisse durch neue Versuche zu prüfen, wir selbst haben unsere Er-
gebnisse seinerzeit, eingedenk der Schwierigkeiten, die das Arbeiten mit
Pneumokokken bietet, nur als vorläufige betrachtet. Diese Schwierig-
keiten bestehen in der Empfindlichkeit der Pneumokokken gegen
Schwankungen in der feineren Zusammensetzung der Nährböden, für
die wir eine genügende Erklärung noch nicht haben. Warum wachsen
sie z. B. in der einen Fleischbouillon trotz sorgfältigster Herstellung der
geeigneten Reaktion viel schlechter als in der anderen ? Warum bleibt
oft jedes Wachstum auf den gewöhnlichen Nährböden aus? Ist auch
hier das Vorhandensein von „Giften" d. h. irgendwelcher schädlicher
Stoffe ^) dafür verantwortlich zu machen oder umgekehrt das zufällige
Fehlen unbekannter, für das Wachstum dieser Bakterien nötiger, aber
schon in kleiner Menge dazu ausreichender Nähr- oder Reizstoffe (§55)?
Würden wir das letztere annehmen, so könnten wir wieder in der Er-
schöpfung des Nährbodens an diesen lebenswichtigen Stoffen eine Ur-
sache der Wachstumsbehinderung in alten Kulturen suchen. Solange
genaue Versuche über die Ernährungsphysiologie der Pneumokokken
nicht vorliegen, können wir Bestimmtes über diese Möglichkeit nicht
aussagen. Vorläufig möchten wir freilich nach den Erfahrungen, die in
dieser Beziehimg an anderen Bakterien, z. B. den mindestens ebenso
empfindUchen Tuberkelbazillen gemacht worden sind, die zweite Hypo-
these, die mit dem Vorhandensein von Giften in nicht angehenden und
absterbenden Pneumokokkenkulturen rechnet, für wahrscheinlicher
halten. Welcher Natur diese seien, bleibt dabei, hier wie in anderen Fällen,
dunkel. Gegen die schon von N e n c k i 2) geäußerte, namentlich aber
von Wernich^) verfochtene und selbst zur Erklärung der erworbenen
1) Vgl. über das Vorkommen giftiger Stoffe in pflanzlichen Nähr-
böden (Mehlauszügen) Anm. 1 auf Seite 166.
2) Joum. prakt. Chem., Mai 1879.
3) Virch. Arch. 78.
Emälirungsbedingungen. 159
Immunität (s. u.) herangezogene Annahme, daß eine Wachstumshem-
mung duich die antiseptische Wirkung mancher bei der Eiweißzersetzung
(Fäuhus § 168 ff.) entstehenden aromatischen Stoffe (Phenol, Phenyl-
essigsaure, Hydrozimmtsäure, Skatol, Indol) bewirkt werden, hat
S i r 0 1 i n i n (a. a. 0.) mit Becht eingewendet, daß die Konzentration
dieser Gifte in den Faulflüssigkeiten dazu viel zu gering sei. Immerhin
kommen aromatische Stoffe wohl als Hemmungsstoffe dort
in Betracht, wo sie bei der Spaltung der Glykoside (Helicin, Arbutin)
durch Schimmelpilze in größerer Menge entstehen (Nikitinsky, § 155).
Eine neue Auffassung über die Natur der Selbstgifte schien zu-
nächst angebahnt zu sein durch die etwa gleichzeitig von Gamaleia,
Hahn und Geret, Emmerich und Low gemachte Beob-
achtung, daß in den Leibern auch solcher Mikroorganismen, die keine
verdauenden Enz3rme ausscheiden, derartige Stoffe (Endoenzyme,
Nukleasen) gebildet werden und unter Umständen die Leiber selbst
verdauen, ihre „Autolyse" verursachen können. An anderer Stelle
( § 6—9) haben wir die einzelnen, in dieser Beziehung bisher festgestellten
Tatsachen erörtert und dabei hervorgehoben, daß, abgesehen von dem
sehr berechtigten Zweifel an der enzymatischen Natur der von Em-
merich und Low besonders wirksam gefundenen „Pyocyanase"
die Hauptfrage noch unentschieden ist, wodurch denn die Bedingungen
für die Wirksamkeit dieser Fermente gegenüber den sie erzeugenden
Mikroben gegeben wird. Um die Selbstverdauimg hervorzurufen, be-
dürfen sie der Mitwirkung anderer das Leben schädigender Einflüsse,
mögen sie nun bestehen in künstlichen physikalischen oder chemischen
Eingriffen, z. B. in Erhitzung, dem Zusatz von Chloroform, oder sich
unter natürlichen Bedingungen in den Kulturen selbst entwickeln. Man
wird also entweder wieder zur Annahme von Selbstgiften greifen oder
den Nahrungsmangel für das Verschwinden der normalen Henmiungen
gegenüber den autolytischen Fermenten verantwortlich machen müssen.
Neuere Unteruchungen der Frage schlössen sich an die Behauptung
von E i j k m a n^) und die viel weitergehenden von C o n r a d i und
Kurpjuweit^), daß in Gelatine und Agarkulturen von Koli- und
anderen Bakterien, nach den letzteren auch in Bouillonkulturen hitze-
empfindliche, wachstumshemmende Stoffe (Autotoxine) nachweisbar
seien, und daß diese z. B. das massenhafte Zugrundegehen der Bakterien
im Dickdarm bzw. Kot verursachen. Eolly^), Passini*), öbius^)
1) Zentr. Bakt. 37, 1904; 41, 1906; Deutsche med. Woch. 1907. 7.
2) Münch. med. Woch. 1905, 1861, 2164 und 2228.
3) Deutsch, med. Woch. 1906, 43.
4) Wien. klin. Woch. 1906, 21.
5) Mediz. Klin. 1906, 23.
1 60 Kap. IV, § 47 u. 48.
und namentich M anteuf eP) haben daran aber eine sehr berechtigte
Kritik geübt und in den genannten Fällen das beobachtete Absterben
bzw. die Entwicklungshemmung der Bakterien im wesentlichen teils
durch Versuchsfehler, teils durch Nahrungsmangel erklärt. In nicht
veröffentlichten Untersuchungen, die ich mit David an Ruhr-
bazillen anstellte (vgl. § 36 und 37), kam ich, obwohl ich ursprünglich
der Annahme von Selbstgiften nicht abgeneigt war, zu einem ähnlichen
Ergebnis. Bemlinger imd Nouri^) wollen ebenso wenig von spezi-
fischen Hemmungsstoffen bei den von ihnen untersuchten Bakterien
wissen (§ 48). Das schließt aber meines Erachtens nicht aus, daß in
anderen Fällen derartige Stoffe doch gebildet werden. Zu den älteren
Arbeiten (s. o.), die dafür sprechen, sind neuerdings noch die von
Rahn*) und Faltin*) hinzugekommen^). Immerhin haben sie wohl
gegenüber dem Nahrungsmangel und den bekannten Stoffwechsel-
erzeugnissen nur eine nebensächliche Bedeutung. Vielleicht ent-
stehen sie, bzw. werden sie frei bei der Selbst-
verdauung und tragen ihrerseits wieder dazu
bei, daß diese weiter um sich greift. Den Vorgang des
Absterbens in den Kulturen könnten wir uns dann etwa in der Weise
vorstellen, daß zunächst einzelne anspruchsvollere imd empfindlichere
Individuen ihr Wachstum wegen Nahrungsmangels und Anhäufung
von Stoffwechselerzeugnissen einstellen, der Selbstverdauung verfallen,
durch die dabei entwickelten Selbstgifte wieder andere Individuen in
der Entwicklung hemmen und so fort. Ob diese Selbstgifte auch sonst
mit Lipoiden etwas zu tun haben, wie es nach den bei der Pyocyanase
gemachten Erfahrungen zu sein scheint (§ 7 und 8), wird man abwarten
müssen ®).
§ 48. Schädigung durch fremde Stoffwechselerzeugnisse.
Antibiose. Die eigenen Stoffe und Gifte sind es aber nicht allein,
welche die Mikroorganismen schädigen, sondern auch die fremden.
Es ist eine der allgemeinsten Erfahrungen, daß zwei oder mehrere
Mikroben, die nebeneinander einen Nährboden
bevölkern, sich nicht unbeeinflußt lassen, son-
1) Deutsche med. Woch. 1906, 11 und Zeitschr. f. Hyg. 57, 1907.
2) Soc. biol. 24. X, 1908.
3) Zentr. Bakt., 2. Abt., 16.
4) Zentr. Bakt. 1. Abt., 46, 1908.
5) Vgl. § 48.
6) Neuerdings haben Delbrück und seine Mitarbeiter (Zentr.
Bakt. 2. Abt., 22, 116) aus Brennereihefe durch Ausziehen mit schwefel-
säurehaltigeni destilliertem Wasser ein für Bierhefe giftiges „Eiweiß" dar-
gestellt, das ebenso gewonnenen Stoffen in manchen Mehlauszügen (s. u.
Anm. 1 auf S. 166) ähnelt.
Emährungsbedingungen. 1 6 1
derndaß früher oder später die eine die andere
überwuchert und schließlich unterdrückt. Ein
einfache Erklärung für diesen „Antagonismus" (de B a r y ^), „Anti-
biose" W a r d ^)) liegt auf der Hand, wenn die einzelnen Arten von
Kleinwesen zwar ähnliche Ansprüche an die Nährstoffe stellen, aber
sonst, z. B. was Reaktion, Sauerstoffzutritt, Temperatur betrifft,
ungleiche Wachstumsbedingungen haben oder überhaupt in ihrer Wachs-
tumsgeschwindigkeit voneinander abweichen: diejenige Art, welche
die günstigsten Verhältnisse vorfindet, wird dann den Sieg davon-
tragen, weil sie schneller wächst und die Nährstoffe verbraucht, ehe ihr
^Wettbewerber" sich zur Entwicklung anschickt. So kommt es z. B.
gewöhnlich in den sauren Nährböden, wenn Pilze und Bakterien mit-
einander streiten, zum Unterliegen und umgekehrt in alkalischen Böden
zum Obsiegen der Bakterien (§41). So werden bei reichlichem Luft-
zutritt in einer vergärbaren Flüssigkeit Schimmelpilze und aerobe
Bakterien die Hefenpilze überwuchern, bei einem völligen oder teilweisen
Mangel an Sauerstoff die Hefe und anaerobe Bakterien die Oberhand
gewinnen. So werden ferner in den üblichen Nährböden die langsam
wachsenden Pest-, Diphtherie- und Tuberkelbazillen von den schneller
wachsenden Saprophyten, Eitererregem usw. überflügelt und unter-
drückt. Greringe Verschiedenheiten der Wachstumskraft können allen-
falls durch verhältnismäßig größere Einsaat der langsamer wachsenden
-Vrt ausgeglichen werden. Je nach der Beschaffenheit der Nährböden
sind dabei die Ergebnisse durchaus verschieden. So ist der Diphtherie-
bazillus eher siegreich in Löfflerschem Blutserum, der Pestbazillus auf
Gelatineplatten, Gono- und Meningokokken auf Blutserum-, Influenza-
bazillen auf Blutnährbeden. In diesen Beispielen handelt es sich gewisser-
maßen um einen ehrlichen Kampf, um einen Wettlauf, bei dem der
schnellste gewinnt. Ein Kampf mit vergifteten Waffen beginnt aber,
wenn die Mikroorganismen im Stoff Wechsel Substanzen erzeugen, die den
(^legner schädigen. Es sind das sicher größtenteils dieselben, deren nach-
teilige Wirkung auf ihre eigenen Erzeuger wir § 47 besprochen haben,
also Alkohol, Säuren, Alkalien und die chemisch noch nicht näher be-
stimmten Selbstgifte. Bezeichnend ist aber, daß diese Stoffeder
Regel nach viel wirksamer die Mitbewerber be-
einflussen, als ihre eigenen Erzeuger. Außer der Hefe
gibt es wenige Mikroorganismen, die den Alkohol, außer den Essigbak-
terien wenige, die die Essigsäure, außer den Milch- und Buttersäure -
1) Die Erscheinungen der Symbiose. Straßburg 1879.
2) Annais of botany 13. 549, 1899. Nach B e n e c k e (Lafars Handb.
d. t€chn. Mykol. 1. 501, 1906.
K r 0 • e , Mikrobiologie. 1 1
162 Kap. IV, § 48.
bakterien wenige, die diese Säuren in solclier Menge vertragen. Da-
durch schaffen sich die genannten Keime also den Wettbewerb anderer,
wie auch die Beobachtung bestätigt, mit Erfolg vom Halse. Natürlich
kommt es auch hier wieder auf das Mengenverhältnis der miteinander
streitenden Kleinwesen an: allzu erhebliche Verunreinigungen mit
fremden Bakterien vermögen die genannten Gärungserreger also nicht
auszuschalten. Auch von den übrigen Selbstgiften geben Sirotinin
und Bitter (S. 167) an, daß sie manchmal gerade auf andere Keim-
arten kräftiger wirken. So hatte das Filtrat der Pyocyaneuskultur,
nachdem es neutralisiert und durch Zufügen von Nährstoffen aufge-
frischt war, viel stärkere entwicklungshemmende Eigenschaften für
Milzbrandbazillen, Staphylokokken usw., als für den Pyocyaneus
selbst^). Vom teleologischen Standpunkte aus hat man also ein Recht,
manche St off we chselerzeugnisse der Mikroorga-
nismen als Waffen im Kampfe ums Dasein zu be-
trachten. Ob freilich Wortmann ^) im Recht ist, wenn er die
stammesgeschichtliche Entwicklung der Gärung auf diesem Wege vor
sich gehen läßt, ist eine andere Frage. In jedem Falle sind die anta-
gonistischen Einwirkungen der Mikroorganismen aufeinander von
großer Bedeutung für ihr Leben im toten Nährboden und für die Para-
siten unter ihnen wahrscheinlich auch im lebenden Körper (s. u. § 51).
Die Absonderung von schädlichen Stoff Wechselprodukten läßt sich
auf verschiedene Art beweisen. Entweder sterilisiert man Reinkulturen
der zu untersuchenden Keime, z. B. durch Hitze, CJhlorofomi, und dgl. —
die letztere Art ist die schonendere — oder entfernt aus ihnen die lebenden
Bakterien durch Filtration (Porzellan, Kieselgur), Abkratzen der Ober-
fläche der Kultur, Absetzenlassen oder Ausschleudern der Flüssigkeit —
wegen des Zurückbleibens von Stoffen in den Filtern vorzuziehen und zur
sicheren Storilisierung mit Chloroformzusatz zu verbinden — und prüft
dann ihre Nährfähigkeit für gleiche und andere Mikroorganismen, indem
man sie, nach Herstellung der passenden Reaktion mit oder ohne Zusatz
von frischen Nährstoffen beimpft. Oder man impft die miteinander zu ver-
gleichenden Bakterien, wenn sie sich durch ihre Gestalt oder Koloniefonn
oder auf andere Weise (Agglutination mit spezifischem Serum) leicht trennen
lassen, gleichzeitig oder nacheinander auf flüssige Nährböden und stellt —
wenn möglich durch Zähliuig — das Fortkommen der einzelnen Arten fest.
Auf festen Nährböden kann man auch die Diffusionsfähigkeit der Bakterien-
erzeugnisse benutzen, lun deren Schädlichkeit zu beweisen, indem man die
Impfungen neben- oder mit Eijkman (S. 159) übereinander vornimmt
1) F a 1 1 i n (Zentr. Bakt. 46. 1—3, 1908) sah freilich in seinen Ver-
suchen mit Streptokokken, Kolibazillen, Pyocyaneus u. a. bald die eigene,
bald die fremde Art kräftiger gehemmt.
2) Berichte, K. Lehranstalt Geisenheim f. 1900—1901, S. 92 (bei
Benocke in Lafars Handb. 1. 331), vgl. über „Kampf enzyme" auch
Delbrück in Woch. Brauerei 1903, 269.
Emährungsbedingungen. 163
und nun das Wachstum verfolgt. Dabei muß freilich berücksichtigt werden,
daß die Keime nicht bloß schädliche Stoffe an ihre Nachbarschaft abgeben,
sondern, auch Nährstoffe aus ihr anziehen können. Umfangreiche Versuche
über Wettbewerb von Keimen hat zuerst G a r r ö *) in dieser Weise angestellt
und gefunden, daß der Bac. fluorescens putidus die Entwicklung des Typhus-
bazillus, Staphylococcus pyogenus, Fneumoniebazillus, der Rosahefe u. a.
hemmt, während er wenig oder keinen Einfluß auf das Choleraspirillum,
den Vibrio Finkler-Prior, die 'Bac. anthracis und mycoides hat. Umgekehrt
ist der Typhusbazillus auch Antagonist des B. fluorescens, nach P a v o n e')
auch der Milzbrandbazillen. Oft beobachtet wurde die Überwucherung der
Milzbrandbazillen durch Staphylokokken. Besonders kräftig fand v. F r e u -
denreich') die henunende Wirkung der Stoff Wechselprodukte von Bac.
PJ'ocyaneus, Bac. phosphorescens, cyanogenus, prodigiosus und Spiril.
cholerae, während die der Typhus-, Milzbrand-, Hiihnercholerabazillen und
Denekes Spirillen geringe Wirkung zeigten. Der Bac. pyogenes foetidus
(coli ?) erwies sich schädlich nur einzelnen Bakterien (Cholera, Tetragenus).
\>rhältnismäßig wenig empfindlich waren gegenüber den Stoffen anderer
Bakterien der Milzbrandbazillus, Pyocyaneus, Prodigiosus und andere Sapro-
phyten, sehr empfindlich der Rotz-, Hühnercholera-, Typhusbazillus und
Micr. tetragenus. Sirotinin (S. 167) studierte den Bac. fluorescens
liquefaciens, Indiens, der Milchsämre, der Cholera, des Milzbrands und des
Tj-phus, Kitasato^) die Cholerabakterien, Bitter (S. 157) den
P>'ocyaneus und Schweinerotlauf bazillus, Olitzky*) den Bac. fluores-
eens liquefaciens, Gabritschewsky und Maljutin*) und
Kempner') wieder den Cholerabazillus in ihrem Verhältnis zu anderen
Mikroben. Auf Einzelheiten gehen wir weiter nicht ein, zumal da die Angaben
der Forscher sich öfters widersprechen. Auch in den umfangreichen Ver-
i^uchen, in Flaschen oder „künstlichen Harnblasen" (sich periodisch leeren-
den Flaschen), durch die F a 1 1 i n (s. o.) den oft in den lebenden Ham-
wegen stattfindenden Bedcterienwechsel zu erklären suchte, ergaben teil-
weise entgegengesetzte Befunde. Im allgemeinen entschied freilich das
Mengenverhältnis darüber, ob die Staphylokokken durch Kolibazillen oder
die Kolibazillen diurch Staphylokokken überwuchert wurden. In den künst-
lichen Blasen konnte aber eine kleine Anzahl von Kolibazillen große Staphylo-
kokkenmengen verdrängen. Andere Bakterien waren zu solcher Leistung
nicht imstande, auch wenn sie in den Fltischenversuchen sich wirksam er-
wiesen. Nach dem Verfasser kommen für das Ergebnis neben der Menge
und der ungleichen Wachstumsgeschwindigkeit noch die „hotero-antagonisti-
öchen" Wirkungen von Stoffwechselerzeugnissen in Betracht, die er mit den
Misoantagonistischen" Selbstgiften (§47) identifiziert.
Als sehr wirksam nicht nur gegen die eigenen, sondern auch gegen
fremde Bazillen haben sich in den Versuchen vieler Forscher besonders in
konzentriertem. Zustande als sogenannte Pyocyanase (Emmerich
1) Korresp. Schweizer Ärzte 1887.
2) Baimag. Jahresber. 1887, 406.
3) Ann. Pasteur 1888 und Ann. de micrographie 1889.
4) Zeitschr. f. Hyg. 6.
5) Baumgartens Jahresber. 1892, 473.
6) Zentr. Bakt. 13. 780.
7) Ebenda 17.
11*
164 Kap. IV, § 48 u. 49.
und Low, § 7) die von dem Bac. pyocyaneus gebildeten eigentüanlichen
Stoffwechselprodnkte erwiesen.
Sehr kräftig wirkt auch der von L o d e^) beschriebene Micrococcas
antagonisticus, der das Wachstum aller möglichen Bakterien hindert. Das
Filtrat seiner Kultur ist wirksam auch nach Neutralisierimg; Kochtempe-
ratur zerstört es aber. Die neuerdings vielfach im großen hergestellten keim-
freien Hefepräparate entfalten nach Ledermann und Klopstock*)
ein energisches bakterizides Vermögen gegenüber Staphylokokken, Typhus-
und Kohbazillen, während lebende Hefe in Mischkulturen nach N o b ^-
c o u r t •) Bakterien allerart ziemlich schwach beeinflußt. Der Konkur-
renzkampf der Hefearten und -rassen sowie der Hefen und Bakterien unter-
einander ist viel studiert worden, weil er für die Praxis der Gärungsgewerbe
große Bedeutung hat (s. Krankheiten des Bieres und Weines § 94 und 95).
Von dem Mengenverhältnis, in dem die konkurrierenden Arten bei der Ein-
saat zueinander stehen, von der Temperatur, aber auch von der Dauer des
Kultur Versuchs hängt der schließliche Erfolg ab (vgl. S y r ^ e *)).
Über gegenseitige schädliche Beeinflussung von Schimmelpilzen be-
richten Reinhardt*) und W e h m e r •). Nach letzterem ist schon
eine Spore des Penicillium lutemn imstande, auf Citromycesrasen zur Ent-
wickliuig zu konunen und sich unter Abtötung des Citromyces auszubreiten.
Wir haben damit Zustände, die an Parasitismus erinnern, weil hier die Er-
nährung des zweiten Mikroben auf Kosten der Leibessubstanz des ersten
zu erfolgen scheint. Das Auftreten von verunreinigenden Kolonien auf
oberflächlichen Bakterienkulturen gehört vielleicht ebenfalls hierher (vgl.
aber § 60).
Schon früh hat man Beobachtungen gemacht, die dafür sprechen,
daß der Antagonismus auch bei Parasiten eine Rolle spielt, indem ein
Infektionserreger oder ein harmloser Parasit den smderen verdrängen
kann. Ja, man hat daraus in den Versuchen mit der sogenannten
„Bakteriotherapie" die praktischen Schlußfolgerungen gezogen. Die auch
im Reagenzglas erprobten eben erwähnten Pyocyanase- und Hefepräparate,
ferner die durch ihre kräftige Säurebildung ausgezeichneten Yoglnu-t-
bazillen (Bac. bulgaricus, § 97) stehen dabei an erster Stelle. Näheres
darüber in der Infektions- und Immunitätslehre.
VTas die Natur der hemmenden Stoffe angeht, so kommen außer
den bekannten Stoffwechselerzeugnissen im engeren Sinne sicher auch
wohl noch andere nicht näher bekannte in Betracht, die vielleicht zu
den in § 47 behandelten Selbstgiften in nächster Beziehimg stehen.
Insbesondere sind die Erfahrungen von L o d e , Emmerich und
Low, Faltin dafür beweisend. Hierher gehören auch die Stoffe der
(S. 160, Anm. 6) erwähnten Brennereihefe, und die eben besprochenen
Hefepräparate. Die ersteren werden zu den Eiweißkörpern gestellt,
1) Zentr. Bakt. 33, 1903.
2) Ebenda Ref. 32. 21.
3) Soc. biol. 1900, 751.
4) Zentr. Bakt., 2, Abt., 5.
5) Jahrb. wiss. Bot. 23, 1891.
6) Beitr. z. Kenntn. einh. Pilze 1893, 1.
Emahningsbedingungeil. ' 165
die letzteren zu den Fetten (vgl. Cerolin, S. 73). Der wirksame Stoff
in der Pyocyanase scheint ebenfalls ein Lipoid zu sein (§8). Bei gewissen
Versaclisanordnungen wird man aber, wie gesagt, daran denken müssen,
daS die Beeinträchtigung hauptsächlich oder wenigstens zum Teil durch
Erschöpfung der Nährstoffe seitens der antagonistischen Mikroben her-
vorgerufen wird. Daraus erklären sich denn auch die Beobachtungen,
die Remlinger und Nouri (S. 160) machten, wenn sie „vak-
zinierten Agar", d. h. eine Agarfläche, auf der schon vorher andere
Bakterien 5 Tage lang gewachsen waren, nach Entfernung der älteren
Rasen neu beimpften. Am kräftigsten hinderte der Pyocyaneus, fast
ebenso der Prodigiosus, dann Cholera- und Wasservibrionen das spätere
Wachstum aller anderen Bakterien. Auf letzteren wuchsen z. B. nur
Pvocyaneus und Prodigiosus. Am wenigsten oder gar nicht beein-
flußten Rotz- imd Diphtheriebazillen die spätere Einsaat; auf dem
Diphtherieagar versagten nur Botzbazillen. Immer wuchsen
diejenigen Arten am besten auf schon benutzten
Nährböden, die am besten vakzinierten. Von
einer spezifischen Wirkung wäre danach keine Rede, sondern die Fähig-
keit, möglichst reichliche Nährstoffe an sich zu reißen, entschiede über
das Hemmungsvermögen.
§ 49. Förderung durch eigene Stoffwechselerzeugnisse.
Autobiose« Während der Regel nach die eigenen Stoffwechselprodukte
der Mikroben auf ihr weiteres Wachstum schädlich wirken, gibt es auch
Fälle, wo sie einen entgegengesetzten, also förderlichen Einfluß ent-
falten, wo man also von „Autobiose" sprechen könnte. Büchner^)
erwähnt z. B. von Cholerabazillen, daß sie in sterilisierten Kulturen,
die schon zu ihrem Wachstum gedient haben, C a r n o t *), von Tuber-
kelbazillen, daß sie auf Nährböden, mit Tuberkulinzusatz, üppiger ge-
deihen. Nikitinsky') geht in einer seiner Arbeiten über Asper-
^lus niger, Penicillium glaucum usw. sogar noch weiter und behauptet,
daß ganz allgemein diese Pilze besser in ihren eigenen Stoffwechsel-
produkten wachsen, vorausgesetzt, daß für Ersatz der verbrauchten
Nährstoffe gesorgt und Anhäufung von Säuren, Alkalien und giftigen,
2. B. aromatischen Spaltungsprodukten vermieden werde. Das wider-
spricht denn doch den meisten übrigen Erfahnmgen*) zu sehr, um ohne
1) Münch. ärztl. Intelligenzbl. 1885. 50 (nach Gotschlich in
Kolle-Wassermanns Handb. 1, 122).
2) Baumg. Jahrb. 1898, 473.
3) Jahrb. wiss. Bot. 40, 1904.
4) T h i b a u t . Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 1902, 20, findet bei der Hefe
aWerdingB nicht regelmäßig ähnUche Verhältnisse. Über Selbstverdauung
iif mmende Körper vgl. Iwanoff, §92.
166 Kap. IV, § 49.
gründliche Nachprüfung angenommen, namentlich auch auf die Ver-
hältnisse der Bakterien ausgedehnt zu werden. Bei den letzteren be-
obachtet man unseres Erachtens nur dann regelmäßig eine, außerdem
zeitlich beschränkte, Begünstigung durch vorhergehendes Wachstum
oder besser gesagt durch Einbringen von Kulturerzeugnissen in denselben
Nährboden, wenn dieser vorher gewisse hemmende
Wirkungen entfaltet, die auf dem Vorhandensein von
Wachstumsgiften^), einschl. der sog. Desinfizientien (Antiseptika) in den
toten Nährböden oder „Alexinen" im Blutserum und lebenden Körper
(vgl. § 51) beruhen. Wie der Zusatz von Kulturpro-
dukten, wirkt die Einsaat großer Mengen. Daß
dem so ist, hat man schon früher bei Desinfektionsversuchen und
Alexinprüfungen oft beobachtet, und die Erklärung dafür liegt allem
Anschein nach darin, daß das desinfizierende Mittel wie
das Alexin von den Leibesbestandteilen oder
den Absonderungen der Mikroben absorbiert,
bzw. neutralisiert wird. Im Falle der Alexine haben wir uns
daran gewöhnt, von „Aggressinen" oder Angriffsstoffen der
Bakterien zu sprechen, ohne freilich einen bestimmten chemischen
Begriff damit verbinden zu können. Die Berechtigung dazu schöpfen
wir hauptsächlich daraus, daß eine und dieselbe Bakterienart gegen-
über den Alexinen ungleiche Widerstandsfähigkeit besitzen kann, daß
dieselbe mit einem größeren oder geringeren Gehalt von Aggressinen
verbunden ist und daß schließlich eine gewisse Spezifität der Aggressine
besteht (Kap. XVII).
Die Aggressine mit den Kulturstoffen, welche die übrigen Wachs-
tumsgifte neutralisieren, einfach zu identifizieren, geht nicht an, da
Aggressivität und Widerstandsfähigkeit gegen Desinfizientien ge-
wöhnlich nicht miteinander parallel gehen. Über ihre chemische Natur
wissen wir ebenfalls noch fast gar nichts; sie einfach den Eiweißkörpem
zuzurechnen, weil auch die letzteren imstande sind, den Mikroben in
gewissen Grenzen Schutz vor den Desinfektionsmitteln zu verleihen,
ist wohl nicht erlaubt. Die ganze Frage verdiente, im Zusanmienhang
mit derjenigen nach der Widerstandsfähigkeit der Mi-
kroben gegen die Desinfektionsmittel genauer be-
handelt zu werden. Ob übrigens die Neutralisierbarkeit der absichtlich
dem Nährboden zugesetzten und in ihrer chemischen Natur bekannten
Antiseptica durch Bakterienstoffe und die vielfach nachgewiesene
1 ) Dahin gehören z.B. eigentümhche Hemmungen in unserer gewöhn-
Hchen Nährbomllon, die namentlich bei Züchtung empfindlicher Bakterien
(z. B. Pneumokokken, Tuberkelbazillen S. 158) hervortreten, und die an-
EmähningBbedingungeii. 167
Möglichkeit, die ihrer Natur nach unbekannten Wachstumsgifte in
vielen Nährboden durch reichliche Einsaat zu beseitigen, auf ähnlicher
Grundlage beruht, wäre ebenfalls noch festzustellen.
Man hat freilich versucht, die letztgenannten alltäglichen Beob-
achtungen auf andere Weise zu erklären, indem man entweder annahm,
mit den größeren Bakterienmengen übertrüge man nur gewisse für das
Wach8tam nötige Nähratoffe oder zum Wachstom anregende Reiz-
Stoffe (§ 55), oder unter der großen Zahl von verimpften Keimen be-
fänden sich auch einige Exemplare, die befähigt wären, allein für sich
die Wachstumswiderstände zu überwinden. Vorläufig ist es mis aber
wahrscheinlicher, daß hier in erster Linie eine antidesinfizierende,
giftneutralisierende Fähigkeit der Bakterienstoffe und Leiber als Ur-
sache der Wachstumsbegünstigung in Frage kommt, denn, wenn man
dieselbe Bakterienmenge auf größere Mengen des Nährbodens verteilt,
bekommt man kein Wachstum. Selbst in künstUch zusammengesetzten
ganz einfachen Nährlösimgen kann sich ein hemmender Einfluß be-
merkbar machen, weil das Lösungsmittel (destilliertes Wasser), die
Nährsalze oder die Kulturgefäße imter Umständen Spuren von giftigen
Beimengungen enthalten (F i c k e r). So haben wir wohl nicht nötig,
die von Wildier^) gemachte und von A m a n d ^) bestätigte Beob-
achtimg, nach der Hefe in Nährlösungen mit Ammoniaksalz als Stick-
stoffquelle nur gedeiht, wenn man große Mengen einimpft, durch die
Miteinimpfung eines besonderen, „Bios"' genannten stickstoffhaltigen
Nährmittels in der Hefe zu erklären ^).
Zweifelhaft ist es zunächst, wie wir die Entstehung der sogenannten
,,sekundären Kolonien'* erklären sollen, die Germano imd Maurea^),
sclieinend durch langes Stehen oder häufiges Sterilisieren verstärkt werden.
Neuerdings hat man auch inPflanzenstoffen, z.B. Getreidemehlen, namentlich
Weizenkleber, eiweißartige Gifte nachgewiesen (Lange, ref . Zentr. Bakt.
2. Abt., 21. 88, H a y d u c k ebenda). Auch die sogenannte Bodenmüdig-
keit führt man auf Giftwirkungen zurück (H i 1 1 n e r). Die Gifte sollen
sich durch Kalk- oder Magnesiumsalze neutralisieren lassen.
1) CeUule 18. 313, 1901; Kochs Jahresber. 1901, 133.
2) Cellule 20. 225, 1902.
3) Vgl. die Kritik von Windisch und Henry in Kochs Jalires-
bericht 1902, 247 ff. Eine ähnliche begünstigende Wirkung wie die eigenen
konnten auch fremde Keime ausüben. Vgl. Kossowicz in Kochs
•Jahpösber. 1903, 214. Die Versuche Rahns (Zentr. Bakt. 2. Abt., 16.
241, 1906) brachten zwcur keine völlige Aufklärung, aber auch keinen Gegen-
beweis gegen die Annahme giftiger Bestandteile in mancher Bouillon und
giftwidriger Kräfte in den Bakterien.
4) Zieglers Beitr. 12. 520, 1892.
168 Kap. IV, § 49 u. 60.
Preiß, Seiter ^), Eisenberg*), Ernst »), auf alten
Agarkulturen von Koli-, Mikbrand- und allen möglichen anderen
Bakterien auftreten sahen. Im Falle von M a s s i n i ^) erschienen sie
sogar schon am 3. Tage als rote Knötchen in den weißen Kolonien des
B. coli mutabile auf Endoplatten (vgl. § 353). Unwillkürlich denkt
man dabei zunächst an Verunreinigungen, die ja auch gelegentlich sich
ähnlich bemerkbar machen. Davon war aber in den genannten Fällen
keine Bede. Die Vermutimg liegt nahe, daß die durch Selbstverdauung
zerfallenen Bakterien einzelnen übrig gebliebenen von neuem zum
Nährboden dienen. Nebensächlich ist es hier für uns, ob die sekundär
wachsenden Keime, wie im Falle von M a s s i n i , veränderte Eigen-
schaften gegenüber den primären besitzen, oder wie in den übrigen
Fällen keine Abweichung zeigen, die Hauptsache ist vielmehr die
größere Widerstandsfähigkeit bzw. Wachstumskraft einzelner Indi-
viduen der Kultur und die Nährfähigkeit der Zerfallsstoffe. Vielleicht
erklären sich in ähnlicher Weise die früher erwähnten (S. 132) periodi-
schen Keimschwankungen, die Berghaus, Biemer und auch
wir in Bouillonkulturen beobachteten.
§ 50. Förderung durch fremde Stoffwechselerzeugnisse.
Symbiose und Metabiose. Wie die Mikroben auf die früher beschrie-
bene Weise nicht bloß ihr eigenes Wachstum hemmen (§47), sondern auch
da,s der fremden (§ 48), so gilt das gleiche auch für die wachstumsbe-
fördemden Einflüsse (§49); mit anderen Worten: dem Antagonismus,
der Antibiose, entspricht die „Sjonbiose" der Mikroorganismen. Man
scheidet mit 6 a r r e (S. 163) zweckmäßig die „Metabiose", das Nach-
einanderleben, bei dem ein Organismus dem anderen den Nährboden
vorbereitet, bei welcher also die Wucherung der beiden Mikroben zeitlich
aufeinander folgt oder nur teilweise zusammenfällt, von der eigentlichen
Symbiose, dem wirklichen Zusammenleben. Die Beziehimgen können
dabei mehr oder weniger innige und regelmäßige (konjunkte und dis-
junkte Symbiose Pfeffers) und gegenseitige oder einseitige sein.
Eine Metabiose findet z. B. statt, wenn Aerobier den Sauerstoff im
Nährboden so weit verbrauchen, daß Anaerobier darin wachsen (§ 31),
wenn Milchsäurebakterien so viel Säure erzeugen, daß Schimmelpilze ge-
deihen, wie es auf jeder Milch, die einige Zeit steht, geschieht, wenn umge-
kehrt Schinamel- oder Sproßpilze die Säure der Nahrung so weit verzehren,
daß Bakterien zum Wachstum gelangen. Ein schönes Beispiel wieder-
1) Zentr. Bakt. 37, 1904.
2) Ebenda 40.
3) Virch. Arch. 152. 432.
4) Arch. f. Hyg. 61. 14.
Emähnmgsbedmgungen. 169
holte? Metabiose erwähnt L a f a r. Wenn die Weinliefe aus dem Most
genug Alkohol erzeugt hat und jetzt reichlich Sauerstoff zum Wein
zutritt, entwickeln sich die Essigbakterien und verbrennen den Alkohol
zu Essigsäure. In der sauren Flüssigkeit siedeln sich Schimmelpilze an
und verbrauchen die Säure. Diese wieder werden von Fäulnisbakterien
abgelöst, die den Rest der organischen Stoffe zerstören. In dieselbe
Gruppe von Erscheinungen fallen die sogenannten Sekundärinfektionen,
die man bei Tieren entstehen sieht, welche primäre Infektionen (wie
Typhus, Diphtherie, Scharlach, Masern, Tuberkulose) so geschwächt
haben, daß sie auch anderen Mikroben, die sonst mehr oder weniger
unschädlich für sie wären (Pneumo-, Staphylo- und Streptokokken,
Diphtherie-, Tuberkel- und Influenzabazillen, Fäulnisbakterien) nicht
den gewöhnlichen Widerstand mehr leisten können (§ 51). Wie ,, sekun-
däre Kolonien" derselben Art auf alten Kulturen von Bakterien sich
entwickeln können (S. 167), so können auchKolonien einer fremden Art,
Bakterien imd Pilze, als „Verunreinigungen*^ auf ihnen aufschießen.
Auch hier macht es den Eindruck, als ob sich die nachträglichen An-
siedler geradezu von der Leibessubstanz der ersten ernährten. Wir
haben damit einen Übersans zum Parasitismus.
Be^U üuügen u»l ^^Uigen Z^™Ub.„. bieten ..ß„
den Pilzen, die mit Algen die Flechten zusammensetzen, Alkohol-
hefen und Säurebakterien im Kefyr, Mazun und Leben (§ 82), im Weiß-
bier, Ingwerwein, Sauerteige usw. {§ 111), die Symbiose von anderen
Mikroben mit dem stickstoffassimiUerenden Azotobacter chroococcum in
stickstofifreien Nährlösungen^), von Bakterien und Hefe mit freilebenden
.•Vmöben und Flagellaten'), die Mischinfektion mit Spießbazillen und
Spirochäten bei der Vincentschen Angina, von Bakterien imd Protozoen
bei der Flagellatendiphtherie und Amöbendysenteriö, von Chlamydozoen
und Streptokokken beim Scharlach, von mehreren Bakterien bei der
Diphtherie, Bazillendysenterie und anaeroben Infektionen, (vgl. Infek-
tionslehre). Experimentell glaubte Metschnikoff®) die alte
Lehre N ä g e 1 i s von der „diblastischen" Entstehung der Cholera
dadurch zu stützen, daß er jüngere Kaninchen und Meerschweinchen
gerade durch gleichzeitige Verfütterung von anderen Keimen (weißer
Hefe, Sarcine, Kolibazillen) am leichtesten infizieren konnte. Auf
künstlichen Nährböden fand er in der Wachstumsbegünstigung der
Cholerabazillen durch solche fremde Keime ein Gegenstück dafür.
1) Gerlach und Vogel, Zentr. Bakt., 2. Abt., 10. 20/21, vgl. § 203.
2) Zaubitzer, Arch. f. Hyg. 40; M o u t o n , Annal. Pasteiir
1902, 7; Tsujetani, Zentr. Bakt. 24. 666; Chrzaszcz, Zentr.
Bakt., 2. Abt., 8. 431, 1902. Vgl. auch Potte, Flora 91, 1902.
3) Annal. Pasteur 1893. 647 ff., vgl. Infektionslehre.
170 K«^. IV, §5011. öl.
Auf Eifalmmgen bei künstlicher Züchtung beruhen die Fest-
stellungen T u r r ö s ^) über das üppige Wachstum von Streptokokken
in lebenden Cholera-, Milzbrand- und Fyocyaneuskulturen, S a n a -
r e 1 1 i s ') über die Symbiose seines Bac. icteroides mit Schimmelpilzen,
Graßbergers^), Cantanis^)u. a.^) über die Begünstigung der
Influenzabazillen durch lebende imd tote Staphylo- und Gonokokken,
Diphtherie und Xerose-, Koli- und Prodigiosusbazillen, über die Wachs-
tumsbeförderung der Kolonbazillen, Staphylo- imd Streptokokken
durch Filtrate oder Auszüge aus Tuberkelbazillen (Eorczynsk i^)).
Die Erklärung der Symbiose könnte wieder in verschiedener Rich-
tung gesucht werden, nämlich einerseits in der ein- oder gegenseitigen
Zuführung von Nähr- oder Reizstoffen, anderererseits in der Zerstörung
oder Neutralisierung wachstumshemmender Einflüsse. Wahrscheinlich
kommt beides vor und wahrscheinlich haftet in beiden Fällen die Wir-
kung an Stoffwechselerzeugnissen oder an Leibesbestandteilen der
Mikroben. Dahin gehören die neutralisierenden Leistungen der sauren
oder alkaUschen Absonderungen, die nährenden des Alkohols und der
Essigsäure, die reduzierenden der Bakterienleiber (S. 106), die giftneutra-
lisierenden und aggressiven (§ 49) der Bakterienstoffe.
Man beobachtet bei den zusammenlebenden Mikroorganismen
nicht selten neue Leistungen, die sich aus den Fähigkeiten der einzelnen
Arten nicht einfach ergeben. So verwandeln nach R o 1 1 y ^) Fäulnis-
bakterien in Symbiose die Reaktion von saurem Fleischsaft oder Pepton-
lösungen in alkalische, während die rein isoUerten Bakterien dazu nicht
imstande sein sollen. N e n c k i ^) fand, daß der Rauschbrandbazillus
mit dem Micrococcus acidi paralactici zusanunen zuckerhaltige Nähr-
lösung bedeutend schneller vergärte und außer den Produkten, die aus
den Reinkulturen bekannt sind (Wasserstoff, Kohlensäure, normale
Buttersäure, inaktive imd aktive Milchsäure), auch noch Butylalkohol
erzeugte (§ 115). Noch überraschendere Ergebnisse zeitigt nach B u r r i
und Stutzer^) die Sjonbiose des Bact. coli und Bac. denitrificans I
in Salpeterbouillon. Während keines von beiden Bakterien allein
imstande ist, aus Nitraten freien Stickstoff zu entbinden, tritt in der
1) Zentr. Bakt. 17, 1895.
2) Annal. Pasteur 1897.
3) Zeitschr. f. Hyg. 25, 1897.
4) Ebenda 36, 1901.
6) Ghon imd Preyß, Zentr. Bakt. 32. 2, 1902; M. Neiße r,
Deutsche med. Wöch. 1903, 25; Luorssen, Zentr. Bakt. 35. 4, 1904.
6) Wien. klin. Woch. 1905, 2.
7) Areh. f. Hyg. 41.
8) Zentr. Bakt. 11. 225.
9) Zentr. Bakt. 16. 815.
Ernährungsbedingungen. 1 7 L
Mischkultur Entwicklung gasförmigen Stickstoffs auf (§ 198). Für die
Erklärung dieser Tatsachen haben wir vorläufig noch keine genügenden
Grundlagen. Zunächst wäre festzustellen, ob nicht die neuen Substanzen
entstehen durch Einwirkung des einen Bakteriums auf die Stoffwechsel-
produkte des anderen. Wenn das ausgeschlossen wäre, könnte man
vielleicht an einen Reiz denken, der von den Stoffwechselprodukten
des einen auf die Tätigkeit des anderen Organismus ausgeübt würde.
Sehr interessant ist, daß die Symbiose mehrerer Mikroben gelegentlich
auch ein entgegengesetztes Resultat ergibt, eine Abschwächung statt
einer Verstärkimg. So sah N e n c k i , daß zwei Bakterien, die in Rein-
kulturen Eiweiß kräftig zersetzten, sich merklich in ihrer Gärintensität
beschränkten, wenn sie in Mischkidtur wuchsen. N e n c k i bezeichnet
den Voigang als „Enantibiose^' (vgl. § 48). Bei Hefen sind ähnliche Beo-
bachtungen gemacht worden.
§ 51. Vergiftung und Infektion höherer Organismen.
Schädliche Parasiten. Besondere Formen der Anti- und Sjnnbiose
sind diejenigen zwischen Mikroorganismen und höheren
Lebewesen, Pflanzen und Tieren. Wir sprechen im ersteren Falle
gewöhnlich nicht mehr von Antibiose oder Antagonismus, sondern
erstens von Krankheitserregung durch Mikrobengifte (Vergiftung oder
Intoxikation), wenn die Mikroben, z. B. Alkoholhefen, Wurstvergiftungs-
bazillen, nur dadurch den höheren Organismen schädlich werden, daß
sie, ohne in ihnen selbst zu wachsen^), Absonderungen oder Leibesstoffe
entwickeln, die bei Einverleibung giftig für jene sind, und zweitens
von schädlichem Parasitismus oder Infektion, wenn die Mikroben da-
durch, daß sie auf oder in den höheren Organismen wachsen, Krankheit
erregen. Krankheit und unter Umständen Tod der „Wirte" wird aller-
dings auch hier durch Giftstoffe bedingt, nicht oder nur aus-
nahmsweise^) durch Nahrungsentziehung und nur nebenbei
1) Eine Nahrungsentziehung durch äußere Mikroben-
tat igkeit, die man ebenfalls zu den schädlichen Mikrobenwirkungen rechnen
müßte, trifft die höheren Organismen öfters — man denke an die Zersetzung
vieler Nahrungsmittel durch Filze und Bakterien — , ist aber selten für
Pflanzen imd Tiere, solange Giftwirkungen ausgeschlossen sind, verhängnis-
voll. So können z. B. Wassertiere durch Sauerstoffentziehung in bakterien-
n'ichen Wässern geschädigt werden (Fischsterben in Flüssen mit Kanal-
aiwlässen).
2) Die Durchwucherung von Fliegen durch manche Algenpilze, von
vielon Insekten durch Mikrosporidien, von Algen durch Schleimpilze (Zopf),
von Mukorineen durch parasitische Mitglieder derselben Gruppe (B r e -
f 0 1 d , Bot. Untersuchg. über Schimmelpilze 1, 1872; 4, 1881) — von diesen
und anderen Algenpilzen durch Chytridiaceen (Zopf, Über einige niedere
AUenpilze, 1887, A. Fischer, Jahrb. wiss. Bot. 13, 1882) gehörten
172 Kap. IV, § 61 u. 62.
etwa noch durch mechanische Störungen in einzelnen
Organen^). Eine Nahrungsentziehung besteht natürlich bei den
Parasiten stets, nähren sie sich doch gewöhnlich ausschließlich von den
Leibern oder den Nahrungsstoffen ihrer Wirte, aber sie ist im allge-
meinen wegen der geringen Masse der Parasiten zu vernachlässigen.
Die Natur der Mikrobengifte besprechen wir in einem besonderen
Abschnitte dieses Bandes (Kap. XYI), ihre Wirkungen ausführlicher
erst in der Infektionslehre. Hier wollen wir nur darauf hinweisen, daß
wir den für die höheren Organismen giftigen Mikrobenstoffen kaum
eine teleologische Bedeutung im Daaeinskampfe der Mikroben zu-
schreiben dürfen. Was nützt das Wurstgift und die dadurch verursachte
oft tödliche Krankheit des tierischen Körpers dem Bac. botulinus, das
Wimdstarrkrampfgift dem Bac. tetani, das Diphtherietozin dem Diph-
theriebazillus ? Dem Wachstum außerhalb derselben sind sie ebenso-
wenig förderlich, weil sie bezeichnenderweise im Wettbewerb mit
anderen Mikroorganismen imd schon mit mikroskopischen Pflanzen und
Tieren völlig versagen (vgl. Infektionslehre). Man kann die
Gifte daher im allgemeinen nur als zufällige,
für die Erhaltung der Mikrobenart wertlose
Bildungen betrachten^). Ein Teil der sogenannten Gifte,
die enteündungs- und fiebererregenden, üben insofern sogar einen schäd-
liehen Einfluß auf die Parasiten aus, als sie die Wirte zu heilkräftigen
Gegenwirkungen anregen. Wir kommen weiter unten bei den „Reiz-
stoffen'' der Parasiten (§ 53) darauf zurück. Ganz anders sind natürlich
diejenigen Stoffe zu beurteilen, durch welche die Mikroben zum para-
sitischen Dasein und Wachstum befähigt werden, die ihre „Virulenz"
(Infektiosität) ausmachen. Wir haben sie Angriffsstoffe, Aggressine
genannt, weil sie gegen die Abwehrkräfte, die wir wohl in allen lebenden
Zellen annehmen müssen, imd die besonders gründlich im Organismus
der höheren Tiere studiert sind (Alexine, Opsonine, Freßzellen usw.),
gerichtet sind (§ 319 ff.). Sie fallen zusammen mit den schon früher
erwähnten Aggressinen, die das Wachstum der Mikroben im alexinhal-
tigen Blutserum außerhalb des tierischen Körpers ermöglichen (S. 166).
Teilweise sind die Wirte der Parasiten selbst Parasiten und selbst
Mikroorganismen. So findet man Bakterien oft in reichUchster Ent-
allenfalls hierher (vgl. Infektionslehre). Je kleiner die Wirte, um so mehr
Bedeutung hat die Nahrungsentziehung.
1) Vgl. Infektionslehre. Bei den Bakterien- und Pilzinfektionen der
Pflanzen spielen Organzerstörungen wohl die Hauptrolle.
2) Näheres § 257. Einzelne Stoffwechselgifte (§258) wie Alkohol,
Oxalsäure machen wohl eine Ausnahme. Über die Bedeutung des Alko-
holismus für die Hefe s. S. 178, Anm. 1.
Ernälirungsbedingiingen . 173
Wicklung innerlialb der DyBenterieamöben, der Myxo- und Sarkospo-
ridien, in den Knoten der Lebercoccidien, der Plasmodiophora brassicae
usw. (vgl. Infektionslehre).
§ 52. Nützliche und harmlose Parasiten. Mntualismns
and Kommensalismns. Die Symbiose zwischen Mikroben und
höheren Organismen wird als Mutualismus bezeichnet, wenn die För-
derung eine gegenseitige ist. Sie ist nur eine Form des Parasitismus
(nützlicher Parasitismus), da die niederen fast regelmäßig dabei auf
oder in den höheren Organismen leben. Am besten bekannt ist das
Verhältnis der stickstoffbindenden Bakterien der Wurzelknöllchen zu
den Schmetterlingsblütlern (§ 201). In ausgedehntem Umfange be-
stehen auch symbiotische Beziehungen zwischen Bakterien (und Pro-
tozoen) und höheren Tieren (einschl. des Menschen) in deren Darm und
auf deren anderen Schleimhäuten (Mund, Magen, Scheide), wenn wir
darin auch noch nicht überall klar sehen (vgl. Infektionslehre). Zum
Unterschied von den schädlichen Parasiten bilden die nützlichen keine
Gifte oder werden wenigstens nicht durch sie gefährlich, weil die Wirte
über giftwidrige Fähigkeiten verfügen, dagegen erzeugen sie vielleicht
Stoffe, die wir weiter unten als „Reizstoffe" näher betrachten werden
( § 53). Allein auf Seiten der Mikroben scheint der Vorteil bei den harm-
losen Schmarotzern. Zu diesen „Mitessern" oder Eommensalen ge-
hören namentlich Ektoparasiten, aber auch nicht wenige auf den
»Schleimhäuten, namentlich im Darm und schließlich selbst im Gewebe
und Blut schmarotzende Mikroben aus der sonst pathogenen Gruppe
der Sporozoen (Hämosporidien und Sarkosporidien) und Flagellaten
(Trypanosomen) besonders bei kaltblütigen Tieren. Ob auch die Strepto-
kokken der Schmetterlinge (Gräfin Linden) solche harmlose Parasiten
sind, ist noch auszumachen. Jedenfalls sieht man vielfach Übergänge
zwischen Kommensalismus, Mutualismus und Infektion. Dss zeigt sich
besonders bei den Blutparasiten. So verursachen die Rattentrypano-
somen, die gewöhnlich harmlos sind, ausnahmsweise Krankheits-
erscheinungen in ihren Wirten. So kann femer die Trypanosomiasis,
Piroplasmose a. a. m. aus dem Zustand der akuten Infektion in den
eines chronischen oder besser „latenten" übergehen, in dem sich die
Parasiten kaum von harmlosen Schmarotzern unterscheiden. Umge-
kehrt werden harmlose und selbst nützliche Parasiten durch Umstände,
die die Widerstandsfähigkeit ihrer Wirte herabsetzen oder dadurch,
daß sie zufällig an den unrechten Ort im Tierkörper gelangen, zu In-
fektionserregern (Selbstinfektion z. B. durch Pneumokokken, Koli-
bazillen, vgl. Infektionslehre; Virulentwerden von KnöUchenbakterien,
vgl. § 201).
Gemeinsam ist den drei Arten von Mikroben die Fähigkeit des
174 Kap. IV, § 52 u. 53.
ParaBÜismus, d. h. die WachstHmswiderstände auf oder im lebenden
Tier- und Pflanzenkörper zu überwinden. Man könnte geneigt sein,
als Grundlage dieser Fähigkeit das von uAs den Infektionserregern
zugeschriebene Vermögen, Angrif&stoffe (Aggressine) zu bilden (s. o.
S. 172) anzusehen. Freilich würde sich die Aggressivität der harmlosen
und nützlichen Parasiten schon meist durch ihre Begrenztheit unter-
scheiden, indem sie nur dazu ausreicht, das Wachstum auf der
äußeren oder inneren Körperoberfläche, nicht innerhalb der Gewebe, zu
gestatten. Es müßten aber auch nicht nur quantitative, sondern auch
qualitative Unterschiede in der Beschaffenheit der Angriffsstoffe bestehen,
denn die Aggressivität der Infektionserreger im Gewebe befähigt sie noch
nicht ohne weiteres zxmi Wachstum auf den Körperoberflächen.
Da die Oberflächen des Tierkörpers mit Sekreten ausgestattet zu
sein pflegen, die man als Schutzstoffe betrachten kann, liegt es nahe,
daran zu denken, daß die harmlosen Schmarotzer nur die Eigenschaft
erworben haben, in diesen Sekreten zu wuchern» somit durch ihre
Angrif&stoffe die in ihnen enthaltenen Schutzstoffe zu neutralisieren
licider wissen wir aber ebensowenig über die Beschaffenheit der Schutz-
kräfte der Sekrete, wie über die ihnen entsprechenden Angriffsstoffe
und können nur sagen, daß die ersteren im allgemeinen weder mit den
eigentlichen Schutzkräften des Gewebes noch mit den Verdauungs-
enzymen identisch sind. Denn Alexin, Opsonin, Freßzellen usw.
fehlen in den normalen Sekreten und die Enzyme sind sogar wirkungslos
gegenüber allen lebenden Mikroben, nicht bloß gegenüber Parasiten.
Auch andere Schutzstoffe sind bisher nur ausnahmsweise in Reagenz-
glasversuchen mit Sekreten nachgewiesen worden. Daraus folgt aber
noch nicht, daß die lebenden Oberflächen der tierischen Körper
der Schutzkräfte beraubt seien. Im Gegenteil haben wir allen Anlaß,
solche anzunehmen (vgl. Infektionslehre).
Wichtig ist, daß den Parasiten, gleichgültig, ob sie dieser oder jener
der drei Gruppen angehören, vielfach das Vermögen, in toten Nähr-
böden zu wachsen, verloren gegangen, oder besser gesagt, bei ihnen
beschränkt ist, und daß andererseits den meisten „Saprophyten", d. h,
den in toten Nährböden besonders gut gedeihenden Mikroben, die
Fähigkeit, parasitisch zu leben, völlig abgeht oder nur unter bestinunten
Bedingungen, z. B. bei Übertragung größter Mengen zukommt. Man
spricht daher von strengen (obügaten) und gelegentlichen
(fakultativen) Parasiten und Saprophyten. Ein gewisser
Gregensatz der Kräfte, die das saprophytische und parasitische Dasein
möglich machen, besteht also und würde sich vielleicht dadurch er-
klären, daß im ersten Falle die enzymatischen, im zweiten die aggres-
siven Leistungen mehr entwickelt sind. Eine scharfe Abgrenzung von
Ernährungsbedingungen. 175
Parasiten^) und Saprophyten läßt edcli aber um so weniger aufrecht
erhalten, als die Aggressivität bei einer und derselben Mikrobenart
nicht bloß ungleich ausgebildet und auf einzelne Tierarten beschränkt
sein, sondern sogar völlig verloren gehen kann, und umgekehrt schein-
bar strenge Saprophyten an das parasitische Leben gewöhnt werden
können (§ 356). Unseres Erachtens erklären sich diese Tatsachen durch
unsere Äggressinlehre im aUgemeinen leichter als durch irgendwelche
andere Annahmen, die übrigens bisher noch nicht in eine brauchbare
Theorie zusammengefaßt worden sind (vgl. § 329). Eine Ergänzung der
Äggressinlehre in einzelnen Beziehungen wird dadurch, wie wir gleich
sehen werden, nicht ausgeschlossen.
§ 53. Reizstoffe der Wirte und Parasiten. Gegenwir-
kungen. Ob die Wachstumsfähigkeit der Parasiten im Tierkörper allein
durch ihre Fähigkeit, Angriffsstoffe zu bilden, bedingt ist, soll übrigens
dahingestellt sein. Man könnte sich wohl vorstellen, daß auch der Wirt
selbst hin und wieder durch Reizstoffe, die er enthält oder abgibt, die
Parasiten anlockt und ihre Wucherung befördert. Wir würden damit der
sogenannten Assimilationstheorie, d.h. der, die das Wachstum der Parasi-
ten durch ihre Fähigkeit, den lebenden Nährboden zu assimilieren, erklärt,
ein beschränktes Zugeständnis machen (§ 329). Bestimmte Beweise für
das Vorkommen solcher Beizstoffe haben wir freilich kaum*). Immerhin
würden manche Tatsachen dadurch vielleicht eine einfache Erklärung
finden. Namentlich die höchst eigentümliche Tatsache, daß manche
harmlosen Schmarotzer und Infektionserreger mit Vorliebe b e -
stimmteOrgane befallen. Allerdings würden wir auch hier wieder
ohne die Annahme spezifischer Beziehungen nicht auskommen. Denn
die betreffenden Organe sind nicht überhaupt für Parasiten leichter
angreifbar, sondern nur für einzelne Arten derselben, so daß jedes
tierische Organ fast seine besonderen Parasiten hat. Setzen wir voraus,
daß hierbei Reizwirkimgen vorliegen, so würde den spezifischen Reiz-
stoffen der Wirtsorganismen eine ebensolche Reizbarkeit der Parasiten
entsprechen. Diese letzt-ere würde dann voraussichtlich wieder eine
bestimmte stoffliche Anlage voraussetzen (Nutri- oder Chemorezeptoren
Ehrlichs?). Ehe die ganze Frage experimentell bearbeitet worden
ist, wird man sich auf weitere Spekulationen nicht einzulassen brauchen.
1) Noch weniger läßt sich die von Bail (Lit. bei Aggressinen
! 319) versuchte Einteilung der Parasiten in Ganz- und Halbparasiten
durchführen, weil aüle Übergänge vorkommen.
2) Ob die Chemotaxis und der Chemotropismus ( § 56), d. h. die An-
lockung der Parasiten durch Bestandteile der Pflanzen für deren
Infektion von Bedeutung ist, wie manchmal behauptet wurde, ist ebenfalls
noch etwas zweifelhaft (vgl. Infektionslehre).
176 Kap. IV, § Ö3 u. 54.
Sicher gestellt ist eine andere Reizwirkung der Wirte auf ihre
Parasiten. Sie zeigt sich erstens darin, daß die^ Mikroben, und zwar
Bakterien und Hefepilze, im tierischen Körper sieh mit einer Schleim-
hülle (Kapsel) umgeben oder wenigstens — vielleicht ebenfalls durch
,, Hypertrophie ihres Ektoplasmas*' — eine Größenzunahme erfahren
(§ 4), und zweitens in einer Steigerung ihrer Virulenz (§ 330). Die nähere
Untersuchung dieser beiden Reihen von Vorgängen hat gezeigt, daÜ
sie wahrscheinlich eng zusammen gehören und ausgelöst werden von den
Abwehrstoffen (Immunkörpern) des normalen oder immunisierten
Tierkörpers, bzw. von solchen Stoffen, die mit diesen Abwehrstoffen
nahe verwandt sind. Man kann sich diese Reizwirkung, wenn man sich
den Vorstellungen der Ehrlich sehen Seitenkettentheorie anschließt,
dadurch erklären, daß die Abwehrstoffe mit bindenden Gruppen in
entsprechende Bindegruppen (, »Rezeptoren") der Mikroben eingreifen
und diese durch einen ims in seinem Wesen allerdings noch völUg dunklen
Neubildimgsprozeß zur „Hypertrophie*' oder „Hyperplasie" bringen
(§ 328). Die Folge davon ist größere Widerstandsfähigkeit, gewisser-
maßen „Immunität", gegen die Abwehrstoffe, d. h. gesteigerte ^rulenz.
Übertragen sind diese Vorstellungen aus einem anderen Gebiet, für
das sie ursprünglich ausgedacht worden sind, nämlich aus der eigentlichen
Immimitätslehre (§ 331 ff.). Schon lange kennt man die Tatsachen,
daß Tiere durch Überstehen einer Infektion gegen die gleichen und
fremden Infektionen Schutz erlangen. Hier sind es umgekehrt „Reiz-
stoffe der Mikroben", welche den Widerstand der Tiere gegen letztere
erhöhen. Je nachdem die Reizwirkung eine nichtspezifische oder
spezifische ist, sprechen wir von „Entzündungs- und Fieberstoffen"
oder von echten immunisierenden „Impfstoffen" (Antigenen) und haben,
wie wir oben die Reizstoffe der Tiere mit ihren Abwehrstoffen gleich-
stellten, auch hier allen Grund, die Reizstoffe der Kleinwesen mit ihren
Angriffsstoffen im wesentlichen zusammenfallen zu lassen. Wir stehen
hier vor den merkwürdigsten Tatsachen der Biologie. Zunächst macht
es den Eindruck, als ob sich die Tiere durch ihre Abwehrstoffe, die Mi-
kroben durch ihre Angriffsstoffe selbst ihr Grab bereiteten. Bei näherer
Betrachtung verlieren die Immunitätserscheinimgen indessen ihren
auffallenden Charakter. Schon der Umstand, daß die heilkräftige Wir-
kung der Entzündung und des Fiebers mindestens eine Reihe von
Stunden, die der spezifischen Immunisierung ebensoviel Tage oder
Wochen nach Einverleibung der Reizstoffe eintritt, während die infek-
tionsbegünstigende Wirkung der mit ihnen identischen Angriffcstoffe
sich sofort bemerkbar macht und bald verschwindet, weist darauf hin,
daß wir es bei den Immunitätsvorgängen mit einer Zeit erfordernden
Gegenwirkung des Tierkörpers zu tun haben. Der Um-
Ernährungsbedingungen. 177
stand ferner, daß lebende Infektionserreger nur in kleineren Gaben, die
liicht oder nur vorübergehend zum Wachsen kommen, schützen und im-
munisieren, in größeren aber sich unaufhaltsam, d. h. bis zum Tode
der Tiere, vermehren, lehrt uns, daß die Angriffsstoffe, in genügender
Menge einverleibt, ihren Zweck zugunsten ihrer Erzeuger erfüllen. Das
gleiche gilt aber auch von den Abwehrstoffen der Tiere: da, wo sie durch
ihre Menge die angreifenden Mikroben erdrücken, dienen sie zum Schutz
der ersteren. Die Virulenzerhöhung, ebenso wie die
Immunisierung, ist also nur eine Anpassung
derParasiten bzw. ihrer Wirte, die unter für sie
günstigen Bedingungen erfolgt.
Die harmlosen und nützlichen Parasiten (§ 52) entbehren auch
wohl nicJit der Reizstoffe, durch deren Wirkung sie z. B. die Ernährung
ihrer Wirte befördern^), und stehen andererseits unter dem Einfluß von
Reizwirkungen seitens ihrer Wirte. Bezeichnend aber ist es für sie, daß
weder die Parasiten durch ihr dauerndes Zusanmienleben mit Tieren
und Pflanzen ihr Wachstumsvermögen über das gewöhnliche Maß
steigern, d. h. für sie virulent werden, noch die Wirte ihr Abwehrver-
m^n gegen die Gäste, die sie beherbergen, erhöhen, d. h. Immimität
gegen sie erlangen. Vielmehr besteht gewissermaßen ein Gleichgewichts-
zustand zwischen den Kräften der Symbionten, der allerdings durch
besondere Umstände — meist zum Schaden des Wirtes — gestört wird,
wie S. 173 erwähnt wurde. Dort wurde gleichzeitig auch der umge-
kehrten Möglichkeit gedacht, daß nämlich Infektionserreger sich in ihrem
Wirte zu harmlosen Schmarotzern verwandeln können. Die Umwand-
lung ist freilich nur eine scheinbare, weil die betreffenden Keime nur
für das Tier, in dem sie sich befinden, ihre Gefährlichkeit verloren haben.
Wir dürfen wohl annehmen, daß sich dabei eine Art Inmiimität ent-
wickelt, die der Angriffskraft der Parasiten die Wage hält.
§ 54. Kleinwesen als Nahrangsspender und Erzenger
anderer nfitzlicher Stoffe. Während bei den bisher besprochenen
veischiedenen Formen des Parasitismus^ mag er schädlich, nützlich oder
hannlos für die Wirte sein, die Mikroben stets einen mehr oder weniger
großen Vorteil von ihren Beziehungen zum Wirte haben, weil sie auf
1 ) Vielleicht ist durch Anregung der Assimilation, nicht diirch im-
ifiittelbare Assimilation des Stickstoffs bzw. Eiweißaufspeicherung, der
Xutzen der KnöUchenbakterien für die SchmetterUngsblütler zu erklären
^§ 201). Anregung des Wcu^hstums bzw. der Blüte durch die Parasiten
erfolgt auch bei vielen Pflanzen, z. B. bei den durch Pilze verursachten sog.
Hexenbeeen (vgl. v. T u b e u f , Pflanzenkrankheiten 1895). Es scheint
?<ich hier nicht immer um Abwehreinrichtungen, wie bei den sog. infektiösen
^ rranulationsgeschwülsten der Tiere (§ 332), zu handeln.
Kr ose, Mikrobiologie. 12
178 Kap. IV, § 54 u. 65.
oder in ihm wachsen, gibt es andere Verhältnisse zwischen großen und
kleinen Organismen, in denen von Parasitismus keine oder nur in sehr
beschränktem Grade die Bede ist. Die Mikroben werden dabei entweder
nur mittelbar als Erzeuger von allerhand nützlichen Stoffen beteiligt oder
tragen sogar Nachteile davon. So benutzt der Mensch viele Stoffwechsel-
produkte von Gärungserregern oder die durch sie veränderten Grund-
stoffe als Nahrungs- imd Genußmittel, Bekleidungsstoffe usw.^). Und so
dienen Bakterien, Sproßpilze imd Protozoen nicht nur Schleimpilzen und
andern Protozoen, sondern auch gewissen mit Phagozyten im Darm
ausgestatteten niederen Metazoen (Metschnikoff*)) zum Fräße.
Auch die Phagozyten der höheren Tiere beseitigen ja so viele Infek-
tionserreger. Man hat daher in dieser Art von Frcßtätigkeit einen von
den niedrigen Tieren überkommenen Rest der zellulären Emährungs-
tätigkeit sehen wollen. Außerdem gibt es auf den tierischen Schleim-
häuten antiseptische Sekrete, z. B. Magensaft, und im Innern der Ge-
webe keimwidrige Säfte ((Alexine usw.), durch welche Saprophyten
und Parasiten, die damit in Berührung kommen, aber vielfach auch die
virulenten Parasiten abgetötet und mehr oder weniger vollständig ge-
löst werden (§ lOu. 11). Ein reiner Vorteil ist das freilich nur dann für die
Tiere, wenn nicht bei dem Zugrundegehen der Mikroben giftige Stoffe
in Lösung gehen und von den Geweben aufgenommen werden. Dem-
selben Schicksal zerfallen wenigstens zum Teil die Bakteroiden der Wur-
zelknöUchen (§ 201).
§ 55. Chemische Ernährungsreize. Aus der Physiologie der
höheren Tiere wissen wir, daß es Reizmittel gibt, die bei ihnen den Appetit
und die Sekretion der Verdauungssäfte, die Assimilation, den Stoffansatz
imd die Zellvermehrung anregen. Gifte, die diese Vorgänge hemmeu
und schließlich Schutzeinrichtungen, die den Giften entgegenwirken.
Es fragt sich, ob solche Einflüsse auch bei den Mikroorganismen im
allgemeinen wirksam sind. Nötig scheinen Ernährungsreize
allerdings den Mikroorganismen insofern nicht, als sie nicht wie die
höheren, namentlich waripblütigen Tiere zur periodischen Nahrungs-
aufnahme gereizt zu werden brauchen, da sie, stets von Nährflüssigkeit
umgeben, die Ernährung unter sonst günstigen Bedingungen überhaupt
nicht unterbrechen. Doch wissen wir, daß die Mikroorganismen eben
nicht immer unter günstigen Emährungsbedingungen stehen, femer,
daß sie oft auf bestimmte Nährstoffe angewiesen sind, sich diese also
1) Insofern diese Gärungen künstlich hervorgerufen werden, haben
freiheh auch die Mikroben einen Vorteil davon, weil ihnen reichlichere und
günstigere Daseinsbedingungen und sichere Erhaltung gewährt werden.
2) Vgl. Infektionslehre.
Ernähningsbedingungen. 179
aus einem Nahrongsgemisch gewissennaßen heraussuchen müssen, daß
sie auch ebenso wie die Tiere Verdauungsenzyme erzeugen und aus-
scheiden und auf physikalische Einflüsse ihrer Umgebung
(§42 — 45) durch Beschleunigung oder Yerlangsamimg ihres Wachstums
antworten. Wir dürfen danach von vornherein vermuten, daß es auch
für sie chemische Emährungsreize gibt.
Die Nahrungsstoffe, einschließlich des Sauerstoffs, wirken im all-
gemeinen wohl selbst als Reize. Bei zu großer Verdünnung sind die Reize
unwirksam; bis zu einer gewissen Dichtigkeit steigern sie die Emährungs-
vorgänge; bei zu großer Dichtigkeit hemmen sie schließlich (§40). Wie-
derholt imtersucht wurde die Produktion und Sekretion der Verdauungs-
enzyme. Die Tatsachen, die darüber bekannt sind, widersprechen sich
allerdings teilweise. Einerseits wird behauptet, daß die Enzyme ge-
bildet und ausgeschieden werden, auch ohne daß sie in Tätigkeit treten
können — bei Abwesenheit der zu verdauenden Stoffe — , andererseits
sollen sie erst erscheinen, wenn sie gebraucht werden (vgl. § 35, 69, 165
und 250). Es darf wohl angenommen werden, daß es sich nur um quan-
titative Unterschiede handelt, denn daß die Enzymmeuge größer wird
mit steigendem Verbrauch, lehren viele Erfahrungen. Darauf sind ja
die Darsteliungsmethoden der Enzyme gegründet. Bemerkenswert ist
die Regulierung der Enzymproduktion durch Stoffe, die nicht direkt
die Enzjrme beeinflussen können. Nach K a t z ^) wird die Diastase-
bildung von Schimmelpilzen und Bakterien beschränkt durch Zucker-
lösungen von verhältnismäßig geringer Konzentration, z. B. bei Peni-
cillium glaucum durch Trauben- und Rohrzucker von 1,5%, durch Milch-
und Malzzucker von 3%, durch Glyzerin, Weinsäure und Chinasäure
trat in höherer Konzentration. Man könnte daraus schließen, daß eine
Hemmung der Diastasebildung etwa dann einträte, wenn solche Stoffe,
die durch Diastase erzeugt werden, schon vorhanden seien, und daß
andere Stoffe, auch wenn sie gute Nährstoffe seien, doch keine Hem-
moBg der Diastasebildung zustande brächten. Doch ergeben Versuche
mit Aspergillus niger ganz andere Resultate: Rohrzucker und andere
Stoffe bewirken hier selbst in starker Konzentration keine Hemmung
der Diastaseproduktion. Beim Penicillium glaucum machte K a t z
übrigens die interessante Beobachtmig, daß durch Feptonzusatz die
hemmende Wirkung des Rohrzuckers auf die Diastasebildung aufge-
hoben wurde. Wir werden bei Besprechung des Wahlvermögens der
Mikroorganismen auf manche andere vorläufig unerklärliche Tatsache
stoßen (§ 58).
Es braucht kaum daran erinnert zu werden, daß, je nach der Art
1) Jahrb. wiss. Bot. 31; vgl. § 69.
12*
180 Kap. IV, § 65.
der Mikroorganismen, die Nährstoffe bald als Reiz, bald als Hemmung
wirken. Beispiele dafür sind die verschiedene Wirkimg des Sauerstoffs
auf Aerobier und Anaerobier (§ 31), der freien organischen Säuren auf
Pilze und Bakterien (§ 50 und 149), des Alkohols auf Bakterien und
Pilze, die von ihm leben imd solche, die es nicht können (§ 134 und 135),
der organischen Stoffe auf die meisten Mikroorganismen im Gegensatz
zu den Nitrobakterien (§ 196).
Den Nahrungsstoffen schließen sich an die aus ihnen erzeugten
Stoffwechselprodukte. Von ihnen sind am besten studiert
diejenigen, welche die Reaktion des Nährbodens beein-
flussen, insofern man wenigstens weiß, daß jedem Mikroben ein be-
stimmtes Optimum der Reaktion entspricht (§41). Im übrigen kennt
man viel besser die Hemmungs- als die Reizwirkungen, die von den ein-
zelnen Säuren, dem Alkohol u.s.w. ausgehen. Was darüber festgestellt
worden ist, soll unten im Zusammenhang mit der Reizwirkung der
giftigen Stoffe besprochen werden. Die in den früheren Abschnitten
(§49 und 50) behandelte Wachstumsförderung durch eigene und fremde
Stoffwechselerzeugnisse der Mikroben erklärt sich teils aus der Wirkung
unbekannter Reizstoffe, teils aus der Veränderung der Reaktion oder
der Lieferung von Nährstoffen. Wegen der eigentümlichen Reizstoffe,
die wir in höheren Organismen für die parasitären Kleinwesen voraus-
setzen dürfen, verweisen wir auf § 53.
Daß es außer Nährstoffen und Stoff Wechselerzeugnissen noch eine
ganze Anzahl chemischer Reizmittel für die Ernährung der Mikroben
gibt, lehren schon ältere Untersuchimgen. Anzuführen wären in
erster Linie die von R a u 1 i n an Schimmelpilzen angestellten Ex-
perimente (§ 29), die für eine Reizwirkung mineralischer Beimengungen,
z. B. der Kieselsäure, des Eisens und vor allem der Zinksalze sprechen.
Dahin gehört besonders aber auch der Einfluß, den Gifte bez. Anti-
septika in kleinen Mengen auf das Wachstum und die Gärtätigkeit der
Mikroorganismen haben. Hugo Schulz^) ist auf Grund fremder
und eigener Studien an der Hefe zu dem Satze gelangt, jeder Reiz
übe aufjedeZelle eineWirkung aus, derenEffekt
hinsichtlich der Zelltätigkeit umgekehrt pro-
portional sei der Intensität des Reizes. Natürlich gilt
dieser Satz bestenfalls nur in bestimmten Grenzen, denn daß von einer
gewissen Konzentration ab die Verdünnung des Antiseptikimis den
Reiz herabsetzt, ist selbstverständlich. Biernacki^) hat für eine
größere Reihe von Desinfektionsmitteln diejenige Konzentration be-
1) Pflügers Arch. 42.
2) Ebenda 49.
Ehmährungsbedingungen.
181
stimmt, die den größten Beiz auf Hefe ausübte und damit verglichen
die Konzentration, die noch eine Hemmung bewirkte. Er fand für
seh
wachste aufhebend
Konzentration
e stärkste beschleunigende
Konzentration
Sublimat
: 20000
: 300000
Kalium hvpermanganic.
Kupfeisulfat
Brom
: 10000
:4000
:4000
: 100000
: 600000
; 50000
Thymol
Benzoesäure
3000
.2000
. 1 .
; 20000
: 10000
Salizylsäure
Chinin
1000
400
: 6000
: 80000
Karbolsäure
200
: 1000
Schwefelsäure
100
10000
Resorzin
100
2000
Pvrogallol
Borsaure
50
25
4000
8000
rhloralhydrat
25
1000
Wenn auch diese Versuche insofern an einem Fehler leiden, als sie mit
Preßhefe, nicht mit Beinkulturen angestellt sind, also das Vorhanden-
sein von Bakterien das Resultat beeinflußt haben kann, so sind sie doch
im wesentlichen als richtig zu betrachten, wie spätere Arbeiten ergeben
haben. Für Schimmelpilze haben Richards^) und Kosinski^),
für Milchsäurebakterien Riebet^) ähnliche Verhältnisse aufgedeckt.
Bemerkenswert ist, daß die Zahlen der ersten Reihe nicht immer mit
denen der zweiten parallel gehen. So muß man namentlich bei Kupfer
zu sehr bedeutenden Verdünnungen heruntersteigen, um noch eine
Reizwirkung feststellen zu können. Sie fehlte allerdings nicht (vgl.
0 n 0 *)). Unter den Reizen für die Gärungshefe ist nach Effront^)
die Milchsäure zu nennen, deren Nutzen für die Darstellung des
Hefegates für die Brennerei schon lange bekannt ist, und die wir schon
als für die Symbiose wichtiges Stoffwechselprodukt (§ 50, vgl. § 96
und 111) kennen gelernt haben, femer auch andere noch nicht er-
wähnte echte Antiseptika wie Flußsäure, Formaldehyd, schweflige
Säure, Salzsäure usw.
1) Jahrb. wiss. Bot. 30, 1897.
2) Ebenda 37.
3) Compt. rend. ac. sc. 114. 1494.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 9.
5) Annal. Pasteur 1896. 39.
182 Kap. IV, ! 65 u. 56.
Oroße praktische und theoretische Bedeutung gewonnen haben
namentlich die Versuche Effronts^) mit Flußsäure und
ihren Salzen. Es stellte sich heraus, daß einerseits die gewöhnliclie
Regel auch für diese Antiseptika gilt, daß aber andererseits auch eine
Anpassung der Hefe an die Flußsäurewirkimg möglich ist^). Die
Wachstums- und namentlich auch die Gärkraft der in flußsauren Nähr-
böden gezogenen Hefe kann dauernd gesteigert werden, so daß
sie auch beim Weglassen des Keizmittels bestehen bleibt. Das gleiche
gilt für die übrigen Antiseptika^). Wir kommen weiter unten darauf
zurück (§57). Neuerdings hat Hüne*) die begünstigende Wirkung
kleinster Mengen Sublimats auf die Gänmg für B. coli bestätigt
und gleichzeitig gefunden, daß auch die bakteriziden Im-
munsera in gewissen Verdünnungen das Bakterienwachstum anregen.
Die Erklärung dieser Reizwirkung der Antiseptika bietet Schwierig-
keiten. Es ist durchaus nicht bewiesen, daß durch die Verdünnung die
Giftigkeit dieser Substanzen für das Protoplasma völlig beseitigt wird,
ja, vielleicht wahrscheinlich, daß sie bestehen bleibt, daß aber die Gift-
wirkung in diesem Falle kompensiert und überkompensiert wird durch
eine Gegenwirkung, eine „Reaktion" der Zelle, die sich nicht
nur in Bildung von giftneutralisierenden Stoffen (§ 57), sondern auch in
einer Steigerimg des gesamten Stoffwechsels äußert. Bei zu starker
Konzentration der Gifte bleibt die Reaktion aus, bei Anpassung wird
sie zu einer dauernden Eigenschaft (vgl. § 53).
Über die Reizwirkimg anderer nicht giftiger Substanzen ist wenig
bekannt. So wird ein günstiger Einfluß größerer Mengen von Kalium-
phosphat auf die Hefe, von Kaliumkarbonat und -sulfat auf die
Nitrobakterien (D u m o n t und Crochetelle*)), von Magnesia-
und Phosphorsalzen auf die Pigmentbakterien (§ 254), von Chlor-
kalzium, Chlornatrium und Salpeter auf den Leuconostoc mesenterioides
(Liesenberg imd Zopf®)) behauptet. Doch handelt sich es im
letzteren Falle anscheinend nur um die Begünstigimg einer Teilfunktion,
der Dextranbildung.
Die Begünstigung rein fermentativer Vorgänge auf chemischem
Wege behandeln wir an anderer Stelle (§ 247), machen aber hier gleich
aufmerksam auf die Tatsache, daß kein Parallelismus be-
1) Zeitschr. f. Spiritusindustrie 1891, 64. Vgl. Kochs Jahresber.
1891 ff.
2) Deutsches Reichspatent 95412.
3) Vgl. Lit. bei K r u i s in Lafars Handb. 5. 302, 1906.
4) Zentr. Bakt. 48, 1908.
6) Compt. rend. ac. sc. 117 und 119.
6) Kochs Jahresber. 1892, 90; vgl. § 128 ff.
Bmährungsbedingungen . 1 g 3
steht zwischen diesen Reizerfolgen und denen,
die in lebenden Kulturen beobachtet werden.
Ebensowenig gilt ein solcher übrigens für die Giftwirkungen (S. 191).
§ 56. Chemische Bewegungsreize. In denjenigen Fällen, in
denen es sich um bewegliche Kleinwesen handelt, könnte man vielleicht
die Förderung der Ernährung durch beliebige Reize mindestens zum Teil
auf Beschleunigung ihrer Bewegungen zurückführen. Wie dem auch
sei, sicher ist, daß es außer den früher betrachteten physikalischen^)
auch chemische Reize gibt, die richtungsgebend auf die
Bewegungen der Mikroben einwirken. Die Wachs-
tumsbewegung von Pilzen wird nach Pfeffer, Mi70shi^)u. a.
beemflußt, indem z. B. die jungen Keimschläuche durch die Spalt-
Öffnungen eines mit Nährlösung injizierten Blattes oder durch die
Löcher einer Glinmierplatte, die auf Nährgelatine liegt, einwandern.
Die nährende Eigenschaft der chemotropischen Stoffe ent-
scheidet dabei nicht, so wirken Glyzerin überhaupt kaum, Zucker, Am-
moniumsalze, Phosphate, Fleischextrakt, Pepton, Asparagin mehr oder
weniger stark positiv chemotropisch, Kalisalpeter, Kochsalz, Chlor-
kaUom, Kakiumnitrat, freie organische und unorganische Säuren, AI-
kalien, Alkohol schon in großer Verdünnung negativ chemotropisch.
Die Anlockung oder Abstoßung ist so stark, daß erhebliche Widerstände,
wie Zellulosemembranen, spaltöffnimgsfreie Epidermis, Goldhäutchen
dnrchbohrt werden. Der Unterschied der Reizgröße ist dabei bestim-
mend, imd zwar gilt auch hier das Weber sehe Gesetz. Bei aeroben
Filzen und Bakterien bewirkt der Zug zum Sauerstoff Oberflächen-
wachstum (Aerotropismus). Die Bedeutung dieser Verhältnisse
für die Infektion von Pflanzen wurde durch Nordhausen und
Behrens*) betont. Auch bei den tierischen Infektionen spielen sie
Welleicht eine gewisse Rolle, die Vorliebe der Erreger für bestimmte Ge-
webe und Gewebsteile ist ja bekannt genug (§53). Auffällig ist allerdings
gerade bei Pilzinfektionen, wie die Pilzfäden scheinbar wahllos, d. h.
ohne auf die Gewebsunterschiede zu achten, nach allen Seiten gleich-
mäßig ihre Hyphen aussenden. Der Hydro- und Osmotropis-
iQ u 8 ist dem Chemotropismus verwandt: hier entscheiden Unterschiede
im Wassergehalt und osmotischen Druck*). Bei frei beweglichen Mi-
kroben haben wir entsprechende Einflüsse in der Chemo-, A e r o -,
Hydro-, Osmotaxis. Schon Pfeffer^) fand, daß Bakterien
1) § 46. Vgl. dort auch Literatur.
2) Bot. ZeJtg. 1804, 1. Jahrb. wiss. Bot. 28, 1896.
3) Ebenda 33, 1898.
4) Vgl. S t e y e r , a. a. O. f § 46).
5) Arb. bot. Inst. Tübingen 1. 363, 1884 und 2. 582, 1888.
184 Kap. IV, § 56.
und Protozoen aus einem Wassertropfen in Glaskapillaren, die mit Lösung
von Pepton, Asparagin, Ealiumsalzen, Fleischextrakt gefüllt waren,
am schnellsten einwanderten. Natrium- und Ealziumsalze, Harnstoff,
Zucker waren weniger, Glyzerin gar nicht wirksam (s. o.), andere Stoffe
wie Säuren, Alkalien, Alkohol und manche (nicht alle) anderen Gifte
negativ chemotropisch, d. h. wirkten abstoßend. Starke Konzentration
der Stoffe verwandelt die Anziehung öfter in Abstoßung, was nicht
immer auf Osmotaxis beruht (vgl. § 2). So fand Rotbart^), daß
Äther in dünner Lösung Amylobakter anlockt, in starker vertreibt.
Die einzelnen Arten können sich ungleich verhalten. Paramäcien werden
z. B. nach Jennings^) von schwachen Säuren imd sauren Salzen
sowie destilliertem Wasser angezogen, von ihrer eigenen alkalischen
Kulturflüssigkeit interessanterweise^) verjagt, während Amöben durch
fast alle Reize unangenehm berührt zu werden scheinen, ihre Scheinfüße
einziehen oder fliehen. Manche Bakterien werden nach Rot hart
von Äther und Chloroform beeinflußt (s. o.), andere nicht. Auch für die
Chemotaxis gilt das Weber sehe Gesetz. Über die Wirkung
gemischter Reize hat außer R o t h a r t namentlich K n i e p ^)
gearbeitet und kam zu dem Schluß, daß in demselben Bakterium ver-
schiedene Reizbarkeiten bestehen. Ebenso behandelte er die Frage,
ob die Reizbarkeit durch äußere Einflüsse beeinflußt werden kann.
Das ist in der Tat der Fall. So war ein Fäulnisbazillus in saurer Lösung
gegen Phosphate empfindlich, in alkalischer nicht, während er sich gegen
Ammoniumsalze (Chlorid, Nitrat) gerade umgekehrt verhielt und von
Ammonphosphat sowohl in alkalischer als saurer Lösung angelockt
wurde. Auf weitere Einzelheiten gehen wir nicht ein.
Daß Sauerstoffmangel die Bewegimgen von Aerobiem und Sauer-
stoffzutritt die von Anaerobiem allmählich ebenso hemmt, wie etwa
Kälte die Bewegungen aller Mikroben, ist eine bekannte Tatsache.
Nach Ritter^) verhalten sich fakultative Anaerobier gegen Sauer-
stoffentziehung ungleich ; zum Teil verlieren sie ihre Beweglichkeit so
schnell wie strenge Anaerobier, zum Teil erst nach einigen Stunden.
Ernährung mit bestimmten (für sie vergärbaren?) Kohlehydraten ver-
längert die Bewegungsdauer erheblich.
Die anlockende Wirkung des Sauerstoffs auf Bakterien wurde
1) Flora 88, 1901.
2) Contribution of the behaviour of lower Organismus. Waßhington,
Carnogie Instit. 1904 und Doflein, Protozoenkunde 1909, S. 111
3) s. o. § 47 Stoffweohselgifte.
4) Jahrb. wiss. Bot. 43, 1906.
f)) Flora 86, 1899.
Emährungsbedingungen. 185
zuerst von Engelmann^) zur Feststellung der Assimilationsgröße
Ton Algen in den verschiedenen Teilen des mikroskopischen Spektrums
benutzt. An den Stellen, wo am meisten Sauerstoff ausgeschieden
wurde, sammelten sich die Bakterien an. Aus der ungleichen Vorliebe
für den Sauerstoff erklären sich auch die „Atmungsfiguren", d. h. die
verschieden geformten Bakterienansammlungen, die man nach B e i -
j e r i n c k ^) in einem schräg zwischen Deckglas und Objektträger
liegenden Tropfen beobachten kann. Die Bakterien des aerobiotischen
Typus sammeln sich ausschließlich in einer schmalen Zone am freien
Rande an, wählend ein anderer Teil, durch den Laftmangel starr ge-
worden, in der Mitte liegen bleibt; die des anaerobiotischen Typus
liegen sämtlich in dem zentralen Teil, die des „Spirillentypus" — auch
Vibrionen und Schwefelbakterien — in einer Zwischenzone. Später
hat Beijerinck*) angegeben, daß die strengen Anaerobier nur,
wenn sie in geringer Zahl sind, sich in der Mitte ansammeln, sonst
aber, wie die Spirillen, einen Ring bilden in einiger Entfernung vom
freien Rande, and betrachtet sie daher als „mikroaerophil", wie die
Spirillen u.s.w. Ritter*) hat das bestätigt, konnte aber nicht fest-
stellen, daß die Anaerobier die Mitte, d. h. den Ort des vollständigen
Sauerstoffmangels fliehen. Sie verhalten sich danach doch anders
wie die Spirillen. Nach Beijerinck und Ritter zeigen fakultativ
anaerobe Bakterien Atmungsfiguren wie Aerobier, einzelne aber —
dieselben, die auch in Zucker Jange Zeit ihre BewegHchkeit bei Sauer-
stoffabschluß erhalten — sammeln sich zwar zum größten Teil am
Rande an, verteilen sich aber, eben weil sie ihre Beweglichkeit nicht
verlieren, sonst ziemlich gleichmäßig über den Raum des Tropfens.
Während diese Erscheinungen im Laufe weniger Minuten sich
bemerkbar machen, treten die sog. „Bakterienniveaus" Beijerincks
erst einige Tage auf, nachdem man Reagenzgläser mit etwas fester Nähr-
gelatine (oder Nähragar) beschickt, mit Bakterien beimpft und dann
mit Wasser 6 — 10 cm hoch überschichtet hat. Es sind das dünne
plattenförmige Bakterienansanmalungen in einiger Entfernung von
der Oberfläche der Flüssigkeit, die entweder ganz scharf in dieser
gegen die klare Umgebung abgegrenzt sind oder nach oben und unten
in dünne Trübungen übergehen. Wahrscheinlich ist das ein Vorgang,
der sich dadurch erklärt, daß die beweglichen Bakterien — denn nur
solche bilden Niveaus — sich an denjenigen Stellen besonders reich-
1) Bot. Zeitg. 1881 und 1882.
2) Zentr. Bakt. U, 1893.
3) Arch. n^erland. 1890 (Kochs Jahresber.).
4) Zentr. Bakt. 2. Abt., 20. 36, 1908.
186 Kap. IV, § 56u. 57.
•
lieh anhäufen und vermehren, wo sie einerseits genügenden Sauerstoff,
andererseits die nötigen Nährstoffe antreffen. So kommt es, daß bei
Beschränkung der Sauerstoffzufuhr die Niveaus steigen, bei Ver-
stärkung sinken. Lehmann und Curchod^), die die Dinge
nachprüften, konnten die Bildung von mehreren Niveaus über-
einander, die Beijerinck unter Umständen beobachtete, nicht
bestätigen, wenigstens nicht in dem Sinne, daß sich scharf be-
grenzte Platten dabei entwickelten, dagegen sahen sie gelegentlich
die schon von Jegunow*) beschriebenen seltsamen Bewe-
gungen bzw. trichter-, buckel- und säulenförmige Umfor-
mungen der Bakterienplatten („Bakteriengesellschaf-
ten'*), ohne über den Mechanismus derselben zu vollständiger Klar-
heit zu gelangen. Es scheint, als ob passive, durch die Schwerkraft
veranlaßte Wirkimgen neben aktiven Leistungen der Bakterien dabei
beteiligt seien.
In ihrer Ursache noch vielfach dunkel sind die Bewegungserschei-
nungen, die manche Bakterien, wie z. B. Proteus (H a u s e r) in ihren
Einzelindividuen und Kolonien auf der Oberfläche der Nährböden
zeigen. Daß für sie zum Teil Unebenheiten der Oberfläche bestimmend
sind, zeigte neuerdings B u g g e.®)
Zweifellos ist es, daß die Aerotaxis auch unter natürlichen Ver-
hältnissen für das Leben der Kleinwesen wichtig ist, bei den ver-
wickelten Verhältnissen im Einzelfall wird man freilich oft darüber
nicht zur Klarheit gelangen, ob sie in Frage kommt.*)
§57. Ernährungsgifte und Gegenvirirkungen der Mikro-
organismen. Den ernährungsf ordernden Einflüssen stehen hemmende
gegenüber. Soweit sie physikalischer Natur sind (§ 42 — 45), auf der
Reaktion (§ 41) und Konzentration der Nährböden (§ 40) beruhen
oder auf die Stoffwechselerzeugnisse und Körperbestandteile der eigenen
Mikrobenart oder fremder Mikro- und Makroorganismen zurückzu-
führen sind (§ 47, 48, 51), haben wir sie schon in den vorhergehenden
Abschnitten abgehandelt. Hier gehen ims im wesentlichen nur noch
die eigentlichen „fäulniswidrigen" „antiseptischen" oder „desinfizieren-
den" Mittel, d. h. die für die Mikroben giftigen Stoffe an, und zwar
in denjenigen Konzentrationen, in denen sie nicht mehr, wie wir eben
sahen (§ 55), reizende Eigenschaften entwickeln. Zunächst gilt der
1) Zentr. Bakt. 2. Abt., 14. 449, 1905.
2) Ebenda 2, 1896 und 4, 1898.
3) „Pseudokolonien". Zentr. Bedct. Ref. 42. Beilage, S. 69, 1908.
4) Vgl. z. B. Rothermund, Arch. f. Hyg. 65. 149 und Kruse,
Zeitschr. f. Hyg. 59. 39 ff. über den Keimgehalt der Oberfläche fließender
und stehender Gewässer.
Ernähningsbedingungen. 1 g 7
Satz, daß mit der Dichtigkeit der Gifte ihre wachs-
tumshemmende oder tötende Kraft steigt. Er ist
ohne weiteres verstandlich. Aus dem gleichen Grmide erklärlich er-
schiene es, wenn die Wirkung der Gifte abnähme mit der Zahl der zu
desinfizierenden Mikroben. Kommt doch so auf jede Zelle weniger
Gift. In der Tat läßt sich durch Vergrößerung der Ein-
saat die Giftwirkung eines Nährbodens oftherab-
setzen, ja völlig aufheben. Freilich besteht diese Regel
anscheinend nicht für alle Gifte, bez. nur in gewissen Grenzen und
erklart sich zum Teil aus der giftneutralisierenden Fähigkeit gelöster
(abgesonderter) und ungelöster Bestandteile der Mikrobenleiber und
des Nährbodens, wie wir schon im § 49 bemerkten und weiter unten
noch näher erörtern werden. Umgekehrt haben wir S. 166 aus der
im Laboratorium oft genug zu beobachtenden Erscheinung, daß nur
große, nicht kleine Mengen von Mikroben — z. B. Pneumokokken —
in einem Nährboden — z. B. gewöhnlicher Nährbouillon — zum Wachs-
tum kommen, geschlossen, daß in dem Nährboden irgend^ Gift vor-
handen sein müsse, über dessen Natur wir allerdings bisher kaum etwas
aussagen konnten.
Eben dahin gehören, aber besser bekannt sind die zuerst von
N ä g e 1 i , dann namentlich von F i c k e r studierten „oligodjoia-
mischen" Einflüsse in wässerigen Flüssigkeiten, die auf der Verun-
reinigung mit giftigen Metallen u. dgl. beruhen. Diese Einflüsse und
überhaupt die Giftwirkungen sind — damit kommen wir auf die dritte
Regel — um so kräftiger, je schwächer die Nährkraft
des Nährbodens sonst ist; also am größten in
Wasser, am schwächsten in Eiweißlösungen (Behring).
Zum Teil liegt das offenbar daran, daß Nahrungsreize die Wirkung
von Nahrungsgiften ausgleichen können, zum Teil an den später zu
besprechenden unmittelbar giftneutralisierenden Eigenschaften vieler
Nahrungsstoffe. Da zu den Nahrungsreizen auch die Temperatur
gehört, ist klar, daß bei der für das Wachstum günstigsten Temperatur
ein stärkerer Zusatz von Giften nötig ist, um das Wachstum zu
hemmen, als bei anderen Temperaturen. Beim Mangel an Nähr-
stoffen imd wohl auch bei Konzentrationen der Gifte, die Wachs-
tum überhaupt nicht zulassen, gilt dagegen die Begel, daß d i e
Gifte um so schneller töten, je höher dieTem-
peratur ist.
Im einzelnen die antiseptischen Mittel oder gar die gesamte prak-
tische Desinfektionslehre zu besprechen, liegt nicht in unserer Absicht.
Der große Umfang dieser Aufgabe erfordert bei gründlicher Erledigung
188 Kap. IV, § 67.
ein Buch für sicli^). Dagegen würden wir gern eine theoretische Be-
gründung der Giftwirkungen geben, wenn der heutige Zustand unserer
Kenntnisse das erlaubte. Leider ist das aber bisher (vgl. § 16), wie wir
auch bei der Besprechung der Giftwirkungen, die von den Mikroben
selbst ausgehen, sehen werden (§ 256), nicht der Fall. Schwierig zu
erklären ist namentlich auch die spezifische Verschiedenheit der Gift-
wirkungen, die man bei Vergleichen der einzelnen Mikrobenarten hin
und wieder, wenn auch nicht regelmäßig, beobachtet hat. Man könnte
versucht sein, der Lösung des Bätsels nahe zu kommen durch das
Studium der stofflichen Veränderungen, welche die oben (S. 182) schon
kurz gestreifte Anpassimg der Mikroben an Gifte begleiten.
Effront^) glaubt in der Tat auf Grund seiner chemischen Analysen
die Widerstandsfähigkeit der an FluBsäure gewöhnten Hefe auf ihren
höheren Ealkgehalt zurückführen zu dürfen, indem die in die Zellen
eindringenden Fluoride dadurch in unlösliche Salze umgewandelt
würden. Dagegen soll der Mechanismus bei der Anpassung an Formal-
dehyd darin bestehen, daß die Hefe ein größeres Zerstörungsvermögen
gegenüber dem in Lösung befindUchen Formaldehyd gewinne. Nach
G i m e 1 ^) würde eine gesteigerte Oxydasebildung die Grewöhnung
der Hefe an schweflige Säure erklären. Nahe liegt es, die Vorstellung
der „Seitenkettentheorie", die Ehrlich zur Erklärung der erworbenen
Inmiunität aufgestellt (§ 279, 328), auf unsere Erscheinungen anzu-
wenden und entweder eine Ubererzeugung der für das Antiseptikum
empfindlichen Seitenketten (Rezeptoren) des Protoplasmas oder eine
Untererzeugung derselben annehmen. Im ersten Falle wird das Gift
„abgelenkt", in unschädlicher Form gebunden, im zweiten überhaupt
nicht gebunden, weil es ihm an Angriffspunkten mangelt. Wenn auch
diese Theorie der Immunität ursprünglich nur für die spezifischen
immunisierenden Gifte aufgestellt worden ist imd dann in zweiter Linie
auch Anwendung gefunden hat bei der Erklärung der Anpassung der
Mikroben an tierische Abwehrstoffe (§ 328 u. 330), so hat Ehrlich
neuerdings gezeigt, daß man sich ihrer auch bedienen kann, um
die Gewöhnung der Trypanosomen an chemisch gut bekannte Arznei-
mittel wie das Atoxyl, den Brechweinstein u. a. verständlich zu
1 ) Vgl. das Werk von R i d e a 1 , Desinfektion and preservation
of food 1904, ferner die Darstellung Gotschlichs in der 3. Auflage
der Flügge sehen Mikroorganismen und in Kolle-Wassermanns
Handb., sowie die hygienischen Lehrbücher. Über theoretische Grundlagen
der Desinfektion vgl. besonders K r ö n i g und Paul, Zeitschr. f. Hyg.
25 ; M a d s e n und N y m a n , ebenda 57 ; C h i c k , Journ. of hyg. 1908.
2) Kochs Jahresber. 1905, 228.
3) Ebenda 229.
Ernähningsbedingungen. 1 S9
machen^). Er nimmt an, daß diese mit „Chemorezeptoren'' ausgestattet
seien, von denen er bisher mindestens drei Gruppen unterscheidet, näm-
lich solche, die Arzneistoffe aus der Arsenreihe (Atoxyl usw.), oder dem
Fuchsin ähnliche Farbstoffe, oder Trjrpanrot (aus der Benzopurpurin-
reihe) binden. Durch Behandlung der Trj^anosomeninfektion im Tier
mit diesen Mittehi gelingt es, den Parasiten gegen jede einzebie dieser
drei Gruppen bzw. gegen alle zusammen eine spezifische und haltbare
Widerstandsfähigkeit, Giftfestigkeit, zu verschaffen. Es sollen dabei
keine Antikörper gegen die Gifte gebildet, sondern nur eine Art „Re-
zeptorenschwund" oder besser gesagt, eine Verminderung der Ver-
wandtschaft (Avidität) für die Gifte herbeigeführt werden. Diese
Verminderung erfolgt gradweise, und zwar so, daß z. B. die erste Stufe
der Arsenfestigkeit dadurch erreicht wird, daß die Trypanosomen der
Behandlung mit p-Amidophenylarsinsäure (Atoxyl) und deren Azetyl-
produkt unterworfen werden. Die zweite Stufe zeichnet sich durch
Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Arsenophenylglyzin, die dritte
durch solche gegen arsenige Säure und Brechweinstein aus. Vielleicht
geben uns ähnliche Vorstellungen die Möglichkeit, uns das spezifische
Verhalten gewisser Desinfektionsmittel, z. B. Farben gegenüber Bak-
terien, wie Koli- imd Typhusbazillen, die vielfach zu differentialdiagno-
Rtischen Zwecken benutzt worden ist, zu erklären.
Gewisse experimentelle Tatsachen (§ 49) geben ims femer einen
Anhaltspimkt für das Vorkommen giftablenkender Stoffe in
den Mikrobenleibem. Nicht bloß durch stärkere Einsaat lebender
Bakterien lassen sich die Wachstumswiderstände — nach unserer Auf-
fassung die giftigen Bestandteile — imgeeigneter Nährböden überwinden,
sondern auch durch Zugabe toter Bakterien bzw. von Auszügen
oder filtrierten Kulturen. Diese Vorstellimgen führen uns aber noch
weiter. Nehmen wir nämlich das Vorhandensein giftablenkender
Stoffe neben den eigentlich giftempfindlichen im Mikrobenleibe an,
80 erhalten wir auch eine Erldärungsmöglichkeit für die Unterschiede
der Widerstandsfähigkeit normaler Mikrobenarten gegen Gifte. Wir
konunen damit auf unsere Erklärung der Tatsachen zurück, die W i 1 -
dier zu seiner Bios-Theorie veranlaßt haben (S. 167). Es ist natür-
lich gleichgültig, wie wir die giftablenkenden Stoffe in den Bakterien-
leibem nennen, jedenfalls sind sie in ihrer Wirkimg unseren Aggres-
sinen (vgl. auch § 328) und den Antifermenten anderer Forscher ( § 10)
1) Vgl. z. B. Ehrlich (Münchn. med. Wochenschr. 1909, 5). Die
Schlüfise, die Ehrlich aus solchen Erfahrungen auf die allgemeine Kon-
j^titution des Protoplasmas, die Bedeutung der Seitenketten für die Er-
nährung zieht, können wir nicht billigen (vgl. § 68 u. 329).
190 Kap. IV, § 57 u. 58.
vergleichbar. Über ihre Natur, wie eine etwaige Spezifität können
wir wenig aussagen, ehe die experimentelle Bearbeitung des ganzen
Grebietes nicht gründlich durchgeführt worden ist. Wir wissen aber,
daß gegenüber manchen Oiften, z. B. den Metallsalzen, schon den
Eiweißkörpem an sich eine „fällende" Wirkung zukommt. Ebenso
kennen wir eine „absorbierende" Fähigkeit vieler anderer „Kolloide"
gegenüber allen möglichen auch bakteriellen Giften (§ 274). Auch bei
den Aggressinen können wir es schließUch unentschieden lassen, ob
man ihre Leistungen gegenüber den Alexinen usw. auf eine rein chemiscbe
oder chemisch-physikalische Bindung zurückzuführen hat imd müssen
nur auf eine gewisse Spezifität der Leistungen Wert legen (§ 325 ff.).
Vielleicht besitzen die gewöhnlichen Gifte ablenkende Stoffe letztere
ebenfalls in gewissem Grade. Wir haben darauf schon hingewiesen,
als wir von der wachstumsbefördemden Wirkung fremder Bakterien-
produkte auf Streptokokken, Influenzabazillen usw. gesprochen haben
(S. 170). Möglicherweise gehört übrigens in dieselbe Gruppe von Er-
scheinungen auch die wachstumsbefördernde Wirkung bestimmter
anderer, nicht bakterieller Stoffe, so die Begünstigung des Influenza-
bazillus durch rote Blutkörper bzw. Hämoglobin, die der Gono- und
Menigokokken durch Blutserum, namentlich vom Menschen, die der
Trypanosomen durch Fleischsaftnährböden. Nach der gewöhnlichen
Erklärung sollen alle diese Zusätze freilich unmittelbar als gute Nähr-
stoffe wirken (S. 108). Der Beweis dafür ist aber niemals geliefert
worden. Uns scheint es vorläufig ebenso berechtigt zu sein, hier von
einer giftneutralisierenden Wirkung zu sprechen.
Wenn wir von Schutzmitteln der Mikroben gegen Gifte sprechen,
dürfen wir auch gewisse morphologische Einrichtimgen derselben nicht
vergessen. Hierher gehören die Schleimhüllen, die sogenannten Kapseln
der Bakterien und Hefen (§ 4), die Sporen der Bakterien, Strahlen-
pilze und echten Pilze, die Zysten der Protozoen. Zunächst werden
wir vielleicht die größere Widerstandsfähigkeit dieser Formen^) als
physikalisch bedingt auffassen dürfen: schon das Eindringen der Gifte
in die Zellen muß durch die Hüllen und Membranen ja erschwert werden.
Die dichtere Beschaffenheit bez. Wasserarmut des Protoplasmas der
säure- und gramfeöten Bakterien (§ 18 u. 19) und Sporen, der Wachs-
gehalt der ersteren wird ähnlich wirken. Daneben sind aber auch
1) Nach Liesenberg und Zopf (Zentr. Bakt. 12) erhöht die
Kapsel die Widerstandsfähigkeit des Leuconostoc mesenterioides auch
gegen Erhitzung. Abgeschwächte Milzbrandbazillen gewöhnen sich nicht
nur allmählich an die Alexine des Blutserums, sondern auch an die Wir-
kungen des Arseniks und bilden gleichzeitig Kapseln (D a n y s z , Annal.
Pasteur 1900).
Emährungsbedingungen. 191
chemische Einflüsse nicht xa unterschätzen. So könnte man die Kap-
seln der infektiösen Bakterien geradezu als Sitz der Aggressine be-
trachten.
Von vornherein enthält die Voraussetzung, daß es verschiedene
durch Anpassung erworbene Schutzmittel gibt, durchaus nichts Un-
wahrscheinliches.
Die schädliche Wirkung von Giften auf das Wachstum und die
Lebensfähigkeit der Eleinwesen ist keineswegs immer mit einer ähn-
lichen Beeinflussung aller Lebensvorgänge, z. B. vieler Enzym- und
Fermentleistungen verbunden. So henmien Chloroform imd andere
schwache Antiseptika nicht die letzteren, obwohl sie die 2jellen töten,
ja, sie dienen geradezu zum Nachweis derselben. Man darf daraus
aber nicht den Schluß ziehen, daß das Wachstum, der Stoffaufbau
kein enzjmatischer Vorgang sei, es kann sich vielmehr ganz gut um
eine größere Empfindlichkeit der synthetischen Fermente handeln. Unter-
einander zeigen ja auch die bekannten Enzyme große Unterschiede
in ihrer Empfindlichkeit für schädigende Einflüsse (Kap. XIV).
§ 58. Aaswahl der Nährstoffe bei gemischter Ernährung,
Spaltnng razemischer Verbindungen, Zusammenwirken
von Nährstoffen. Bei den verschiedenen Ansprüchen, die, wie wir in
Kap. III sahen, die einzelnen Arten der Eleinwesen an die Nahrmig
stellen, liegt es auf der Hand, daß sie ein Wahlvermögen gegenüber
den Nahnmgsstoffen haben müssen. Dasselbe äußert sich einerseits
darin, daß die Mikroben aus den Nährlösungen die für sie nützlichen
Stoffe, selbst wenn sie stark verdünnt sind, herausziehen und die un-
nützen, mögen sie noch so reichlich vorhanden sein, zurücklassen,
andererseits darin, daß sie in dem Gremisch an sich brauchbarer Nähr-
stoffe den einen oder anderen bevorzugen. Daß in erster Linie chemische
Anziehungskräfte, die durch Fermente vermittelt werden, im Proto-
plasma, nicht allein etwa, wie man wohl geglaubt hat, physikalische
Verhältnisse, insbesondere eine die Osmose beeinflussende Zusammen-
setzung der äußeren Zellschichten dabei beteiligt sind, ist recht wahr-
scheinlich. Im übrigen fehlen uns fast alle Voraussetzungen, um uns
ein klares Bild von dem Mechanismus dieser Vorgänge machen zu
können. Im folgenden wollen wir die Auswahl der Stoffe an einigen
Fällen betrachten, die genauer untersucht worden sind.
Einige Zahlen Cramers über den Aschenbedarf der Cholera-
bazillen haben wir schon auf S. 88 wiedergegeben; sie beweisen, daß
diese Mikroorganismen die Phosphorsäure relativ begierig aufnehmen,
denn ihre Asche kann 5 mal mehr davon enthalten, als die Nährboden-
asche. Auch die Schwefelsäure zeigt nach Gramer eine ähnliche
Anreicherung im Zellkörper, vermutlich auch Kalzium und Magnesium,
192 Kap. IV. § 58.
während der Chlorgehalt geringere Unterschiede zväschen Nährboden
und Zelle aufweist.
Das Verhalten der Mikroorganismen gegenüber Kohlenstofh^er-
bindungen hat, nach einigen vorläufigen Erfahrungen D u c 1 a u x' ^).
Pfeffer') besonders gründlich studiert. Er fand zunächst, daß
Schimmelpilze (Aspergillus niger und Penicillium glaucum), wenn sie
in Salz- und Traubenzuckerlösungen mit Glyzerin, Milchsäure oder
Essigsäure gezüchtet werden, neben dem Traubenzucker vor allem die
Essigsäure verzehren, viel wem'ger Glyzerin und Milchsäure, die bei
genügendem Überschuß von Traubenzucker sogar fast völlig vor der
Verbrennung geschützt werden. So verhalten sich also die drei in
ihrem Nährwert ziemlich gleichwertigen Stoffe recht ungleich, nähern
sich nur in dem Punkte, daß sie, selbst in großem XTberschuß angewandt,
den freilich viel besser zur Ernährung geeigneten Traubenzucker ihrer-
seits nicht vor dem Verbrauch bewahren.
Weitere Nährversuche mit Traubensäure zeigten zwar, daß von
Pilzen (Aspergillus niger, flavescens, PeniciUium glaucum, einer „Hefe'*
und Monilia Candida) sowie einem „Rechtsbakterium'' die Rechts-
weinsäure, also nur der eine Bestandteil der Traubensäure, in erster
linie zur Nahrung verbraucht wird, bestätigten also die berühmte
Entdeckung Pasteurs*) von der Spaltung der „razemischen" Wein-
säure durch Mikroorganismen und dem Verbrauche der Rechtswein-
säure durch sie, bewiesen aber, daß gleichzeitig geringe Mengen der
Linksweinsäure und, nach völligem Verbrauch der Rechtssäure, große
Mengen der Linkssäure assimiliert werden. Auf der anderen Seite
greift ein „Linksbakterium" zunächst die Linksweinsäure und erst in
zweiter Linie die Rechtssäure an. Schließlich fehlt es auch nicht an
Mikroorganismen (Asp. fumigatus, Sach. ellipsoideuSj Rosahefe, Bac.
subtilis), die Recht«- und Linksweinsäure in gleichem Verhältnis ver-
brauchen. U 1 p i a n i und Condelli*), McKenzie und Kar-
den^) bestätigten die Pfeffer sehen Befunde betr. die Zersetzung
der Traubensäure durch Pilze.
Während L e w k o w i t s c h ^) bei der Mandelsäure eine
Bevorzugung des linksdrehenden Bestandteils durch allerhand Pilze,
und Pfeffer wenigstens manchmal eine solche des rechtsdrehenden
durch Penicillium glaucum gefunden hatten, erhielten McKenzie
1) Annal. Pastour 1889, 109.
2) Jalirb. wiss. Bot. 28, 1895.
3) Compt. rend. ac. sc. 46. 614, 1855; 51. 298, 1860.
4) Kochs Jahresber. 1900.
5) Ebenda 1903.
6) Ber. ehem. Gesellsch. 15 u. 16, 1882 u. 1883.
Emährungsbedi ngnngen. 193
und H a T d e n mit sicheren Reinkulturen des letzteren Pikes keine
deutliche Spaltung der inaktiven Säure, ja kaum Wachstum, mit
Aspergillus niger Links-, mit Asp. griseus Rechtsmandelsäure.
Inaktive Glyzerinsäure wird nach Lewkowitsch,
Mo. Kenzie und H a r d e n durch Pilze linksdrehend, nach Frank-
land*) durch Bac. ethaceticus rechtsdrehend, Milchsäure nach
Lewkowitsch, Linossier, Frankland, Ulpiani und
Condelli, McKenzie und Harden durch Pilze und Bakterien
(Bac. subtilis, typhosus) rechtsdrehend. Nach P e r e ^) greift aber
das B. coli bald die Rechts-, bald die Linksmilchsäure an, nach Ul-
piani und Condelli das Bact. avicidum die Rechtssäure.
Aach die aktiven Aminosäuren Alanin, Leuzin, Asparagin-
und Glutaminsäure (Schulze imd Boßhard*), E.Fischer,
Ulpiani und Condelli, McKenzie und Harden u. a.)
werden von Pilzen in ungleichem Maße zersetzt. Nach F. Ehrlich^)
benutzt die Hefe die in der Natur allein vorkommenden optisch aktiven
Aminosäuren, z. B. das Linksleuzin imd das Rechtsalanin zu ihrer
Ernährung, d. h. entzieht ihnen Stickstoff in Form von Ammoniak
und macht Amylalkohol usw. dabei frei (§ 90 und 173), während sie
Rechtsleuzin, Linksalanin usw. fast gar nicht angreift^).
Weitere Beispiele für das Wahlvermögen sind folgende: Essig-
bakterien verbrauchen zunächst den Alkohol, und, wenn dieser ver-
schwunden ist, auch die von ihnen selbst gebildete Essigsäure. Asper-
gillus niger zerstört nach W e h m e r *^) in ähnlicher Weise die Oxal-
säure, die er vorher erzeugt, ist aber nur bei 15 — ^20^ dazu imstande,
nicht bei 8— 10» (§ 122). Derselbe Pilz greift Stärke, der Bac. amylo-
bacter van Tieghems Zellulose erst an, wenn er den gleichzeitig
gebotenen Zucker aufgebraucht hat (vgl. Duclaux')). Auch nach
B e h r e n 8 ®) ist die Nutzbarkeit der organischen Säuren für Schimmel-
pilze je nach der Spezies sehr verschieden : Botrjrtis cinerea greift Wein-
säure am stärksten an, weniger Apfelsäure, am wenigsten Zitronen-
säure; umgekehrt verzehrt Penicillium glaucum zuerst die Äpfelsäure,
1) Zentr. Bakt. 15, 1894.
2) Annal. Pasteur 1892 u. 1893.
3) Ber. ehem. Gesellsch. 1891 u. 1893.
4) Bioch. Zeitschr. 1, 1906 u. 8, 1908.
5) Eine vollständige ZusanunensteDung auch seltener, hier nicht
genannter razemischer Verbindungen gibt Emmerling inLafars
Handbuch 1. 429, 1905.
6) Ber. bot. Ges. 1891.
7) Mikrobiol. 4. 446.
8) Zentr. Bakt. 2. Abt., 4. 741.
Krase, Mikrobiologie. 13
194 Kap. IV, ! 58.
später Wein- und Zitronensäure. Dabei ist das Wachstum auf der Wein-
säure allein bei Botrytis am geringsten. Der Autor will dieses auffallende
Verhalten daraus erklären, daß der Pilz „selbstregulatorisch'' die
hemmende Substanz verbrauche.
Wie Traubenzucker manche anderen Stoffe vor der Zer-
setzung schützt (s. o.), so fand Burchard^), daß er auch den Harn-
stoff vor dem Angriff des Micr. ureae liquefaciens bewahrt. Wahr-
scheinlich gilt dasselbe für den Leim, denn es ist eine bekannte Er-
fahrung, daß Gelatine bei Zusatz von Traubenzucker von vielen Bak-
terien nicht verflüssigt wird.
Was die Stickstoff quellen anlangt, so kann auch hier eine N-haltige
Substanz, z. B. Pepton, eine zweite, z. B. Nitrat, vor der Assimilation
schützen, während die letztere allein gegeben assimiUert wird (M a a s -
s e n ^)). Nach F. Ehrlich^) schützt der Zusatz von Ammoniak-
salzen oder anderen Ammoniak leicht abgebenden Verbindungen das
linksleuzin (s. o.) vor der Zersetzung und erweist sich dadurch als
Vorbeugungsmittel gegen die Fuselölbildung.
Viel studiert ist die Ernährung der Hefe durch die verschiedenen
Zuckerarten und deren Vergärung durch sie. Da wir später im ein-
zelnen darauf eingehen müssen (§ 86 u. 87), wollen wir hier nur vor-
weg nehmen, daß die Hefearten oder Varietäten sich zu den Zuckern
ebenso verschieden verhalten, wie andere Mikroorganismen zu den
Weinsäuren. Nach dem einen Teil der Forscher, wie E. Chr. Han-
sen, Lindner, Klöcker ist dies Verhalten für jede Varietät
ein feststehendes, nach 6 a y o n und Dubourg, Dienert,
Duclaux*) sind sie aber einer Art Anpassung fähig. So sollen
Hefen, die wohl Traubenzucker, aber Rohrzucker allein nicht zu
vergären vermögen, den letzteren dennoch angreifen, wenn ihnen beide
Zucker zusammen geboten werden und diese ihre Eigenschaft auf
ihre Nachkommen vererben, so daß die Hefe auch die Fähigkeit er-
langt, den Rohrzucker allein zu verarbeiten. Umgekehrt soll auch
das Gärvermögen für eine Zuckerart wie Galaktose durch Ernährung
der Hefe in anderen Zuckern verloren gehen können. Ähnliche An-
passungen an die Nahrung hat Pottevin bei Schinmielpilzen be-
obachtet, die mit Glykosiden ernährt werden (§ 155). Vielleicht handelt
es sich in diesen Fällen nicht um den unbedingten Gewinn oder Verlust
der Assimilationsvermögens, sondern nur um Gradunterschiede. Daß
1) Arch. f. Hyg. 36. 281.
2) Arb.- Gesundheitsamt 18.
3) Ber. ehem. Ges. 1907, 1027.
4) Mikrobiol. 3. 246 ff.
Emährungsbedingungen. 195
in dieser Beziehung ein gewisses Maß von Variabilität vorkommt,
darüber kann kein Zweifel bestehen (vgl. § 353).
Ebensowenig ist zu bezweifeln, daß ein Nährstoff, der, allein ge-
reicht, nur sehr kiunmerlich ausgenutzt wird, bei Anwesenheit anderer
Nährstoffe reichlich assimiliert werden kann. Diese Erfahrungen haben
z. B. P f e f f e r (a. a. 0., S. 233) bei Pilzen mit Linksweinsäure, P r o s -
k a tt e r und B e c k ^) beim Tuberkelbazillus mit Zuckerarten, S a 1 z -
m a n n ^) bei den denitrifizierenden Bakterien mit Salpeter, M a a s -
sen^) bei verschiedenen Bakterien mit organischen Säuren allerart
gemacht. Wie man sich den Vorgang zu denken hat, bleibt in den
meisten Fällen noch aufzuklären (vgl. S. 118 u. 128).
1) Vgl. Lit. § 29.
13*
Kapitel V.
Die Stoffwechselvorgänge im allgemeinen^).
§ 59. Einleitung. In den vorigen beiden Kapiteln haben wir
festgestellt, welche Stoffe für die Ernährung der Mikroorganismen
nötig sind, in welcher Menge und Mischung sie gereicht werden müssen,
und welche Einflüsse die Ernährung begünstigen oder hemmen. Die
Frage, welchen Wandlungen die Nährstoffe dabei unterliegen, die Kräfte,
mit deren Hilfe die Mikroorganismen diese Veränderungen hervor-
rufen, mit einem Wort, die Stoff wechselvorgänge, wurden
dabei höchstens oberflächlich berührt. Die Aufgabe der folgenden
Kapitel ¥rird es sein, soweit das die vorliegenden Erfahrungen gestatten,
in den Stoffwechsel selbst einzudringen.
Das Ziel, das wir uns stecken, besteht darin, möglichst jeden
Stoff, derderErnährungdient, in seinen Schick-
salen bis zum Ende zu verfolgen. Wir werden also nach-
einander die Wandlungen der Kohlehydrate, Alkohole, der organischen
Säuren, der verwickelten oder einfachen Stickstoffverbindungen, der
Schwefel- und eisenhaltigen Körper, des Sauerstoffs usw. behandeln.
Bei weitem die meisten und gerade die bestbekannten Vorgänge sind
abbauende (zersetzende, dissimilierende), inmierhin fehlen unter den
letzteren auch aufbauende (synthetische, assimilierende) nicht ganz,
wenn sie auch nur Hüll- und Vorratsstoffe der Zellen zu betreffen
scheinen. Dabei kommen wir von selbst schon einerseits auf die Stoff-
wechselerzeugnisse, andererseits auf die Hilfsmittel, deren
sich die Mikroorganismen zur Stoff Umwandlung bedienen, d. h. die
Fermente oder Enzyme, sehen allerdings hier schon eine Grenze für
unsere Erkenntnis, insofern wir zugeben müssen, daß wir sowohl über
die chemische Natur dieser letzteren Zellbestandteile als ihre Ent-
stehungs- und Wirkungsweise im Dunkeln sind. Ähnliche Erfahrungen
müssen wir auch sonst machen, so kennen wir zwar im wesentlichen
die grobe chemische Zusammensetzung des Hauptteils der Zellen, des
Protoplasmas, sind aber vielfach im unklaren über dessen feinen Bau
1) Vgl. liierzu namentlich Duclaux, Trait6 de microbiologie.
Stoffwechsel im allgemeinen. 197
und den Weg, auf dem es sicli aus den Nahrungsstoffen beim Wachs-
tum bildet, mit anderen Worten, auf dem die Assimilation stattfindet.
Immerhin haben wir hier noch wenigstens gewisse Möglichkeiten für
das Verständnis der synthetischen Vorgänge. Viel schwieriger wird
die Untersuchung wieder, wenn wir zu dem Aufbau der biologisch
wichtigen spezifischen Zellbestandteilen kommen, unter denen außer
den Fermenten und Farbstoffen namentlich die Gifte, Angriffs« und
ImpSstoffe zu nennen sind.
Bevor wir unsere Untersuchung nach diesem Plane durchführen,
geben wir hier eine Übersicht über die verschiedenen Vorgänge des
Stoffwechsels und nehmen dabei gewisse allgemeine Ergebnisse schon
vorweg. Die Umwandlungen, welche die Kohlehydrate im Stoff-
wechsel erleiden, dienen uns dabei am besten als Beispiele für die wich-
tigsten chemischen Prozesse.
§ 60. Hydrolytische Spaltungen und Verflüssigungen.
I. Viele Mikroorganismen besitzen, die Fähigkeit, unlösliche Stärke zu
lösen und gelöste Stärke zu verzuckern. Der Vorgang stellt dar in erster
Linie eine physikalische Verändenmg, eine Verflüssigung oder Ver-
dauung, wobei der ursprünglich unlösliche oder kolloidale Stoff in
einen gut löslichen und teilweise kristallisierbaren verwandelt wird»
Chemisch entspricht ihm eine Zersprengung- des stark polymerisierten
Stärkemoleküls (CgHiQOg)^^ in das weniger Moleküle C^Hj^Og ent-
haltende Dextrin (CeHiQOg)^ und eine teilweise, unter Wasserauf-
nahme erfolgende, weitere Spaltung (Hydrolyse) des Dextrins zu einem
Disaccharid (Maltose) nach der Formel (CgHjQOs)^ + 2^^^ ^ 2^i2H220ii-
Der Prozeß wird durch eine Absonderung der Mikroorganismen, die
von P a y e n und P e r s o z 1833 zuerst aus Malz dargestellte und
benannte Diastase verursacht. Kleinste Mengen dieses
Stoffes genügen, um die Umwandlung großer
Mengen von Stärke zu vollziehen und scheinen
selbst den Prozeß, ohne angegriffen zu werden,
zu überdauern. Sie ähneln deshalb den sogenannten
katalytischen oder Kontaktsubstanzen bekannter Zu-
sammensetzung, in diesem Falle den verdünnten Säuren, die imstande
sind, dieselbe Umwandlimg zu vollziehen. Zu Ehren der Entdecker
bezeichnen die französischen Forscher^) alle ähnlichen Zellsekrete als
Diastasen; bei uns sind die Ausdrücke lösliche (ungeformte)
Fermente oder Enzyme (Kühne) gebräuchlicher. Wir werden
die letzteren bevorzugen und das Wort Diastase für das stärkelösende
1) Duclaux, Microbiol. 2. 14.
198 Kap. V, S 60 u. 61.
Enzym bewahren. Für die Bezeichnung der übrigen Enzyme werden
wii dagegen nach dem Vorgänge der meisten neueren Forscher den
Grundsatz möglichst befolgen, daß durch die Anhängung „ase"'
an den lateinischen Namen des durch das Enzym veränderten Stoffes
das Enzym selbst bezeichnet wird. So würde also „Amylase" gleich-
bedeutend sein mit Diastase^).
Zu den verflüssigenden Vorgängen gehört gleicherweise die Ver-
wandlung des Inulins durch die Inulinase, des Pektins durch die
Pektinase, der Zellulose durch die Zellulase usw., aber auch die
sogenannte Peptonisierung der festen und schwer diffusiblen Eiweiß-
körper durch peptische und tryptische Enzyme.
II. Chemisch scharf charakterisiert als einfache Hydrolyse ist die
sogenannte Inversion des Rohrzuckers, die nach der Formel
verläuft und durch das Invertin (Invertase, Saccharase) bewirkt wird.
Die Formel ist die gleiche für die Hydrolyse der übrigen Disaccharide,
des Malzzuckers durch die Maltase, des Milchzuckers durch die Lak-
tase, der Melibiose durch die Melibiase usw., nur sind die daraus her-
vorgehenden Hexosen (Glykose, Galaktose, Fruktose) durch ihre
Konstitution verschieden. Einer hydroljrtischen Spaltung entspricht
auch der Zerfall der Trisaccharide, z. B. der Raffinose in Melibiose
und Fruktose durch die Raffinase, der Glykoside in Zucker und andere
meist aromatische Bestandteile durch Emulsin usw., der Fette in
Glyzerin und Fettsäure durch Lipase, und wenn man will, auch des
Harnstoffs in kohlensaures Ammoniak durch die Urease.
§ 61. Spaltungsgärungen. III. Eine Spaltung des Trauben-
zuckers und anderer Hexosen in zwei Milchsäuremoleküle führt die
sog. Milchsäuregärung herbei:
Ebenfalls in einer Spaltimg^), aber in einer solchen in einen flüssigen
1 ) Leider ist eine ganz folgerichtige Anwendung unserer Regel gegen-
über lange eingebürgerten älteren Namen nicht durchführbar und wird
auch sehr erschwert dadurch, daß ein und derselbe Stoff verschiedenen
enzymatischen Veränderungen verfallen kann.
2) Man sieht, wie im Gegensatz zu den Hydrolysen die SpcJtung der
Moleküle hier eine tiefergehende ist und ansclieinend ohne Beteiligung
des Wassers verläuft. Eine nähere Untersuchung der chemischen Vor-
gänge, durch die das Endergebnis erreicht werden könnte, zeigt aber,
daß eine Mitwirkung des Wassers dabei kaum entbehrt werden kann, nur
gleichen sich in den genannten beiden Fällen Wassereintritt und -austritt
miteinander wieder aus (§ 88). Bei anderen Spaltungagärungen ist das aber
nicht immer der Fall (s. u.).
Stoffwechsel im allgemeinen. 199
nnd einen gasförmigen Bestandteil (Alkohol und Kohlensäure) besteht
die alkoholische Gärung des Zuckeis
CfiJ), = 2C2HeO + 2CO2 .
Bis 1897 glaubte man meist, daß diese „Gärungen*^ oder besser Spal-'
tungsgarungeni), die sich von den Verflüssigungen und hydrolytischen
Spaltungen auch durch die Schwierigkeit, sie auf anderem als bio-
logischem Wege zu erzeugen imd die viel reichlichere Wärmeentwick-
lung, von der sie begleitet werden, unterscheiden, nicht wie die
Hydrolysen durch isolierbare Enzjrme, sondern nur durch die Wirkimg
„geformter" Fermente oder des „lebenden Protoplasmas" hervorgebracht
würden. Eduard Buchner hat den Beweis des Gegenteils ge-
führt, indem er zuerst die „Zymase", das Enzym der Alkoholgärung
und später das der Milchsäuregärung aus den Leibern der Mikroorganis-
men darstellte. Damit fällt ein wesentlicher Unter-
schied zwischen Hydrolysen und Gärungen.
Zu den Spaltungsprozessen gehören eine große Reihe anderer
Gärungen, zunächst die der Zuckerarten und der übrigen Kohlehydrate,
so die (anaerobe) Essigsäure-, Wasserstoff-, Buttersäure- imd Sumpf-
gasgärung, dann aber auch die Gärungen höherer Alkohole (Mannit,
Glyzerin), der Fettsäuren (Ameisensäure, Essigsäure, Buttersäure,
Xilclisäure, Weinsäure usw.) und endlich die sog. Fäulnis der Eiweiß-
körper, d. h. die Spaltung der Aminosäuren. Sie sind nicht so gut
bekannt, weil sie verwickelter sind. Bei der sogenannten Buttersäure-
gärung werden wir z. B. sehen, daß sie wahrscheinlich aus einer ganzen
Reihe verschiedener Einzelgärungen zusanuuengesetzt ist. Sie lassen
sich in folgenden Formeln, unter denen auch die der alkoholischen
und Milchsäuregärung vorkonmien, wiedergeben (§ 114 und 115):
CeHitOe = Cfifi^ + 200^ + 2H2 (Buttersäuregärung im
engeren Sinne)
CgHjjOg = 3 C2H4O2 (anaerobe Essigsäuregärung)
C'eHwO« + 6HjO = 6CO2 + 12 Hg (Wasserstoffgärung)
CcHi^O« = C4H10O + 2 CO2 + H2O (Butylalkoholgärung)
CJB.vfi% = 2C2HeO + 2CO2 (alkoholische Gärung s. o.)
C^HigOj = 20311^03 (Milchsäuregärung s. 0.)
Je nachdem die eine oder andere Spaltung überwiegt, ist die Mischung
der erhaltenen Produkte eine verschiedene, scheinbar regellose. Bei
1) Die Begriffsbestimmung der Gärungen ist leider im Laufe
der Zeiten und bei den verschiedenen Autoren so vielen Schwankungen
unterlegen, daß man von einem einheitlichen Sprachgebrauch nicht reden
JtÄim. Ursprünglich wurden darunter, wie das Wort sagt, nur Zersetzungen
verstanden, die rait Gasentwicklung verliefen. Später hat man andere Spal-
200 Kap. V, § 61 u. 62.
vielen anderen Gärungen haben wir ähnliclie Verhältnisse. Daraus
braucht natürlich nicht zu folgen, daß keine Regel bestehe, und daß
die genannten Spaltungen nicht enz3nBati8cher Natur seien. Im Gegen-
teil wird uns die Zukunft wohl noch die Kenntnis von vielen anderen
GäruDgsenzymen verschaffen. Bei den tiefen Spaltungen des Eiweißes,
bzw. der Aminosäuren scheint das in gewissem Grade schon gelungen,
man kann z. B. von einer „Aminazidase'" sprechen, die Asparaginsauie
in Bemsteinsäure, Essigsäure, Kohlensäure und Ammoniak spaltet
(§ 169). Bei der sogenannten Selbstverdauung imter Ausschluß des
Lebens durch Chloroform u. dgl. wird femer gelegentlich bis zu 50%
des Stickstoffs als Ammoniak frei, muß also eine Spaltung zahlreicher
Aminosäuren stattfinden (§ 166). Auch die Abspaltung von Schwefel-
wasserstoff aus Eiweiß durch keimfreie Bakterienprodukte (M a a s -
s e n § 255) gehört wohl hierher.
§ 62. Oxydationen. IV. Während bei den bisher betrachteten
Stoffwechselvorgängen der Luftsauerstoff wenigstens unmittelbar keine
Bolle spielt, ist das bei den Oxydationen oder Oxydationsgärungen
der Fall. Je nach dem Verbrauch verschiedener Sauerstoff mengen
entstehen verschiedene Produkte aus demselben Stoff (§ 119 ff.). So haben
wir bei Zutritt von 12 Sauerstoff atomen zum Zuckermolekül die voll-
ständige Verbrennung (Veratmung) desselben zu Kohlensäure imd
Wasser : C^fl^^O^ + 1 2 0 = 6 COg + 6 lijO.
Wird der Oxydationsprozeß etwas früher unterbrochen, so sprechen
wir von der „Oxalsäuregärung"
CeHiA + 90 = SCgH^O^ + SH^O.
Noch weniger Sauerstoff verlangt die „Zitronensäuregärung":
CeHiA + 30 = CeH,0, + 2H,0.
Am wenigsten Sauerstoff ist schließlich für die Entstehung der Glykon-
säure, Glykuronsäure und der Glyzerose aus Zucker vonnöten. Eigen-
tümlicherweise hängt das Zustandekommen dieser verschiedenen Oxyda-
tionen weniger von der ungleichen Versorgung der Mikroben mit
Sauerstoff, als von der Eigenart der Mikroben selbst ab. Weitere
bekannte Vorgänge sind die Essigsäuregärung, die den Alkohol zu
Essigsäure, die Nitrifikation, die Ammoniak zu Salpetersäure, die
Verwesung, die Eiweißstoffe verbrennt. Die Forschungen der letzten
Jahrzehnte, an erster Stelle die von G. Bertrand, E. Buchner
tungen, aber auch Oxydationen (z. B. die aerobe Essiggärung), Hydrolysen
(Harngärung) und Reduktionen (Mannitgärung), Kondensationen (Schleim-
gärung) und Farbstoffbildungen (Pigmentgärung) als Gärungen bezeichnet.
Wenn wir den Namen überhaupt beibehalten wollen, so sprechen wir besser
von Spaltungs-, Oxydations- usw. Gärungen.
Stoffwechsel im allgemeinen. 201
und Meisenheimer haben es wahrscheinlich gemacht, daß nicht
bloß einfachste, biologisch wenig wichtige Oxydationen, wie z. B.
diejenigen, die zur Bildung von Farbstoffen führen, sondern mindestens
ein Teil der „Oxydationsgärungen", insbesondere die (aerobe) Essig-
sauregärung durch Enzyme, die Sauerstoff übertragen, die sogenannten
Oxydasen, vermittelt wird. Es ist aber nicht unmöglich, ja, sogar
recht wahrscheinlich, daß überhaupt die „Atmung" (Luftatmung,
Sauerstoffatmung) der aeroben Mikroorganismen, wie die aller luft-
liebenden Wesen auf die Wirkung solcher Oxydasen zurückzuführen ist.
Während diese eigentliche oder äußere Atmung stets durch Auf-
nahme freien Sauerstoffs imd häufig durch Abgabe von Kohlensäure
ausgezeichnet ist, bezeichnet man bekanntlich als innere (intramole-
kulare) Atmung eine Ausscheidung von Kohlensäure, die nicht an
den Zutritt freien Sauerstoffs gebunden ist. Ihre Existenz ist durch
die berühmten Untersuchimgen Pflügers i) für den Frosch, für
höhere Pflanzen durch Pasteur, Pfeffer 2) u. a. festgestellt
worden. Diese Forscher brachten sie auch in Zusammenhang mit der
alkoholischen Gärung (s. o.). Bei vielen Kleinwesen hat man ähnliches
beobachtet, und zwar sind es stets solche, die eine Zeitlang oder dauernd
ohne Sauerstoff leben und Spaltungsgärungen erregen können. Aller
Wahrscheinlichkeit nach sind eben diese Gärun-
gen — nichtbloßdiealkoholische,undnichtbloß
diejenigen, bei denen Kohlensäure entwickelt
wird — mit der intramolekularen Atmung iden-
tisch und ermöglichen geradezu erst das Leben
ohne Sauerstoff, die Anaerobiose, indem sie die
zumLebennötigeWärme (Energie) liefern. Aus dem
Umstände, daß die Oxydationen meist erheblich mehr Wärme ent-
wickeln, als die Spaltungen, erklärt sich der gewöhnlich viel
größere Stoffverbrauch bei der letzteren. Überall da, wo
die Oxydationen verhältnismäßig wenig Wärme liefern, steigt aber
auch der Stoffverbrauch bei den Aerobiem in ähnlicher Weise an.
Und gerade derartige Vorgänge verdienen deshalb in erster Linie den
Namen der Oxydationsgärungen. Die hydrolytischen Spaltungen und
Verflüssigungen kommen dagegen, wie oben bemerkt, für die Kraft-
lieferung nicht in Betracht''). Sie dienen vielmehr nur zur Vorberei-
tung der Nahrung, zur eigentlichen Verdauung. Damit hängt zu-
sammen, daß Hydrolysen und Verflüssigungen meist (nicht immer)
1) Pflügers Archiv 10.
2) Pflanzenphysiologie 1. 545.
3) Alle Einzelheiten über die Energieverhältnisse vgl. in Kap. XIII.
202 Kap. V, § 62 u. 63.
durch Enzjnne, die von der Zelle nach außen abgesondert werden, veran-
laßt werden, während Spaltungen und Oxydationen, ob sie nachweis-
lich durch Enzyme verursacht werden oder nicht, stets innerhalb der
Zellen selbst verlaufen. Freilich sind die Produkte, die aus den dynamo-
genen Zersetzungen hervorgehen, für die Assimilation oder weitere
Zersetzungen noch nicht notwendigerweise - verloren, d. h. als Aus-
wurfsstoffe (Exkrete) zu betrachten. Nur von der Kohlensäure kann
man das wohl immer sagen, die übrigen Stoffe werden unter Umstanden
im Stoffwechsel weiter verbraucht. So verbrennen z. B. Schinmiel-
pilze und Essigbakterien die durch die Oxydation gebildete Oxal-
und Essigsäure vollständig zu Kohlensäure und Wasser, wenn ihnen
kein Zucker oder Alkohol mehr zur Verfügung stehen, und so benutzt
die Hefe das Ammoniak, das neben Fuselöl bei der Leuzinspaltong
entsteht, zu ihrer Stickstoffemährung.
Läßt sich einerseits wegen der Möglichkeit der Anaerobiose nicht
leugnen, daß die Mikroben die Sauerstoffatmung nicht so unumgäng-
lich nötig haben, wie die höheren Organismen, so ist andererseits die
Verwendung des Sauerstoffs der Luft bei ersteren eine weit vielseitigere
als bei den letzteren, da sie nicht bloß die gewöhnlichen Nährstoffe,
sondern eigentlich alle Stoffe, die überhaupt der Oxydation fähig sind,
z. B. selbst Wasserstoff, Kohlenoxyd, Sumpfgas (§ 33), Schwefel-
wasserstoff (§ 207), Ammoniak (§ 196) verbrennen, ja als aus-
schließliche Kraftquellen benutzen. Dabei sind sie, wie wir gleich
sehen werden, noch befähigt, zur Oxydation sich statt des Luft-
sauerstoffs des an Stickstoff oder Schwefel gebundenen Sauerstoffe
zu bedienen. Freilich sind diese Leistungen meist nur wieder auf
ganz bestimmte Arten von Kleinwesen beschränkt.
§ 63. Kednktionen. V. Wenden wir uns jetzt zu den Reduk-
tionen, so bieten uns die Kohlehydrate auch Beispiele von solchen,
selbst wenn wir die Reduktionsprodukte, die neben Oxydationspro-
dukten aus den schon besprochenen Spaltungsgärungen hervorgehen, wie
Alkohol, Butylalkohol, Wasserstoff usw. nicht berücksichtigen. Durch
Aufnahme von 2 Atomen Wasserstoff in das Fruchtzuckermolekül
bildet sich M a n n i t bei der nach ihm benannten Mannitgärung des
Weines (§ 124). Daneben wird etwas Milch-, Essigsäure und Kohlen-
säure erzeugt. Die ersten beiden Säuren kann man aus unmittelbarer
Spaltung des Zuckers herleiten (s. o.), Mannit und Kohlensäure könnten
aus folgender Gleichung hervorgehen:
ISCeHiÄ + 6H2O = 12CeH,,0e + GCO^.
Diese Reduktion erfolgt übrigens, obwohl sie eine teilweise Synthese
Stoffwechsel im allgemeinen. 203
darstellt, unter Wärmeentwicklung, ist also den kraftliefernden Vor-
gängen anzureihen.
Durch Reduktionsprozesse entstehen ferner Fett und Eiweiß
aus Kohlehydraten. Doch kommen wir damit schon in das Grebiet
der eigentlichen stark endothermen Synthesen (§66). Andere Stoffe
werden leichter reduziert als die Kohlehydrate, die selbst vielmehr
ab Reduktionsmittel dienen gegenüber anderen Stoffen, so vor allem
gegenüber den Nitraten und Nitriten, die von den meisten Mikro-
organismen mehr oder weniger kräftig reduziert werden. Die Produkte
sind Nitrite oder Ammoniak, bei den sogenannten denitrifizierenden
Bakterien freier Stickstoff. Da niemals freier Sauerstoff entbunden
wird, sondern auf Kosten der Kohlehydrate usw. Oxydationsprodukte
entstehen, können wir diese Reduktionen als Oxydationen auf-
fassen, für die der nötigt Sauerstoff statt aus der Atmosphäre aus der
Salpeter- und salpetrigen Säure entnommen wird. In der Tat wird
die „Stickstoffgärung'' bei SauerstoSabschluß von sonst luftliebenden
Bakterien vollzogen. Ebenso dient die Schwefelsäure den Erregem
der „Schwefelwasserstoffgärung'' als Sauerstofflieferant, kann aber
bei diesen strengen Anaerobiem nicht durch freien Sauerstoff ersetzt
werden. Diesen Reduktionen, die der Kraftlieferung und zum Teil
nebenher der Assimilation des Stickstoffs aus Oxydverbindungen dienen,
steht gegenüber die Entwicklung von Schwefelwasserstoff aus allen
möglichen Schwefelverbindungen und regulinischem Schwefel, die eben-
falls eine weitverbreitete Eigenschaft der Mikroorganismen ist, aber
anscheinend keine Kraftquelle darstellt. Daß gelegentlich keine eigent-
liche Reduktion, sondern nur eine Abspaltung vorgebildeten Schwefel-
wassentoffs stattfindet, kann an der allgemeinen Auffassung des
Vorgangs nichts ändern. Ebenfalls hierher gehört die Reduktion von
Farbstoffen durch Bakterien. Welche Bedeutung diese Leistungen im
Leben der Kleinwesen haben, steht dahin.
Die bei den Mikroorganismen nur ausnahmsweise auftretende
Reduktion der Kohlensäure, sowie die des freien Stickstoffs zu Am-
moniak bez. Eiweiß gehören zu den eigentlichen Synthesen (§ 66).
Früher standen sich zwei Erklärungen für die beobachteten Re-
duktionswirkungen gegenüber. Nach der einen wäre es naszierender
Wasserstoff, nach der anderen, die die erste nicht ausschUeßt, das lebende
Protoplasma selbst, die sie vollbringt. Daß Wasserstoff z. B. bei den
Gärungen aus Spaltungen vielfach entsteht und im statu nascendi
energische reduzierende Wirkungen entfalten könnte, ist nicht zu
bestreiten, doch ist im gegebenen Falle selten der Nachweis seiner
Wirkung und bei den meisten Reduktionen auch nicht einmal der seiner
Entstehung geliefert. Zur „Protoplasmawirkung" greift man immer
204 Kap. V, § 64—66.
dann, wenn keine andere Deutung möglicbi scheint. Neuerdings ist
eine solche Möglichkeit auch hier eröffnet worden durch die Enzym-
theorie. Ähnlich wie es anorganische Eontaktsubstanzen gibt, die
Reduktion bewirken, z. B. den überschüssigen Sauerstoff des Wasser-
stoffsuperoxyds entbinden, so gibt es auch organische Eatalj^satoren,
Enzyme, die das vermögen. Längst bekannt ist das für das eben ge-
wählte Beispiel, denn alle Enzyme, auch die der Mikroben, haben die
Fähigkeit, H2O2 zu zersetzen, sie enthalten, wie man jetzt sagt, „Kata-
lasen"'. Dazu kommen als eigentliche „Reduktasen'' das Philo-
t h i o n , das Rey-Pailhade schon 1890 im alkohoUschen Ex-
trakt der Bierhefe fand und das aus Schwefel Schwefelwasserstoff
entwickelt. In keimfreiem Hefenpreßsaft und bei Bakterien sind dann
noch weitere Reduktasen gefunden worden, freilich noch nicht solche,
welche die der Kraftlieferung und dem Aufbau dienenden Prozesse
erklären könnten (vgl. S. 107 oben).
§ 64. Anhydridbildang. VI. Wie die Reduktion der Oxydation,
so steht die Anhydrid- oder Ätherbildung der Hydrolyse gegenüber.
Alle höheren Oganismen, Tiere wie Pflanzen, sind dazu fähig, sie bauen
in ihrem Leibe z. B. mit Leichtigkeit Disaccharide aus Hexoeen, Fette
aus Glyzerin und Fettsäuren, Eiweiß aus Peptonen, Harnstoff aus
kohlensaurem Ammoniak auf. Allgemein nachgewiesen ist derartiges
bisher, streng genommen, noch nicht für Mikroorganismen, aber sehr
wahrscheinlich, denn die Endprodukte des Prozesses, die unter gleich-
zeitiger Kondensation gebildet werden (Stärke, Glykogen, Zellulose,
Fett), fehlen auch bei ihnen nicht (§ 65). Neuere Erfahrungen, die
sich namentlich an die Beobachtimg H i 1 1 s i) angeschlossen haben,
führen weiter zu der Anschauung, daß dieselben Enzyme, die die Hydro-
lyse bewirken, bei einer gewissen Konzentration der entstandenen
Produkte die Umkehrung der Prozesse einleiten, daß wir es hier, wie
man zu sagen pflegt, mit „reversiblen" Prozessen zu tun haben. So
haben Hill und nach ihm Emmerling konstatiert, daß Glykose
unter dem Einfluß der Maltase in stärkeren liösungen zum Teil zu
Maltose (oder Isomaltose) wird; E. Fischer und Armstrong
sahen aus Galaktose und Glykose durch Laktase Milchzucker entstehen
u. a. m. Die Bedeutung dieser Tatsachen für die enzymatische Er-
klärung der einfachen Synthesen liegt auf der Hand.
§ 65. Verdichtungen. VII. Das zeigt sich gleich bei einer
weiteren Gruppe von Vorgängen, die man als Verdichtungen oder
Kondensationen (Polymerisationen) bezeichnen kann, und die die
Umkehrung der Verflüssigungsprozesse ( § 60) darstellen. Da die Mikro-
1) Journal of the cheroieal society. August 1898.
Stoffwechsel im allgemeinen. 205
Organismen die Stärke, das Glykogen, die Zellulose, die sie in ihrem
Körper ansetzen, meist in Form von kristÄllisierbarem Zucker aufnehmen,
müssen sie im Inneren daraus erst wieder Wasser abspalten und dann
die Moleküle kondensieren. Das scheint auch hier wieder unter der
Einwirkung derselben Enzyme vor sich zu gehen. So würden nach
H a r d e n und Young, Buchner und Meisenheimer
durch die Zymase aus Zucker wieder Polysaccharide aufgebaut.
Ähnliche Vorgänge scheinen sich abzuspielen bei den sogenannten
schleimigen Gärungen, die in Wein und Bier, Milch, dem
Saft der Zuckerrüben imd allen möglichen Pflanzensäften vorkommen.
Es wird hierbei aus Hexosen CgHjr.Oß unter Austritt von Wasser das
Polj^saccharid (CqHi(,05)p des Pflanzenschleims gebildet. Aus Zellu-
lose soll der Schleim der sogenannten Essigmutt«r bestehen. Man
spricht hier von Gärungen, weil das Erzeugnis sich massenhaft außer-
halb der Zellen anhäuft, es ist aber nicht verschieden von den in den
Zellen abgelagerten Stoffen.
Eine extrazelluläre Kondensation ist nach D u c 1 a u x in ge-
wisser Beziehung sehr bestechender Auffassung auch die Gerinnung
des Kaseins der Milch durch Labenzym, die ja von vielen Mikro-
organismen bewerkstelügt wird. Wahrscheinlich erfolgt aber auch
der intrazelluläre Aufbau des Eiweißes in ähnücher Weise durch Kon-
densation von Aminosäuren zu Polj^ptiden, Peptonen usw.
Der chemische Vorgang bei den genannten Kondensationen ist
noch nicht genügend aufgeklärt und erfolgt vielleicht auf verschiedene
Weise, d. h. entweder unter fortgesetzter Verkettung mit Wasser-
austritt nach Art der Trisaccharide und Polypeptide oder — wenigstens
teilweise — unter Atomverschiebungen und zyklischen Bindungen,
wie sie bei der Polvmerisation beobachtet werden.
Während die Reduktionen meist exotherm verlaufen, gehören
Kondensation und Anhydridbildung der Regel nach zu den endo-
thermen Vorgängen, doch wird nur wenig Wärme dabei gebunden.
§ 66. Synthesen. VIII. Teils den tiefen Spaltungen, teils den
Oxydationen entgegengesetzt durch die Natur der chemischen Vor-
gänge sind die eigentlichen Synthesen, die darum auch einen großen
Energieaufwand erfordern, also ebensoviel Wärme binden, wie jene
erzeugen. Dahin gehören außer dem Aufbau der Zellsubstanzen aus
den gewöhnlichen Nährstoffen auch die ohne Chlorophyll \md Licht-
wirkung zustande kommende Assimilation der Kohlensäure durch die
Nitrobakterien (H ü p p e und Heraus, Winogradsky), die
ähnlichen Leistungen gewisser Schwefelbakterien, die ebenso merk-
würdige Assimilation des atmosphärischen Stickstoffs durch die Bak-
terioden der WurzelknöUchen (Hellriegel), das Clostridium Pasto-
206 Kap. V, { 66 u. 67.
nanum Winogradskys, das Azotobakter chroococcum B e i -
jerincks u. a. Über die Wege, die dazu führen, ist man meist noch
ganz im miklaren, wenn es auch an Vermutungen darüber nicht fehlt.
Ebenso ist der Mechanismus der Synthesen noch unbekannt. Nach den
Fortschritten, die in der letzten Zeit die Kenntnis der Fermente bzw.
Enzyme gemacht, liegt es aber nahe genug, auch für den Aufbau des
Protoplasmas auf die Tätigkeit fermentativer Kräfte, vielleicht sogar
isolierbarer Enzyme, zurückzugreifen, Assimilation und Dissimilation
also auf einen ähnlichen Mechanismus zurückzuführen. Jedenfalls
wäre es sehr unvorsichtig, ohne weiteres diese Möglichkeit abzulehnen.
Man braucht nur daran zu erinnern, wie sehr sich diejenigen — und es
war sicher die große Mehrzahl der Gelehrten — getäuscht haben, die
noch vor 15 Jahren die Vorstellung für unannehmbar erklärten, daß
die Gärwirkimgen im Inneren des lebenden Zelleibes durch einen
besonderen, von der Zelle produzierten enzymartigen Stoff, der sich
nur wegen seiner großen Empfindlichkeit nicht isolieren ließe, vermittelt
würden. Wenige Jahre darauf hatten wir die Zjmiase der alkoholi-
schen Gärung und die Enzyme der Milchsäure- und Essiggärung in
Händen ! Und die Zukunft wird uns hoffentlich noch viele derartige
Überraschungen bringen. Wahrscheinlich hat das erwähnte Vorurteil
es nur zuwege gebracht, daß wir solange auf die Entdeckung der
Zymase haben warten müssen.
Natürlich wäre es nicht nötig, anzunehmen, daß die vermuteten
S)mthetischen Enzyme genau in der umgekehrten Richtung arbeiteten,
wie sich die Spaltungen und Oxydationen vollzögen, daß diese selbst
umkehrbare Prozesse darstellten, also z. B. die Synthese des Zuckers
sich durch Zusammentreten von Alkohol imd Kohlensäure vollziehen
könnte. Mißtrauisch müssen wir aber auch gegen die Versuche sein,
aus „theoretischen" Gründen allein die Möglichkeit ihrer enzyma-
tischen Entstehung zu bestreiten. Wir müssen wohl Geduld haben,
bis die Erfahrung auch in dieser Frage entscheidet und uns nicht auf
Definitionen der Enzyme, wie die 0 s t w a 1 d sehe, festlegen, die
sich später als unrichtig erweisen könnten (§ 239). Analogien mit
unorganischen Katalysatoren sind nicht maßgebend, die Fermente
der Zelle sind eben weit leistungsfähiger, wie uüas schon die bisher
bekannten Gärungsenzyme lehren. Die Hauptsache wird immer
bleiben, daß die zur Leistung der synthetischen Arbeit nötige Kraft
der Zelle geliefert wird, und dafür sorgen deren reichliche Wärme-
quellen, d. h. Oxydationen und Gärungen,
Vergegenwärtigt man sich im einzelnen den Gang der Synthesen,
die z. B. zum Aufbau des Eiweißmoleküls führen könnten, so sieht man
zunächst, daß bei den Mikroorganismen die Mannigfaltigkeit der Pro-
Stoffwechsel im allgemeineii. 207
zesae eine viel größere sein muß, als bei den Tieren und zum Teil noch
bei den Pflanzen: die Emährungsmögliclikeiten sind ja, wie wir im
Kap. III gesellen, viel umfassender: der nötige Stickstoff und Kohlen-
stoff kann in der verschiedensten Form geboten sein. Dementsprechend
müssen auch die synthetischen Prozesse wechseln. Nehmen wir an,
daß als einziger Nährstoff eine Aminosäure geliefert wäre, z. B. Alanin
(Äminopropionsäure), so würde die erste Aufgabe der SSelle darin be*
stehen, aus diesem Gnmdstoff alle übrigen Bestandteile des Eiweiß-
moleküls, die zahlreichen anderen Aminosäuren (Leuzin, Glykokoll,
Asparaginsäure, Tyrosin usw.) zu bilden — und zwar in dem rich-
tigen Verhältnis zu bilden, durch deren Verkettung die Polypeptide,
Peptone, Albumosen und schließlich die verschiedenen Eiweißkörper
des Protoplasmas zu erzeugen. Es handelt sich offenbar dabei nicht
nur um eigentliche Synthesen, sondern Hand in Hand gehen wohl damit
viele der früher besprochenen Stoffwechselprozesse, Oxydationen,
Reduktionen, Spaltungen usw. Daneben werden aber vielleicht noch
andere JStoffumwandlungen vorkommen, die wir bisher nicht erwähnt
haben, weil sie isoliert nicht beobachtet worden sind : So bilden manche
Bakterien aus einer Zuckerart, z. B. Glykose, arabischen Gunmii, in
dessen Molekül die Galaktosegruppe stark vertreten ist. Diese Syn-
these setzt also Atomverschiebungen voraus, wenn wir
nicht annehmen wollen, daß die Glykose zu dem Zweck erst tiefer
gespalten wird.
§ 67. Znsammenfassung. Aus unserer Darstellung folgt, daß
wir geneigt sind, nicht nur die oberflächlichen und tiefen Spaltungen,
die Oxydationen und Keduktionen, die Anhydridbildxmgen und Kon-
densationen, sondern ebenso auch die eigentlichen, unter starker
Wännebindung verlaufenden Sjnithesen auf Fermente zurückzuführen
und weiter die Vermutung auszusprechen, daß diese Fermente sich
auch, wenigstens begrifflich, von dem lebenden Protoplasma trennen
lassen, d. h. ungeformte Fermente oder Enzyme seien. Die heutige
Entwicklung der Enzjmiforschung spricht wenigstens nicht gegen diese
Ansicht. So kennen wir auch verschiedene, den einfachen (hydroly-
tischen) oder tieferen Spaltungen (Gärungen) und Oxydationen durch-
aus vergleichbare Vorgänge, bei denen es bisher noch nicht gelungen
ist, die Enzyme darzustellen, und bei denen wii sie trotzdem doch wohl
aus Gründen der Analogie annehmen dürfen. Beispielsweise sind weder
die Zymasen noch — meistenteils — die entsprechenden die alkoholische
Vergärung der Disaccharide durch Bakterien vorbereitenden hydro-
lytischen Enzyme dargestellt worden. Femer hat man, obwohl man die
spaltende Wirkung der Hefe für Leuzin imd andere Aminosäuren
(unter Bildung von Fuselölen) kennt, weder im Hefepreßsaft noch in
208 Kap. V, § 67.
der Azetondauerhefe das betreffende Enzym nachweisen können. Wir
schließen daraus nur, daß sich der Darstellung vorläufig unüberwind-
liche Schwierigkeiten entgegenstellen, nicht aber, daß die £nz3nne
nicht gebildet werden, und denken, daß es sich ebenso mit den von
uns vorausgesetzten oxydierenden imd sjmthetischen Enzymen ver-
halten könnte. Im übrigen macht es unseres Erachtens wenig Unter-
schied, ob wir für die Stoffwechselvorgänge, das Vorhandensein von
Enz)anen oder das von „geformten Fermenten" verantwortlich machen.
Denn ob man die letzteren, wie man es früher liebte, als besondere,
nur dem lebenden Protoplasma eigentümliche Kräfte bezeichnet oder
ob man diese Kräfte, wie wir es vorziehen würden, in bestimmten, von
dem Protoplasma ohne Zerstörung nicht trennbaren fermentartigen
Seitenketten sucht, ist wohl ziemlich gleichgültig. Auf andere „theore-
tische" Gründe gegen die Ausdehnung der Enzymtheorie auf die
Sjmthesen geben wir, wie gesagt (§ 66), nicht viel.
Aus unserer Darstellung würde folgen, daß dasProtoplasma
der Kleinwesen — ebenso natürlich das der höheren
Zellen — durch die Ausstattung mit Fermenten
bzw. Enzymen zu seinen so verschiedenartigen
S to f f we chs e 1 1 ei s t u n ge n in den Stand gesetzt wird.
Ihre Zahl ist sehr erheblich. So rechnen wir allein bei der Hefe schon
jetzt einige Dutzend heraus (§ 89 u. 90). Ein Teil derselben scheint
freilich nur spurenweise zur Wirkung zu gelangen, z. B. das Enzym
der anaeroben Essigsäure- und Milchsäuregärung, während andere, wie
Invertin, Maltase, Zymase offenbar besonders mächtig entwickelt sind.
Einmal dieser Umstand, andererseits die Tatsache, daß die Stoffwechsel-
leistungen vieler anderer Kleinwesen wieder nach anderer Richtung
hin hervorragen — man denke z. B. an die zahlreichen Zersetzungen
der Kohlenhydrate, die Milchsäure-, (anaerobe) Essigsäure-, Butter-
säure-, Butylalkohol-, Sumpfgas-, Zitronensäure-, Oxalsäure-, Mannit-
und Schleimgärung, die wohl sämtlich durch besondere Enzyme her-
vorgerufen werden — lassen darauf schließen, daß zwar die An-
lagen zu e n z y m a t i s c h e n Leistungen im allge-
meinen in den Mikroben weit verbreitet vorkom-
men, daß aber in jeder Art nur einzelne Leistungen
gewissermaßen zu Spezialitäten ausgebildet werden.
Die Mannigfaltigkeit der Enzyme in jeder Zelle würde es mit sich
bringen, daß sie sich oder ihre Wirkungen gegenseitig schädigten,
wenn sie nicht vor Berührung geschützt würden. Das ist z. B.
nachgewiesen für die Zymase, die im Hefepreßsaft durch die
Endotrj^tase zerstört wird. Offenbar bestehen im lebenden Proto-
plasma Isolierungseinrichtungen. Man könnte ähnlich wie Hof-
Stoffwechsel im allgemeinen. 209
m e i s t e r ^) die Zellen etwa als eine chemische Fabrik sich
vorstellen, die aus einzelnen Laboratorien mit streng durchge-
führter Arbeitsteilung bestände. Die Wände derselben würden
\ielleicht durch kolloide (hpoide?) Stoffe gebildet, an denen die
Zelle 80 reich ist. Sobald wir allerdings versuchen, uns das Bild
weiter auszumalen, geraten wir in Schwierigkeiten. So verträgt
sich schon die Tatsache, daß so häufig durch die Selbstverdauung
der ganze Verband der Sicllen aufgehoben wird, schwer mit der An«
nähme einer ausreichenden Isolierung der Enzvme. Genügt doch
schon die Ausschaltung der Lebenstätigkeit, d. h. in diesem Falle
wohl der aufbauenden Fermente, z. B. durch schwache Antiseptika,
um das oder die Verdauungsenzyme frei zu machen (§ 9). Auf der
anderen Seite darf die Isolierung der Fermente nicht so weit gehen,
daß das Ineinandergreifen der einzelnen Stoffwechselvorgänge ver-
hindert wird. Wahrscheinlich bestehen also nicht nur einfache mecha*
nische Hindernisse, sondern verwickelte Einrichtungen, imd zwar
hemmende^), die die ordnungsmäßige '^ Einzelarbeit der Enzyme
ermöglichen, und wider andere, die ihr zweckmäßiges Zusammen-
wirken in den Zellen gewährleisten.
§68. (Fortsetzung) Gegenstoffe, Hilfsstoffe der Klein-
wesen. Die Enzymtheorie hat so deutliche Vorzüge vor den früheren
unklaren Vorstellungen über die „Protoplasmatätigkeit" im Stoff-
wechsel, daß man deswegen mit ihr ganz zufrieden sein könnte. Immer-
hin dürfen wir uns nicht der Täuschung hingeben, daß wir durch sie
das Lebensrätsel erklären. Wir schieben nur die Grenzen unserer
Kenntnisse um einige Schritte weiter vor, bleiben aber nach wie vor
über das, was jenseits der Grenze liegt, im Dunkeln. So wird uns schon
die Freude an den Enzjrmen sehr beeinträchtigt durch unsere fast
völlige Unkenntnis ihrer chemischen Natur, Wir-
kungs- und Entstehungsweise. Dieser Mangel gilt in
ziemlich gleicher Weise für andere in den letzten Jahrzehnten ebenso
oft genannte und studierte Bestandteile der Kleinwesen, ihre Eigen-
gifte, Angriffs- und Impfstoffe, die wir hier als Antigene oder ,, Gegen-
stoffe" zusammenfassen wollen. Mit den Enzymen haben sie außer
den genannten leider negativen Eigenschaften erstens gemeinsam, daß
sie für bestimmte biochemische Leistungen verantwortlich sind. Und
zwar kann man diese Leistungen zum Teil wie die der Enzyme als
1) Die chemische Organisation der Zelle, 1901.
2) Vgl. die von I w a n o f f gefundenen, die Selbstverdauung der
Hefe hemmenden Körper (§ 92). Über die vermeintlichen Antifermente
der Bakterien vgl. § 10.
Kr Die, Mikrobiologie. , 14
210 Kap. V, ! 68.
Auslösungen, Anregungen chemischer Vorgänge,
zum Teil als Hemmungen von solchen bezeichnen. Im Stoff-
wechsel der Mikroben sind ihre Wirkungen zweischneidiger Natur,
nämlich günstige, insofern sie das Leben der Mikroben vor Gefährdung
von außen schützen, ungünstige aber, indem sie umgekehrt die Ge-
fahren von außen heranziehen. VerständUcher wird uns das erst,
wenn wir eine weitere, mindestens ebenso wichtige Leistung der ver-
schiedenen Arten von Antigenen, die sie ebenfalls mit den Enzymen,
mindestens mit vielen von ihnen gemein haben (§ 249), ihre Fähigkeit,
Tiere zu immunisieren, spezifische Immunkörper (Antikörper, Gegen-
körper) in ihnen zu erzeugen, ins Auge fassen. Die giftigen Antigene
sind außerdem wegen der Krankheitserscheinungen, die sie im Tiere
hervorrufen, für die Pathologie von großer Bedeutung, haben aber nach
imserer Auffassung (§ 51) für das Leben der Mikroben, die sie erzeugen,
keinen Wert^). Hier, wo wir es nur mit dem Stoffwechsel der Mikroben
selbst zu tun haben, interessiert uns ihre Giftwirkung überhaupt nicht
und das Immunisierungsvermögen der Gifte, Angriffsstoffe, sonstigen
Impfstoffe und Enzyme nur deswegen, weil es uns nach der Ehr-
lich sehen Seitenkettentheorie einen gewissen Einblick eröffnet in
den chemischen Bau dieser Stoffe, und Ehrlich diese Theorie auch
benutzt hat, um daran Vorstellungen über den Bau des Protoplasmas
und die Assimilation zu knüpfen^). Die Antigene sind, wie Ehrlich
es nennt, mit bindenden („haptophoren") Gruppen ausgestattete
Seitenketten des Protoplasmas der Mikroben, die dadurch, daß sie
von den Mikroben losgelöst und Tieren einverleibt in entsprechende
Seitenketten („Rezeptoren'*) der tierischen Zellen eingreifen, diese aus
dem Betrieb ausschalten und hierdurch mittelbar ihren Ersatz, ja ihre
überreichliche Neubildung anregen. In das Blut abgestoßen stellen
die tierischen Rezeptoren dann das vor, was wir Anti- oder Immun-
körper oder auch Schutzstoffe nennen. Mit ihnen treten die Antigene,
oder wie wir sie auch nennen können, solange sie an ihren Erzeugern,
haften, die Rezeptoren derMikroben, wieder in Wechselwirkimg, indem
sie sie ihrerseits an die Leiber der Mikroben ketten und dadurch ent-
weder deren Vernichtung (durch Bakteriolyse, Bakterizidie, opsonische
Beeinflussung und Freßtätigkeit) vermitteln oder sie als sogenannte
Angriffsstoffe von den Leibern der Mikroben ablenken, deren Über-
leben imd Wachstum ermöglichen. Wirken die Antikörper längere Zeit
oder wiederholentlich — im Reagensglas oder im Tierkörper — auf die
1 ) Von den Eigengiften und Reizstoffen, die nicht immunisieren
(s. u. S. 213), wird im folgenden zunächst abgesehen.
2) Vgl. Lit. dcffüber § 329, namentlich Münch. med. Wochenschr.
1909, 5. Zur Teleologie der Immunität vgl. S. 176, § 331 u. 334.
Stoffwechsel im allgemeinen. 211
Mikroben, so können die letzteren unter Hyperplasie ihrer Rezeptoren
(oder vielleicht auch umgekehrt unter Atrophie derselben, d. h. Rezep-
toienschwund), ihre Widerstandsfähigkeit gegen die spezifischen Serum-
wiikungen verändern, sich gegen sie immunisieren, sich ihnen an-
passen. Wir haben diese Theorie, die zunächst nur aufgestellt war,
um die Vergiftungs- und Immunisierungserscheinungen im Tier zu er-
klären, in diesem Bande, bei Besprechung der Virulenz der Kleinwesen,
ihrer Anpassungsfähigkeit an die Widerstandskräfte der Tiere genauer
behandelt {§ 327 — 330). Ehrlich ist aber von Anfang an noch
weiter gegangen und hat die Rezeptoren ganz allgemein mit der Er-
nähnmg, und zwar in erster Linie mit der Assimilation der Eiweiß-
körper in Verbindung gebracht. Unter diesen „Nutrirezeptoren" soll
es noch andere geben, die einfache Nährstoffe, wie Fette und Zucker-
arten binden, ferner solche, die, ähnlich dem Hämoglobin, die Sauer-
stoffaufnahme bewirken. Den Nutrirezeptoren, die der Assimilation
dienen, ständen dann noch „Chemorezeptoren" zur Seite, die es ermög-
lichen, daß Arzneistoffe in den Zellen zur Wirksamkeit gelangen. Wir
haben früher {§ 57) davon gesprochen.
So sehr diese Annahmen Ehrlichs geeignet sind, uns die Tat-
sachen der Empfänglichkeit und Widerstandsfähigkeit der höheren
nndniederenWesen gegen spezifische Gifte und Arzneistoffe und nament-
lich die Erscheinungen der „Tmmunitäf zu erklären, so zweifelhaft
ist die Ubertragbarkeit derselben Vorstellungen auf die Ernährungs-
lehre. Daß das Protoplasma für Nährstoffe gewisse Verwandtschaften
hat, ist zuzugeben. Wir selbst nehmen ja an, daß bei den einfachen
und verwickelten Synthesen unter dem Einfluß der Fer-
mente eine- Angliederung der Nährstoffe an die das Protoplasma
zusammensetzenden Stoffe erfolgt und könnten uns ganz gut denken,
daß auch die Nährstoffe, die der Dissimilation verfallen, eine Zeitlang,
d. h. solange sie unter der Einwirkung der Fermente stehen, eben
durch die Vermittlung der letzteren, in eine ähn-
liche, aber lockere Verbindung mit dem Protoplasma treten. Denn
einerseits scheinen ja die — mindestens intrazellulären — Fermente
echte, wenn auch mehr oder weniger fest gebundenen Protoplasma-
bestandteile (Seitenketten), andererseits Bedingung für jede Ferment-
wirkung eine vorübergehende Verbindung zwischen der zur fermen-
tierenden Substanz und dem Ferment selbst zu sein. Ganz in der
Luft schwebt aber die Voraussetzung Ehrlichs, daß es dieselben
spezifischen bindenden Gruppen^) seien, die Eiweißstoffe assimilieren
1) Ebensowenig ist es bewiesen oder wahrscheinlich, daß die Enzyme
durch die gleichen bindenden Gruppen, mit Hilfe derer sie Antienzyme er-
14*
212 Kap. V, § 68.
und Antigene bzw. Immunkörper binden. Vielmehr ist wohl wahrschein-
lich, daß sich die Eiweißmoleküle in ähnlicher Weise, d. h. durch be-
kannte, nichtspezifische Bindegruppen miteinander verketten, wie
die Aminosäuren zu Polypeptiden, Peptonen usw., die Hexosen zu
Di-, Tri- imd Polysacchariden. Auch die von Ehrlich neuerdings
in Gemeinschaft mit Bohl und Gulbranson gefundene Tat-
sache, daß Trypanosomen gegen zwei verschiedene Sera widerstands-
fähig sein können, daß aber die Behandlimg mit beiden Seren zusammen
ihr Wachstumsvermögen im Tiere aufhebt, braucht nicht so gedeutet
zu werden, daß erst die beiden Antikörper die sämtlichen Nutri-
rezeptoren „besetzen'' und dadurch für die Assimilation imtauglicii
machen, also als „Atrepsine'' wirkten, sondern kann in der bisher
üblichen Weise durch Schädigung des Protoplasmas (Giftwirkung,
Trypanolyse oder Trypanozidie) erklärt werden, wenn auch die Schädi-
gung in diesem Falle keine so plötzliche, d. h. kräftige ist, wie sonst.
Neu ist hier nur, daß erst die gemeinsame Tätigkeit zweier Seren die
Wirkung auslösen soll. Wie die Giftwirkang der antiinfektiösen Seren
bzw. Abwehrstoffe (Alexine) eigentlich zustande kommt, ist uns aller-
dings ja bisher noch ein Rätsel, obwohl wir wissen, daß die wirksamen
Stoffe sich an den Mikrobenkörper binden, daß sie ferner einen (ferment-
artigen?) Bestandteil, das Komplement, enthalten und obwohl wir
für viele Fälle das morphologische Endergebnis der Vergiftung, die
Bakteriolyse (§11) kennen. Die von Ehrlich entdeckte Tatsache
gestattet es noch nicht, das Rätsel für gelöst zu halten und darauf so
weitgehende Schlüsse zu gründen, wie dieser Forscher es tut. Bevor
dieser Befund gemacht worden war, berief sich Ehrlich für seine
Auffassung von der Bedeutung der Rezeptoren für die Ernährung
eigentlich nur auf zwei Umstände: erstens darauf, daß die so mannig-
faltigen Rezeptoren des tierischen Körpers doch eine Bedeutung im
gew^öhnlichen Stoffwechsel haben müßten, zweitens darauf, daß genuine
Eiweißkörper allerart, nicht bloß Bakterien usw. im Tierkörper selbst
Antigene seien, d.h. (präzipitierende und komplementbindende) Immun-
körper erzeugten. Der erste Grund ist selbstverständlich ungenügend,
da wir viele Einrichtungen im Tierkörper noch nicht deuten können,
und außerdem die Möglichkeit vorliegt, den Rezeptorenreichtum des
Tierkörpers für eine — im wesentlichen — zweckmäßige Schutzvor-
richtung zur Beseitigung von Fremdstoffen zu halten. Der zweite
Grund ist ebensowenig stichhaltig, denn es ist immer noch eine offene
Frage, ob die Antigene selbst Eiweißkörper sind, und ob sie, selbst
zeugen oder binden, ihre (vorübergehende) Bindung an die Nährstoffe
vollziehen (§ 249).
Stoffwechsel im allgeineinen. 213
wenn man ihre Eiweißnatur anerkennen wollte, nicht doch nur quan-
titativ wenig bedeutungsvolle Begleitstoffe —
wenn man will Seitenketten — gewöhnlicher, nicht antigener Eiweiß-
körper sind. Außerdem ist festgestellt, daß die antigene Eigenschaft
der genannten Eiweißkörper im Darmkanal der Tiere fast völlig ver-
loren geht, daß ihre spezifischen Bindegruppen alßo für die Assimila-
tion gar nicht oder höchstens in geringstem Umfange in Betracht
kommen. Ob das bei der Assimilation der Eiweißstoffe durch die
Mikroorganismen sich ebenso verhält, wissen wir nicht, bekannt ist
aber, daß denaturierte Eiweißstoffe, die nicht mehr antigen wirken,
für die Ernährung der Klein wesen mindestens ebenso, wenn nicht besser,
geeignet zu sein pflegen, wie die genuinen.
Hat somit die Ehrlich sehe Assimilationstheorie für uns nichts
Cberzeugendes, so erfahren wir durch die Seitenkettentheorie auch
nichts über den Mechanismus der Bildung imd Neubildung der Rezep-
toren im Tiere und der Antigene im Mikroben. Ehrlich behilft
sich damit, von „Regeneration" im Überschuß zu sprechen, andere
stellen diesen Vorgang der „Sekretion" an die Seite. Das sind aber nur
andere Ausdrücke für denselben, auch von ims oben im Unklaren ge-
lassenen Prozeß der Neubildung.
Im vorstehenden haben wir abgesehen von den nicht immuni-
sierenden Eigengiften (Kap, XVI) und Reizstoffen (§ 53 u. 331) der
Mikroben, ebenso von den Selbstgiften (§ 47 u. 48) und giftneutrali-
sierenden Stoffen (§ 57), den Färb- (§ 253) und Leuchtstoffen (§ 238),
deren chemischer Bau und Bildungsweise ebenfalls unbekannt ist,
und bei denen wir zwar wenigstens zum Teil auch Bindegruppen vor-
aussetzen dürfen, aber doch nicht solche, die imstande sind, Inmiun-
korperbildung anzuregen. Wir könnten sie mit den Enz3mien und
Antigenen als „Hilfestoffe" zusammenfassen. In ihrer äußeren Wir-
kung sind ihnen zum Teil gleichwertig die „Stoffwechselgifte" (§ 48,
u. 258 ff.) und manche Farbstoffe, sowie die Riechstoffe (§ 90, 153 ff.,
173), deren chemische Natur und deren Entstehung im Stoffwechsel
wir aber mehr oder weniger gut kennen. Daß diese Hilfestoffe immer
eine zweckmäßige Rolle im Leben der Mikroben spielen, soll übrigens
durch den Namen nicht ausgedrückt sein. In den einzelnen Abschnitten
gehen wir auf ihre vielfach noch zweifelhafte Bedeutxmg näher ein.
Kapitel VI.
Umwandlungen der Kohlenhydrate im Stoffwechsel.
§ 69. Verzuckerung der Stärke. Diastase. Die Kohlen-
hydrate sind nach Menge und Verbreitung die wichtigsten Nahrungsstoffe,
weil der größte Teil der Pflanzen aus ihnen besteht. Ihre Bedeutung
für die Ernährung ist femer sehr groß, weil sie vorzüglich geeignet
sind, das Kohlenstoffbedürfnis fast aller Mikroorganismen zu be-
friedigen (§ 33), und zwar ebensowohl als Bau- wie als Betriebsstoffe
(§ 35). Wir behandeln ihre Umwandlungen im Stoffwechsel aber auch
deswegen an erster Stelle, weil sie außerordentlich mannigfaltig sind,
und, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, ausgezeichnete Bei-
spiele abgeben für die verschiedenen Arten von Stoffwechselvorgängen.
Nacheinander werden wir besprechen die Verflüssigungen und Hydro-
lysen, Spaltungen, Oxydationen, Reduktionen, Anhydridbildungen
und Kondensationen und schließlich die Synthesen, denen die Kohle-
hydrate unter dem Einfluß der Mikroorganismen unterliegen.
Nachdem Kirchhoff 1811 gefunden hatte, daß Stärke
durch Kochen in verdünnten Säuren in Dextrin und weiter in Trauben-
zucker übergeführt wird, und derselbe Autor 1815 beobachtet hatte,
daß Gerstenmalz, also ein Pflanzenstoff, eine ähnliche Wirkung aus-
übte, gelang es P a y e n und P e r s o z ^) im Jahre 1833 zuerst aus
dem Malz die wirksame Substanz, die „Diastase" durch Fällung mit
Alkohol darzustellen. Die erste organische Kontaktsubstanz, das erste
Enzym, war damit gefunden. Bei Pflanzen und Tieren sind diastatische
Wirkungen allgemein verbreitet, bei Mikroorganismen wurden sie
zuerst von N ä g e 1 i 2) an nicht näher bezeichneten Bakterien, bei
Marcano^) an Bakterien, die auf der Hülle der Maiskeime vor-
kommen, von Wortmann*) an Fäulnisbakterien, von H ü p p e ^)
1) Ann. de chim. et phys. 8. s^r. 53.
2) Die niederen Pilze 1877, 12.
3) Compt. rend. ac. sc. 95.
4) Zeitschr. physiol. Chem. 6, 287.
5) Mitt. Gesundheitsamt 2. 342 und 367, 1884.
Wandlungen der Kohlenhydrate.
215
an HilchBaurebazillen (B. aerogenes) und Eartoffelbazillen, von Mil-
ler*) an Darmbakterien, von Bitter*) an Choleraspirillen nach-
gewiesen. M a r c a n o erhielt dieselbe Wirkung bei Kulturen, die er
daich Filtration oder Chloroformzusatz von den lebenden Bakterien
befreit hatte, Wortmajin stellte das Enzym durch Extraktion der
Bakt^rienmassen und Fällung mit Alkohol dar. Die umfangreichen
Arbeiten von F e r m i ^) , die wir noch öfter zu zitieren haben werden,
führten zu folgenden Resultaten:
Diastatische Fermente werden
fi
»»
»»
gebildet von
Bac. anthra'cis f
ramosuB f
Fitz t
subtilis t
megatherium t
Photobacterium f
Spir. cholerae f
Finkler-Priorf
Miller f
Dene k e f
Micr. tetragenuB t
t, mastitidis bovis f
Actinomycas bovis f
alba t
violacea f
albido-
f lava t
nigra t
»»
>t
»»
»
>>
f*
»»
>»
•»
tt
f»
nicht gebildet von
Bac. cuniculicide ?
Zopfii ?
typhi?
diphtheriae ?
phospore^cens ?
pyocyäneus ?
prodigiosus
viscosus
der Frettchenseuche
der Schweineseuche
cavicida
cyanogenus
der Milchsäure
Spir. Metschnikoffi
Micrococc. ascoformans
Staphyl. pyog. citreus
Streptothrix camea
Rosahefe
Soorhefe
Oidium lactis
9»
>»
»
»f
99
»»
»f
»>
>»
»>
»»
99
Bac. coli
aeeticus
pneumoniae
violaceus
mallei
der „gelben Milch"
Staphyl. oereus
,f flavus
MRote" Hefe
„Weiße" Hefe
Trichophyton tonsurans
In dieser Tabelle bedeutet ein t> ^^^ eine starke Reaktion erhalten
wurde, ein ?, daß die Reaktion zweifelhaft war, gesperrter Druck, daß
das Enzym aus der verflüssigten Gelatinekultur — nckch Beseitigung der
Gelatine durch verdünnten Alkohol — durch Fälliing mittelst absoluten
Stärke wird unt. Säure-
bildung zersetzt von
Bac. Fitz, t
megatherium f
violaceus f
phosphoresc. f
pneumoniae f
cavicida t
des Schweinerot-
laufs t
d. Milchsäure f
Spir. Metschnikoffi t
„ Miller t
Bac. cyanogenus
viscosus
d. Frettchen-
seuche
Spir. cholerae
Finkler-Prior
Deneke
Microc. tetragenus
Oidium lactis
y»
»f
9t
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>»
>»
»f
»»
>»
1) Deutsche med. Wochenschr. 1885, 49.
2) Arch. Hyg. 5.
3) Arch. Hyg. 10 und Zentr. Bakt. 12. 20, 1892.
216 Kap. V. § 69.
Alkohols dargestellt werden konnte. Im allgemeinen wurde das Vorhanden-
sein diastatischer Wirkungen dadurch nachgewiesen, daß einige Tropfen
von Bouillon-, Gelatine- oder Blutserumkulturen zu 4 com sterilisiertem
Stärkekleisters luid 6 ccm Thymolwasser gegeben und die Mischungen
nach 48 Stunden mit Fehlingscher Flüssigkeit auf Zucker geprüft wurden.
Aus den Experimenten folgt (Spalte 1 der Übersicht), daß D i a -
stase von vielen Mikroorganismen auch auf stärke-
freien Nährböden gebildet wird. Doch muß ihnen
stets irgend ein Eiweißstoff als Nahrung geboten
werden; auf Nährlösungen mit Asparagin oder Ammonsalzen er-
zeugte keine einzige Art eine Spur von diastatischem Enzym.
Nahm F e r m i die Bakterienkörper allein zu den Versuchen, so
fielen die Proben sämtlich negativ aus, das Enzym scheint also in den
Nährboden gelöst überzugehen, in den Leibern aber in nachweisbarer
Menge, bzw. in freiem Zustande, nicht vorhanden zu sein. Daneben
wurde noch festgestellt, wie sich die lebenden Mikroorganismen
auf stärkehaltigem Nährboden (Kartoffelbrei) verhielten. Das Er-
gebnis (Spalte 3 der Übersicht) war auch hier kein anderes, nur trat
häufig noch neben der Zuckerreaktion Säure auf, was sich wohl durch
weitere Veränderungen des Zuckers (saure Gärungen, vgl.§ 97 ff.) erklärt,
nicht selten wurde freilich bei Mikroorganismen, die keine Diastase
abscheiden, doch Säure gefunden. Die Erklärung dafür steht noch
aus. Es wäre aber denkbar, daß in solchen Fällen
die Säure unmittelbar, d. h. ohne vorhergehende
h'ydroly tische Spaltung, aus der Stärke gebildet
würde.
Die Bildungsbedingungen der Diastasen der Mikroorganismen
haben sonst noch Wortmann, Katz^) und Went *) studiert.
Wortmann kam an seinem allerdings nicht einwandfreien Material,
das aus einem Bakteriengemisch bestand, zu dem Schluß, daß die
Diastase nur gebildet würde bei Gegenwart freien Sauerstoffs und nur
dann, wenn den Bakterien keine andere Kohlenstoffquelle außer der
Stärke zu Gebote stände. Allgemeingültig sind beide Sätze jedenfalJß
nicht. Fermi hat, wie bemerkt, den zweiten Satz widerlegt, später auch
Katz und Went. Perdrix^) und Botkin*) züchteten femer Rein-
kulturen von anaeroben Bazillen, die sehr kräftige diastatische Fer-
mente bildeten. Nach A c h a 1 m e ^), der die Anaeroben einem vergleichen-
1) Jahrb. wiss. Bot. 31, 1898.
2) Ebenda 36» 1901.
3) Annal. Pasteur 1891.
4) Zeitschr. f. Hyg. 11.
5) Annal. Pasteur 1902.
Wandlungen der Kohlenhydrate.
217
den Studium unterworfen hat, verhielten sich noch einige andere
Arten ähnlich, so daß man folgende Tabelle aufstellen kann (vgl. § 113).
Von den Anaeroben greifen
die Starke an
B. amyloEyxna (Perdrix)
B. butyricus (Botkin u. a.)
B. des Gelenkrheumatismus
(Achalme)
B. enteritidis spörogenes (E. Klein)
B. perfringens (Veillon und Zuber)
B. orthobutylicus (Grimbert)
nicht an
B. des Rauschbrands
B. dea malignen Ödems
B. botulinus
B. tetani
B. putrificus coli
B. Legros
B. emphysematosus ( ? ).
Trotzdem also den Beobachtungen Wortmanns eine Allgemein-
gültigkeit sicherlich nicht zukommt, hat die Arbeit von K a t z (s. o.)
gezeigt, daß in der Tat bei einigen Mikroorganismen (PenicilUum
glancum und Bac. megatherium) die Bildung der Diastase
sehr erheblich beeinträchtigt wird durch die An-
wesenheit von Zucker, Glyzerin, Weinsäure usw.
im Nährboden. Doch müssen diese Stoffe in nicht zu geringer Kon-
zentration geboten weiden (1,5 — 3%). Die Diastase von Aspergillus
niger wird dagegen kaum beeinflußt.
Die wenigen anderen Forscher, die sich sonst mit der Diastase-
produktion der Bakterien beschäftigten, kamen zu ziemlich ähnlichen
Ergebnissen wie Fermi. Eijkman^) hatte bei Benutzung von
Nähragarplatten, dem er Reisstärke beigemischt hatte, folgende
Ergebnisse:
kräftige Wirkungen mittlere Wirkungen
Bac. anthracis
„ m^atherium
,. subtilis
Spir. cholerae
., Hetschnikoffi ( !)
\iele Schimmelpilze
Bac. diphtheriae
„ dysenteriae
„ ruber
keine Wirkungen
Bac. typhi
coli
mallei
pertis
pyocyaneus
prodigiosus
indicus
cyanogenus
fluorescens liquef acieus
mesentericus ( !)
Staphyl. pyogenes
Wesentliche Unterschiede gegenüber den früheren Untersuchungen
ergaben sich also nur bei dem Bac. mesentericus (Eartoffelbazillus),
der merkwürdigerweise nach E i j k m a n keine Diastase bildet und
beim Spirillum Metschnikoffi.
Die kräftigen diastatischen Wirkungen vieler Schimmel-
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1) Zentr. Bakt. 29. 22.
218 Kap. VI, ! 69.
pilze wurden aucli sonst noch, z. B. für Aspergillus, Hucor und
Penicillium beobachtet (G a y o n und Dubourg^), Bourque-
lot^), Katz (s. o.)); bei den Pilzen der sogenannten japanischen,
chinesischen und javanischen „Hefe'' ist sie so energisch, daß sie bei
der Herstelliing des Reisweins (oder besser -Punsches, S a k 6) , der
Sojabohnensauce (Soja) und des Sojabreis (Miso) usw. (vgl. § 96)
technisch ausgenutzt wird zur Verzuckerung der Starke (Aspergillus
oryzae und Wentii, Mucor Rouxii und javanicus ^)).
Die Hefepilze haben umgekehrt so gut wie gar keine dia-
statischen Kräfte. Die „rote'' . und „weiße" Hefe F e r m i s bilden
Ausnahmen^).
Ob die Mikroorganismen, die keine freie Diastase absondern,
nicht doch in ihren Zellen ähnliche Fermente enthalten, darüber fehlen
Angaben. Die Untersuchung der „Preßsäfte" (vgl. Zymase) köimte
darüber Auskunft geben. Mindestens sollte man doch bei allen Mikro-
ben, die Stärke aufspeichern (§ 27), auch diastatische Enzyme in ihrem
Leibe voraussetzen.
Über die Erzeugnisse der diastatischen Fer-
mente geben ims bisher fast nur die Untersuchungen Au&chluJS,
die mit der Diastase des Malzes vorgenommen worden sind, sie können
deshalb nur mit einigem Vorbehalt auf die Mikroorganismen über-
tragen werden. Einstimmigkeit herrscht darüber,
daß bei der diastatischen Spaltung der Stärke
einerseits Dextrin, andererseits Maltose ent-
steht, d. h. ein gut lösliches Polysaccharid, das sich von der Stärke
(CgHjLQOß)^^ wohl nur durch eine geringere Anzahl (n) Gruppen
CßHjQOg im Molekül unterscheidet und ein Disaccharid (Hexobiose =
C12H22O11), das durch weitere Verflüssigung und Aufnahme von Wasser
(Hydrolyse) daraus entstanden ist (§ 60). Daneben tritt nach
E. Fischer und Lintner stets noch ein zweites Disaccharid, die
Isomaltose auf, was allerdings von Brown imd Morris sowie
von Pottevin^) bestritten wird. Glykose mrd dagegen nur ge-
funden, wenn neben der Diastase ein maltosespaltendes Enzym, die
1) Aiinal. Pasteur 1887.
2) Kochs Jahresber. 1893, 276.
3) Calmette, Annal. Pasteur 1892; W e h m e r, Zentr. Bakt.,
2. Abt. 1 u. 2, 6 und 7; Kozai, ebenda 6; Kellner, Chem. Zeitg. 1895.
97; Prinsen- G e e r 1 i c hs, ebenda 1896. 97; vgl. auch in Lafars Handb.
4. 260 und 5. 245.
4) Die Angabe von Oppenheimer (Fermente 2. Aufl. 222),
Hefeninfuse enthielten diastatische Fermente, erklärt sich vielleicht aus
Verunreinigungen oder aus der Verwechselung mit der Dextrinase, 8, u. § 70.
5) Annal. Pasteur 1899. 796.
Wcmdlungen der Kohlenhydrate. 219
Maltase (auch „Glukase'^ genannt) im Malze vorkommt, wie es beim
Maismak der Fall ist (vgl. § 79). Die Hauptschwierigkeit für die klare
Auffassung der diastatischen Wirkung besteht darin, daß Dextrin
kein scharf bestimmter Körper ist, wie die Maltose, sondern ein Über-
gangsprodukt von der Starke zur Maltose, an dem man, je nach dem
Stadium, in dem man es zu fassen bekommt, verschiedene Eigen-
schaften beobachtet.
Die am stärksten kondensierte Substanz ist die rohe Stärke. Sie
wird von der Diastase sehr viel schwerer und linvollständiger angegriffen
als die gequollene Stärke (Stärkekleister), die aus ihr beim Erwärmen
mit Wasser entsteht. Nach Maquenne^) liegt das aber nur an ihrer
physikalischen Struktur: wenn sie sehr fein zerrieben wird, verhält sie sich
ähnlich der erhitzten Stärke. Der Stärkekleister lost sich zum größten
Teil in Wasser und kann daraus durch Alkohol niedergeschlagen werden
(Granulöse, lösliche Stärke, Amylodextrin), der unlösliche Teil gibt die
Reaktion der Zellulose (Stärkezellulose). Aus der Grcuiulose gehen dann
durch eine allmähliche weitere Verflüssigung (Depolymerisierung) des
Moleküls die Dextrine hervor, zuerst die Erythrodextrine, die noch eine
Jodreaktion geben, wie die Stärke selbst, aber sich nicht blau, sondern
violett bis rot färben, dann bei weiterem Fortschritt des Prozesses dio
Achroodextrine, die überhaupt nicht mehr auf Jod reagieren. Bis hier-
her bedingte der Prozeß wesentlich physikalische Veränderungen, jetzt
greift die Hydrolyse ein und bildet Maltose aus dem Dextrin. Man
könnte sich denken, daß der erstere Vorgang auf ein
besonderes Teilenzym der Diastase, die „A m y 1 a s e*^
der zweite auf ein anderes, die „D extrinas e**, zurück-
zuführen wäre. Beide wären im Malz enthalten und wirkten bis
zum Ende zusammen. Da die Stärkekömer verschiedene Größe und Resi-
stenz haben, entsteht das Dextrin erst allmählich, und ebenso schrittweise
wird das gebildete Dextrin zu Maltose hydrolysiert. So kommt es, daß vom
Beginn des Prozesses an Maltose nachweisbar ist. Man sollte annehmen,
daß diese Menge beständig zunehmen müsse. Das ist aber nur bis zu einem
gewissen Punkte der Fall. Allerdings wird sämtliche lösliche Stärke in
Dextrin verwandelt, aber nur etwa zwei Drittel des Dextrins in Maltose
und zwar je nach der Temperatur der Reaktion bald mehr bald weniger.
Die Dextrinase ist, wie manche anderen Enzyme, nicht imstande, die Hydro-
lyse bis zu Ende zu führen, sondern ihre Wirksamkeit hört bei einem be-
stimmten Verhältnis des Produktes zu dem Ausgangsstoff auf. Wird also
neue Stärke zugefügt, so wird auch diese wieder zum größten Teil ver-
zuckert. Der hier entwickelten Theorie, die auf Pottevins Forschungen
aufgebaut ist, für deren Einzelheiten aber auf D u c 1 a u x ' Darstellung')
verwiesen werden muß, stehen eine ganze Anzahl anderer gegenüber.
Auch Wijsmann') nimmt nach dem Vorgange von Dubrunfaut
und Cuisinier in der Diastase zwei Enzyme an: die „Maltese"' soll
Erythrogranulose (Erythrodextrin) neben Maltose erzeugen und auch das
1) Compt. rend. as. sc. 138. 375.
2) Mikrobiol. 2. 391 ff.
3) Kochs Jahresber. 1890, 155.
220 Kap. VI, § 69.
Maltodextrin in Maltose verwandeln, die „Dextrinaee** spaltet die Stärke
und die Erythrogranulose in Maltodextrin (Isomaltose) und Leukodextria
(Achroodextrin). Für diese Auffassung spricht auch die Tatsache, daß
aus Stärke unter dem Einfluß des Malzes bei Temperaturen bis zu 60^
mehr Maltose als Dextrine entstehen, bei höheren Temperaturen um-
gekehrt die Dextrine überwiegen. Im ersteren Fall wirken beide Enzyme,
im letzteren nur die Dextrinase, weil die Maltase bei 56 — 60* zerstört wird.
Übrigens will Wijsmann beide Enzyme auch durch ihre verschiedeno
Diffusionsgeschwindigkeit und den verschiedenen Sitz im Gerstenkorn
voneinander unterscheiden. Beijerinck^) hat diese Theorie seiner-
seits dahin abgeändert', daß er die „Dextrinase" nicht im Gerstemnalz
vorgebildet ansieht, sondern sie erst aus einer „Granulase**, einem Enzym,
das Maltose neben Achroodextrinen erzeuge, durch die Erhitzung ent-
stehen läßt. Brown und H e r o n ■) und Bourquelot*) erklären
den Abbau der Stärke in folgender anschaulichen Weise: die lösliche Stärke
habe etwa die Formel (Cj2H2oO|o)iof sie gehe durch die Diastaaewirkung
unter Wasseraufnahme in Erxthrodextrin (Cj^goOio)« und ein Molekül
Maltose Ci,H,,Oii über. In derselben Weise vollziehe sich stufenweise
die Abspcdtung von Maltose und die Depolymerisierung des Dextrins,
bis schließlich die Reaktion zum Stillstajid komme, wenn 81% Maltose
und 19% des letzten Achroodextrins (Ci|HaoOio)i gebildet sei. Spätere
Untersuch\ingen führten Brown und Morris *) aber zu einer viel
verwickelt^ren Theorie, wobei sie davon ausgingen, daß die lösliche Stärke
aus 5 Dextrinkemen von der Zusanunensetzung (C|^toOio)to beständen.
Bei der • Spaltimg bildeten sich zahlreiche Zwischenprodukte aus Kombina-
tion von Amylinkemen CijHjoOio und Amylosekemen Ci,Hj,Oii. L i n t -
n e r und D ü 1 1 *) bezeichnen diese Körper als Gemische von Dextrinen
(Amylo-, Erythro- und Achroodextrin) und Isomaltose, die sie als Vor-
produkt der Maltose betrachten. Das Amylodextrin entspräche etwa
der Formel (Ci^,oOio)64, das Erythrodextrin (CiJEIjoOio)i7 • CiJH„Oji
entstände daraus durch Wasseraufnahme, daraus ebenso das Achroodextrin
(Ci^joOio)6 • Ci,H„Oii usw. Röhmann«) hält wieder das Erythro-
dextrin für ein Gemenge.
Wenn die Theorien der Diastasewirkung, die beim Arbeiten mit
einem viel leichter erhältlichen Material, dem Malz, entstanden sind,
so wenig Ubereinstimmmig zeigen, so würde man von vornherein
kaum erwarten, daß sie erheblich gefördert werden könnten durch das
Studium der Mikroorganismen, aus denen man die Enzyme viel schwerer
in der nötigen Menge gewinnen kann. Immerhin bestände die Mög-
lichkeit, daß in einzelnen Fällen die Verhältnisse hier einfacher lägen,
als bei der Malzdiastase. In der Tat hat man, wie wir bald sehen werden,
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 229, 1896.
2) Liebigs Annalen 199.
3) Compt. rend. 104. 576.
4) Journ. ehem. soc. 55 imd 69.
5) Ber. ehem. Ges. 26. 2533, 1893.
6) Ebenda 25. 3654.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 221
Grund dazu, die Einwirkung eines das Dextrin allein verändernden
Enzyms, der Dextrinase, bei einigen Hefepilzen anzunehmen. Das
würde für die Zweienzymiheorie im Sinne Duclauxs sprechen,
d. h. wir hatten in der Diastase zwei getrennte Enzyme, die A m y 1 a s e
und Dextrinase. Auf der anderen Seite finden Laborde^)
und Petit'), daß die Diastase des Aspergillus niger, des Fenicillium
glaucum und der Eurotiopsis Gayoni, und W e n t ^), daß diejenige
der Monilia sitophila (aus Java) die Starke ia Dextrin und Dextrose
(nicht Maltose) und ebenso das Malzdextrin und die Maltose in Dextrose
yerwandehi. Es ist allerdings fragUch, ob wir es hier mit einem ein-
zigen Enzym der „Amylomaltose*' oder mit einer Mischimg mehrerer
zu tun haben. Jedenfalls muß man sich hüten, Resultate, die an dem
einen Material gewonnen sind, ohne weiteres auf anderes zu übertragen :
es gibt wahrscheinlich nicht bloß eine Diastase,
sondern verschiedene, ähnlich aber nicht gleich
wirkende, ebenso wie es mehrere Zellulasen, Pektinasen usw.
gibt (s. u.). Am zweckmäßigsten ist es daher, bei der Bezeichnung
der Enzyme stets den Ursprung anzugeben, also von Gersten-, Malz-,
Aspergillus-, Milzbranddiastasen usw. zu sprechen. Als Beweis dafür
kann auch das Verhalten der Bakteriendiastasen gegenüber hoher und
niederer Temperatur gelten. Nach F e r m i (a. a. 0.) wirken sie sämt-
lich bei 37® sehr kräftig; bei 4® C büßt das Ferment des Milzbrand-
bazillus und B. ramosus seine Wirkung völlig ein, während das des
Spirillum Finkler-Prior gar nicht, die der Spirillum Deneke und Miller
etwas geschwächt werden. Temperaturen von 50° verringern nur die
Wirkung bei Spir. Deneke. Bei 56 — 60® lassen sich die Kulturen des
Milzbrands, Finkler-Prior und Deneke sterilisieren, ohne ihre diasta-
tische Kraft zu verlieren, das "Enzym der Choleraspirillen wird aber
dabei zerstört. Einstündige Erhitzung auf 70° vernichtet die Wirkung
samtlicher Diastasen. Alle diese Versuche wurden mit feuchten Enzymen
angestellt, im trockenen Zustand behalten die Diastasen ihre Wirk«
samkeit selbst, wenn sie 15 Minuten auf 120 — 140° erhitzt werden.
Auch beim Zusatz chemischer Mittel zeigten sich Unterschiede.
3piozentige Karbolsäure, gesättigte Salizylsäurelösung, lOprozentige
Soda hoben die Enzymwirkung nicht auf, 5 prozentige Salzsäure ver-
nichtete sie beim Milzbrandbazillus, schwächte sie beim Cholera-
spirillum, ließ sie tmberührt beim Spir. Finkler-Prior. Ein Vergleich
1) Annal. Pasteur 1897; vgl. Fernbach in Kochs Jaliresber.
1899. 306.
2) Compt. rend. ac. sc. 128. 1176, 1899.
3) Jahrb. wiss. Bot. 36, 1901.
222 Kap. VI, § 69—72.
mit dem diastatischen Ferment der Pankreasdrüse bewies F e r m i ,
daß dasselbe gegenüber schädigenden Einflüssen empfindlicher war
wie die meisten Bakterienenzyme. Auch L a b o r d e findet Unter-
schiede zwischen der Amylomaltose der von ihm mitersuchten drei
Schimmelpilze.
Ob die Diastase identisch ist mit dem Enzym, mittelst dessen
gewisse Chytridiaceen die Paramylonkömer der Euglenen (Flagellaten)
lösen, ist unbekannt (vgl. Zopf, Pilze S. 179).
Eine besondere Stellung nimmt offenbar ein von Schardin-
ge r ^) beschriebener Bac. macerans ein, indem er aus Starkekleister
neben Säure, Azeton usw. zwei kristallisierbare Stoffe erzeugt, die durch
ihre Reaktionen teils als Amylodextrin, teils als Amylose erscheinen.
Nach der Ansicht der Verfasser verdankt der Mikrobe das seinem
Auflösungsvermögen gegenüber pektinartigen Bindesubstanzen (§ 74)
im Stärkekleister, die die in ihm vorgebildete Amylöse freimachen sollen.
§ 70. Verzuckerung des Dextrins. Dextrinase. Wir haben
eben gesehen, daß die Diastase nicht bloß die Stärke in Dextrin, son-
dern auch das Dextrin in Maltose verwandelt. Von vornherein war es
naheliegend, diese Reaktionen verschiedenen Enzymen zuzuschreiben,
die nebeneinander in der Diastase vorkämen, der Amylase imd Dex-
trinase (D u c 1 a u X , s. o. S. 219). Diese Theorie erhält eine Stütze
dadurch, daß es gelingt, nachzuweisen, daß bei vielen Hefearten ein
Enzym im isolierten Zustande vorkommt, welches zwar Dextrin, aber
nicht Stärke angreift. Gewisse Rassen des Saccharomyces cerevisiae,
namentlich die Hefen , Logos" und „Frohberg Oberhefe" imd „Unter-
hefe" vergären einige (nicht alle) Dextrine zu Alkohol, sondern also
wahrscheinlich „Dextrinase"*) ab, die das Dextrin in Maltose ver-
wandelt und dadurch gärfähig macht. Der Schizosaccharomyces
Pombe und octosporus verhalten sich ähnlich (L i n d n e r *)). Dabei
vergärt keiner dieser Pilze, wie es doch geschehen müßte, wenn sie
Diastase produzierten, Stärke. Dargestellt ist die Dextrinase bisher
nur von P e t i t in Form eines Auszuges von Preßhefe mit 3% Koch-
salzlösung; es wird aber kaum möglich sein, sie von den übrigen hydro-
Ij^ischen Enzymen der Hefe zu trennen. Da viele Bakterien Dextrin
angreifen (vgl. saure Gärungen, § 100), könnte man annehmen, daß
auch sie Dextrinase bildeten, doch erscheint auch die unmittelbare
Zersetzimg des Dextrins, ebenso wie die der Stärke (S. 216), des
Glykogens, Inulins, der Zellulose usw. möglich.
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 22. 98, 1908.
2) Nicht zu verwechseln mit der Dextrinckse W i j s m a n s (s. o-
S. 220).
3) Wochenschr. f. Brauerei 1900, 49—51, vgl. § 86.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 223
§ 71. Innlinase. Das Inulin, ein dem Amylodextrin vergleich-
bares Kohlenhydiat, das in manchen Pflanzen an Stelle der Stärke
vorkommt, wird ähnlich wie das Dextrin (§ 70) von Hefepilzen
vergoren, doch sind es wenige Arten oder Varietäten, so z. B. die oben-
genannte Hefe „Logos'' mid der ScÜizosaccharomyoes Pombe, femer
der Saccharomjrces Marxianns (L i n d n e r u. § 86). Wir dürfen also
wohl bei diesen ein Enzym, die „Inulinase'', voraussetzen, daß das
Inulin in einen vergärbaren Zucker verwandelt. Wahrscheinlich ist
das die Fruktose (Lävulose), der Fruchtzucker, in den das Inulin ja
auch bei der Hydrolyse mit Wasser oder verdünnten Säuren zerfällt^).
Daß Übergangsstoffe, wie die Dextrine beim Stärkezerfall, dabei ge-
bildet werden, ist nicht festgestellt worden, aber wahrscheinlich. Jeden-
falls werden sie von Dextrinen schon deshalb verschieden sein, weil
der Saccharomyces Marxianus, der Inulin kräftig vergärt, Dextrin
gar nicht angreift. Außer den genannten Hefen erzeugen Inulinase
einige Pilze, z. B. der Aspergillus niger nach Bourquelot^) imd
Penicillium glaucum nach D e a n ^). Die Malzdiastase läßt Inulin
unberührt. Wie die Bakterien sich verhalten, ist unbekannt. Dar-
gestellt haben Green das Enzym aus Helianthus tuberosus und Dean
aus Aspergillus niger und Penicilliimi glaucum. Merkwürdigerweise
soll es nur aus den Leibern der Mikroorganismen zu bekommen sein;
man begreift dabei nicht, wie das schwer diffundierbare Inulin von
ihnen angegriffen werden kann. Wahrscheinlich handelt es sich um
ähnliche Verhältnisse, wie wir sie für die Saccharase und Maltase
kennen lernen werden, die zwar recht fest in den Zellen sitzen, aber
doch auch nach außen abgeschieden werden. Die Inulinase ist sehr
empfindlich gegen Säuren und Alkalien, schon Yjqq Normalschwefel-
säure und Vioooo Normalkalilauge wirken schädlich. Das Optimum
ihrer Wirkung liegt bei 55®; sie wird aber auch durch Temperaturen
von 64* noch nicht geschädigt. Durch Kochen wird sie, wie fast alle
Enzyme, zerstört. Für die Zersetzung des Inulins durch Bakterien
gilt das bei der Dextrinase Gesagte.
§ 72. Glykogenose. Glykogen, die „tierische" Stärke, die aber
auch ein Bestandteil vieler Mikroorganismen ist (§ 27), wird durch
Malzdiastase in Maltose, durch Speicheldiastase (Ptyalin), das auch
noch ein maltosespaltendes Enzym enthält, in Traubenzucker ver-
1) Inulin verhält sich zur Fruktose, wie lösliche Stärke (Amylo-
dextrin) zur Glykose.
2) Kochs Jahresber. 1893. 276 und 283.
3) Botan. Gazette 1903 (nach Oppenheimer).
224 Kap. VI, f 72—74.
wandelt (C r e m e r ^)). Man hat daraus den Schluß gezogen, daB die
Diastase als solche imstande sei, Glykogen zu verzuckern. Das Gegen-
teil läßt sich schwer beweisen, aber auch die Möglichkeit kann nicht
bestritten werden, daß noch ein besonderes Enzym, die „Glykogenase'\
dazu nötig sei, das für gewöhnlich die Diastase begleite. Für diese An-
sicht kann man die Tatsache anführen, daß es ein Enzym gibt,
daszwar Glykogen, aberkeine Stärke verzuckert.
Ein solches ist in der Hefe enthalten. Zwar lassen nach A. Koch
und Hosaeus^) Reinkulturen von Bier- und Preßhefe Kalbs- und
Eaninchenglykogen unberührt, aber der Zellsaft der Hefe vergärt
nach E. Buchner (vgl. Zymase, §89) das Glykogen, enthält also
vielleicht ein hydrolytisches Enzym, das man Glykogenase nennen
kann. Von der Zymase, dem Ferment der Alkoholgärung, ist es bisher
allerdings noch nicht abgetrennt worden; es wäre nicht undenkbar,
daß die Zymase selbst es wäre, welche die glykogenspaltende Fähigkeit
besäße. Doch spricht für die gesonderte Existenz der Glykogenase
wieder die Tatsache, daß es Mikroorganismen gibt, die zwar Glykogen
verzuckern, aber den Zucker nicht vergären. Viele Schimmelpilze,
aber auch manche Hefearten und Bakterien gehören hierher. Das läßt
sich schon daraus schließen, daß das Glykogen in ihren Zellkörpem
durch die Jodreaktion mikroskopisch nachweisbar ist, also im Stoff-
wechsel Verwendung finden muß. Direkte Versuche über das Ver-
halten dieser Mikroorganismen zu Glykogen scheinen freilich kaum
gemacht worden zu sein. Nur A. Koch und H o s a e u s haben bei
ihren obengenannten Experimenten die Beobachtung gemacht, daß
Bakterien, die sich zufällig ansiedelten, das Glykogen verbrauchten.
Ob das solche Arten waren, die auch Stärke angriffen, wurde nicht
festgestellt. Es entsteht weiter die Frage, ob diese extrazelluläre Gly-
kogenase mit der intrazellularen der Hefe identisch oder ihr nahe
verwandt ist, und ob der Zerfall des Glykogens nicht unmittelbar ohne
vorhergehende Hydrolyse geschieht. Am einfachsten wäre es natür-
lich auch hier wieder, die Existenz verschiedener 'Enzyme mit ähn-
lichen Wirkungen anzunehmen (vgl. Invertase, § 78).
§ 73. Verflüssigung des Pflanzenschleims. Über die Ver-
wandlungen, die Gummi und Pflanzenschleim ^) durch Mikroorganismen
erfahren, ist, wenn man von den Dextrinen (s. o. § 70) absieht, wenig
1) Münchn. med. Wochenschr. 1894. 26.
2) Zentr. Bakt. 16. 145.
3) Beide scheinen Verbindungen von Stoffen zu sein, die teils Hexosc-n
(CgHijO,), teils Pentosengruppen (C5H10O5) enthalten. Ihre Zusammen-
setzung entspricht bald mehr der Formel (CeH|o05)x, bald (C,H804)y;
sie sind entweder „Hexosane" oder „Pentosane". Vgl. Schleimgärung § 129.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 225
bekannt. Daß eine Einwirkung stattfinden kann, ist wahrscheinlich,
der umgekehrte Prozeß, die Verwandlung von Zucker in Schleim,
wird jedenfalls sehr häufig beobachtet. Manche dieser Körper besitzen
freilich eine sehr bedeutende Widerstandsfähigkeit. Darauf beruht
die Verwendung der Schleime von Algen und Flechten (Agar-Agar,
Fucus crispus) als Grundlage unserer bakteriologischen Nährböden.
Nach allgemeiner Erfahrung sind sie so wenig angreifbar, daß z. B.
der gründlich ausgewaschene Agar-Agar als Ersatz der rein mineralischen
Kieselsäuregallerte dienen kann (§ 196). Dennoch gibt es Ausnahmen
von der Regel. G r a n ^) fand unter den Wasserbakterien eine Art,
die Agar-Agar (Gelose) verflüssigte, er nannte sie Bac. gelaticus und
das Enzym, mit dem sie arbeitet „Gelase^'^). Es bilden sich dabei
reduzierende Substanzen, also wohl Zucker, und die rote Färbung,
die Jod im Agar hervorruft, tritt nicht mehr ein. Über andere Pro-
zesse, die zu tieferen Veränderungen führen, vgl. § 117.
§74. Pektinase. Sehr weit verbreitet scheint dagegen bei den
Mikroorganismen die Fähigkeit zu sein, Pektinstoffe ^), Substanzen,
die an der Bildung pflanzlicher Membranen stark beteiligt sind, z. B.
die sogenannte Mittellamelle zusammensetzen, zu verflüssigen. Von
d e B a r y*) stammt wohl die erste Beobachtung dieser Art. Er iso-
lierte aus den parasitischen Pilzen Sclerotinia (Peziza) sclerotiorum
und Sclerotinia trifoliorum ein „Pezizaenzym", das die Zellwandungen
krautartiger Pflanzen zur Quellung und die Mittellamelle zur Lösung
brachte. Durch Kochen verlor es seine Wirkung. W a r d ^) fand ein
ähnliches Enzym bei einer Botrytisart, die eine Krankheit der Lilie
hervorruft, und V i g n a 1 ®) konstatierte die gleiche Wirkung bei dem
gewöhnlichen Kartoffelbazillus. Wohl alle Bakterien und viele Pilze,
die auf Pflanzen parasitisch leben, erzeugen dieses Enzym, das man
1) Botan. Jahresber. 1902. 297.
2) Nach Richter (Bor. bot. Ges. 1904. 494) verflüssigen auch
Diatomeen den Agar.
3) Vgl. über diese M a n g i n, Compt. rend. ac. sc. 107. 146 und 110.
295 und die S. 85, Anm. 1, genannten Arbeiten. Während man früher den
Pektinstoffen einen höheren Sauerstoffgehalt zuschrieb, sind sie nach
neueren Untersuchungen Kohlehydrate, die den Gunmii- und Pflanzen-
schleiraen nahestehen und bei der Hydrolyse Hexosen oder Pentosen
abspalten. Meist handelt es sich wohl nicht um reine Substanzen, son-
dern um Mischungen. Von der Zellulose unterscheiden sie sich dadurch,
daß sie aus den mit Säuren vorbehandelten pflanzlichen Membranen durch
AlkaUen leicht gelöst werden (pektinsaurer Kalk s. u.).
4) Bot. Zeitg. 1886, 22—27.
5) Ann. of bot. 1888.
6) Le bac. mesentericus vulgatus. Paris 1889.
Kr ose, Mikrobiologie. 15
226
Kap. VI, § 74 u. 76.
mit Bourquelot^), der es auch aus dem Malz darstellte, als
„Pektinase" bezeichnen kann. Wir geben eine Übersicht der bisher
mit Erfolg daraufhin untersuchten Mikroorganismen:
Es bilden Pektinase:
Micrococcus ( ?) phytophtorus
Bac. amylobacter
Bac. (Astasia) asterosporus
Bac. carotovoma
Bcm;. der Kartoffelfäulnis
Pseudomonas destructans
Bac. coli communis
fluorescens putidus
typhi
enteritidis
fluorescens liquefaciens
mesentericus
mycoides
subtilis
nach
Frank (Zentr. Bakt. 2. Abt. 3. 57
und 4. 98).
van Senus (Kochs Jahresber. 90.
137).
A. Meyer (Flora 97. 188).
Jones (Zentr. Bakt. 2. Abt. 7,
1—2 und 14. 257.
Wehmer (eb. 4. 693).
Pott er (eb. 7. 282).
Laurent (Ann. Pasieur 1899).
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Lepoutre (eb. 1902).
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van Hall (Bejdragen tot de Kemiia
den bakterieele Plantenzickten
Amsterdam. Dissert. 1902).
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mesentericus vulgatus
onmivorus
„ atrosepticus
Pseudomonas Iridis
„ Syringae
Bac. intercellularis (Wundfäulnis)
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99
Penicillium glaucum
Botrytis cinerea
Mucor stolonifer
,, hiemalis
Cladosporium herbarum
Spieckermann (Landwirtsch.
Jahrb. 1902).
Behrens (Zentr. Bakt. 2. Abt.
4. 521).
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Behrens (eb. 8. 4—10).
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Es sind also darunter auch eine ganze Anzahl von Mikroorganismen,
die gewöhnheh keine Pflanzenparasiten sind, es allerdings, wie wir
in § 356 sehen werden, unter Umständen werden können.
Über die Darstellung imd Wirkungsweise der Pektinase belehren
uns vor allem die Arbeiten von Bourquelot, Potter, Lau-
rent, van Hall, Spieckermann imd Jones (s. o.). Sie
zeigen ims, daß man trotz den im ganzen ähnlichen Wirkungen doch
1) Journ. Pharm. Chim. 1898 imd 1899, vgl. Kochs Jahresber.
1898, 324 und 337.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 227
nickt von einer einheitlichen Substanz sprechen darf. So konnten
Pott er und Laurent ihr Enzym mittelst Hindurchschickens
durch Bakterienfilter gewinnen, van Hall gelang das nur mit starker
Abschwächung und Spieckermann überhaupt nicht. Jones
reinigte es durch wiederholte Alkoholfällimg. Manchmal erwies sich
das E^nzym empfindlich gegen Beaktionsveränderungen und Chloro-
formzusatz, andere Male nicht. "Stets scheint allerdings eine schwach-
saure Reaktion am günstigsten zu wirken. Besonders interessant ist,
daß die Enzyme der einzelnen Mikroben sich imgleich verhielten gegen-
über den Pektinstoffen der verschiedenen Pflanzen. Stärke und Zellu-
lose wurden mit einigen Ausnahmen, die sich wohl durch die gleich-
zeitige Gregenwart von Diastase und Zellulase erklären, nicht ange-
griffen. Die Wirkung der Enzyme auf die natürlichen Pektinstoffe
der Pflanzen (rohe Kartoffel-, Bübenscheiben u. dgl.), besteht darin,
daß die Zellmembranen aufquellen, aber nur die Zwischensubstanzen
gelöst werden, wodurch die Zellen meist auseinanderfallen. Dabei
entstehen nach Bourquelot aus der durch Auskochen von Pflanzen-
teilen bei 110® hergestellten Pektinlösung imter dem Einfluß des Enzyms
reduzierende Stoffe, und die Geriimbarkeit der Lösung geht verloren.
Spieckermann, der das Enzym auf eine gallertartige Pektin-
kalklösung wirken ließ, sah Verflüssigung eintreten. Die Produkte
der Zersetzung verdienten noch näher festgestellt zu werden; wenn
wir die reduzierende Substanz für Zucker halten, so scheint er nur in
geringer Menge zu entstehen.
Nach van Hall wird die Pektinase vom B. subtilis, trotz gutem
Wachstum auf Zackemährböden, die als Stickstoffquelle nur Ammon-
snlfat oder Ealiumnitrat enthalten, gar nicht gebildet, wenig bei Dar-
reichung von Asparagin, mehr auf Pepton- und am meisten auf Fleisch-
und Würzagar. Beim Bac. mesentericus vulgatus waren diese Unter-
schiede aber nicht zu spüren.
§ 75. Pektingärnng. Technische Anwendung findet die Pek-
tinase bei der sogenannten B ö s t e (Botte) des Flachses und
Hanfes^).
Durch sie werden die Gewebszellen (Bastfasern, Gefäßbündel), die
nachher als Gespinnstfasem dienen, voneinander getrennt. Je nachdem
noan die Pflanzenstengel dabei bloß anfeuchtet oder in Wasser einlegt,
unterscheidet man die Tau- oder Wasserröste. Van Tieghem*) hatte für
den Erreger der dabei auftretenden Gärung, die er mit der Zellulosegärung
identifizierte, den euiaeroben Bac. amylobacter T r 6 c u 1 s gehalten. Daß
hier von einer Veränderung der Zellulose nicht die Rede sei, sondern nur
1) Vgl. dazu auch Behrens in Lafars Handb. 3. 269.
2) Compt. rend. 88. 205.
15*
228 Kap. VI, § 75 u. 76.
von einer solchen der Pektinstoffe, hatte zwar schon K o 1 b ^) erkannt,
aber erst F r i b e s *) , ein Schüler Winogradskys» brachte 1895
den Sachverhalt wieder zu Ehren und züchtete den Erreger der Plachs-
röste in Reinkultur. Es ist ein großes anaerobes Stäbchen von 1 : 10 — 15 P,
das in 2 — 3 fi dicken Endanschwellungen eiförmige Sporen bildet und nur
mit Schwierigkeit auf mit Kreide eingeriebenen Kartoffelscheiben zu
züchten war. Der Bazillus vergalt bei Gegenwart von Pepton Trauben-,
Kohr-, Milchzucker und Stärke, nicht, bei Gegenwart von Ammoniak-
salzen. Viel leichter vergärt er dagegen selbst im letzteren Fall Pektin
und Pektinsäure. Zellulose greift er gar nicht an (vgl. Omelianski').
J. Behrens^) hat bei der Wasserröste des Hanfes ein anaerobee Stäb-
chen, das kleine Ketten bildet und bei der Sporenbildung spindelförmig^
anschwillt, gefunden. Dieses »»Clostridium'* wird durch Jod blau gefärbt
und ähnelt dadurch, sowie durch seine sonstigen Eigenschaften dem Bao.
amylobacter der früheren Autoren. Auf den gewöhnlichen festen Nähr-
böden war es nicht zu züchten, es wuchs allerdings in Mischkulturen auf
Stärkenährböden, aber erst nach vielen Versuchen gelang einmal die Bein-
kultur auf Oblaten, die mit Peptonsalzlösung getränkt waren. Die Ab-
impfung davon ergab, daß Glykose, Galaktose, Fruktose, Rohrzucker,
Milchzucker, Stärke und Pektin vergoren wurden, nicht Xylose, Arabinose,
Zellulose, Gummi arabicum, Quittenschleim, Kalziumlaktat. Die Mittel -
lamelle des Hanfes und Flachses (pektinsaurer Kalk) wird durch das
Clostridium unter Geusbildung in eine weiche schleimige Masse verwandelt
und schließlich verflüssigt. Ob außer Pepton noch andere stickstoffhaltige
Stoffe zur Ernährung geeignet sind, ist fraglich. Zu den Produkten der
Gärung gehört Buttersäure. Bei der Tauröste fcmd Behrens
nicht dieselben Bakterien, sondern in erster Linie den Mucor stolonifer
wirksam. Durch ihn scheint es nicht zu einer eigentlichen Gärung, d. h.
Zersetzung unter Gasentwicklung zu kommen. Die Zellulose greift der
Schimmelpilz nicht an, wohl aber das als Verunreinigung bei der Röste
gelegentlich in Form schwarzer Flecke auftretende Cladosporium herbarum.
Nach Behrens sind bei der natürlichen Wasserröste stets zu Anfanj^
auch fakultativ anaerobe Bakterien im Spiel und erzeugen eine schleimige
Gärung, die nichts mit dem Köstprozeß selbst zu tun hat, sondern eine
Salpetervergärung zu sein scheint. Die Erreger der Röste finden sich schon
auf den Hanf- und Flachsstengeln vor; denn sterilisierte Stengel mit nicht
sterilisiertem Wasser zusammengebracht rösten nicht, wohl eine sterili-
sierte Stengelaufschwemmung, die nüt nicht sterilisierten Stengeln ge-
impft wird.
Die Angabe von H a u m a n *) , daß alle möglichen Bakterien (vgl.
Liste auf S. 226) die Röste venursachen, beruht nckch Behrens*) auf
einem Irrtum. Nur Bac. asterosporus sei allenfalls dazu imstande. Die
positiven Ergebnisse H a u m a n s erklären sich vielleicht daraus, daß
er den Hanf bei seinen Versuchen trocken sterilisierte, wodurch di^
1) Ebenda 66. 1024.
2) Ebenda 121. 742.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 36. 1904.
4) Ebenda 8. 4—10 mit Lit.
5) Annal. Pasteur 1902.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 16/17.
Wcuidlungen der Kohlenhydrate. 229
Sporen des Clostridiums nicht abgetötet wurden. Störmer *) isolierte
durch Anreicherung in flüssigen Nährböden und Pasteuiisierung bei der
Wasserröste des Hanfes ein dem Fribesschen ähnliches köpfchensporen-
bildendes Bakterium, das er Plectridium pectinovorum nannte. Auch
dieses ist ein strenger Anaerobier, der Pektinsubstanzen und andere Kohlen-
hydrate, auch Pentosen, nicht aber Zell\ilose unter Bildung von Kohlensäure
und Wasserstoff, Essig- und Buttersäure neben Spuren von Bal-
drian- und Milchsäure zersetzt.
Beijerinck und van Delden") züchteten vier verschiedene
Arten Granulobakter aus gärendem Lein (Gr. pectinovorum, urocephalum,
sacchturobutyricum, butyricum), betrachten aber nur die beiden ersten
als Erreger der Pektingärung, Bredemann') will aber alle diese „Arten**
untereinander und nüt den übrigen beweglichen Buttersäurebazillen (Bac.
amylobacter) identifizieren. Nach ihm wäre die Fähigkeit, das Pektin
anzugreifen, ebenso veränderlich, wie die, andere Kohlehydrate zu zer-
setzen, Stickstoff zu fixieren u. a. m. (vgl. § 113 ff.). Ob er in dieser Be-
ziehung nicht doch zu weit geht, steht dahin. Jedenfalls scheint es B r e d e -
mann selbst noch nicht gelungen zu sein, den Pektin nicht vergärenden
Buttersaurebakterien dies Vermögen zu verschaffen.
Nach alledem besteht die Röste im wesentlichen in einer Lösung
der Mittellamelle, deren enzymatischer Urspriuig zwar wahr-
scheinlich, aber von den Autoren nur bei den Pilzen nachgewiesen worden
Ist. Dazu gesellt sich, wenn aneierobe Bakterien den Prozeß verursachen
eine Vergärung der Spaltprodukte des Pektins (Pen-
tosenund Galaktose?), dieeiner Buttersäuregärung
(§ 113 ff) ähnelt. Bei der Tauröste, die durch Schimmelpilze bedingt
wird, fehlt die letztere Gärung. Schardinger*) hat als Verunreini-
gimg von Nährböden einen sporenbildenden Bazillus gefunden, der rohe
Kartoffeln auflöste und dabei neben Alkohol, Säuren und Gcisen, Azeton
erzeugte; ob aus der Stärke oder den Pektin- oder den Eiweißstoffen,
war ungewiß. Buttersäure und Fäulnisgeruch fehlten (vgl. § 110).
§ 76. Zellalase (Zytase). Die Zellulose wird durch Mikroorganis-
men ebenso wie durch rein chemische Mittel viel schwerer angegriffen
als die übrigen Polysaccharide. So sind auch die § 74 u. 75 genannten
Bakterien ohne Wirkung auf sie, und von den Schimmelpilzen äußern
nur Botrytis imd die verwandten Sklerotinien, sowie Aspergillus oryzae
(X e w c o m b e ^)) und einige seltenere von van Iterson®) ge-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 13, 1904.
2) Arch. N^rlandaises. 1906, 2. ser. 9. 418 bei Bredemann
Anm. 3.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 647.
4) Wiener klin. Wochenschr. 1904, 8.
5) Ann. of Botan. 1899.
6) s. § 123. NachKoning (Humicole Fungi usw. Verhandel. Akad.
Wetensch. Amsterdam 1903, 2. Sect. IX, 7) soll aber unter anderen hiunus-
bewohnenden Pilzen auch Penioillium glaucmn auf reinem Filtrierpapier
mit einer Spur Ammoniumnitrat zum Wachstum kommen, also die Zelhi-
lose (unter Oxydation) angreifen.
230 Kap. VI, § 76 u. 77.
fondene Arten eine solche, enthalten also vielleicht neben der Pek-
tinase auch Zellulase oder „Zjijase", wie Brown und Morris^)
das ähnliche Enzym der keimenden Gerste genannt haben. Von anderen
Pilzen hatte man schon längst holzzersetzende Eigenschaften mikro-
skopisch nachgewiesen (H a r t i g ')), ohne der Frage auf chemischem
Wege näher zu treten. Erst Kohnstamm*) zeigte, daß der aus
den Zellen des Hausschwamms (Merulius lacrjmans) dargestellte
Preßsaft echte Zellulose löste. Ob die „Hadromase", die Czapek*)
auf ähnliche Weise aus Pleurotus pulmonarius und Merulius lacrymans
durch Auspressen tmd Fällen mit Alkohol in fester Form gewonnen
hat, identisch mit der Zytase oder „Zellulase" ist, bleibt zunächst
fraglich. Der Autor selbst faßt sie als besonderes Enzym auf, das mit
der Zellulase vergesellschaftet ist und ihre Wirkung vorbereitet, indem
sie die glykosidartige Verbindung der Zellulose mit dem Hadromal,
die den Hauptbestandteil des Holzes ausmacht, erst spaltet (vgl. § 155).
Während im allgemeinen Bakterien nur Pektinase, nicht Zellu-
lase bilden, scheint unter gewissen Umständen doch auch von ihnen
ein Enzym erzeugt zu werden, das Zellulose angreift. Van S e n u s ^)
gelang es, aus Wasser, in dem faulende Rüben zerrieben waren, mit
Alkohol einen Stoff zu fällen, der in alkalischer Lösimg bei 37* nach
mehrtägiger Einwirkung unter Chloroformzusatz die Zellulose in
Bohnenschnitten teils auflöste, teils deutlich anfraß. Die Bakterien-
art, von der dies Enzym stammte, konnte der Autor aus dem Gremisch
nicht isolieren; die von ihm rein gezüchteten Arten (B. amylobacter,
8. o. § 75) griffen höchstens die Pektinstoffe an. Der Befund van S e -
nus' steht bisher allein da, obwohl man eigentlich voraussetzen könnte,
daß die Zellulase bei der Zellulosevergärung (§ 117) und Zellulose-
oxydation (§ 123), die durch Bakterien verusacht wird, zur Vorberei-
timg dieser Zersetzung regelmäßig abgesondert würde. Immerhin
ist das hier ebensowenig nachgewiesen, wie es bei der Vergärung der
übrigen Kohlehydrate (außer Stärke) durch Bakterien regelmäßig
geschehen ist.
Die Produkte der Zellulasewirkung sind vorläufig ebenso unbe-
kannt wie die der Pektinase. Die Annahme von Grüß®), daß dabei
Mannose entstehe, beruht nur auf einer Vermutung. Beijerinck')
1) Journ. ehem. soc. 57. 497, 1890.
2) Zersetzungserscheinungon des Holzes 1878.
3) Dissert. Erlangen 1900.
4) Ber. botan. Ges. 1899. 141.
5) Kochs Jahresber. 1890. 138.
6) Ber. bot. Ges. 1894. 60, vgl. auch Kochs Jahresber. 1899. 329.
7) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 239.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 231
beobachtete, daß die Zellulose vor ihrer Lösung in einen Körper ver-
wandelt wird, der wie Stärke mit Jod blau gefärbt wird. Daß die soge-
nannten Humusstoffe, die bei der Vermoderung der Pflanzenteile
übrigbleiben, etwa Nebenprodukte der Zellulosezersetzung seien, ist
noch nicht festgestellt, wenn es auch möglich ist, auf chemischem Wege
sie aus Kohlehydraten herzustellen (§ 118). Wahrscheinlich wird es
übrigens nicht eine Zellulase, sondern eine ganze Reihe derartiger
Enzyme geben ; nach Reinitzer^) greift z. B. die keimende Gerste
nur Hemizellulosen an.
§ 77. Hydrolyse der Di- und Trisaccharide. Während bei
den bisher besprochenen Prozessen der Verflüssigungsprozeß, die
Depolymerisierung, an erster Stelle steht und die Spaltung unter Wasser-
aufnahme (Hydrolyse) erst nachträgUch aufzutreten scheint, ist der
letztere Vorgang das Wesen der Sache bei der hydrolytischen Spal-
tung der Di- und Trisaccharide, die nach der Formel
C12H0O11+ H^O = 2CeHi,0e oder C^sHagOie + H^O = Ci^H^Oii
+ CftHijOß
verlauft.
Die verschiedenen isomeren^ Disaccharide (Hexobiosen) zerfallen
also in Monosaccharide (Hexosen), als deren ätherartige Verbindungen
sie zu betrachten sind ^), und zwar, um nur die bekannteren zu nennen:
Saccharose (Rohrzucker, Saccharobiose), in Glykose (Trauben-
zucker, Dextrose) und Fruktose (Fruchtzucker, Lävulose),
Maltose (Malzzucker, Maltobiose) in 2 Teile Glykose,
Trehalose (Mykose) ebenfalls in 2 Teile Glykose,
Melibiose in Glykose und Galaktose,
Laktose (Milchzucker, Laktobiose) ebenfalls in Glykose und
Galaktose. Das Trisaccharid Raffinose (Melitriose) zerfällt in
Melibiose und Fruktose.
-f Diese Spaltungen können ebensogut durch verdünnte Mineral-
sauren, wie durch Enzyme erfolgen. Man bezeichnet diese am besten
nach den jetzt ziemlich allgemein angenommenen\,Grundsätzen (vgl.
§ 60) als Saccharase, Maltase, Trehalase, Melibiase, Laktase und Raffi-
naae. Alle diese Enzyme sind bei Mikroorganismen nachgewiesen
worden, kommen aber wohl sämtlich auch in höheren Pflanzen und
Tieren vor. Ihre Isolierung ist freilich bei weitem noch nicht überall
gelungen.
1) Zeitfichr. phys. Chem. 23.
2) Über die Eigenschaften der einzelnen Zuckerarten vgl. die chemi-
schen Lehrbücher, über ihr Verhalten zur alkoholischen Gärung s. § 86
u. 87, zur sauren Gärung § 100.
232 Kap. VI, § 78.
§ 78. Saccharase (Invertase). Die Saccharase ist am längsten
bekannt und zwar unter dem Namen „ferment inversiv'", unter dem
es von Berthelot ^) 1860 zuerst dargestellt wurde (Invertin). Der
Name stammt daher, daß unter dem Einfluß des Enzyms der rechta-
drehende Bohrzucker in den linksdrehenden „Invertzucker'" (D u -
brunfaut 1830, B i o t 1833) verwandelt wird, der eine Mischung
von gleichen Teilen schwächer rechtsdrehenden Traubenzuckers und
stärker linksdrehenden Fruchtzuckers ist. Später ist die ältere Be-
zeichnung durch die Namen Invertase, Sucrase. oder Saccharase ersetzt
worden. Das Enzym wurde zuerst bei der Hefe gefunden. Die meisten
gärfähigen Hefearten erzeugen es, wie vor allem die Arbeiten von
£. Chr. Hansen dargetan haben (§ 85 u. 86), Ausnahme machen nur
die Gruppen des Sacch. albicans (Soorpilz), Sacch. apiculatus, viele
Milchzuckerhefen imd die nicht gärungsfähigen Arten (Sacch.
Mycoderma, viele Torulaarten*). Auch viele Schimmelpilze inver-
tieren den Rohrzucker, insbesonders kräftig der Aspergillus niger und
Penicillium glaucum, nicht aber Mucor (Gayon^), Bourquelot*),
F e r m i und Montesan o^), ferner die Monilia sitophila W e n t s ^).
Von Bakterien besitzen nach F e r m i und Montesano nur
wenige die Fähigkeit, Invertin zu bilden, nämlich Bac. megatherium,
Bac. kiliensis, Proteus vulgaris, fluorescens liquefaciens und in wechseln-
dem Maße das Spir. cholerae und Metschnikoffi. Viele Dutzende anderer
Bakterien und alle Strahlenpilze erwiesen sich als unwirksam, darunter
auch die Milzbrand- und Milchsäurebazillen, denen von früheren For-
schem (Gayon, Hüppe') invertierende Kraft zugeschrieben
worden war. Doch besitzen nach anderen Erfahrungen Leuconostoc
mesenterioides und andere Schleimbildner (§ 128), femer das Bact.
aceti und xylinum (§ 135), nach Kalischer®) auch Bazillen aus der
Heubakteriengruppe invertierendes Vermögen. Ebenso gelang es
E. Buchner und Meisenheimer (§ 101) mit ihrem Dauer-
präparat des Bac. Delbrückii (der „langen Milchsäurebazillen'*) In-
version zu erzielen. Manche andere Bakterien aber,
1) Compt. rend. ac. sc. 51. 980.
2) Auch im Bier ist es regelmäßig enthalten. Daher benutzt Bau
die Inversionsprobe zur Fe^tstelhmg der Pasteurisierung im Bier (Woch.
Brauerei 1902. 44).
3) Compt. rend. 86.
4) Ebenda 97.
5) AnnaU d'igiene 1894. 383 und Zentr. Bakt. 2, Abt. 1. 482 u. 542,
1895.
6) Jahrb. wias. Bot. 1901, 36.
7) Mitteil. Gesundheitsamt 2.
8) Arch. Hyg. 37.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 233
die Rohrzucker sehr gut vergären, spalten ihn
sicher nicht vorher durch ein hydrolytisches
Enzym, so der Bac. pneumoniae nach Grimbert (§ 98).
Der Nachweis invertierender Wirkungen bei Mikroorganismen
gelingt nach F e r m i am einfachsten, wenn man 2 — 4 Wochen alte
Kulturen in 4prozentiger Saccharosebouillon der Reduktionsprobe
unterwirft. Nur bei Sacch. candidus (Monilia Candida) gelingt die
Probe nicht, weil hier, wie wir gleich sehen werden, der Bohrzucker
erst intrazellulär invertiert und gleich vergoren wird.
Ein anderes von F e r m i und Montesano angewandtes Ver-
fahren besteht darin, daß man die Mikroorganismen 14 Tage lang in
einer Glyzerinpeptonbouillon kultiviert, die Kulturen dann mit gleichen
Teilen einer 10 prozentigen Lösung von Bohrzucker in 2% Karbolsäure
versetzt und wieder 14 Tage bei 37^ hält. Die Beduktionsprobe ent-
scheidet dann über das Vorhandensein eines invertierenden Enzyms.
Da der Versuch im ersten wie im zweiten Falle übereinstimmend aus-
fillt.so dient er zugleich als Beweis dafür, daß das Enzym zu seiner
Bildung nicht die Gegenwart von Bohrzucker
verlangt. Statt der Peptonbouillon können übrigens auch eiweiß-
freie, nur aus Mineralsalzen, Anmiontartrat und Glyzerin zusammen-
gesetzte Nährlösungen ohne wesentliche Anderimg des Besultats be-
nutzt werden. Nur die Menge des Invertins scheint herabgesetzt zu
sein. Eine dritte Methode beruht auf der Verwendung von Kultur-
filtraten. Fernbach ^) hat dieses Verfahren mit wechselndem
Glück versucht: während das Hefeinvertin durch das Chamberlandfilter
hindurchging, wurde das Enzym des Aspergillus niger im Filter zurück-
gehalten. F e r m i und Montesano hatten auch mit diesen Mikro-
orgamsmen stets Erfolg, wenn sie sehr alte Kulturen benutzten. F e r n -
bach schlägt für Aspergillus niger, der freilich sehr viel mehr In-
vertin produziert, als Bakterien, vor, die Invertin enthaltenden Flüssig-
keiten mit 50 prozentiger Bohrzuckerlösung zu versetzen, die Beaktion
auf einen Gehalt von 1% Essigsäure zu bringen, das Gemisch eine
Stunde lang bei 56^ G zu halten und danach die Menge des Invert-
zuckers durch Beduktion zu bestimmen. Bei dieser Temperatur und
Beaktion verläuft die Inversion am schnellsten. Für die Invertine
der Hefen liegt nach Fernbach das Temperaturoptimum
bei 54— 56'; das Säureoptimum sdiwankt zwischen 1 und 0,02% Essig-
säure, ein Beweis, daß wir es hier mit verschiedenen Enzymen zu tun
haben. Auch andere Erfahrungen sprechen in demselben Sinne.
Wie F e r m i und M o n t e s.a n o stellte W e n t für seine Monilia
11) Ann. Pasteur 890. 641.
234
Kap. VI, § 78.
fest, daß Saccharase auch bei Ernährung des Pilzes mit Maltose, Gly-
kose, Glyzerin, Essig-, Milch-, Äpfelsäure, Pepton gebildet wird.
Fernbach verdanken wir femer sehr interessante quantitative
Untersuchungen über die Bildung und Absonderung der Invertase
während des Wachstums der Pilze. Auf die verwickelte Methode,
mittelst deren er dabei die Menge des Enzyms feststellte, können wir
hier nicht eingehen. Die folgende Tafel faßt die Ergebnisse eines Ver-
suchs zusammen, in dem die vom Aspergillus niger in 100 com R a u •
lin scher Nährlösung gebildete Invertase bestimmt wurde. Es muß
dabei bemerkt werden, daß als Invertaseeinheit diejenige Enzymmenge
bezeichnet wurde, die imstande war, 0,20 g Rohrzucker binnen einer
Stunde bei 56® und 1% Essiggehalt der Flüssigkeit zu invertieren.
Kultur-
dauer in
Tagen
Rohrzucker
in g
unbe- inver- i ver-
rührt tiert ! braucht
Säure als
Weinsäure
berechnet
in g
Invertase
in „Einheiten" ber.
in der
Flüssigkeit
in den
Zellen
Gewicht
der Pilze
in g
0
1
2
3
4
5
4,44
0
0
1,36
2,36 0,92
0,22
1,65 2,57
0
0,7
3,74
0
0
4,44
0
0
4,44
0,170
0,293
0,368
0,267
0,143
0,135
0
2
3
5
10
13
0
58
47
45
44
35
0
0,65
1,265
1,78
1,65
1,61
Die Invertase wurde sowohl in der Flüssigkeit als in den Zellen
selbst bestimmt; die letztere wurde dadurch aus den Zellen frei gemacht,
daß der Pilzrasen mit Sand gründlich zerrieben, in destilliertem Wassa
aufgeschwemmt und unter Zusatz einer Spur Senföl zur Eonservierung
durch Papier abfiltriert wurde. Der Versuch ergab, wie man sieht,
das überraschende Resultat, daß die Menge der Invertase
innerhalb der Pilzzellen schon am ersten Tage
das Maximum erreicht und von da stetig abnimmt,
während die in die Flüssigkeit ausgeschiedene
Enzymmenge am ersten Tage, obwohl schon der
größte Teil des Zuckers invertiert ist, sehr gering
ist und erst mit demAlterderKultur und dem Ver-
schwinden des Zuckers zunimmt. Bemerkenswert ist,
daß gleichzeitig mit der Zunahme der Invertase in der Flüssigkeit
das Gewicht des Pilzrasens abnimmt. Man darf daraus wohl schUeßen,
daß die Inversion selbst wesentlich innerhalb der
Zellen verläuft und die Ausscheidung der Inver-
Wandlungen der Kohlenhydrate. 235
tase ein Zeichen der Zellauflösung ist. Versuclie
mit verschiedenen Heferassen ergaben Fernbach ähnliche Re-
sultate. Die Bestimmung des in den Zellen vorhandenen Enzyms
gelang hier freilich nicht auf dieselbe einwandfreie Weise, wie bei den
Schimmelpilzen — weil dem Verfasser noch nicht die Buchner sehe
Methode der Preßsaftgewinnung zur Verfügung stand, durch welche
die Invertindarstellung am sichersten gelingt (vgl. § 89) — immerhin
ließ sie sich dadurch ermöglichen, daß man die Hefe von der Kultur-
flüssigkeit trennte und tage- und wochenlang mit destilliertem Wasser
mazerierte. Je jünger die Hefekultur, desto schwieriger trennen sich
die Enzyme von den Zellen. Man muß nach Fernbach bei
dem Prozeß Sorge tragen, daß er im luftleeren
Raumeerfolgt, weilsonstdergrößteTeildesEn-
zyms durch den Luftsauerstoff zerstört wird.
Auch diese Versuche mit Hefe beweisen also, daß das Invertin wesent-
lich innerhalb der Zellen wirkt, und erst mit dem Absterben derselben
frei wild. Dieselbe Erfahrung machten alle Forscher, die sich seit
Berthelot mit der Darstellung der Invertase aus Hefe beschäf-
tigten und wandten darum zur Abscheidung des Enzyms zelltötende
Mittel, wie Äther, Chloroform, Alkohol, Toluol, Erhitzen im trockenen
Zustand oder konzentrierte Salzlösungen, insbesondere neutrales wein-
saures Kalium (0 a 7 o n) an.
Bei den Bakterien ist die Bildimg der Invertase noch nicht in
gleich vollständiger Weise studiert worden. Es könnte das vielleicht
am besten geschehen mit Hilfe von Preßsäften, die nach Buchners
Methode zu gewinnen wären. Lassen doch die Erfahrungen von F e r m i
ond Montesano darüber kaum einen Zweifel, daß auch diese Mikro-
organismen das Enzym recht festhalten und erst in älteren Kulturen
an die Kulturflüssigkeit abgeben.
Eine Ausnahmestellung nimmt die Inversion des Rohrzuckers
durch die Monilia Candida ein, insofern als sie in den Kulturen nicht,
wie bei den anderen Hefepilzen, nachweisbar ist, obwohl auch diese
Hefe den Rohrzucker vergärt. Man hatte früher daraus den Schluß
ziehen wollen, daß auch eine direkte Vergärung des genannten Zuckers
ohne vorbeigehende Inversion möglich sei. Gerade hier trifft diese
Möglichkeit aber sicher nicht zu.
E. Fischer und Lindner ^) haben bewiesen, daß inver-
tierendes Ferment auch von dieser Hefe gebildet wird. Sie konnten
Inversion erzielen, weim sie die Hefe gründlich trockneten und dann
unter Toluolzusatz auf Rohrzuckerlösung wirken ließen oder wenn
1) Ber. ehem. Gesellseh. 28. 3034.
236 Kap. VI, f 78 u. 79.
sie {riflche, mit Glaspulver zerriebene Hefe anwandten. Auch im Preß-
saft fanden E. Buchner und Meisenheimer^) dement-
sprechend das Enzym.
Das Studium der Geschwindigkeit, mit der die Inversion des
Rohrzuckers verläuft, hat Anlaß gegeben zu wichtigen Feststellungen,
betreffend die Wirkungsweise der katalytischen Substanzen überhaupt.
Wir werden auf sie in dem Kapitel, das von den Enzjrmen im allge-
meinen (§ 241) handelt, zurückkonmien.
Das Optimum der sauren Reaktion liegt für die einzelnen Sauren
in verschiedener Höhe, so z. B. nach Fernbach für die Essigsaure
zwischen 0,2 — IOVqq, für die Milchsäure zwischen 0,1 — 0,5Voo» ^ ^^
Oxalsäure zwischen 0,05 — 0,5yQQ, für die Schwefelsäurezwischen
0,025^,20/00.
K a n i t z ^) hat nachgewiesen, daß diese scheinbare Regellosig-
keit verschwindet, wenn man den Dissoziationsgrad der Säuren berück-
sichtigt: stets erweisen sich die gleichen Mengen
freier Wasserstoffionen wirksam.
Die Invertasen sind verschieden empfindHch gegen störende Ein-
flüsse. Nach Fernbach ^) wird das Enzym, das durch Mazera-
tion aus Aspergillus niger gewonnen ist, schon bei gewöhnlicher Tem-
peratur (s. o.), besonders aber bei höherer Temperatur, z. B. bei 56*,
bei der die Reaktion am schnellsten verläuft, und in alkalischer Lösung
durch den Sauerstoff der Luft geschädigt. Erhitzen auf 70® vernichtet
die Wirkimg. Er fand aber für die Hefe, daß das Enzym, so-
lange es noch in den Zellen steckt, widerstands-
fähig ist, selbst gegen die Kochhitze. Fermi und
Montesano zeigten, daß alte Kulturen von Bakterien durch ein-
stündige Erhitzung auf 65®, solche von Hefepilzen durch die Temperatur
von 70®, die von Schimmelpilzen erst durch ein- bis zweistündige Ein-
wirkung der Siedehitze ihre Inversionsfähigkeit verlieren. Wahrschein-
lich erklärt sich das zum Teil aus der verschiedenen Zähigkeit, mit
der die Enzyme in den Zellen festgehalten werden, denn die Verfasser
machen gleichzeitig die Bemerkung, daß filtrierte Kiüturen viel weniger
Widerstand leisten. In den Zellen ist die Invertase vielleicht nicht als
solches enthalten, sondern als ein Vorstadium (zjrmoplastische Sub-
stanz, Proenzym). Aber auch in wäßriger Lösung bestehen Unter-
schiede, je nachdem die Flüssigkeit außerdem Rohrzucker oder Eiweiß-
stoffe enthält oder nicht: im ersten Falle vertragen die Enzyme auch
1) Zeitschr. physiol. Chem. 40, 1903.
2) Pflügers Arch. 100. 548.
3) Ann. Pasteur 1889.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 237
der Bakteriell längere Erhitzung auf 60 — ^70®, während sie im letzteren
refnichtet werden. F e r m i und Montesano deuten das wie
andere Forscher dahin, daß das Enzym im „aktiven'* Zustand weniger
leicht zerstört werde, als im „inaktiven'*. Säuren wie Alkalien schädigen
nach F e r m i tmd Montesano ebenfalls die Invertase der Schinmiel-
pilze weniger als die der Hefe.
Einen weiteren Unterschied fanden E. Buchner und Meisen-
heimer beim Vergleich der Invertase des Preßsaftes der gewöhn-
lichen Hefen und der Monilia Candida: die letztere ging nicht durch
Pei^amentpapier hindurch, wie die erstere (s. o. F e r n b a c h , S. 233).
§ 79. Maltase. Das zweite der hydrolytischen Enzyme, die
Maltase, ist zuerst imter dem Namen „Glukase" bekannt geworden.
Cuisinier^) fand 1886 bei Verzuckerung von Mais und Maismalz
viel Traubenzucker, während bekanntlich die Verzuckerung von Gerste
durch Gerstenmalz neben Dextrin nur Malzzucker ergibt. Er nahm
deshalb in dem Maismalz neben der Diastase ein zweites Enzym, die
„Glokase^* an. Geduld^) stellte sie, allerdings nicht in reinem
Zustand, aus dem Maismalz dar und bewies, daß sie Maltose in Trauben-
zucker spaltete. Später wurde ein ähnliches Enzym von Bei j erinck ^),
R ö h m a n n imd B i a 1 ^) in tierischen imd pflanzlichen Säften, von
B 0 u r q u e 1 o t ^) bei Aspergillus niger, von Lintner*), Beije-
r i n c k und E.Fischer'), ii^ der Hefe gefunden, und erhielt
den passenden Namen Maltase. Sehr wahrscheinlich gibt es auch hier
wieder nicht eine, sondern mehrere verschiedene Maltasen (E.Fischer®).
Nur die maltosevergärenden Hefen enthalten anscheinend die
Maltase (§ 86), also die Gruppen des Saccharomyces cerevisiae, der
Monilia Candida und des Sacch. albicans (Soorpilz). Wie sich die übrigen
Schimmelpilze außer Aspergillus niger imd Monilia sitophila (Went*))
nnd die Bakterien verhalten, ist unbekannt. Wahrscheinlich kommen
auch unter ihnen Maltasebildner vor, da viele die Maltose vergären.
Was die Bildung der Maltase („Maltoglukase") anlangt, so ist sie
nach W e n t etwas mehr von der Art der Ernährung abhängig, als die
der Saccharase, doch findet sie statt auch bei Gegenwart von vielen
1) Nach Geduld, Kochs Jahresber. 1891. 250.
2) Ebenda.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1, 1895.
4) Ber. ehem. Ges. 25. 3654 und 27. 3251.
5) Joum. anat. physiol. 1886. 162; Kochs Jahresber. 1893. 276.
6) Zeitschr. f. Brauerei 1892.
7) Ber. ehem. Ges. 28. 1429.
8) Zeitschr. phys. Chem. 26.
9) Jahrb. wiss. Bot. 1901. 36.
238 Kap. VI, § 79—81.
anderen Kohlenhydraten und Pepton. Dabei ist die Produktion in
hohem Grade unabhängig von der Wachstumsstärke des Pilzes.
Die Maltase ist noch fester an die Zellen gebunden ak die Inver-
tase; sie läßt sich aus ihnen in ähnlicher Weise gewinnen, wie es oben
beschrieben wurde. Der Prozeß der Maltosespaltung
verläuft also auch wesentlich innerhalb der Zel-
len. Zum Nachweis der Hydrolyse empfiehlt sich nach E. Fischer,
die Hefe auszuwaschen, sie gründlich zu trocknen und dann unter
Zusatz von Thymol, Toluol oder Äther (nicht von Chloroform) auf
Malzzucker wirken zu lassen. Ihrer Darstellung nach ist die Maltase
gewöhnlich vergesellschaftet mit der Saccharase. Man kann nach
Röhmanndie letztere von ersterer trennen, indem man die Flüssig-
keiten, die beide Enzyme enthalten, durch Alkohol niederschlägt, wieder
löst und nochmals niederschlägt. Da die Maltase gegen Al-
kohol empfindlicher ist als die Saccharase, bleibt
letztere schließlich allein zurück. Die umgekehrte
Trennung ist kaum möglich; um die Maltase rein zu gewinnen, müßte
man daher Hefen verwenden, die wohl Maltase aber nicht Saccharase
vergären, also z. B. den Soorpilz oder den Schizosaccharomyces octo-
sporus.
Gewöhnlich wird angenommen, daß die Maltase auch die Fähig-
keit habe, Dextrin in Glykose zu verwandeln. Das ist aber nach dem,
was wir oben bei Gelegenheit der Öextrinase ausgeführt, zum mindesten
sehr zweifelhaft. Es kann sich hier um Vermischung zweier Enzyme
handeln. — Die Widerstandsfähigkeit der Maltase ist nicht nur gegen-
über Alkohol geringer als die der Saccharase, sondern auch gegen Er-
hitzimg. Nach L i n t n e r und K r ö b e r ^) wird die erstere aus Hefe
schon bei 55 <* zerstört; am kräftigsten wirkt sie bei 40°. B o u r q u e -
1 o t ^) findet allerdings die Aspergillusmaltase viel resistenter, er konnte
sie dadurch sogar von der Trehalase (§ 80) trennen, daß er den Pilz-
auszug auf 64® erhitzte. Die Maltase vertrug das, während die Treha-
lase zerstört wurde. Der Schluß liegt nahe, daß die Maltase der Hefe
und des Aspergillus verschieden sind. Auch die Angaben über das
Verhalten der Hefemaltase stimmen freilich nicht überein. Nach
L i n t n e r imd K r ö b e r hält sie sich in wäßriger Lösimg nur wenige
Tage ; vielleicht liegt das teilweise an der Schädigimg durch freien Sauer-
stoff, H i 1 P) konnte sie wenigstens in verschlossener Flasche
Mon-ate lang ohne wesentliche Abschwächimg aufbewahren. M e r k -
1) Ber. ehem. Ges. 28. 1050.
2) Compt. rend. ac. sc. 116. 826.
3) Joum. ehem. soc. 1898.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 239
würdig ist die nachteilige Wirkung des Chloro-
forms auf die Hefemaltase (s. o.). Für die Aspergillus-
maltase konnte sie H e r i s s e y ^) nicht bestätigen. — Eine theoretisch
sehr wichtige Umkehrung der Hefemaltasewirkung, wobei Maltose
ans Glykose entstellt, findet nach Hill dann statt, wenn die letztere
im Überschuß (zu 75%tuid mehr) vorhanden ist. In reinen 40 prozentigen
GlykoselÖBungen wurden bis zu 15% in Maltose übergeführt. Man hat
dadurch einen experimentellen Anhaltspunkt ge-
wonnen für die Möglichkeit des Aufbaus des zu-
sammengesetzten aus einfachem Zucker in der
Zelle: auch diese wäre also enzymatischer Art.
Nach Emmerling^) soll allerdings nicht Maltose, sondern Iso-
maltose entstehen.
§ 80. Trehalase. Ein Disaccharid, das ebenso wie die Maltose
in zwei Moleküle Glykose gespalten wird, ist die Trehalose (Mykose), die
in Pilzen und der syrischen Manna vorkommt. Nach Bourquelot*)
sondern Aspergillus niger und andere Schimmelarten (Penisdllien) ein
Enzym, die Trehalase, ab, das die Spaltung verursacht. E. Fischer^)
fand sie auch im Grünmalz und — allerdings nur in geringer Menge —
in einigen Hefen (vgl. auch Ealanthar^) imd L i n d n e r ®). Nach
B a u ^) wäre das Verhalten der Hefe gegen Trehalose ein zu unregel-
mäßiges und ihre Spaltung zu langsam, als daß man sie einem echten
Enzym zuschreiben könnte. Er denkt eher an eine Wirkung des Proto-
plasmas. Damit scheint uns wenig gewonnen zu sein. Es liegt näher,
sich vorzustellen, daß das Enzym selbst gewöhnlich nur in geringer
Menge und vielleicht nur unter bestimmten Bedingungen gebildet
wird. Jedenfalls gibt es einige Mikroorganismen, wie Aspergillus niger,
Monilia Candida (Sacch. cand.), Monilia variabilis, Mucor Rouxii (Amy-
lomyces), die Trehalose recht kräftig und regelmäßig angreifen (L i n d -
n e r). Bei der Monilia sitophila W e n t s ®) wird die Trehalase nicht,
wie die übrigen zahlreichen Enzyme dieses Pilzes nach außen abge-
schieden, läßt sich auch aus zerriebenen Myzel nur schwer in Lösung
gewinnen, haftet vielmehr dem unlöslichen Rückstand an.
§ 81. Melibiase. Weiter verbreitet bei Hefen ist die Melibiase,
die ein bei Hydrolyse der Baffinose (§83) entstehendes Disaccharid,
1) Compt. rend. soc. biol. 1896. 915.
2) Her. ehem. Ges. 1901. 600.
3) Compt. rend. &o. sc. 116. 826.
4) Zeitschr. physiol. Chem. 26.
5) Ebenda.
6) Wochenschr. f. Brauerei 1900.
7) Kochs Jahresbor. 1899. 112.
8) Jahrb. wiss. Bot. 1901. 36.
240 Kap. VI, § 81 u. 82.
die Melibiose, in Galaktose und Glykose zerlegt. B a u ^) hatte uisprüng-
lich angegeben, daß sich die sogenannte Unterhefe von der Oberhefe
durch die Bildung von Melibiase unterschiede (§ 86). Im allgemeinen
stimmt das auch, doch konmien Ausnahmen vor, insbesondere fehlt
den Weinhefen, die Unterhefen sind, gewöhnlich die Melibiase (L i n d -
n e r ^). Die Frage, ob die Melibiase nicht vielleicht identisch ist mit
einem anderen Enzym, z. B. der Maltase, ist auch aufgeworfen und
verschieden beantwortet worden. Wenn man die Identität annimmt,
dann muß man natürlich voraussetzen, daß es verschiedene Maltasen
gibt, von denen die einen nur die Maltose, die anderen Maltose und
Melibiose spalten (vgl. E. Fischer*)). Bei dem heutigen Zustand
unserer Kenntnisse ist eine sichere Entscheidung nach der einen
oder anderen Richtimg nicht zu geben. Im Interesse einer
klaren Darstellung liegt es aber unzweifelhaft,
wenn wir vorläufig wesentlich verschiedene che-
mische Leistungen als an besondere Enzyme gebun-
den betrachten. Nachweislich kommen einer und derselben
Zelle eine ganze Anzahl von Enzymen zu, das Verständnis dafür wird
nicht davon berührt, ob acht oder zehn nebeneinander angenommen
werden. Erst wenn ganz erhebliche Gründe gegen die Verschieden-
heit zweier Enzyme sprechen, werden wir für ihre Identität eintreten.
Einen solchen Grund würde z. B. die Tatsache abgeben, daß zwei ver-
schiedene chemische Leistungen regelmäßig nebeneinander, nie getrennt
voneinander beobachtet werden. Die Unmöglichkeit, zwei oder mehr
in derselben Lösimg angenommene Enzyme zu trennen, will bei den
mangelhaften Mitteln, die uns bis jetzt für die Darstellung dieser Stoffe
zur Verfügung stehen, gar nichts besagen.
§ 82. Laktase. Die Umwandlung in Galaktose und Glykose
erleidet auch ein zweites, praktisch viel wichtigeres Disaccharid, der
Milchzucker (Laktose). Beijerinck*) führte sie zuerst auf ein
besonderes Enzym, die Laktase zurück, nachdem er die hydrolytische
Spaltung des Milchzuckers bei dem Sacch. Kefyr^) und Sacch. tyricola
1) Kochs Jahresber. 1894. 141 und 159.
2) Mikr. Betriebskontrolle 1901. 344.
3) Zeitschr. phys. Chem. 26
4) Zentr. Bakt. 6. 44.
5) Nicht zu verwechseln mit dem Sacch. Kefyr von Freuden-
r e i 0 h 8 (Landwirtsch. Jahrb. Schweiz 1896), der Milchzucker erst ver-
gärt, wenn er durch die Einwirkung des im Kefyr vorhandenen Strepto-
coccus lacticus (s. u.) hydrolysiert ist. Danach entsteht .der Alkohol im
Kefyr aus zwei Quellen, einmal aus der direkten Vergärung durch Mileh-
zuckerhefe und zweitens aus der Symbiose zwischen Milchsäurebcücterien
und gewöhnlichen Hefen (s. u. M a z u n und t* e b e n).
Wandlungen der Kohlenhydrate. 241
wahrscheinlich gemacht hatte. Erst E. Fischer^) gelang hier wie
in anderen Fällen der sichere Nachweis dieser Spaltung, dadurch daß
er die entsprechenden Ozazone darstellte, und gleichzeitig die Dar-
stellung des 'EnzjmB durch Ausziehen von Eef}rrkömem mit Wasser
und Fällung mit Alkohol. Weniger leicht — am besten durch Ver-
reibung mit Glaspulver oder nach Chloroformeinwirkimg — erhält
man die Laktase aus Reinkulturen solcher „Milchzuckerhefen'^ weil
sie hier fester mit den Zellen verbunden ist (E. Fischer, Dienert^),
Maze')). Im Preßsaft einer armenischen Mazunhefe (s. u.) erhielten
£. Buchner und Meisenheimer^) eine Laktase, die wie die
Invertase der Monilia Candida durch Pergament nicht diffundierte.
Wichtig ist, daß es Fischer und Armstrong'^) mit Hilfe
von Hefelaktase gelang, aus einer konzentrierten Lösung von Glykose
und Galaktose einen milchzuckerähnlichen Körper (Laktose oder Iso-
laktoee) zu gewinnen. Es scheint sich danach umeinenumkehr-
barenyorgangzuhalten,derfürdie Synthesedes
Milchzuckers von Bedeutung sein dürfte (vgl. Maltase S. 239).
Die allermeisten Hefen enthalten keine Laktase und sind infolge-
dessen nicht imstande, den Milchzucker zu vergären (§ 86). Außer
den beiden schon genannten Arten, die in Kefyr und Käse leben,
koQunen noch in Betracht^) die Milchhefe Duclaux'^), der Saccharo-
myces acidi lactici Grotenfelts'®), der S. lactis Adametz'®)
die Hefen We i g m a n n s ^®) und J e n s e n s ^^) aus Butter, eine Hefe
aus saurer Milch ^*), der Sacch. fragilis, den Jörgensen^^) ebenfalls
im Kefyr fand, femer Hefen aus kaukasischem imd armenischem Mazun
(Kalanthariaz ^*), Lindner^®)). Schließlich hat M a z ^ (s. o.)
1) Her. ehem. Ges. 27. 2991 und 3481.
2) Compt. rend. 129. 63.
3) Annal. Pasteur 1903. 19.
4) Zeitschr. physiol. Chem. 40, 1903.
5) Ber. chem. Ges. 35, 1902.
6) Vgl. Literatur und eigene Studien bei H e i n z e und C o h ii ,
Zeitschr. f. Hyg. 46, 1904.
7) Annal. Pasteur 1887. 573.
8) Fortflchr. d. Medizin 1889. 131.
9) Zentr. Bakt. 5. 116. 1889.
10) Milchzeitung 1890. 743.
11) Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 137, 1902.
12) v.Freudenreich und O. Jensen, Zentr. Bakt. 2. Abt. 3. 545, 1897.
13) Bei K 1 ö c k e r , Gärungsorganismen 1900.
14) Kochs Jahresber. 1898. 322.
15) Mikr. Betriebskontrolle in den Gärungsgewerben 1901. Neben den
Milchzuckerhefen kommen auch im Maziui gewöhnliche Hefen vor und
milchzuckerspaltende Bakterien (s. u.).
Kruse, Mikrobiologie. 16
242 Kap. VI, § 82— 83a.
neuerdings gefunden, daß man Milclizuckerhefen aus jedem Käse ge-
winnen kann, wenn man Spuren davon in leicht saurer Rohrzucker-
bouillon züchtet. Zunächst entwickeln sich darin Milchsäurebakterien,
später Hefen, die dann leicht auf festen Nährböden zu isolieren sind.
Viele dieser Hefen gehören zur sogenannten Torula, d. h. bilden
keine Sporen, fast alle zeichnen sich dadurch aus,
daß sie außer Laktase keine anderen hydroly-
tischen Enzyme bilden, nur die Weigmann sehe Art
erzeugt auch Saccharase und Raffinase. Die den Hefen nahestehenden
Monilia variabilis und Sachsia suaveolens vergären nach L i n d n e r
ebenfalls Milchzucker.
Die Schimmelpilze bilden wie die gewöhnlichen Hefen
nur selten Laktase, doch gibt es einen, die Eurotiopis Gayoni (La-
bor d e ^) , der Diastase, Dextrinase, Maltase, Trehalase, Laktase
und außerdem noch glykosid- und eiweißspaltende Enzyme sowie
Zymase produziert, wenn auch zum Teil nur in kleiner Menge. Nur
die Saccharase fehlt in dem komplizierten Bilde, das wir ims von dem
im Stoffwechsel benutzten Handwerkszeug dieses Pilzes machen
müssen. Maltase und Laktase schließen sichdaher
gegenseitig nicht aus (vgl. E. Fischer ^)). Dafür könnte
man auch die Tatsache anführen, daß es zahlreiche Bakterien, z. B.
aus der Gruppe des Bact. coli und Strept. lacticus gibt, die Milchzucker
und andere Disaccharide gleichzeitig angreifen (vgl. Milchsäure-, Butter-
säure- und Schleimgärung). Hydrolytische Enzyme sind freilich bisher
bei ihnen nur verhältnismäßig selten nachgewiesen worden, so z. B.
bei dem Streptococcus lacticus b von Freudenreichs*) und dem
Mikrokokkus E m m e r 1 i n g s *), die im Ketyr und Mazun vorkommen,
und die Milchzucker imd Rohrzucker spalten und dadurch zur Gärung
für die gewöhnliche Hefe vorbereiten. Vielleicht besteht eine ähnliche
Symbiose zwischen milchzuckerspaltenden Bak-
terien und Hefen im ägyptischen „Leben"^). Wahrscheinlich
würde eine umfassende Prüfimg der Bakterien, namentlich mit Hilfe
der Preßsaftmethode, bessere Ergebnisse liefern, d. h. ein häufigeres
1) Annal. Pasteur 1897. Die ebenso enzymreiche Monilia sitophila
W e n t s (Jahrb. wiss. Bot. 36, 1901) bildet keine Laktase und auch keine
Zymase, außerdem aber Zelluleuse und Raffinase.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 26.
3) Vgl. Anm. 4, S. 240.
4) Zontr. Bakt. 2. Abt. 4. 418.
5) Rist und K h o u r y , Annal. Pasteur 1902. Die Reinkulturen
der Bakterien besaßen allerdings keine spaltende Kraft für Milchzucker,
in Mischung mit Hefe veranlaßten sie aber die alkoholische Gärung.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 243
Wkommen der hydrolytischen Enzyme etwa in Form von Endo-
enzymen (vgl. Monilia Candida, S. 235) beweisen. In manchen Fällen
haben wir aber den sicheren Beweis, daß die hydrolj^ischen Spaltungen
überhaupt nicht ausgeführt, sondern die zusammengesetzten Zucker
direkt vergoren werden (§ 98). Übrigens bestätigt
sich auch bei den Bakterien die bei den Pilzen ge-
machte Beobachtung, daß Milchzucker seltener
als die übrigen Disaccharide von ihnen ange-
griffen wird. Über die Beziehungen, die zwischen Laktase und
glykosidspaltenden Fermenten bestehen, werden wir bei den letz-
teren berichten (§ 154).
Bemerkenswerterweise ist Laktase bisher das einzige zucker-
spaltende Enzym, mit dessen Hilfe es geUngt, bei Tieren eine Anti-
laktase, d. h. einen die Laktasewirkung hemmenden Stoff im Blut-
serom zu erzeugen^).
§ 83. Raffinase. EinTrisaccharid, das wegen seines Vorkommens
in der Melasse der Zuckerfabriken eine größere Bedeutung hat und von
vielen Hefepilzen (§ 86) zu Melibiose imd Fruktose gespalten wird,
ist die Melitriose oder Raf.inose. Wahrscheinlich beruht diese Um-
wandlung auf einem Enz3an, der Raffinase. Es darf mit der Saccharase
nicht zusammengeworfen werden, obwohl es gewöhnlich mit ihr ver-
gesellschaftet ist, weil in einzelnen Fällen, so z. B. bei Monilia Candida,
das Vorkommen von Saccharase und das Fehlen von Raffinase fest-
gestellt worden ist, und umgekehrt sich die Raffinase ohne die Saccharase
findet (Schizosaccharomyces octosporus ^)). Auch Pilze spalten viel-
fach Raffinose, so die enzymreiche Monilia sitophila W e n t s ^),
mögücherweise — nach ihrem Gärungsvermögen zu urteilen — auch
Bakterien (§ 100 u. 112).
§ 83a. Zusammenfassung. Mit den hier aufgeführten Vorgängen
ißt die 2jahl der hydrolytischen Spaltungen der Zuckerarten jedenfalls
noch nicht erschöpft. Es gibt seltenere Disaccharide, wie Turanose
und Gentiobiose, und Trisaccharide wie Melezitose und Oentianose,
die von Pilzen zum Verfall gebracht werden können*). Vorläufig werden
wir besondere Enzyme dafür verantwortlich zu machen haben.
1) Vgl. Schütze, Zeitschr. f. Hyg. 48. 3, 1904. Vgl. § 249.
2) E. Fischer und Lindner, Ber. ehem. Ges. 28. 984, 1895.
Vgl. L i n d n e r, Betriebekontrolle. S. 196. E. Fischer und N i e g e 1
(Sitzungsber. Berl. Akad. 1896) konstatierten dasselbe Verhalten für den
Dannsaft des Kindes.
3) Jahrb. wies. Bot. 36, 1901, vgl. Bourquelot, Bull. soc.
raycol. de France 1893.
4) Bourquelot, Compt. rend. soc. biol. 55, 1903.
16»
244 Kap. VI, § 84 u. 86.
Aua diesem Abschnitt (§ 69 — 83) können wir vielleicht den Schluß
ziehen, daß hydrolytische Enzyme für Kohlenhydrate bei Pilzen, ein-
schließlich der Hefen, sehr gewöhnlich nachzuweisen sind, für die
Bakterien aber eine geringere Bedeutung haben. Nur die diastatisclien
Enzyme machen eine Ausnahme von dieser Regel.
§84. Spaltungsgärungen der Kohlehydrate. Alkohol-
gärnng. Die hydrolytischen Vorgänge, die wir bisher kennen gelernt
haben, bereiten die zusammengesetzten Kohlenhydrate vor zu tiefen
Spaltimgen, die am besten als „Spaltimgsgärungen" bezeichnet werden
(§ 61), und zwar nach ihren hauptsächlichsten Produkten als alkoho-
lische, Milchsäure-, Buttersäure- und Sumpfgasgärung. Doch werden
wir im Laufe der Erörterung sehen, daß damit nicht alle Spaltungs-
gärungen erschöpft sind, daß wir daneben noch eine (anaerobe) Essig-
säure-, Wasserstoff-, Ameisen-, Propionsäure-, Bemsteinsäure-, Gly-
zerin-, Mannit- und Butylalkohol- Gärung zu unterscheiden haben. Die
Benennung dieser Vorgänge ist keine ganz folgerichtige. Man spricht
z. B. oft von einer Zellulosegärung und meint damit die Ver-
gärung der Zellulose zu Simipfgas oder Wasserstoff. Manch-
mal will man unter Gärung nur die tieferen Spaltungen verstehen,
bei denen Gase entstehen.
Nur in einigen Fällen, wie bei der Alkohol- und Milchsäuregämng
ist es gelungen, die Spaltung auf ein Enzym ziirückzuführen, in den
anderen wird es hoffentlich noch gelingen.
Die Geschichte der Alkoholgärung ist zugleich auch die
Geschichte der Gärung überhaupt, weil sie bei weitem die größte Be-
deutung für den Haushalt des Menschen hat und darum auch am
meisten studiert worden ist. Die Entwicklung unserer Kenntnisse läßt
sich in folgender Weise kurz zusammenfassen:
Lavoisier (1789), Gay-Lussac (1815), Dumas und
B o u 1 1 a y (1828) haben das Verdienst, die quantitativen Verhält-
nisse der Alkoholgärung, die zu der Gleichung
CeHiA = 2C0, + 2C,HeO
führten, aufgedeckt zu haben.
Cagniard-Latour (1836) und Schwann (1837) be-
wiesen zuerst unabhängig voneinander, daß die Hefe als ein Wesen
zu betrachten ist, das durch seinen Lebensprozeß die Spaltung des
Zuckers in Alkohol und Kohlensäure vollzieht.
Aber erst Pasteur^) (1860 ff) gelang es, dieser Auffassung in
der wissenschaftlichen Welt zum Siege zu verhelfen und die Biologie
1) Memoire sur la fermentation alcoolique. Annal. de chim. et phys.,
3. s6rie, 58. Bd. 1860. [ßtudes sur la biere. 1876.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 245
und Chemie des Gärungsprozesses gründlicli aufzuklären. Mit seinen
Arbeiten muß man noch heute das Studiimi der Gärung beginnen.
Ein weiterer Fortschritt erfolgte durch die Reinzucht der Hefen, die
wirHansen(§ 85) verdanken. Daß der Vergärung der Disaccharide,
wenigstens der durch Hefen verursachten, stets ihre Hydrolyse durch
besondere Enzyme vorausgeht, imd daß die Gärfähigkeit der Mono-
saccharide von dem räumlichen Aufbau ihrer Moleküle abhängt, haben
uns namentlich die Untersuchungen E. Fischers gelehrt^).
Den Schlußstein des Gebäudes setzte 1897 E. B u c h n e r *) ein
durch Entdeckung des Enzjrms der Alkoholgärung, der Zymase.
§ 85. Erreger der Alkoholgärnng. Die alkoholerzeugenden
Mikroorganismen sind in erster Linie die Hefen, deren Besonderheiten
wir vor allen Dingen durch die Arbeiten E. Chr. Hansens, der uns
die Reinzucht der Hefe lehrte, und seiner Schüler und Nach-
folger') kennen. Es gehören dazu die eigentlichen (sporenbildenden)
Hefen (Saccharomyces und Schizosaccharomyces) und viele nicht
sporenbildende, unechte Hefen oder Sproßpilze wie Torula, Monilia,
Sachsia, Oidium (aus der Gruppe der Fungi imperfecti), während die
Mycoderma-Arten gewöhnlich keine alkoholische Gärung verursachen
(vgl. die Klassifikation § 86). Aber auch Schimmelpilze gehören hierher,
wenn sie auch bei weitem nicht so kräftig wirken wie Hefen. So ist lange
bekannt, daß Mucorarten, insbesondere Mucor racemosus, alkoholische
Gärung verursachen können*). Man brachte die Gärung in Verbindung
mit den sproßpilzähnlichen Verbänden, die sich dabei zeigen. Nach
W e h m e r ^) haben diese aber nichts mit der Gärung zu tun. Das
wird schon dadurch bezeugt, daß auch andere Filze, die nur ausnahms-
weise Sproßverbände bilden (M. javanicus), Gärung erregen. Andere
Gärungserreger sind Mucor Rouxii (Amylomyces*)), alternans'), cir-
einelloides, spinosus®), mucedo und erectus®). Etwas zweifelhaft
1) Ber. ehem. Ges. von 1891 — 96, insbesondere 23. 2114 und 27.
3189. Zusammenfassende Darstellung: Zeitschr. physiol. Cham. 26.
2) Vgl. insbesondere das Werk von E. und H. Buchner und
M. Hahn: Die Zymasegärung. München 1903.
3) Compt. rend. trav. du laboratoire de Carlsberg. Kopenhagen
1879 ff. Vgl. Kl Ocker: Gärungsorganismen, 1900; L i n d n e r: Mikroskop.
Betriebskontrolle in den Gärungsgewerben; und den 3. Bd. in Lafars
Techn. Mykologie 1906—1907.
4) B r e f e 1 d , Landwirtsch. Jahrb. 1876.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 14. 556 und 15. 8, 1905.
6) Calmette, Annal. Fasteur 1892.
7) G a y o n und D u b o u r g , Annal. Pasteur 1887.
8) Gayon, Ann. chim. phys. 5. s^rie, 14, 1878.
9) Hansen, Compt. rend. trav. laborat. Carlsberg 1888.
246 Kap. VI, § 8Ö u. 86.
ist das Gärvermögen von Aspergillus und Penicillium, das allerdings
schon P a 8 1 e u r beobachtet haben wollte. Dagegen ist die vielseitige
Eurotiopsis (Allescheria) Gayoni, die wir schon mehrfach erwähnt,
auch hier anzuführen^).
Den Bakterien fehlt ebensowenig die Fähigkeit zur alkoholischen
Gärung, doch ist sie stets nur in geringerem Grade ausgesprochen und
von anderen Gärungen derartig verdeckt, daß der Alkoholnachweis
nur bei genauester chemischer Untersuchung gelingt (vgl. § 104).
Immerhin sprechen diese Funde dafür, daß die Alkoholgärung
bei den Mikroorganismen weit verbreitet ist. Noch
interessanter ist aber die Feststellung, daß sie
auch bei den höheren Organismen, Pflanzen und
Tieren beobachtet wird.
Ältere Literatur darüber findet sich bei D ö p p i n g und S t r u v e ,
Joum. prakt. Chem. 41. 271, 1847. Einwandfreie Versuche wurden zuerst
1869 von Lechartier und Bellamy (Compt. rend. 69. 366 und 466;
75. 1204; 79. 949 und 1006) mit Äpfeln und Birnen gemacht, die sich bei
Abschluß von Sauerstoff monatelang am Leben halten ließen. P a s t e u r
(Compt. rend. 75. 1056 und£tudes sur la bi^re, S. 260) setzte einige Jahre
später 24 frische Pflaumen unter eine Glocke, die er mit Kohlensäure
füllte. Nach 8 Tagen waren die Pflaumen trocken und hart geworden und
hatten viel von ihrem Zuckergehalt verloren, ihre Destillation ergab da-
gegen 6,5 g Alkohol, d. h. mehr als 1% ihres Gewichts. Andere Versuche
von Traube (Her. chem. Ges. 1874. 885), Brefeld (Landwirtsch.
Jahrb. 1876) und M ü n t z (Ann. chim. phys. 5. s^rie, 8, 1876) hatten bei
zahlreichen Pflanzen ähnliche Resultate. Brefeld sah den Alkoholgehalt
in Erbsenkeimlingen sogar 5% erreichen. Er betont übrigens die Bildung
von Nebenprodukten, wie Säuren, Fuselöl und aromatischen Stoffen. Auf-
hebung der Lebensfähigkeit durch Erhitzung auf 48* imd Erfrieren hebt
auch die Alkoholbildung auf. R ö h m a n n (Zeitschr. phj^. Chem. 5)
und Rajewski (Pflügers Archiv 11) fanden ebenfalls Alkohol in Leber
und Mastd£urm normaler Tiere. Neuerdings — nach der Entdeckung der
Zymase — sind diese Versuche von verschiedenen Autoren wieder auf-
genonmien worden. Godlewsky und Polzeniusz (Compt. rend.
acad. sc. Cracovie 1901. 227) kamen dabei zu dem Resultat, daß die intra-
molekulare Atmung der Samenkörner, was die quantitative Produktion
von Alkohol und Kohlensäiire anbetrifft, einer echten fklkoholischen Gärung
entspricht. Für M a z 6 (Annal. Pasteur 1900 und 1902) ist der Alkohol
auch unter den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens an der Luft eins
der wichtigsten Zwischenprodukte des Stoffwechsels. Erbsen eignen sich
am besten zum Studium der vegetabilischen Alkoholgärung. Sehr umfang-
reich sind die Arbeiten Stoklasas auf diesem Gebiete. Stoklasa
und C z e r n y (Ber. chem. Ges. 36. 622 und Hofmeisters Beitr. 3. 1 1)
erhielten nach dem Buchner-Albert sehen Verfahren ( § 89) aus
Rüben, Erbsen und Kfiu*toffeln, die sie 5 — 10 Tage bei Sauerstoff abschluß
hielten, ferner aus frischen Erbsenpflänzchen und Zuckerrüben wurzeln,
1) Laborde, Ann. Pasteur 1897; Maz6, Annal. Pasteur 1904.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 247
ebenso aus Blättern und Blüten, aber auch aus frischen oder anaerob auf-
bewahrtem Fleisch, Lunge, Leber und anderen Organen von Schlacht-
tieren ein trockenes Pulver, das, in Zuckerlösung gebracht, diese sofort
in mehr oder weniger stürmische Gärung versetzte. Das Verhältnis der
dabei entwickelten Kohlensäure- und Alkoholmenge entsprach ziemlich
genau demjenigen, das bei der alkoholischen Gärung gefunden wird
(100 : 104,5), nur wurde gewöhnlich etwas zuviel Alkohol bestimmt. Dabei
wurde strengste Vorsorge getroffen, daß keine Verunreinigung durch Mikro-
organismen auftrat. Wo eine solche dennoch stattgefunden hatte, konnten
die Autoren feststellen, daß die Miki'oorganismen nicht an der Gärung
schuld waren. Die Menge der von 10 g Rindslungenenzym in 100 ccm
15 prozentiger Glykoselösung gebildeter Produkte betrug in einem Ver-
suche binnen 52 Stunden 3,088 g Kohlensäure und 3,201 g Alkohol. Von
der Kohlensäure war mehr als der dritte Teil schon in den 12 ersten Stiuiden
entwickelt. Die wesentliche Identität der intramole-
kularen Atmung (§ 62) mit der alkoholischen Gärung
scheint dadurch allerdings sehr wahrscheinlich
gemacht (vgl. auch § 101).
§ 86. Verhalten der zusammengesetzten Kohlehydrate
zm* Alkoholgärung. Einteilung der Hefen. Wie oben (S. 245)
bemerkt, vergären die Hefepilze diejenigen Poly- und Disaccharide,
für die sie hydrolytische 'Enzyme besitzen. Da diese in den verschieden-
sten Mischungen vorkommen, so ergibt sich daraus eine freilich nicht
gerade „natürliche"' Klassifikation der Hefepilze nach ihrem 6är-
vermögen.
Man kann unterscheiden (nach Hansen, Lindner u. a.
von mir zusanmiengestellt^)) :
I. Gruppe des Sacch. cerevisiaCjd. h. Hefen, die Mal
tose, Saccharose, Raffinose, Dextrose und Fruktose, nicht Lak-
tose vergären. Der Sacch. cerevisiae zerfällt wieder in folgende
Abarten:
a) var. Logos (van L a e r) vergärt Dextrin vollständig und
Inulin, ebenso Melibiose;
b) var. Unterhefe I (Frohberg) vergärt einige Dextrine und
Melibiose;
c) var. ünterhefe II (Saaz), vergärt Dextrin nicht, aber Melibiose;
d) var. Oberhefe I (Frohberg) vergärt Dextrin, nicht Melibiose;
e) var. Oberhefe II (Saaz) vergärt weder Dextrin noch Melibiose.
1) Zur Prüfung des Gärungsvermögens eignet sich am besten die von
Lindner angegebene Methode, nach der die Hefeauf seh wemmung (in
Wasser oder Hefewasser) in die Höhlung eines ausgeschliffenen Objekt-
trägere gebracht, mit einer Platinöse Zucker vermischt, unter Vermeidung
von Luftblasen mit Deckglas überdeckt und nun mit Vaselin umrandet
bei 25* stehen gelassen wird. Wenn Gärung erfolgt, treten Kohlensäure-
blasen auf.
248 Kap. VI, § 88 u. 87.
Der Sacch. ellipsoideus (Weinhefe) läßt sich ähnlich einteilen
wie Unterhefe, vergärt aber Melibiose nicht. Weitere Unter-
scheidungsmerkmale gibt das Verhalten zu Trehalose.
Das Gleiche gilt für den Sacch. pastorianus (wilde Krank-
heitshefen). Hierher gehören femer der Sacch. anomalus, S.
(Torula) novae Carlsbergiensis und S. cartilagineus (L i n d n e r).
Der Schizosaccharomyces Pombe vergärt außer den obigen
Zuckerarten Dextrin und Inulin, nicht Mannose und Galaktose,
der Seh. mellacei auch Mannose (L i n d n e r s. u. S. 258).
II. GruppederMoniliacandida vergärt Maltose, Saccha-
rose, Dextrose und Fruktose, nicht Baffinose und Laktose,
III. Gruppe des S. Marxianus vergärt Saccharose, Raffinose,
Dextrose und Fruktose, nicht Maltose und Laktose. S. Marxianus
vergärt Inulin, nicht Dextrin; S. exiguus Dextrin, nicht Inulin; S.
Ludwigii weder Dextrin noch Inulin. Hierher scheint auch der
bekannte Sacch. guttulatus des Kaninchendarms zu gehören ^).
IV. Gruppe des S. albicans vergärt Maltose, Dextrose und
Fruktose, nicht Saccharose und Laktose. S. albicans (Soor).
Der Schizosaccharomyces octosporus vergärt außer der Saccha-
rose, Laktose, und dem Inulin alle Zuckerarten, auch sämtliche
Hexosen (L i n d n e r s. u. § 89).
V. Gruppe des S. apiculatus vergärt Dextrose und Fruk-
tose, nicht Maltose, Saccharose, Raffinose und Laktose, S. api-
culatus, Delbrückii, Bailii, farinosus, anomalus belgicus, S. (Myco-
derma) glycomyces Beijerinck (von B. Fischer und
B r e b e c k 1894 als Endoblastoderma bezeichnet).
VI. Gruppe der Milchzuckerhefen vergärt Laktose (vgl.
§ 82). Sie verhalten sich im übrigen verschieden zu den anderen
Zuckerarten, zum Teil wie Gruppe I und IL
VII. Gruppe der Zucker nicht vergärenden Kahm-
hefen (Mycoderma-, Endoblastoderma-), Torula- und Oidium-
Arten. Hierher gehören nach Buschke^) auch die pathogenen
Oidien Gilchrichts, nach Sternberg*) die patho-
genen Hefen (Sacch. hominis Busse u. a.). Indessen besitzen
sie nach anderen Angaben (Sternberg: Oidien, B u s c h k e :
Hefen) doch ein schwaches Gärvermögen.
l)Casagrandi und Buscalioni (Annali d'igiene 1898),
Wilhelm! (Zentr. Bakt. 2. Abt. 4).
2) Blastomykose in Bibl. medic. Stuttgart 1902.
3) Zieglers Beiträge 32.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 249
§ 87. BeziehuBgen der Y ergärbarkeit zum Bau der Mono-
saccharide. Nachdem wir in früheren Abeclinitten die hydrolytische
Spaltung der Kohlenhydrate durch Hefen erörtert, interessiert uns hier
noch das verschiedene Verhalten der Hefe gegenüber den Produkten der
Hydrolyse. Direkt gärfähig sind überhaupt nur die Hexosen von der
Formel CgH^jO^, aber auch diese nicht sämtlich, sondern nur drei von
allen Aldohexosen, nämlich die d-Glykose (Traubenzucker, Dextrose),
die d-Mannose und die d- Galaktose, sowie nur eine Ketohexose, nämlich
die d-Fruktose (Fruchtzucker, Lävulose ^)). Das ist wieder ein Beispiel
für die ausschlaggebende Bedeutung, welche die Konfiguration
des Moleküls für die Angreifbarkeit desselben durch die Mikro-
organismen besitzt. Ebenso wie manche Schimmelpilze nur oder wenig-
stens in erster Linie die Rechtsweinsäure zersetzen können (§ 58),
spalten die Hefen nur die d-Hexosen, nicht ihre optischen Antipoden,
die 1- Verbindungen; aber auch jede andere Veränderung in der Stellung
der Atome hebt die Gärfahigkeit auf oder beeinträchtigt sie wenigstens
um so mehr, je größer die Verändenmg, die das Molekül dadurch in
seiner Konfiguration gegenüber der d-Glykose erleidet. Klarer wird
das wenn wir uns nach E. Fischer^) die Konfigurationsformeln
der Hexosen vergegenwärtigen:
COH
COH
HOCH
HCOH
HCOH
HOCH
HOCH
HCOH
HOCH
HCOH
CH^OH
CHjOH
II. I-Glykose.
I. d-Glykose.
Hier ist die Verbindung links, das Spiegelbild von der d-Glykose,
unvergärbar, während die letztere unter allen Zuckern am besten ver-
goren wird. Wird jetzt das Wasserstoffatom und das Hydroxyl an
dem ersten asymmetrischen Kohlenstoff atom der d-Glykose vertauscht,
so entsteht die leicht, aber immerhin schwerer als die Glykose vergär-
bare d-Mannose. Auch der Umtasuch der an das dritte asymmetrische
Kohlenstoffatom geketteten
1) Vgl. E. Fischer und Thierfelder, Ber. ehem. Ges. 27.
2036 und Lindner, Wochenschr. Brauerei 1900, auch S. 196 und 197
der Mikr. Betriebskon trolle in den Gärvuigsge werben 1901. S. u. auch
die Übersicht S. 268.
2) Zeit sehr, physiol. Chem. 26.
250 Kap. VI, § 87 u. 88.
COH COH
HOCH HCOH
HOCH HOCH
HCOH HOCH
HCOH HCOH
CHgOH CHjjOH
III. d-Mannose. IV. d-Galaktose.
Atome gibt noch einen Zucker, die Oalaktose, der gewöhnlich vergoren
wird, allerdings nicht so kräftig, wie die bisher genannten. Findet die
Umstellung aber am ersten und dritten oder am ersten und vierten
oder am zweiten und dritten Eohlenstoffatom statt, so entstehen
die drei gärungsunfähigen Hexosen d-Talose, d-Gulose und 1-Gulose.
COH
COH
COH
HOCH
HOCH
HCOH
HOCH
HOCH
HCOH
HOCH
HCOH
HOCH
HCOH
HOCH
HCOH
CHjOH
CH2OH
CHjOH
V. d-Talose VI. d-Gulose VII. I-Gulose
Die d-Fruktose, die einzige Ketohexose, die vergoren wird, und
zwar im allgemeinen ebenso leicht als die d-Glykose, hat folgende ab-
weichende Konfiguration, deren sonst möglichst hohe Ähnlichkeit
mit der letzteren aber ins Auge springt.
CHgOH COH
CO HCOH
HOCH HOCH
HCOH HCOH
HCOH CH2OH
CH2OH
VIII. d-Fruktose. IX. Xylose.
Von den Ketosen ist sonst noch die 1-Fruktose, Tagatose und die
Sorbose mit negativem Erfolge geprüft worden.
Pentosen (Xylose, Arabinose, Rhamnose), Heptosen (a-Glyko-
heptose), Oktosen (a-Glykooktose) sind nicht gärfähig, wohl einzelne
Nonosen (Mannononose). Ob die Triose (Glyzerose) vergoren wird,
ist zweifelhaft (Emmerling, Ber. ehem. Ges. 32. 342). Figur IX zeigt die
Konfiguration der Xylose und ihre sonst vollständige Ähnlichkeit mit
der d-Glykose. Das Fehlen des vierten asymmetrischen Kohlenstoffs
reicht aber hin, um diesen Zucker gegen den Angriff der Hefe zu schützen.
§88. Theorie der alkoholiseheii Zuckerspaltung. Aus den
im vorstehenden aufgeführten Tatsachen haben E. Fischer und
Wandlungen der Kohlenhydrate.
251
Thierfelder ebenso wie aus ihren Untersuchungen über die hydroly-
tischen Spaltungen der Glykoside (vgl. § 154) den Schluß gezogen, daß
zwischen den Enzymen und ihren Angriffsobjekten eine Ähnlichkeit
der molekularen Konfiguration bestehen müsse, wenn Reaktion er-
folgen solle. Fischer^) verglich die Anpassung des Enzyms an die
zu verwandelnde Substanz mit derjenigen, die zwischen Schlüssel und
Schloß besteht. Es ist das freilich nur ein Bild, aber ein so anschauliches,
wie wir es ims bei diesen dunklen Verhältnissen nur wünschen können.
Mit dieser Hypothese ist natürlich über die Art der Spaltung des
Zuckermoleküls zu Alkohol und Kohlensäure noch nichts gesagt.
Weil Zwischenprodukte bei diesen Reaktionen bis vor kurzem nicht
bekannt waren, sie auch auf andere Weise als durch Fermentwirkung
nicht hervorgerufen werden konnten, so war man auf Vermutungen
angewiesen. Da Zahl und Beschaffenheit der Atome nach der Reaktion
dieselbe wie vorher ist, so könnte man sich vorstellen, daß sie zustande
käme durch eine Verschiebung der Atome innerhalb des
Zuckermoleküls, eine Verschiebung, wobei einerseits durch Bindimg
von zwei Dritteln der Sauerstoffatome an ein Drittel der Kohlenstoff-
atome eine Oxydation und andererseits durch Bindung fast sämt-
licher Wasserstoffatome an den übrigen Kohlenstoff eine Reduk-
tion einträte. Es ist aber kaum anzimehmen, daß der Prozeß ab
einfache Atomverschiebimg verläuft. Vielmehr hat Ad. Baeyer^)
schon 1870 durch analoge Reaktionen die Hypothese begründet, daß
die Atomverschiebung vermittelt werde durch abwechselnden Aus-
und Eintritt von Wassermolekülen. Indem wir auf die nähere Be-
gründung durch B a e y e r verweisen, geben wir hier die dabei sich
etwa abspielenden Vorgänge in einer von E. Buchner etwas ver-
änderten Form wieder.
1. 2.
CHO + HH
CHOH
3.
CHgOH
4. 5. 6. 7.
+ HII CH3 — HgO
8.
9.
!CH,
CHOH
CHOH
OH-
CHgOH
+ H
+ OHH CO2 + 2H2O
CH0H + ÖHn<;OH_jjo+^^ C^OH * + OHOH CO» + 2 H^O
OHl| OH
CHOH CHOH
CHjOH+HHCHj — HgO
1) Ber. ehem. Ges. 1894. 2992.
2) Ebenda 1870. 03.
I OH
CHOH
+ H
CHjOH
CH.
CH,
252 Kap. VI, § 88 u. 89.
Aus dem Molekül des Traubenzuckers (1) bildet sich durch Ein-
tritt von 4 Wassermolekülen (2) die Zwischenverbindung (3) unter Aus-
tritt von 3 Wassermolekülen (4). Zwei H2O (5) treten an anderer Stelle
wieder ein und bilden das Vorprodukt der eigentlichen Spaltung (6),
das eine Art vom Anhydrid der Milchsäure ist unter Wiederaustritt
von zwei HgO (7). Treten jetzt drei Wassermoleküle dazu (8), so zer-
fällt das Ganze in (9) 2 Moleküle Alkohol, 2 Moleküle Kohlensaure
und 4 Wassermoleküle. Durch die Anhäufung des Sauerstoffs in der
Mitte des Moleküls (6) wird eine Sprengung an dieser Stelle begünstigt.
Einen ähnlichen Gedankengang verfolgte N e n c k i ^), ließ aber
den Alkohol unmittelbar durch Abspaltung von Kohlensäure aus Milch-
säure hervorgehen,
COOK — CHOH — CH3 = CO2 + CHjOH — CH3
die ihrerseits aus dem Zucker auf dem Umwege über das Dioxypro-
pionaldehyd CHO — CHOH — CHgOH durch Ein- und Austritt von
Wasser sich bilden soll.
Neuere Untersuchungen haben ergeben (s. u. § 90), daß bei der
zellfreien Gärung Milchsäure wirklich neben Alkohol und Kohlen-
säure in wechselnden Mengen auftritt und wieder verschwindet. B u c h -
n e r und Meisenheimer^) folgern daraus, daß dieser Stoff ein
Zwischeneizeugnis der Gärung sei imd schließen sich zuletzt der von
Wohl und N e f ^) näher begründeten Ansicht an, daß Methylglyoxal
CH3 — CO — COH, nicht die Dioxy-y-Ketonsäure COOK — CHOH
— CHj — CO — CHOH — CH3, wie sie es zuerst annahmen, als das
erste Umwandlungsprodukt der Glykose bei der Gärung zu betrachten
sei, obwohl sie diesen letzteren Stoff mit Dauerhefe nicht spalten
konnten. Den ersten Teil der Gärung, die Milchsäureentwicklong,
führen sie jetzt auf ein besonderes Enzym, das sie wieder „Hefe-Zymase**
nennen, die Spaltung der Milchsäure auf die „Laktazidase^^ zurück.
Abgesehen von der Milchsäure, die noch dazu bei der Gärung durch
lebende Hefe auch fehlt, ist aber keins der übrigen Zwischenpro-
dukte bisher nachgewiesen worden. Es bleibt auch die Möglichkeit
bestehen, daß die Milchsäure ihre Entstehung der Wirksamkeit eines
anderen Endoenzyms verdankte und, wie bei der Milchsäuregärung
durch Bakterien, gar nichts mit der Alkoholbildung zu tun hätte (§ 99
und 104). Immerhin bliebe dann das auch nach künstlichem Zusatz
von Milchsäure zum Preßsaft manchmal beobachtete Verschwinden
1) Joum. prakt. Chem. 17. 105, 1883.
2) Ber. chem. Ges. 1904. 417 und 1905. 620; 1906. 3201.
3) Annal. der Chem. und Pharm. 335. 254 und 279, 1904.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 253
der Milchsäure^) zu erklären. Weitere Untersuchungen, die auch auf
die Preßsäfte anderer Hefepilze (§ 89) auszudehnen wären, sind natür-
lich sehr wünschenswert.
Auch auf rein chemisch-physikalischem Wege ist mehrfach die Ent-
stehung von Milchsäure und Alkohol aus Zucker nachgewiesen worden.
Zunächst fanden N e n c k i *) und S i e b e r , daß allerdings bei etw&s
erhöhter Temperatur (35 — 40*) " Traubenzucker mit 0,3 prozentiger Kali-
lauge nach 10 Tagen, mit 1 prozentiger Kalilauge nach 6 Tagen unter
Milchsäurebildung verschwindet; dann stellte Duclaux') fest, daß
(ilykoee im Sonnenlicht in Gegenwart von Kalilauge in Alkohol und Kohlen-
säure, bei Gegenwart von Barytwasser in Milchsäure gespalten wird,
während milchsaurer Kalk in wäßriger Lösung ebenfalls im Sonnenlicht
zu Alkohol, Kalziumkarbonat und Azetat zerfällt. B u c h n e r und M ei-
senheimer sahen Glykose in 5 prozentiger Kalilauge selbst im Dunkeln
und bei gewöhnlicher Temperatur nach 11 Monaten unter reichlicher Bil-
dung von Milchsäure vollständig verschwinden, und stellten aus Kalzium-
laktat, das mit Kalziumhydroxyd erhitzt war, größere Mengen Äthyl-
alkohol imd Isopropylalkohol dar.
Eine andere Art von katalytischer Umwandlung des Zuckers in
Alkohol und Kohlensäure hat Schade *) emgegeben. Danach soll Zucker
mit Kalilauge unter Luftdurchsaugung in Azetaldehyd und Ameisensäure
C.H,,0, = 2(CH,CHO -f HCOOH)
zerfallen und beide Körper zusanmien durch Rhodiununohr Alkohol und
Kohlensäure ergeben, indem die Ameisensäure in Kohlensäure und Wctöser-
i^toff zerspalten werde und der entstehende Wasserstoff das Azetaldehyd
zu Alkohol reduziere. Der erste Teil des Prozesses wird aber von B u c h -
n e r und Meisenheimer*) in Abrede gestellt und die Entstehung
der Ameisensäure durch Oxydation aus Formaldehyd erklärt, der sich
auf dem Umwege über das Glyzerinaldehyd unter dem Einfluß des Alkalis
bilde.
§ 89. Zymase. Lüdersdorff«) hatte schon 1846 in der
ausgesprochenen Absicht, zwischen der L i e b i g sehen Gärungs-
theorie und der vitalistischen Anschauung zu entscheiden, Hefezellen
auf einer matt geschliffenen Glasplatte mit Hilfe eines gläsernen Läufers
vollständig zerrieben, bekam aber bei der Prüfung dieses Breies mit
Traubenzucker nicht ein einziges Gasbläschen, v. Manassein^)
sah zwar bei einer Nachprüfimg dieses Experimentes Gärung eintreten,
gleichzeitig aber auch Sprossung erhaltengebliebener Hefezellen. Das
1) Vgl. übrigens dazu Slator, Ber. ehem. Ges. 1907. 123.
2) Joum. prakt. Chem. 24. 501, 1881.
3) Vgl. Annal. Pasteur 1893. 751 und 1896. 168.
4) Zeitschr. physik. Chem. 67, 1906 und Nachtrag 1907; Münch.
med. Woch. 1907. 38.
5) Ber. chem. Gesellsch. 1906. 4217.
6) Pogg. Annal. 67. 408.
7) Bei Wiesner, MikroBkopische Untersuchungen, Stuttgart 1872,
S. 126.
254 Kap. VI, § 89.
Ergebnis war also nicht einwandfrei, führte aber die Verfasserin doch
zu der ausgesprochenen Überzeugung, daß das Leben der Hefe zur
Gärung nicht nötig sei. Andere Forscher, wie Ad. Mayer ^), Am-
thor*), E. Fischer und Lindner ^), Cremer*) arbeiteten
zwar auch mit zerriebenen Hefezellen, aber nur, um hydrolytische
Enzyme daraus darzustellen. Man muß daher zugeben, daß nur von
sehr wenigen Gelehrten auch nur der ernstliche Versuch gemacht
worden ist, die Anwendbarkeit der Enzjontheorie auf die Alkohol-
gärung zu prüfen. In dem Grade stand man unter dem Banne der
vitalistischen Theorie. An Forschem, welche an der alten L i e b i g -
Traube sehen Auffassung mehr oder weniger festhielten, fehlte es
trotzdem nicht (H o p p e - S e y 1 e r ^), Low*), E. Fischer"),
Will®),Lafar®). Will beobachtete sogar eine kräftige Gärwirkung
von Hefe, die 9 Jahre lang gelagert hatte und kaum noch lebende
Sicllen enthielt. So ist es fast ein Wunder, daß die Entdeckung der Zy-
mase solange hat auf sich warten lassen. Das schmälert natürlich das
Verdienst E. Büchners*^) in keiner Weise. Seine Versuche, die
1893 begannen, führten ihn und seinen Mitarbeiter M. Hahn 1897
zu dem Ergebnis, daß es gelingt, frische, unter 50 Atmosphären trocken
abgepreßte Bierhefe (1 kg) mit feinem Quarzsand (1 kg) und Kiesel-
guhr (0,2 — 0,3 kg) in einer gewöhnlichen Reibeschale so zu zerreiben,
daß die Zellen zum größten Teil zerstört werden, und dann aus diesem
in ein Tuch eingeschlagenen Gemisch unter einer hydraulischen Hand-
presse bei 400 — ^500 Atmosphären Druck einen Saft (300 — 500 ccm)
auszupressen, der erhebliche Gärkraft besitzt. So wurden z. B. aus
20 ccm Saft, der mit 8 g Rohrzucker und 0,2 ccm Toluol versetzt war,
bei 22° C in 24 Stunden 0,23—1,32, in 3 Tagen 0,48—1,87 g Kohlensäure
entwickelt. Letztere Zahl entspricht etwa 1 Liter Kohlensäure. Guter
Preßsaft liefert mit dem dritten Teil einer 60 prozentigen Rohrzucker-
lösung vermischt bei 28° in 1 Stunde das 1^4 — ^2^4 fache seines Volu-
mens an Kohlensäure. Die Gasentwicklung beginnt
also sofort und fällt deutlich in die Augen. Wenn
1) Lehre von den chemischen Fermenten 1882.
2) Zeitschr. angewandt. Chemie 1892. 319.
3) Ber. ehem. Ges. 27. 3479 und 28. 3037.
4) Zeitschr. f. Biol. 31. 188.
5) Pflügers Arch. 12. 9.
6) Journ. prakt. Chem. N. F. 33. 351.
7) Ber. chem. Ges. 27. 2993.
8) Zeitschr. f. Brauwesen 1896. 20.
9) Techn. Mykol. 1897. 21.
10) Ber. chem. Ges. 30 — 32, vgl. auch Buchner und Hahn,
die „Zymasegärung" 1903.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 255
dieses Ergebnis für jeden, der die Hefegärung kennt, schon keinen
Zweifel darüber läßt, daß es nicht die lebende Hefe ist, die im Preß-
saft wirkt, so beweisen dasselbe ijnikroskopische Untersuchimg und
Kultorversache. Z. B. waren in 20 ccm Saft nach 3 Tagen nur 1420
Bakterien und 80 Hefezellen anwesend, eine Zahl, die gegenüber der zer-
setzten Zuckermenge überhaupt nicht in Betracht kommt. Selbst bei
Zusatz frischer Hefezellen zu altem, gezuckertem Preßsaft ist die Gärung
eine ganz unbedeutende, der Saft wirkt also geradezu entwick-
langs - und gärungshemmend auf lebende Zellen (vgl. Geret ^)
und Rapp^)). Filtrieren des Saftes durch Bakterienfilter verursacht
eine starke Abnahme seines Gärvermögens, wie nach anderen Er-
fahrungen zu erwarten war, immerhin blieb es bei Benutzung von
Eieselgurfiltem noch energisch genug. Einengen des Saftes bei 22 — 35°
und völliges Einkochen unter der Luftpumpe vermindert dagegen seine
Gärkraft nur imbedeutend. Das Trockenpräparat läßt sich auch monate-
lang aufbewahren und sogar stundenlang auf 85° erhitzen, während
der Preßsaft selbst schon nach kurzer Zeit, wahrscheinlich unter dem
Einfluß eines gleichzeitig vorhandenen tryptischen Fernlentes (s. Endo-
tryptase, § 166), seine Wirktmg verhert. Durch Ausfrierenlassen kann
man den Preßsaft konzentrieren ( A h r e n s) und durch Fällen mit
Alkohol, Äther oder Azeton die wirksame Substanz ziemlich unge^
schmälert gewinnen; sie ist in Wasser nur schwer, gut in verdünntem
Glyzerin löslich. Wie vergleichende Versuche mit Fällungen durch
>iel oder wenig Alkohol ergaben, kann der Anteil des Enzyms an der
gefällten Substanz nur ein ganz unbedeutender sein, denn der Nieder-
schlag wog in beiden Fällen gleich schwer, während seine Gärkraft
sehr verschieden war. Am günstigsten erweist sich die zehnfache Menge
des Fällungsmittels. Das niedergeschlagene trockene Enzym wird ent-
gegen anderen ähnlich dargestellten Enzymen schon durch Tempera-
turen von 105 — HO« zerstört.
Gewöhnlich bedeutend größer als die Gärkraft des Hefepreßsaftes
ist die vorsichtig abgetöteter Hefezellen, der sogenannten Dauer-
li e f e (Zymin), die durch sorgfältiges Trocknen an der Luft und sechs-
stündiges nachfolgendes Erhitzen bei 100° (E. B u c h n e r) oder durch
Einwirkung von Alkohol-Äther (R. A 1 b e r t ^)) oder Azeton (Albert,
B u c h n e r und R a p p *)) auf trocken abgepreßte Hefe erhalten
wird. Die Chemikalien dürfen nur 5 — 15 Minuten mit der Hefe in
1) Münch. med. Woch. 1901. 46.
2) Ebenda 1902. 36.
3) Ber. ehem. Ges. 33. 3775.
4) Ebenda 35. 2375.
256 Kap. VI, § 89.
Berührung bleiben. Im Durchschnitt bringt die Dauer-
hefe gleiche Teile Zucker zur alkoholischen Gä-
rung. Aus diesem Präparat läßt sich durch Zerreibung imd Aus-
pressen wieder ein gärtüchtiger Preßsaft gewinnen, es wirkt aber auch
unzerkleinert. Seiner Haltbarkeit wegen wird es fabrikmäßig dar-
gestellt (Schröder- München).
Da das Azetonverfahren auch sonst für die Darstellung von En-
zymen Anwendung finden kann, soll es hier genau angegeben werden.
500 g ausgewaschene und trocken abgepreßte frische Bierhefe wird
mit 3 Litern Azeton 10 — 15 Minuten lang verrieben, das Azeton dann
abgegossen, durch Filtrierpapier möglichst vollständig abgesogen,
durch 1 Liter frisches Azeton ersetzt, dies nach 2 Minuten abermals
entfernt, die Masse 3 Minuten lang mit 250 ccm Äther verrieben, der
Äther abfiltriert, der Rückstand auf Filtrierpapier ausgebreitet und
24 Stimden bei 45® getrocknet. Man erhält so etwa 30% des ursprüng-
lichen Hefegewichts. 4 g dieser Azetonhefe geben mit 2 g Rohrzucker
in 10 ccm Wasser und 0,2 g Toluol binnen 72 Stunden 1 g Kohlensäure.
Die Gasentwicklung beginnt früher als bei dem Alkohol-Ätherpräparat
und ist auch kräftiger.
Von selbst abgestorbene Hefe soll dagegen unfähig sein, Gärung
zu erregen.
Um wirksame Zymase zu gewinnen, ist es nötig, die Hefe mög-
lichst frisch zu verarbeiten, doch schadet eintägiges Lagern unter Eis-
wasser nicht. Wird gut gewaschene und trocken abgepreßte Hefe
3 — ^20 Stunden bei 0® an der Luft stehengelassen, so erhält man sogar
eine Steigerung des Gärungsvermögens in der daraus hergestellten
Dauerhefe.
Die Zymase der gewöhnlichen Bierhefe vergärt nach B u c h n e r
wie lebende Hefe die Glykose und Fruktose gleichgut, die Galaktose
viel schlechter, über Mannose fehlt eine Angabe. Arabinose wird nicht
angegriffen.
Außer der Zymase enthält der Hefepreßsaft (und die Dauerhefe),
wie von vornherein zu erwarten, auch noch die übrigen Enzyme der
Hefe. Nachgewiesen wurden die Wirkungen der Invertase, Maltase,
Raffinase, Melibiase, Glykogenase, das Vermögen Milch- und Essig-
säure zu bilden (§ 90), ferner tryptische Fermente, die Endotryptase,
Nuklease, Arginase (§ 166), Emulsin (§ 154), Lipase (§ 138), oxydierende
(§ 159 u. 222), reduzierende (§ 161 u. 211), und schließlich noch S)ti-
thetische Enzyme (§ 90). Das spezifische Gewicht des Preßsaftes be-
trägt 1,027—1,050, sein Trockenrückstand 8,5—14,0%, sein Stick-
stoff gehalt 0,74—1,75%.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 257
£. Buchner hat mit Meisenheimer^) auch den Preß-
saft einiger anderer Hefearten tmtersucht. Derjenige der M o n i 1 i a
Candida zeigte nur schwache Gärkraft, wie die lebende Zelle ja
auch; er invertierte Rohrzucker energisch, was sich nach dem voran*
gegangenen Versuch £. Fischers erwarten ließ (S. 235). Der Preß-
saft einer Milchzuckerhefe aus armenischem „Mazun^^ vergor Glykose
und Laktose, Saccharose kaum (§ 82). M a z e ^) hat die Z3miase der
Eurotiopsis Gayoni, Kostytsphew aus anderen Pilzen (§ 222)
Äzetonpraparate dargestellt. Entsprechend der schwachen Gärkraft
der Eurotiopsis wirkte auch das Enzym viel schwächer, vertrug auch
die Erhitzung auf 100® im Azetonpräparat schlecht. Schwächer als
der Preßsaft aus Unterhefe wirkt nach Macfadyen, Morris
und Rowland^) und H a r d e n und Y o u n g *) auch der aus
Oberhefe da^estellte. Im übrigen bestätigt namentlich die letzt-
genannte Arbeit, wie die verschiedener anderer Forscher^) die Angaben
E. Buchners vollständig. Warschawsky^) fand, daß Sacch.
cerevisiae I und S. Pombe ebenfalls Zymase bilden, jedoch nur
auf Nährböden, die gärfähiges Material entr
halten und eine gute Entwicklung gestatten. In dem Sacch. mem-
branaefaciens, der Zucker nicht vergärt, fand sich auch keine Zymase.
Bisher hat sich das Alkoholferment noch nicht von den übrigen
Enzymen trennen lassen^), geschweige denn, daß es gelungen wäre,
die beiden neuerdings von Buchnerin dem Preßsaft angenommenen
Teilenzyme der alkoholischen Gärung, die Zymase im engeren Sinne
und die Laktazidase (§ 88 u. 90) voneinander zu scheiden. Dagegen ist
es möglich, durch die Filtration oder Dialyse wenigstens einen anderen
für die Gärung wichtigen Stoff, ein Koenzym („Koferment") von der
Zymase zu trennen. H a r d e n und Y o u n g ^) beobachteten näm-
lich, daß gekochter imd filtrierter Preßsaft, zu ungekochtem zugesetzt,
dessen Gärwirkung verstärkte und fanden dann weiter, daß Filtra-
tion durch ein mit Gelatine getränktes Filter den Preßsaft in zwei
1) Zeitschr. physiol. Chemie 40, 1903.
2) Annal. Pasteur 1904. 284.
3) Ber. ehem. Ges. 1900. 2764.
4) Ebenda 1904. 1052.
5) W i 1 1 , Zeitschr. f. Brauwesen 1898. 291; Delbrück, Woch.
Brauerei 1897. 363; Green, Annal. of bot. 1898; Wroblewski,
Zentr. Physiol. 1898. 697; Ahrens, Zeitschr. angew. Chem. 14, 1900;
Stavenhagen, Ber. chem. Ges. 1897. 2422 und 2963.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 400, 1904.
7) Buchner und A n t o n i, Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 1905;
B u c h n e r und H o f m a n n , Biochera. Zeitschr. 4, 1907.
8) ref. Joum. of physiol. 32 I und Bull. Pasteur 1905. 430.
Kr ose, Mikrobiologie. 17
258 Kap. VI, § 89.
Teile trennte, die allein den Zucker nicht vergären, wohl aber mit-
einander gemischt. E. Buchner und K 1 a 1 1 e ^) ergänzten diese
Befunde, indem sie nachwiesen, daß Preßsaft, der durch Lagern un-
wirksam geworden ist, nicht nur seiner Gärkraft, sondern auch des Ko-
enzyms beraubt ist. Wahrscheinlich geschieht das letztere nicht wie
das erstere durch die Endotryptase (s. o.), sondern durch eine Lipase.
Vielleicht ist das Koenzym ein organischer Phosphorsäureester, der
durch Lipase unter Abspaltung von Phosphorsäure verseift wird. Auch
glyzerinphosphorsaures Natron erhöhte die Gärkraft des Preßsaftes
auf über das doppelte, ebenso Lezithin und sekimdäres Natriumphosphat,
war freilich nicht imstande, den durch Gärung imwirksam gewordenen
Preßsaft wirksam zu machen.
Eine wichtige Frage ist die, ob alle Organismen, die alkohoUsehe
Gärung zu erregen vermögen, sich gegenüber den Zuckerarten gleich
verhalten, mit anderen Worten, ob man die Einheit des Alkoholfer-
mentes, der Zymase, mit Grund annehmen darf. Zimächst müßte
der Beweis für Bakterien, Pflanzen und Tiere noch genauer geführt
werden. Man kennt aber auch für die Hefen selbst einige Tatsachen,
die gegen die Einheit sprechen. Folgende Übersicht, die wir nach den
Erfahrungen von L i n d n e r (S. 249) zusammenstellen, belehrt uns
über das Gärvermögen verschiedener Heferassen gegenüber den
4 vergärbaren Hexosen. Das Gärvermögen ist mit Zahlen von 0 bis 3
bezeichnet.
d-Glykose d-Mannose d- Galaktose d-Fruktose
Hefe „Logos"
„ aus Zackerrohrmelasse
3
3
3
3
2
0
3
3
Schizosaccharomyces Pombe
„ mellacei
3
2
0
2
0
0
3
2
„ octosporus
Sacchar. apiculatiis
(Leipzig)
„ exiguus
„ Ludwigii
„ membranaefaciens
2
1
3
3
3
1
2
1
0
0
2
0
1
1
0
1
1
0
3
3
3
3
3
1
„ farinosus
1
0
0
3
Monilia variabilis
3
0
2
3
Während die Hefe Logos, Sacch. Ludwigü und membranaefaciens
in ihrem Gärvermögen gegenüber den Hexosen die gewöhnliche Reihen-
folge zeigen und nur in der Intensität der Enzymwirkung aus einander
gehen, weichen die übrigen Rassen mehr oder weniger von der
1) Biochem. Zeitschr. 8, 1908.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 259
Regel ab. So vergären Schizosacch. Pombe und Sacch. apiculatus
(Leipzig) Glykose und Fruktose sehr gut, lassen aber Mannose und
Galaktose ganz unberührt. Fruktose wird am stärksten vergoren von
Schizosacch. octosporus, Sacch. apiculatus und farinosus. Die Hefen
aus Zuckerrohrmelasse tmd Schizosacch. mellacei greifen die Mannose
ebenso energisch an wie Glykose und Fruktose, die Galaktose gar
nicht, umgekehrt vergärt Monilia variabilis die Galaktose, nicht die
Mannose. Aber auch diejenige Kombination, die in obiger Tabelle fehlt,
findet sich bei gewissen Arten von Hefen, den sogenannten Milchzucker-
hefen (vgl. § 82) ; von ihnen wird nämlich der Regel nach die Galaktose
kräftiger angegriffen als die Glykose (M a z e).
Mag auch hier und da bei diesen Proben eine Zufälligkeit unter-
gelaufen sein, die das Resultat getrübt hat, über alle Unregelmäßig-
keiten dürfen wir uns durch diesen Einwand nicht hinwegtäuschen
lassen, sie führen vielmehr zu dem Schluß, daß das gärende Prin-
zip, das E. Buchner als Zymase bezeichnet hat,
keine einheitliche Substanz ist, sondern daß wir
vielleicht berechtigt sind, T ei Iz y m 2fs en , etwa
eine Glyko-, Frukto-, Manno- und Galakto-Zy-
mase anzunehmen. Nach den Erfahrungen, die wir bei den hydro-
lytischen Enzymen gemacht haben, kann uns diese Mannigfaltigkeit
der Fermentwirkungen kaum noch verwundern.
In demselben Sinne lassen sich die Ergebnisse deuten, die Die-
nert*) b3i 8?inen Versuchen über die Anpassungsfähigkeit
des Gärvermögens der Hefen bekommen hat. Alle Hefe-
rassen, auch diejenigen, die Galaktose gar nicht vergären, sollen sich,
sofern sie überhaupt Gärung erzeugen, an die Vergärung dieses Zuckers
gewöhnen lassen. Am besten gelingt das bei Kultur in stickstoffreicher
Lösung, die neben Galaktose Glykose enthält, wie schon Dubourg^)
behauptet hatte. Dabei wird nicht etwa die Galaktose mit in die Gärung
„hineingerissen" (B o u r q u e 1 o t ^)) , sondern sie wird später auch
ohne die Glykose vergoren. Dienert will übrigens diese Tatsache
nicht durch die Annahme zweier verschiedener Zymasen für die Gly-
kose und Galaktose erklären, sondern durch Veränderungen in dem
Bau der einen Zymase. Uns scheint die erste Vorstellung besser be-
gründet. Es darf dabei nicht verschwiegen werden, daß andere For-
scher, wie van Laer*) und die Hansen sehe Schule überhaupt
1) Annal. Pasteur 1900.
2) Compt. rend. eye. sc. 129. 63.
3) Ebenda 106. 283.
4) Kochs Jahresber. 1896, 97.
17*
260 Kap. VI, § 90.
die Möglichkeit solcher Anpassungen leugnen. Sie halten das Gär-
vermögen für eine — wenigstens qualitativ — beständige Rasseneigen-
schaft der Hefe.
Vorläufig müssen wir uns in dieser Frage auf Vermutungen be-
schränken, da unsere Kenntnisse über die Zymase noch auf viel zu
wenig umfangreichen Feststellungen beruhen. Bisher haben wegen
der Schwierigkeiten, welche die Darstellung dieses Enzyms mit sich
bringt, nur wenige Forscher sich damit beschäftigt. Von einem Ver-
fahren, die Zymase auch nur so weit zu isolieren, wie es bei anderen
Enzymen möglich gewesen ist, kann überhaupt noch keine Rede sein.
Nicht weniger als fast die ganze protoplasmatische Substanz der Zellen
haftet den besten Präparaten noch an.
§ 90. Erzeugnisse der alkoholischen Gärung. Wenn man
auch schon seit Lavoisier annahm, daß der Zucker bei der Gärung
in Alkohol und Kohlensäure zerfällt und seit Gay-Lussac (1815)
die alkoholische Gärung durch die Gleichung
I. - CeHiaO« = 2 COa + 2C2HeO (+ 22,3 kal.i))
ausdrückte, so vnißte man doch schon, daß Alkohol und Kohlensäure
nicht die einzigen Gärprodukte sind. Aber erst Pasteur^) war es,
der die Natur der Nebenprodukte im wesentlichen richtig fest-
stellte. Er fand 2,5 — 3,6% des vergorenen Zuckers als Glyzerin,
0,4 — 0 7% als Bernsteinsäure wieder. D u c 1 a u x bestimmte
dann noch ca. 0,05% als Essigsäure®). Dazu kommen Spuren
von Ameisensäure, Aldehyd (R o e s e r *) , K a y s e r ^)) , Azetal,
wechselnde Mengen Propyl-, Isobutyl, Hexyl- und namentlich Amyl-
alkohol, deren Gemisch als Fuselöl bekannt ist, ätherartige
Stoffe, die das „Bouquet" (Blume, Aroma) des Weins bedingen,
und Furfurol. Doch ist sowohl die Herkunft des Fuselöls als des
Furfurols aus dem Stoffwechsel der Hefe bestritten (Chapmann
1) Über die Wärmebildimg bei der alkoholischen Gärung vgl. § 237,
Über die eigentümliche Geschichte dieser Gleichung s. Duclaux, Mikro-
biol. 3. 264 ff.
2) a. a. O. (§ 84); vgl. Mach und Portele, Landwirtsch. Ver-
suchsstation. 41. 233 ; Thylmann und H i 1 g e r , Arch. Hyg. 8; R a u
eb. 14; Wortnaann, Lemdwirtsch. Jahrb. 1894. Als Minimum fanden
sich 0,2 — 0,3% Bernsteinsäure imd 0,8 — 1,9% Glyzerin.
3) Nach H e i n z e (Zeitschr. f. Hyg. 46. 326) werden wahrscheinlich
außer Ameisensäiu*e noch Spuren anderer Säuren (Wein- und Äpfelsäure)
bei der normalen Weingärung gebildet. Sehr hohe Zahlen für Essigsäure
findet M a z 6 (Annal. Pasteur 1904. 294) bei der von ihm studierten Hefe.
4) Annal. Pasteur 1893.
5) Ebenda.
Wandlungen der Kohlenhydrato. 261
und Gentil^), Emmerling*)) und auf Bakterienwirkung
zurückgeführt worden. Nach K r u i s und R a y m a n ') würden sie
zwar von der Hofe gebildet aber nur bei Verwendung bestimmten
fetthaltigen Gärmaterials, nach F. Ehrlich^) ebenfalls von der
Hefe selbst, aber aus dem Leuzin und Isoleuzin des Nährbodens, nach
Effront^) auch bei der Selbstverdauung der Hefe. Durch die
F. Ehrlich sehen Arbeiten scheint die Frage endgültig entschieden
zu sein, eine wesentliche Beteiligung von Bakterien wäre übrigens
nach Pringsheim®) schon deshalb ausgeschlossen, weil die von
ilmen gebildeten höheren Alkohole eine andere Zusammensetzung
haben, nämlich zum größten Teil nicht aus Amyl-, sondern aus Butyl-
alkohol bestehen.
Die Bouquetstoffe (vgl. § 95) entstammen teilweise nicht der Hefe-
wirkung, sondern den Trauben selbst (Wortmann')) oder werden
erst bei der Destillation erzeugt, zum Teil entstehen sie aber sicher
duTch die Tätigkeit der Hefe selbst. Nach Bokorny®) würden
sie durch eine Fermentwirkung, vielleicht die Zymase selbst gebildet,
denn wenn man große Mengen gärfähigen Zuckers, z. B. 66 g mit 100 g
Preßhefe zusammenbrächte, träte Gärung und Aromabildung ein. Ab-
steibeprozesse kämen dabei nicht in Frage, denn Milchzucker bliebe
ohne Wirkung. Nach F. Ehrlich spielen aber bei der Bildung der
Bouquetstoffe ebenso wie bei der der Ameisensäure und des
Aldehyds vielleicht ähnliche Vorgänge mit, wie bei der des Fuselöls.
In der Tat gelang es ihm, aus aromatischen Aminosäuren durch Gärung
mit Hefe Riechstoffe darzustellen (§ 173). Die chemische Beschaffen-
heit des Hefearomas ist allerdings zum großen Teil noch unbekannt«
Doch erzeugen die Fruchtätherhefen Lindners vorwiegend Essig-
äther. Zu dem bei der eigentlichen Gärung entwickelten Aroma ge-
sellen sich später beim Lagern und Reifen Bouquetstoffe, die wahr-
scheinlich nicht bloß durch langsame Oxydationen und Reduktionen,
sondern auch durch Mikroben Wirkung gebildet werden (Wort mann^)).
Über die Entstehung von Riechstoffen aus Glykosiden vgl. Kap. VIII.
1) Kochs Jahresber. 1897. 101.
2) Zeitflchr. f. Spiritusindustrie 1904. 477.
3) Ebenda 311.
4) Zeitschr. Verein f. Rübenzuckerindustrie 1905. Über die chemische
Natur der Vorgänge und andere Fuselölbildner vgl. § 173.
5) Kochs Jahresber. 1906. 204.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 15. 300. Ber. ehem. Ges. 1905. 486. vgl.
aber § 115 und 173.
7) Landwirtschaft!. Jahrb. 1892.
8) Chem. Zeitg. 1904, 24.
9) Landwirtschaft!. Jahrb. 1898.
262 Kap. VI, § 90.
Früher war man darüber im Unklaren, ob man das in erheblichen
Mengen gebildete Glyzerin und die Bernsteinsäure als Produkte der
Gärung oder des sonstigen Stoffwechsels der Hefe auffassen sollte.
P a s t e u r selbst hat schon für beide Stoffe eine Gärformel angegeben:
49 CeHjgOe + 30 HgO = 72 C^Tlfi^ + 12 C4He04 + 30 CO^.
Doch wäre es bei dem schwankenden Verhältnis, in dem beide Sub-
stanzen auftreten, besser, sie getrennt aus den Zahlen entstehen zu
lassen nach den Formeln (D u c 1 a u x ^)) :
IL 7 CeHigOe + 6 H^O = 12 Cfifi^ + 6 CO^
III. 7 CeHjaOe + 6 CO^ = 12 0^04 + 6 H^O.
Wenn man die Formeln I — ^III miteinander vereinigt, etwa wie folgt:
124 X I + 6 X II + 1 X III
so erhält man die einzelnen Gärprodukte in der gewöhnlichen Mischung.
Nach der Entdeckung der Zymase lag es nahe, die quantitativen
Verhältnisse der Gärung einer erneuten Untersuchung zu unterwerfen.
B u c h n e r und R a p p ^) fanden dabei zunächst, daß auch bei der
zellenfreien Gärung Kohlensäure und Alkohol ungefähr zu gleichen
Teilen entstehen. So lieferten z. B. 22,5 g Azeton-Dauerhefe aus 17,96 g
Rohrzucker 8,05 g COg und 8,10 g Alkohol^), d. h. im ganzen 16,15 g,
während lebende Hefe nach Jodlbauer*) 8,81 g COg und 9,18 g
Alkohol, zusammen 17,99 g erzeugt hatten, und nach der G a y-Lus-
8 a c sehen Formel I 9,24 g COg und 9,66 g Alkohol, also zusammen
18,9 g hätten entstehen müssen, wenn Glyzerin, Bernsteinsäure und
andere Nebenprodukte vollständig gefehlt hätten. An diesem Er-
gebnis ist auffällig, daß trotz der reichlichen Mengen von Zymase die
Spaltung des Zuckers keine vollständige war, sondern 10 — 15% davon
nicht in den Gärprodukten — auch nicht in Form von Glyzerin und
Bernsteinsäure, s. u. — erschienen. Dabei gelang es weder durch die
Reduktion mit Fehlingscher Lösung noch durch Ausziehen des Trocken-
rückstandes mit Alkohol, diese fehlende Menge des Zuckers nachzu-
weisen. Es war also nicht als wahrscheinlich zu bezeichnen, daß die
Vergärung eine unvollständige war, indem etwa vor ihrer Vollendung
ein Gleichgewichtszustand, wie bei der Spaltimg der Stärke durch
Diastase eingetreten wäre. Eine Erklärung dafür ergäbe sich nach
1) Mikrobiol. 3. 401.
2) Zymasegämng, S. 210.
3) Nach Abrechnung der Mengen Alkohol, die in der Dauerhefe von
vornherein vorhanden waren und derjenigen, die bei der Vergärung des
in der Dauerhefe anwesenden Glykogens auftreten mußten.
4) Zeitschr. f. das gesamte Brauwesen 1888. 252.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 263
Macfadyen, Morris und R o w 1 a n d (S. 257) durch die An-
nahme, daß durch Anlagerung von Zymase an den Zucker Zwischen-
produkte entständen, die bei der gewöhnlichen Gärung wieder imter
Bildung von Alkohol und Kohlensäure und Regeneration des Enzyms
zerfielen, bei der zellenfreien Oärung aber teilweise unverändert zurück-
blieben. Man könnte aber auch daran denken, daß bei derZymase-
wirkung synthetische Enzyme zur Geltung kämen,
die Zucker zu Dextrinen ode r Glykogen konden-
sierten oder an irgendwelche Bestandteile der Hefezelle bänden,
wie es beim Wachstimi der lebenden Hefe auch geschieht (§ 91). Für
diese Möglichkeit spricht die von H a r d e n und Y o u n g (S. 257)
ermittelte Tatsache, daß es durch Hydrolyse mit Salzsäure gelingt,
den in Verlust gegangenen Zucker wiederzugewinnen. Auch Büch-
ner imd Meisenheimer^) schlössen auf Grund ähnlicher Be-
funde, die erhebliche Mengen von Polysacchariden ergaben, auf die
Wirkung eines aufbauenden Enzyms in dem Hefepreßsaft.
Ein anderes synthetisches Enzym, das Phos«
phate in organische Bindung überführt, fand Iwa-
noff*) im Filtrat der durch Zymase vergorenen Flüssigkeit. Dieser
Stoff, die Triosephosphorsäure, werde durch frische Zymase wieder
vergoren zu Kohlensäure, Alkohol und Phosphorsäure. Daraus soll
sich die Beförderung der Zjnnasegärung durch Phosphate erklären.
In ihrer genannten Arbeit fanden E. Buchner und Rapp,
dafi Glyzerin und Bemsteinsäure sehr wahrscheinlich, wenn überhaupt,
nur in kleinen Mengen bei der zellfreien Gärung entständen. Weitere
Untersuchungen von B u c h n e r und Meisenheimer^) ergaben
aber, daß bei der zellfreien Gärung zwar Bemsteinsäure so gut wie
völlig fehlte, aber Glyzerin in Mengen von 5 — 16% des Alkohols
gebildet wurde. Die von Delbrück*) ausgesprochene Vermutung,
das Glyzerin entstamme einer Lipaseeinwirkung auf das Fett der
Hefezellen, vermögen B u c h n e r und Meisenheimer nicht
anzuerkennen, weil sie höhere Fettsäuren in entsprechender Menge
vermißten, sind aber ihrerseits nicht imstande, den Ursprung des
Glyzerins aufzuklären. Man wird vielleiclit nicht fehlgehen, wenn
man ein besonderes, ZuckerzuGlyzerinspaltendes
E n z y m in der Zymase voraussetzt. Bei der Milchsäuregärung durch
1) Ber. ehem. Gesellsch. 1906, 3201.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 24. 1909.
3) Ber. ehem. Ges. 1906. 3201.
4) Woch. Brauerei 1903. 7. Seifert und R e i s c h , Zentr. Bakt.
2. Abt. 12. 574, 1904» fassen das Glyzerin wieder als „Stoff Wechselprodukt"
der Hefe auf.
264 Kap. VI, § ^0 u. 91.
Bakterien begegnen wir ausnahmsweise ähnUchen Olyzerinmengen
(§ 106), nicht selten übrigens auch erheblichen Mengen von Beinstein-
säure (§ 107).
Weiter wurde durch verschiedene Forscher gezeigt^"'), daß bei
der Zymasegärung (unter Sauerstoffabschluß) Essigsäure bis zu 0,33%,
(inaktive) Milchsäure, die man bei der Gärung durch lebende Hefe
überhaupt nicht findet, bis zu 0,47% ^des Preßsaftes) entstehen.
B u c h n e r und Meisenheimer glauben damit den Beweis ge-
liefert zu haben, daß die Milchsäure, wie schon früher vermutet (S. 252),
ein Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung sei. Sie nehmen jetzt
zwei Enzyme in der Hefe an, die eigentliche Zymase („Hefen-
zym a s e^' im Gegensatz zur „Bakterienzymase^'), die aus dem Zucker
Milchsäure, und die Laktazidase, die aus der Milchsäure Alkohol
und Kohlensäure bilde. Die Essigsäure würde ebenfalls durch ein
besonderes Enzym, das den Zucker in 3 Moleküle Essigsäure spaltet,
die „Glukazetase*', gebildet (vgl. § 103). Die Frage ist, wie schon früher
'bemerkt, noch nicht spruchreif.
Amylalkohol fanden auch B u c h n e r und Meisenheimer
(wie Ehrlich imd Pringsheim a.a. 0.) bei der Zymasegärung
nur in Spuren, heben aber selbst hervor, daß das gegen die Ehr-
lich sehe Theorie von der Entstehung des Fuselöls aus Leuzin nichts
beweise. Da es mit der Bernsteinsäure sich ähnlich verhält, könnte
man bis zum Beweise des Gegenteils allenfalls noch die, übrigens von
Ehrlich ausgesprochene, Vermutung zulassen, daß dieser Stoff
auch nicht dem Zucker, sondern einer Aminosäure (etwa der Asparagin-
säure) entstamme (vgl. § 169).
§ 91. Einfloß des Hefewachstums and des Sanerstoffza-
tritts auf die Gärung. Selbstvergftrnng. Bei der Alkoholgärung
durch lebende Hefe wird ein Teil des Zuckers, wie Pasteur zuerst
gefunden, zum Aufbau der Hefesubstanz verwendet. Je
nach der Intensität des Wachstums wechselt natürlich die dafür ver-
brauchte Zuckermenge. Sie ist um so größer, je reichlicher der Sauer-
stoffzutritt. Wir werden bei Besprechung der Ausnützung der Nähr-
böden die Beweise dafür erörtern und gleichzeitig dabei sehen, in welcher
Weise durch den Sauerstoff die Gärung beeinflußt wird (§ 233). Es
findet sich der Pasteur sehe Satz bestätigt, daß das Gärver-
mögenderHefe,d. h. dasVerhältnisdesvergorenen
Zuckers zu der gebildeten Hefesubstanz um so
1) Ahrens, Zeitschr. angew. Chem. 1900, 483 (Milchsäure).
2) Buchner, Zymasegärung S. 224 (Essigsäure).
3) Buchner und Meisenheimer, Ber. chem. Gres. 1904.
426 und 1906, 620.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 265
größer ist, je stärker der Sauerstoffzutritt be-
schränkt ist. Andererseits ist als erwiesen zu betrachten, daß
die Zymasewirknng selbst durch die Abwesenheit oder Gegenwart
des Sauerstoäs nicht beeinflußt wird ^) und daß, entgegen der Pasteur«
sehen Ansicht die Gärung der lebenden Hefe auch bei
reichlichem Säuerst o ff zutritt eintritt und ener-
gisch verläuft^). Man kann das auch so ausdrücken, daß man
sagt: der Zymasegehalt oder die Zymase wir kung
der lebenden Hefezelle ist verhältnismäßig um
80 größer, jeweniger Sauerstoff ihr geboten wird,
je langsamer sie also wächst, er fehlt aber auch
der aerob wachsenden Zelle nicht. Man darf daraus
nicht etwa den Schluß ziehen, daß die Gärungstechniker gut daran
täten, in der Brauerei und Brennerei den Sauerstoffabschluß streng
durchzuführen. Zweierlei Gründe sprechen dagegen: erstens kommt
es der Technik nicht auf das relative Gärvermögen der Hefezelle an,
sondern darauf, daß eine möglichst große absolute Menge des
Gärprodukts in möglichst kurzer Zeit erzielt
wird. Nun ergibt sich aber schon aus den P a s t e u r sehen Ver-
snchen, daß, je vollständiger der Sauerstoff von der Gärung abge-
schlossen wird, die letztere um so langsamer verläuft (§ 233). Die
Rücksicht darauf verlangt für den Sauerstoffabschluß schon eine ge-
wisse Beschränkung. Ebenso wichtig ist aber die Tatsache, daß d i e
Hefe durch das Leben ohne Sauerstoff entschieden
geschädigt wird, daß sie dadurch in ihrer Fähig-
keit zu wachsen und auf die Dauer Zymase zu pro-
duzieren, Einbuße erleidet. Diese Gründe machen es
erklärlich, daß die Technik nicht den völligen Abschluß des Sauer-
stoffes bei der Gärung, sondern nur mäßige Lüftung anwendet, die bei
großer Hefenaussaat eine gute Ausnutzung des Gärmaterials, schnelle
Gärung und dauernde Lebens- imd Gärfähigkeit der Hefe gewähr-
leistet.
Einige besondere Fälle verdienen noch eine Besprechung, weil
sich an sie lebhafte Erörterungen angeschlossen haben. Wird eine
sehr große Hefenmenge (z. B. 20 g) in eine reine Zuckerlösung (100 ccm
einer 10 prozentigen Lösung) eingebracht, so gerät diese in lebhafte
1) Grigoriew, Zeitschr. physiol. Chem. 42; Buchner und
A n t o n i , ebenda 44, 1905.
2) Das gilt übrigens nur für die gewöhnliche Bierhefe, Schizosacch.
Pombe ist empfindlicher gegen Sauerstoffmangel, der überhaupt nicht
vergärende Sacch. membranaefaciens kann gar nicht ohne Sauerstoff
existieren (Leschtsch, Zentr. Bakt. 2. Abt., 12 und 13, 1904).
266 Kap. VT, § 91 u. 92.
Gärung, ohne daß eine deutliche Vermehrung der Hefezellen eintriti;.
Ja, es kann sogar das Hefegewicht dabei abnehmen. Für uns hat
diese Tatsache kaum etwas Unerklärliches mehr, seitdem wir die Zymase
kennen. Diese wird Gärung erzeugen, solange sie noch in den Zellen
vorhanden ist, ob Wachstum erfolgt oder nicht. P a s t e u r hat die
Schwierigkeit, die für seine vitalistische Theorie daraus entstand,
dadurch zu überwinden gesucht, daß er nicht bloß die Hefengewicht«,
sondern auch die Menge der in der Gärflüssigkeit nach der Gärung
gefundenen, in Alkohol und Äther unlöslichen Stoffe bestimmte. Er
fand erhebhche Mengen davon und wies nach, daß in jedem Falle
die Summe des Hefegewichts und dieser Stoffe
größer war als das ursprüngliche Hefegewicht. Nach ihm geben
die Hefezellen, wenn sie in eine reine Zuckerlösimg gebracht werden,
eine gewisse Menge ihrer stickstoffhaltigen Zellstoffe und Salze an sie
ab^), assimilieren dafür aber eine gewisse Menge Zucker, so daß man
in Wirklichkeit auch in diesem extremen Falle von einem Wachstum
sprechen dürfe. Man kann diese Auffassung vielleicht mit der Ab-
weichung annehmen, daß bei der mangelhaften Ernährung wenigstens
ein Teil der massenhaft eingesäten Hefezellen durch Selbstverdauung
(§ 9) zerfällt und dadurch für den Rest die außer dem Zucker nötigen
Stoffe zum mäßigen Wachstum gewährt. So würde sich die erhebliche
Gärleistung auch durch eine gewisse Neubildung von Zymaae erklären.
Einige Versuche Browns^) würden darauf schließen lassen,
daß die Pasteursche Deutung (s. o. S. 265) doch nicht stich-
haltig ist. Der Autor fand nämlich, daß Hefe bei sehr großer
Einsaat eine gute Nährlösung etwas stärker vergärt, wenn Sauer-
stoff, als wenn Wasserstoff durchgeleitet wurde, ohne daß sich eine
Sprossung der Zellen hätte nachweisen lassen. Auch war die Gewichts-
zunahme, die in einem anderen ähnlichen Versuche in mäßigem Grade
eintrat, in Wasserstoff etwas größer als in Luft. Van L a e r ^) be-
obachtete ebenfalls an Hefe, die verhindert war zu wachsen, höhere
Gärkraft, wenn während der Gärung gelüftet wurde. Unter normalen
Verhältnissen fand er hingegen das Pasteursche Gesetz durchaus
bestätigt. Iwanowski*) will wiederum einen Einfluß des Sauer-
stoffzutritts oder -abschlusses auf die Gänmg überhaupt nicht zu-
geben. Uns scheint, daß man aus Versuchen, die imter so abnormen
Bedingungen und meist noch nicht einmal mit Reinkulturen vor-
genommen wurden, keine bindenden Schlüsse ziehen darf. Auch von
• F ■
1) Vgl. aber Iwanoff § 92.
2) Kochs Jahresber. 1892. 101.
3) Kochs Jahresber. 1893. 137.
4) Ebenda 1894. 116.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 267
den Veisuchen Chudiakows^) gilt das. Chudiakow hatte
gefunden, daß bei mäßiger Einsaat von Hefe in reines Zucker-
wasser die DurcUeitung von Sauerstoff die Gärung beeinträchtigt,
die von Wasserstoff sie unterhält. B u c h n e r und R a p p ^) sahen
ihrerseits bei beiden Verfahren kaum einen Unterschied, höchstens
war umgekehrt bei Sauerstoffdurchleitung die Gärung etwas leb-
hafter, und zwar anscheinend aus dem Grunde, weil dabei eine geringe
Veraiehrung der Hefe stattfand. Außerdem ergaben aber die Versuche,
daß die mechanische Erschütterung, wie sie die Folge
der Gasdurchleitimg ist, durchaus nicht gleichgültig, sondern schädlich
ist für die Hefe. Das bestärkt uns erst recht in unserer Abneigung,
die Ergebnisse der Gärversuche mit Zellen, die einer doppelten Schäd-
lichkeit, dem Nahrungsmangel und der Erschütterung unterliegen
als maßgebend für die normalen Verhältnisse anzusehen. Soweit letz-
tere in Frage kommen, haben gerade B u c h n e r imd R a p p (§ 233)
die gewichtigsten Beweise für die Bichtigkeit der P a s t e u r sehen
liehre erbracht.
Ein weiterer Fall ergibt sich, wenn frische lebenskräftige Hefe
von den anhaftenden Nährstoffen durch Auswaschen befreit und dann
mit genügenden Mengen Wasser bei günstiger Temperatur (20 — 30^)
sich selbst überlassen wird. Dann tritt die sogenannte Selbst-
vergärung der Hefe ein. Nach unseren heutigen Kenntnissen
bietet sie nichts Wxmderbares: Hefepreßsaft allein verfällt demselben
Prozeß. Das Gärsubstrat sind die Kohlenhydrate, vor allem das Gly-
kogen, das die Hefezellen enthalten (vgl. § 27). Je größer der Vorrat
daran, desto kräftiger die Selbstgärung. Völlig unerklärlich und B u c h -
n e r s Erfahrungen durchaus widersprechend ist aber die Angabe von
Macfadyen, Morris und R o w 1 a n d (S. 257), daß in nahezu
jedem Fall durch die Selbstgärung des Preßsafts mehr Gas erhalten
wurde, ak wenn die Gärung in Gegenwart von Rohrzucker vor sich ging.
§ 92. Selbstverdauung der Hefe und ihre Hemmung. Ist
der Zuckergehalt der Hefe durch Selbstvergärung erschöpft, so tritt
schließlich der letzte Fall, die Selbstverdauung der Hefe d. h.
Zellenzerfall und Zersetzung ihrer Eiweißkörper durch die Endo-
tryptase ein, die stets die Zymase begleitet (§ 9 u. 166).
Die eben erwähnte Beobachtung Pasteurs, nach der die Gärung
der Hefe in reinen Zuckerlösungen mit Stickstoffausscheidung einher-
g^he, ist zwar von vielen Forschem wieder gemacht worden, wird aber
3) Landwirt«ch. Jahrb. 1804.
4) Zeitechr. f. Biol. 37, vgl. S. 150.
268 Kap. VI, ! 92 u. 93.
von Iwanoff ^) neuerdings auf zu lange Dauer der Versuche, die
das Absterben der Hefezellen bewirken, oder die Gegenwart von Bak-
terien zurückgeführt und für kurze Zeit dauernde Versuche nicht be-
stätigt: der Eiweiß» und Stickstoffgehalt der Hefe solle sich trotz
kräftiger Gärung gar nicht verändern. Erst wenn der Zucker der
Zelle entzogen wird, nimmt ihr Eiweißgehalt ab, ergänzt sich aber
wieder, wenn man neuen Zucker zufügt, doch nur etwa zur Hälfte,
die übrige Hälfte der stickstoffhaltigen Zersetzungsprodukte scheint
zur Synthese nicht geeignet zu sein.
Der Grund dafür, daß keine Eiweißzersetzung während der Gärung
stattfindet, liegt anscheinend darin, daß die Gärung Stoffe
bildet, die die Eiweißzersetzung, die Selbst-
verdauung hemmen. Iwanoff glaubt das durch besondere
Versuche bewiesen zu haben. Die Selbstverdauimg der durch Thymol-
oder Chloroformzusatz getöteten und bei 47® gehaltenen Hefe war sehr
viel geringer, wenn die Hefe vorher zur Gärung benutzt war; Zusatz
von Gärflüssigkeit, die durch Porzellan filtriert war, hemmte eben-
falls. Die hemmenden Stoffe haben fast den Charakter von Fermenten,
denn Kochen zerstört sie fast völlig. I w a n o f f schreibt die Bolle
fruchtätherähnlichen, aldehydartigen Substanzen zu, denn Kochen
mit Rückflußkühler ist unschädlich. Jedenfalls ist der Alkohol nicht
an der Hemmung schuld: Zusatz von MonokaUumphosphat beseitigt
die Hemmimg und beschleunigt die Selbstverdauung.
§ 93. Gärimgsgeschwindigkeit, Gärvermögen und Ver-
gärungsgrad. Nach Brown (§ 91) und Slator*) hat — für eine
bestimmte Heferasse — die Konzentration der Zucker-
lösung, innerhalb der Grenzen von 5 bis 20% und in den
ersten dre* Stunden keinen erheblichen Einfluß auf die
Intensität des Gärungsprozesses, während 30proz. Lösungen
schon langsamer vergoren wurden. Das ist nicht Folge des
höheren spezifischen Gewichts resp. osmotischen Drucks, denn die
Vergärung einer Lösimg, die 15% Dextrose und 15% Milchzucker
enthält, ist viel lebhafter, als die einer 30 prozentigen Dextroselösung.
Auch die zellfreie Gärung mit Z3nnase oder Z3anin zeigt ein ähnliches
Verhalten (Buchner, Grigoriew). Die nach einem anderen
Verfahren^) ermittelte Gärungsgeschwindigkeit ist nach S 1 a t o r
1) Zeitschr. physiol. Chera. 42, 1904.
2) Transactions ehem. soc. 1906 vgl. Zentr. Bakt. 2. Abt. 21. 771.
3) Als Maß der Gärkraft sind verschiedene Bezeichnungen im Ge-
brauch, die leider aber nach den Autoren wechseln. Prior (Chem. und
Physiol. des Malzes und Bieres 1896) nennt Gärungsenergie die
Anzahl Milligr. Saccharose die von einer Million Hefezellen bei Zimmer-
Wandlungen der Kohlenhydrate. 269
innerhalb der Grenzen von 0,4 — 10% ebenfalls fast unabhängig von
der Zuckerkonzentration, gleichgültig, welcher Zucker, und ob man
lebende Hefe oder Zymase nimmt.
Die Dauer der Gärung ist nach D u m a s ^) annähernd
der vorhandenen Zuckermenge proportional, doch gilt das nur inner-
halb der bepsrochenen Grenzen, denn über einen gewissen
Gehalt an Alkohol geht die Gärung nicht hinaus.
Dieser Endgehalt schwankt, ebenso wie die Gärungsenergie (s. o.)
nach den einzelnen Kassen und Arten der Gärungserreger. Bei der
Bier- und Weinhefe geht das Maximum des produzierten Alkohols
nicht über 12 — 14% Alkohol hinaus. Für Mucor racemosus fand
Hansen 7%, für Mucor mucedo 3% (n einem Jahre). Woran der
Stillstand der Gärung in diesen Fällen hegt, ist noch nicht ganz klar-
gestellt. Sehr wahrscheinlich ist es aber zum Teil der Gehalt der Gär-
flüssigkeit an Gärprodukten, der schädlich auf die Weiterentwicklung
der Mikroorganismen wirkt (§ 47). Z. B. wies P r i o r ^) für die Hefe
..Saaz'* nach, daß ihr niedriger Endvergärungsgrad sich durch die Emp-
findlichkeit gegen ihre eigenen Produkte erklärt; werden dieselben
durch überdestillieren im Vakuum entfernt, so läßt sich auch mit dieser
Hefe eine stärkere Vergärung erzielen. Nicht bloß die eigenen Produkte,
sondern auch die anderer Hefen wirken schädigend auf Gärung und
Vermehrung, doch nur in bestinmiter Konzentration, in kleinen Mengen
können sie vielleicht, wie andere Gifte (s. u.) Reize vorstellen').
Außer den Selbstgiften hemmen die Gärung der lebenden Hefe
alle Antiseptika, wenn sie in stärkerer Konzentration zur Ein-
wirkung gelangen. Dabei gilt die Kegel, daß zimächst nur die Lebens-
tätigkeit, d. h. Wachstimi, Vermehrung und Zjmiiase b i 1 d u n g der
Hefe dadurch aufgehoben wird, nicht die Gärtätigkeit, d. h. die Zymase-
wirkung. Die Zjnnase wird z. B. nach Buchner von 1%
Toluol gar nicht beeinflußt, von 0,24% Pormaldehyd und 14% Alkohol
nur gehemmt, während schon 0,04% Formaldehyd und 10 — 14%
teinperatur nach 4 Tagen, bei Kellertemperatur nach 8 Tagen vergoren
werden, und Gärvermögen, die von einer Million Hefezellen am
Ende des Versuches vergorenen Saccharosemengen. S 1 a t o r (s. o.) mißt
die Gärungsgeschwindigkeit durch die Druckveränderung,
die durch die Kohlensäureentwicklung in einem mit einem Manometer
verbondenen geschlossenen Gefäße erfolgt.
1) Annal. chim. et phys. 1874.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 432.
3) Thibaut, Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 20, 1902, sah einen solchen
Einfluß der eigenen und fremder Produkte freilich nicht regelmäßig beim
Stadium der Vennehrungs- imd Gärungsenergie lebender Hefe. G r i -
270 Kap. VI, § 93 u. 94.
Alkohol die Hefegärung unterdrücken ^). Nach Grigoriew be-
günstigt Gegenwart von Alkohol oder Chinin die Gärwirkung der
Dauerhefe, weil diese Stoffe den schädlichen Einfluß des proteoly-
tischen Enzyms der Hefe vennindem. Umgekehrt wirken Kalisalpeter
oder Chlorkalzium schädlich auf die Gärung, weil sie die proteolytischen
Enzyme befördern. Blausäure hebt dagegen die zellfreie Gärung
sofort auf, wie sie auch andere Enzyme lähmt.
Von der eigentümlichen die Gärwirkung steigernden
Wirkung stark verdünnter Gifte, besonders der Flußsäure und
ihrer Salze auf die lebende Hefe haben wir schon § 55 gesprochen^).
Auf die Zymasegärung selbst wirkt Natriumfluorid in Lösungen von
0,5 bis 2% sehr schädlich.
Während wir § 41 gesehen haben daß das Wachstum der
Hefe durch leicht saure Reaktion des Nährbodens verbessert
wird, haben B u c h n e r und Wroblewski^) einen günstigen
Einfluß der alkalischen Reaktion auf die Zjnnasewirkung beob-
achtet. Nach dem ersteren Autor beschleunigt namentlich der Zusatz
von Natriumbiphosphat bis zu 4% die Zjonasegärung sehr bedeutend.
Umgekehrt hemmt saure Reaktion wenigstens anfangs die Gärung.
Über den Einfluß der Konzentration der Gärflüssigkeit wurde
oben schon gesprochen, ihre Verdünnung hat auf die Tätigkeit
der lebenden Hefe insofern eine Wirkung, als sie das Wachstum und
damit auch die Gärung verlangsamt. Das gleiche ist der Fall bei der
Zymase. Wenn nicht nur die Zuckerlösung, sondern auch die Zymase
selbst stark verdünnt ist, wird die Intensität der Gärung allerdings
unverhältnismäßig gering. Das hat aber nach B u c h n e r und M e i -
senheimer nur den Grund, daß das Gärungsenzym in der ver-
dünnten Flüssigkeit seine Wirksamkeit, wie andere kolloidale Stoffe,
schneller verliert. Setzt man daher unter sonst gleichen Verhältnissen
z. B. bei 25 facher Verdünnung des Preßsaftes 10% Glyzerin oder
Eiweiß zu, so erhält man wieder eine kräftige Gärung.
Salze von Alkalien und alkalischen Erden stören schon in wenigen
Prozenten zugesetzt die zellfreie Gärung erheblich, ähnlich, wie sie
g o r i e w (Zeitschr. physioL Chem. 42, 1904) fcmd, daß die Dauerhefe
(Zymase) kräftiger wirkt in einer Mischung, die schon vorher durch Zyniase
vergoren worden ist, hier findet also ebenfalls eine Förderung der Gärung
durch die eigenen Gärprodukte statt.
1 ) Zymasegärung, vgl. auch B u c h n e r und A n t o n i , Zeitschr.
physiol. Ch. 44. 222, 1905.
2) Die Gärgeschwindigkoit nach S 1 a t o r s Methode gemessen (s. o.)
soll dagegen durch verdünnte Gifte nicht beeinflußt werden.
3) Journ. prakt. Chem. 2. Serie, 64.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 271
auch andere Enzyme (z. B. Diastase und Invertase) schädigen. Über
die entgegengesetzte Wirkung des sekundären phosphorsauren Natriums,
sowie des glyzerinphospliorsauren Natrons, wurde früher gesprochen
(8. Koenzym S. 257).
Was den Einfluß der Temperatur auf die Gärung durch
lebende Hefe angeht, so ist bekannt, daß die mittleren Temperaturen
von 20 bis 30^ am günstigsten für sie sind, während die Annäherung
an 40* nach oben und 0* nach imten die Gärung aufhebt^). Ähnlich
scheinen die Dinge zu liegen für die Zymase, nur tritt bei dieser das
trvptische Enzym bei Temperaturen von über 20® als schädliches
Moment auf, so daß bei 30® die Zymasewirkung schon nach einem Tage,
bei 22* nach 2 Tagen ihr Ende erreicht, während sie bei 5 — ^7* noch
am 16. Tage merkbar fortschreitet.
§94. Grärungsgewerbe. Brauerei. Die Alkoholgärung steht im
Dienste der Menschheit, soweit historische und geographische Nach-
richten reichen. Die Erfahrung, daß gewisse Nahrungsmittel beim
Stehen eine fireiwillige Zersetzung erleiden, bei der die Flüssigkeit
aufschäumt, „sich hebt'**), gewissermaßen aufkocht^), und aus der
ein bis dahin nicht vorhandener Stoff von eigentümlich anregender
und berauschender Wirkung entsteht, muß offenbar eine der ältesten
gewesen sein, die der Mensch sich zimutze gemacht hat. Je nach der
Verschiedenheit der Länder und ihrer Bodenfrüchte und der Geschick-
lichkeit ihrer Bewohner ist das Erzeugnis der „geistigen * Gärungen
ein äußerlich recht verschiedenes, die entstehenden Stoffe sind aber
im wesentlichen dieselben, nämlich Alkohol und Kohlensäure, und die
Gänmgserreger stets Mikroorganismen der Sproßpilzgruppe. Lange
genug hat es gedauert, bis die Erkenntnis, daß die Gärung ein Lebens-
vorgang sei, sich Bahn gebrochen hat, und die chemischen Verhält-
nisse genauer bekannt wurden (s. o. § 84). Die praktischen Schluß-
folgerungen daraus sind Aufgaben der Gewerbe und einer besonderen
Wissenschaft, der Lehre von den Gärungsmikroorganismen ^), die schon
in eigenen Instituten ihre Vertrettmg findet.
Wir wollen aber doch nicht unterlassen, hier in Kürze die Be-
dingungen, unter denen die Gärung im großen verläuft, die Störungen,
1 ) Vgl. auch die Mitteilungen von S 1 a t o r über die Beeinflussung
der Gärgeschwindigkeit durch die Temperatur (a. a. O.)
2) Daher Hefe, levuro.
3) fervescere, daher femientum; eine ähnliche Bedeutung soll das
hebräische Wort für Wein haben (vgl. Duclaux, Microbiologie 1. 1).
4) Vgl. die Lehrbücher von Jörgensen, Klöcker, Lind-
ner, Lafar.
272 Kap. VI, § 94.
denen sie unterliegen kann, und die Mittel zu ihrer Bekämpfung, soweit
sie ein allgemeines Interesse haben, zu erörtern.
Dasjenige Gärungsgewerbe, das praktisch am meisten fortge-
schritten und theoretisch am besten studiert ist, ist die Bier-
brauerei. Es empfiehlt sich deswegen in erster Linie sie als Bei-
spiel heranzuziehen. Wir ¥ris8en zwar, daß die alten Deutschen des
Tacitus — von den Ägyptern zu schweigen^) — aus Gerstensaft schon
ein Bier brauten, das sie recht trinkbar fanden, wenn der Römer es
auch mit schlechtem Wein vergleicht; wir haben femer Beweise dafür,
daß die Brauerei sich die folgenden Jahrhunderte stetig weiter ent-
wickelte, dennoch müssen die Bierverhältnisse noch um 1800 n. Chr.
nichts weniger als günstige gewesen sein, denn Klagen über verdorbenes
Bier hörte man damals fast allgemein^). Man beherrschte offenbar
den Gärungsprozeß noch nicht annähernd in der Weise wie heute.
Den seitdem erzielten Fortschritt verdankt man nicht zum wenigsten
der Entwicklung der Lehre von den Gärungsorganismen« Welche
Faktoren bedingen die Haltbarkeit und die Güte des Bieres? Für
unsere Zwecke imterscheiden wir zwischen den chemischen Vorbe-
dingungen der Gärung und der Gärung selbst. Zu den Vorbedingungen
gehören: gute Beschaffenheit der Gerste und des daraus gewonnenen
Malzes, Güte des Wassers, das zur Bereitung der Würze dient, richtige
Führung des Maisch- und Eochprozesses, durch den das Malz verzuckert
und ausgelaugt, die Würze gehopft, geklärt und konzentriert wird
und schließlich sorgfältige Kühlung der Würze. Damit ist das Roh-
material gegeben, das der Gärung unterliegen soll. Nehmen wir an,
daß es die richtige Zusammensetzung besitze, und betrachten wir die
Umwandlung, die es erfahren soll, den Gänmgsvorgang selbst. In der
gekühlten Würze setzt die Tätigkeit der Mikroorganismen ein. Sie
richtig zu leiten, nur die nützlichen Organismen zuzulassen, die schäd-
lichen auszuschließen, darin besteht die Aufgabe. Früher war man
weit davon entfernt, diese Aufgabe zu erfassen, man setzte der Würze
die Hefe zu, die man aus dem vorhergehenden Brauprozeß gewonnen
hatte, ohne sich um ihre Zusammensetzung viel zu kümmern, man
beachtete nicht die zahlreichen Wege, auf denen nebenher Mikro-
organismen in die Würze hineingelangten, und war deswegen nicht
imstande, die Güte des Gebräus imd seine Haltbarkeit zu gewähr-
1) E. Hahn, Woch. Brauer. 1898. 433 (zur Urgeschichte des Biers)
und Sander (Afrikanische Braukunst) ebd. 1900. 468.
2) Vgl. den Vortrag von Delbrück: „Das deutsche Brauerei-
gewerbe an der Jahrhundertswende.** in der Wochenschr. f. Brauerei
1900. 387.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 273
leisten. Pasteur^) war der erste, der die Notwendigkeit, von vorn-
herein mit reiner Hefe zu arbeiten und unabsichtliclie Infektionen zu
verhüten, klarstellte, und EmilChr.Han8en(§85) schuf etwa gleich-
zeitig mit B. Koch, der ähnliches für die Bakterienuntersuchung
leistete, das Hauptmittel dazu, indem er die Kulturhefen rein zu
züchten und von „wilden'^ und „Krankheitshefen'' zu scheiden
lehrte. Diese Grundsätze haben sich denn auch in dem Gewerbe mehr
und mehr Bahn gebrochen imd sich auch da Greltung verschafft, wo
man die Vorschläge Hansens nicht gerade wörtlich durchführte.
Nach Hansen kann man von reingezüchteter Hefe nur sprechen,
wenn man die einzelnen Hefezellen isoliert und weiter fortpflanzt.
Der Ausgangspunkt für Hansen war die Beobachtung, daß die
Hefezellen, nachdem sie in der Nährflüssigkeit der Aussaatkolben gut
durchgeschüttelt worden sind, zu Boden sinken imd hier deutliche
und gut gesonderte „Hefeflecken" bilden. Durch Zählung der Hefe-
zellen unter dem Mikroskop und entsprechende Verdünnung der sie
enthaltenden Tropfen gelang es ihm, in jedem Kolben nur einen Hefe-
fleck und daraus eine Reinkultur zu erhalten. Später erzielte er ähn-
liche Kolonien aus einzelnen Zellen in Grelatinetropfen, die er unter
dem Mikroskop beobachtete und züchtete.
Delbrück*) unterscheidet gegenüber diesem künstlichen Ver-
fahren die „natürliche Beinzuch t". Es gelingt nämlich
durch Lmehaltung bestimmter Bedingungen, eine verunreinigte Hefe
imgroßensozu züchten, daß sie die verunreinigenden Organismen
ganz in den Hintergrund drängt. Zwei Verfahren haben sich hier am
besten bewährt. Die wilden Hefen wachsen bei niederer Temperatur
besonders gut, können also dadurch ausgeschaltet werden, daß man
die gemiischte Hefe bei höheren Temperatiiren züchtet. Ferner ist die
Schichtung der Hefen am Boden des Gärbottichs eine charakteristische,
die oberste und unterste pflegen die meisten Verunreinigungen zu
enthalten, diese lassen sich also dadurch beseitigen, daß man die mitt-
lere Schicht, die „Kernhefe", zur Gärung verwendet. Unbewußt hat man
diese und andere Verfahren schon früher in der Praxis benutzt, bevor
die Notwendigkeit der Reinzucht durch die Theorie begründet war,
denn anders erklärt sich kaum die Tatsache, daß es manchen Brauereien
schon lange vorher geglückt ist, gleichmäßig gute und beständige Er-
zeugnisse zu liefern. In das Gebiet der natürlichen Beinzucht gehören
auch die Zusätze von Säuren, z. B. Weinsäure, Milchsäure, oder die
künstliche Erzeugung einer Milchsäuregärung in dem Hefegut, die
1) :^tudes sur la bi^re 1876.
2) Wochenschr. f. Brauerei 1895. Nr. 4 und 30 und 1896.
Kruse, Mikrobiologie. 18
274 Kap. VT, | 94.
man namentlich in der Brennerei (§ 96) benutzt, um die Überwucherung
mit Bchädlichen Bakterien hintanzuhalten. Die genannten Säuren^
ebenso echte Antiseptika, wie Salizylsäure, Formaldehyd u. a. sollen
übrigens nicht nur eine desinfizierende Wirkung auf gewisse schäd-
liche Mikroorganismen, in diesem Falle die Bakterien, ausüben, sondern
auch eine reizende, die Gärkraft steigernde Wirkung auf die Hefe-
zellen (§ 55). Sie tim das aber nur in größerer Verdünnung; weidet
man sie, wie E f f r o n t die Flußsäure (Fluorammonium), in starker
Konzentration an, so ist von einer unmittelbaren Reizwirkung keine
Rede, im Gegenteil würde die Hefe dadurch getötet oder mindestens
ihr Wachstum gehemmt werden, wenn es nicht gelänge, sie an das
Antiseptikum zu gewöhnen. Das ist in der Tat der Fall, man hat
es nach Effrontin der Hand, dadurch sehr widerstandsfähige Hefe-
rassen zu schaffen und soll zugleich noch einen zweiten Vorteil er-
ringen, nämlich viel gärkräftigere Hefen gewinnen.
Selbstverständlich können alle diese auf der „natürlichen Rein-
zucht^' beruhenden Methoden, die man vielleicht besser als Selbst-
reinigung der Hefe bezeichnet, nur dann auf die Dauer er-
sprießlich wirken, wenn man sie durch die wirkliche Reinkultur nach
Hansen beständig überwacht.
Diejenigen Hefen, die sich in der Brauerei bewährt haben, pflegt
man „Eulturhefen" zu nennen. Es gibt sehr zahlreiche Rassen, fast
soviel als Brauereien. Wenn man ihre Reinkulturen vergleicht, so
findet man meist nur sehr geringe Unterschiede, immerhin sind die
Unterschiede, wenn man allein schon die Wirkung ihrer Produkte
auf den GeschmackderVerbraucher berücksichtigt, nicht
wegzuleugnen. Zum guten Teil wird der verschiedene Geschmack
allerdings auf der Zusammensetzung der Würze oder Abweichungen
in der Führung der Gärung beruhen. Jedenfalls halten die meisten
Brauereien an derjenigen Hefe, mit der sie günstige Erfahrungen ge-
macht zu haben glauben, fest. Einige Unterschiede sind außerdem
gewissermaßen mit Händen zu greifen, da sie die äußere Erscheinung
des Gärungsvorganges beeinflussen. Hierher gehört die Trennung
der Hefen in Unter- und Oberhefen. Man nennt bekanntlich
Untergärung in der Brauerei diejenige, namentlich bei sogenannten
bayrischen Bieren übliche Gärung, die bei 5 — lO'^C verläuft, wahrend
die Obergärung der englischen, belgischen, französischen und einiger
deutscher Biere, z. B. des Weißbiers, bei 12 — ^25* erfolgt. Bei der
letzteren treiben die Schaumblasen dicke Schichten von Hefe an die
Oberfläche, bei der Untergärung ist diese Deckschicht niemals dick
oder fehlt auch vollständig. Man hielt früher den Temperaturunter-
schied für das Wesentliche beider Prozesse und glaubte die Unterhefe
Wandlungen der Kohlenhydrate. 275
in Oberhefe umwandeln zu können und umgekehrt. Hansen hat
bewiesen, daß dem nicht so ist, sondern daß wir es hier mit Hefe-
ab&rten zu tun haben, die ihre Eigenschaften zähe festhalten. Die
Unterhefe erzeugt auch bei höherer Temperatur nicht die charakteri*
stischen hefebedeckten Schäume der Oberhefe. Später hat dann nament-
lich B a u ^) darauf hingewiesen, daß auch chemische Unterschiede
zwischen Ober- und Unterhefe bestehen. Wir haben bei der Über-
sicht über die Hefepilze (§ 86) gesehen, daß man auf Grund der Ver-
schiedenheiten, die die Kulturhefen in ihrem Qärvermögen gegenüber
Dextrin, Melibiose u. a. zeigen, sie in ein Sjrstem bringen kann.
Auf die Verschiedenheit der Gärprodukte, die sich aus der Zu-
sanmiensetzung und Konzentration der Würze, der Größe des Hopfen-
znsatzes usw. erklären, können wir hier natürlich nicht eingehen.
Zahlreiche Abarten von Bier entstehen auf solche Weise. Interessanter
sind für uns die Biere, die sich dadurch kennzeichnen, daß an ihrer
Erzeugung mehrere Kleinwesen beteiligt sind. Ein Beispiel dafür ist
das Berliner Weißbier, das seinen Alkohol- imd Kohlensäuregehalt
einer echten Hefe, seinen säuerlichen Geschmack einem Milch-
säurebazillus verdankt. Bis vor kurzem hatte man geglaubt,
ein gutes Weißbier könne nur hervorgehen aus einer Würze, die nicht
gekocht sei, weil das Kochen die Milchsäurebakterien, die zur Gärung
nötig seien, zerstöre, die richtige Gärung lasse sich auch nicht durch
Reinkulturen herbeiführen und die Beife erhalte das Bier erst durch
die Nachgärung in der Flasche. Es hat sich aber durch Versuche heraus-
gestellt*), daß man es hier im Grunde nur mit Vorurteilen zu tim hat :
auch in der Weißbierbrauerei führt der Brauprozeß zu einem ebenso
guten und dabei haltbaren Erzeugnis, wenn man ihn nicht in der alten
roh erbhrungsmäßigen, sondern in der neuen wissenschaftlichen Weise
leitet, d. h. die Würze durch Kochen sterilisiert, durch Reinkulturen
von Hefe und Milchsäurebakterien^) vergärt und die Gärung im Bottich
zu Ende führt. Allerdings sind nicht beliebige Milchsäurebakterien
dazu geeignet, mit Hefe in der gewünschten Art zusammen zu arbeiten,
es bedarf vielmehr einer gegenseitigen Anpassung, wenn der Erfolg
dauernd ein günstiger sein soll. Auch andere obergärige Biere verhalten
sich ähnlich (S c h ö n f e 1 d).
Diese Symbiose der Bakterien und Hefen bei der Weißbier-
bereitung bringt uns auf die viel erörterte Frage, ob denn nicht in
1) Woch. Brauerei 1894.
2) Vgl. Schönfeld, Woch. f. Brauerei 1900. 267 und 338; 1901.
237; 0. Neumann, ebenda 1900. 581 und 608.
3) Nach Henneberg, Zeitechr. f. Spiritusind. 1903. 226 wohl
nahe verwandt mit den BcJsterien des umgeschlagenen Bieres (s. u.).
18*
276 Kap. VI, § 94.
manchen Fällen statt einer Hefe zwei oder mehrere mit Vorteil zur
Gärung benutzt werden könnten. Das scheint in der Tat der Fall
zu sein, wenn sich die Hefen gegenseitig in ihrer Wirkimg ergänzen.
So treten in der englischen obergärigen Brauerei (z. B. Porter) zu den-
jenigen Hefenrassen, die die Hauptgärung zu besorgen haben,
noch andere, die die Nachgärung bewirken. Die ersteren vergärten
nach L i n d n e r die verschiedenen Zucker, aber nicht Dextrin, die
letzteren vollenden die Gärung, indem sie auch Dextrin vergären^).
Eine wichtige Tatsache, für die man früher kein Verständnis
hatte, hat auch in der Periode, die der Einführung der Reinkultur in
die Brauerei gefolgt ist, wenigstens ihre teilweise Erklärung gefunden,
nämlich die Variation der Hefe, die im Brauereibetriebe statt-
finden kann, ohne daß etwa eine Verunreinigung mit anderen Mikro-
organismen erfolgt wäre. Ähnliche Abänderungen hat man ja vielfach
kennen und experimentell auch bis zu einem gewissen Grade beherrschen
gelernt, seitdem man im Laboratorium mit Reinkulturen von Hefe,
und Bakterien arbeitet. Allerdings sind die Gründe der Erscheinung,
die bald als Rassenverbesserung, bald als -Verschlechterung auftreten,
im praktischen Betriebe meist noch dunkel. Sie kommen und gehen
vorüber, anscheinend ohne Ursache. Den Reinkulturen als solchen
sind sie jedenfalls nicht in die Schuhe zu schieben, denn die Beobach-
tungen stammen, wie gesagt, nicht von heute. Das beste Heilmittel
für den Fall, daß eine Brauereihefe „entartet" ist, besteht auch in der
Einführung einer neuen Reinkultur.
Welches sind denn nun die Krankheiten des Bieres,
vor denen in erster Linie die Einführung der Reinhefe schützen soll?
Noch P a s t e u r glaubte, daß nur Bakterien als Krankheitserreger
in Frage kämen und gab als Mittel dagegen die Behandlung der Hefe
mit Weinsäure an. Erst Hansen zeigte, daß es sehr böse Schädlinge
des Bieres gerade unter den wilden Hefen gibt. Selbst Beimengungen
von Sacch. Pastorianus I, die zur Menge der Kulturhefe im Verhältnis
von 1 : 22 stehen, machen sich noch unangenehm bemerkbar durch
den bitteren Geschmack und schlechten Geruch, den sie diesem Bier
verleihen. Eine Trübung des Bieres in den Flaschen verursacht Sacch.
Pastorianus III und Sacch. ellipsoideus II. Auch andere Forscher
haben ähnliche Krankheitshefen beobachtet, darunter z. B. W i 1 1 '^)
eine Kahmhefe (Sacch. mycoderma), die obergäriges Bier nicht selten
trübt und entfärbt, auch den Geschmack bei starker Infektion un-
günstig beeinflußt. Unschuldiger Art dagegen sind nach demselben
1) Vgl. auch § 86 und Lindner, mikroskop. Betriebskontrolle.
2) Zeitßchr. f. Brauwesen 1900.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 277
Forscher die sogenannten Torulaarten, d. h. kleine runde Hefen, die
in der Brauerei allenthalben vorkommen, aber auch bei stärkerer Ein-
saat in die Würze oder das Bier gegen die Kulturhefe nicht aufkommen
können.
Die Angaben über Bakterien im Bier sind älter, so spricht
Pasteur von einem Kokkus, der das Bier fadenziehend mache.
L i n d n e r fand einen „Pediococcus (Sarcina) v i s c o s u s"
als Ursache des Langwerdens von Weißbier, v a n L a e r zwei Bazillen
(B. viscosus I und II) in schleimig verändertem belgischem Bier, V a n -
dam, Brown und Morris^) Kokken und Stäbchen ähnlicher Art
im englischen Bier.
Auch für das „Umschlagen" des Bieres, bei dem dieses trübe und
sauer wird und unangenehm riecht und schmeckt, hat Pasteur
die Ursache entdeckt in einem Bazillus, den vanLaerim belgischen
Bier wiedergefunden und Saccharobacillus pastorianus
genannt hat. Davon verschieden, aber in ähnlicher Weise wirksam
ist ein anderes Milchsäurebakterium, der Bac. Lindneri, aus
umgeschlagenem deutschem Lagerbier^).
Während die genannten Arten als Krankheitserreger auftreten,
gibt es einige dem Saccharobacillus Pastorianus verwandte Bakterien,
die absichtlich der Würze zugesetzt werden, um Milchsäure zu ent-
wickeln. Dahin gehören die schon oben erwähnten Bazillen der Weiß-
bierbrauerei und der Brennerei (§ 96).
Trübung und Säuerung verursachen im Bier ferner die Essig-
bakterien, von denen eine ganze Anzahl beschrieben worden
sind, einfache Trübimg noch eine Reihe von Sarzinen oder „Pedio-
kokkus^formen, die namentlich Lindner, Lasche und Schön-
feld studiert haben. Freilich kommen die letzteren Organismen
sehr häufig in der Würze vor, ohne dem Bier gefährlich zu werden.
Ob sie im Bier zum Wachstum kommen oder nicht, scheint von ihrer
Menge und ihrer sehr verschiedenen „Virulenz" abzuhängen.
Wie die meisten Sarzinen verhalten sich auch andere Bakterien,
z. B. Heubazillen und Proteusarten (Thermobakterien L i n d n e r).
Sie gedeihen in der Würze unter Umständen recht gut, werden aber
unterdrückt, sobald die Hefegärung kräftig einsetzt.
Zur Vermeidung der genannten Krankheiten des Bieres dient in
erster Linie die Beinkultur der Hefe, hat doch Hansen direkt den
Nachweis führen können, daß die am meisten gefährlichen wilden
Hefen nur dann zur Wirkung kommen, wenn sie schon in beträchtlicher
1) Zit. nach K 1 ö c k e r , vgl. auch § 128.
2) Henneberg, Zeitschr. f. Spiritusind. 1903. vgl. Lit. § 97.
278 Kap. VI, § 94 u. 95.
Menge und mit der Kulturhefe gleichzeitig in die Würze gelangen.
Daneben sind natürlich auch alle übrigen „Infektions^gelegenheiten
zu beachten. Die Würze wird häufig schon beim Kühlungsprozeß
vor dem Zusatz der Hefe infiziert dadurch, daß sie unreine Bohre
passiert, in unsaubere Gärbottiche gelassen wird oder Luftkeime auf-
nimmt. Später bleibt die letztgenannte Infektionsquelle noch längere
Zeit offen und neue kommen dazu, bis das Bier fertig ist zum Ver-
brauche. Hier ist höchste Sauberkeit, wie der Mediziner sagen würde,
ein „ aseptischer '' Betrieb vonnöten. Die Analogie mit der
Prophylaxe der Infektionskrankheiten der Tiere und des Menschen
geht noch weiter. Auch bei der Würze kann man von einer Dis-
position zur Erkrankung sprechen. Ein zu hoher Stickstoffgehalt
des Malzes und sogar des Brauwassers soU^) z. B. die Haltbarkeit
des Bieres beeinträchtigen. Maßgebend dafür ist bekanntlich auch
die Innehaltung der richtigen Temperatur bei den einzelnen Brau-
prozessen und später die niedrige Temperatur beim Lagern und Auf-
bewahren des Bieres. Wo dieselbe, wie z. B. bei dem für die Tropen
bestimmten Ezportbier, praktisch nicht durchführbar ist, kann man
dem Bier einen (beschränkten) Schutz verleihen, indem man es durch
Erhitzen von dem größeren Teil der in ihm noch enthaltenen Keime
befreit, d. h. es zwischen 50 und 75® „pasteurisiert"*).
§ 95. Weinbereitung. Die Weinbereitung ist noch nicht
in demselben Maße auf wissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführt,
wie die Brauerei. Das liegt offenbar daran, daß die Natur selbst hier
das wesentliche des Prozesses verrichtet, indem sie das Rohmaterial
der Gärung, den Traubensaft, in der richtigen Zusammensetzung schon
liefert imd dazu auch auf den Beeren selbst die Mikroorganismen
züchtet, die die Gärung bewerkstelligen. Immerhin zeigt sich mehr
tmd mehr, daß die neuen Lehren, die die moderne Umgestaltung des
Brauereigewerbes bewirkt haben, auch nutzbringende Anwendung
finden können auf die Weinerzeugung. Die Verwendung rein ge-
züchteter Hefe hat sich auch hier bewährt, am frühesten bei der Her-
stellung der Obstweine und des Schaumweines, sowie bei
der ümgärung, der kranke Weine imterworfen werden, um sie
trinkbar zu machen, gewinnt aber auch sonst alhni^lich an Boden,
nachdem die Kinderkrankheiten des Verfahrens überwunden sind.
Der Einfluß des künstlichen Hefezusatzes ist dann am größten, wenn
der Most vorher sterilisiert (pasteurisiert) wird, und dadurch das un-
kontrollierbare Hefe- und Bakteriengemisch, das imter natürlichen
1) S. Ref. von Moritz in Wochenschr. f. Brauerei 1900. 114.
2) Vgl. in derselben Zeitschrift 1900. 464 und 478.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 279
Verhältnissen die Gämng begleitet» ganz ausgeschaltet wird. Die Wahl
der Heferasse ist dabei von entscheidender Wichtigkeit. Allerdings
hat Müller- Thurgau gezeigt, daß man auch mit Hilfe gewöhnlicher
Bierhefe oder selbst mit den wilden Hefen, die man aus der Brauerei
als Krankheitshefe kennt, Weine erzeugen kann, die normales Bouquet
besitzen. Offenbar enthalten die Trauben selbst die nötigen „primären^*
Bouquetstoffe. Ebenso sicher ist aber, namentlich durch Arbeiten
von Wortmann ^), festgestellt, daß es Heferassen gibt, die die
Fähigkeit besitzen, den Gfeschmack und Geruch des Weins durch Er-
zeugung „sekundärer"' Boquetstoffe zu veredehi. Solche Hefen finden
sich unter natürlichen Bedingungen schon auf den Trauben, sie sind
es, die die Unterschiede der einzelnen Weinsorten mit bedingen. Man
braucht also nur die „Johannisberger", „Walporzheimer", „Pisporter"
Hefen zu isolieren, um geeignetes, charakteristisches Material für die
Reinzucht zu bekommen. Selbstverständlich ist die Zusanunensetzung
des Mostes daneben noch von großer Bedeutung, man wird also aus
einem minderwertigen Most durch die besten Hefen keinen edlen Wein
bekommen. Wie groß indessen der Einfluß der Heferasse, kann man
an den sogenannten Malton weinen ^) erkennen. Diese werden
in der Weise hergestellt, daß man reines Gerstenmalz, also denselben
Rohstoff wie in der Bierbrauerei, aber in stärkerer Konzentration ver-
maiBcht, dann einer Milchsäuregärung künstlich imterzieht, um die
dem Malze fehlende Säure der Traube zu ersetzen und schließlich durch
Südweinhefen zur alkoholischen Gärung bringt. Das Erzeugnis be-
kommt dadurch in der Tat das Aroma des Portweins, Sherrys usw.
Auch das Champagnerbouquetist das Produkt einer Hefe^),
die sich auch dadurch kennzeichnet, daß sie die Gärflüssigkeit kaum
trübt und sich gut absetzt. Bekanntlich spielen diese beiden Eigen«
Schäften bei der Herstellung des Schaumweins, d. h. bei der auf Flaschen
stattfindenden Nachgärung, eine größere, ja die Hauptrolle. Praktisch
sehr wichtig ist, daß die Bouquetbildung der reingezüchteten Hefen
bald verloren geht, sie müssen daher von den Champagnertrauben
immer frisch gezüchtet werden, wenn sie günstig wirken sollen.
Die Benutzung der Beinhefe in der Weinbereitung würde in erster
Linie dazu dienen, die Krankheiten des Weins zu verhüten. Solche
Krankheiten hat schon Pasteur^) auf Bakterien zurückgeführt.
1) Landwirtsch. Jahrb. 1892 u. 1894; vgl. auch § 90 und zahlreiche
Angaben in Kochs Jahresber. 1890—1900
2) Vgl. Sauer u. a., Zeitschr. f. Spiritusindustrie 1897.
3)Cordier, Kochs Jahresber. 1899. 114.
4) ^tudes sur le vin Fcuris 1866, 2. ^ition 1873. Neuere Zusammen-
280 Kap. VI, § 95.
Diese sind auch sicher dabei in erster Linie beteiligt, indessen haben
die Untersuchungen darüber noch keineswegs eindeutige Ergebnisse
gehabt, da die Impfversuche mit den reingezüchteten Bakterien fast
immer mißlingen. Nach H e i n z e kann man etwa folgende durch
Mikroorganismen hervorgerufene Veränderungen unterscheiden. EÜgent-
liehe Krankheitshefen, wie beim Bier, kennt man nicht, wohl siedeln
sich aber bei reichlichem Luftzutritt zum Wein häufig Kahmhefen
(Sacch. mycoderma) auf diesem an und schädigen ihn dadurch, daQ
sie den Alkoholgehalt herabsetzen, auch den Greschmack ungünstig
beeinflussen^). Allein für sich oder mit Kahmhefe zusammen verur-
sachen die Essigbakterien den sogenannten „Stich'' des Weines,
besonders wieder bei ungehindertem Luftzutritt und unter Einwirkung
höherer Temperaturen. Viel größer ist aber der Schaden, wenn sich
zu ihnen noch Fäulnisbakterien gesellen, die von den toten Hefezellen
und den stickstoffhaltigen Bestandteilen des Wassers leben und den
„Mausgeschmack", das „Mäuseln" des Weines oder den „Hefeabge-
schmack" erzeugen. Welcher von den zahlreichen bekannten Milch-
säurebakterien den Milchsäurestich oder das „Zickendwerden"'
des Weines bedingen, ist noch nicht bekannt, erst seit kürzerem studiert
die Mannitgärung des Weines, die von 6 a y o n und D u -
b o u r g auf den Mannitbazillus zurückgeführt wird. Den interessanten
Reduktionsprozeß, der dabei in Erscheinimg tritt, besprechen wir an
anderer Stelle (§ 124, 125).
Nach Laborde^) sind die fadenbildenden Bakterien, die schon
P a 8 t e u r als Erreger der „pousse" oder „toüme du vin" angesehen,
leicht zu kultivieren und zeigen sich nahe verwandt dem Bac. manniticus.
In Wein eingesät erzeugen sie allmählich aus der Weinsäure (?)
größere Mengen flüchtiger Säuren (viel Essigsäure mit weniger Pro-
pionsäure).
Unter dem Sammelnamen des „Umschlagens" oder „Brechens"
der Weine meint man aber meist Mischinfe ktionen, durch
die Weine trübe imd ölig oder schleimig werden, sich braun
färben und widerwärtigen Geschmack annehmen. Beschrieben sind als
Schleimbildner im Wein besonders von K r a m e r Bakterien (Bac.
viscosus vini), von Meißner Hefen (Sacch. viscosus). — Das „Bitter-
werden" des Rotweines schrieben P a s t e u r und nach ihm andere
Stellung über die Krankheiten des Weins bei H e i n z e , Hygien. Rund-
schau 1901, Nr. 7 und 8 niit Lit.
1) Vgl. über die Kahmliefe des Weines auch H e i n z e , Landwirt-
schaftl. Jahrb. 1901.
2) Compt. rend. 138. 228, vgl. § 124 u. D u c 1 au x § 147.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 281
Forscher, zuletzt noch Bordas, Joulin und Raczkowski^)
Bakterien zu. Nach den umfangreichen Feststellungen Wortmanns ^)
liegt dazu kein Grund vor, vielmehr scheinen Schimmelpilze (wie Botry-
tis, Penicillium), die teils schon auf den Beeren, teils im Fasse ange-
siedelt sind, aus der Gerbsäure des Weines die Bitterstoffe zu ent-
wickeln. Schimmelpilze sind es auch, die einen äußerst un-
angenehmen Schimmelgeruch und -geschmack im Weine erzeugen
können. Ebendahin gehört wohl wenigstens teilweise der „Stopfen-
geschmack" der Flaschenweine'). Der „Boden"- oder „Erd "geschmack
mancher Weine ist das gemeinsame Produkt der wilden Hefen (Sacch.
apiculatus) und Schimmelpilze.
Die Schimmelpilze, insbesondere Botr3Üs cinerea und Penicillium
glaucum haben auch insofern eine Bedeutung für die Weinbereitung,
als sie bei reichlicher Einsaat die Gärung des Mostes verlangsamen.
Nach Behrens*) sind Giftstoffe, die sie erzeugen, daran schuld.
Auf der anderen Seite ist die Botr3rtis cinerea bekanntlich auch von
Nutzen, da sie die Ursache der „Edelfäule" des Weines ist^).
Auch in den ältesten und gesündesten Flaschenweinen kommen
nach Wortmann regelmäßig Mikroorganismen vor, besonders
Hefen, aber auch Bakterien. Diese echten Weinhefen sind es, die
wahlscheinlich den Ausbau des Weines in der Flasche besorgen. Was
den Säureverlust anlangt, der in jungen und alten Weinen sich mehr
oder weniger stark bemerkbar macht, so wird er verschieden erklärt:
neben der physikalischen Wirkung der Weinsteinabscheidung werden
von Schukow, Wortmann u. a. noch die Hefepilze verant-
wortlich gemacht*), von K u 1 i s c h und A. Koch') aber spezifische
Bakterien, die die Äpfelsäure des Weins verzehren. Wenn ungleiche
Sauremengen in den Weinen, z. B. mehr Säure in den Moselweinen,
zurückbleiben, so wäre das nach Koch darin begründet, daß die
säureverzehrenden Bakterien in dem einen Weine besser als in den
1) Vgl. Kochs Jahresber. 1898. 147. Impfungen mit ihrem Bazillus
sollen in sterilisiertem Wein die Krankheit erzeugt haben. Die Besclirei-
bung des Bakteriums ist sehr unvollständig.
2) LandwirtBchaftl. Jahrb. 1900.
3) Ebd. 1898. 631.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 638.
5) Müller- Thurgau, Landwirtsch. Jahrb. 1888.
6) Vgl. H e i n z e , Zeitschr. f. Hyg. 46. 324.
7) Kochs Jahresber. 1897 — 1900. Vgl. auch den Mieroc. malo-
1 oticus von Seifert, ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 664, und die „Kahm-
hefen" Meißners (Landwirtsch. Jahrb. 1901), die je nach Umständen
Säure entwickeln oder verzehren. Bei freiem Luftzutritt überwiegt die
Säurezerstorung.
282 Kap. VI, § 96 — 97.
anderen fortkommen. Diese wie andere Einzelheiten der Weinbereitong,
der Einfluß der Temperatur, des Luftsauerstoffs, verdienen noch gründ-
lichere Bearbeitung. An Widersprüchen fehlt es nicht. So ist es zwar
verständlich, daß der Wein bei der Reifung, die ja wohl im wesentlichen
als ein Lebensprozeß zu deuten ist, einer nicht zu niederen Temperatur
ausgesetzt werden darf, warum er aber, nachdem er die volle Beife
erlangt, nicht bei der niedersten für die Eonservierung geeigneten
Temperatur gehalten werden soll, ist nicht recht verständlich. Etwas
klarer sind die Vorschriften über den Sauerstoäzutritt zum Wein.
Im allgemeinen wird bei der Lagerung des Weins die Luft streng ab-
geschlossen, weil dadurch nicht nur die Lifektion, sondern vor allem
auch das Wachstum der schon im Wein befindlichen sauerstoffliebenden
Eahmhefe und Essigbakterien begünstigt wird; bei dem wiederholten
Umstechen in andere Fässer soll dagegen die Lüftung eine vollkom-
menere sein, damit die Organismen, denen der weitere Ausbau des
Weines obliegt, nun zur Tätigkeit angeregt werden. Je reifer der Wein
wird, desto weniger nötig ist die Lüftimg und soll bei der Füllung in
Flaschen überhaupt unterbleiben.
Das sicherste Mittel gegen das Auftreten von Krankheitserregern
im Wein ist die Einführung der Hefereinkultur, aber schon die saubere
imd sorgfältige Eellerbehandlung kann viel leisten. Ist die Erankheit
einmal ausgebrochen, so kommen als Heilmittel mannigfache Ver-
fahren in Frage, das Schönen durch niederschlagende Substanzen
(Hausenblase), das Durchschütteln mit absorbierenden Stoffen (Holz-
kohle, Olivenöl), das Filtrieren und Pasteurisieren. In manchen Fällen
kann die fehlerhafte Gärung ausgeglichen werden durch eine Nach-
gärung mit Beinhefe.
§ 96. Branntweinbrennerei. Das dritte Gärungsgewerbe, die
Brennerei, bietet für uns wenig interessante Dinge, die nicht schon
bei der Brauerei Besprechung gefimden hätten. Besonders wichtig
geworden und vergleichbar dem oben geschilderten Verfahren bei der
Weißbierbrauerei ist die Benutzung von Reinkulturen der langen
Milchsäurebazillen (L a f a r) zur Herstellung des sog. Hefegutes, d. h.
der Vorkultur der Hefe, mit der die Brennereimaische geimpft wird.
Die Milchsäurebazillen dienen hier freilich nicht zur Erzeugung eines
bestimmten Geschmackes, sondern nur zur Sicherung und Förderung
des Hefe Wachstums (vgl. § 111).
Vielleicht steht dem Brennereibetriebe eine weitere Umwälzung
bevor durch Einführung der Pilzdiastasean Stelle des Gerstenmalzes.
Viele Schimmelpilze sind nämlich imstande, starke diastatische Fer-
mente zu bilden. So werden in asiatischen Ländern M u c o r - und
Wandlungen der Kohlenhydrate. 283
Aspergillus arten^) im weitesten Umfange zur Verzuckerung
des Reises als Vorbereitung der alkoholischen Gärung benutzt. Die
„chinesiBche Hefe'' konmit nach Calmettein den Handel in Gestalt
kleiner grauer Kuchen, die aus allerhand aromatischen Drogen und
Reismehl gemischt sind imd die Sporen des Mucor (Amylomyces)
R o u X i i neben Hefe und Bakterien enthalten. Grekochter Reis wird
mit einem Pulver dieser Hefe bestreut und überzieht sich bald mit dem
Myzel des genannten Pilzes, der die Stärke in Dextrin und Zucker
überführt. Die Hefe vergärt dann den Zucker zu Alkohol. W e h m e r
gibt eine ähnliche Beschreibung von dem auf dem malayischen Archipel
als Veigärungsmittel benutzten „Ragi'', das den Mucor javanicus als
wirksamen Bestandteil enthält. Auch der in Ost- und Mittelasien
als Genußmittel weit verbreitete Reiswein, der, weil er sehr viel
Alkohol enthält imd heiß getrunken wird, besser Reispunsch zu nennen
ist, der „Sak^"' der Japaner, wird nach K e 1 1 n e r u. a. in der gleichen
Weise hergestellt, nur daß hier als Diastase der Aspergillus oryzae
dient. Derselbe Pilz wird auch benutzt zur Fabrikation der Soja,
einer Art Sauce aus Bohnen und Weizen, die durch einen viele Monate
und Jahre lang dauernden langsamen Gärungsprozeß gewonnen wird,
ebenso wird das M i s o , ein steifer Brei aus Bohnen, Reis oder Gerste,
der in der Ernährung der niederen Klassen in Japan eine Rolle spielt,
erzeugt. Neuerdings hat man die genannten Pilze auch in Europa
eingeführt als Ersatz des Malzes in Brennereien.
§ 96a. Aus Mischgärnngen hervorgehende Genußmittel.
Die letztgenannten Produkte leiten zu anderen Nahrungs- imd Genuß-
mitteln hinüber, bei deren Herstellung neben der Alkoholgärung noch
saure Gärungsprozesse mehr oder weniger im Vordergrund stehen:
auBer dem schon § 94 genannten Berliner Weißbier wäre hier das
Brüsseler Lambic und Erickenbier, der englischen Ingwerwein, das
Hirsebier der Neger (P o m b e in Ostafrika), der russische Kwas, der
Sauerteig des Brotes aller Völker, das deutsche Sauerkraut, der tatarische
Kumys, der kaukasische Kefyr, der armenische Mazun, das ägyptische
Leben zu nennen. Der letzteren aus Milch bereiteten Getränke wurde
schon gedacht bei der Hydrolyse des Milchzuckers {§ 82), von ihnen
und den übrigen wird noch weiter die Rede sein bei der Milchsäure-
gärung (§ 111).
§97. Milchsänre- und gemischte saure Gärungen. Obwohl
das Sauerwerden der Milch derjenige Gärvorgang ist, der den Menschen
am frühesten bekannt werden mußte, hat man seine wahre Natur erst
sehr spät erkannt. Erziehen zählt ihn z. B. noch im Jahre 1784
1) Vgl. Lit. 8. 218.
284 Kftp. VI, § 97.
in seinen ,,Anfang8gründen der Chemie'' nicht einmal zu den eigent-
lichen Gärungen. Um diese Zeit wurde erst durch Scheele die
Entdeckung gemacht, daß die Milchsäure eine Säure besonderer Art
ist. Auch als später durch Cagniard- Latour, Schwann
imd namentlich K ü t z i n g die Gärungen als Äußerungen kleinster
Lebewesen erkannt waren, wurde diese Vorstellung noch nicht auf
die Milchsäuregärung übertragen. Teilweise war schuld daran die Tat-
sache, daß die Milchsäurebakterien dem bewaffneten Auge nicht so
auffallen, wie die Hefe im Biere, die „Mutter" im Essig, die „Infu-
sorien'' der Fäulnis. Außerdem war der Beweis, daß auch die Milch-
säuregärung auf lebende Erreger zurückzuführen sei, nicht so leicht
zu führen. Mußten doch alle Forscher, die sich mit den Zersetzungen
der Milch beschäftigten, die Beobachtung machen, daß das Kochen
durchaus kein sicheres Mittel ist, um diese zu verhindern^). Erst
Pasteur^) hat seit 1857 diese letzteren Schwierigkeiten überwinden
gelehrt. Er machte durch Erhitzung auf über 100^ unter Druck die
Milch auf die Dauer keimfrei, beschrieb übrigens auch schon unter
dem Namen der Milchsäurehefe ein Bakterium, das eine Milchgärung
verusacht. Die Reinzüchtung der Milchsäurebakterien gelang aber erat
viel später. In ziemlich reinem Zustand in Händen gehabt hat sie schon
L i s t e r ^), doch konnte seine Methode — die Züchtung in flüssigen
Nährmedien — , keine sichere Gewähr bieten. Selbst H ü p p e *) ,
der zuerst die Koch sehe Methode der Reinkultur auf festen Nähr-
böden auf die Untersuchung der Milch anwandte, hatte insofern kein
Glück, als es ihm nicht gelang, den gewöhnlichen Erreger der Milch-
säuregärung zu isolieren. Sein Bac. acidi lactici ist, wie später fest-
gestellt wurde, ein zwar leichter züchtbarer, aber nur verhältnismäßig
seltener und nebensächlicher Begleiter der Milchsäuregärung, der mit
dem von Escherich beschriebenen Bact. (lactis) aerogenes aus dem
Milchkot der Säuglinge identisch ist. Von den meisten späteren For-
schern wurden die H ü p p e sehen Ergebnisse ohne weiteres über-
nommen, es kam dadurch zu einer bösen Verwirrung, die sich nicht
bloß auf die Namen und die Beschreibung der Milchsäureerreger, son-
dern auf die Auffassung der Gärung selbst erstreckte. Zunächst war
es ein großer Fortschritt, als Leichmann, sovrie Günther
1 ) Vgl. z. B. Schröder iind von Dusch, Liebigs Annal. 89
und 99 (1854 und 1859).
2) Compt. rend. 45. 913; 47. 224; 48. 337 und 1149; 50. 849 und
Ann. ehim. et phys. 64, 1862, p. 58.
3) Transactiona of the Pathol. Soc. London 1878.
4) Mitt. K. Gesundheitsamt 2, 1884.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 285
und Thiepfelder*)die wirklichen Erreger der gewöhnlichen Milch-
säuregärong isolierten und ziemlich richtig beschrieben. Die letzteren
Forscher identifizierten leider selbst ihre Bakterien mit den H ü p p e -
sehen. Leichmann ^) erkannte zwar die Verschiedenheit seiner Bak-
terien von dem Bac. acidi lactici Hüppes, hatte aber die unglückliche
Idee, sie als Bacterium lactis acidi zu bezeichnen. Die Verwirrung
Würde noch gesteigert, als etwa gleichzeitig Lehmann und N e u -
mann in ihrem Grundriß der Bakteriologie (1896) das neue Bak-
terium als Bact. Güntheri, und ich selbst in der 3. Auflage der Flügge-
schen Mikroorganismen als Bacillus lacticus benannten, femer L e i c h *
m a n n ^) einen auf den ersten Blick gänzlich verschiedenen Mikro-
organismus, der auch Milchsäuregärung erzeugt — den langen Milch-
säurebacilluB (s. u.) — als Bacillus lactis acidi bezeichnete. Daneben
haben eine ganze Anzahl von Forschem noch Kokken als Mikrokokkus,
Streptokokkus, Bacillus acidi paralactici, Micrococcus lactis acidi,
Micrococcus ovalis, Enterococcus, Lactococcus usw. als besondere
Bakterien beschrieben, die Milchsäuregärung erzeugen.
Diese Verwirrung hat den Verfasser zu eigenen Untersuchungen
über die Milchsäuregärung*) veranlaßt. Ihr Ergebnis ist ebenso über-
raschend als erfreulich: die meisten der genannten Mikroorganismen
sind in den wesentlichen Eigenschaften miteinander identisch, die
früher als Bazillen aufgeführten verdienen diesen Namen nicht,
sondern sind echte Streptokokken, die den lanzett-
förmigen Pneu m onie k ok k e n ihrer Gestalt nach
meist sehr ähnlich sind, im übrigen aber viele
Abarten bilden. Man könnte sie am besten als Strepto-
coccus lacticus^) zusammenfassen. Wenn hierdurch eine Ver-
l)'Arch. f. Hyg. 25. 1895.
2) Milchzeitung 1894.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 777.
4) Kruse, Zentralbl. Bakt. 34, 1903. Vgl. auch H ö 1 1 i n g s
niHdizinische Diasertation, Bonn 1904.
5) Lehmann und N e u m a n n nennen sie in der 3. Auflage
ihres Grundrisses aus Prioritätsgründen Strept. Güntheri. Der Name ist
mindestens unpraktisch. Vgl. auch Weigmann in Lafars Handb. 2
(Lit.) und L ö h n i 8 , Zentr. Bakt. 2. Abt. 18. 100, Zeile 15. Noch weniger
empfehlenswert ist es natürlich, mit Beijerinck (Zeitschr. f. Spiritus-
industrie 1902. 631) den Strept. lacticus als ,, Lactococcus" zu bezeichnen.
Wieder aus Prioritätsgründen wählen Lehmann und N e u m a n n
in der 4. Auflage (1907) den Namen Strept. acidi lactici und Löhnis
K^ht mit seinem Strept. leu^tis sogar auf L i s t o r zurück (Zentr. Bakt.
•2. Abt. 22. 253, 1909). Wenn man durchaus aus diese recht zweifelhaften
Prioritätsansprüche den Hauptwert legen wollte, so käme noch der Strept.
(Micr.) ovalis Escherichs (1886) in Betracht. Unverständlich ist es.
286 Kap. VI. S »7.
einfachimg erzielt ist, so bleibt trotzdem die Tatsache bestehen, daß
es außer den gewöhnlichen Milchsäurebakterien
noch eine große An zahl sicher von ihnen verschie-
dener Bakterien gibt, die ebenfalls Milchsäure-
gärung zu erzeugen imstande sind. Dazu gehört in
erster Linie außer dem Hüppe-Escherichschen Bac. (Bact.)
aerogenes^), der oben erwähnte Bacillus lactis acidi L e i c h -
m a n n s , der wahrscheinlich dem in Brennereimaischen sehr ver-
breiteten Bac. acidificus longissimus Lafars'), dem Bac. Delbrückii
Leichmanns') und anderen „langen'^ Milchsäurebazillen*) sehr
nahe steht und schließlich die von Gorini ^) als Säure-Lab-
bildner zusammengefaßten verflüssigenden Milchbakterien. Wir
hätten damit vier Hauptgruppen von Milchsäurebildnem^).
Die erste Gruppe des Streptococcus lacticus
charakterisiert sich durch ihre Streptokokkennatur, d. h. Auftreten
in Form von Diplokokken und Ketten verschiedener Länge, Gramfestig-
keit, verhältnismäßig spärliches, auch unter Sauerstoffabschluß ziem-
lich gleichmäßiges Wachstum, den Mangel des Peptonisierungsver-
mögens. Hierher gehören außer den gewöhnlichen Streptokokken der
Milch (Str. lacticus) auch die beiden parasitischen Streptokokkenarten,
der Streptococcus lanceolatus (Pneumokokkus), und der
Streptococcus pyo.genes , sowie der zwischen ihnen stehende
Enterokokkus der französischen Forscher (T h i e r c e 1 i n),
d. h. die gemeinen Darmstreptokokken''). Eine scharfe Tren-
nung der drei Hauptarten von Streptokokken,
des Strept. pyogenes, lanceolatus und lacticus
ist nicht möglich, da alle Übergänge zwischen ihnen unter
natürlichen Bedingungen vorkommen, und auch ihre Variabilität
wie L. Müller (Zentr. Bakt. 2. Abt. 17, 1907) und A. W o 1 f f (ebenda.
24, 1909) immer noch von einem ,, Bakterium" — letzterer schlägt Bact.
Leichmanni vor — sprechen können, obwohl der erstere doch selbst die
schönsten Beweise für die enge Verwandtschaft mit Streptokokken er-
bracht hat.
1 ) AerobeM^ter Beijerinck, Bact. acidi lactici Lehmann-
Neumann (1907).
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 194, 1896; 7. 871.
3) Ebenda 2. 281 Zeitschr. f. Spiritusindustrie 1896. 305.
4) Lactobacillus Beijerinck.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 137, 1902.
6) Auch Löhnis (Zentr. Bakt. 2. Abt. 18. 97) kommt zu einer
ähnlichen Einteilung, wenn er die Gruppen auch etwas anders benennt.
Man vergleiche die dort gegebenen Beschreibungen mit Lit.
7) Vgl. bei Kruse.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 287
unter künstlichen Bedingungen sehr erheblich ist. Das hindert nicht,
daB ihre typischen Vertreter sich gut unterscheiden lassen. Auch Über-
gänge zu den anderen Gruppen kommen vor, so gibt es verflüssigende,
labbildende Streptokokken (s. 4. Gruppe), gramnegative Strepto-
kokken und grampositive kurze Bazillen, die sich sonst durch ihre
Eigenschaften der dritten Gruppe (des Aerogenes) nahem. Schließlich
ist die stammesgeschichtliche Verwandtschaft der Streptokokken und
langen Milchsaurebazillen (s. 2. Gruppe) nicht zu verkennen (§ 359)
and es werden sich wohl Zwischenglieder zwischen beiden auffinden
lassen. Das Säurebildungsvermögen wechselt sehr bedeutend, nament-
lich auch ihr Verhalten zu den einzelnen Zuckerarten (vgl. § 100).
Der typische Strept. lacticus kommt nicht nur in Milch, sondern auch
in anderen pflanzlichen Stofien (§ 111), z. B. in Gras, Sauerkraut,
sauren Rübenschnitzeln^) und im Darmkanal (s. o. Enterokokkus)
sehr gewöhnlich vor. Soweit Grasbildung (bei Sauerstoffabschluß)
überhaupt beobachtet wird, handelt es sich nur um Kohlensäure.
Die zweite Gruppe, die wir die langen Milchsäure-
bazillen (am liebsten würden wir jetzt sagen Bacillus lac-
ticus) nennen wollen, umfaßt grampositive, fakultativ anaerobe,
nicht verflüssigende und nicht sporenbildende schlanke, oft faden-
oder kettenbildende Bazillen. Auch sie scheinen wie der Streptococcus
lacticus zahlreiche Abarten zu bilden und sehr verbreitet zu sein,
sind aber bei uns seltener in Milch als in den anderen der sauren Gärung
verfallenen Stoffen pflanzlichen Ursprunges, wie namentlich der
Brenneieimaische, dem Weißbier und umgeschlagenen Bier (Saccha-
robac. pastorianus, Bac. Lindneri Henneberg ^)) zu finden. Nachneueren
Forschungen spielen sie allerdings auch in manchen ausländischen
Milcherzeugnissen, z. B. dem kaukasischen Eefyr (Bacillus caucasicus von
Freudenreich'), Lactobacillus caucasicus Bei] erinck*)), dem arme-
nischen Mazun (Bakterium Mazun Weigmann, Gruber und Huß^)),
dem äygptischen Leben (Bacillus Lebenis, Streptobacillus lebenis Rist
1) Hier zum Teil unter besonderem Namen beschrieben. Vgl. Baet.
braasicae W e h m e r , Bact. pabuli acidi bei Weiß, Göttinger phil.
Dissertation 1898. Dahin gehört auch der Strept. casei. Der Strept. hol-
landicus (Bact. lactis longi) zeichnet sich durch Schleimbildiing aus (§ 128).
Über Bact. und Bac. acidi propionici vgl. § 109 u. 142.
2) Zeitschr. f. Spiritusind. 1903. 226 vgl. hierzu und zu dem folgenden
die Abschnitte über Gärungsgewerbe § 94, 95, 96, 111 u. 178.
3) Landwirtsch. Jahrb. d. Schweiz 1896.
4) Zeitschr. f. Spiritusindustrie 1902. 533.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 19. 78.
288 Kap. VI, { 97.
und K h o u r y ^)) , dem bulgarischen oder türkischen Yoghurt (Bac.
bulgaricus Metschnikoff^)) eine Hauptrolle als Säurebildner.
Ebenfalls hierher gehören anscheinend die Käsebakterien Bac. casei
ß, 7, € (von Freudenreich^)) und Bacterium casei I — ^III
(L e i c h m a n n und Bazarewski *)), Die auf Schleimhäuten
(Magen, Darm, Scheide) der Säugetiere und Menschen regelmäßig
schmarotzenden Bac. acidophilus (M o r o) , der Bac. bifidus (T i s -
sier), die Boas-Oppler sehen „langen Milchsäurebazillen" des
Magens (Bact. gastrophilum, Lehmann und N e u m a n n ^)),
der Bacillus vaginalis Döderleins^) haben ebenfalls mehr oder
weniger große Verwandtschaft zueinander und zu dieser Gruppe
Auch hier zeigen sich aber große Unterschiede im Gärvermögen sowohl
dem Grrade nach als in dem Verhalten gegenüber den einzelnen Zucker-
arten (§ 100). Ebenso ist das Sauerstoffbedürfnis nicht überall gleich.
Der Bac. bifidus gehört z. B. zu den strengen Änaeroben. Ebenso ist
das Temperaturbedürfnis verschieden. Ein großer Teil der langen
Bazillen zeichnet sich vor den Milchsäurestreptokokken dadurch aus,
daß er bei Temperaturen von 40 bis 50® am besten gedeiht, andere
lieben wieder niedere Temperaturen. Gasbildung findet gewöhnlich
nicht statt, doch erwähnt z. B. Beijerinck solche für seinen Lacto-
bacillus fermentum. Jedenfalls handelt es sich wie bei den Strepto-
kokken nur um Kohlensäure ( § 104). Nach Beijerinck u. a.
bilden die langen Milchsäurebazillen ferner mehr oder weniger reichlich
Mannit aus Lävulose (§ 124 ff.).
Manche Zweifel bestehen noch über das Verhalten dieser Bakterien-
gruppe (sowie übrigens auch der Streptokokken) zu dem Eiweiß. Nach
von Freudenreich würden die Käsebazillen, obwohl sie nicht
imstande sind, die Gelatine zu verflüssigen, das Pepton stark angreifen
imd so zu der Käsereifung (§ 178) beitragen, nach Bertrand und
Weisweiller') soll auch der Bac. bulgaricus Kasein lösen, nach
1) Annal, Pasteiir 1902, vgl. Severin, Zentr. Bakt. 2. Abt. 22.
3, 1908.
2) Lit. darüber bei Luerssen und Kühn, Zentr. Bakt. 2. Abt.
20. 234, 1908; Klotz und K u n t z e ebenda 21, Severin ebenda 22.
Es kommen Varietäten vor.
3) Landwirtsch. Jahrb. der Schweiz 1894 — 99; von Freuden-
reich und T h ö n y ebenda 1904.
4) Zentr. Bakt.' 2. Abt. 6. 245, 1900.
.5) Atlas und Grundriß der Bakt. 3. Aufl. 1904, vgl. auch Henne-
b e r ^ a. a. O. und Sandberg, Z. klin. Mediz. 51, 1903.
6) Nach eigenen Untersuchungen und den Arbeiten von R o d e 1 1 a
(Zentr. Bakt. 1. Abt. 47. 445), K u n t z o (Zentr. Bakt. 2. Abt, 21. 737) u. a.
7) Annal. Pasteur 1906.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 289
S i c k ^) und Rodella ^) der Bac. acidophilus sogar die Milchsäure
aus dem Eiweiß bilden. Wenn sich das als richtig herausstellte, würde
sich auf den ersten Blick ein tiefgehender Gegensatz zwischen dem
Acidophilus und den übrigen Bakterien, die sicher die Milchsäure aus
Kohlehydraten erzeugen, ergeben. Indessen liegen auch sonst Er-
{ahnmgen vor, die für eine gleichzeitige Entwicklung von Milchsäure
aus Zucker und Eiweiß sprechen').
Die dritte Gruppe des Bacillus aerogenes um?
faßt auch die gewöhnlichen Darmbewohner Bac. coli communis sowie
deren beider Verwandte, nämlich einerseits die Bac. pneumoniae
(Friedländer), ozaenae, rhinoscleromatis, dysenteriae, pseudo-
dvBenteriae, andererseits die Bac. paratyphi, typhi. Es sind teils unbe-
wegliche, teils bewegliche, gramnegative, Gelatine nicht verflüssigende
und nicht sporenbildende Bazillen, die im übrigen erhebliche Unter*
schiede zeigen imd nur zum Teil, wie der Bac. aerogenes selbst, den
Zucker unter Gasbildung (Kohlensäure und Wasserstoff) zer-
setzen. Vielfach, bei den pathogenen gewöhnlich, bleibt gerade der
Milchzucker von ihnen unberührt (§ 100), und bei den pathogenen
fehlt auch oft die Gasbildung. Die Milchsäure tritt häufig hinter den
anderen Erzeugnissen zurück, ist übrigens noch nicht überall unter
den sauren Produkten ausdrücklich festgestellt worden.
Die vierte und letzte Gruppe, die der Säurelab-
bildner Gorinis, ist die am wenigsten natürliche. In der Tat
umfaßt sie verflüiasigende Streptokokken, z. B. den Streptoc. coli
gracilis Escherichs, einen Streptokokkus aus Cheddarkäse
fBockhout und de V r i e s *)) und aus Bienen- Sauerbrut (B u r r l,:
L. Müller*)), den Staphylococcus pyogenes, Micr. acidi lactici
Krüger*), Micr. acidi paralactici liquefaciens Halensis K o z a i ')
und ähnliche von Gorini, von Freudenrei c husw. beschriebene
Fonnen, Sarzinen aus Käse (A d a m e t z ^)) und alkoholischen Flüssig-
keiten (Lind n er®), Saito^®)), Bazillen aus den verschiedensten
Abteilungen, z. B. Bac. cloacae, Proteus vulgaris, prodigiosus, vielleicht
1) Deutsch. Arch. f. klin. Med. 86, 1906.
2) S. Anm. 6) auf S. 288.
3) Vgl. § 168 u. 174.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 587, 1904.
5) Ebenda 17. 640, 1907.
6) Zentr. Bakt. 1. Abt. 7. 19. 1890.
7) Zeitschr. f. Hyg. 31 und 38.
8) Landwirtsch. Jahrb. 18. 89. 250.
9) Zeitschr. f. Hpiritusindtistrie 1887. 369 „Pediococcus acidi lactici**
auÄ Brennereunaisohe, vgl. Henneberg ebenda 1901. 371 und 1903. 226.
10) Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 20. .
Kruse, Mikrobiologie. 19
290 Kap. VI, § 91 u. 98.
auch Heubazillen und ähnliche aerobe Sporenbildner^), ferner außei
den Buttersäurebazillen auch andere Anaerobier, wie den
Bac. des malignen Ödems (§ 113), Spirillen der Cholera und Verwandte*).
Die Übergänge zu den früheren Gruppen, z. B. durch die verfliissigen*
den Streptokokken und den Bac. cloacae zum Streptococcus lacticus
und Bac. aerogenes liegen auf der Hand. Soweit es sich hier um strenge
Aerobier handelt, bleibt freilich die Milchsäurebildung in engen Grenzen
und ist in ihrem Ursprung auch noch wenig studiert.
Sieht man sich diese Übersicht an, so bemerkt man, daß kaum
eine der bekannten Bakteriengruppen der Fähigkeit, Milchsäure zu
erzeugen, völlig entbehrt. Nur scheinbar fehlt sie vielleicht gewöhnlich
den Strahlenpilzen^) und echten Pilzen wie auch der Hefe. Denn die
Entdeckung von Ahrens, E. Buchner imd Meisenheimei
(§ 90), daß die Zymasegärung unter Bildimg von Milchsäure, die Gärung
lebender Hefe ohne solche erfolgt, ist möglicherweise dahin zu deuten,
daß die Milchsäuregärung hier nur intrazellulär vor sich geht, ähnlich
wie etwa die hydrol}rtische Spaltung des Rohrzuckers durch Monilia
Candida (S. 235). DaßdieMilchsäuregärungsogareine
allgemeine Eigenschaft des Protoplasmas ist,
könnte man aus den neueren Erfahrungen, die S t o k 1 a s a ^) u. a.
beim Studium der Organsäfte höherer Tiere und Pflanzen gemacht
haben, folgern.
§ 98. Verschiedene Arten der sauren Gärung. Wie wir ge-
sehen haben, daß die alkoholische Gärung der Hefe ein im wesentlichen
chemisch einheitlicher^) Vorgang ist, gibt es auch einzelne Bakterien-
arten (Streptokokken und lange Bazillen, s. u. § 99), die den Zucker
nach der Formel
1) CeHi^Oe = 2 CgHeOg (+ 15 Kai.«)),
d. h. ein Molekül Traubenzucker in zwei Moleküle Milchsäure, oder,
wie man es in der Milch beobachtet, nach der Formel
la) CigHgAi + HaO^iCgHeOa,
1) Vgl. bei der anaeroben Essigsäuregärung (§ 103), der Vergärung
des Glyzerins (§ 131) der Milchsäure (§ 142), der Schleimgärung (§ 128).
2) Beispiele s. S. 307 u. 308.
3) Der Diphtheriebazillus, der den Aktinomyzeten nahesteht, bildet
aber Milchsäure (§ 102), der Bac. tuberculosis humanae wenigstens aus
Glyzerin Säure (Th. Smith, Joum. med. research. 1905).
4) Vgl. § 101.
6) Betrachtet man die alkoholische Gärung im allgemeinen, d. h.
schließt man auch die durch Bakterien verursachte ein, so ergeben sich
freilich verwickelte Verhältnisse vgl. § 104.
6) Über die eigentümlichen Wärmeverhältnisse der Milchsäuregärung
vgl. § 237 und S. 293 in diesem Paragraphen.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 291
d. h. ein Molekül Milchzucker unter Wasseraufnahme in 4 Moleküle
Hilchsaure spalten. Häufig verläuft der Prozeß aber nicht so einfach^
sondern es werden daneben mehr oder weniger große Mengen Essig-
saure, Alkohol, Kohlensäure, Wasserstoff oder auch Bernsteinsäure,
Ameisensäure, Propionsäure, Glyzerin, ja zum Teil Buttersäure, Mannit,
Gummi, Schleim gebildet. Nicht genug damit, die Milchsäure gelbst
kami verschiedene (Rechts-, Links-, inaktive Milchsäure) Konfigura-
tionen besitzen, die einzelnen Zuckerarten können verschieden ge«
spalten werden, die Gärungen auch, je nach den sonstigen Emährungsbe-
dingongen und dem Zeitpunkte, in dem man sie untersucht, verschiedene
Produkte liefern. Schließlich fehlt die Milchsäure überhaupt in einzelnen
Fällen, und die Erzeugnisse der sauren Gärung setzen sich ausschließ-
lich aus den eben als Nebenprodukten genannten Stoffen zusammen.
Die Schwierigkeiten, die sich hieraus ergeben, sind bisher nur zum
kleinsten Teil überwunden worden. Bei den meisten Bakterien sind
wir weit entfernt davon, die tatsächliche Beschaffenheit und Menge
ihrer Gärprodukte und den zeitlichen Verlauf der Gärung genauer zu
kennen, geschweige denn, daß wir imstande wären, den ganzen Vor-
gang in Formeln zu fassen.
Ab Beispiel gründlicher Untersuchimgen^) führen wir zunächst
die Ergebnisse von Analysen an, die G a y o n und Dubourg*)
bei der Gärung des Bac. manniticus, eines vielleicht zur Gruppe der
langen Milchsäurebazillen gehörenden Mikroben, gemacht haben.
Produkte aus
Glykose
Galaktose
Sacchaiose
Alkohol
22,7%
25,6%
23,2%
Milchsäure
ai,4 „
34,8 „
28,7 „
Essigsäure
8,6 „
8,7 „
16,1 „
Bernsteinsäure
0,7.,
1,0 „
0,5 „
Glyzerin
9,7 „
9,0 „
6,7 „
Kohlensäure
21,0 „
21,8 „
21,2 „
Bakteriengewicht
2,3 „
Im ganzen:
96,30/o
100,8%
96,4%
Die Schwankungen, die die einzelnen Analysen zeigen können, sind
dabei noch nicht einmal berücksichtigt, sie betragen bei der Vergärung
der Glykose z. B. 20 — 30% des vergorenen Zuckers für den Alkohol,
25 — 45% für die Milchsäure, 6 — 12% für die Essigsäure. Bemerkens-
wert und wohl nicht zufällig ist die Übereinstimmung der Zahlen,
1) Vgl. auch die Arbeiten von Frankland, Harden, Fot"
tevin in den folgenden Paragraphen.
2) Annal. Pasteur 1894 u. 1901.
19*
292
Kap. VI, § 98.
die für Alkohol und Kohlensäure gefunden wurden. Sie erinnern daran,
daß auch bei der alkoholischen Grärung durch Hefe aus Zucker etwa
gleiche Teile Alkohol und Kohlensäure entstehen. Weiteren Eigen-
heiten des Bac. manniticus werden wir bei der Mannitgärung begegnen
(§ 124).
Weniger vollständig, weil die gleichzeitig entwickelten Gase
(Wasserstoff und Kohlensäure) nicht bestimmt worden sind, aber sehr
wichtig wegen der umfangreichen Vergleichung der Gärung in verschie-
denem Material sind die Analysen die Grimbert^) von der Gärung
des Bac. pneumoniae (Friedländer) angefertigt.
Produkte aus
Alkohol
Ensigsäure I
äilchnäure Bemsteinsäure
Glykose
Spur
11,1%
58,4% -
Galaktose
7,7%
16,6 „
53,3 „
Laktose
15,0 „
19,5 „
Spur 30,7%
Maltose
Spur
35 5,,
vorhanden
Saccharose
Spur
29,6 „
43,6«)
Arabinose
36,1 „
49,9 „ -
Xylose
6,9 „
23,4 „
Spur 19,9 „
Mannit
11,4 „
10,6 „
36,6 „
Dulzit
29,3 „
9,5 „
- 21,6 „
Dextrin
?
10,1 „
- 14,0 „
Glyzerin
10,0%
11,8 „
27,3 „ -
Kartoffeln
vorhanden
— vorhanden
Besonders merkwürdig ist hier das Verhalten derMilch- und
Bernsteinsäure, die sich z. T. gegenseitig auszu-
schließen scheinen, dann des Alkohols, der bei der Ver-
gärung der Glykose fehlt, bei der Galaktose auftritt und bei
der Laktose am reichlichsten vorhanden ist, während wir nach
den Erfahrungen, die wir bei der Alkoholgärung durch Hefe gewonnen
haben, die umgekehrte Reihenfolge erwarten sollten. Sehr auffallend
ist femer die imgleiche Spaltung der Disaccharide und der entsprechen-
den Monosaccharide. Sie läßt darauf schließen, daß hier der Spal-
tung keine Hydrolyse durch besondere Enzyme
vorhergeht, denn sonst könnte z. B. die Laktose nicht andere
Produkte liefern, als die Glykose und Galaktose, zu denen sie durch
Laktase zerfällt. Ähnliches ergibt sich übrigens für den Bac. manniticus
(s. o. und § 124).
Aus diesen Beispielen ist schon zu ersehen, daß es bei den wechseln-
1) Annal. Pastevir 1895.
2) Nicht getrennt bestimmt.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 293
den Verhältnissen der Einzelprodukte schwer fallen würde, einheit-
liche Formeln für die Gärungen aufzustellen. Man wird eher mit
D u c 1 a n X versuchen können, jedes dieser Einzelprodukte für sich
aus dem Zucker abzuleiten, also das Bestehen mehrerer
Gärungen nebeneinander vorauszusetzen. So hät-
ten wir neben der Formel 1, die für die Milchsäure gilt, die uns schon
bekannte Gleichung:
2) CeHi20e=2C2HeO + 2C02(+22KaL)
fiii Alkohol und Kohlensäure, die z. B. für den Fall des Bac. manniticus
(s. 0.) gut passen würde. Ebenso könnte man sich die Essigsäure ent-
standen denken wie folgt:
3) C^H^^Oe = 3 CÄO2 (+ 33 Kai.)
d. h. durch Zerspaltung des Zuckermoleküls in drei Moleküle Essig-
säure. Für das Glyzerin und die Bernsteinsäure könnte man auf
die Formehl Duclaux' (§90)
4) TCgHijOe + 6H2O = 12CgH303 + öCOg (—50 Kai.)
und 5) 7 CgHigOe + 6 COg = 12 C4He04 + 6 ILfi (+ 434 Kai.)
zurückgreifen, die wir schon von der Alkoholgärung her kennen. Schwie-
riger ist die Entwicklung von Wasserstoff zu deuten der in wechselnder
Menge neben Kohlensäure gebildet wird. Die Formel
6) C.Hi,Oe + 6 HjO = 6 CO2 + 12 H^ (— 147 Kai.)
würde die Erklärung geben für das Volumenverhältnis Kohlensäure:
Wasserstoff = 1 : 2, das sehr häufig wenigstens annähernd gefunden
wird (§ 105). Eine theoretische Schwierigkeit besteht darin, daß die
Umsetzungen nach 4 und 6, wie die Formeln der beigefügten Kalorien-
zahlen beweisen, nicht mit Entwicklimg, sondern mit Bindung von
Wärme verlaufen müßten^). Da durch die übrigen Spaltungen ge-
nügende Energie geliefert wird, so braucht man auf den Einwand
wohl kein Gewicht zu legen. Die Schwierigkeit verschwindet übrigens,
wenn wir die hier getrennten Prozesse auf einmal verlaufen lassen.
So hat H a r d e n ^) z. B. gefunden, daß sich die Vergärung der Glykose
durch den Bac. coli ausdrücken läßt durch die Gleichung
1 ) Die Keaktionswärmen sind meist nach den Stohmann sehen
Zahlen für die Verbrenmingswarme der Reaktionskörper von mir berechnet,
die Verbrennungswänne der Milchsäure hat Longuinine Ann. chim.
(6) 23. 210, 1891 angegeben (nach Herzog, Zeitachr. physiol. Ch. 37.
393). vgl. aber § 237.
2) Proceed. Chem. Soc. Mai 1901 (nach dem Bericht von E m m e r -
ling: Zersetzung stickstofffreier organischer Substanazen durch Bak-
terien (1902. S. 44) vgl. auch Kochs Jahresber. 1901).
294
Kap. VI. § 98 u. 99.
. 2C^ifit+ H20=2C3H,03+ C^A + CjHgO, + 2C0, + 2Hj
Traubenznoker Wasser MilehBäuie Essigs&ur« Alkohol Koblensäaie Wtsserstof
Wir erhalten ganz dieselbe Gleichung, wenn wir die Summe von
6 X Gleichung 1
2x „ 3
3x ,. 2
Ix » 6
nehmen und sie durch 6 dividieren. Die Reaktion verläuft dann unter
Entwicklung von 16,5 Kai. Die obige verwickelte Gürung kann man
«ich aber auch nach H a r d e n folgendermaßen unmittelbar zustande-
gekommen denken:
I
CHOH CHgOH
CHOH CHÖlf
= CHj^ CHgOH + COj + Hg
Alkohol Kohlen- Wasser-
B&are stoff
CHOH CHOH
I
CHOH CHOH
= 2CH3— COHH — CO OH
Uilchsäure
COH
Trauben-
zacker
CHOH
+ HjO= CH,-
COH
Traaben- Wasser Essigsäure
Zucker
COOH + CO2 + H,
Kohlen- Wasser-
säore stoff
In ähnlicher Weise läßt H a r d e n die einzelnen Erzeugnisse aus der
Vergärung der übrigen Zuckerarten einschließlich der Pentosen hervor-
gehen. Nach ihm würde der Alkohol zu seiner Bildung im Gärmaterial
die Gruppe CHgOH — CHOH — erfordern.
Leider fügen sich aber die analytischen Tatsachen nicht überall
so schön einer einfachen Formel, wie nach H a r d e n in dem Fall der
Vergärung des Traubenzuckers durch Colibazillen. Es wird uns also im
allgemeinen nichts übrig bleiben als die Gärungen, wie oben, in Teil-
prozesse aufzulösen, und zu sprechen außer von Milchsäuregärung (1),
von Alkoholgärung (2), Essigsäuregärung (3), die wir von der unter
Sauerstoffzutritt erfolgenden (§ 135) als „anaerobe" unterscheiden
können, von Glyzerin-, Bernsteinsäure-, Wasserstoffgärung (4 — 6)
und schließlich von der zwar seltener, aber gerade für wichtige Bakterien
(Typhus-, Ruhrbazillen, Käsekokken) in Betracht kommenden Ameisen-
säure- undPropionsäuregärung. Wir werden sie im § 99 — 109 besonders
besprechen, ohne damit ausdrücken zu wollen, daß sie alle selbständig
auftreten können. Nur die Milchsäuregäru n g und allen-
falls die Essigsäuregärung kommen allerdings
Wandlungen der Kohlenhydrate. "295
rein vor, die übrigen nur mit ihnen oder mitein-
ander vergesellschaftet. tJber Buttersäure-, Mannit« und
Schleimgarung, die anderen Milchsäurebakterien eigen ist, sprechen
wir in späteren Abschnitten. Die Trennung der Erörterung in be-
sondere Abschnitte ist nötig, imi von den Vorgängen ein klares Bild
zu geben, sie soll aber nicht besagen, daß die Natur die Scheidung
mit derselben Strenge vornehme. Vielmehr finden sich allenthalben
Übergange imd die Veränderlichkeit spielt wahrscheinlich selbst bei
einer und derselben Art oder Abart eine größere Rolle, als man
früher annahm.
Bisher kennen wir nur ein Milchsäureenzym (§ 101), die
übrigen Zersetzungen sind noch nicht auf solche zurückgeführt, wenn
auch bei der Zymasegärung Essigsäure in kleinen Mengen entsteht
(§90).
§ 99. Milchsänregärang. Man hat früher vielfach bestritten,
daß eine reine Milchsäuregärung vorkäme, und konnte sich dabei u. a.
auf die Angabe von Ad. M a y e r ^) stützen, nach der nur 83,9% des
vergorenen Milchzuckers als Milchsäure, 3,7% als Essigsäure und 12,4%
als unbekannte Stoffe (darunter keine Gase) erscheinen sollten. Diese
Versuche sind aber nicht mit Reinkulturen angestellt worden, also nicht
beweisend. E a y s e r ^) hat dieses Erfordernis in seiner noch häufig
zu zitierenden Arbeit erfüllt. Ein Mangel seiner Untersuchung besteht
darin, daß die von ihm benutzten Bakterien nicht genügend beschrieben
sind, so daß man meist darauf verzichten muß, sie sicher wiederzuer-
kennen. Zum größten Teil gehören sie aber offenbar in die Gruppe
des Streptococcus lacticus.
I. II. III.
Malzaufguß Zwiebelaufguß Zwiebelaufguß
mit 13,3Voo
mit ICöVoo
mit 7,5Vm
Glykose u.
Glykose
Glykose
öVoo Pepton
Bakt. n ohne Sauerstoffzutritt 93,8%
94,0%
95,30/0
mit
70 „
60 9,,
62,1 „
Bakt. b ohne
i>
74.6 „
mit
if
80,6 „
Bakt. 0 ohne
Ji
100 „
mit
i»
98,9 „
1) Zeitechr. f. Spiritusindustrie 1891, 183, ref. Kochs Jahresber.
1891, 173.
2) Annal. Pasteur 1894, vgl. auch die spätere Arbeit in Annal. Inst.
Agron. (Kochs Jahresber. 1904. 319). Sie betraf 4 grampositive Milch-
Räurebiücterien (Strept. und Bazillen) und zeigte recht wechselnde Ver-
hältnisse (s. u. im Text).
59S Kap. VI. § 99.
-Vorstellende tJbersicht gibt die Resultate einiger Versuche, die K ä 7-
s e r mit verschiedenen Milchsäurebakterien teils in Gefässen mit
großer Oberfläche — also bei ungehindertem Luftzutritt — teils in
-hohen engen Kölbchen — also fast unter anaeroben Bedingungen —
ausgeführt hat. Die Zahlen geben in Prozenten die Ausbeute der Milch-
säure aus dem vergorenen Zucker an. Die Bakterien entsprechen drei
Typen : Bacterium o aus' belgischem Bier, nach der Beschreibung ein
echter Streptococcus lacticus, vergärt, gleichgültig, ob mit oder ohne
Sauerstoffzutritt, den Zucker vollständig oder wenigstens zu
99% zu Milchsäure; Bakterium n, das aus Sauerkraut stammt und
seinen Eultureigenschaften nach mehr den langen Milchsäurebazillen
zu entsprechen scheint, gibt bei Sauerstoffabschluß 94 — ^95% Milch-
säure, bei freiem Sauerstoffzutritt nur 60 — 70% imd Bakterium b aus
Rahm, der seinen Eigenschaften nach in der Mitte steht, gibt unab-
hängig von dem Einfluß des Sauerstoffs 75 — 80% Milchsäure.
Auch ein von Pottevin^ aus Zwiebelinfus gezüchtetes Milch-
säurebakterium erzeugte in diesem Medium, nach Zusatz von 1%
Pepton und verschiedenen Zuckerarten (Laktose, Saccharose, Maltose,
Glykose Invertzucker, Galaktose und Mannose) 98 — ^95% Milchsäure.
Auffallenderweise sank die Ausbeute aber bei Verringerung des Pep-
-tonzusatzes auf 94—81%.
Aus diesen Versuchen E a y s e r s und Pottevins folgt zu-
nächst, daß es eine reine Milchsäuregärung gibt, bei der der Zucker
im wesentlichen nach der Gleichung (§98)
1) CeH^^Oe = 2C3He03 oder la) Ci^H^^Oii + H^O = 4C3He03
gespalten wird, daß also die von Hoppe-Seyler^) und Ad.
M a y e r ^) aus theoretischen Gründen gegen diese Formel erhobenen
Bedenken nicht stichhaltig sind.
Während die in diesen Versuchen benutzten Bakterien sich nicht
mit Sicherheit identifizieren lassen, ist das der Fall bei den von We i g -
mann*), Leichmann ^) und Bazarewski, Henneberg*)
(und Kownatzki) Beijerinck'),' Kozai®), Ber-
1) Annal. Pasteur 1898.
2) Pflügers Arch. 12.
3) Gärungscliemie 6. Aufl.
4) Milchzeitung 1896. 147.
5) Ebenda 65; Zentr. Bakt 2. Abt. 2, 1896 und 6, 1900 vgl. Kochs
Jahresber.
6) Woch. Brauerei 1901 und Zeitsclir. f. Spiritusind. 1903 (Kochs
Jahresber.).
7) Zeitschr. f. Spiritusind. 1901 (Kochs Jahresber.)
8) Zeitschr. f. Hyg. 31 und 38.
Waadlungen der Kohlenhydrate. 297
t r a n d und W e i ß w e i 1 1 e r ^) u. a. studierten. Nach ihnen bil-
den gerade die beiden wichtigsten („energischsten" :
Beijerinck) Milchsäurebakterien, die Strepto-
kokken und langen Bazillen (§ 97), fast ausschließ-
lich Milchsäure. Doch scheinen einige Varietäten namentlich
der letzteren eine Ausnahme zu machen, indem sie nicht ganz unerheb-
liche Mengen von Kohlensäure, Alkohol und flüchtiger Säure ent-
wickeln (Beijerinck, Henneberg). Besonders gälte das von
dem Bac. manniticus von Gayon und Dubourg (§ 98 u. 124),
8ofem er in die Gruppe der langen Milchsäurebazillen gehören sollte.
Fiel reicMicher pflegen diese Nebenerzeugnisae aber nach allgemeinem
Urteil bei der Gärung des Bac. aerogenes und anderen Mitgliedern der
dritten Gruppe (§ 97) zu sein und nach Kozai u. a. auch bei der
freiwilligen Gärung der Milch, wenn sie bei höherer Temperatur und
läDgere Zeit verfolgt wird.
Die vierte Gruppe, die der Labsäurebakterien, ist noch nicht ge-
nügend in dieser Beziehung studiert worden, ihre Fähigkeit, das Eiweiß
zu zersetzen, läßt aber schon darauf schließen, daß unter ihren Pro-
dukten die flüchtigen Säuren eine wesentliche Rolle spielen werden.
Zweitens wird durch diese Arbeiten ein anderes Vorurteil, das
auf Grund der Angaben von Hüppe, Ad. Mayer u. a. entstanden
war, nämlich, daß die Milchsäuregärung ein wesentlich aerober Vor-
gang sei, widerlegt. Im Gegenteil ist die Ausbeute anMilch-
säure durchschnittlich höher oder mindestens
ebenso hoch bei spärlichem oder mangelndem
Sauerstoffzutritt. Kayser hat das für die übrigen von
ihm daraufhin geprüften Milchsäurebakterien bestätigt gefunden. Auch
wenn er völlig anaerobe Versuchsbedingungen herstellte, war immer
ein üppiges Wachstum imd reichlichste Produktion von Milchsäure
zu erzielen. Das stinmit mit unseren eigenen imd fremden Erfahnmgen
überein. Allerdings findet K ö s 1 1 e r *) bei einem langen Milchsäure-
bakteriimi das Optimum der Säurebildung bei einem gewissen Mindest-
druck des Sauerstoffs. Etwas anders liegt, wie wir später sehen werden,
die Sache bei der Essigsäurebildung (§ 103).
Die dritte Tatsache istdergünstigeEinfluß,deneine
reichliche und zwar aus Pepton oder Eiweiß
bestehende S ti cks t o f f e rn ährun g auf die Milch-
1) Annal. Posteur 1906. Auf 26 g Milchsäure erzeugt der Bac. bul-
garicus nur je 0,5 g Essig- und Bernsteinsäure. Nach Bertrand iind
Duchacek (Annal. Pasteur 1909, 6) soll aus anderen Zuckerarten auch
«»twas Ameisensäure gebildet werden.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 19. 1907.
298 Kap. VI, S 99 u. 100.
Säuregärung ausübt. Nachdem schon frühere Autoren ähn-
liches gefunden, hat K a y s e r durch besondere Versuchsreihen den
Satz über jeden Zweifel gestellt^). Besonders wichtig ist die Feststel-
lung, daß bei reichlichem Peptonzusatz schließlich die Ausbeute an
Milchsäure größer ist, als der Zuckermenge entspricht. Es muß
diese Säure also auch aus den stickstoffhaltigen
Substanzen abgespalten werden. In der Tat hat das
K a 7 s e r an einem seiner Bakterien für rein dargestelltes Pepton
aus Eiweiß und Fibrin bewiesen. Andere Säuren wurden nur spurweise
gebildet, R o d e 1 1 a ') leitet sogar die Milchsäure, die seine langen
Bazillen aus Darminhalt (Acidophilus) bilden, wesentlich aus Eiweiß
her. Es läßt sich nicht leugnen, daß durch diese Erfahrung die oben
von K a y s e r für die Spaltung des Zuckers in Milchsäure gegebenen
Zahlen etwas an Sicherheit verlieren. Man wird sich künftig nicht
darauf beschränken dürfen, den Zuckerverbrauch und die Milch-
säureerzeugung zu bestimmen, sondern möglichst alle sonstigen Pro-
dukte der Zuckerspaltung und der Eiweißzersetzung feststellen müssen.
Daß gleichzeitig auch die Bakterienemte zu messen ist, wenn man
eine richtige Bilanz der Gärung erhalten will, ist eigentlich selbstver-
ständlich, bisher aber nur in wenigen Fällen berücksichtigt worden
(vgl. § 235).
Die Pottevin sehen Zahlen werden übrigens nicht von dieser
Unsicherheit berührt, denn nach den Feststellungen dieses Autors ist
das von ihm studierte Milchsäurebakterium nicht imstande, Milch-
säure aus Pepton zu bilden. Wohl wurden bis zu 0,2 %o Essigsäure
erzeugt. Das Vorkommen einer reinen Milchsäuregärung kann also
nicht angezweifelt werden.
§ 100. Einfluß des Gärmaterials auf die Milchsänre-
gärung. Außerordentlich groß sind die Verschiedenheiten in dem Ver-
halten der einzelnen Kohlenhydrate bzw. Zuckerarten zur Milchsäure-
gärung. Es ist schwer, dafür allgemeine Begeln aufzustellen. Am besten
betrachten wir die einzelnen Erreger für sich. Was zunächst die Gruppe
der Milchsäurestreptokokken ^) anlangt, so werden schon die Hexosen
1 ) Bestätigungen s. bei Leichmann und Bazarewski,
Beijerinck, Kozai, L. Müller (Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 249).
Ob die echten Milchsavirebakterien wirklich ohne eiweißartige Stoffe nicht
gedeihen können, müßte wohl noch sicherer festgestellt werden. Die Coli-
gruppe ist jedenfalls dazu imstande (Proskauer und C a p a 1 d i ,
Zeitschr. f. Hyg. 23).
2) Zentr. Bakt. 47 vgl. S. 288 unten.
3) Vgl. außer Kayser (Kochs Jahresber. 1904. 320), L. Mül-
ler, (Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 748, 1907), Th. G r u b e r, (ebenda 760), auch
Wandlungen der Kohlenhydrate. 299
flicht gleichmäßig von ihnen vergoren. Allerdings scheint wie nach älteren
Erfahrungen, so nach denen von L. Müller und S a 1 o m o n ^) die
Begel zu gelten, daß sie Glykose und Fruktose (Lävulose) am stärksten
von allen Zuckerarten und ungefähr gleich stark angreifen. Galaktose
wild nach Th. G ruh er von Strept. lacticus überhaupt nicht zer-
setzt, aber der Kokkus Nr. 1 Kaysers, der offenbar zu ihm gehört,
vermag das doch, wenn auch in mäßigem Umfange, ebenso der Strepto-
coccus pyogenes nach S a 1 o m o n. Die Mannose ist nach letzterem
Forscher erheblich widerstandsfähiger, wird aber auch von einzelnen
Stämmen vergoren. Von den Disaöchariden wird allein
der Milchzucker durch den Strept. lacticus regel-
mäßig, jedoch in etwas geringerem Maße zersetzt,
als Traubenzucker und Fruchtzucker. Maltose wird
dagegen manchmal und Saccharose häufig unberührt gelassen. Der
Streptococcus pyogenes soll dagegen nachSalo-
mon u. a. umgekehrt häufiger Bohrzucker und
namentlichMalzzuckervergärenalsMilchzucker.
Trisaccharide wie Raffinose erleiden selten, Polysaccharide (Dextrin
und Stärke) wieder öfter (S a 1 o m o n) Zersetzungen. Aus Fentosen
(Arabinose) erzeugen nach Müller die meisten Stämme des Strept.
lacticus etwas Säure, einige ziemlich viel (vgl. auch S a 1 o m o n).
Der Alkohol Mannit verfällt, um das gleich hier zu bemerken, häufig
und manchmal ziemlich ausgiebig der Milchsäuregärung, Glyzerin*
seltener und im geringerem Umfange (§ 131).
Die langen Milchsäurebazillen') zeigen schon gegenüber den Hexosen
größere Verschiedenheiten. Nach Henneberg gibt es einige Spiel-
arten (Saccharobac. pastorianus var. berolinensis, Bac. Lindneri), die
Fruktose weniger angreifen als Glykose, nach Bertrand und D u c h a -
c e k ') gehört dazu auch der Bac. bulgaricus. Galaktose wird von
Bac. Delbrückii und lactis acidi, die Fruktose gut vergären, weniger
die Zosammenstellung bei Weigmann in Lafars Handb. 2. 92 und
die in § 112 am Schluß aufgeführten Arbeiten von Gordon, Salo-
m o n u. a.
1) Auffallend ist, daß G r u b e r mit einer Anzahl seiner Strepto-
kokken bei Glykose keine, bei Milchzucker immer Vergärung erhielt.
Vielleicht lag das an dem Nährboden (Hefewasser). Jedenfalls weu* in
Müllers viel zahlreicheren Versuchen in Bouillon oder Fleischextrakt
die Vergärung in Traubenzucker stets am deutlichsten ausgesprochen.
8 a 1 o m o n s Ergebnisse sind übrigens wegen der von ihm gewählten
(aeroben) Versuchsanordnung ebenfalls mit Vorsicht aufzunehmen.
2) Vgl. außer K a y s e r und Weigmann (Anm. 3. S. 298), be-
sonders Henneberg, Zeitschr. f. Spritind. 1003 (Kochs Jahresber.)
3) Annal. Pasteur 1909.
300 Kap. VI. § 100.
stark, von Bac. berolinensis und bulgaricus dagegen kräftig zersetzt.
Auch Mannose widersteht letzterem nicht. Von den Disacchariden
wird durch die langen Bazillen am besten die Maltose vergoren,
nicht wie durch die Milchstreptokokken der Milchzucker, nur der Bac.
casei (von Freudenreich und Thöni) und der Bac. bulgaricus
machen eine Ausnahme. Das hängt wohl damit zusammen, daß die
beiden letzteren in milchzucker-, die übrigen in malzzuckerhaltigen
(pflanzlichen) Nährböden sich aufzuhalten pflegen (§111)^). Der Bac.
casei e steht insofern allein, als er sogar Milchzucker kräftiger zersetzt
als die Hexosen. Rohrzucker wird häufig unberührt gelassen, ebenso
Trehalose und das Trisaccharid Kaffinose. Der Saccharobacillus
pastorianus versetzt Dextrin und Stärke in milchsaure Gärung und
ebenso wie die Käsebazillen a und / (von Freudenreich und
Thöni) auch die Pentosen Arabinose, Xylose, Bhanmose. Zu den
Mannit- und Glyzerinvergärem (§ 131) gehören ebenfalls lange Ba-
zillen, wenn wir solche auch gerade umgekehrt als Erzeuger von Mannit
und Glyzerin aus Zucker kennen lernen werden (§ 124 u. 106).
Die Gruppe des Bac. aerogenes, bei der die gewöhnlichen Gärungen
überwiegen, zeigt noch mehr Eigentümlichkeiten. So soll nach B r i e -
g e r ^) und Frankland ^) d^r Fneumoniebazillus — nach dem
ersteren auch der Typhusbazillus nach dem letzten auch der Bac.
ethaceticus — Traubenzucker überhaupt nicht in milchsaure,
* sondern nur in essigsaure und alkoholische Gärung ^) versetzen (s. u.
§ 103 u. 104). Wenn diese Angabe richtig ist, so kann es freilich nur
für bestinmite Stämme dieser Bakterien oder besondere Bedingungen
gelten, denn die meisten anderen Forscher (T a t e ^), G r i m b e r t ®),
Kayser'), Emmerling®), Bovet*), Macfadyen,
1) Viele lange Milchsäurebazillen soUen nach Henneberg sogar
in Milch gar nicht wachsen, wie die Milchsäurestreptokokken umgekehrt
in Bier nicht gedeihen.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 8 u. 9 (Friedländers „Pneumo-
kokkus'*); weitere Untersuchungen über Ptomaine, 1885 (Typhus).
3) Mit Stanley und F r e w , Transact. chem. soc. 1891, Kochs
Jahresber. 91. 235 (Fneumoniebazillus), mit Lumsden, Kochs
Jahresber. 1892. 231 (Bac. ethaceticus).
4) Von den nebenbei entwickelten Gasen wird hier vorläufig ab-
gesehen (vgl. § 105).
5) Kochs Jahresber. 1893. 191 („Askokokken").
6) Annal. Pasteur 1895 und 1896 (Pneumoniebazillen) vgl. S. 292:
CJompt. rend. soc. biol. 1896 und Kochs Jahresber. 1896. 223. (Coli-
bazillen).
7) Annal. Pasteur 1894.
8) Ber. chem. Ges. 33. 2477 (Aerogenes).
9) Kochs Jaliresber. 1891. 239. (Coli).
Wandlungen der Kohlenhydrate. 301
X e n c k i und Sieber ^), Blachstein*), Harden*), Ko-
zai*),Pottevin^) fanden bei dem Bac. pneumoniae und den ihm
mehr oder weniger verwandten Bac. aerogenes, acidi lactici (laevolactici),
coli, typhi, paratyphi zwar auch gewöhnlich essigsaure, ameisen-
saiire oder alkoholische Gärung (oder beide zusammen), daneben
aber immer auch milchsaure. Ja, die letztere pflegte
gerade bei der Zersetzung des Traubenzuckers die vorherrschende zu
sein. Ob das auch bei den hierher gehörigen Ruhr- und Pseudodysen-
teriebazillen der Fall ist, oder ob bei ihnen die milchsaure Gärung
(der Traubenzuckerbouillon) durch die essig- und ameisensaure ersetzt
wird, ist noch festzustellen.
Die übrigen Hexosen sind nur ausnahmsweise geprüft worden:
nach H a r d e n verhält sich dabei Fruktose und Galaktose dem B. coli
gegenüber wie Glykose, während aus der Galaktose nach G r i m b e r t
vom Bac. pneumoniae zwar ähnliche Mengen Milchsäure, aber ungleiche
Mengen Alkohol und Essigsäure gebildet werden (S. 292). Nicht im-
mittelbar benutzbar sind die Arbeiten von Jensen und Bahr,
Dieudonne imd Segin, MacConkeyu. a. über die Säure-
bildung von Coli-, Aerogenes-, Paratyphusbazillen, usw. in den
verschiedenen Zuckerarten, weil sie über die Art der Säure
nichts mitteilen (§ 112), sie lehren aber wohl das eine, daß
Glykose und Fruktose meist gleich stark, Galaktose und namentlich
Sorbose weniger oder gar nicht angegriffen werden. Auch für die Ver-
gärung der IKsaccharide mit Ausnahme des Milchzuckers können wir
meist nur auf ähnliche, wesentlich zum Zwecke der Differentialdiagnose
vorgenonmiene Untersuchungen verweisen. Sie lehren ims aber, daß
auch hier Malzzucker am häufigsten, Milchzucker und Rohrzucker
seltener, und zwar bald dieser, bald jener häufiger zersetzt wird. Eine
Ausnahme macht der Bac. aerogenes paradoxus Wortmanns®),
der Milchzucker (unter Gasbildung) vergärt, nicht Traubenzucker.
Was die Art der Vergärung anbetrifft, so soll sie nach H a r d e n beim
Colibazillus ähnlich der der Glykose und Fruktose sein, nach Grim-
bart würde sich aber beim Bac. pneumoniae ein großer Unterschied
ergeben, indem Malz- und Rohrzucker in Milchsäure, Bemsteinsäure
und Essigsäure zerfiele, Milchzucker aber in Bemsteinsäure, Essigsäure
1) Arch. exper. Path. 28.
2) Baumgartens Jahresber. 1894. 252 (Typhus).
3) Lit. vgl. S. 293 Anm. 2 (Coli, Typhus); ferner Journ. of hyg. 190o
(Coli, aerogenes, cloacae, u. a. m.).
4) Zeitechr. f. Hyg. 38. 404, 1901.
5) Annal. Pasteur 1905 (Paratyphus und Enteritidis).
6) Ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 20. 540.
302 Kap. VI, § 100.
und Alkohol. Diese Angaben Grimberts sind von großer Bedeutung,
weil sie lehren, daß bei der Vergärung des Milchzuckers und auch wohl
der beiden anderen Disaccharide durch den Bac. pneumoniae» wenn
man sie vergleicht mit derjenigen der sie zusammensetzenden Hexosen,
die Milchsäure durch die Bernsteinsäure ersetzt
wird, also kaum die Rede davon sein kann, daß
der Gärung eine Hydrolyse voraufgeht. Nach Grim-
bert, BlumenthaP), Seelig*), Bienstock') sollen sich
verschiedene Stämme des Bac. coli, nach Emmerling auch solche
des Bac. aerogenes ähnlich verhalten, d. h. Bernsteinsäure-
g ä r u n g in Milch oder Milchzuckerlösung verursachen (§ 107). Andere
üntersucher wie K a y s e r fanden bei Aerogenes einen Unterschied,
je nachdem sie ihn in Milch oder künstlicher Milchzuckerlösung prüften:
nur in ersterer blieb die milchsaure Gärung fast völlig aus — wieder
ein Beweis für den Einfluß der Stickstoffnahrung (S. 297) auf den
Ausfall der Gärung — in. letzterer hielt sie sich mit der essigsauren
etwa die Wage. Baginsky^), Haacke^), sowie für einige
seiner Colistämme auch G r i m b e r t erhielten neben einem Über-
schuß der Essigsäure in der Milch immer noch beträchtliche Mengen
Milchsäure. Andere, wie Oppenheimer*), Leichmann')
imd K9zai (a. a. 0.) sahen dagegen auch bei der Vergärung der
Milch durch Aerogenes- oder Colistämme die Milchsäure überwiegen
und die Essig- und Bernsteinsäure, wenn überhaupt, nur in kleinen,
allerdings wechselnden Mengen entstehen. Man sieht, daß es w e s e n t •
lieh von der Stammes ei gentümlichkeit abhängt,
ob Milchsäure, Bernsteinsäure oder Essigsäure
das Haupterzeugnis der Vergärung des Milch-
zuckers durch die Aerogenesgruppe ist.
Von Trisacchariden verhält sich Raffinose nach Jensen und
Bahr, Segin u. a., was die Säuerung überhaupt anlangt, gegen
die Gruppe der Colibakterien ähnlich wie Bohrzucker, Melezitose wird
nicht angegriffen. Dextrin, Stärke, Inulin werden ebenfalls häufig
in saiLre Gärung versetzt, jedoch nach Grimbert von Pneumonie-
bazillen nur in essig- und bernsteinsaure. Die Pentosen (Ara-
binose, Xylose, Bhamnose) werden meist so stark
1) Virchows Arch. 146, 1900.
2) Ebenda.
3) Arch. f. Hyg. 39. 410.
4) Zeitschr. f. physiol. Ch. 12 (Bac. aerogenes), eb. 13 (Coli).
5) Arch. f. Hyg. 42 (Bac. acidi lactici).
6) Ref. Zentr. Bakt. 6. 586.
7) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5. 344.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 303
vergoren wie die Hexosen. Dabei bilden sich zwar nach
Grimbert, Harden aus der Arabinose neben Essigsäure große
Mengen Milchsäure, aus der Bhamnose aber nach Täte sogar ein
Überschuß von Essigsäore und aus der Xylose nach 6 r i m b e r t
neben Essigsäure und Alkohol nur Bemsteinsäure, während aus der
Vergärung der Arabinose durch den Bac. ethaceticus nach Frank-
I a Q d und Mac Gregor^) der Hauptsache nach Essigsäure
und Alkohol, femer Ameisensäure und nur wenig Bernsteinsäure
entstehen. Die Gärprodukte sind also ähnlich wie bei der Ver-
gärung des Traubenzuckers, nur soll das Verhältnis der Essigsäure z\ur
Alkohol größer werden. Glyzerin wird, um das schon hier zu
erwähnen^ meist, Mannit, fast regelmäßig, Dulzit weniger häufig
und Erythrit am seltensten zersetzt (§ 131).
Die Gruppe der Säurelabbakterien ist bisher nur wenig unter-
sucht worden. Vom Pediococcus acidi lactici erwähnt Henneberg,
daß er die Hexosen, aber auch manche andere Zuckerarten säure. Von
der Säurebildung der Bac. cloacae, proteus, der Anaeroben, der Spirillen
wild später noch die Bede sein (§ 112). Meist ist die Beschaffenheit
der Säure niclit festgestellt worden. Doch spricht Harden*) dem
Bac. cloacae, Schattenfroh ^) außer den Buttersäurebazillen
den nicht buttersäurebildenden Baz. des malignen Odems und Putrid
ficus coli, Kupriänow den Spirillen (vgl. § 102) Milchsäuregärung
in Hexosen und Disacchariden zu. Noch nicht völlig aufgeklärt ist
das Verhalten des Proteus vulgaris. In Milchzuckerlösungen
ruft er keine Gärung hervor, die Milch macht er aber nach B i e n -
stock*) sauer. Dabei soll sich allein Bernsteinsäure bilden (etwa
aus Eiweiß? vgl. S. 298). Traubenzucker und auch oft Saccharose
verfallen der sauren Gärung, aber die Natur der Säure ist unbekannt.
Die Verschiedenheiten werden noch größer, wenn wir auch die
Konfiguration der Milchsäure berücksichtigen. Selbst das, was wir
bisher als reine Milchsäuregärung betrachtet haben, ist kein einheit-
licher Prozeß, da das Produkt, die Milchsäure, nicht immer das gleiche
ist, sondern sich oft durch seine Konfiguration unterscheidet. Wir
kommen gleich darauf zurück (§ 102).
1) Kochs Jahreeber. 1892. 232.
2) Joum. of hyg. 1905. 488; auch Leichmanns Aerogenesstamm
aus Milch, der neben viel Milchsäure keine flüchtige Säure, sondern Bem-
steinsäure bildet, gehört wohl zum Bew. cloacae wegen der Zusammen-
äetzung seiner Gase (§ 105).
3) Arch. f. Hyg. 48. 100.
4) Ebenda 39. 410.
304 Kap. VI, § 101.
§ 101. Stärke der Milchsäuregärung. Gäraugsenzym.
Ebenso ungleich ist die Kraft, mit der die einzelnen Milchsäurebakterien
die Gärong bewirken. K a y s e r fand unter seinen dreizehn Milchsäure-
bakterien eins, das in dem besten Nährboden, der mit Pepton versetzten
Milch, es höchstens bis auf einen Säuregrad von 2,2" oo brachte, während
andere 10, 15 und selbst 17,5%o Säure erzeugten. Allerdings ist der
am Ende erreichte Säuregehalt nicht überall der überhaupt erreichbare,
da manche Bakterien die von ihnen produzierte Säure allmählich selbst
teilweise verzehren (vgl. Kayser § 103). Freilich ist der Säureverlust,
der dadurch entsteht, selten sehr bedeutend. Man hat eine gewisse
Berechtigung, anzunehmen, daß der Grad der Gärung durch die einzelnen
Mikroorganismen abhängt von ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber
der Säure, doch erklärt sie noch nicht die vorkommenden Unterschiede.
Denn die Erfahrung lehrt zwar, daß, wenn der Gärflüssigkeit zum Ab-
stumpfen der Säure kohlensaurer Kalk zugesetzt wird, die im ganzen
gebildete Säure fast durchweg höher ansteigt, das Verhältnis, in dem die
Gärkraft der einzelnen Bakterien zueinandersteht, aber im wesentlichen
dasselbe bleibt. Auch viele andere Forscher fanden große Unterschiede
in der Gärkraft. So ist die Säurebildung nach L. Müllers^) zahl-
reichen Bestimmungen bei den einzelnen Stämmen des Strept. lacticus
nicht nur sehr ungleich, sondern schwankt auch zeitlich bei einem und
demselben Stamme, imd zwar beobachtet man je nach Umständen
bald einen Gewinn, bald einen Verlust der Gärkraft. Für die langen
Milchsäiirebazillen gilt das gleiche. Unter den letzteren findet man
die kräftigsten Gärungserreger. So erzeugt der Bac. bulgaricus im
Yoghurt nach Bertrand und Weißweiller^) und der Bac.
Delbrückü im sauren Hefegut (Laf ar u, a. § 111) 2 — i mal soviel Säure
als gewöhnlich bei der natürlichen Gärung der Milch entsteht (0,6%).
Von der Wachstumskraft der Bakterien hängt das Gärvermögen
ebensowenig ab, wie von ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Säure.
Es bleibt also nur übrig anzunehmen, daß sie es einer besonderen, ihnen
in mehr oder weniger hohem Grade eigenen Fähigkeit verdanken.
Während man diese noch vor nicht langer Zeit gewöhnlich als Eigen-
schaft des lebenden Protoplasmas betrachtete, haben wir jetzt Grund,
sie auf ein trennbares Enzym, das von E. Buchner neuerdings
,,Bakterienzymase", (S. 252 u. 264), von Stoklasa „Laktolase'*
genannt wird, zurückzuführen.
E. Buchner und Meisenheimer^) haben Reinkulturen
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 744 ff., 1907.
2) Annal. Paateur 1906.
1) Ber. ehem. Ges. 36. 636, 1903 und Annal. der Chem. 349, 1906.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 305
von Bac. Delbrückü, der imBrennereibetrieb zur Säuerung der Maischen
im großen Maßstabe angewandt wird, in hochprozentiger Würze bei
40 — io^ C kultiviert, die Bakterien durch Zentrifugieren von der Flüssig-
keit getrennt, nochmals' in Wasser aufgeschwemmt, wieder zentrifugiert,
den Bodensatz mit 20 Teilen Azeton 10 — 15 Minuten lang angerührt
(Vgl. die Herstellung der „Dauerhefe" § 89), auf dem Filter mit Azeton
und Äther gewaschen und im Vakuum getrocknet. Sie erhielten etwa
1 g trockene Bakterien aus je 1 Liter. Diese wurden mit gleichen Teilen
Quarzsand unter Zusatz einer geringen Wassermenge 10 Minuten lang
verrieben, was zu vollständigem Zerreißen der Zelle genügte. 6,5 g der
Bakterien ergaben dann mit 35 com Wasser, 7,5 g Rohrzucker, 1 g
Kalziumkarbonat und 1 ccm Toluol bei 30® nach 4 Tagen 0,11 g, nach
ti Tagen 0,27 g Kohlensäure, entsprechend 1,1 g Milchsäure. Letztere
wurde aus dem Rückstand nach Ansäuren mit Schwefelsäure durch
Äther ausgeschüttelt und als Zinksalz ds^gestellt (0,9 g). D e r k 1 a r e
Prefisaft aus den frischen Bazillen war unwirk-
sam, sein Rückstand aber wieder wirksam; das
Enzym ist also entweder unlöslich oder die Zellsubstanz wird durch
das Zerreiben nicht genügend aufgeschlossen. Neben dem Gärungs-
enzym ist in den Zellen ein invertierendes Enzym (§ 78) enthalten.
Etwa gleichzeitig gewann Herzogt) ebenfalls im Laboratorium
von B u c h n e r aus Reinkulturen von Bac. aerogenes (B. acidi lactici
Hüppe) durch Schütteln mit Kieseiguhr ein Pulver, das trocken
abgepreßt und mit reichlichen Mengen eiskalten Methylalkohols ver-
setzt, nach 10 Minuten mit Äther gewaschen und im Brutschrank ge-
trocknet wurde. Das Pulver, das sich als frei von lebenden Keimen
erwies, war imstande, Milchzucker in Milchsäure zu verwandeln.
Doch ging die Reaktion sehr langsam vor sich und förderte so geringe
Mengen von Milchsäure zutage, daß der Nachweis nur auf mikrochemi-
schem Wege durch das Kobalto-Bariumlaktat möglich war.
Ein ähnliches Enzym hat Stoklasa^) aus pflanzlichem und
tierischem (Jewebe gewonnen.
Fraglich ist, ob die Gärungsfermente, die wir danach wohl bei
allen Milchsäurebakterien voraussetzen dürfen, bloß Hexosen (und
Pentosen) vergären oder auch Disaccharide ohne Beihilfe besonderer
hydrolytischer Enzyme spalten. Nachgewiesen sind letztere mit
Ausnahme der Diastase bisher ja nur ausnahmsweise bei Bakterien.
Sie könnten freilich, wie die Invertase im Bac. Delbrückii (s. o.) fest
an die Zellen gebunden, d. h. Endoenzyme sein. Wahrscheinlich be-
1) Zeitschr. physiol. Cham. 37. 381.
2) Ber. botan. Ges. 1904. 460; Ber. ehem. Ges. 1905. 664.
Kr ose, Mikrobiologie. 20
306 Kap. VI, § 101 u. 102.
ruhen die Unterschiede zwischen den einzehien Bakterien auf der Ver-
schiedenheit ihrer Milchsäurefermente. Über die chemischen Vorgänge
dabei vgl. das bei der Zjrmase Gesagte (§ 88).
Die günstigste Temperaturfürdie Milchsäuregänmg ist nach
K a 7 s e r für die meisten Bakterien 30 — 35®, einige der von ihm unter-
suchten Arten, die dem Bac. aerogenes nahestehen, wirkten aber ener-
gischer bei 40® und noch kräftig bei 45®. Bei letzterer Temperatur
oder noch höher (bis 52®) gärt der Bac. Delbrückii (Bac. acidificans
longissimus), der in der Brennerei zur Säuerung der Maische verwendet
wird, und der Bac. lactis acidi, den Leichmann in der Milch ge-
funden hat. Erst unter 35® pflegen dagegen die langen Bazillen des
sauren Bieres (Saccharobac. pastorianus, Bac. Lindneri Henneberg)
zu wachsen. Zwischen 10 — 15® verläuft die natürliche Gärung in der
Milch schon sehr langsam.
Die Erfahrung der Milchwirtschaft hat gelehrt, daß einmaliges
Erhitzen der Milch auf 60 — 65® zwar die große Mehrzahl der Milch-
säurebakterien tötet, aber die widerstandsfähigsten noch lebendig
läßt. Nach K a 7 s e r bestehen auch hier je nach der Art große Unter-
schiede^). Erst Temperaturen von 70® und mehr töten sicher und
schnell.
Ähnlich wie Erhitzung wirken Gifte. In kleinsten Dosen be-
schleunigen die letzteren die Gärung (§ 55).
§ 102. Die Beschaffenheit der Milchsäure. Soviel man weiß,
wird bei der Milchsäuregärung nur die Äth7lidenmilchsäure oder a-Oxy-
propionsäure von der Formel CH3.CHOH.COOH gebildet, nicht die
/^-Ox7propionsäure CHgOH . CHj . COOH. Sie erscheint aber in drei
Formen, die sich durch ihr Verhalten gegenüber dem polarisierten
Licht, ihre Löslichkeit und ihr Eristallwasser voneinander unter-
scheiden, die Rechtsmilchsäure (Fleischmilchsäure, Paramilchsäure),
Linksmilchsäure und die optisch inaktive oder Gärungsmilchsäure.
Dieser letztere Name, der von L i e b i g stammt, ist nach den heutigen
Erfahrungen nicht gerechtfertigt, denn bei der natürlichen sauren
Gärung der Milch entsteht nach Günther und Thierfelder*),
Kozai^), Thiele *),Utz^) und anderen, z. B. in meinem Labora-
torium von H ö 1 1 i n g gemachten Untersuchungen zwar häufig in-
aktive, der Kegel nach aber mehr oder weniger Rechtsmilch-
1) Eine Zusammenstellung über die Temperaturverhältnisse der einzel-
nen Arten s. bei Weigmann in Lafars Handb. 2. 96.
2) Arch. f. Hyg. 25; Hyg. Rundschau 1900. 769.
3) Lit., soweit hier nicht aufgeführt in den § 97 ff.
4) Arch. f. Hyg. 46, 1904.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11. 600, 1904.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 307
sänre. Seinen Grund hat das im wesentlichen wohl darin, daß der
Streptococcus lacticus in Beinkultur, wie fast alle Untersucher gefunden
haben, diese letztere Säure bildet. Wie dieser verhalten sich auch die
übrigen Streptokokken, z. B. der Streptococcus pyogenes und lanceo-
latos (H ö Hing), nach Dzierzgowski und Rekowski^)
die Diphtheriebazillen, nach Kuprianow*) das Spirillum Deneke,
nach Blachstein^) das Bact. coli, femer viele lange Milchsäure-
bazillen, wie z. B. nach v. Freudenreich und T h ö n 7 der Bac.
casei er, nach Leichmann und Bazarewski das Bact. casei
I~III, nach Bertrand und Weißweiller der Bac. bulgaricus
(in Milch) ; auch nach Schattenfroh ^) der Bac. des malignen
Odems und der „denaturierte" Rauschbrand- und Buttersäurebazillus.
Inaktive Milchsäure erzeugen zunächst lange Bazillen,
wie der Saccharobacillus pastorianus, der das Umschlagen des Bieres
bewirkt (van Laer, Henneberg), der Bac. bulgaricus nach
Bertrand und Duchacek in künstlichen Zuckerlösimgen, dann
Streptokokken, wie das „Bact. lactis acidi'" (Henneberg), das
„Bact. Güntheri var. inactiva" aus sauren Gurken (A d e r h o 1 d ^)) ,
der Bac. casei s (von Freudenreich und T h ö n y) , der Entero-
kokkus (T i s s i e r und Gasching*)), femer der Typhusbazillus
iCatheline au^)) , der Bac. acidi lactici (Blume n th aP)) ,
die Cholera- und Massauaspirillen (R o n t a 1 e r ^)).
Linksmilchsäure bilden nach 6 o s i o ^®) und K u p r i a -
D 0 w (s. o.) die meisten Spirillen, auch die der Cholera, nach L e i c h -
mann, Henneberg, Beijerinck die langen Bazillen der
Brennereimaischen (Bac. Delbrückii, longissimus) und der sauren
Milch (Bac. lactis acidi, caucasicus), nach Leichman n^^) der Micr.
acidi laevolactici, nach den meisten Forschem (Tate^*), Grim-
bert*'), Leichmann^*), Kozai, Thiele, Harden) der
1) Kochs Jahresber. 1892. 66.
2) Arch. f. Hyg. 19.
3) Zentr. Bakt. 16. 862.
4) Arch. Hyg. 48, vgl. § 113.
5) Kochs Jahresber. 1899. 182.
6) Annal. Fasteur 1903. 8.
7) Bei D u cl a u X 4. 163.
8) Virchows Arch. 146.
9) Arch. f. Hyg. 22.
10) Ebenda 21 und 22.
11) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 777.
12) K o c h s Jahresber. 1893. 191.
13) Arnial. Fasteur 1895.
14) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5. 446.
20*
308 Kap. VI, 102.
Bac.aerogenes, pneumoniae und seine Verwandten, der Bac. coli, Typhus-
bazillufi (B lachstein, van Ermenghem und van Laer^),
H a r d e n) , der Paratyphusbazillus (P o 1 1 e v i n) , schließlich auch
der Pestbazillus (Gosio und Biginelli^)).
Sieht man sich die Liste an, so findet man verschiedene Wider-
sprüche bzw. auffallende Beobachtungen. So weichen die Befunde
bei den Enterokokken, den Aderhold sehen Gurkenbakterien, dem
Bact. lactis acidi (Henneberg), obwohl diese Bakterien in die
Nähe des Streptococcus lacticus gehören, von den gewöhnlichen dadurch
ab, daß sie nicht Rechtsmilchsäure ergaben, umgekehrt entsprechen
die Ergebnisse beim Bact. casei, Saccharobac. pastorianus, Bac. bul-
garicus nicht den sonst bei den langen Milchsäurebazillen, zu denen
sie gehören, üblichen Funden von Linksmilchsäure. Ebenso stimmeTi
schließlich die Ergebnisse bei Typhus-, Coli-, Aerogenesbazillen und
Spirillen nicht überein. Manche dieser Widersprüche werden sich wohl
daraus ei klären, daß die einzelnen Forscher mit verschiedenen Bak-
terien arbeiteten, daß es also z. B. wirklich Rassen oder Abarten oder
„Arten" von Streptokokken gibt, die inaktive oder linksmilchsäure
bilden, und solche des langen Milchsäurebazillus, die inaktive oder Rechts-
milchsäure entwickeln. Durch die erstere Annahme würde unseres
Erachtens besser das so häufige Vorkommen von inaktiver Milchsäure
bei der freiwilligen Gärung der Milch (ö. o.) erklärt werden, als durch
die vielfach ausgesprochene, aber nicht genügend durch Beobach-
tungen belegte Vermutung, daß die gewöhnlich Linksmilchsäure er-
zeugenden Bakterien der Aerogenesgruppe daran schuld seien. Die
Rassenbildung zeigt sich übrigens auch in dem Schwanken anderer
Merkmale deutlich genug (Verhalten zu der Temperatur (§ 101), zu
den Zuckerarten (§ 100) usw.). Was die Colibazillen anlangt, so hat
P e r e ®) die Varietätenbildung bei ihnen in der Tat bewiesen, indem
er fand, daß sie sich je nach ihrem Ursprung entgegengesetzt verhielten,
die Colistämme aus dem Darme der Erwachsenen und Kinder nämlich
Linksmilchsäure, aus dem der Haustiere und Säuglinge Rechtsniilch-
säure in Glykoselösungen bildeten.
Teilweise müssen die verschiedenen Ergebnisse aber auch auf die
Beschaffenheit des Nährbodens und der Wachstums-
bedingungen zurückgeführt werden. So zeigte P 6 r e *) , daß
ein Stamm des B. coli aus Traubenzucker rechtsdrehende, aus Frucht-
1 ) Bei D u c 1 a u X.
2) Bei E m m e r 1 i n g , vgl. Anm. 2 auf S. 293.
3) Compt. rend. soc. biol. 1896. 446.
4) Annal. Pasteur 1892 und 93.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 309
zncker inaktive Säure produzierte, ein anderer aus Glykose Rechts-
säure, aus Galaktose, Mannose und Mannit Linkssäure, aus Arabinose
mehr links- als rechtsdrehende, aus Rohrzucker mehr rechts- als links-
diehende, aus Milchzucker gleiche Teile davon, also inaktive Säure
erzeugte. Ein dritter Stamm schließlich bildete aus allen Zuckerarten
Linksmilchsäure. Ebenso fand Henneberg ^), daß der Bac. lactis
acidi (W e i g m a n n) nur aus Milchzucker Rechtsmilchsäure, aus allen
anderen Zuckerarten Linksmilchsäure bildete. Für eigentümliche Ein-
flüsse der Stickstoffemährung spricht die Erfahrung, die Bertrand
und Duchacek beim Bac. bulgaricus machten. In Milch erzeugte
er neben großen Mengen inaktiver Säure etwas Rechtsmilchsäure, in
künstUch zusanmiengesetzten Zuckemährböden (auch Milchzucker)
stets nur inaktive Säure. Sehr wichtig erwies sich auch für manche
Arten von Colibazillen die Form der Stickstoffnahrung. Aus Glykose
entstand nach P e r e bei Darreichung der schlechter nährenden Ammo-
niaksalze Linksmilchsäure, bei Ernährung mit Pepton aber Rechts-
säoie. Eine neuere Yersuchsreiche ergab P e r e ^) , daß ein und
derselbe Colistamm nicht nur die drei verschie-
denen Formen der Milchsäure bildete, wenn ihm
verschiedene Zuckerarten zur Vergärung dar-
geboten wurden, sondern sie auch aus einem ein-
zigen Zucker erzeugen konnte, wenn ihmdieser
unter wechselnden Bedingungen geboten wurde.
Die Ergebnisse waren folgende:
A.
Zucker, Kohlehydrat oder Alkohol 10 g
X-.., y. 1 Pepton 3 g
^ ^ Kalziumkarbonat 6 g
Temperatur 38 •.
Wasser 200 g
1. Glykose: Mischung von inaktiver und rechtsdrehender Säure.
2. Mannose: Inaktive Säure.
3. Galaktose: „ „
4. Arabinose: Linksmilchsäure in kleiner Menge.
5. Saccharose: etwas inaktive und viel Rechtsmilchsäure.
6. Laktose: Linksmilchsäure.
7. Mannit: ,,
8. Dulzit: „
9. Glyzerin: „
Die j en i ge n Stoffe, die am schlechtesten vergoren
werden, scheinen Linksmilchsäure, die mäßig an-
gegriffen werden, inaktive, die am besten vergore-
1) Kochs Jahreeber. 1903. 314.
2) Annal. Pasteur 1898.
310 Kap. VI, S 102.
nen, Kechtssäure zu liefern. Die folgenden Versuche be-
stätigten das aber nicht. Auch fand Pottevin (S. 326) umgekehrt bei
Hemmung der Gärung durch den Parat3^husbazillus Rechtsmilchsäure,
bei ungehinderter Gärung inaktive Milchsäure.
B.
Dieselbe Menge des Gärmaterials wird mit wechselnden Zusätzen
von stickstoffhaltigen Substanzen bei verschiedener Temperatur und teil-
weise mit antiseptischen Zutaten vergoren:
a) Glykose: 1. Zusammensetzung wie bei A. Temperatur aber 25**:
Mischung inaktiver und linksdrehender Säure.
2. wie bei A, aber nur der 10. Teil Pepton: Linksmilchsäure.
3. wie bei A, statt Pepton aber Anmioniaksalz : Linksmileh-
säure.
b) Mannose: 1. wie bei A, aber Zusatz von 0,05% Karbolsäure: Rechts-
milchsäure.
2. wie bei A. Temperatur aber 25*^: Etwas inaktive und \iel
Rechtsmilchsäure.
3. wie bei A, aber nur der 10. Teil Pepton: Inaktive mit
etwas Rechtssäure.
4. An Stelle des Peptons Ammoniaksalz: Linksmilchsäure.
c) Saccharose gibt unter ähnlichen Verhältnissen nur Rechtsmilchsäure.
Eine Regel ist aus diesen Feststellungen kaum abzuleiten. Man
sieht vielmehr, wie wenig geklärt die ganze Frage noch ist. Die Arbeiten
anderer Forscher bestätigen diesen Satz nur^). Wenn auch vielleicht
nicht alle Milchsäurebakterien so schwankende Verhältnisse zeigen,
wie das B. coU, so wird man doch jedenfalls dieBeschaffenheit
der Milchsäure nicht als ein wichtiges Artcharak-
teristikum betrachten können. Manche Tatsachen, wie
z. B. die Beobachtung von K a y s e r , daß das Drehungsvermögen
der „reinen'' Bechts- und Linksmilchsäure gegenüber dem polarisierten
Lichtstrahl erheblich schwankt (s. u.), legen die Vermutung nahe,
daß wir es überhaupt nicht mit reinen Stoffen, sondern stets mit
Mischungen zu tun haben. Wie wir uns die so ungleich verlaufende
Spaltung des Zuckers stereochemisch vorzustellen haben, darüber
fehlt uns bisher jeder Anhaltspunkt. Sicher unrichtig ist
die Annahme, die von manchen Seiten gemacht
wird, daß das Zuckermolekül stets in gleiche
Mengen Rechts- und Li nks milchs äure , also in
inaktive Säure gespalten werde, und daß erst durch Ver-
brauch der einen oder anderen Modifikation seitens der Mikroorganis-
1 ) Vgl. Täte, Kayser, Pottevin a. a. O., ferner C a t h ^ -
1 i n e a u , van Ermengem usw. K o z a i konnte übrigens ebenso-
wenig wie H a r d e n eine Abhängigkeit der Gärprodukte von der Art
der Stickstoffernährung beobachten.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 311
men — wie bei der Weinsaure u. a. m. (§ 58) — die optisch wirksamen
Bestandteile in die Eischeinung treten. Ein solcher Verbrauch ist zwar
von P 6 r 6 für den Bac. coli behauptet worden, ist aber jedenfalls
nicht die Regel, im allgemeinen wird die von den Bakterien gebildete
Milchsäure vielmehr gar nicht oder erst in späteren Stadien, vielleicht
unter dem Einfluß des Sauerstoffs von ihnen angegriffen (K a y s e r).
Einige kurze Bemerkungen über die Darstellung iind die Eigen-
schaften der Milchsäure mögen hier Platz finden. Die Gärflüasigkeit wird
auf dem Wasserbad zum Sirup eingedämpft, der Rückstand unter Zusatz
von etwas Phosphorsäure wiederholt und reichhch mit Äther ausgezogen,
die nach Verjagen des Äthers verbleibende Flüssigkeit in Wasser gelöst,
mit überschüssigem Zinkoxyd oder Zinkkarbonat gekocht, mit Tierkohle
entfärbt zur Kristallisation eingedämpft und dann an der Luft langsam
gelTocknet. Das inaktive Zinklaktat hat die Zusammensetzung (C,H(0,),Zn
-f 3H,0 und enthält 27,27% ZnO und 18,17% Kristallwasser. Es löst
sich bei 15* in 53 Teilen Wasser, gar nicht in Alkohol. Die Zinksalze der
aktiven Säuren enthalten nur 2 Moleküle H,0 = 12,9% Kristallwasser
und 29,0% Zinkoxyd, sie lösen sich schon in 17,5 Teilen Wasser und in
1100 Teilen Alkohol. Das Kristall wasser wird diurch Trocknen bei 110*
bestimmt. Theoretisch wäre es möglich, durch seine Bestimmung oder durch
die spezifische Drehung den prozentischen Gehalt des Präparats an aktivem
und inaktivem Salz zu ermitteln. Beide Verfahren begegnen aber Schwierig-
keiten. Gewöhnlich bedient man sich der Drehung im Polarisationsapparat.
Die Drehung der aktiven Salze ist sehr schwach und soll nach F r e s e -
n i u 8 u. a. nüt steigender Konzentration sich vermindern, die Zinksalze
drehen in umgekehrtem Sinne wie die freien Säuren, das rechtsmilchsaure
Salz also links, das linksmilchsaure rechts. K a y s e r bestimmte die spezi-
fische Drehung des Zinksalzes der Rechtsmilchsäure für die Konzentration
von 1,72% auf 7« 45',
3,476% „ 7» 54',
3,796% „ 8» 20'.
Die für Röhren von 20 cm Lange beobachteten Ausschläge betrugen dabei
nur 16, 33 und 38 Minuten. Die für das Drehungsvermögen gefundenen
Werte schwankten aber in seinen zahlreichen Versuchen sehr bedeutend,
6* 50' war das Minimiun, 16* 43' das Maximum; Zahlen über 10® wurden
nicht selten gefunden. Die Berechnung des Gehaltes an den verschiedenen
Säuren steht also auf recht schwankenden Füßen. Man wird sich wohl
begnügen müssen, nur stärkere Ausschläge als beweisend zu betrachten.
Proientisch anzugeben, wieviel inaktive der aktiven Säiu-e beigemischt
iät. und ob eine solche Beimischung ganz fehlt, ist unmöglich; auch die
Feststellung des Kristallwassergehaltes genügt dazu kaum, da ein Teil
des Kristallwassers schön bei gewöhnlicher Temperatur verloren zu gehen
scheint. Eine Kontrolle für die Reinheit der dargestellten Salze bietet
der Gehalt an ZnO, der durch Veraschung festzustellen ist (33,3% des bei
110* getrockneten Präparats).
Die Tjrennung der Milchsäure von daneben vorhandener Bernstein -
:^ure gelingt nach Beilstein (Zeitschr. f. analyt. Chem. 21) in der Weise,
daß man die saure Lösung der Ätherrückstände mit schwacher Kalilösimg
neutralisiert und im Kochen mit Bariumazetat versetzt. Der Niederschlag
312 Kap. VI, § 102 u. 103.
enthält sämtliche Bernsteinsäiire, deren Menge durch den damit verbun-
denen Baryt bestimmt wird. In dem Filtrat wird nach Palm (ebend^i
22 imd 26) die Milchsäure mit Bleiessig und alkoholischem Ammon als
basisches Bleisalz gefällt und dann als Zinksalz charakterisiert. Man kann
auch die Bernsteinsäurebildung schon an den Kristallen erkennen, die sirli
bei der Verdunstung der in wenig Wasser gelösten Ätherrückstände auf der
sirupigen Flüssigkeit (Milchsäure) ausscheiden und von dieser durch Fil-
trieren und Ausweichen mit konzentriertem Bernsteinsäurewasser trennen.
§ 103. Die anaerobe Essigsäuregärung oder essigsaure
Gärung der Kohlehydrate^). Selbst bei der reinen Milchsäure-
gärong, wie sie Kayser, Pottevin, Leichmann, Beijerinck,
Henneberg studiert haben (§ 99), werden geringe Mengen von
Nebenerzeugnissen, und zwar vor allem flüchtige Säuren gebildet-).
Nach Pottevin waren es Spuren von Ameisensäure (§ 108), nach
Kayser u. a. neben Kohlensäure und Alkohol (§ 104) in erster
Linie Essigsäure. Je nach der Eigenart der Mikroorganismen, der
Zusammensetzung des Nährbodens, der Dauer der Gärung und dem
Einfluß des Sauerstoffs auf die Gärung fand Kayser^) große Schwan-
kungen in dem Verhältnis zwischen Milch- und Essigsäure. Bei 12
seiner Bakterien schwankte dasselbe z. B. in öprozentiger Milch-
zuckerpeptonlösung zwischen 22,5 und 7,5:1, d. h. die Essigsäure
trat hier sehr hinter der Milchsäure zurück. Nur ein Bakterium, das er
selbst als Bac. aerogenes (s. u.) bezeichnet, zeigte das Verhältnis 0,8 : 1,
wäre also schon besser als Essigsäurebakterium zu bezeichnen. Die
Bedeutung des Nährbodens trat in einer zweiten Versuchsreihe zutage.
In Milch mit Peptonzusatz erzeugten die meisten Bakterienarten aller-
dings auch noch mehr Milch- als Essigsäure, doch nicht in dem großen
Überschuß, wie in der Milchzuckerlösung. Der oben erwähnte Bac.
aerogenes bildete neben Essigsäure nur noch 2% Milchsäure, erzeugte
also fast reine Essigsäuregärung, bei einigen anderen
näherte sich das Verhältnis zwischen den beiden Säuren der Einheit
imd ging noch darunter hinab : es verdienten also in diesem Nährboden
schon mehr Mikroorganismen den Namen von Essigsäurebakterien.
1) Über die Darstellung der flüchtigen Fettsäuren aus Gänings-
gemischen vgl. O. Jensen, Zentr. Bakt. 2. Abt. 13, 1904. Am besten
hat sich ihm wie uns die D u cl a u x sehe Destillationsniethode bewährt.
2) Über Essigsäurebildung bei der natürlichen Milchsäuregärung
R. K o z a i . Zeitschr. f. Hyg. 38. 395, 1901. Je länger sie dauert, desto
mehr Essigsäure entsteht. Vgl. auch bei O. Jensen (Anm. 1) die flüchtige
Säure im Käse.
3) Annal. Pasteur 1894 und Kochs Jahresber. 1904. 320. In der
zweiten Arbeit, die 4 grampositive Bakterien betrifft, schwanken die er-
haltenen absoluten und Verhältniszahlen noch bedeutender. Hier genaue
Angaben über die Befunde in den einzelnen Zuckerarten.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 313
Folgende Übersicht gibt das Verhältnis zwischen der Milchsäure-
und Essigsäurenienge auch noch für eine dritte Nährlösung an.
5% Milchzucker
Milch
5,6% Maltose
Bakterien
+ 2 Pepton
+ Pepton
+ 2% Pepton
a
19,1
5,0
b
9,7
2,4
13,7
c
18,7
3,9
d
12,1
0,5
0,85
e
7,5
2,5
2,40
{
0,8
0,02
g
21,6
8,0
17,6
h
12,8
1,9
2,7
1
12,1
1,1
m
9,3
4,6
17,5
n
16,2
5,3
14,5
0
22,5
6,4
14,3
P
13,7
6,5
11,9
Wenn K a y s e r Kulturen desselben Bakteriums, aber verschiedenen
Alters untersuchte, fand er in vielen Fällen das Verhältnis zwischen
<len fixen und flüchtigen Säuren im wesentlichen beständig, in anderen
ziemlich veränderlich. Ausnahmsweise groß war die Veränderung
bei dem Streptokokkus der infektiösen Enterentzündung. Während
hier nach 4 Tagen mehr Milchsäure als Essigsäure gebildet war, kehrte
sich später das Verhältnis um, bis schließlich nur noch Spuren von
Milchsäure nachweisbar waren. Gleichzeitig stieg die Menge der Essig-
säure auch absolut. Es liegt nahe, hier eine Umwandlung der
Milchsäure in Essigsäure anzunehmen und dabei an eine
Einwirkung des Sauerstoffes zu denken.
Daß der Zutritt derLuft auch sonst nicht gleichgültig ist,
lehren umfangreiche Versuche K a y s e r s. Manche seiner Bakterien
bilden freilich unter aeroben wie anaeroben Bedingungen gleichviel
oder nahezu gleichviel Milch- imd Essigsäure, häufig wurde aber durch
den reichlichen Sauerstoffzutritt das Verhalten beider Säuren zugunsten
der Essigsäure verändert. Möglicherweise findet dabei eine teilweise
Oxydation der Milchsäure statt. Freilich braucht das nicht notwendig der
Fall zu sein, man könnte sich auch vorstellen, daß die Fähigkeit der
Spaltung des Zuckers zu Essigsäure, oder wenn wir wollen, das Enzym
dieser Gärung sich besser entwickelt, wo Sauerstoff reichlich geboten
wird. Notwendig ist der Sauerstoff jedenfalls nicht
zur Entstehung der Essigsäure, man hat also ein
volles Recht, diese Gärung als anaerobe Essig-
314 Kap. VI, S 103.
Säuregärung zu bezeichnen und sie dadurch zu trennen
von der Verbrennung des Alkohols zu Essigsäure, die wir
gewöhnlich als Essigiäuregärung bezeichnen (§ 135). Die einfachste
Formel, nach der wir uns die Bildung der Essigsäure vorstellen können,
ist (vgl. § 98)
C^HijOi, = 3C2H4O2.
Möglich wäre die Entstehung der Säure auch, wenn wir uns das Wasser
gespalten und den Kohlestoff des Zuckermoleküls durch seinen Sauer-
stoff teilweise oxydiert dächten, z. B. nach der Oleichung
CeH^O« + 2 HgO = 2 C^H A + 2 CO, + 4 H,.
Dabei würden aber immer reichliche Mengen Gas, nämlich in dem
Verhältnis von 2 Teilen Wasserstoff zu 1 Teil Kohlensäure, auftreten,
was tatsächlich aber nur bei den weiter unten zu besprechenden Milch-
säure-Essigsäuremischgärungen der Fall ist. Wir werden deshalb der
ersten Formel den Vorzug geben, um so mehr, da, selbst wenn eine
Entwicklung von Gas nachweisbar ist, dessen Menge nicht in einem
bestimmten Verhältnis zur Essigsäuremenge zu stehen pflegt (s. u.
§ 105).
Zu bedauern ist, daß K a y s e r , der sicher unter seinen Bakterien
viele Streptokokken und auch lange Milchsäurebazillen gehabt hat,
diese nicht in reiner Milch auf Essigsäurebildung geprüft hat. Die
meisten übrigen Forscher, die das getan haben, fanden bei der Ver-
gärung der Milch durch diese energischen Milchsäurebakterien nur
kleine Mengen von Essigsäure, so z. B. B e r t r a n d und W e i ß -
w e i 1 1 e r (S. 297, Anm. 1) beim Bac. bulgaricus 50 mal soviel Milch-
wie Essigsäure. Das Verhalten der übrigen Zuckerarten bei diesen,
namentlich den Streptokokkengärungen, verdient überhaupt noch
genauer festgestellt zu werden. Für die langen Bazillen entnehmen
wir der Arbeit Hennebergs, daß sie auch aus Rohrzucker nur
wenig oder gar keine flüchtige Säure bilden. Der vielleicht hierher
gehörige Bac. manniticus von Gay on und Dubourg(S. 291) erzeugt
dagegen ziemlich beträchtliche Mengen aus Glykose, Galaktose und
namentlich Saccharose.
Zu den Essigsäurebakterien im hier besprochenen Sinne gehört
vor allen Dingen, wie wir früher sahen, die ganze Verwandtschaft des
Bac. aerogenes, d. h. unsere dritte Gruppe der Milchsäurebakterien,
wir haben die Literatur darüber schon S. 300 angeführt imd erinnern
hier nur daran, daß je nach der Eigenartdes Stammesund
der Beschaffenheit des Zuckers bald mehr, bald
weniger Essigsäure neben oder anstatt derMilch-
säuregebildetwird. Von einerreinen (anaeroben)
Wandlungen der Kohlenhydrate. 315
essigsauren Gärung darf allerdings nur selten
gesprochen werden, da gewöhnlich mit ihr eine
alkoholische und zum größtenTeil auch eine Was-
serstoff gär ung einhergeht, oder auch, wie bei
den pathogenen Typhus-, Dysenterie- und Pseudo-
dysenteriebazillen, andere flüchtige (Ameisen-
säure) oder auch nicht flüchtige Säuren (Bernstein-
säure) beigemengt sind. Wie wir im folgenden § 104 sehen
werden, ist die Bildung der Ameisensäure neben der Essigsäure und
dem Alkohol deswegen wichtig, weil sie vielleicht gestattet, eine andere
eio&che Gleichung für die Entstehung der Essigsäure aufzustellen.
Es ist nämlich:
C,H^O. + H,0 = CjHA + CoH,0 + 2CH2O,.
Verhältnismäßig am wenigsten Essigsäure entsteht durch die nicht
genau genug beschriebenen, von Frankland und seinen Mitarbeitern
aber biochemisch gründlich studierten Bac. ethaceticus imd ethaceto-
succinicus, die uns in den folgenden (§§ 104, 105, 107, 108, 131 näher
beschäftigen werden, femer bei der Vergärung des Traubenzuckers
(H a r d e n ^)) , vielleicht aber auch des Milchzuckers (L e i c h -
mann*)) durch die Bakterien, die sich in ihren sonstigen Eigen-
schaften dem Bac. aerogenes und coli nähern, aber durch die Zusammen-
setzung der von ihm gebildeten Gase und die nicht seltene Verflüssigung
der Gelatine dem Bac. cloacae verwandt sind, also zur 4. Gruppe
der Milchsäurebakterien gehören (vgl. § 104 u. 105). Die Stelle der Essig-
säure vertritt hier nach Leichmann die Bemsteinsäure (§ 107).
Die Essigsäure fehlt auch bei der Buttersäuregärung (§ 113 ff.)
und 2^11ulosevergärung (§ 117) nicht, wir begegnen ihr femer beim
Bac. aethylicus (§ 104) und formicicus Omelianskys (§ 140). Daß
auch andere Vertreter der Säurelabbakterien als die Anaerobier und
der Bac. cloacae hierher gehören, ist wahrscheinlich.
Unter den Heubazillen der Milch gibt es nach Kalischer ^)
solche, die Milch- und noch mehr Traubenzucker, sowie Glyzerin (§ 131)
imd Milchsäure (§ 142) unter Bildung von Essigsäure imd Ameisen-
säure angreifen. Milchsäure fehlte, Buttersäure war zweifelhaft, Bal-
driaosäure auch vorhanden, aber wahrscheinlich aus Eiweiß entstanden.
Obwohl die Heubakterien strenge Aerobier sind und den giößten
Teil des Zuckers wohl unmittelbar verbrennen (§ 123), sind sie zur
Spaltung des Zuckers in Essigsäure imstande, können also wahrschein-
1) Journ. of hyg. 1905.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5, 1899.
3) Arch. f. Hyg. 37.
316 Kap. VI, § 103 u. 104.
lieh ihr Ferment (in ähnlicher Weise wie die Hefezellen die Zjrmafie)
nur bei Sauerstoffzutritt bilden. Auch fakultative Anaerobier, die
den Milchzucker sogar unter Gasbildung vergären, sind aber unter den
Heubazillen der Milch, wenn auch selten zu finden (D u c 1 a u x ,
Flügge ^)). Die dabei gebildeten Säuren sind aber noch nicht ge-
nügend untersucht. Über den aeroben, sporenbildenden Bac. booco-
pricus Emmerlings, der aus Glykose und Laktose Milchsäure
und Äthylalkohol, aus Glyzerin aber Essigsäure, Buttersäure, Methyl-
alkohol usw. bildet, vgl. die Vergärung des Glyzerins (§ 131). Der
stickstoffbindende Bac. asterosporus bildet nach Bredemann^),
abgesehen von nicht untersuchten fixen Säuren aus Trauben- und Rohr-
zucker hauptsächlich Essigsäure, daneben Spuren von Ameisen- und
höheren Säuren, ferner aldehydartige Verbindungen.
Von einemEnzym der anaeroben Essigsäuregärung („Glukazetase'\
E. B u c h n e r) wissen wir vorläufig nichts, wenn wir von den bei der
Zymasegärimg gemachten Beobachtungen (S. 264) absehen. Manches
spricht dafür, daß auch hier die Poly- imd Disaccharide nicht durch
besondere hydrolytische Enzyme für die Gärung vorbereitet zu werden
brauchen.
§ 104. Alkoholische Gärung durch Bakterien. Nicht ganz
so häufig wie die Essigsäure ist der Alkohol ein Nebenerzeugnis der
Milchsäuregärung^). Selbst bei der reinen Milchsäuregärung (§ 99)
durch die Streptokokken*) und langen Bazillen^) ist er häufig, wenn
auch meist nur in Spuren gefunden worden. In anderen Fällen spricht
der Nachweis der Entwicklung von reiner Kohlensäure als einziges
Gas für die gleichzeitige Bildung von Alkohol. Derartige Befunde
sind gar nicht selten gemacht worden, z. B. von Leichmann ^)
1) Zeitschr. f. Hyg. 17. 293.
2) Zeiitr. Bakt. 2. Abt. 22. 88, 1908.
3) Über Alkohol bei der freiwilligen Milchsäuregänmg s. K o z a i ,
Zeitschr. f. Hyg. 38. 395, 1901.
4) Nach Kaysers erster Arbeit (S. 312, Anm. 3) beträgt der
Alkoholgehalt höchstens 3 — 4% der Milclisävire, nacli seiner zweiten aber
bis 50%. Mit Recht bezweifelt Leichmann (Zentr. Bakt. 2. Abt.
5. 344, 1899), daß die Jodoformreaktion allein für den Nachweis der Alkohol-
gärung genüge, weil auch frische Milch bei der Destillation solche gebe.
Was den Kohlensäurenachweis angeht, so wird er wohl öfters dadurch
erschwert, daß die geringen Gasmengen sich im Nährboden lösen. Anderer-
seits kann bei gleichzeitiger Gegenwart von kohlensaurem Kalk im Nähr-
boden auch durch die Bildimg anderer Säuren Kohlensäurebildung vor-
getäuscht werden.
5) Z. B. bei Saccharobac. pastorianus und Bac. Lindneri (Henne-
berg).
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 777.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 317
beim Micr. (Strept.) acidi laevolactici, beim Bact. pabuli acidi III
Weiß'*), dem Lactobac. fermentimi B eij e ri n cks*). In letz-
terem Falle wird reichlich Kohlensäure gebildet, ebenso beim Bac.
mamiiticus, der wohl auch zu den langen Bazillen gehört. Gayon
und D u b o u r g haben, wie wir schon S. 291 sahen, bei diesem Bazillus
alle bei der Grärung entstandenen Stoffe vollständig untersucht und
dabei ungefähr gleichgroße Mengen Alkohol und Kohlensäure ge-
funden'). Das spricht dafür, daß bei diesen Bakterien die bekannte
Formel für die alkoholische Gärung
CeHjA=2C,HeO+20O2
Geltung besitzt. Wie bei der Gärung durch Hefe verfallen hier auch
die Pentosen nicht der Zersetzung. Von den Disacchariden wird femer
der Milchzucker am wenigsten angegriffen. Trotzdem sind wir weit
von völliger Übereinstimmung der beiden Gänmgen entfernt, können
also auch nicht das gleiche Gärungsenzym für beide annehmen, denn
der Bac. manniticus vergärt die Fruktose überhaupt nicht zu Alkohol-
sondem zu Mannit (§ 124) imd die Disaccharide auch nicht nach vor-
hergehender Hydrolyse, sondern unmittelbar. Außerdem greifen
andere lange Bazillen auch Pentosen an (S. 300).
Es darf übrigens nicht verschwiegen werden, daß es neben den
genannten Fällen, in denen mehr oder weniger reichlich alkoholische
Gärung hervorgerufen wird, auch andere gibt, in denen sie nicht nach-
gewiesen werden kann. Für den Streptococcus lacticus betonen das
z. B. Leichmann und Pottevin (§ 99), für die langen Bazillen
der Brennereimaische (Bac. Delbrückii) Henneberg, für den Bac.
bulgaricus Bertrand und Weißweiller.
Fast regelmäßig wird dagegen Alkohol von der Gruppe des Bac.
aerogenes gebildet. Wir haben die Literatur schon (S. 300 f.) aufgeführt,
als wir von dem Verhalten der Milchsäurebakterien zu den einzelnen
Znckerarten sprachen. Es fragt sich, ob wir die alkoholische Gärung
auch hier unter die Formel C^H^gOg = 2C2HgO + 2CO2 bringen dürfen.
l)Koch'8 Jahresber. 1900, 198.
2) Zeitschr. f. Spiritusind. 1901.
3) K a y 8 e r findet allerdings in seiner zweiten Arbeit bei seinem
Kokkus Nr. 1 meist erheblich mehr Kohlensäure als Alkohol. Wenn die
Beetimmungen richtig sind, so muß man hier nach einer anderen Quelle
der Kohlensaurebildung suchen. Da in den Versuchen Oxydationen durch
Luftsauerstoff ausgeschlossen waren, könnte die Kohlensäiu:*ebildung nur
durch gleichzeitige Bildung reduzierter Körper, wie z. B. der Propion-
säure oder des Mannits aus dem Zucker erklärt werden. In der Tat hat
K a y 8 e r beide Stoffe neben Milchsäure und Essigsäure mehrfach nach-
Kt'wiesen (s. u. § 109 u. 124), übrigens keine vollständigen Gärungs-
gleichungen aufzustellen versucht.
318 Kap. VI, S 104.
Die Schwierigkeiten sind hier erheblich größer, als bei den eben be-
sprochenen „echten*' Milchsäurebakterien, weil vom Bac. aerogenes
und seinen Verwandten bei Sauerstoff abschluß niemals neben dem
Alkohol reine Kohlensäure, sondern immer eine in ihren
Mengenverhältnissen wechselnde MischungvonKohlensäure
und anderen Gasen, nämlich Wasserstoff gebildet, außer-
dem gewöhnlich nicht nur Hexosen und Disaccharide, sondern auch
Pentosen und höhere Alkohole (Glyzerin, Mannit usw.) angegriffen
werden.
Sehen wir uns zunächst einmal die Menge des Alkohols im Ver-
hältnis zu der anderer Stoffe an. Nach Frarukland^) und seinen
Mitarbeitern Stanley und F r e w , denen wir die ersten gründ-
lichen Analysen verdanken, erzeugt der Bac. pneumoniae (Fried-
1 ä n d e r) — in Äquivalenten berechnet — fast doppelt soviel Alkohol
aus Glykose (und Mannit § 131) als Essigsäure und etwas mehr Kohlen-
säure als Wasserstoff (13 : 10). Grimberts davon ganz abweichende
Ergebnisse, die wir schon § 98 angeführt, beweisen, daß er einen völlig
verschiedenen Bazillus in Händen hatte. Harden erhielt mit dem „Bac.
coli" in seiner ersten Arbeit (ebenda) ebenfalls etwas andere Resultate,
nämlich außer viel Milchsäure gleiche Mengen Essigsäure und
Alkohol, Kohlensäure und Wasserstoff, und zwar aus Glykose sowohl
wie aus Fruktose, während aus Mannit und namentlich aus Glyzerin
Alkohol im Überschuß gewoimen wurde (§131). Typhusbazillen er-
zeugten aus Glykose ähnliche Stoffe wie Kolibazillen, nur wurden die Gase
durch Ameisensäure ersetzt, die bei den letzteren ebenso wie Bern-
steinsäure nur in Spuren auftrat. Wir müssen hier gleich bemerken,
daß Sera neuerdings in meinem Laboratorium^) weder bei Tjrphus-
noch bei Dysenterie- und Pseudodysenteriebazillen Alkohol, sondern
nur Essig- und Ameisensäure fand. Dieser auffallende Widerspruch
bleibt also aufzuklären (s. u. § 108). Später^) lieferte Harden den
Nachweis, daß man zwei T3rpen von Aerogenes- und Coli- oder besser
„Fäkalbakterien" zu unterscheiden hat: der erste, häufigere bildet
Alkohol und Essigsäure in annähernd äquimolekularen Mengen — genau
genonmien schwankt allerdings das Verhältnis zwischen 1,5 imd 0,7: 1.
Der zweite Typus, zu der auch der Gelatine verflüssigende und daher
einen Übergang zu der Gruppe der Säurelabbakterien (§ 97) bildende
Bac. cloacae Jordans gehört, gibt ein Verhältnis von 3 bis 19: 1, d. h.
1) Vgl. S. 300. Wir benutzen hier die ausführlichen Berichte in
Kochs Jahresber. 1891 u. 1892.
2) Zeitschr. Hyg. 66, 1910.
3) Joum. of hygiene 1905, vgl. Kochs Jahresber.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 319
einen großen Überschuß von Alkohol^). Leider unterließ H a r d e n
hier die Beetimmung der Gase, aber es ist wahrscheinlich, daß seine
beiden Gruppen sich auch durch ihre Gase unterscheiden, indem die
Bac. cloacae und Verwandte neben Alkohol auch
Kohlensäure in erheblichen Überschuß über Was-
serstoff bilden (§ 105 u. 112). Eine Andeutung dieses Verhält-
nisses zeigten schon die obigen Analysen Franklands, und auch
die von demselben Forscher angestellten Untersuchungen über die
Produkte des vielleicht ebenfalls hierhergehörigen Bac. ethaceticus
and ethacetosuccinicus, die freilich meist Mannit und Dulzit und nur
nebenbei Glykose und Arabinose betreffen (vgl. § 131), sowie die aus-
führlichen Stadien Pottevins über die Paratyphusbazillen (§ 105)
sprechen dafür, daß mit dem Alkohol die Kohlensäure zunimmt.
Kommen wir jetzt zurück zu der Frage nach der Bildungsweise
des Alkohols, so gibt Frankland auf Grund seiner Befunde ver-
wickelte Formeln an, die alle Zersetzungsprodukte zusammenfassen
(vgl. § 131), Weit einfacher sind die Gleichungen H a r d e n s. Wir
haben schon S. 294 bemerkt, daß sie uns zu einfach erscheinen, und
die Mannigfaltigkeit der im Vorstehenden mitgeteilten Analysen liefert
den Beweis für diese unsere Auffassung. A. a. 0. haben wir auch darauf
hingewiesen, daß die so wechselnden Mengenverhältnisse zwischen den
einzelnen Gärprodukten sich erklären lassen, wenn man mit D u c 1 a u x
für jedes Erzeugnis möglichst besondere Teilgärungen annimmt. Dann
liegt es aber am nächsten, für die Alkoholbildung zurückzugreifen auf
die bekannte Gay-Lussac sehe Formel, und die Entwicklung
von Milchsäure und Essigsäure und Wasserstoff auf die schon in § 98
erwähnten und im § 99, 103 und 105 näher besprochenen einfachen
Formeln zurückzuführen. Immerhin bestände die Möglichkeit, daß
die von H a r d e n angegebene Gärungsgleichung wenn auch in etwas
veränderter Form Existenzberechtigung besäße. Zunächst könnte man
schon die H a r d e n sehe Gleichung
I) 2CeHi,0e + H^O = 2C3He03 + C^HA + C^HeO + 200^ + 2H2
vereinfachen, indem man die Milchsäuregleichung von ihr abzieht.
Es bliebe dann :
II) CgH^O« + HjO = CjH A + C AO + 2 CO2 + 2 H^.
1) Die Menge des aus 1 Molekül vergorenen Traubenzuckers ge-
bildeten Alkohols stieg dabei nur imbedeutend (von etwa 0,5 auf 0,7 Molekül),
während die der Essigsäure (von 0,6 auf 0,05 Molekül) sank. Im besten
Fall wurden nach 14tägiger Bebrütung einer Lösung von 10 g Glykose,
5 g Pepton in 500 com Wasser (in Stickstoff atmosphäre mit Kjeidezusatz)
nicht mehr als 2 g Alkohol gewonnen.
320 Kap. VI, § 104 u. 105.
Auch sie ist wohl noch nicht berechtigt, weil sie ein bestimmtes Ver-
hältnis von Essigsäure und Alkohol voraussetzt, das in Wirklichkeit
nicht zu bestehen scheint. Beseitigt man darum die Essigsäure, indem
man die Formel II dreimal nimmt und von ihr die Gleichung der anae-
roben Essigsäuregärung abzieht, so erhält man
III) 2CeHi20e + SH^O = SC^Ufi + 6C0.^ + eH^.
Zunächst scheint diese Gleichimg kaum einen Vorzug zu verdienen,
denn sie setzt zwischen dem Alkohol imd den Gasen ein feststehendes
Verhältnis voraus, was die Analysen wieder nicht bestätigen. Ein
anderes Gesicht bekommt dies allerdings, wenn man die schon von
Frankland ausgesprochene und dann von H a r d e n aufgenommene
Vermutung sich zu eigen macht, daß Kohlensäure und Wasserstoff
bei den uns hier beschäftigenden Gärungen im wesentlichen aus einer
Spaltung der Ameisensäure nach der Formel
IV) CHA = COj + Hj
hervorgehen. Danach würde sich ergeben:
Illa) 2 CeHigOe + 3 ELjO = 3 CgHeO + 6 CH^Oa
und natürlich entsprechende Abänderungen der Gleichungen I und K.
Nach den Mitteilungen Hardens schien es fast, als ob sich diese
Umsetzung im Falle des Typhusbazillus verwirklichte. Durch die er-
wähnte Arbeit Seras ist das aber wieder zweifelhaft geworden. Trotz-
dem wird man vielleicht die Gleichung Illa hin und wieder benutzen
dürfen, um die Entstehung wenigstens eines Teiles des Alkohols, der
Ameisensäure (§ 108) und — mit der Gleichimg IV zusammen — der
Gase (§ 105) zu erklären.
Daß die eigentliche alkoholische Gärung daneben ihr Recht behält,
scheint uns aber namentlich durch die oben auseinandergesetzten
Beziehungen zwischen Alkohol- und Kohlensäurebildung bewiesen zu
werden.
Wenn wir im großen und ganzen geneigt sind, die Bildung des
Alkohols aus dem Zucker uns auf dem von der Hefegärung her bekannten
Wege zu deuten, so ist doch, wie schon oben bemerkt, nicht an eine
Gleichheit des die Gärung verursachenden, vorläufig freilich nur an-
genommenen, Enzyms zu denken. Schon die vielfach beobachtete
Hineinziehung der Pentosen und hochwertigen Alkohole in die Bak-
teriengärung macht das unmöglich, ebenso das ungleiche Verhalten
der Hexosen und Disaccharide. Ein schönes Beispiel dafür bietet die
Arbeit Grimberts über den Bac. pneumoniae (S. 292). Nach ihr
entgeht gerade die durch Hefe leicht vergärbare Glykose, Maltose und
Saccharose sowie die Axabinose der alkoholischen Gärung, während
Galaktose, Laktose und Xylose ihr verfallen.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 321
Aach die Säurelabbakterien (außer demBac. cloacae, s.o.) kommen
teilweise als Alkoholbildner in Betracht, sind freilich daraufhin noch
wenig studiert worden. Echte Alkoholgänmg wurde vor allem be-
obachtet bei Anaerobiem. Sie hat deswegen ein besonderes Interesse,
weil bei diesen die Äthylalkohol-Essigsäuregärung die Butylalkohol-
Battersäuregärung vertreten zu können scheint. So beschreibt D u -
cl a u X ^) einen Bac. (Amylobacter) aethylicus, der dem Amylobacter
butylieum in seinen sonstigen Eigenschaften durchaus entspricht^).
Das gleichzeitige Erscheinen des Alkohols mit 2 bzw. i Eohlenstoff-
atomen mit ihren zugehörigen Säuren ist wohl nicht als zufällig zu
betrachten, da wir ihm sehr häufig begegnen. Allerdings wechselt das
Mengenverhältnis zwischen Säure und Alkohol, wie wir schon sahen,
sehr bedeutend, auch tritt gelegentlich Essigsäure ohne Alkohol und
Buttersäure ohne Butylalkohol auf. Dennoch ist die Regel nicht zu
verkennen. Die Erklärung dafür kann, wie D u c 1 a u x bemerkt,
nicht etwa darin gesucht werden, daß die Säure durch Oxydation aus
dem Alkohol entstehe, denn sie wird ganz in derselben Weise bei Ab-
wesenheit freien Sauerstoffs beobachtet. Vielmehr ist es wahrschein-
lich, daß die Spaltungen des Zuckers in Alkohol und Säure nicht ganz
unabhängig voneinander verlaufen. Vielleicht haben die Enzyme^), die
einerseits den Alkohol, andererseits die Säure erzeugen, eine stereo-
chemische Verwandtschaft. Man kann dabei wieder an den bekannten
Fische rschen Vergleich mit Schlüssel und Schloß denken.
Für die Theorie E. Buchners, der den Alkohol bei der Hefe-
gärung aus der Milchsäure entstehen läßt (§ 88), bieten die bei der
Bakteriengärung gemachten Erfahrungen keine unmittelbare Stütze,
widersprechen ihr sogar insofern, als wir hier Fälle kennen gelernt haben,
wo sicherlich Alkohol, aber gar keine Milchsäure gebildet wird (G r i m -
b e r t , S. 292) und als es nicht gelungen ist, durch Bakterien Milchsäure
in Alkohol überzuführen (§ 142).
§ 105. Wasserstoff gärung. So können wir das gleichzeitige Auf-
treten von Wasserstoff (und Kohlensäure), das bei den gemischten
Gärungen durch die Bakterien der Aerogenes- (Coli-) und Säurelab-
gnippe recht häufig ist, nennen (S. 293). A. a. 0. haben wir schon
1) Microbiol. 4. 197.
2) Vgl. § llö. Nach Schattenfroh (Arch. Hyg. 48. 91) u. a.
bilden die den Buttersäurobazillen nahe verwandten ödem- und Fäulnis-
bazillen (putrificus coli) Äthylalkohol, allerdings neben Milchsäure und
Honig flüchtigen Säuren (§ 113 ff.)
3) Über die Schwierigkeiten, die sich dem Nachweis gasbildender
Enzyme bei Kolibazillen entgegenstellen, vgl. K u h t z am Ende des näch-
'»ten Paragraphen.
Kruse, Mikrobiologie. 21
322 Kap. VI. § 105.
von der Mögliclikeit gesprochen, sie abzuleiten aus einer Zersetzung
nach der Formel (D u c 1 a u x)
6) CeHigOe + öHgO = GCOg + 12 H^ (— 147 Kai.),
gleichzeitig aber auch erwähnt, daß diese Zersetzung, weil sie unter
starker Wärmebindung verläuft, nicht denkbar ist außer
Verbindung mit anderen Wärme entwickelnden
Gärungen. In der Tat wird Wasserstoff (und Kohlensäure) nie
allein gebildet, sondern regelmäßig in Begleitung von reichlichen, ja
gewöhnlich überschießenden Mengen von Milchsäure (§ 100), Essig-
säure (§ 103), Alkohol (§ 104). Die Beantwortung der Frage, ob und
wo wir berechtigt sind, eine Wasserstoffgärung nach der obigen Formel
anzunehmen, hängt allerdings davon ab, ob wir denn nicht noch andere
Quellen des Wasserstoffs haben. In der Tat wird Wasserstoff (zu
gleichen Teilen mit Kohlensäure) bei der Buttersäuregänmg des Zuckers
entwickelt (§114). Da die Bildung dieser Säure aber bei unseren
Gärungen im allgemeinen ausgeschlossen ist, braucht sie nicht weiter
berücksichtigt zu werden. Aus demselben Grunde fällt für uns hier
die Vergärung der Milchsäure zu Buttersäure, Wasserstoff und Kohlen-
säure (§ 142) weg. Sonst käme noch die Propionsäure-, Glyzerin- und
Mannitgärung des Zuckers (§ 106 und 109), sowie die Vergärung der
Essigsäure und der Milchsäure (zu Propionsäure) in Betracht; bei ihnen
wird aber nur Sumpfgas und Kohlensäure, kein Wasserstoff gebildet.
Es bleiben noch übrig erstens die Vergärung der Ameisensäure nach der
Formel CHgOg = COg + Hg. Wirklich ist sie von Frankland
und H a r d e n zur Wasserstofflieferung herangezogen worden (s. o.
S. 320) und scheint nach den Versuchen Hoppe- Seylers,
P a k e s und Jollymans und Omelianskis auch unter ge-
wissen Bedingungen durch dem B. coli nahestehende Bakterien bewirkt
zu werden (§140). Ob sie bei den gemischten Vergärungen des Zuckers eine
wesentliche Rolle spielt, ist aber keineswegs ausgemacht, da wir nicht
sicher wissen, in welchen Mengen sich die Ameisensäure bei der Ver-
gärung des Zuckers bildet. Nur dann könnte man mit Sicherheit davon
reden, wenn man aus dem Studium der einzelnen Gärungsperioden
ersähe, daß ursprünglich gebildete Ameisensäure später unter Gas-
bildung verschwände. Solche Untersuchungen fehlen aber. Möglich
wäre die Bildung der Ameisensäure übrigens auf zwei Wegen (§ 108).
Nur der eine, der gleichzeitig zur Alkoholbildung führt (vgl. Gleichung
Illa, S. 320) wäre besonders bemerkenswert, der zweite, auf dem neben
Ameisensäure Wasserstoff entstände,
6a) CgHigOe + öHgO = GCHgOg + öH^
würde gewissermaßen nur eine Strecke auf dem Wege zur vollständigen
Wandlungen der Kohlenhydrate. 323
Zersetzung des Zuckers in Wasserstoff und Kohlensäure nach unserer
Gleichung 6 darstellen. Eine Entscheidung zwischen beiden MögUch-
keiten und der dritten, die eben durch die letzte Gleichung gegeben
ist, läßt sich vorläufig nicht fällen, umso weniger, da die Hauptstütze
H a r d e n 8 für diese Annahme, die Bildung von Alkohol und Ameisen-
säure in dem Verhältnis der Gleichung Illa, die er beim Typusbazillus
beobachtet haben wollte (S, 320), durch Seras Versuche nicht be-
stätigt worden ist (vgl. § 108).
Eine letzte Quelle des Wasserstoffs wäre durch die Bildung der
fiemsteinsäure nach der Gleichung (§ 107)
5a) 2 CeHj^O, = 3 C^HeO^ + 3 H^
eröffnet. Wenn sie vorkäme, würde sie aber doch nur in den Fällen,
wo fiemsteinsäure überhaupt gebildet wird, in Betracht kommen.
Es müßte daneben auch noch eine neue Eohlensäurequelle geschaffen
werden, denn Wasserstoff allein tritt niemals auf und die Alkohol-
gärung genügt meist nicht, um die Menge der gefundenen Kohlensäure zu
erklären (s. u.). Wir werden uns also nur aushilfsweise dieser Formel
bedienen dürfen.
Man hätte die Berechtigung, aus dem Mengenverhältnis des
bei einer Gärung entwickelten Wasserstoff- und Kohlensäuregases
nach Ausschluß aller etwaigen Fehlerquellen auf die Zulässigkeit dieser
oder jener Bildimgsweise der Gase zu schließen. In allen Fällen z. B.,
wo die neugebildete Menge des Wasserstoffs und der Kohlensäure
— dem Volumen nach^) — im Verhältnis von 2 : 1 steht, und keine
Gärungserzeugnisse gefunden wurden, die wie der Alkohol (§ 103),
das Glyzerin (§ 106), der Mannit (§ 106), die Propionsäure (§ 109),
das Sumpfgas (§ 117), ebenfalls die Bildung von Kohlensäure be-
dingen*), oder wie die Ameisensäure und Bemsteinsäure Wasserstoff
erzeugen bzw. Kohlensäure verbrauchen, könnten wir danach ohne
1) Selbstverständlich muß dabei auch dio Menge der nach ihrer
Entwicklung in den Nährböden gelöst oder gebunden bleibenden und
der etwa durch Säuren aus Karbonaten entbundenen Kohlonsäiu-o berück-
sichtigt werden, was nicht immer leicht ist. Umgekehrt besteht eine mög-
liche Fehlerquelle, die sich aber bisher kaum abschätzen läßt, in dem Ver-
schwinden des Wasserstoffs durch Einwirkung auf andere in den Nähr-
Wen enthaltenen oder dort, z. B. aus Eiweiß, gebildete Stoffe. So soll
nach H a r d e n Aspcu'aginsäure, als einzige Stickstoffquelle verabreicht,
^•^i der Vergärung des Zuckers durch B. coli zu bemsteinsaurem Ammoniak
n*duziert werden. Aus Eiweiß bzw. Aminosäuren pflegt Wasserstoff gar
nicht oder nur spärlich gebildet zu werden, um so reichlicher aber Kohlen-
Muro (vgl. § 168 u. 179). Dort auch die Ausnahmen. Methodens. §221.
2) Von den Oxydationen durch den Luftsauerstoff, die sich durch
die VersuchBanordniuig leicht ausschließen letssen, sehen wir hier wieder ab.
21*
324 Kap. VI, § 105.
weiteres unsere Wasserstoffgärung allein für die Gasentwicklung ver-
antwortlich machen. Leider treffen diese Bedingungen aber anscheinend
nur selten, ja streng genommen niemals zu, während umgekehrt eine
Entwicklung von Kohlensäure allein durch einen oder den anderen
oder mehrere der genannten Prozesse bei den Streptokokken und
langen Milchsäurebazillen sogar die Regel i8t(S.316). Wir werden daher in
den nach der Literatur nicht seltenen Fällen, wo das Verhältnis
des Wasserstoffs zur Kohlensäure annähernd 2 : 1 ist, trotzdem ebenso
wie in allen^ übrigen Fällen die Kohlensäure erzeugenden und ver-
brauchenden Vorgänge aufsuchen müssen. Bisher ist das nur in unvoll-
kommenem Maße oder nur in einzelnen Fällen geschehen, so daß wir
nur ausnahmsweise imstande sind, brauchbare Gärungsgleichungen
aufzustellen. Die ersten Forscher, die überhaupt das Vorkomraer
einer Wasserstoffbildimg durch Bakterien außerhalb der Buttersäurc-
gänmg nachwiesen und auch sonst gründlich genug untersuchten.
Frankland und seine Mitarbeiter (S. 300), geben nur für die Zer-
setzung des Mannits und Dulzits durch die Bac. pneumoniae, etha-
ceticus und ethacetosuccinius Formeln, die wir später erörtern werden
(§131). Doch berichten sie auch über die bei der Vergärung der Glykose
und Arabinose erhaltenen Gase und anderen Stoffe so genau, daß man
daraus Schlüsse ziehen kann. Aus 3 g Glykose erhielten Frankland,
Stanley und F r e w z. B. 150 g Gas, in dem auf 10 Teile Wasser-
stoff etwa 13 Kohlensäure kamen. Aus Arabinose (Frankland
und Mac Gregor) wurden durch Bac. ethaceticus entwickelt etwa
gleiche Teile Kohlensäure und Wasserstoff neben Alkohol, Essigsäure,
Ameisensäure, etwas Bemsteinsäure und „einer unbekannten, in Äther
unlöslichen, nicht flüchtigen Säure", deren Vorhandensein übrigens
nur aus der im kreidehaltigen Nährboden im Überschuß entwickelten
Kohlensäure erschlossen wurde, imd die wahrscheinlich nichts anderes
als Kohlensäure war.
Wenn man sich mit den beiden Forscliern vorstellt, daß die j]resaint(^
Gasmenge aus der Ameisensäure entstände, so kamen auf ein Molekül
Kohlensäure als Äquivalent der unbekannten Säure:
3C,H«0 + 3C,H,0, + 4CH2O,.
Multipliziert man diese Größe mit 6 und löst die Ameisensäiu'e in üire
pjasfömiigen Bea tandteile auf, so erhält man:
6CO2 als Äquivalente der imbekannten Säure + ISCjHgO + ISCJI^Oj
+ 24 CO 2 + 24 Hj. Zieht man davon ab:
I. 18C,HeO + 18CO, (= 9CoHi,Oe) (Alkoholgärung),
IL I8C2H4O, (=6C6Hi20e) (Essigsäuregärung),
III. eCOj + I2H2 (= CeHi,Oe + 6H,0) (Wasserstoffgärung).
so bleiben übrig IV. 12 Hg und 6 CO, als Äquivalent der unbekcomten Säure.
Sind die von Frankland und Mac Gregor gefundenen Zahlen
Wandlungen der Kohlenhydrate. 325
richtig, so müssen auch die I2H2 und die Moleküle der unbekannten Säure,
die 6C0, äquivalent sind, glatt aus der Vergärung des Zuckers hervorgehen ;
das ist aber nur möglich, wenndie unbekannte Säure nichts
anderes als Kohlensäure selbst ist. In der Tat ist nach
der Formel der Wasserstoffgärung 12 H^ + eCOj = CeHi.O, + 6H,0.
I + II + III + IV ergeben also 17C,Hi,0« + 12H,0 , imd man erhält
nach Division durch 6 und Multiphkation mit 5, Umwandlung der Hexoson
in Pentosen, und Zusammenziehung von III und IV:
17C,H,o05 + 12H,0 = löC^H.O + 15C,H^O, + 25CO, + 20H,.
Wir würden vorziehen, diese empirische Formel aufzulösen in die Teil-
formeln der Alkohol-, Essigsäure- und Wasserstoffgleichung, die allerdings
für die Pentosen etwas umgestaltet werden müßten und dadurch etwas
vf)n ihrer Einfachheit verlieren. Die Alkoholgleichung würde lauten:
SC^HjoO, = 5C,H.O + 5C0s.
Die Essigsäuregleichiuig:
2C,HjoO, = ÖC,H,0,.
Die Wasserstoffgleichung:
CsHioOg + 5H,0 = 5CO, + lOH«.
Es ist leicht, diese neuen Formeln in die Gleichungen I — ^III, bzw. IV
(anzusetzen. — Wir verzichten darauf, da wahrscheinlich hier wie in
anderen Fällen das Verhältnis der einzelnen Produkte bzw. der Teilgärungen
zueinander nur ein zufälliges ist, d. h. bei neuen Versuche sich ändern
würde. Aus der Erörterung folgt aber, daß man auch verwickelte Gänmgen
auf dem von uns beschrittenen Wege aufklären kann.
Während in diesem Falle das Verhältnis der Kohlensäure zum
Wasserstoff 5 : 4 war, betrug es in anderen Versuchen, die Frank-
1 a n d und L u m s d e n mit dem Bac. ethaceticus an der Glykose
anstellten, etwa 4 : 3, auch wieder imter der Voraussetzimg, daß die
.^unbekannte Säure" Kohlensäure war. Es kamen hierbei auf 1 Molekül
der überschießenden Kohlensäure 2,2 — ^2,8 Moleküle Alkohol, 1,6
Moleküle Essigsäure und 3,1 Moleküle Ameisensäure (COg + Hg). Die
tatsächlich gefundene Ameisensäure war in allen diesen Versuchen
verhältnismäßig gering, nur in einem von vier anderen unter Luft-
zutritt ausgeführten Versuchen erreichte sie (als Molekül berechnet)
fast die Menge der Essigsäure, so daß die Verfasser zu dem Schlüsse
kommen, daß die Aineisensäure weniger leicht bei Luftzutritt als bei
Luftabschluß gespalten werde (vgl. § 108).
S. 294 haben wir schon gezeigt, daß die von H a r d e n für die
Vergärung der Glykose durch B. coli aufgestellte, mehrfach erwähnte
Gleichung
2C,H,jO, + H,0 = 2C3He03 + C,HA + C^O + 2 CO., + 2 H,
auf die bekannten Formeln zurückzuführen ist, wenn wir noch die Milch-
säuregärung zu Hilfe nehmen. Sie ist übrigens nur zufällig so einfach
ausgefallen, denn in anderen S. 318 erwähnten Untersuchungen H a r -
326 Kap. VI, § lOö.
d e n 8 selbst, bei denen leider keine Gasanalysen gemacht wurden,
wechselte das Verhältnis der Säure zum Alkohol und wahrscheinlich
auch das der Gase zueinander. Denn in zahlreichen auf einfachem
Wege erhaltenen Gasanalysen des B. coli (s. u. und § 112) überwog der
Wasserstoff gewöhnlich die Kohlensäure um ein bedeutendes und wurde
häufig — wohl nur zufällig der Wasserstoffgärung entsprechend —
doppelt so reichlich entwickelt wie Kohlensäure.
Eine gründliche Untersuchung, die besonders gut in den Rahmen
unserer Vorstellungen paßt, hat Potte vin^) für den Paratyphus
und die verwandten Bazillen der Fleischvergiftung (Enteritidis), imd
Hogcholera geliefert. Nach ihm ist das Verhältnis des Wasserstoffs
zur Kohlensäure bei der anaeroben Vergärung des Traubenzuckers
zunächst 1:1, fällt dann aber im weiteren Verlauf auf 1 : 3. Die
genauere Prüfung zeigt, daß das Maximum der Wasserstoffmenge sehr
schnell gebildet wird, während die Kohlensäure ständig zunimmt.
Gleichzeitig werden aber entsprechende Mengen Alkohol mehr ge-
bildet. Man kann danach annehmen, daß die Wasserstoffgärung sehr
bald zum Stillstand konmit, während die Alkoholgärung — und gleich-
zeitig die Milchsäure-, Essigsäure- und Bemsteinsäuregärung — fort-
schreitet. In der Tat stinmiten die bei der Analyse für dieses Zer-
setzungsprodukt erhaltenen Zahlen sehr gut mit den für die Gärungen
angenommenen Formehi überein. Z. B. wurden nach fünftägiger
Gärung bestimmt:
Wasserstoff 349 <
3cm
0,027 g
Kohlensäure 321
ccm
=- 0,609 g
Alkohol
0,304 g
Essigsäure
0,270 g
Linksmilchsäure
- 2,750 g
Bernsteinsäure
0,180 g
Traubenzucker
(von 27 g verbraucht)
4,110 g
4,28 g
Wenn man hier von der Kohlensäure die dem gebildeten Alkohol ent-
sprechende Menge abzieht, bleiben genau 2 Volumen Wasserstoff auf
1 Volumen Kohlensäure übrig, entsprechend der Formel der Wasser-
stoffgärung. Die übrigen Produkte entstehen ohne Gasentwicklung
und Aufnahme von anderen Stoffen aus dem Zerfall des Zuckers. Nur
die Bildung der Bernsteinsäure bleibt hier wie anderwärts^) dunkel.
P o 1 1 e V i n möchte sie auf einen „intramolekularen Oxydations-
1) Annal. Fast. 1905.
2) Vgl. auch die Versuche Franklands.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 327
Vorgang" znrückfüliren (vgl. § 107). Daß die Summe der Gärprodukte
größer ist, wie die des verbrauchten Zuckers, erklärt sich einfach daraus,
daß der Zucker bei der Wasserstoffgärung eim'ge Moleküle Wasser
aufnimmt.
Wird in den bisher erwähnten Versuchen mit Bakterien der Aero-
genes- und Goligruppe der Wasserstoff im Überschuß oder nur in wenig
geringerer Menge als die Kohlensäure gebildet, so überwiegt in anderen
Fällen, nämlich bei der Vergärung des Zuckers durch den Bac. cloacae
und Verwandte mehr oder weniger erheblich die Kohlensäure. Kar-
den hat, wie wir sahen (S. 318), den Beweis geliefert, daß dann auch
die Alkoholgärung über die Essigsäuregärung verhältnismäßig stark
überwiegt, ist uns freilich, weil er keine Gasanalyse anstellte, den
Nachweis schuldig geblieben, daß, absolut genonomen, die Wasserstoff-
bildung entsprechend gesunken ist. Es folgt das aber wohl schon aus
den sonstigen Erfahrungen, die mit allerdings recht einfachen Hilfe-
mitteln gewonnen worden sind. Man hat nämlich (vgl. § 112) vielfach
mit Th. Smith die Gärwirkung und Gaszusanmiensetzung der Goli-
gruppe einerseits und der Gruppe des Bac. cloacae (Jordan^)) oder
Bac. levans (H o 1 1 i g e r ^)) andererseits in sogenannten Gärungs-
röhrchen beobachtet und dabei auch durch Absorption . der Kohlen-
säure mittelst Kalilauge die ungleiche Zusanmiensetzung der von
beiden Gruppen gebildeten Gase festgestellt. Auch die absolute Menge
des Wasserstoffe scheint bei der zweiten geringer zu sein.
Die Säurelabbakterien {außer dem Bac. cloacae imd levans),
wie z. B. der Bac. proteus vulgaris^) (Bact. vulgare Lehmann und
1) Zuerst im Kanal wasser, dann in vielen anderen Wässern (Jor-
dan, Joum. of hyg. 1903) und auch oft in Fäzes (MacConkey ebenda
1905. 333) gefunden, wie der mit ihm wohl verwandte Bac. levans mehr
oder weniger langsam Gelatine verflüssigend.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 9, 1902. Im Sauerteig gefunden, von Leh-
mann und F. L e V y (Areh. f. Hyg. 49) Bact. coli albidoliquefsrciens
genannt. Auch nicht verflüssigende Bakterien gehören übrigens wohl
hierher, so gibt Leichmann wenigstens von dem einen Bac. aerogenes,
den er in Milch fand (Zentr. Bakt. 2. Abt. 5, 1899) und der mehr Kohlen-
säure wie Wasserstoff bildete, nicht an, daß er verflüssigte. Allem An-
schein nach handelt es sich um Bakterien, die einen Übergang von der
Aerogenesgruppe zu dem Bcu^illus cloacae bilden. Die Beobachtung
Leichmanns, daß sein Bazillus (in Milch) neben viel Milchsäure und
Gagen keine Essigsäure, sondern Bernsteinsäure bildete, kann für die Zu-
sammensetziuig des Gases keine Bedeutung haben, im Gegenteil müßte
bei der Bildung von Bemsteinsäure Wasserstoff entstehen oder Kohlen-
säure verschwinden (s. u. § 107). H a r d e n sagt nichts über ein Ersatz-
verhältnis zwischen Bemsteinsäure und Essigsäure.
3) Nach Th. Smith, Kochs Jahresb. 1893, 15.
328 Kap. VI, § 105 — 107.
N e u m a n n) und der Baz. des malignen Odems^) schließen sich ihrer
Gasentwicklung nach an die Eolibazillen an. Die Gasbildung der
Buttersäurebakterien (§ 113 ff.) und Zellulose vergärer (§ 117) be-
sprechen wir später.
Der Nachweis, -daß die reine Wasserstoffgärung, wie überhaupt
die mit Gasbildung verbundenen Gärungen dieser Art, durch Enzyme
vermittelt sei, ist bisher noch nicht geführt. E u h t z ^) will sogar
daraus, daß die Gasentwicklung ausblieb, wenn er Colibazillen in
reine Zuckerlösung oder in andere zuckerhaltige Nährböden unter
Verhältnissen, unter denen kein Wachstum stattfinden kann, impfte,
auf das Fehlen eines Gärimgsenzyms schließen. Jedenfalls ersieht
man daraus die Schwierigkeit der Aufgabe.
§ 106. Glyzerin-, Mannit- und Schleimgftrang. Schon bei
der alkoholischen Vergärung des Zuckers durch Hefe haben wir die
Bildung von wechselnden, freilich kleinen Mengen (bis 3,6%) von
Glyzerin besprochen, dort aber auch über andere Erfahrungen E. B u c h -
ners mit Zymase berichtet, die zum Teil erheblich größere Mengen
Glyzerin ergaben (S. 263). Sonst ist dergleichen bisher nur selten
beobachtet worden, vielleicht nur deswegen, weil man nicht darauf
geachtet hat ^). Nur der merkwürdige Bac. manniticus, der aus Frucht-
zucker Mannit bildet, erzeugt, wie wir aus der Tabelle auf S. 291 er-
sehen, aus den übrigen Zuckerarten, insbesondere der Glykose, Gralak-
tose und Saccharose nicht unbeträchtliche Mengen — bis zu 10%
des vergorenen Zuckers — von Glyzerin. Wenn man sich den Prozeß
nach der Gleichung Duclaux'*)
4) 7 CßHiA + 6 HgO = 12 CgHgOg + 6 CO^ (— 50 Kai.)
Verlaufen denkt und damit die Formel für die Entstehung des Mannits
(§ 124) vergleicht, so erkennt man die Ähnlichkeit zwischen beiden
Vorgängen.
ISCcHjjjOe + 6H2O = 12CeHi40e + 600^.
Das macht den Eindruck, als ob das Glyzerin den Mannit vertreten
könnte.
1) Graßberger und Schattenfroh, Arch. f. Hyg. 48.
2) Ebenda 58. 1906.
3) Kayser (Kochs Jahreaber. 1904. 321) findet allerdings in
seiner zweiten Arbeit über echte Milehsäurebakterien Gly^serin höchstens
spurweise.
4) § 98. Diese Gleichung läßt sich auflösen in die folgenden:
a) C0H12O, + 6H,0 = 6CO2 + 12Hj (— 147 Kai.), d. h. die Wasserstoff-
gleichung, und b) 6(CBH,,Oe + 2H8) = 6(2C3H808)(+97 Kai.), d. h. eine
einfaclie Reduktion durch Wasserstoff. Ähnliches gilt für die Mannit-
gärung.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 329
Außer dem Bac. manniticiis erzeugen noch andere Milchsäure-
bakterien Mannit, aber anscheinend nur Spuren von Glyzerin, so nach
Beijerinck und K a y s e r ^) Streptokokken (Laktokokkus), und
nach Beijerinck^) namentlich die langen Milchsäurebazillen
(LaktobaziUus), zu denen übrigens auch der Bac. manniticus zu ge-
hören scheint (§ 124).
Wir kommen auf die Mannit- und Glyzeringärung, ebenso wie
auf die damit manchmal verbundene Schleimgärung (§ 125) später
zurück. Auf die Möglichkeit, daß das gefundene Glyzerin gar nicht
dem Zucker, sondern den Fetten (einer Lipasewirknng, vgl. § 137 ff.)
entstammt, muß natürlich immer geachtet werden. Die Entscheidung
ist freilich, wie wir schon bei der Zymasegärung sahen (S. 263), nicht
immer leicht. Die dort mitgeteilten Erfahrungen rücken aber die Mög-
lichkeit nahe, daß es Enzyme gibt, die den Zucker in Glyzerin ver-
wandeln.
§ 107. Bernsteinsäuregäriing. Spuren von Bernsteinsäure
— bis zu 0,7% des vergorenen Zuckers — haben wir bei der alkoholischen
Oarung durch Hefe — nicht durch Zymase -r- entstehen sehen (§ 90).
Von den echten Milchsäurebakterien, d. h. Streptokokken und langen
Bazillen scheint nur selten Bernsteinsäure gebildet zu werden.
G a y o n und D u b o u r g fanden sie freilich in meßbaren Mengen
bei ihrem Bac. manniticus (S. 291), K a y s e r ^) neuerdings bei seinem
Kokkus Nr. 1 in gewissen Fällen. In freiwillig geronnener Milch ist
sie nach E o z ai ^) meist nur in ganz geringer Menge vorhanden; in
zwei Proben fand sie sich allerdings in großer Menge; es handelte sich
hier aber um sehr alte und starke Zersetzimgen, von denen auch die
Eiweißstoffe in Mitleidenschaft gezogen waren. Daß auch aus letz-
teren Bemsteinsäure (bis zu 2%) entstehen kann, ist von Blumen-
than) gezeigt worden und auch wahrscheinlich gemacht durch die
Beobachtung Bienstocks*^), daß der Bac. proteus vulgaris und
prodigiosus, die nach sonstigen Erfahrungen Milchzucker nicht ver-
gären, in Milchkulturen Bemsteinsäure, nicht Milchsäure bilden. Viel-
leicht erklärt sich so auch der zunächst auffällige Befund Blumen-
thals''') in freiwillig geronnener Milch: von zwölf Proben enthielten
1) S. o. Anm. 3.
2) Zeitschr. f. Spiritusind. 1901 (Kochs Jahresber.).
3) Kochs Jahresber. 1904. 321.
4) Zeitschr. f. Hyg. 38. 394.
5) Virchows Arch. 137.
6) Arch. f. Hyg. 39. 410, vgl. auch Nawiasky § 169.
7) Virchows Arch. 146. Vgl. auch E. und H. Salkowski, Bar.
C'Iiem. Ges. 12. 649 und B r i e g e r , Zeitschr. physiol. Chem. 5. 360.
330 Kap. VI, § 107 u. 108.
nämlich sechs reine Bernsteinsäoie, vier ein Gremisch von Bernstein- und
Milchsäure und nur eine reine Milchsäure. Statt eiweißzersetzender
Bakterien aas der Labsäurebildnergruppe^) könnten freilich auch die
Bakterien aus der Aerogenesgruppe in den Verdacht kommen, durch
ein ausnahmsweise reichliches freiwilliges Auftreten in der Milch die
Bernsteinsäuregärung verursacht zu haben. In der Tat haben wir
schon S. 302 gesehen, daß außer Blumenthal auch Grimbert,
Seelig, Bienstock und Emmerling in Milch- oder Milch-
zuckerkulturen des Bac. pneumoniae, aerogenes, coli, anstatt der
Milchsäuregärung eine Bernsteinsäuregärung,
und Oppenheimer, Leichmann und E o z a i wenigstens
hin und wieder beide Gärungen nebeneinander beobachtet haben.
Nach Grimberts vergleichenden Studien (S. 292) vertritt dabei
im Milchzucker, in der Xylose, dem Dulzit und Dextrin die Bemstein-
säuregärung die in der Glykose, Galaktose, Arabinose, dem Mannit
und Glyzerin erfolgende Milchsäuregärung und findet sich mit ihr
vergesellschaftet in Rohrzucker und Malzzucker. Nicht ausgeschlossen
ist übrigens nach den Beobachtungen H a r d e n s am B. coli, daß
die Wasserstoffgärung diiöser oder jener Kohlehydrate (S. 323, Anm. 1)
die Entstehung von Bernsteinsäure — durch Reduktionswirkung —
aus Asparaginsäure und vielleicht auch aus Eiweiß, das diese Amino-
säure als Kern enthält, begünstigt.
Von einer reinen Bemst^insäuregärung ist nirgends die Rede,
weil nebenher immer noch Essigsäure und Alkohol entstehen. In
anderen Fällen fehlt sogar die Bernsteinsäuregärung in der Milch auch
bei den Mitgliedern der Aerogenesgruppe vollständig oder tritt nur
spuren weise auf (Kozaiu. a.). Leichmann fand dabei eigen-
tümliche Beziehungen, indem der eine von ihm aus Milch gezüchtete
Stamm neben viel Linksmilchsäure flüchtige Säure (Essigsäure), mehr
Wasserstoff als Kohlensäure, der andere keine flüchtige Säure, aber
Bernsteinsäure und mehr Kohlensäure als Wasserstoff bildete. Nähme
man an, daß hier die Essigsäure einen einfachen Ersatz der Bern-
steinsäure bildete,, so müßte man gerade ein umgekehrtes Mengen-
verhältnis der Gase verlangen, denn die Bernsteinsäurever-
braucht Kohlensäure zu ihrer Bildung, während die
Essigsäure sich vermutlich ohne Mitbeteiligung von Gasen bildet.
1) Vgl. auch die Buttersäuregärung ( § 113ff.). Blumen thal gibtauch
für Cholerabazillen und Typhusbazillen Bernsteinsäure an. Bei den letz-
teren kann dieser Stoff schon deswegen nicht, wie Blumenthal meint,
aus dem Milchzucker entstehen, weil der Typhusbazillus den Milchzucker
nicht angreift. Beim Cholerabazillus ist sonst Milchsäure nachgewiesen
worden (S. 307).
Wandlungen der Kohlenhydrate. 331
In der Tat fuhrt, wie wir scholl bei der Alkoholgärung der Hefe sahen,
folgende Formel (Duclaux) zur Bemsteinsäure (S. 293):
5) TCeHigOe + ßCOg = 12C4He04 + 6H^0 (+ 434 Kai).
Man könnte sie auch unter Vereinigang mit der Gleichung für die
Wasserstoff gärung: Cja.^0^ + GHgO = 600^ + ISHg (— 147 Kai.)
und Teilung durch 4 folgendermaßen schreiben^) :
5a) 2 CeH,.^Oe = 3 C4He04 + 3 Hg (+ 72 Kai).
Es fragt sich allerdings, ob wir genügende Anhaltspunkte für das
Vorkonunen der einen oder anderen Reaktion haben. Bisher ist davon
leider kaum die Rede, weil nur in wenigen Fällen von bakterieller
Gärung die Menge der Bemsteinsäure zusammen mit derjenigen der
Gase bestinmit worden ist und die wenigen Beobachtungen noch dazu
solche Gärungen betreffen, in denen die Bemsteinsäure gegenüber
anderen unter Gasentwicklimg gebildeten Erzeugnissen eine allzu
geringe Rolle spielt*). Immerhin spricht der Umstand, daß es durch
Bakterien (Bac. manniticus) und durch Hefe (§ 90) verursachte
Gärungen gibt, die Bernsteinsäure, aber keinen Wasserstoff erzeugen,
dafür, daß die Formel 5a) nicht oder wenigstens nicht für alle Fälle
zutrifft. Ebensowenig haben wir vorläufig Grund, einer dritten, von
Pottevin geäußerte Vermutung zuzustinmien, nach der die Bem-
steinsäure durch „intramolekulare" Oxydation aus der Essigsäure
hervorginge :
2C2HA + 0 = C^HeO^ + H,0.
Denn wir kennen nicht wenige Fälle, wo Essigsäure und Bemsteinsäure
sich geradezu ausschließen. Dasselbe würde gelten, wenn wir die Bern-
steinsäure auf ähnlichem Wege aus der Milchsäure herleiteten. Vor
allem müßten wir dabei aber fragen, woher denn der Sauerstoff ent-
nommen würde. Nehmen wir wieder dessen Hilfe zum Wasser, so
kommen wir auf unsere obige Gleichung 5a zurück.
§ 108. Ameisensäuregärnng^). Ameisensäuregärung ist bei
zahlreichen Gärungen gefunden worden, so von Pottevin als ein-
ziges Nebenerzeugnis der echten Milchsäuregärung (s. o. S. 312), von
1) Die Gleichung 5b) CeH„0, = C^HeO^ + C,H,0, + H^, die auch
möglich wäre, läßt sieh wieder auflösen in die Bemsteinsäure-, Wasserstoff-
und die Essigsäuregleiehung (S. 293) und ähnliches gälte für Formeln, durch
die man die Bemsteinsäure mit Milchsäure, Alkohol oder Ameisensäure
zugleich sich bilden ließen.
2) Vgl. G a y o n und D u b o u r g , Bac. manniticus S. 291.
3) Die Bildung von Ameisensäure aus Eiweiß bzw. Aminosäuren (vgl.
§ 168 ff.) pflegt spärlich zu sein.
332 Kap. VI, 108,
E a 7 8 e r ^) neben einem Überschuß von Milchsäure, Alkohol, Essig-
säure und manchmal mit Propionsäure zugleich (§ 109) bei der Ver-
gärung der Fruktose, Saccharose, Arabinose und desMannits durch einen
Streptokokkus, nach Walker und E y f f e 1 ^) sogar in großer Menge
neben anderen flüchtigen Säuren bei ihrem Bazillus (Streptokokkus?)
des Gelenkrheumatismus. Während hier von Gasen höchstens Kohlen-
säure nebenher entsteht, wird Ameisensäure, freilich meist nur in Spuren,
von den Wasserstoff und Kohlensäure bildenden Bac. aerogenes, coli,
ethaceticus, ethacetosuccinicus usw. gebildet (Baginsky, Frank-
land,Täte, Harden u.a. (vgl. § 105). Die Buttersäurebakterien
und Säurelabbildner (B. cloacae) entwickeln gleichfalls kleine Mengen
von Ameisensäure. Große Mengen werden aber nach Harden von
den nicht gasbildenden Tj^hus-, nach Sera auch von Dysenterie-
und Pseudodysenteriebazillen entwickelt (S. 308).
Ihre Herkunft ist noch keineswegs aufgeklärt. Manchmal entsteht
sie wohl neben anderen flüchtigen Säuren aus Eiweißstoffen, daß sie
aber in den oben angeführten Fällen aus Kohlehydraten hervorgeht,
ist nicht zu bezweifeln. Man könnte sie erstens aus dem Zucker ableiten
nach der freilich unter Wärmebindung verlaufenden Gleichung:
I) CßHiaOe + öH^O = GCHA + ßH^ (— 111 Kai.).
Auch die Formel der Wasserstoffgärung (§ 98 u. 105)
6) CßHiaOe + öHgO = ÖCOjj + 12 Hg (— 147 Kai.)
führt übrigens zu derselben Gleichung, wenn man darin einsetzt:
II) 6CO2 + 6H2 = 6CH2O2 (+ 36 Kai.).
Wenn die Reaktion so verliefe, würde es verständlich sein, daß die
Ameisensäure bei der Gärung durch die Gasbild-
ner der Aerogenesgruppe in geringerer Menge bei
Sauerstoffzutritt unter den Produkten erscheint
als bei Luftabschluß (Frankland [S. 325], D u c 1 a u x).
Indessen ist die Möglichkeit einer Umsetzung nach II trotz ihrer
exothermen Natur bisher noch nicht nachgewiesen worden, und sie
wird auch imwahrscheinlich durch die Tatsache, daß diejenigen
Bakterien, diewiedieTyphus-undßuhrbazille 11,
ammeisten Ameisensäurebilden, überhauptkein
Gas entwickeln. Gerade das würde viel leichter verständlich
werden, wenn wir annähmen, daß umgekehrt die Aerogenes-, Coli-,
Cloacaebazillen usw. auch die Fähigkeit besäßen, größere Mengen >/on
1) Kochs Jahresber. 1904. 321.
2) Brit. med. Journ. 19. TX. 1903. (Baumgartens Jahresber.)
Wandlungen der Kohlenhydrate. 333
Ameisensäure zu erzeugen, aber gleichzeitig diese zu zersetzen nach
der Gleichung:
III) CHgOg = CO2 + H, (— 6 Kai.).
Sicht nur anorganische Katalysatoren, sondern auch zahlreiche Bak-
terien einschließlich der Kolibazillen vermögen diese Spaltung zu leisten
(§ 140). Für sie entscheiden sich denn auch Frankland und seine Mit-
arbeiter, und neuerdings wieder H a r d e n , wie wir schon sahen
(iS. 320), wollen dabei aber nicht von unserer Gleichung I ausgehen,
sondern leiten die Ameisensäure aus verwickeiteren Formeln ab, in denen
außerdem noch Milchsäure, Essigsäure und Alkohol eine Rolle spielen.
Wir haben (S. 320) durch Ausmerzung der beiden Säuren die H a r -
den sehe Gleichung vereinfacht zu:
IV) 2 CeH, A + 3 H^O = 3 Ü^Hfi + 6 CH,0,.
Bei Zersetzen der Ameisensäure in Kohlensäure und Wasserstoff nach III
würde daraus:
IVa) 2 CeHigOß + 3 HgO = 3 CgH^O + 6 COg + 6 H2.
Handelte es sich bloß darum, die Gärungen zu erklären, die durch
die Gasbildner hervorgerufen werden, so würde man der Hauptsache
nach mit der letzten Gleichimg IVa auskommen. Es ist aber leicht
zu sehen, daß sie nichts weiter ist als eine Verbindung unserer Gleichun-
gen 1 für die „Alkoholgärung" imd 6 für die „Wasserstoffgärung",
denn
2 X IVa = 3 X 1 + 1 X 6.
Unter diesen Umständen würden wir vorziehen 1 und 6 statt
IVa zu benutzen, weil wir so nicht an ein bestimmtes Verhältnis zwischen
den Alkohol- und Gasmengen gebunden wären. In der Tat haben uns
die Analysen in § 104 und 105 gelehrt, daß von einem bestimmten
Verhältnis keine Rede ist. Aushilfsweise käme noch Gleichung I und III
in Betracht.
In Wirklichkeit haben wir es nicht nur mit den Gasbildnern, son-
dern auch mit den Typhus- und Ruhrbazillen zu tun. Genügt aber
für sie die Formel IV ? Nach den Analvsen von H a r d e n , die bei
der Vergänmg von Traubenzucker durch Typhusbazillen 17% Ameisen-
säure neben viel Alkohol ergaben, schien es allerdings so zu sein. Die
neuesten Untersuchungen S e r a s unter meinen Augen haben aber
bei denselben Bakterien wie bei den Dysenterie- und Pseudodysenterie-
bazülen entweder gar keine oder nur Spuren von Alkohol nachgewiesen.
Von den uns hier allein interessierenden flüchtigen Stoffen wurden
nur Essig- und Ameisensäure gefunden, und zwar nach 6 — 13 tägiger
Kultur in 2 prozentiger Traubenzuckerbouillon (mit Kreide) zusammen
334 Kap. VI, § 108 — 110.
36 — 57 ccm Nonnalsäure im liter. Das Mengenverhältnis wechselte
dabei nach meiner Berechnung in Äquivalenten von 1 Mol. Ameisen-
säure : 2 Mol. Essigsäure bis 3 Mol. Ameisensäure : 1 Mol. Essigsäure,
ohne daß sich eine bestinmite Regel feststellen ließ. Danach kommt
man also mit der Formel IV nicht aus und muß, weil ja für diese nicht-
gasbildenden Bakterien Formel I ebensowenig zu gebrauchen ist, nach
einer anderen Quelle für die Ameisensäure suchen. An die Gleichungen:
V) CeH,20e=C4HA + 2CH202
VI) 2 CeHjgOe = 3 CJ^fi^ + 3 CKA und
VII) C,K,fi, = 2 C^H^O + 2 CH A
ist auch nicht zu denken, weil Buttersäure, Propionsäure und Aldehyd
vermißt werden. Es bleibt hier eine Lücke auszufüllen. Die Zersetzungen
des Glyzerins und Mannits durch die Buhrbazillen verlaufen übrigens
ähnlich (§ 131).
§ 109. Propionsäuregärung. Propionsäure wurde mehrfach als
ein Bestandteil der durch die Milchsäuregärung gebildeten flüchtigen
Säuren nachgewiesen, so sehr häufig allein oder mit der Ameisensäure
(s. o.) in wägbaren Mengen neben der Essigsäure bei einem von K a y -
8 e r *) untersuchten Streptokokkus, beim B. coli (mit etwas Butter-
säure) von Baginsky (§ 142). Neuerdings haben von Freuden-
reich und 0. Jensen^) gefunden, daß einige in ihren übrigen
Eigenschaften den echten Milchsäurebakterien nahestehende Bakterien
des Schweizerkäses nicht nur aus Milchsäure, sondern auch aus Milch-
zucker reichliche Mengen Propionsäure in wechselnden Mengen neben
Essigsäure und Kohlensäure bilden. Wir können vielleicht dafür die
Gleichimg annehmen:
7C«Hi20e = 12C3He02 + 6 CO, + öH^O,
wenn wir nicht erst Milchsäure entstehen und diese weiter zerfallen
lassen wollen. Wir kommen bei der Propionsäuregärung der Milchsäui-e
(§ 142) hierauf zurück.
Der Möglichkeit, daß Propionsäure neben Ameisensäure entstände,
haben wir eben gedacht (Gleichung VI s. o.).
§ HO. Andere Nebenerzeugnisse der Milchsäuregärung.
Buttersäure fand G o s i o neben Isovaleriansäure, Aldehyd und Azeton
bei Spirillen (S. 307). Von aldehydartigen Verbindungen spricht
Bredemannals Nebenerzeugnissen bei der Essigsäuregärung durch
Bac. asterosporus (S. 316). Eine förmliche „Azetongärung" beobachtete
1) Kochs Jahresber. 1904. 321.
2) Zontr. Bakt. 2. Abt. 17. 528, 1906.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 335
Schardinger ^) auf rohen Kartoffeln bei einem sporenbildenden
I^Lzilliis neben der Bildung von Alkohol, Säuren und Gasen. Ob die
Stärke oder die Pektinstoffe der Kartoffel oder aber Eiweiß bzw.
Aminosäuren das Azeton (CjHqO) hergeben, bleibt festzustellen. Butter-
säuie fehlte. Ein anderer azetonartiger Körper, das Azetylmethyl-
karbinol C4H8O2 entsteht nach Grimbert und Pirquet (§ 147)
bei der Vergärung der Kohlehydrate durch den Bac. tartricus und nach
Desmots durch die Wirkung der Heu- und Kartoffelbazillen auf
Kohlehydrate, Mannit und Glyzerin (§ 131). Pur Aldehyd käme viel-
leicht die Entstehung neben xVmeisensäure durch Gärung in Betracht
iS. 334), natürlich aber auch, wie bei allen diesen Stoffen, Oxydation
durch die Luft (s. u.). Etwas Sumpfgas wurde von Baginsky
(§ Hl) beim Aerogenes und von Conrad 2) bei dem verwandten
Bac. brassicae acidae neben viel Wasserstoff und Kohlensäure nach-
gewiesen Es handelt sich hier lun vereinzelte Befunde, die noch ihrer
Erklärang harren (vgl. Sumpfgasgärung der Zellulose, der Buttersäure,
Milchsäure, der Eiweißkörper.) Am nächsten liegt es, das Sumpfgas
aus einer Vergärung der Essigsäure abzuleiten, indessen scheint die
Fähigkeit, diese Spaltung hervorzurufen, den hier betrachteten Milch-
säuiebakterien nicht zuzukommen, ebensowenig wie sie ja die Milch-
säure zu Buttersäure zu vergären pflegen. Überhaupt werden die Er-
zeugnisse der Zuckerspaltung bei den hier besprochenen gemischten
Milchsäuregärungen nach den bisher darüber vorliegenden Arbeiten,
wenn man von der Ameisensäure absieht (§ 108 u. 140), miter anaeroben
Bedingungen regelmäßig nicht weiter angegriffen.
Das schließt freilich nicht aus, daß Ausnahmen vorkommen. Wir
haben solche erwähnt bei derPropionsäuregärung (§108) und werden bei
Jer Buttersäuregärung einer ganz merkwürdigen Veränderlichkeit
der Garkraft begegnen, die sich nicht nur darin zeigt, daß die einzelnen
Erzeugnisse der Zuckerspaltung unter anscheinend gleichen Verhält-
nissen und von demselben Stamme in ganz verschiedenen Mengen ge-
bildet werden, sondern auch darin, daß Kohlehydrate und deren Pro-
dukte, (namentlich Milchsäure), die für gewöhnlich der Zerlegung Wider-
stand entgegensetzen, kräftig zersetzt werden.
Darüber kann ferner gar kein Zweifel sein,
daß hier und da die durch anaerobe Gärung ge-
bildeten Stoffe durch den Sauerstoff der Luft
weiter verändert werden (S. 313).
1) Wien. klin. Wochenschr. 1904. 8 vgl. S. 222.
2) Arch. f. Hyg. 29.
336 Kap. VI, § 111.
I
§ 11 L Bedeutung der Milchsäurebakterien fflr die Ge-
werbe^). Die Verbreitung der Milchsäurebakterien in der Natur ist,
wenn möglich, eine noch größere als die der Hefen, und die Verände-
rungen, die sie hervorrufen, sind von mindestens ebenso großer Be-
deutung für die Nahrungsmittelgewerbe, als die alkoholische Gärung.
Allermeist handelt es sich, wie sich immer mehr herausstellt, dabei um
die beiden großen Hauptgruppen der Milchsäurebakterien, den Strepto-
coccus lacticus und die „langen Bazillen". Bei freiwilliger
saurer Gärung der Milch spielt der erste allein eine Rolle,
bei dem künstlich durch Zusätze von „Fermenten", Einfüllen in die
alten Schläuche oder Impfen mit kleinen Mengen fertiger Erzeugnisse
aus Kuh-, Pferde- und Ziegenmilch hergestellten Kefyr der Kauka-
sier, Kumys der Tartaren, M a z u n der Armenier, Yoghurt
der Bulgaren, Leben der Egypter herrschen dagegen die langen
Bazillen (Bac. caucasicus, bulgaricus usw.) vor, wenn auch die Strepto-
kokken nie fehlen. Das hängt wohl damit zusammen, daß die Strepto-
kokken viel gemeiner sind und gerade mit der Milch unter natürhehen
Verhältnissen regelmäßig in Berührung kommen, weil sie den Darm
aller Säugetiere bewohnen (Kruse und H ö 1 1 i n g 2)) , und außer-
dem in der Streu und dem Futter, z. B. dem Grase (L. Müller,
Th. G r u b e r ^)) regelmäßig vorkommen. Die langen Bazillen scheinen .
freilich auch weitverbreitet zu sein, jedoch meist nicht in Abarten,
die ein besonders starkes Gärungsvermögen in Milch besitzen (R o -
della, Kruse u. a.). Sie müssen deswegen erst einer Auslese unter-
liegen, ehe sie für die Milchsäuregärung im Haushalt geeignet werden,
weshalb dann hier der künstliche Zusatz nötig wird. In pflanzlichen
Nahrungsmitteln, die der sauren Gärung verfallen, fehlen die Strepto-
kokken meist auch nicht, und beherrschen sogar, allerdings anscheinend
1) Die hier nicht angeführte Literatur vgl. § 97 ff.
2) Daher der Name Enterokokkus der französischen Forscher. Vgl.
auch L. M ü 1 1 o r , Zentr. Bakt. 2. Abt. 17.632, 1907. Wie sieh die Angabe
von V. Freudonreich erklärt, daß der Strept. leicticus im Kot« der
Kühe fehle (Landwirtsch. Jahrb. d. Schweiz 1902, 91), wissen wir nicht.
Dagegen wird der ähnliche Befund Th. G r u b e r s (Anm. 3) dadurch ver-
ständlich, daß er die Darmflora mit Milch anreicherte. Dabei überwuchern
die üi)pig wachsenden Bakterien der Aerogenes- und Coligruppe die Strepto-
kokken. Die Milch in den Zitzen unserer Haustiere enthält fast immer
schon Streptokoldcen, niclit nur, wie wohl behauptet worden ist, blos in
den Fällen, wenn eine Euterentzündung vorliegt. Die Unterscheidung
des Milchstreptokokkus von dem pyogenen ist nicht immer leicht, aber
bei Berücksichtigung des mikroskopischen und hämolytischen Verhaltens
(s. § 312) zu leisten, während die Gärungsproben in Kohlehydraten usw.
im Stich lassen (§ 112 am Ende).
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 17, 1907.
Wcuidlungen der Kohlenhydrate. 337
in Abarten, welche den Milchzucker schlecht vergären, (B u t j a g i n ^))
oder inaktive statt Bechtsmilchsäure bilden ( A d e r h o 1 d 2)) , die
Sauerkraut- und saure Gurkengärung. Auch die
Säuerung der Bohnen (Aderhold, R. Weiß^)), der roten
Buben im russischen „Barszcz" (Epstein*), P a n e k ^)) , der
Rübenschnitzel (E. Weiß®)) wird im wesentlichen durch
Strept. lacticus verursacht. Nach P a n e k zeichnete sich derselbe durch
Schleimbildung aus (Bact. betae viscosum). Das ist nichts
Neues bei Streptokokken, denn auch der Streptococcus hollandicus
(Huppe und Scholl), der die holländische ., lange Wei", das Bact.
lactis longi (Troili-Petersson')), der die schwedische „Zäh-
milch", zwei vielbenutzte Nahrungsmittel erzeuigt und wahrschein-
lich auch identisch ist mit einem Krankheitserreger, dem Kokkus der
^schleimigen Milch" (S c h m i d t - M ü 1 h e i m ®) , H ü p p e *)) u. a.
gehöroi hierher (vgl. § 128). In anderen Fällen ist allerdings der Er-
reger der schleimigen Milch wahrscheinlich ein „langer Bazillus"
(Leichmann ^®)). Die letzteren sind jedenfalls die wesenthchsten
Ursachen der sauren Gärung in der Brennereimaische (Bac.
acidificans longissimus L a f a r , Bac. Delbrücldi Leichmann),
in dem Sauerteig (Holliger ^^)) , in den sauren Bieren (Saccharo-
bac. pastorianus und Bac. Lindneri van liaer, Beijerinck,
H e n n e b e r g) , sei es, daß ihre Entwicklung dort, wie in dem Ber-
liner Weißbier (§ 94), dem Brüsseler „Lambic" (und „Kricken-
bier") und wahrscheinlich auch in dem russischen „Kwass", dem
Hirsebier der Neger usw. gewollt wird, sei es, daß sie sich als
Krankheitserscheinung einstellt (§,96a).
Ausnahmsweise geht die Säurebildung von anderen Bakterien
als Streptokokken und langen Bazillen aus, so im Ingwerbier
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11. 540, vgl. auch Wehmer ebenda 11
u. 14 (Sauerkraut). Wir selbst fanden übrigens im Sauerkraut lange Bazillen
(s, u.).
2) Ebenda 5. 513, 1899 (Gurken), s. auch den Abschnitt über Ein-
säuern in Laf ars Handb. 2. 310.
3) Basel. Dissert. 1899 (bei Aderhold).
4) Arch. f. Hyg. 36, 1898.
5) Kochs Jahresber. 1905, 428.
6) Ebenda 1898. 169.
7) Zeitechr. f. Hyg. 32, 1899.
8) Landwirtsch. Versuchsstation 28. 1883.
9) Deutsch, med. Woch. 1884. 777.
10) Landwirtsch. Versuchsstation. 43, 1894. Andere Bazillen dor
-jchleimigen Milch gehören zu den Heubazillen (§ 128). Weitere Kranlcheits-
erreger der Milch s. bei den Pigmentbakterien (§ 255).
11) Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 305, 1902.
Kruse» Mikrobiologie. 22
338 Kap. VI, f 111 u. 112.
der Engländer von dem durch eigentümliche, oft einseitige Hüllen
ausgezeichneten Ward schen^) Bact. vermiforme. Wenigstens lassen
sich diese nicht ohne weiteres in eine der beiden Gruppen der Milch-
säurebakterien einordnen'). Bei der Mehlteiggärung, die
unter starker Gasbildung verläuft, spielen nach Wolffin, K. B.
Lehmann, Fr. Pränkel, Papasotiriu, Holliger und
F. L e V y ®) das Bact. coli und levans (cloacae) die Hauptrolle. In
einigen Fällen scheint die Gärung überhaupt nicht auf die Tätigkeit
von Bakterien zurückzugehen, sondern auf die von Enzymen, die in
den Pflanzen selbst schon vorhanden sind.
Sehr häufig sind die Milchsäurebakterien nicht die einzigen Gärungs-
erreger in dem Nahrungsmittel, das sie verändern. So sind in dem
Kumys, Kefyr, Mazun und Leben, ferner im Sauerkraut (W e h m e r)
und Sauerteig, in der Brennereimaische und den oben genannten sauren
Bieren regelmäßig Hefen tätig, die alkoholische Gärung erzeugen.
Sproß- und Spaltpilze leben dabei offenbar mehr oder weniger in Ab-
hängigkeit voneinander (§ 50), meist in dem Sinne, daß die Hefen
durch die Milchsäurebakterien nicht nur vor anderen Schädlichkeiten
(z. B. Buttersäurebakterien in der Brennereimaische) geschützt, sondern
unmittelbar in ihrem Wachstum und Gärvermögen gefördert werden*);
manchmal, wie z. B. im Ingwerbier, ist die Symbiose aber eine gegen-
seitige, indem auch die Bakterienwirkung durch die Hefe begünstigt
wird. Die innige Gemeinschaft zwischen beiden Arten von Mikroben
zeigt sich darin, daß sie miteinander öfter zu mehr oder weniger festen
Klumpen, sog. Zooglöen, den „Kefyrkömem"*^) und der „Ginger-beer-
plant" (W a r d) verbunden sind. Durch Verbindung der Reinkulturen
der sie zusammensetzenden Mikroorganismen gelang es wiederholt,
die charakteristische Gärimg (von Freudenreich, Ward),
nur zum Teil aber auch die Kömerbildung hervorzurufen (Ward).
Man hat wie bei der alkoholischen Gärung (§ 94 — ^96) durch Hefe
versucht, den Verlauf der Milchsäuregärung dadurch zu sichern, daß
1) Philosoph. Transactions 183. B. S. 123, 1892.
2) Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem 'Bact. vermiforme und dem
Lactobac. caucasicus Beijerincks (Zeitschr. f. Spiritusind. 1902, 533)
ist freilich nicht zu verkennen.
3) Arch. f. Hyg. 49, 1904. Lit. Über die Art der Gase vgl. § 105.
4) Zum Teil scheint (in Kefyr und Leben) durch Hydrolyse des Milch-
zuckers die Gärung erst ermöglicht zu werden (§ 82), zum Teil bildet die
Milchsäure einen Reiz für die Hefe (§ 55). Auf die Bedeutimg der Milch-
ßäurebakterien für die Käsereifung kommen wir später zurück ( § 178).
5) Die Angaben über die Zusammensetzung wechseln erheblich. Vgl.
Kern, K rannhals, Beijerinck (Zentr. Bakt. 6. 44, 1889 und
"Zeitschr. f. Spiritusind. 1902. 533), Scholl, Adametz, v. Freu-
denreich (Landwirtsch. Jahrb. Schweiz. 1896).
Wandlungen der Kohlenhydrate. 339
man das Gärmaterial mit Reinlailturen beimpfte. So benutzt man seit
Storch und Weigmann^) Reinkulturen des Strept. lacticus
in Magermilch als „Säurewecker" bei der Butterherstellung, indem
man den rohen, oder besser bei 60 — 95^ pasteurisierten Rahm damit
versetzt. Ein schönes Aroma erzielt man entweder durch die
Auswahl bestimmter Rassen des Strept. lacticus^) oder die Zugabe
von besonderen Aromabildnern z. B. aus den Gruppen der
B. coli und aerogenes. Nach W e i g m a n n ') ist dazu geeignet ein
Bazillus K, ein „Aromabazillus", manche Abarten des Oidum lactis,
nach C o n n ein Bazillus Nr. 41, nach M a a ß e n das Bact. fragariae
und fragi, der Bac. praepoUens (vgl. § 173), nach Grimm ein Bac.
aromalicus lactis, nach S e v e r i n der Bac. aromaticus butyri.
Große Verbreitung haben seit L a f a r s *) Empfehlung Rein-
kulturen von langen Milchsäurebazillen bei der Herstellung des so-
genannten Hefegutes, mit dem die Breimereimaische beimpft wird
fs. 0. S. 282) gefunden. Es gelingt dadurch am besten, die Über-
^iicherung von fremden Bakterien, vor allem der Buttersäurebakterien,
zu verhindern und nebenbei wirkt die Milchsäure anscheinend als Reiz-
mittel für die Hefe.
§ 112. Verwertung der Säure- und Gasbildung zur Unter-
scheidung der Bakterien. In der bakteriologischen Diagnostik kann
man sich nicht darauf einlassen, jeden Fund eines bestimmten Bak-
teriums dadurch sicherzustellen, daß man ausführliche chemische Unter-
suchungen nach Art der in den § 98 — 109 beschriebenen^) anstellt,
sondern man bedarf einfacherer Verfahren. Wir stellen sie hier, so-
weit sie sich auf Säure- und Gasbildung beziehen, kurz zusammen,
indem wir auch die höheren Alkohole und Glykoside berücksichtigen.
Seit Buchner*) wurde ein Zusatz von Lackmus zum zucker-
haltigen Nährboden vielfach zum Nachweis einer Säurebildung von
Bakterien benutzt. Petruschky') empfahl dann die seitdem
vielfach®) angewandte Lackmusmolke zum vergleichenden Stu-
dium. Reichliche Säure bildeten der Fäzesbazillus B r i e g e r s , der
1) Milchzeitung 1890. 593 und 944.
2) Vgl. Weigraann, ebenda 1896. 793.
3) Vgl. Lit. bei Weigmann in Lafars Handb. 2. 299.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 194, 1896; 7. 871, 1900.
5) Wie man gesehen hat, lassen übrijrens gerewie die Untersucliungon
der für die medizinische Diagnostik wichtigsten patliogenon Bakterien in
(iieser Hinsicht noch viel zu wünschen übrig.
6) Arch. f. Hyg. 3, 418.
7) Zentr. Bakt. 1889; 7, 1890; 19, 1896.
8) Z. B. von G e r m a n o und M a u r e a für die typhiisähnlichen
Bakterien. Z i e g 1 e r s Beitr. 12, 1893.
22*
340 Kap. VI. § 112.
Bac. acidi lactici (aerogenes) H ü p p e s und Kapselbazillen, weniger
der Tjrphus- und Milzbrandbazillus und Micr. tetragenus, gar keine
Veränderung bewirkten Hühnercholera und Mäuseseptikämie, alka-
liscbe Reaktion erzeugten Schweinerotlauf, Schweineseuche, Strepto-
kokken ( ?) und Staphylokokken, Pyocyaneus, Proteus, Cholerabazülen
usw., femer der Bac. (faecalis) alcaligenes. Die Angreifbarkeit des
Milchzuckers entscheidet hier, wie in der ziemlich gleichwertigen, aber
leichter herzustellenden Lackmusmilch ^), wenn auch nicht
allein über die Säurebildung. Denn auch das Eiweiß kann in Säure
gespalten werden, wie es z. B. bei anderen Stämmen des Proteus vul-
garis meist geschieht^). Hier, wie auch bei schwächeren Graden von
Säuerung, die sich z. B. beim Typhus- und Ruhrbazillus finden, kann
man über den Ursprung der Säure im Zweifel sein, wenn man es unter-
läßt, auf Säurebildung in anderen Milchzuckernährlösungen (s. u.)
zu prüfen. Für die Alkalibildtmg in Milch oder Molke ist dagegen
wohl ausschließlich der Zerfall des Milcheiweißes in Ammoniak und
ähnliche Stoffe verantwortlich zu machen (vgl. §170, 171, 174). Man
darf sich natürlich nicht wundern, wenn v. Sommaruga3)in den
gewöhnlichen Fleischsaftnährböden durch Titrie-
rung mit Rosolsäure fast ausschließlich Alkalibildung feststellte, weil
sie eben zuckerfrei oder -arm zu sein pflegen. Als er später*) Gly-
zerinnährböden benutzte, erhielt er ebenso häufig Säure, weil
Glyzerin der sauren Gärung zu verfallen pflegt {§ 131). Unter den
geprüften Mikrobien machten nur der Pyocyaneus, eine weiße Hefe
und ein Trommelschlägerbazillus Ausnahmen. Später wurden die
einzelnen Zuckerarten systematisch auf Säureentwicklung geprüft.
Dabei zeigte sich, daß Traubenzucker noch regelmäßiger
zersetzt wird wie Glyzerin (Th. S m i t h ^)) , K. B. L e h -
mann und Neumann®), Kruse "')). Vielleicht gibt es kein bei
Sauerstoffabschluß gedeihendes Bakterium, das diesen Stoff unberührt
läßt. Hier, wie auch bei den strengen Aerobiem kann freilich die
Säure- durch die Alkalibildung verdeckt werden, wird aber dann häufig
noch deutlich, wenn man auf Oberflächen®) z. B. mit Lackmus
1 ) Vgl. z. B. Kruse, Kittershaus, Kemp und Metz
(Zeitschr. f. Hyg. 57) für Dysenterie und Pseudodysenterie.
2) Bienstock, Arch. f. Hyg. 39, Weber, Zontr. Bakt. 33 u. § 169.
3) Zeitschr. f. Hyg. 12, 1892.
4) Ebenda 15, 1893.
5) Zentr. Bakt. 18, 1896.
6) Grundriß, 4. Aufl. S. 86.
7) Nicht veröffentlichte Untersuchungen.
8) Bei manchen fakultativen Anaeroben kann freilich umgekehrt die
Säurebildung durch anaerobe Züchtimg bewirkt werden. Vgl. u. (S. 349)
bei den Pneumokokken (Salomon).
Wandlungen der Kohlenhydrate. 341
versetzten Platten oder Schrägagar züchtet und nicht zu wenig
Zucker, d. h. mindestens 1 — 2% nimmt. Diese letztere Vorschrift
gilt überhaupt für jede Prüfung mit den verschiedensten Zuckerarten.
Bei 0,1 — 0,4% Zuckergehalt kann nach unseren Erfahrungen bei D y -
senterie und Pseudodysenterie^) ein Fehlen der Säue-
mng dadurch vorgetäuscht werden, daB die Alkalibildung überwiegt.
Untersucht man allerdings früh genug, so erhält man auch hier fast
stets^) saure Reaktion, erst später alkalische. Von dem ungleichen
Eiweißzersetzungs- bzw. Ämmoniakbildungsvermögen (oder von der
Fähigkeit Säure zu verzehren? vgl. § 149) hängt es ab, ob die saure
Reaktion bis zu Ende fortbesteht oder nicht. So können wir die einzelnen
Stämme der Pseudodysenterie danach kennzeichnen, ob die Kulturen
bei 0,2, 0,4 oder erst bei 1% Zuckerzusatz dauernd sauer bleiben. So
erklärt sieh jedenfalls auch das von Proskauer und Capaldi^)
angegebene unterschiedliche Verhalten des B. coli und typhi
in 0,1 — 0,2% Traubenzucker- imd Mannitlösiingen. Ebenfalls werden
dadurch veiständlich die Beobachtungen, die man über die Säure-
bildung des Diphtheriebazillus gemacht hat*). Wenn Trau-
benzucker (aus dem Glykogen des Fleisches) in der Bouillon schon
v^orhanden ist oder ihr künstlich zugesetzt wird, wird Säure gebildet;
sobald die Zuckermenge aber klein ist, nur vorübergehend. Der von
vomheiein vorhandene Alkaleszenzgrad spielt dabei insofern eine Rolle,
als er, wenn gering, die Säuerung begünstigt.' Eine gewisse Wandelbarkeit
der Bazillen ist zwar unbestritten; ob daneben beständige Stam-
mesverschiedenheiten vorkommen, aber noch fraglich. Die Pseudo-
diphtheriebazillen bilden, wie Peters^) in meinem Laboratorium
feststellte, meist, aber nicht immer, weit weniger Säure als die
Diphtheriebazillen. Nach den neuen Versuchen L u b e n a u s *) gilt
das Übergewicht der Diphtheriebazillen in bezug auf das Gärungs-
vermögen auch nur für Trauben-, Frucht-, Malzzucker und Dextrin,
nicht für Milch- und Eohrzucker, und nach G o o d m a n ist es so der
Variabilität unterworfen, daß es völlig verschwinden kann
{§ 353). Auch für die Unterscheidung der Menschen- und Säugetier-
1) Zeitechr. f. Hag. 67. 422.
2) Emigestrenge Aerobier, wie derBac. alcaligenes, gewisse Sporen-
bildner und Kokken (s. u.) gehören zu den Ausnahmen.
3) ZeitBchr. f. Hyg. 23, vgl. S i o n und N e g e 1 , Zentr. Bakt. 32. 593.
4) Vgl. S pr o n ck ,' Annal. Pasteur 95, Madsen, Zeitschr. f.
Hyg. 26, 1897 u. Zentr. Bakt. 25, 1899;vanTurenhout, ref. Zentr.
Bakt. 18. 295; C o b b e 1 1 , Annal. Pasteur 1897; H e 1 1 s t r ö m , Zentr.
Bakt. 25, 1899; Hubert, Zeitschr. f. Hyg. 29, 1898.
5) Sitzungsber. niederrhein. Ges. Nat. u. Heilk. 1896.
6) Arch. f. Hyg. 66, 1908.
342 Kap. VI, ! 112.
tuberkelbazillen läßt sich nach Th. S m i t h ^) die Sanie
bildmig benutzen. Nur die eisteren vermögen (aus Glyzerin) Säure
zu entwickeln.
Umfangreiche vergleichende Untersuchungen über die Säure-
bildung von 31 Kulturen stellte S e g i n *) unter Leitung D i e u -
d o n n e s in Lösimgen an, die außer 1% Zucker und Lackmustinktur
noch Nutrose') (Milchkasein) enthielten und dadurch gleichzeitig
der Farbenänderung und der Gerinnung zugänglich waren. Der
Traubenzucker wurde von allen zersetzt mit Ausnahme des Bac. faecalis
alcaligenes, Micr. tetragenus Lode und Staphylococcus citreus, die
vielleicht bei anderen Versuchsanordnungen auch positiv reagiert
hätten. Fruktose und Galaktose verfallen zwar auch regelmäßig in
saure Gärung, aber namentlich bei letzterer führt die Säuerung nicht so
leicht zur Gerinnung*). Maltose erwies sich erheblich widerstands-
fähiger, z. B. gegenüber manchen Paratyphusbazillen und dem Bac.
dysenteriae (s. u.). Rohrzucker wurde leider nicht geprüft, Milchzucker
blieb noch öfter unberührt, z. B. durch den Typhusbazillus und die
meisten Paratyphusbazillen, während allerdings einige andere, die den
Malzzucker nicht vergoren, hier Säure bildeten (s. u.). Auch
die Dysenteriebazillen bildeten kleine Mengen davon (s. u.). Baffi-
nose, Erythrit, Dulzit, Querzit, Glykoheptose wurden nur aus-
nahmsweise angegriffen, die Pentosen Arabinose und Xylose dagegen
wieder häufiger, z. B. durch den Coli- und Typhusbazillus (vgl.
Harden S. 303).
Eine Anzahl von Bakteriengruppen wurde besonders gründhch auf
ihr Verhalten zu den Zuckerarten geprüft. Dabei wurde zimieist aber
nicht die Säure, sondern nur die Gasbildung berücksichtigt. Wir haben
gesehen (§ 105), daß von Bakterien*) Gas ohne Säure überhaupt
nicht gebildet wird, dagegen umgekehrt Säure ohne Gas ziemlich häufig.
Die Untersuchimgen über die Coli-Typhusgruppe (im engeren
1) Joum. medic. resoarch. 13, 1905.
2) Zentr. Bakt. 34, 1903; 2. Abt. 12, 1904.
3) Vgl. auch den Milchzucker-Nutrosenährboden von Barsiekow
(Wien. klin. Woch. 1902. 44) und Klopstock (Berl. klin. Woch. 1902.
34). Statt der Nutroso kann man nach Segln mit ähnlichem Erfolg
auch einen Zusatz von Kindersorimi (10%) benutzen. Kahlbaum sehe
Lackmiislösung empf ielilt sich melu* wie Mercksche, weil sie weniger
leicht reduziert wird.
4) S e g i n möchte das mehr durch Ungleichheit der Säurebeachaffen-
heit als der Säuremenge erklären.
5) Auch die Hefen machen keine Ausnahme, wenn auch die Säure-
bildung gering ist (§90) und die saure Reaktion hier im wesentlichen
von der Kohlensäure abhängt.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 343
Sinne) sind so zahlreich, daß wir sie hier nicht alle anführen können.
Es hat sich stets herausgestellt, daß die wichtigsten patho-
genen Vertreter dieser Gruppe^), die Typhus- ebenso
wie die Dysenterie und Pseudodysenteriebazillen, die vielleicht wegen
ihrer Unbeweglichkeit besser zu der Aerogenesgruppe (s. u.) zu stellen
wären, aus sämtlichen Zuckerarten kein Gas, da-
gegen aus Traubenzucker und Glyzerin viel Säure
bilden, wahrscheinlich aber auch andere Hexosen und Pentosen
mehr oder weniger säuern, während die übrigen Zuckerarten sich ihnen
gegenüber ungleich verhalten. Der Typhusbazillus säuert,
wie wir aus den Arbeiten von C a p a 1 d i und Proskauer (s. o.),
Lentz*), Conradi, von Drigalski und Jürgens*),
Segin (s. o.) ersehen, Malzzucker, aber Milchzucker überhaupt nicht,
oder höchstens ganz unbedeutend. Daraus erklärt sich auch das Ver-
halten zur Milch und zur Lackmusmolke. Rohrzucker wird nach C. 0.
Jensen und B a h r ^) nicht angegriffen, ebensowenig Dextrin und
Inulin nach L'entz. Von den Zuckeralkoholen wird nur Mannit,
nach C a p a 1 d i und Proskauer auch Sorbit, und zwar stark,
vergoren. Die Dysenteriebazillen vergären nach unseren
eigenen umfassenden Untersuchungen (s. o.) sowie nach L e n t z ,
His u. a. zwar auch nicht Milchzucker, Dextrin und Inulin, aber
ebensowenig Mannit und gewöhnlich auch nicht Maltose. Allerdings
haben sich im letzteren Punkte Ausnahmen gefunden. In Rohrzucker
fallen die Proben auch recht verschieden aus. Die Pseudodysen-
teriebazillen wurden zwar von Lentz als Mannitver-
gärer erkannt, im übrigen zeigen sie große Verschiedenheiten, wie
namentlich aus den Arbeiten von F 1 e x n e r und Holt, Hiß^),
1) Unter den nicht pathogenen wird gewöhnlich der Bac. f ae-
calis alcaligenes, als ein jedes Säuerungs- und Gärungsvermögens
entbehrender Verwandter des Typhusbazillus angefülirt, es ist das zwar
richtig und trifft auch für den Bac. aquatilis sulcatus Weichselbaums,
den Bac. innocuus Kruse (aus Milch), die man fast mit dem Bac. alca-
iigens identifizieren kann, zu, insofern stehen aber alle diese Bakterien
eigentlich außer Wettbewerb, als sie strenge Aerobier sind. Die
Bazillen der hämorrhagischen Septikamie, die ebenfalls kaum als fakultative
Anaerobier zu bezeichnen sind, aber meist mehr oder weniger Säure aus
Kohlehydraten bilden, stehen schon in morphologischer Beziehung etwas
abeeits von der Coli- und Aerogenesgruppe. Dagegen ist der Bazillus der
Pseudotuberkulosed er Nagetiere nach meinen Untersuchungen
ein nächster Verwandter des Typhusbazillus.
2) Zeitschr. f. Hyg. 41. 560.
3) Zeitschr. f. Hyg. 42. 153.
4) Zentr. Bakt. 39. 267, 1905.
5) Journ. medic. research. Dez. 1904.
344 Kap. VI, § 112.
S h i g a ^) und unseren eigenen hervorgeht. Zunächst gibt es Stamme,
die sogar Milchzucker in mehr oder weniger erheblichem Grade ver-
gären, von einigen wird auch Rohrzucker und Malzzucker enei^sch
angegriffen. Es ist aber nicht möglich, wie H i ß es versucht, abge-
sehen von der Milchzuckergruppe, die auch sonst deutlich verschieden
ist, andere auf Grund der Rohr- und Malzzucker Vergärung zu bilden.
Dazu ist das Verhalten der Stämme zu unbeständig (vgl. § 353).
Brauchbarer zur Gruppeneinteilimg ist das Verhalten gegenüber agglu-
tinierendem Serum.
Die Paratyphus-, Enteritidis- oder, wie sie zuerst
von Th. Smith genannt wurde, Hogcholeragruppe zeichnet
sich dadurch aus, daß der Traubenzucker nicht bloß gesäuert, sondern
unter Gasbildung vergoren wird 2) und der Milchzucker unverändert
bleibt^). Im übrigen bestehen erhebliche Verschiedenheiten zwischen
den einzelnen Untergruppen und Stämmen*). So fanden S e g i n
(s. o.) und Bahr bei einigen ihrer Kulturen, daß sie die Pentosen
unberührt ließen. Jensen und Bahr schreiben femer zwar der
Gruppe die Eigenschaft zu, Malz- und Rohrzucker nicht anzugreifen,
in ersterer Beziehung lauten aber, wie wir sahen, die Angaben von
Segin verschieden; in letzterem scheint allerdings, nach den in
meinem Laboratorium von Trautmann ^) gemachten Erfahrungen,
die Jensen sehe Regel zu gelten, während T w o r t *) die A n -
passungsmöglichkeit der Paratyphusbazillen an die Rohr-
zuckervergärung behauptet. Glyzerin und Mannit wird allgemein
vergoren, die übrigen Zuckeralkohole unregelmäßig (Bahr '')).
Die bisher genannten Bakterien (Typhus, Dysenterie, Pseudo-
dysenterie imd Paratyphus), die — zufälligerweise? — gerade die
pathogenen Vertreter der Coligruppe sind, zeichnen sich, wie aus dem
1) Zeitechr. f. Hyg. 60. 78.
2) Auch für die anderen angegriffenen Zuckerarton gilt fast stets
die Kegel, daß sie in Säuren und Gase zerfallen. Einige Ausnahmen s. bei
Jensen.
3) Wir wollen aber dahingestellt sein lassen, ob nicht auch in dieser
Beziehung Übergänge zur eigentlichen Koligruppe bestehen.
4) Vollständige Literatur s. bei Kutscher, Paratyphus, in
Kolle- Wassermann, Handb. 1. Erg.-Bd. 2. H., 1907 ; vgl. auch
Mac-Conkey, Joum. of hyg. 1905. Keine Unterschiede findet Z u p -
n i k , Zeitschr. f. Hyg. 52. 531.
6) Zeitsclir. f. Hyg. 45.
6) Proceedings Roy. Soc. 79. 329.
7) Die Vergärung von Zitronen- und anderen Säuren, die von Jen-
sen und Bahr zur Unterscheidung von Paratyphusbazillen empfohlen
wird, eignet sich nach Trommsdorff (Areh. f. Hyg. 5ö) nicht dazu.
Über die Brauchbarkeit der Glykoside vgl. T w o r t.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 345
obigen hervorgeht, durch den Mangel an Gärvermögen gegenüber dem
Uilchzacker aus, während die im folgenden zu besprechenden eigent-
lichen Coli- (und Aerogene8-)bazillen auch den Zucker zu vergären
pflegen. Man hat darauf eine ganze Anzahl von Züchtungs ver-
fahren aufgebaut, indem man Milchzucker dem als Platte dienenden
Nährboden zufügte und zum Eenntlichmachen der Säure bzw. keine
Säure bildenden Kolonien, Farbstoffe, wie Lackmus ( W ü r t z ) , Lack-
mus mit Kristallviolett und Nutrose (Conradi und v. Drigalski),
SäDrefuchsin mit Natriumsulfit (Endo), Säurefuchsin und Mala-
chitgrün (K i n d b o r g) zusetzte. Bei vorsichtigem Gebrauch erweisen
sie sieh recht nützlich, man beobachtet aber gerade hier recht häufig,
daß die aus dem tierischen Körper entnonmienen Bakterien zwar in
•1er ersten Plattengeneration den Milchzucker unzersetzt lassen, sich
aber spater ändern (s. u. bei den Aerogenesbazillen und § 353).
Die Coligruppe im engsten Sinne umfaßt diejenigen nach
ihren sonstigen morphologischen und kulturellen Merkmalen hierher-
gehörigen Bakterien, die außer Traubenzucker auch Milchzucker unter
Uasbildung vergären. Im übrigen finden sich große Unterschiede,
wie schon vor längerer Zeit Th. Smith, Rodet und R o u x ,
Gilbert und Lion, Pere, Germano und M a u r e a
(s. o.) in meinem Laboratorium u. a.^) gegenüber Rohrzucker und
anderm Zucker, später in besonders umfassender Weise, d. h. an vielen
Stämmen und gegenüber allen möglichen Zuckern C. 0. Jensen*)
und Mac Conkey*) feststellten. Ersterer, der außer Glykose und
Laktose auch Fniktose, Galaktose und Mannose, Arabinose und Xylose,
Maltose und Melibiose, Mannit und Sorbit gleichmäßig durch alle
Stämme vergären sah, unterschied zunächst nach ihrem Verhalten
zu Rohrzucker (imd Raffinose) zwei Untergruppen und teilte diese dann
nieder in Unterabteilungen, je nachdem sie Sorbose, Rhamnose, Gly-
zerin, Adonit und Dulzit zersetzten*). Mac Conkey, der den
1 ) Literatur bei Pfaundler in Kolle-Wassermann,
Handb. 2. 349.
2) S. bei Bahr a. a. O. und bei Jensen, „Kälberruhr" in K o 1 1 e -
Wassermann, Handb. 3. 174. Die Angaben bei C a p a 1 d i und
Proskauer sind leider wegen des zu geringen Zusatzes von Zucker
nicht zu gebrauchen, beziehen sich auch nur auf einen Stamm. Das letztere
?ilt auch für die genaueren Angaben P 6 r 6 s , die S. 309 wiedergegeben
wurden.
3) Joum. of hyg. 1905.
4) Als weitere Unterscheidungsmerkmale können gelten die Fähig-
keit. Zitronen-, Glukon-, Zucker-, Schleim- und Traubensäure zu ver-
tmren, den Stickstoff aus Ammoniaksalzen und Amiden oder manchen
Peptonen und Albumosen zu verwerten, Indol zu bilden usw.
346 Kap. VI. § 112.
Colibazillen außerdem noch das Vermögen, Dextrin, aber nicht Inidin
und nur auBnahmsweise Stärke zu zersetzen, zuschrieb, stellte nach
dem Verhalten zu Rohrzucker und Dulzit vier Untergruppen auf. Die
Vergärung von Glykosiden untersuchten Twort (s. o.) und van der
Leck^) und fanden dabei ebenfalls große Unterschiede (§ 156).
In nächster Beziehung zu den KoUbazillen und kaum von ihnen
scharf zu trennen^) stehen zwei andere „Sammelarten", die des B a e.
aerogenes und des Bac. cloacae. Unter dem ersteren Namen
faßt man gewöhnlich die unbeweglichen, häufig schleimbildenden
Formen, unter den letzteren am besten die verflüssigenden und gas-
bildenden, natürlich auch gramnegativen und sporenfreien BazUlen
mit Ausnahme der Proteusgruppe zusammen. Der Bac. coli aerogenes
im engeren Sinne (Escherich) vergärt nach Mac Conkev die-
selben Zucker wie der B. coli commimis und außerdem Bohrzucker, nicht
Dulzit, der naheverwandte Bac. pneumoniae Friedländer auch den
Dulzit, der Bac. acidi lactici H ü p p e weder Bohrzucker noch Dulzit.
Perkins') unterscheidet dagegen den Bac. aerogenes, (einschließ-
lich vieler „Eapselbazillen"), der alle Kohlehydrate vergären soll, von
dem Bac. pneumoniae, der nur die Laktose und dem Bac. acidi lactici,
der nur den Rohrzucker unberührt läßt. Sicher gibt es Formen mit
diesen Eigenschaften, die Namen sind aber willkürlich gewählt. Es
fehlt wohl auch nicht an Übergängen, z. B. solchen „Pneumonie-
bazillen", die Milchzucker schwach vergären, nach D e n y s und Mar-
tin^) läßt sich auch das schwache Oärvermögen durch fortgesetzte
Kultur in Milch erheblich steigern. Wir selbst haben öfter aus Urin
hierhergehörige Bazillen gezüchtet, die ursprünglich sich durch ihr
schwaches oder mangelndes Gärvermögen in Milch und selbst in Trau-
benzucker auszuzeichnen schienen, aber daim bei fortgesetzter Züch-
tung kräftige Gärungserreger wurden. Auf Grund aller dieser Er-
fahrungen kann man auf die Unterscheidungsmerkmale der sogenannten
Rhinosklerom- und Ozänabazillen von Pneumonie- und Aerogenes-
bazillen keinen großen Wert legen. Die ersteren sind anscheinend nur
Rassen, die durch den Aufenthalt im lebenden Körper ihr Gärvermögen
mehr oder weniger eingebüßt haben^). Über das Verhalten der Aero-
genesgruppe zu Glykosiden vgl. Twort und vanderLeck(s. o.).
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 17, 1907.
2) Vgl. meine Darstellung in Flügges Mikroorgan. 3. Aufl. 2. 336,
1896.
3) Journ. of infect. dis. 1904. 24.
4) Cellul. 9. 261, 1893.
6) Klemperer und S c h e i e r (Zeitschr. f. klin. Mediz. 45)
haben durch Agglutinationsversuche die Identität der Khinosklerom- und
PneTimoniebazillen noch walirscheinlicher gemacht.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 347
Nach Mac Conkey verhält sich der Bac. cloacae (Jor-
dan) aach in seinen aus Fäzes gewonnenen Stämmen im wesentlichen
gegenüber den Zuckerarten wie der Bac. aerogenes (s. o.). Jedoch
unterscheidet er sich nach Th. Smith u. a., wie wir schon S. 327
sahen, von ihm, wie von der Coli- und Paratyphusgruppe sowie den
Proteusbazillen (s. u.) durch die Zusanmiensetzung seiner Gänmgsgase,
indem bei jenen die Kohlensäure überwiegt, bei diesen der Wasser-
stoff. Eine einzelne Prüfung darf freilich nach Mac Conkey nicht
als entscheidend betrachtet werden, weil gelegentlich Abweichungen
vorkommen. Inmierhin hat sich auch uns wie Jordan u. a. die
Äbsorptionsprobe mit Kalilauge im Gärungsröhrchen als nützlich er-
wiesen, um die manchmal erst spät verflüssigenden Bakterien der
Cloacaegruppe sofort als solche zu erkennen.
Der schon durch seinen Fäulnisgestank leicht erkennbare Bac.
Proteus ist ein weiterer Gasbildner in Zuckerarten. Nur Milchzucker
bleibt untersetzt (Smith, Kruse u. a.), Rohrzucker und selbst
Traabenzucker wird aber nach R. Weber*) mit wechselnder Kraft
angegriffen.
Als Grasbildner in Traubenzucker wäre sonst noch zu erwähnen
seltenere Rassen des Bac. prodigiosus, fluorescens liquefaciens und
non hquefaciens, man könnte sie fast als gefärbte Abarten der KoU-,
AerogMies-, Cloacae- oder Proteusgruppe ansehen, wenn sie sich nicht
durch die Anordnung ihrer Geißeln meist als „|^seudomonaden" (M i g u 1 a
?gL § 359) erwiesen. Von den sporenbildenden Bazillen scheinen wesent-
lich nur die strengen Anaerobier zur Vergärung der Kohlehydrate
unter Gasbildung^) befähigt zu sein, doch gibt es auch einige fakultative
Anaerobier unter ihnen (S. 316). Wir kommen auf die unterschiede
der Anaerobier bei der Buttersäuregärung (§ 113 ff.) zurück, erwähnen
aber hier den interessanten Versuch Achalmes*), durch Züchtung
in Nährlösung mit gekochtem Eiweiß und Zusatz
verschiedener Kohlehydrate die einzelnen Arten der
Anaerobier zu trennen. Leider entsprechen seine Angaben in vieler
Beziehung nicht den Erfahrungen anderer Forscher, wie Tissier,
Martelly und Gasching*), Grassberger und Schattenfroh.
Unter den Spirillen gibt es keine Gasbildner, sie sind ja auch
meist strenge Aerobier; unt«r den Kokken wenigstens keine,
die gleichzeitig Wasserstoff und Kohlensäure oder etwa so viel von
1) Zentr. Bakt. 33. 1.
2) Säure wird öfter gebildet, zum Teil allerdings offenbar aus den
Eiweißstoffen.
3) Annal. Paateur 1902.
4) Ebenda 1902 und 1903.
348 Kap. VI, § 112.
letzterer allein wie die Hefe bilden. Dagegen sind namentlich Strep-
tokokken als fakultative Anaerobier und Saurebildner bekannt
(vgl. § 97). Man hat vielfach versucht, das Verhalten derselben zu den
Kohlehydraten zur Unterscheidung der zahlreichen Abarten der Strepto-
kokken zu benutzen. So sollen, um nur Arbeiten der neuesten Zeit
zu erwähnen, nach G o r d o n ^) 300 aus Speichel gesunder Personen
gezüchtete Streptokokken in Lackmusbouillon mit Saccharose luid
Laktose Säure bilden, selten mit Raffinose und Salizin oder anderen
gärfähigen Stoffen, niemals mit Mannit, 300 aus Fäzes stammende
Streptokokken zersetzten außer Saccharose regelmäßig Salizin, häufig
Laktose, seltener Raffinose und Mannit. Von 200 aus dem kranken
Körper stammenden Streptokokken wurde regelmäßig Saccharose und
Laktose gesäuert, nur ausnahmsweise einer der übrigen Stoffe. Die
späteren üntersucher Natvig, Baumann, Schultze-),
Nieter^), Baumgarten und letzthin S a 1 o m o n *) in einer
sehr ausführlichen Arbeit kamen, wenn man von Schnitze ab-
sieht, der mit E. Franke 1 den Lackmuslaktoseagar zur Unterscheidung
empfiehlt, zu weniger günstigen Ergebnissen. Trotzdem glaubt 8 a 1 o -
m o n nach ihrem Verhalten auf der Oberfläche von Lackmus- ABzites-
agar, dem vergärbare Stoffe zugesetzt werden, unter gleichzeitiger
Benutzung derHäraolyse (§ 312), Gestalt und Schleimbildung folgende
„natürliche" Einteilung der Streptokokken aufstellen zu können.
A. Gruppe des Strept. pydgenes:
Regelmäßige Hämolyse in Blutplatten. Säurebildung aus Dex-
trose, Lävuloso, Galaktose, Mannose, Maltose, Saccharose, nur aus-
nahmsweise aus Arabinose. Nach ihrem Verhalten zu Stärke, Milch-
zucker, Glyzerin, Mannit und Raffinose kann man folgende Unter-
abteilungen unterscheiden:
I. Strept. pyogenes (5 Stämme von Eitererregern). Säure wrd aus
löslicher Stärke und Milchzucker gebildet, nicht aus Glyzerin,
Mannit und Raffinose;
II. aus Blut gezüchtete Stämme (7) bilden Säure aus Mannit und
Glyzerin, zum Teil aus Raffinose, weniger oder gar nicht aus
Stärke und meist auch nicht aus Milchzucker;
III. aus diphtherieverdächtigen Fällen gezüchtet (9), säuern Stärke
und Raffinose regelmäßig, meist auch Milchzucker; Mannit und
Glyzerin, wenn überhaupt, nur in geringem Grade, Arabinose
ausnahmsweise ;
IV. vereinigt vorläufig 17 aus diphtherie verdächtigen Fällen ge-
züchtete Stämme. Die ersten 11 von ihnen würden, wenn sie
1) Lancot 1905 I.
2) Münchn. med. Woch. 1907. 24.
3) Zoitschr. f. Hyg. 56, 1907.
4J Zentr. Bakt. 47. 1, 1908 mit Lit.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 349
Hämolyse verursachten — die Prüfung darauf wurde unterlassen —
in die Gruppe I gehören, die letzten 6 würden eine Gruppe für
sich bilden, da sie zwar Stärke und Mannit säuern, nicht aber
Raffinose und Glyzerin.
B. Gruppe des Strept. mucosus, kennzeichnet sich durch schleimiges
Wachstum und grünen Farbstoff in Blutplatten:
I. (4 Stämme) bilden Säure aus den meisten Hexosen luid Disaccha-
riden, femer aus Glyzerin, Arabinose und Mannit, nicht aus Raffi-
nose und löslicher Stärke.
II. (6 Stämme) greifen nach 24 Stunden nicht, nach 48 selten eins
der Kohlehydrate usw. — am ehesten noch Glykose — an.
C. Gruppe der Pneumokokken (3 Stämme), morphologisch und kulturell,
sowie durch grünen Feurbstoff in Blutplatten und fehlende Säurebildung
charakterisiert.
D. „Saprophytische" Streptokokken (6 Stämme aus dem Menschenkörper),
hamolysieren nicht, säuern Hexosen und Disaccharide, femer meist
Stärke, selten Raffinose oder Mannit, nicht Glyzerin.
Gerade die echten saprophytischen Streptokokken aus Milch, Fäzes usw.
wurden leider nicht -geprüft. Wie wenig natürlich die Einteilung ist, zeigt
sieh schon aus den meuinigfachen Ausnahmen imd Übergängen, die S a 1 o -
mon zum Teil in eine Gruppe E vereinigt.
Eine zweite Versuchsreihe Salomons in Bouillon nut den ent-
sprechenden Zusätzen — d. h. bei verhältnismäßigen Sauerstoffabschluß —
ergab femer ein ganz anderes Bild. Hier bildeten auch die Pneumokokken*)
namentlich aus Glykose, aber auch aus löslicher Stärke und Raffinose
Säure, und Glyzerin und Mannit wurden auch vom Streptococcus pyo-
genes aus Anginen angegriffen.
Diese Einteilung hat also höchstens bei einer ganz bestimmten
V< rsuchsanordnimg Wert. Wir haben sie aber doch gebracht, um die
•S^bwierigkeiten zu zeigen, die sich einer natürlichen Gruppierung
<ler Streptokokken entgegenstellen. Noch gar nicht dabei berück-
sichtigt ißt die Tatsache, daß es auch sehr pathogene Streptokokken
gi))t, die nicht hamolysieren (§ 312), und die sämtlichen Eigenschaften
der Streptokokken veränderlich zu sein scheinen (Kap. XVITI).
Die streng luftliebenden Meningokokken lassen sich nach v. L i n -
gelsheim*) am besten von ihren Verwandten unterscheiden auf
Lackmus-Aszites-Agarplatten mit Zusätzen von Kohlehydraten. Sie
selbst bilden nämlich Säure aus Glykose und Maltose, nicht aus Fruktose,
Galaktose, Milchzucker, Rohrzucker, Inulin, Mannit und Dulzit. Ein
Diplococcus flavus pharyngis vergärt auch Fruktose, der Dipl. crassus
(Meningococcus Jägers) außerdem Galaktose, Rohr- und Milch-
zucker, der Micr. catarrhalis keinen der genannten Stoffe. Nach R o t h 3)
1) Daß sie — bei längerem Aufenthalt — regelmäßig Milchzucker
in Milch und Traubenzucker im Stich zersetzen, ist ja eine alte Erfahrung.
2) Klin. Jahrb. 15, 1905.
3) Zentr. Bakt. 46. 647, 1908.
350 Kap. VI, § 112 u. 113.
erhält man auf diese Weise auch ein Unterscheidungsmerkmal für die
sonst selbst durch Serumreaktionen schwer von Meningokokken zu
trennenden Gonokokken, denn sie säuern nur Glykosenährboden.
§113. Buttersänre- nnd Bntylalkoholgärung ^). Während die
Buttersäure schon 1814 von Chevreuil gelegentlich seiner Unter-
suchungen über die Zusammensetzung der Fette entdeckt worden ist,
hat man erst in den vierziger Jahren die Beobachtung gemacht, daß
sie auch bei Gärungen entstehen könne, und zwar zunächst bei Ver-
gärung des weinsauren, dann des milchsauren Kalkes
(P e 1 o u z e und G 6 1 i s *). 1861 führte dann Pasteur') die letz-
tere Gärung imd 1863 die erstere*) auf die Tätigkeit von Mikroorganis-
men, und zwar auf Bakterien zurück, die er wegen ihrer Beweglichkeit
„Infusorien" nannte (Vibrions butjniques). Epochemachend wurden
diese Untersuchungen dadurch, daß Pasteur die streng anaerobe
Natur beider Prozesse nachwies. Prazmowski*) studierte 1880
eine Art von Buttersäurebakterien, die er Bacillus amylobacter oder
Qostridium butyricum nannte, ohne aber zu sicheren Reinkulturen
zu gelangen. Deshalb haftet seinen Angaben eine gewisse Unsicher-
heit an. Nach ihm würde das Clostridium nicht nur milchsaure Salze,
wie die bisher genannten, sondern auch Zuckerarten in Buttersäure-
gärung versetzen. Die ausgedehnten Untersuchungen von Fitz leiden
ebenfalls unter dem Fehler, daß sie nicht mit Beinkulturen angestellt
sind. Er wies zunächst nach®), daß eine ganze Reihe von Substanzen,
Kohlehydrate wie Rohrzucker und Stärke, höhere Alkohole wie Mannit,
Glyzerin, Erythrit, milchsaure und andere fettsaure Salze einer Butter-
säuregärung unterliegen (vgl. § 139 ff.). 1882 beschrieb er dann genauer
einen Bac. butylicus, der aus Rohrzucker, Mannit und Glyzerin nicht
nur Buttersäure, sondern auch Butylalkohol zu bilden vermochte").
Die erste Reinlniltur von Buttersäurebakterien gelang nach seinem
eigenen Anspruch H ü p p e ®). Doch wachsen seine Bakterien im
Gegensatz zu den vorgenannten bei Sauerstoffzutritt besonders gut
1) Die Pektinvergäning, die ebenfalls eine Buttersäuregärung zii
sein scheint, wurde schon § 76 besprochen, die Zellulosevergärung folgt
später (§ 117). Über die Bestimmung der Säuren s. Anm. 1, S. 312;
über die der Gase § 221.
2) Compt. rend. ac. sc. 16, 1262, Joum. prakt. Chem. 29, 1843.
3) Compt. rend. 52. 344 und 1260.
4) Ebenda 56. 416.
5) Über die Entwicklungsgeschichte und Formentwicklung einiger
Bakterien. Dissert. Leipzig 1880.
6) Ber. chem. Ges. 1876. 1348; 1877. 276; 1878, 42; 1880. 1309.
7) Ebenda 1882. 867.
8) Mitteil. Gesundheitsamt 2. 353, 1884.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 351
and sind nicht imstande, Zucker' in buttersaure Gärung zu versetzen,
sondern nur (Eiweiß ? und) milchsaure Salze. Auch ist die Menge der
gebildeten Säuie ziemlich gering. Offenbar gehört dieser Bac. pseudo-
butyricus (K r u s e) zu der Gruppe der Heu- oder Kartoffel-
bazillen, von denen, wie Löffler^) nachgewiesen hat, viele
dieselbe Eigenschaft besitzen. Wir sprechen von diesen uneigentlichen
Buttersäurebakterien hier nicht, ebensowenig wie von den strengen
Anaerobiem, die Buttersäure nur aus Eiweiß (s. u. und § 168) oder
milchsauren Salzen (§ 142) zu bilden vermögen. Jedenfalls steht fest,
daß die Buttersaurebildung aus Kohlehydraten, die uns hier allein
interessiert, ganz wesentlich von strengen Anaero-
biern vollzogen wird*). Wenn, wie wir schon bei (Jelegen-
heit der Milchsäuregärung (§ 110) gesehen, hin und wieder Spuren
von Buttersäure auch von nicht sporenbildenden aeroben oder fakul-
tativ anaeroben Bakterien gebildet werden, so könnten wir wie bei den
Heubazillen auch hier noch daran zweifeln, ob der Ursprung der Butter-
säaie in dem vergorenen Zucker zu suchen ist. Die Möglichkeit darf
aber natürlich nicht von vornherein abgelehnt werden, da Übergänge
allenthalben vorkommen und es neuerdings gelungen ist, echte anaerobe
Buttersäurebazillen (Rauschbrandbazillen) wenigstens zeitweise zum
Wachstum bei Sauerstoffzutritt zu bewegen (Graßberger^),
^vgl. u. Beijerinck und Bredemann).
Die erste anscheinend gelungene Reinkultur eines echten Butter-
säurebakteiiums stammt von Liborius^). Sein Clostridium
foetidum ähnelt äußerlich dem Clostridium butyricum Praz-
m o w s k i s , war aber auch ein starker Eiweißzersetzer. M. G r u -
b e r ^) züchtete bald darauf Bakterien, die nach seiner kurzen Angabe
aus Kohlehydraten Buttersäure und Butylalkohol zu bilden ver-
mochten (Clostridium butyricum I und II). Perdrix'®)
aus Wasser stanmiender Bacillus amylozyma hat dadurch großes
Interesse für uns, daß die von ihm hervorgerufene Buttersäuregärung
von dem Verfasser so eingehend, wie von keinem späteren Forscher,
studiert worden ist (§ 114). Den von B o t k i n ') und Flügge®)
1) Berl. klin. W. 1887. 34.
2) Auch die Pektin- und Zellulosevergärung, die zum Teil eine Butter-
säuregänmg darstellt, wird nur von strengen Anaerobiem besorgt. Eine
Erklärung für dieses merkwürdige Verhalten steht noch aus.
3) Arch. f. Hyg. 63. 158 und 60. 73.
4) Zeitschr- f. Hyg. 1. 162, 1886.
5) Zentr. Bakt. 1. 370, 1887.
6) Annal. Past. 1891.
7) Zeitschr. f. Hyg. 11, 1892.
8) Ebenda 17.
352 Kap. VI, § 113.
f
als regelmäßigen Bewohner der Milch gefundenen Bac. butyricus
hat der erstere wahrscheinlich nicht in Reinkultur in Händen gehabt,
denn die von ihm gegebene Beschreibung stinmit nicht mit der späteren
sehr gründlichen von Graßberger und Schattenfroh ge-
gebenen (s. u.) überein. Ausführliche, namentlich auch chemische
Studien über diesen Gegenstand verdanken wir Beijerinck^):
er unterscheidet den Erreger der eigentlichen Buttersäuregärung
Granulobacter saccharobutyricum, den der Butyl-
alkoholgärung Gr. butylicum und den der Buttersäuregärung
milchsaurer Salze Gr. lactobutyricum, der in eine dem Heu-
bazillus ähnliche aerobe Form übergehen soll. Die Butylalkoholgärung
untersuchten ferner Grimbert^) und D u c 1 a u x ^) am Bac.
orthobutylicus und Amylobacter butylicum. Weitere
Beschreibungen von Buttersäurebakterien mit kurzen chemischen
Angaben lieferten Kerry und S. Fränkel*) (Odembazillus),
N e n c k i ^) (Rauschbrand), Kedrowski®) (Bac. butyricus),
N o V y ') (Bac. oedematis maligni II) von K 1 e c k i ®) (Bac. saccharo-
butyricus), während Lüderitz, Eitasato, Sanfelice,
V e i 1 1 o n und Zuber, von H i b 1 e r ^) sich auf das Studium der
morphologischen, kulturellen und pathogenen Eigenschaften von
Anaerobiem beschränkten. In der letzten Zeit wurden diese Studien
auch von der chemischen Seite her wieder mehr in Angriff genommen,^
so namentlich von Graßberger und Schattenfroh i°) in
ihren ausführlichen Arbeiten über saprophytische imd pathogene
Anaerobier, von B r e d e m a n n ^^) in seiner gründlichen Untersuchung
der stickstoffbindenden Buttersäurebakterien, von Achalme^*), Tis-
s i e r und Gasching^^) (Bac. lactobutylpropylicus non liquefaciens).
1) Verband, kon. Akad. Wetensch. Amsterdam II. Sect. Deel I, 1893.
2) Annal. Pasteur 1893.
3) Ebenda 1895. 813.
4) Monatsb. Cbem. 1890 (K o c b s Jabresber.) und eb. 1891.
5) Zentr. Bakt. 11. 225, 1891.
6) Zeitscbr. f. Hyg. 16.
7) Ebenda 17.
8) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 169, 1896.
9) Vgl. die große Arbeit: Untersuchungen über pathogene Anaeroben,
1908, mit vollständiger Literatur. Wichtig ist sie für uns besonders durch
die Untersuchungen über die Verhältnisse der Granulöse- und Sporen-
bildimg (§ 130).
10) Arch. f. Hyg. 37, 42, 48, 53 und 60 (1900—1907).
11) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23, 1909.
12) Annal. Pasteur 1902.
13) Ebenda 1903.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 353
ferner von Winogradsky^) (Clofitridiiim pastorianum), G r i m -
bert^), Ghon und Sachs 3), Kamen*), Emmerling^).
Pringsheim*). Eine systematische Darstellung der dabei er-
haltenen Ergebnisse wird vor allem durch die großeWandlungs-
fähigkeit der Anaerobier, die alle, auch die morphologischen
Verhältnisse betrifft, sowie durch die oft kaum zu überwindenden
Hemmnisse, die sich der Züchtung entgegen-
stellen, erschwert. Daraus erklären sich die vielen Widersprüche,
die zwischen den einzelnen Forschem und nicht selten zwischen den
zu ungleicher Zeit gemachten Angaben derselben Forscher bestehen.
Wir wollen uns hier in erster Linie an die letzte Darstellung von 6 r a ß -
b e r g e r und Schattenfroh und zur Ergänzung an die B r e d e -
ma n n s halten. Danach hätten wir außer dem Tetanusbazil-
lus, der die Kohlehydrate nicht unter Gasbildung vergären, ja, nicht
einmal aus ihnen Säure bilden solP), und mindestens vielen Stäm-
men des Bac. putrificus, die das nach Bienstock®),
T i s s i e r und Martelly*), Rodella ^^), auch nicht in irgend
erheblichem Grade zustande bringen, sovrie einigen „ ö d e m -
b a z i 1 1 e n " * *) und manchen anderen selteneren pathogenen
Anaerobiem, die sich nach v. H i b 1 e r ähnlich verhalten sollen,
in allen übrigen Anaerobiem auch Butter-
säurebakterien zu sehen, allerdings solche, die je
na<^h Eigenart, Behandlung und Gärmaterial die Gärimg in sehr
ungleichem Grade leisten.
Zwei Arten von Buttersäurebazillen heben Schattenfroh
und Graßberger als besonders beständig hervor. Der eine ist der
anaerobe bewegliche Buttersäurebazillus ^2), der wohl
niit dem Clost. butyricum G r u b e r s , dem Granulobacter saccharo-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23, 1909.
2) These de Paris 1903.
3) Zentr. Bakt. 34 und 35 (Fall von Gasbrand).
4) Ebenda 35 (Gasbrand).
5) Ber. ehem. Ges. 1904. 3535; 1905. 954.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 15. 300, 1906.
7) Außer älteren Forschem vgl. T i s s i e r und G a s c h i n g a. a. O.
'>''>1. V. H i b 1 e r betrachtet den Tetanusbazillus ebenfalls als reinen
Eiweiözersetzer. Jedenfalls vermag er Galaktose (in Hirnnährböden) und
Milclizucker (in Milch) nicht zu säuern.
8) Annal. Pasteur 1906, vgl. übrigens bei Fäulnis § 168.
9) Ebenda 1902.
10) Ebenda 1905.
11) Siehe weiter unten S. 356. Auch hier scheint es zwei Abarten, wie
Mm Putrificus zu geben. Über den Bac. botulinus s. u. S. 359.
12) Siehe namentlich Arch. f. Hyg. 42.
Kr ose, Mikrobiologie. 23
^
354 Kap. VI, § 113.
butjrricum Beijerincks, Bac. saccharobutyricus v. K 1 e c k i s ^) ,
u. a. zusammenfällt, nach Bredemann sogar auch mit den Stick-
stoff ixierenden Clostridien Winogradskys, Pringsheims
u. a., dem Granulobakter butylicum Beijerincks und wahrschein-
lich auch mit den Pektin vergärenden Clostridien von Fribes,
Behrens, Störmer, Beijerincks und van D eld ens und
manchen anderen Buttersäurebakterien identisch wäre. Bredemann
empfiehlt für diese Bakterien den Namen Bac. amylobacter,
den wir, unter der Voraussetzung, daß sich seine Auffassung bestätigt,
im Interesse der Einheitlichkeit ebenfalls anerkennen möchten, wenn
auch die Ausdehnung dieses Begriffe auf alle von Bredemann
ins Auge gefaßten Formen (s. u.) noch Schwierigkeiten begegnet. Sie
sind aus allen möglichen Stoffen, wie Erde, reinem und unreinem
Wasser, Mehl, Käse, ausnahmsweise auch aus Marktmilch zu erhalten,
am besten nach Beijerincks Vorschlag, indem man in ein eng-
halsiges Gefäß je 5 g Glykose und feingemahlenes Fibrin mit 100 g
Wasser einbringt, zum Sieden erhitzt und die kochende Flüssigkeit
beimpft. Nach 24 Stunden ist fast immer schon die Gärung im Gange.
Die Kohlenhydrate vergärt der Bazillus nach Schattenfroh
und Graßberger sämtlich bis auf Zellulose^), außerdem
Glyzerin, wahrscheinlich aber nicht Mannit und auch nicht milchsaure
Salze. Milchzucker (Milch) setzt der Gärung und dem Wachstum
manchmal Widerstand entgegen, wird andererseits im gegebenen Fall
fast ausschließlich zu Buttersäure, Wasserstoff und
Kohlensäure vergoren, während aus den übrigen Kohlehydraten
mehr oder weniger reichlich, ja manchmal überwiegend daneben Rechts-
oder inaktive Milchsäure entsteht. Spuren von anderen Säuren,
z. B. Ameisensäure, Propionsäure*) treten daneben auf.
Butylalkohol wurde nur in einem Versuch gefunden, sonst
ebensowenig wie Äthylalkohol. Eiweiß in irgendeiner Form
ist nötig zum Wachstum, wird aber nicht merkbar vergoren und reicht
auch nicht zur Züchtung aus. Sporenbildung erfolgt unter dem be-
kannten Bilde des Clostridiums, vielfach gleichzeitig mit Granu-
löse bildung. Bredemanns Angaben gehen über die von Graß-
berger und Schattenfroh noch hinaus, insofern er alle
genannten Kohlenstoff quellen, einschließlich
des Pektins, aber ausschließlich der Zellulose
1 ) Nach A c h a 1 m e auch der Bac. des Gelenkrheumatismus, der
Bac. enteritidis sporogenes K 1 e i n s.
2) Pektin wird nicht genannt. Diastase (Amylase) wird dabei regel-
mäßig gebildet, nicht Saccharase und Lakta.se.
3) Namentlich bei Rauschbrandbazillen (s. u.) gefunden.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 355
für vergärbar hält. Allerdings gibt er nicht überall ausführ-
lich genug den Beweis dafür, ja, vermißt die Gärung sogar ausdrück-
lich beim Pektin. Darauf legt er aber keinen Wert, weil auch das sicher
Pektin vergarende Clost. pectinovorum (Beijerinck und van
D e I d e n , § 75) unter seinen Händen diese Eigenschaft verlor. Nach
Bredemann ist freilich das Gärungsvermögen des Bac.
amjlobacter gegenüber den einzelnen Körpern
ein sehr veränderliches. Meist soll es aber doch bei sehr
reichlicher Einsaat in die betreffenden Nährböden, besonders wenn
man die Wachstums- und Impfbedingungen auch noch in anderer
Weise verändert, gelingen, die ursprünglich vorhandenen Widerstände
zu überwinden und Gärung zu erhalten. Wenn, wie gesagt, die Beweise
Bredemanns für diese seine Auffassung vielfach zu wünschen
übriglassen, so ist es ihm gelungen, einwandfrei zu zeigen, daß alle
seine von ihm selbst aus Erde und von anderen Forschem aus den
verschiedensten Quellen gezüchteten beweglichen Buttersäure-
bazillen, wenn sie nur richtig behandelt werden (§ 203), die
Fähigkeit besitzen, den Stickstoff der Luft zu
binden. Auch was die Erzeugnisse der Gärung und die morpholo-
gischen Verhältnisse anlangt, geht Bredemann über die Angaben
von Schattenfroh imd Graßberger hinaus. Er ist geneigt,
die beweglichen denaturierbaren und die unbeweglichen denaturierten
Buttersäurebazillen dieser Forscher (s. u.) auch nur als unbeständige
Varietäten des Bac. amylobacter zu betrachten, beschreibt außerdem
sogar eine aerob und sporenfrei wachsende „kokkoide" Abart des-
selben als sehr häufig und spricht selbst den Gärprodukten der typischen
Formen eine erheblich schwankende Zusammensetzung zu. Auf nicht
flüchtige Säuren wurde leider nicht untersucht, aber die Aus-
beute an flüchtigen Säuren und Alkoholen, sowie
deren Natur wechselt selbst bei ein und demselben
Stamm und unter gleichen Bedingungen sehr be-
deutend und kann stärker schwanken als die bei
verschiedenen Stämmen. Gefunden wurden von Säuren
(ans dem Bariumgehalt der Bariumsalze erschlossen) in Trauben-
zuckemährböden Buttersäure, Propionsäure, Essig-
säure und Ameisensäure in allen möglichen Mischungen und
Mengen. Bei der Alk oho lausbeute spielt neben der Variabilität der
Bakterien die Beschaffenheit der KohlenstoHquelle anscheinend eine
große[^Rolle. Nur aus Weizen- und Kartoffelmaische werden genügend
große^Mengen für die Analyse (fraktionierte Destillation und Siede-
punktsbestinmiimgen) gewonnen. Über die Zusammensetzung s. § 115.
Alles in allem genonmien beweisen die Bredemann sehen Unter-
23*
356 Kap. VI, § 113.
suchungen wieder einmal schlagend die große Variabilität der Butter-
säurebazillen und die nahe Verwandtschaft aller Gruppenmitglieder.
Zweifelhaft bleibt aber doch noch, ob die Zusammenfassung in eine
einzige Art gerechtfertigt und nicht mindestens aus praktischen Grün-
den die Trennung in besonders benannte Abarten nützlich ist.
Auch die Erfahrungen von Graßberger und Schattenfroh,
denen wir weiter folgen, sprechen doch sehr dafür.
Zunächst wird nämlich eine zweite beständige Art unserer Butter-
säurebakterien von Graßberger und Schattenfroh als
anaerober Fäulnisbazillus oder (besser) fäulniser-
regender Buttersäurebazillus bezeichnet und mit dem
Bac. putrificus Bienstocks (S. 353) auf Grund seiner keuligen
Sporen, seiner Beweglichkeit, seiner Kolonien und des energischen
Zersetzungsvermögens für Eiweiß identifiziert^), obwohl er selbst auf
eiweißfreien Nährböden von löslichen Kohlehydraten wenigstens
Glykose in (inaktive) Milchsäure, Buttersäure, Essig-
säure und Äthylalkohol vergärt. Die Fäulnisein Wirkung
auf das Eiweiß zeigt sich besonders deutlich in Milch, in der das Kasein
feinflockig gefällt und nach kurzer Zeit peptonisiert wird*), während
die erste Art das Kasein in dicke Klumpen ausscheidet, die durch die
stürmische Gärung in die Höhe getrieben werden.
Eine dritte Art, der Bazillus des malignen Odems, stehe
dem Putrificus durch seine Fähigkeit, die Eiweißstoffe anzugreifen,
sowie aus Zucker (Glykose und Saccharose) Äthylalkohol neben
Milchsäure und Buttersäure zu bilden, nahe, dem beweg-
lichen Buttersäurebazillus durch die Neigung zur Clostridienform und
Granulosebildung, sowie die wenigstens manchmal energische butter-
saure Gärung in Milch^). Der Odembazillus imterscheidet sich ab-
gesehen davon von den beiden ersten Arten durch seine etwas geringere
Formenbeständigkeit oder, wie Graßberger und Schatten-
froh es ausdrücken, durch seine „Denaturierbarkeit". Ab und zu,
besonders in Kohlehydraten, wandeln sich nämlich die Bazillen uni
in unbewegliche und sporenfreie Ketten plumper Stäbchen.
1) Arch. f. Hyg. 60. Vgl. auch Achalmea. a. O. Bienstock
bezeichnet diese Art, die er, wie andere im Gegensatz zu dem Bac. putrificus
auch im Kot gefunden hat, als Bac. paraputrificus.
2) Angaben über Vergärung des Milchzuckers fehlen.
3) Arch. f. Hyg. 48. 93. Gewöhnlich fehlt sie auch nach den Proto-
kollen Schattenfrohs, wie nach den Angaben der übrigen Forscher
(s. o. S. 352 u. 353), außer Kerry und F r ä n k e 1 , die auch Stärke-
kloister (olmo vorhergehende Verzuckerung!) vergären, ja selbst milcli-
sauren Kalk etwas zerfallen sahen und außer den übrigen Stoffen noch
Essigsäure und Ameisensäure fanden.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 357
Viel mehr ausgesprochen ist diese Eigenschaft dagegen bei den
«laher auch als denaturierbare oder dimorphe^) Butter-
säurebazillen bezeichneten Bakterien, die teils als harmlose
Saprophyten weitverbreitet, teik als Erzeuger des Rausch- und
Gasbrandes bekannt sind. Zu den völlig denaturierten Zu-
ständen gehören die von Graßberger und Schattenfroh
in ihrer ersten Arbeit als unbewegliche Buttersäure-
bazillen beschriebenen Bakterien, welche die von Botkin (S. 351)
zuerst beschriebene Buttersäuregänmg fast in jeder, eine halbe Stunde
bei 100^ sterilisierten Marktmilch verursachen. Sie sind durch ihre
plumpeForm,NeigungzurKettenbildung, Mangel
der Beweglichkeit, Granulöse- und Sporenbil-
dung und s c h a r f u m s c h r i e b e n e perlmutterähnlich glänzende
Kolonien ausgezeichnet. Die Erzeugnisse ihrer Gärung ähneln
denen der beweglichen Buttersäurebazillen (S. 354), namentlich in Milch
selbst, wo von ihnen verhältnismäßig am meisten Buttersäure, Wasser-
stoff und Kohlensäure gebildet wird, während in den übrigen Zuckerarten
die Milchsäuregärung hier erheblich die Butter-
säuregärung zu überwiegen pflegt. Alkohole wurden
auch hier nicht gefunden. Unter Umständen gelingt es, diese Form
in die bewegliche sporenbildende Abart, aus der sie nach Graß-
berger und Schattenfroh durch Denaturierung hervorgegangen
sein soll, zurückzuführen. Umfassender sind aber die entsprechenden
Erfahrungen bei den pathogenen Bakterien des Gasbrandes,
(der Schaumorgane) und namentlich des Rauschbrandes. Die
ereteren sind zuerst von Welch, E. Fränkel u. a. beschrieben
worden als imbewegliche, sporenfreie Bazillen, Graßberger und
Schattenfroh 2) erkannten ihre Übereinstimmung mit den un-
beweglichen Buttersäurebazillen in morphologischer, kultureller und
biochemischer Beziehung. Selbst die Tierpathogenität findet sich
gelegentlich bei den Buttersäurebazillen, wie sie umgekehrt bei den
Uasbrandbazillen manchmal fehlt. Die letzteren wurden dann von
Graßberger und Schattenfroh, sowie von Passini*)
durch Züchtung z. B. auf Eiern, unter Symbiose mit B. coli, in
schlanke, endständige Sporen bildende Bazillen oder andererseits auf
Kohlehydratnährböden in Clostridiumformen umgewandelt. Dabei
1 ) Bac. dimorphobutyricus Lehmann und N e u in a n n. Eine
andere Art Dimorphismus glaubte schon Beijerinck bei seinem Ciranu-
lobacter butylicum beobachtet zu haben (s. u. § 115). Die kokkoiden
Formen Bredemanns (S. 355) sind wieder andere Erscheinungen.
2) Arch. f. Hyg. 48. 58 u. 95; 60. 50.
3) Wien. klin. Woch. 1906. 21.
358 Kap. VI, § 113 u. 114.
ändert sich auch das Zerse tzungs ver mög e n , in-
dem die endständige Sporen bildenden Bakte-
rien jetzt mehr dem oben b es chri ebenen Typus
der fäulnis erregenden Buttersäurebazillen ent-
sprechen.
Unter natürlichen Bedingungen, z. B. in Erde oder auch im er-
krankten Menschen, begegnet man ebenfalls öfter den beweglichen
und sporenbildenden, also noch nicht denaturierten Abarten des Gas-
brandbazillus und zwar entsprechen sie durch Sporenform und Chemis-
mus teils den „fäulniserregenden", teils den „beweglichen" Buttersäure-
bazillen. — Am stärksten entwickelt scheint die Wandlungsfähigkeit
beim Rauschbrandbazillus zu sein^). Man bekonmit hier
mehr oder weniger rein, aber nie als beständige Zustände, bald als
Erzeugnisse der künstlichen Züchtimg, bald als natürliche Vorkomm-
nisse, einerseits die beschriebenen beiden beweglichen und sporen-
bildenden, andererseits die unbeweglichen denaturierten Formen und
die dazu passenden chemischen Leistungen zu Gesicht. Beim Rausch-
brand wurden auch mehrfach clostridiumbildende Rassen beobachtet,
die Milchsäure in Butter-, Propionsäure und Gase
vergoren^). Diese Fähigkeit macht sich zunächst dadurch bemerkbar,
daß der Zuckervergärung eine Nachgärung folgt, in der die vorher
gebildete Milchsäure gespalten wird, dann aber auch darin, daß der
zur zuckerhaltigen und selbst zuckerfreien Peptonbouillon zugesetzte
milchsaure Kalk vollständig und ziemlich stürmisch zersetzt wird.
Das erinnert an ähnliche Befunde Beijerincks bei der Butter-
säuregärung (s. o.) Ausnahmsweise wurde vom Rauschbrandbazillus
statt der Milchsäure und neben der Buttersäure auch Bernstein-
säure gebildet. Die Möglichkeit der Überführung des Rauschbrand-
bazillus zur Aerobiose wurde schon früher erwähnt.
Die hier vorgetragenen Auff assimgen von Graßberger und S c h a t -
tenf roh haben, wie schon bemerkt, nicht überall Zustimmung gefunden.
So weicht namentlich v. H i b 1 e r ®) gerade in einem der wichtigsten
Punkte, der die Denaturierbarkeit der Anaeroben betrifft, erheblich
1) Arch. Hyg. 48; 53 u. 60.
2) Per d rix, Grimbert, Botkin, Klecki, Beije-
rinck, Winogradsky, Tissier und Gasching spreclien
ihren Buttersäurebakterien die Fähigkeit, Laktate zu vergären, ab, nur
Kerry tuid F r ä n k o 1 fanden sie sehwach entwickelt bei den Ödeui-
bazillen. Man nahm deswegen allgemein besondere Erreger für die Butter-
säiu'egärung aus railchsauren Salzen an. Bredemann widerspricht
dem (s. o. S. 364 und § 142).
3) a. a. O. S. 227 ff.
Wandlungen der Kolüenhydrate. 359
von ihr ab, indem er den Übergang des Bauschbrandes in unbeweg-
liche Formen bestimmt leugnet und die Befunde der Wiener Forscher
durch Verunreinigungen ihrer Kulturen mit Gas-
biandbazillen, die aus den zum besseren Wachstum beigegebenen
Fleischstückchen stammen sollen, erklärt. Leider hat v. H i b 1 e r
sein großes Material nicht nach der chemischen Seite hin genügend
verarbeitet. Die Bestimmungen von Graßberger und S c h a t -
t e n f r o h lassen darüber aber, wenn wir auch die Frage nach den
Ursachen der Variabilität noch als unentschieden betrachten müssen,
keinen Zweifel, daß man vom chemischen Standpunkte mindestens
drei Abarten der Buttersäuregärung, die man zu
den beweglichen, unbeweglichen und fäulniserregenden Buttersäure-
bazillen in Beziehung setzen darf, zu unterscheiden hat.
In dem von Graßberger imd Schattenfroh von der
Buttersäuregärung entworfenen Bilde findet vorläufig keinen rechten
Platz die Butylalkoholgärung. Femer weichen der Bac. amylozyma
P e r d r i X ' und das Clostridium pastorianum Winogradskys
von dem chemischen Verhalten der gewöhnlichen Buttersäurebazillen
dadurch ab, daß sie Mil<3hsäure überhaupt nicht oder
nur in Spuren, dagegen hauptsächlich Essigsäure neben der Butter-
säure bilden. Aus der Arbeit Bredemanns erhellt, daß die Grenzen
zwischen den verschiedenen Formen nicht in dieser Schärfe bestehen,
ja, die Unterschiede vielleicht nur zufälliger Art sind. Wir werden
aber im folgenden auf manche der älteren Beobachtungen zurück-
kommen, weil sie in chemischer Beziehung besonders gründlich ge-
wesen sind, imd sich die Tragweite der Bredemann sehen Fest-
stellungen noch nicht vollständig übersehen läßt.
Der Bac. botulinus wurde von Graßberger und S c h a t -
t e n f r o h nicht studiert. Nach van Ermenghem^) wird
Traubenzucker von ihm imter Bildung von Buttersäure, Wasserstoff
und Sumpfgas^) zersetzt, Milchzucker und Rohrzucker nicht ange-
griffen.
§114. Chemismus der Buttersäuregärung 3). Nach der syste-
matischen Darstellung der Buttersäuregärung und ihrer Erreger bleibt
1) Kolle-Wassermann, Handb. 2. 67. Nach v. Hibler
(a. a. 0. S. 103) soll Milchzucker doch angegriffen und Milch daher trotz
der Peptonisiening ziemlich regelmäßig gesäuert werden.
2) Stammt vielleicht aus dem Eiweiß (Essigsäure), de« unter Peptoni-
siening, aber ohne Fäulnisgeruch angegriffen wird. Sonst fehlt Sumpfgas
bei der Buttersäuregärung.
3) Literatur § 113.
360 Kap. VI, § 114.
es noch übrig, diese Gärung nach ihrer chemischen Bedeutung hin zu
würdigen.
Eine reine Buttersäuregärung, etwa an die Seite zu stellen der
reinen Milchsäuregärung, ist bisher — selbst wenn man nur die nicht
gasförmigen Erzeugnisse berücksichtigt, nur ausnahmsweise beobachtet
worden. So haben ja Graßberger und Schattenfroh in
manchen Fällen (S. 354) neben der Buttersäure weder andere flüchtige
Säuren, noch nicht flüchtige und auch keine Alkohole auffinden können.
Weil dabei aber die Gase nicht quantitativ bestimmt worden sind, bleibt
es zweifelhaft, ob in diesem Falle der Zucker einfach in Buttersäure
und die dazu gehörigen Gase nach der bekannten Formel (s. u.) ge-
spalten worden ist. Im allgemeinen entstehen aber (vgl. B r e d e -
mann) neben Buttersäure noch mindestens Milchsäure, häufig
auch Essigsäure und Alkohol, um von der Propion-
säure, die aus dem Zerfall der Milchsäure hervorzugehen scheint,
und Spuren von Ameisensäure, die gerade bei den reinsten
Gärimgen gefunden werden, gar nicht zu reden. Es handelt sich also
um Mischgärungen verwickelter Art. Klarheit da hineinzubringen,
so daß man die Prozesse in Formeln kleiden kann, ist bisher nur in
wenigen Fällen gelungen, wird auch dadurch noch erschwert, daß viele
Buttersäurebakterien außer den Kohlehydraten auch die Eiweißstoffe
sehr kräftig spalten.
Das Verständnis der Gärungen wird aber erleichtert, wenn wir,
wie es schon im § 98 ff. geschehen ist, nach dem Vorgange von D u -
c 1 a u X die Bildung der einzelnen Produkte auf möglichst einfache
Gleichungen zurückführen, mit anderen Worten, die Gesamtgärung
in Teilgärungen auflösen. Das erscheint zunächst willkürlich, der Erfolg
gibt uns aber in vielen Fällen recht. Vor allem spricht die oft gemachte
Erfahrung, daß die Mischung der Gärprodukte, je nach
dem Stadium, in dem man sie untersucht, eine
wechselnde ist, für die Unabhängigkeit der ein-
zelnen chemischen Reaktionen.
Wir sprechen zunächst von der Gärung ohne Butylalkohol. Ein
vortreffliches Beispiel bietet uns die Arbeit von P e r d r i x (S. 351)
über den Bac. amylozyma. Bei der Vergärimg des Rohrzuckers durch
diesen Bazillus in einer kreidehaltigen Nährlösung erhielt er nach
5 Tagen Buttersäure, Essigsäure, Wasserstoff und Kohlensäure in Ver-
hältnissen, die der folgenden Gleichung (a) recht genau entsprachen:
a) 39C12H22O11 + 59H2O = 344H+ I52CO2+ 26C2H4O2+ eeCAOg.
Die Abweichungen der berechneten von den gefundenen Werten waren
sehr gering, wie die Taf. A zeigt:
Wandlungen der Kohlenhydrate.
361
Tafel A.
Nach 5 Tagen
berechnet
gefunden
Nach 11 Tagen
berechnet
gefunden
Verschwundener Zucker i
Wasserstoff ' 0,0304 g
Kohlensaure . . . . , 0,591 g
g
Essigsaure
Buttersäure
0,138 g
0,514 g
1,18
0,031 g
0,610 g
0,139 g
0,526 g
0,0575 g
1,22 g
0,U2 g
1,172 g
2,44 g
0,059 g
1,24 g
0,142 g
1,180 g
Eine unter gleichen Bedingungen 11 Tage lang durchgeführte Gärung
ergab die Gleichung (b):
b) 3OC12H12OU + 34H2O = 240H+ II6CO2 + IOC2H4O2 + 56C4H8O2.
Zieht man die bei den beiden Analysen erhaltenen Zahlen (Spalte 2
und 4) voneinander ab, so sieht man, daß die Essigsäure fast ver-
schwindet und sich für die übrigen Stoffe, wie die Taf. B zeigt, an-
nähernd die Formel c ergibt:
c) Ci^H^gOn + H2O = 2C4H8O2 + 4CO2 + 4H2.
Tafel B.
Berechnet Gefunden
Verschwundener Zucker
Wasserstoff
Kohlensäure . . . .
Essigsäure
Buttersäure
0,0295 g
0,65 g
0,65 g
1,26 g
0,0285 g
0,631 g
0,003 g
0,654 g
Die Formel c wird gewöhnlich geschrieben:
1) CeHi^Oe = C^H^O^ + 2 CO^ + 2 H^.
Das ist die einfachste Gleichung, nach der man sich die Entstehung
der Buttersäure aus Zucker vorstellen kann. Man kann also sagen,
daß zwischendem 5. und 11. Tagedie Gärungin der
Weise erfolgt, daß nur Buttersäure und die ent-
sprechenden Mengen Kohlensäure und Wasser-
stoff (beide Gase zu gleichen Teilen) gebildet
werden. Für diesen Zeitraum kann man also von einer reinen
Bttttersäuregärung sprechen. Nimmt man an, daß auch in
den ersten 5 Tagen die Buttersäure nach Gleichung c entstehe, so
362
Kap. VI, § 114.
vnirde sich für die übrigen Produkte, indem man c 33 mal nimmt
und von a abzieht, ergeben:
d) 6C12H22O11 + 26H2O = 80H + 2OCO2 + 26C2H4O2
oder etwas anders geschrieben:
e) eCgHigO^ + IOH2O = I3C2H4O2 + lOCOg + 20 Hg.
Ist nim värklich der Prozeß so verwickelt, wie es hiernach erscheint?
Ist es nicht möglich, die Bildung der Essigsäure auf die einfache Spaltimg
2) C^HijO^ = 3 C2H4O2 ,
die wir schon früher (§ 98 u. 103) kennen gelernt haben, zurückzu-
führen und die Entstehung der Gase nach der Formel
3) CeHigOe + 6H2O = 6CO2 + I2H2,
die wir ebenfalls schon als Gleichung der „Wasserstoffgärung'' kennen
( § 98 u. 105) zu erklären ? Die theoretische Möglichkeit leuchtet ohne
weiteres ein : wenn wir Gleichung e 3 mal nehmen
. f) 18CeHi2Oe+30H2O = 39C2H4Oa+30CO2+60H2,
ferner die Gleichung 2 mit 13 multiplizieren
g) 13CeH,20e=39C2H402
und g von f abziehen, so erhalten wir
h) 5 C^HiaOe + 30 Rfi = 30 COg + 60 Hg ,
das ist nichts anders als die Gleichung 3 fünfmal genommen. Es fragt
sich nur, ob die Essigsäure, und die Wasserstoffbildimg wirklich u n -
abhängig voneinander verlaufen. Auch das läßt sich aus
den Analysen von P e r d r i x erweisen.
Nach ihm gelten für die Zeit vom 3. bis 11. Tage der Gärung die
folgenden Zahlen (Taf. C).
Tafel C.
Volumen der aus der
Zuckervergärung ent-
wickelten Gase
I
Wasserstoff i Kohlensäure
175 ccm
275
350
670
»♦
♦»
95 ccm
220
310
630
»»
»»
3. Tag
4. Tag
5. Tag
11. Tag
Zunächst folgt aus vorstehender Tabelle, daß das Mengenverhältnis der
bei der Gärung entwickelten beiden Gase H, : CO 2 von ungefalir 2 : 1
Verhältnis
Verhältnis
der
Kohlensäure
die aus der
der Gär-
volumina
Äquivalente
der Butter-
Zerlegung d.
kohlen-
H, : CO,
säure: der
Kssigsäure
sauren Kalks
stammt
65 : 35
26 : 74
10 ccm
55 : 45
60 : 40
75 „
53 : 47
72 : 28
90 .,
52 : 48
85 : 15
180 „
Wandlungen der Kohlenhydrate.
363
allmählich abnimmt auf 1 : 1 und sich der Gleichheit nähert. Leider gibt
P e r d r i X die Menge der Buttersäure und Essigsäure nur für den 5. und
11. Tag in absoluten Zahlen (s. o. Taf. Ä und B); doch finden wir in der
Spalte 4 der Tabelle C das Verhältnis beider Säuren für jeden Tag und in
Spalte 5 die gesamte Kohlensäuremenge, die durch die Säuren aus der
der Nährlösung zugesetzten Kreide entbunden wurde. Daraus haben wir
die Kohlensäuremenge, die durch jede einzelne Säure freigemacht wurde,
in Spalte 1 und 2 der Tafel D berechnet.
Tafel D.
3. Tag
4. Tag
5. Tag
11. Tag
Volumen der aus der Kreide
von der
Buttersäure Essigsäure
entwickelten Kohlensäure
2,6 ccm
45
64,8
153
»»
»»
»*
7,4 ccm
30
25,2
27
9*
»»
Man sieht, daß die Buttersäure am 3. Tage noch in sehr geringer Menge
gebildet war und von da an erst schnell luid stetig bis zum Schlüsse der
(räning am 11. Tage zunahm, während die Essigsäure am 3. Tage die Butter-
säure an Menge ziemlich erheblich übertrekf, am 4. Tage ihr Maximum
erreichte und sich dann auf dieser mäßigen Höhe hielt, so daß sie schließ-
lich nur einen kleinen Bruchteil der gesamten Säuremenge ausmachte.
Da wir wissen, daß vom 5. bis 11. Tage nur Buttersäure gebildet wurde,
so entspricht die Buttersäuremenge, die 153 — 64,8 = 88,2 ccm CO, aus
dem Kalk der Nälirlösung entwickelte (Taf. D) 670—350 = 320 ccm Wasser-
stoff und 630 — 310 = 320 ccm Kohlensäure, die gleichzeitig bei der Ver-
gärung des Zuckers entstanden (Taf. C); oder 1 ccm der Kohlensäure aus
320
dein Kalk entspricht
88,2
= 3,6 ccm Gärungs Wasserstoff und ebensoviel
Gämngskohlensäure. Durch Multiplizieren der Zahlen aus Spalte 1 der
Tafel D mit 3,6 erhalten wir also die Ge^mengen, die auf Rechnung der
Buttersäurebildung nach Formel 1 fällt, und zwar sind sie gleich groß
für Kohlensäure und Wasserstoff. Wir geben sie in der 1. Spalte der
Tabelle E. Durch Subtraktion dieser Ziffern
Tafel E.
3. Tag
4. Tag
6. Tag
11. Tag
Menge der bei der
Buttersäure-
bildimg erzeugten
Gase
(H, oder CO^)
Menge der bei der
Essigsäurebildung
erzeugten Gase
H,
CO,
9 ccm
162
232
551
f »
166
86
113
58
118
78
119
79
364 Kap. VI. § 114.
von denjenigen, die in Taf. C (Spalte 1 und 2) für die gesamten bei
der Gärung entwickelten Gasmengen angegeben sind, bekommen wir die
Gasmengen, die neben der Essigsäure gebildet worden sind (Spalte 2 und 3
der Taf. E).
Wenn man aus diesen letzten Zahlen irgendeinen Schluä ziehen
solF), so kann es nur der sein, daß schon am 3. Tage die Gase fertig
gebildet waren, während Taf. D uns lehrt, daß höchstens ein Drittel
der überhaupt erzeugten Essigsäure an diesem Tage vorhanden war.
Mit anderen Worten: die Wasserstoffgärung ist unab-
hängig von der Essigsäuregärung. Wir haben also
bei der Gärung des Bacillus amylozyma auf Grund
der Analysen von Perdrix drei Teilgärungen, die
zeitlich verschieden verlaufen, feststellen kön-
nen. Zuerst er folgt die Wasser s t off gärun g *) nach
Formel 3. Während diese sich ihrem Ende nähert,
setzt die Essigsäuregärung nach 2 ein, sie dauert auch
nur kurze Zeit. Den Schluß machtdie Buttersäure-
gärung nach 1, die das Feld dauernd behauptet.
Man könnte sich vorstellen, daß drei verschiedene Enzyme bei dieser
Gärung nacheinander in Tätigkeit treten. Der Nachweis fehlt aber
bis jetzt, ist auch bei den Buttersäurebakterien gar nicht versucht
worden.
Für diese experimentell begründete Deutung ergibt sich eine Schwierig-
keit, die auf dem Gebiet der Thermochemie liegt. Allerdinga geht
der Prozeß der Buttersäurebildung unter Entwicklung von Wärme vor
sich. Es gilt nämlich
1) 673,7 = 522,7 + 136,8 + U,2 Kai.
1) Die Übereinstimmung der Zahlen läßt freilich zu wünschen übrig,
besonders groß ist der Abfall der Gasmenge vom 3. zum 4. Tage. Dabei
ist aber gerade an diesem Tage das Verhältnis des Wasserstoffs zur Kohlen-
säure daa durch die Theorie geforderte, während es am 6. oder 11. Tage
erheblich davon abweicht. Die Ursache für die erste Unregelmäßigkeit
kann wohl kaum allein in Fehlern der Analyse gelegen sein, eher in dem
ungleichen Fortschreiten der Gärimg, in den einzelnen Kulturgefäßen,
die zur Gärung benutzt wiu'den. Maßgebend ist aber für unser Urteil,
daß am 3. Tage die Menge der Essigsäure zu der des gleichzeitig gebildeten
Gases in einem ganz anderen Verhältnis steht, als am 4. Tage. Der Unter-
7,4 30 . ,
schied zwischen — - und - - ist so groß, daß er nicht zufällig sem kann.
2) Ob dabei als Zwischenerzeugnis Ameisensäure gebildet wird, wie
es von Frankland und H a r d e n für gemischte Milchsäuregäningeu
angenommen wird (§ 108), ist zweifelhaft. Jedenfalls müßte die Ameisen-
säure diu*ch den Bac. amylozjrma schnell wieder in Kohlensäure und Wasser-
stoff zerlegt werden.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 365
Ebenso ist die Spaltung des Zuckers in 3 Moleküle Essigsäure ein exothermer
Vorgang:
2) 673,7 = 639,9 + 33,8 Kai.
Aber die Wasserstoffgärung läßt eine beträchtliche Menge von Wärme
verschwinden :
3) 673,7 = 820,8 — 147,1 Kai.
Wodurch wird dieser Energieaufwand bestritten ? Die Wärme, die bei der
Rssigsäurebildung frei wird, reicht dazu selbst am 5. Tage noch nicht aus.
Denn aus Gleichung e folgt:
e) 4042,2 = 2772,9 + 1368 — 98,7 Kai.
Erst das Hinzutreten der eigentlichen Buttersäuregärung macht den Prozeß
am 5. Tage zu einem exothermen. Ncujh Gleichmig a gilt nämlich:
a) 52755,3 = 11764,8 + 5545,8 + 34498,2 + 946,5 Kai.
Da nun aber cun 3. Tage die Menge der Buttersäure verschwindend klein
und die der Elssigsäure dreimal geringer ist als am 5. Tage, während die
Wasserstoffgärung schon abgelaufen ist, so ergibt sich ein bedeutendes
Wännedefizit. Aus sonstigen Zerfallsprozessen im Zuckermolekül kann
der Verlust nicht beglichen werden, da die zersetzte Zuckermenge nach
P e r d r i X sich deckt mit der Summe der Gärprodukte (vgl. Taf . A).
Kaum ist daran zu denken, daß die Verwandlung des Rohrzuckers in
Traubenzucker durch ein hydrolytisches Enzym die nötige Wärme lieferte.
Ebensowenig berichtet P e r d r i x von einer besonders energischen Zer-
setzung der Eiweißsubstanzen des Nährbodens. Die Gelatine wird von
dem Bazillus nicht einmal verflüssigt. Es bleibt also eine Lücke in unserer
Beweisführung, die um so bedauerlicher ist, als die Gärung des Bac. amy-
lozj-ma die einzige Buttersäuregärung ist, die gründlich, d. h. mit Berück-
j^ichtigung aller Gärprodukte, untersucht worden ist.
Unser Interesse an dieser Gärung steigt noch dadurch, daß P e r -
d r i X das Verhalten seines Bazillus auch gegenüber anderen Kohlen-
hydraten, wenn auch nicht in derselben umfassenden Weise, geprüft
liat. Von den Zuckerarten wurden Glykose und Laktose anscheinend
in ähnlicher Weise zerlegt wie Saccharose, ganz anders dagegen die
Stärke. Er bildet zunächst ein hydrolytisches Enzym, das die Stärke
spaltet in einen durch Hefe vergärbaren, glykoseähnlichen Zucker
und etwas Dextrin, bei der Gärung aber viel Äthylalkohol,
Buttersäure, Kohlensäure und Wasserstoff,
weniger Essigsäure und Amylalkohol. Wir finden
also hier außer den Stoffen, die auch bei der Vergärung der Zucker-
arten entstehen, noch in beträchtlicher Menge zwei Alkohole. Liegt
«las daran, daß die letzteren direkt aus der Stärke hervorgehen, oder
an der verschiedenen Natur des Zuckers, der aus diesem entsteht?
P e r d r i X bleibt uns die Antwort darauf schuldig. Er macht aber
<lie Bemerkung, daß der Amylalkohol^), der bekanntlich bei der alkoho-
1) Pringsheim, Zentr. Bakt. 2. Abt. 15. 307 hält den Nachweis
dt*« Amylalkohols durch P e r d r i x gar nicht für erbracht (s. u. Butyl-
alkoholgärung § 116).
366 Kap. VI, § 114 u. 115.
tischen Vergärung des Stärkezuckers entsteht, wahrscheinlich fremden
Mikroorganismen, von der Art des Bac. amylozyma, seinen Ursprung
verdanke, denn die Hefe sei nicht imstande, aus dem Zucker der Ear-
toffelkulturen dieses Bazillus einen anderen Alkohol als den gewöhn-
lichen zweiatomigen zu erzeugen. Wie wir gesehen haben, ist neuer-
dings die Entstehung des Amylalkohols bei der Hefegärung in anderer
Weise (aus dem Leuzin) erklärt worden (S. 261).
Die Bildung des Aethylalkohols wird wohl in der gewöhnlichen Weise
zu deuten sein, nur daß hier ein besonderes, von der Zymase etwas
verschiedenes Enzym in Frage käme (s. u.).
Wie es scheint, werden Essigsäure und Gase allein neben Butter-
säure nicht allzu oft gebildet, so z. B. außer von den P e r d r i x sehen
Bazillen von dem Clostridium Pastorianum, dem bekannten stickstoff-
fixierenden Bakterium Winogradskys^) (§ 203). Bei ihm sollen
sich wenigstens (aus Glykose) Milchsäure und Äthyl-, Propyl- oder
Butylalkohol nur in kleinen Mengen und nicht stets nachweisen lassen.
Stärke imd Milchzucker werden von ihm übrigens nicht angegriffen.
Bredemanns zahlreiche Analysen sprechen auch für das verhältnis-
mäßig seltene Vorkommen der Essigsäure (a. a. 0. Tab. II — ^IV auf
S. 527 ff.). Immerhin bestinamte er einige Male den Bariumgehalt
seiner Fettsäuresalze auf 51 — 53,7%, was der Essigsäure entsprechen
würde. Meist wurde bei der Buttersäuregärung die
Essigsäure überhaupt nicht oder in geringer
Menge, statt ihrer aber Milchsäure und Äthyl-
alkohol gebildet. Schon die älteren Forscher erwähnen die
Bildung beider Stoffe, so K e r r y und F r ä n k e 1 beim Odembazillus;
N e n c k i fand beim Bauschbrandba^illus Milchsäure neben Essig-
säure, B o t k i n bei seinem Bac. butyricus Milchsäure neben Butyl-
alkohol (s. u.). Aber erst Graßberger und Schattenfroh
haben den wichtigen Anteil, den die Milchsäure an der Buttersäure-
gärung hat, betont. Wir verweisen in dieser Beziehung auf das früher
Gesagte. Die Bildung der Milchsäure stellen wir uns nun in der Weise
vor, daß sie durch ein besonderes Enzym oder Teilenzym erfolgt nach
der bekannten Gleichung der Milchsäuregärung (§ 98 u. 99)
4) CgHi,0,= 2C3H,03.
Bei denunbeweglichen (denaturierten) Butter-
säur e b akteri e n und ihren verwandten Abarten,
den Gasbrand- und ßauschbrandbazillen, würde
das Milchsäureferment gegenüber dem eigent-
1) Pringsheim, Zentr. Bakt. 2. Abt. 9, 1902.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 367
liehen Bu tt e r säure fe rm e nt überwiegen, bei den
beweglichen sporenbildenden hinter ihm mehr
zurücktreten ; fürdie Spaltungdes Milchzuckers
käme es weniger in Betracht, als für die übrigen
Zuckerarten.
Ebenso haben Graßberger und Schattenfroh die
Alkoholbildung für die Odembazillen und ihre „fäulniserregenden
Butteisäurebazillen"' bestätigt. Sie könnte gleichfalls durch ein von
dem Buttersäureferment unabhängiges zymaseähnUches Enzym er-
folgen und den Zucker nach der bekannten Gleichung (§ 98 u. 104)
5) CeHi A = 2C2HeO + 2CO2
zersetzen. Wie man sieht, würde die Zusammensetzung der bei diesen
Arten der Buttersäuregärung entstehenden Gase durch die Bildung
von Kohlensäure neben Alkohol beeinflußt werden. Im übrigen kommen
aber dafür die früher besprochenen Vorgänge der reinen Buttersäure-
und der Wasserstoffgärung in Frage. Daß die letztere in der Tat auch
hier mitwirkt, ist nicht zu bezweifeln, denn Graßberger imd
Schattenfroh haben meist ein erhebliches Übergewicht
des Wasserstoffs über die Kohlensäure gefunden.
Gleichzeitige Mengenbestimmimgen der gasförmigen und nicht gas-
förmigen Gärungserzeugnisse sind von ihnen nicht gemacht worden,
80 daß wir genaue Gärungsgleichungen nicht aufstellen imd die Be-
rechnung der Wärmeverhältnisse nicht ausführen können.
Bredemann gibt keine Zahlen für Milchsäure an, bestätigt
aber ihr Vorkonmien bei seinen beweglichen Buttersäurebazillen. Von
Alkoholen fand er dabei nur höher siedende (s. u.).
§ 115. Buttersäure- und Butylalkoholgärung^). Nach der
Literatur sind weniger als die bisher besprochenen verbreitet solche
Bakterien, die regelmäßig außer Buttersäure usw. noch
Butylalkohol bilden. Dahin gehören der Bac. orthobutylicus
Grimberts, das Granulobacter saccharobutyricum B e i j e -
rincks, das Amylobacter butylicimi Duclauxs u. a. m. Der sog.
Bac. butylicus von Fitz erzeugt dagegen aus Rohrzucker nur Spuren
von Butylalkohol und nach Emmerling^) aus Glykose über-
haupt keinen Butyl-, sondern nur Äthylalkohol^). Er verdient also
seinen Namen, soweit die Zuckerarten in Betracht kommen, nicht,
sondern wäre hier besser als Buttersäurebazillus zu bezeichnen. Doch
1) Literatur s. o. § 113.
2) Ber. ehem. Ges. 1897. 451.
3) Weitere Angaben über dessen Vorkommen im vorigen Paragraplien.
368 Kap. VI. § 116.
ändert er seinen Charakter, wenn ihm höhere Alkohole (Mannit, Gly-
zerin) geboten werden (vgl. § 131).
Weitere Angaben über Butylalkoholbindung sind gemacht worden
von N e n 0 k i für die Vergärung des Milchzuckers durch das Zu-
sammenwirken des Odembazillus mit einem echten Milchsäurebakterium
(Micr. acidi paralactici) und von B o t k i n für seinen Bac. butjnricus.
Nimmt man mit Graßberger und Schattenfroh (s. o. S. 352)
an, daß B o t k i n keine Reinkultur in Händen gehabt hat, so hätten
wir vielleicht in beiden Fällen die merkwürdige Tatsache zu verzeichnen,
daß zwei Bakterienarten in Symbiose miteinander neue Stoffe erzeugt
hätten, zu deren Bildung sie allein nicht imstande gewesen wären (S. 170).
Reine Butylalkoholgärung veranlaßt nach Beijerincks ersten
Mitteilungen das Granulobacter butylicum. Schließlich hatten Graß-
berger und Schattenfroh, Winogradsky, Pringsheim,
Bredemann wechselnde Befunde bei ihren Buttersäurebakterien.
Am besten studiert ist der Bac. orthobutylicus^), den wir deshalb
etwas näher besprechen wollen. Leider hat Grimbert die Gas-
produktion seines Bazillus nicht gleichzeitig mit den übrigen Stoffen
untersucht. Nur eine Gasanalyse liegt vor, sie ergibt andere Verhält-
nisse, als P e r d r i X beim Amylozyma gefimden. In Glykosebouillon
ohne Kreidezusatz wurden bis zum 4. Tage Wasserstoff und
Kohlensäure ungefähr zu gleichen Teilen mit geringem Überschuß der
ersteren entwickelt, dann sank aber das Verhältnis Hg : COj bis
zum 13. Tage auf y^ und bis zum 22. fast auf y^. Die genauen Zahlen
waren folgende:
Tafel A,
Gasentwicklung ' H, CO, I H, : CO
bis zum 4. Tage 11,7 ccm ! 10,0 ccm
vom 4.— 13. Tage , 11,2
vom 12.— 32. Tage 1,9
32,8 „
6,9 „
im ganzen > 24,8 ccm 49,7 ccm
1,16
0,34
0,28
0,50 ccm
Wenn man zu der schon bekannten Formel für die Butteisäure ( S. 36 1 )
1) CeHijO, = C,HA + 2C0, + 2H, (+ 14 Kai.)
eine neue möglichst einfache für den Butylalkohol
6) C,H,20j = C4H10O + 2 COj + H2O (+ 37 Kai.)
hinzufügt, so erhält man
a) 2C,Hi30, = C^HgO, + C^HioO + 400« + 2H, + Bfi.
1) Vgl. auch I) u c 1 a u X , Microbiol. 4. 61.
Wandlungen der Kohlenhydrate.
369
Hier stehen Wasserstoff und Kohlensäure in dem Verhältnis 1 : 2,
wie es dem Endresultat in der obigen Tafel A entspricht. Das Auftreten
von Essigsäure ändert nichts an dem Verhältnis der Gase, denn es
erfolgt, wie wir wissen (S. 362) ohne Entwicklung von Gasen durch
Spaltung des Zuckermoleküls nach Formel 2) CgHijOg = 3 C2H4O2.
Die Gärung verläuft aber nicht inmier so einfach, wie es obige
Gleichungen andeuten, denn in einem ähnlichen Versuch mit Glykose-
lösmig undKreide,in dem leider nur die nicht gasförmigen Stoffe
bestimmt wurden, ergab sich (Taf. B), daß Buttersäure und Essigsäure
am 2. Tage schon in der Menge gebildet waren, die sie überhaupt er-
reichten, von diesem Tage an aber die Buttersäure beständig abnahm
und der Butjlalkohol, der vorher schon stark überwog, noch etwas
zunahm.
Tafel B.
Butylalkohol i Buttersäure
nach 2 Tagen
nach 4
nach 20
>>
yy
254Voo
308yoo
3I6V00
74Voo
4OV00
2OV00
Essigsäure
39yoo
4OV00
4OV00
in Voo des
verschw.
Zuckers
Aaders fiel ein zweiter Versuch mit Glykoselösung aus, in dem
die gebildete Säure durch Kreide neutralisiert wurde. Auch hier war
am 2. Tage schon
Tafel C.
Butylalkohol
nach 2 Tagen
nach 4 „
nach 20 „
148Voo
135Voo
155Voo
Buttersäure
331 Voo
345V„o
322 Voo
Essigsäure
91 Voo
78Voo
^^ Voo
die Gärung wesentlich abgeschlossen; die Buttersäure herrschte dieses
Mal aber bei weitem vor und blieb ebenso wie der Butylalkohol erhalten,
während die Essigsäure abnahm. Offenbar wird die Gärung
durch die Reaktion stark beeinflußt und die
?>äuren unterliegen nachträglichen Veränderun-
gen. Da es sich um Wirkung des freien Sauerstoffs bei dieser streng
anaeroben Gärung nicht handeln kann, so werden wir intramolekulare
Umsetzungen annehmen müssen, die wohl imter Einwirkung der
Elemente des Wassers verlaufen, wie wir sie schon bei der Wasser-
stof^änmg (3 auf S. 362) kennen gelernt haben, nur daß hier das
Kruse« Mikrobiologie. 24
370 Kap. VI, § 116.
Butter- und Essigsäuremolekül angegriffen wird, etwa in der Art der
Formeln :
la) C4H8O2 + 6H2O = 4CO2 + löHr
2a) C2H4O2 + 2 H^O = 2 CO2 + 4 H^.
Beide Gärungen sind allerdings bisher noch nicht allein für sich nach-
gewiesen worden (vgl. § 145 u. 141), vielleicht nur aus dem Grunde,
weil sie wegen ihrer endothermen Natur allein nicht vorkommen können.
Es ist leicht zu sehen, daß mit den Formeln 1 bis 6 nicht aUe
Möglichkeiten erschöpft sind; so kann die Bildung der Buttersaure
und Essigsäure aus dem Zuckermolekül auch unter Beteiligung des
Wassers erfolgen, etwa in der Weise
2b) CeHi^Oe + 2 H^O = 2 C^H ^ + 2 CO« + 4 H^.
Im Grunde wäre das aber nichts anderes, als eine Verbindung der
Essigsäuregleichung mit der Wasserstoffgleichung.
Welche von diesen Möglichkeiten in Wirklichkeit bei der Gärung des
Bac. orthobutylicus in Betracht kommt, ist mit Sicherheit nicht an-
zugeben, da zu wenig Gasanalysen vorliegen.
Nicht allein die Reaktion der Nährlösung hat einen Einfluß auf
den Verlauf der Gärung, sondern, wie Grimbert nachgewiesen,
auch die Veränderlichkeit des Bazillus selbst. Wird
zur Einsaat eine ältere Kultur benutzt, so ist das Verhältnis der Gär-
produkte ein anderes, als bei Impfung mit einer jüngeren. Ein Bazillus,
der längere Zeit in Inulinlösungen gezüchtet ist, erzeugt darauf wenig
oder keinen Butylalkohol, von da auf Glykose übertragen aber mehr
als^ gewöhnlich; umgekehrt ist er, längere Zeit auf Glykose gezüchtet,
imstande, auch in Inulinlösungen viel Butylalkohol zu bilden.
Wie man sieht, verhält sich auch das Gärmaterial verschieden,
Grimbert hat das für die echten Kohlehydrate näher festgestellt.
Vergärbar sind von den Hexosen außer Glykose Galaktose, schwieriger
Fruktose. Die Disaccharide werden vergoren, aber in ungleichem
Verhältnis, am schwierigsten die Laktose. Dabei findet an-
scheinend vorher keine hydrolytische Spaltung
zu Hexosen statt. Auch aus den zerriebenen Bak-
terienzellen läßt sich keine Invertase gewinnen.
Die Arabinose, eine Pentose, gibt bei der Gärung nur Butter- und Essig-
säure, keinen Butylalkohol. Von dem veränderlichen Verhalten des
Inulins"' wurde schon gesprochen, es vergärt, ohne vorher
in einen reduzierenden Zucker gespalten zu sein.
Diastatische Leistungen scheint der Bazillus dagegen zu besitzen,
denn Dextrin und Stärke werden vor der Vergänmg verzuckert, doch
Wandlungen der Kohlenhydrate. 371
werden auch hier wieder die Gärprodukte in sehr wechsehider Mischung
erzeugt, je nachdem man Eartoffehi, reine Stärke oder Dextrin be-
nutzt. Auch Glyzerin und Mannit werden in ähnlicher Weise vergoren.
Können wir bei dem Bac. orthobutylicus eine große Mannigfaltig-
keit der Gärungserscheinimgen beobachten, so soll die durch dasGranu-
lobacter butylicum hervorgerufene Gärung eine einfachere sein. Nach
Beijerinck wäre das Hauptprodukt der Gärung^) von gewissen
Mehlsorten (nackter Sommergerste) Butylalkohol. Daneben würde
noch etwas Propylalkohol, viel Wasserstoff und Kohlensäure,
kein Sumpfgas gebildet. Diese Angaben Beijerincks sind aber
bisher von keiner Seite bestätigt worden. Beijerinck selbst hat
in einer späteren Mitteilung bemerkt, sein Bazillus erzeuge mehr Propyl-
alkohol als Butylalkohol. Bredemann, der mit einer Beije-
rinck sehen Kultur arbeitete, fand erhebliche Mengen von Alkoholen
überhaupt nur auf Weizenkleie, und zwar weit weniger Butyl- als nied-
riger siedenden Alkohol (darunter Isopropylalkohol), daneben
aber hier wie in Glykose erhebliche Mengen flüch-
tigerSäuren. Auch die sonstigen Angaben über die Butylalkohol-
bildung deuten auf große Schwankungen in seiner Bildung. W i n o -
gradskys Clostridium Pastorianum erzeugt (aus Glykose) entweder
überhaupt nur Spuren von Alkohol oder bald Äthyl-, bald Butyl-.
bald Isobutylalkohol. Das Pringsheim sehe Clostridixmi ameri-
canum bildete in den Händen seines ersten Untersuchers 1 Teil
Isopropyl- auf 4 Teile Normalbutylalkohol, in Bredemanns Ver-
suchen dagegen verhältnismäßig viel Isobutylalkohol. Daß G r a ß -
b e r g e r und Schattenfroh bei ihren beweglichen Buttersäure-
bazillen nur ausnahmsweise Butylalkohol gewinnen konnten, wurde
schon früher erwähnt (S. 354). Wahrscheinlich liegt das zum großen
Teil an dem gewählten Nährboden, denn auch Bredemann sah,
wie wir bemerkten (S. 355) Alkoholbildung bei den zahlreichen von
ihm geprüften Stänmien des Bac. amylobacter auch nicht in wesent-
lichem Umfange in Glykoselösungen oder Milch eintreten, sondern nur
in Aufgüssen von Weizenmehl bzw. Weizenkleie oder Kartoffelbrei.
Die gewonnenen Mengen schwankten dabei auch noch sehr, ohne daß
sich dafür eine Ursache auffinden ließ. Ob es Zufall ist, daß von den
einzeben Stänmien gerade das Granulobacter butylicum am meisten
Alkohol bildete (25 ccm aus 1000 g), mag dahingestellt bleiben. Ebenso
1) Man erhält sie am besten, wenn man in 50 — 100 ccm luftfreies
k'X'hendes Wasser in einem engen Bechergltis nach und nach so viel grob
ffemahlenes nicht gesiebtes frisches Mehl einführt, bis das Ganze dick-
h^iig wird; die letzte Mehlportion darf dabei nur wenige Sekunden 100**
aiLsgesetzt werden. Dann sofort Übertragung in eine Temperatur von 36**.
24*
372 Kap. VI, § 116 u. 116.
ließ sich für die Zusammensetzung der Alkohole keine andere Regel auf-
stellen, als daß der Äthylalkohol kaum einen Anteil daran hatte. Zu be-
dauern ist, daß Bredemann seine positiven Resultate nicht in
reinen Kohlehydratnährböden erzielt hat, weil durch die Bei-
mischung von Aminosäuren im Weizenmehl und in den
Kartoffeln nach F. Ehrlich eine andere Quelle für die Alkohol-
bildung gegeben ist (§ 90 u. 173). Man kann also vorläufig noch nicht
entscheiden, ob Pringsheim Recht hat, wenn er betont, daß bei
der Buttersäuregärung vorwiegend normaler, bei der Hefegärung (§ 90)
Isobutylalkohol und umgekehrt bei der letzten normaler, bei der ersteren
Isopropylalkohol entstünde. Nur das ist nach den Befunden N a w i a s -
k y s bei der Zersetzung des Leuzins durch Proteusbazillen sicher (§ 169),
daß die weitere Annahme Pringsheims, Amylalkohol
werde von Bakterien höchstens in Spuren, von der Hefe aber gerade
in größerer Menge als die übrigen Bestandteile des Fuselöls (aus Amino-
säuren) erzeugt, nicht begründet ist. Wenn die Angaben P e r d r i x '
richtig sind (S. 365), würde der Satz nicht einmal gelten, wenn man
ihn auf die Buttersäurebakterien beschränkte.
Nach alledem würde man weitere Untersuchungen über die Butyl-
alkoholgärung gerne sehen. Genaue Angaben über die erzeugten Mengen
und über das Verhalten der einzelnen Kohlenhydrate bei der Gärung
fehlen bei B e i j e r i n c k. Auffällig ist die Bemerkung, daß das Ver-
hältnis von COg : Hg im Laufe der Gärung sehr bedeutend schwankt;
es beträgt zuerst, wo der Butylalkohol noch fehlt, 1 : 4, später, während
der Hauptgährung, d. h. zur Zeit des schnellsten Bakterienwachßtums
und der reichlichsten Butylalkoholbildung, 1 : 1 xmd steigt zuletzt
auf 5:1. Offenbar erschöpft die Formel 6 (s. o. S. 368) nicht die
Gärungserscheinungen. Daneben müssen wir mindestens am Anfang
noch eine Wasserstoffgärung nach Formel 3 voraussetzen.
Der Überschuß des Wasserstoffs wird aber auch dadurch noch nicht
erklärt. Es müßten also nebenher noch aus dem Zucker kohlenstoff-
und sauerstoffreiche und wasserstoffarme Körper entstehen, wie z. B.
Bernsteinsäure (vgl. § 107) oder Ameisensäure (§ 108), bei deren Bil-
dung Kohlensäure verschwindet. Beijerinck bestreitet allerdings,
daß aus Maltose von dem echten Butylbazillus außer Kohlensäure
Säuren überhaupt gebildet würden, nur die schwächlichen Abarten
desselben erzeugten aus Glyzerin etwas Buttersäure und stellten somit
einen Übergang zu dem Granulobacter saccharobutyricum dar (s. u.).
Wie die meisten Buttersäurebakterien bildet das Granulobacter
butylicum auch nach Beijerinck diastatische Enzyme, mit denen
es Stärke verzuckert, und erzeugt in seinem eigenen Leibe gleichzeitig
wieder Stärke aus Zucker unter Clostridiumbildung. Am Ende der
Wandlungen der Kohlenhydrate. 373
Gämng verschwindet aber auch diese wieder aus den Bakterien, letz-
tere scheinen sich dabei, teilweise aufzulösen. Zellulose wird nicht
aDgegriffen.
Eigentümliche Angaben macht Beijerinck noch über das
Sauerstoffbedürfnis und die Variabilität seines Bakteriums. Im An-
fange der Gärung, so lange Sauerstoff vorhanden ist und der Butyl-
alkohol noch fehlt, sind die Stäbchen schlank, sehr beweglich und teil-
weise zu Ketten verbunden, granulosefrei, während der Hauptgärung,
bei der die letzten Spuren des Sauerstoffs verbraucht sind, werden sie
plumper, weniger beweglich, nehmen Clostridienform an, bilden reich-
lich Granulöse imd Sporen. Auch die daraus hervorgehenden Kolonien
sind verschieden und erzeugen im Gärmaterial nicht die gleichen Stoffe,
so daß es sich um Abänderungen handelt, die bis zu einem gewissen Grade
vererbüch sind.
Auch sonst ist der Butylalkohol nach Beijerinck kein seltenes
Gärprodukt. In wechselnder, aber kleiner Menge wird er z. B. von dem
Granulobacter saccharobutyricum, das nach dem Verfasser der Haupt-
erreger der Buttersäuregärung sein soll und wahrscheinlich identisch
ist mit den beweglichen Buttersäurebazillen von Schattenfroh
und G r a ß b e r g e r (s. o. S. 353), aus Glykose und Maltose erzeugt.
Auch das Granulobacter Polymyxa, ein fakultativ anaerobes Clostri-
dium, bildet nach Beijerinck aus Malzwürze etwas Butylalkohol
und viel Kohlensäure, dagegen keinen Wasserstoff und keine Butter-
säure.
§ 116. Bedeutung der Bnttersäuregärung. So wichtig die
Milchsäuregärung für die Gewerbe ist, so wenig Bedeutung besitzt die
Buttersäuregärung. Im allgemeinen kommen die Buttersäurebakterien
nur als Schädlinge in Betracht, so z. B. in dem Brennereigewerbe^).
Offenbar ist die Buttersäure ein starkes Gift für die Hefe. Man be-
kämpft die falsche Gärung zweckmäßig durch Milchsäure, sei es, daß
man sie als solche zusetzt, sei es, daß man sie durch (lange) Milch-
säurebakterien erzeugen läßt (§ 96 u. 111). Zunächst erscheint es
merkwürdig, daß die Buttersäurebazillen die Milchsäure, die sie doch
selber ebenfalls produzieren, nicht vertragen. Das liegt aber daran,
daß sie selber nur schwachen Säuregraden angepaßt sind: 1 — ^2yQQ
bildet gewöhnlich schon die Grenze, die ihnen ein Ziel setzt. Die echten
Milchsäurebakterien vertragen bekanntlich viel mehr (§ 101).
Die Buttersäure wird nur wenig zu gewerblichen Zwecken benutzt
— z. B. zur Darstellung von Fruchtäthem. Man gewinnt sie aus der
1) Nur ausnahmsweise freilich durch Bildung von höherem Alkohol
(Butylalkohol, nicht Amylalkohol, Pringsheim s. o. S. 372.).
374 Kap. VI, § 116 u. 117.
früher beschriebenen durch die beweglichen Butteisänrebazillen verur-
sachten Gärung (S. 354).
§ 117. VergäriiBg der Zellulose und des Gummis. Sumpf -
gasgärung. Während wir gesehen haben, daß alle anderen natürlich
vorkommenden Kohlenhydrate den in den vorhergehenden Abschnitten
beschriebenen Zersetzimgen verfallen können, haben wir, außer Schim-
melpilzen, die durch ihr hydrolytisches Enzym wirken (§ 76), bisher
noch keinen Mikroorganismus kennen gelernt, der auch die 25ellulose
angriffe. Doch gibt es solche. Schon Mitscherlich^) hatte 1850
die Beobachtung gemacht, daß in Wasser faulende Kartoffelscheiben
allmählich sich auflösten und hatte die Ursache dafür sogar „Vibrionen",
zugeschrieben, P o p o f f ^) imd Hoppe-Seyler^) studierten
dann die sich dabei abspielenden chemischen Vorgänge genauer und
identifizierten sie mit der schon länger bekannten „Sumpfgasgärung",
die im Schlamme von Flüssen imd Teichen und im Darme von Tieren
vorkommt. Sie verfuhren dabei in der Art, daß sie zellulosehaltige
Pflanzenteile oder auch schwedisches Filtrierpapier, d, h. reine Zellu-
lose, mit etwas Schlamm imter Luftabschluß gären ließen und die
dabei erhaltenen Gase untersuchten. Während P o p o f f Kohlensäure,
Sumpfgas und Wasserstoff in wechselnden Verhältnissen fand, fehlt
nach Hoppe-Seyler der Wasserstoff ganz, und das Sumpfgas
überwiegt zunächst gegenüber der Kohlensäure sehr erheblich, bis sieh
schließlich das Gleichgewicht zwischen beiden Gasen herstellt. Da
andere Produkte nicht festgestellt werden konnten, würde die Gärung
dem Zerfall des Kohlenhydrats in gleiche Teile Kohlensäure und Sumpf-
gas nach der Formel
1) CeHigOe = 3 CO^ + 3 CH4 (-f 33 Kai.)
entsprechen. Vorausgesetzt ist dabei, daß die Zellulose vorher hydroly-
siert wird:
(CeHioOß) X + xHgO = xCJä^fi^ (+ 3 Kai. ?)
Das Gasverhältnis änderte sich in dem Falle, daß reduzierbare Stoffe,
wie Sulfate, Eisen- oder Manganoxyd in der Gärflüssigkeit vorhanden
waren; dann bildete sich durch Einwirkung des Sumpfgases Schwefel-
wasserstoff
Ca SO4 + CH4 = Ca CO3 + H2S + HgO.
Für die Zellulosevergärung im Darme der Pflanzenfresser fand
Tappeiner*) in seinen gründlichen Untersuchungen 'sehr ver-
1) Monatsh. Akad. Wissensch. Berlin 104, 1850.
2) Pflügera Archiv 10, 1875.
3) ZeitBchr. physiol. Chem. 10, 1886.
4) Zeitschr. f. Biol. 20, 1884 und 24, 1887.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 375
wickelte Verhältnisse, auf die ^r bei Besprechung der Darmgärung
zurückkommen werden (Infektionslehre). Seine Versuche führten ihn
dazu, zwei Arten von Zellulosegärung anzunehmen: die Sump^as-
und die Wasserstoffgärung. Die erstere, die er bei der nachträglichen
Gärung von unfiltriertem Pansen- oder Dickdarminhalt des Rindes vor
sich gesehen hatte, konnte er künstUch nachahmen, wenn er neutrali-
sierte einprozentige Fleischextraktlösung mit Zellulose (Papier, Watte)
unter Sauerstoffabschluß zusammen untersuchte und mit Pansen-
inhalt impfte. Die daraus bei 37® entwickelten Gase waren in den
ersten Tagen spärlich und bestanden aus wechsehiden Mengen von
Kohlensäure, Wasserstoff und Sumpfgas. Kontrollversuche mit Fleisch-
extraktlösungen ohne Zellulose zeigten, daß es sich hier um eine reine
Gärung des Extraktes handelte (a. a. 0. 24. 109). Erst vom 5. oder
6. Tage an zeigte sich in den Kulturen mit Zellulose eine reichlichere
Ent¥ricklung von Gasen, die wesentlich aus Kohlensäure imd Sumpf-
gas (33 — 50%) bestanden und höchstens Spuren von Wasserstoff ent-
hielten. In den einzehien Versuchen schwankte das Verhältnis zwischen
Sump%aB imd vergorener Zellulose zwischen 4,7 und 6,2%. Etwa
60% der Zersetzungsprodukte der Zellulose kommen auf flüchtige
Säuren und zwar in erster Linie auf Essigsäure, dann auf kleine
Mengen von Buttersäure (Normal- und Isobuttersäure?). Da-
neben wurden Spuren von einem Aldehyd und Alkohol beobachtet, deren
Herkunft aber zweifelhaft war. Die Kontrollflasche mit Fleischextrakt
ohne Zellulose blieb einige weitere Wochen ohne Gärung, entwickelte
dann aber auch noch Gase, die ebenfalls aus Kohlensäure imd Methan
bestanden. An dem Vorkommen einer Sumpfgasgärung aus stickstoff-
haltigem Material ist danach nicht zu zweifeln (§ 192). Mit anderen
Nährlösungen als mit Fleischextrakt gelang es Tappeiner nicht,
aus Zellulose Sumpfgas zu erhalten, wohl aber Wasserstoff in
entsprechender Menge neben Kohlensäure und denselben flüchtigen
Fettsäuren. Merkwürdigerweise trat die „Wasserstoffgärung" auf, wenn
Zellulose zu Pansen- oder Dickdarminhalt, die durch Papier filtriert
waren, gesetzt wurde. Auch in Zellulose-Fleischextraktlösungen
zeigte sich manchmal die abweichende Zersetzung, imd zwar regel-
mäßig dann, wenn die Reaktion alkalisch gemacht, oder der Fleisch-
extrakt teilweise durch künstliche Salzlösungen ersetzt war. Auch
Asparagin-, Azetamid- oder Anmioniumazetatlösungen eigneten sich
zur Hervorrufung der Wasserstoffgärung aus Zellulose, nur darf das
Asparagin nicht zu stark konzentriert (z. B. zu 2 — 314%) angewendet
werden, weil es dann selbst vergoren wird (§169) und die Zellulose vor der
Zersetzung schützt. Immerhin macht sich auch in diesem Falle nach
Tappeiners Beobachtung ein Einfluß des Zellulosezusatzes be-
376 Kap. VI, S 117.
merkbar, der noch der Erklärung harrt, er beschleunigt nämlich die
Gärung.
Auch in dem Dünger findet eine Vergärung der Zellulose statt.
Alle Forscher, Deh6rain^), Gayon*), Schlösing®) u. a.
sahen dabei nur Kohlensäure und Sumpfgas entstehen, der letzt-
genannte annähernd in gleichen Mengen, wie sie der Gleichung 1
entsprechen.
Die Mikroorganismen der Zellulosegänmg sind zuerst von van
Tieghem*) unter dem T r e c u 1 sehen Namen des „Amylobacter"
beschrieben worden. Hoppe-Seyler identifiziert die von ihm
gefundenen Bakterien mit ihm, ohne weitere Studien darüber zu machen.
Van Senus^) kam zu einem anderen Schluß : das Amylobacter soll
rein gezüchtet nicht imstande sein, die Zellulose anzugreifen, wohl im
Verein mit einer anderen viel kleineren Bakterienform, die ihrerseits
ebenfalls allein für sich die Zellulose nicht vergärt. Der chemische
Prozeß der Zellulosegärung wird von diesem Autor anders aufgefaßt
als von den übrigen. Zunächst würde das Kohlenhydrat durch ein
Enzym, dessen Isolierung aus faulenden Rüben ihm einmal gelang
(vgl. S. 230), verzuckert, doch immer nur in so geringer Menge, daß
zuckerartige Stoffe in den Gärmischungen nicht nachweisbar wären.
Die verflüssigte Substanz soll sofort zu Wasserstoff, Kohlensäure
und Essigsäure, vielleicht auch zu Isobuttersäure vergoren werden
und das Sumpfgas erst nachträglich durch Einwirkung des Wasser-
stoffs auf die Essigsäure entstehen, wobei letztere vollständig ver-
braucht würde (§ 141). Nur wo, wie im Darmkanal, andere reduzierbare
Stoffe daneben noch zur Verfügung ständen, bliebe ein Teil der
Essigsäure unzersetzt. So erklärten sich die verschiedenen Angaben
der Autoren.
Man kann aus dieser Übersicht der Literatur schon den Schluß
ziehen, daß der Prozeß der Zellulosevergärung nicht einheitlich ver-
läuft, daß also wohl verschiedene Mikroorganismen dabei ins Spiel
kommen. Das haben denn auch die neueren Arbeiten Omelians-
k y s *) bestätigt. Er unterscheidet wie Tappeiner die Sumpf-
gas- (Methan-) und die Wasserstoff gärung, deren Erreger
1) Compt. rend. acad. sc. 98. 377 und 99. 45, 1884.
2) Ebenda 98. 528.
3) Ebenda 109. 835.
4) Ebenda 88. 205 und 89. 5.
5) Bejdrag tot de keimis de cellulosegisting (Proefsclirift) Leiden 1890,
ref. Kochs Jahresber. 1890. 136.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 8, 1902 und 11 und 12, 1904; vgl. auch Compt.
rend. 121. 653, 1895.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 377
schlanke Bazillen mit runden Köpfchensporen^) sind, verschieden
von dem Amylobacter van Tieghems, imtereinander sich aber
nahestehend. Die Reinkultur auf festen Nährböden ist zwar bisher
noch nicht mit Sicherheit gelungen, doch lassen sich die Bakterien
auch in flüssigen Nährlösungen von fremden Beimengungen und von-
einander so weit trennen, daß über die Richtigkeit der Ergebnisse
Omelianskys kaum ein Zweifel möglich ist.
Als Nährlösimg diente gewöhnlich die folgende:
Kai. phosphor. 1
Magn. sulfur. 0,5
Ammon. sulf. oder phosph. 1
Natr. chlor. in Spuren
Aqu. dest. 1000
Hin und wieder wurden ohne Änderung des Resultates statt des Ammon-
salzes 0,5% Asparagin oder 0,1% Pepton benutzt und statt der Mineral-
lösung ein 0,5 prozentiger Fleischextrakt oder eine Mistabkochung.
In die Lösung wurde Filtrierpapier oder ein anderes Zellulosepräparat
und Kreide gebracht, die Impfung mit Pferdemist oder Flußschlamm
vollzogen und dann für anaerobe Versuchsbedingungen gesorgt. Nach
einer Inkubation von 1 bis 4 Wochen beginnt bei 35® die Sumpfgas-
gärung mit Entwicklung von Methan und Kohlensäure in sehr wechseln-
den Verhältnissen mit Überschuß des einen oder anderen Gases. Neben
den Gasen wurden größere Mengen von Essig- und Butter-
säure, und zwar die erstere in bedeutendem Überschuß, gebildet.
In einem Monate lang durchgeführten Versuche ergab sich ein
Verlust von 2,0065 g Zellulose, die sich auf
0,1372 g Methan,
0,8678 g Kohlensäure,
1,0223 g flüchtige Fettsäure
2,0273 g
verteilte.
Diese Gärung konnte beliebig oft durch Überimpfung auf neue
Nährlösung wiederholt werden, ohne ihren Charakter zu ändern. D a -
gegen trat gewöhnlich ein Wechsel ein, wenn das
Impfmaterial vorher 15 Minuten bei 75" erhitzt
worden war: es entwickelte sich dann die Wasserstoffgärimg mit
wechselnden Mengen von Kohlensäure und Wasserstoff. In den ersten
Tagen überwog der Wasserstoff, später die Kohlensäure. Daneben
1) Auch Tappeiner scheint diese gesehen zu haben.
378 Kap. VI, § 117.
wurden, wie bei der Sumpfgasgärung, große Mengen von Essigsäuie
iLnd Buttersäure erzeugt, und zwar überwog bald die erstere, bald die
letztere. In einem Yersucb, in dem 3,3471 g Zellulose verschwunden
waren, fanden sich davon wieder
0,9722 g Kohlensäure,
0,0138 g Wasserstoff,
2,2402 g Fettsäure
3,2262 g
Spuren von höheren Alkoholen konnten außerdem nachgewiesen
werden. Diese Zahlen Omelianskys ermöglichen es noch nicht,
die Zellulosevergärung in Gleichungen zu fassen, vielleicht handelt es
sich aber bei der Methangärung um drei Prozesse, die nebeneinander
hergehen, den Zerfall des Eohlenhydrates in Methan und Kohlensäure
nach Formel 1, die uns schon bekannte Essigsäuregärung
2) CgH^gOß = 3 C2H4O2
und die gleichfalls bekannte Buttersäuregärung
3) CeHiA = C4H3O2 + 2CO2 + 2 Hg.
Der Überschuß der Kohlensäure würde aus letzterer Sfersetzung her-
vorgehen.
Bei der Wasserstoffgärung der Zellulose würden die Essigsäure- und
Buttersäuregärung, Formel 2 imd 3, sich vielleicht verbinden mit
dem Prozeß, den wir schon früher als Wasserstoffgärung des Zuckers
bezeichnet haben {§ 98 u. 105) und der nach der Gleichung
4) CeH^A + 6H2O = 6CO2 + 12 Hg
verläuft.
Ein Zellulose lösendes Enzym konnte auch Omeliansky bei
seinen Mikroorganismen nicht nachweisen. Diese scheinen sich, nach
dem Ausfall der mikroskopischen Untersuchung zu urteilen, förmlich
in die Zellulose hineinzufressen, bedürfen also wohl, wie van Senus
schon vermutet, nur kleinster Spuren von hydrolytischen Enzymen
und vergären die gelöste Zellulose sofort.
Bei weitem das kräftigere Gärvermögen besitzt der Sumpfgas-
bazillus, daher erklärt es sich wohl auch, daß er im allgemeinen den
Wasserstoffbazillus überwuchert. In Kulturen, die mit gleichen Teilen
des einen und des anderen Mikroben geimpft worden sind, entwickelt
sich nur die Sumpfgasgärung. Nur die Erhitzung verträgt der Erreger
der letzteren schlechter als der Wasserstoffbazillus, dem dadurch freie
Bahn geschaffen wird. Auch unter natürUchen Verhältnissen wird die
Sumpfgasgärung der häufigere Vorgang sein, was ja mit den Angaben
Wandlungen der Kohlenhydrate. 379
in der literator übereinstimint. Wie sich der Befund Hoppe-
S e 7 1 e r 8 erklärt (s. o.), ist noch nicht ausgemacht. Vielleicht hat er
deshalb keine Fettsäure nachweisen können, weil diese in seinen Misch-
kulturen mitvergoren wurde. Eine Sumpfgasgärung des essigsauren
Kalziums kommt wenigstens vor (§ 141). Da hierbei mehr Sumpfgas
als Kohlensäure erzeugt wird:
Ca(C2H30,), + H^O = CaCOg + CO^ + 2CH,
und bei der Sumpfgasgärung der 2^11ulose nach Omeliansky um-
gekehrt mehr Kohlensäure als Simipfgas entsteht, so würde es ver-
ständhch werden, daß bei einer Vereinigung beider Prozesse die Gase
zu gleichen Teilen auftreten, wie es Hoppe^Seyler gefunden
hat. Es würde freilich dazu ein besonderer Mikrobe gehören, der das
essigsaure Salz zersetzt, denn der Sumpfgasbazillus Omelianskys
ist dazu nicht imstande.
Obgleich der russische Forscher die weite Verbreitung seiner
beiden Mikroorganismen hat nachweisen können, ist damit noch nicht
gesagt, daß es daneben nicht noch andere Zellulose vergärende Spalt-
pike geben könnte. Maz^^) will neuerdings in der Tat eine andere
Art von Sumpfgasgärung entdeckt haben. Er fand, daß sich aus
trockenen Blättern, die er mit einer Salzlösung übergössen hatte,
große Mengen des Gases neben Butter- und Essigsäure entwickelten.
Die aus diesem Bakteriengemisch rein gezüchteten Arten vermochten
allerdings sämtlich nicht, Simipfgas zu bilden. Wenn jedoch zwei dieser
Bakterien mit einem dritten, einer großen „Pseudosarzine", zusammen-
geimpft wurden, trat die Gänmg ein; sie blieb aus, wenn der letztere
Mikrobe auf Filtraten der Begleitbakterien gezüchtet wurde. Es würde
sich danach um eine Symbiose handeln, ähnlich der von N e n c k i
beschriebenen zwischen dem Rauschbrandbazillus und dem Micrococcus
acidi paralactici (S. 170).
Eine andere Zersetzung der Zellulose (und übrigen unlöslichen
oder schwer löslichen Kohlenhydrate), die wohl als Oxydations-
prozeß aufzufassen ist, werden wir bei der Stickstoffgärung be-
sprechen (s. u. § 198). Vanlterson^) sah nämlich eine Auflösung
von Zellulose in anaerob gehaltenen Nährlösungen, die Nitrate ent-
hielten. Auch bei unbeschränktem Luftgehalt sollen gewisse Bak-
terien (Bac. ferrogineus und ein gelber Mikrokokkus) die Zellulose kräftig
angreifen. Die Auflösung der Zellulose durch Schimmelpilze wurde
schon früher besprochen (§ 76).
1) Compt. rend. 137. 887.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. II. 689, 1904.
380 Kap. VI, § 117 u. 118.
Außer der 2ieIlulose gibt es noch andere Kohlenhydrate, die den
Angriffen der Mikroorganismen zähen Widerstand entgegenzusetzen
pflegen. Dahin gehören die Gummiarten, imd zwar sowohl die-
jenigen, die durch Hydrolyse in Hexosen zerfallen, die Hexosane als
die Pentosane. P o p o f f hat aber schon Gummi arabicum,
das zu der ersteren Gruppe gehört, durch denselben Schlamm, mit
dem er die Zellulosevergärung erhielt, in lebhafte Gärung versetzt;
es entwickelte sich in 2 Versuchen:
I. 76,2% II. 91,1% Kohlensäure
6,0% 6,5% Sumpfgas
17,8% 2,4% Wasserstoff.
Es handelte sich also um eine gemischte Sump%as-Wasserstof%ärung,
wie sie übrigens P o p o f f (s. o.) auch aus der Zellulose erhielt. Hoppe-
S e y 1 e r ^) sah ebenfalls bei einem Pentosan, dem Holzgummi,
eine ähnliche Sumpfgasgärung eintreten, wie bei der Zellulose,
und Omeliansky^) beobachtete auch beim Gummi arabicum
eine reine Sumpfgasgärung. Auch das Xylan, ein verwandter
Körper, verfällt nach Hebert*) gemeinschaftlich mit echter
Zellulose imd „Vasculose", einem Umwandlungsprodukt des Holz-
stoffs, einer Zersetzung, deren Produkte allerdings nicht näher
studiert worden sind, die aber wohl der Sumpfgasgärung ent-
spricht. Von diesen Bestandteilen des Strohs fanden sieh,
nachdem sie in einer öprozentigen Lösung von kohlensaurem
Kalium und Ammonium aufgeschwemmt und mit Jauche geimpft
einer dreimonatlichen Gärung bei 55" unterworfen worden waren,
bei der Analyse wieder:
von 14,12 g Zellulose 6,18 g
„ 14,1 g Vasculose 11,75 g
„ 10,00 g Xylan 4,67 g.
Man sieht daraus gleichzeitig, daß die Sumpfgasgärung
auch bei höheren Temperaturen möglich ist,
eine Beobachtung, die mit der lange bekannten Tatsache über-
einstimmt, daß die Temperatur in gärenden Düngerhaufen sehr
hoch ansteigen kann. Nach den beiden Schlösings*) würden
60" C ungefähr die Grenze für die Entwicklung der Sump^as-
gärung bezeichnen.
1) Zeitschr. f. physiol. Cliem. 13.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 15. 678.
3) Compt. rend. acfwi. sc. 110. 969 und 115. 1321.
4) Annal. agronom. 18, 1893; nach D u c 1 a u x 4. 465.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 381
Leichter angreifbar für die Mikroorganismen als die Zellulose und
die Gummiarten sind die Pektinstoffe ^), deren hydrolytische
Spaltung und weitere Vergärung wir schon früher besprochen haben
(§ 75). Wahrscheinlich spielen die hier besprochenen Zersetzungen
eine gewisse Holle auch bei dem Faulkammerverfahren
ZOT Reinigung der Abwässer, denn es scheint nach den Erfahrungen
Dunbars ^) , daß auch dieZellulose in der Faulkammer angegriffen wird.
§ 118. Entstehung des Humus, der Kohle, des Gruben-
gases. Über die Entwicklungsweise der Humusstoffe, des Torfes, der
Braun- und Steinkohle ist noch wenig Sicheres bekannt. Es fragt sich,
ob man es auch hier mit Wirkungen von Mikroorganismen zu tun hat.
Der Umstand, daß die genannten Stoffe wesentlich pflanzlichen Ur-
sprungs sind, und die lange bekannte Tatsache, daß man aus Zucker
und anderen Kohlenhydraten durch Behandlung mit Alkalien oder
Säuren humusähnliche Stoffe erhalten kann, läßt die Annahme mög-
lich erscheinen, daß die Humusstoffe auch imter natürUchen
Bedingungen im Erdboden aus denselben Quellen hervorgehen. Das
Vorhandensein von Filzen und Bakterien in ihnen ist ebenfalls ge-
sichert. So hat man denn schon seit Nägeli Fadenpilze ^)
für die Bildung namentlich des sauren Humus, des Moorbodens, ver-
antwortlich gemacht. Bakterien treten in letzterem sehr zurück,
finden sich aber um so reichlicher in mildem Humus*). Nach B e i j e -
r i n c k *) u. a. spielen Strahlenpilze eine wichtige Rolle bei
der Humifizierung des Garten- und Waldbodens. Besonders ist die
Streptothrix (Actinomyces) chromogena*) nicht nur allenthalben ver-
breitet, sondern zeichnet sich auch durch ihren Erdgeruch und die
Braunfärbung in (tyrosinhaltigem) Nährboden aus.
Aber auch die fossilen Hölzer enthalten Mikroorganismen.
So hat schon vanTieghenj^)in verschiedenen Pflanzenteilen den
Erreger der Sumpfgasgärung, seinen Bac. amylobacter (S. 376) wieder-
1) t*ber die Verschiedenheit der histologischen Bilder und der
Analysenergebnisse bei der Pektin- und Cellulosevergärung des Leins
s. Omeliansky, Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 1.
2) Leitfaden für die Abwässerreinigungsfrage, 1907, S. 133.
3) P. E. M ü 1 1 e r , Die natürlichen Humusformen. 1887 ; K o n i n g ,
Kochs Jahresber. 1904. 97.
4) Hamann, Kemel^, Schellhorn und Krause, ref .
Zentr. Bakt. 2. Abt. 6. 296 ;Fabriciu8 und vonFeilitzen, ebenda
U. 161, 1905.
5) Ebenda 6. 2, 1900.
6) Wohl identisch mit der Cladotlirix odorifera Rullmanns
f*benda 2 und 5.
7) Compt. rend. 89. 1102, 1879.
382 Kap. VI, § 118.
finden und Renault^) später in Torf-, Braun- und Stein-
kohle sowohl große Bazillen als Kokken in hellen Haufen feststellen
wollen. Selbst wenn man alle diese Befunde anerkennen dürfte, wäre
dadurch natürlich noch nicht der ursächliche Zusammenhang zwischen
den Mikrobien und der Humifizerung und Verkohlung bewiesen. Wir
brauchten dazu erst Experimente. Und gerade hieran fehlt es bisher.
Obwohl man die unter dem EinfluB von Bakterien und Pilzen statt-
findenden anaeroben und aeroben Zersetzungen der Zellulose und des
Holzes nach allen Richtungen studiert hat, auch die Versuche jahrelang
fortgesetzt hat, hat man mit Ausnahme der später zu erwähnenden
kümmerlichen Ergebnisse van Itersons^) keine Erfolge gehabt.
Man wird sich dadurch aber nicht abschrecken lassen dürfen und
namentlich die Bedingungen ins Auge fassen müssen, unter denen eine
Verkohlimg, z. B. von Grubenhölzern, im Laufe weniger Jahre erfolgen
soll'*). Inzwischen lohnt es sich, den Vorgang der Humifizierung rein
vom chemischen Standpunkte aus zu betrachten*). Wir geben
zu dem Zweck einige, zum Teil nur angenäherte empirische
Formeln, die die Zusammensetzung der hier in Betracht kommenden
Stoffe pflanzlicher Herkimft im Verhältnis zu einander veranschau-
lichen soUen.
Steinkohle (Renault): C^^K^fi^ (oder C,H,0)
Huminsäure (Mulder): CigKuO« (genauer: C^oH^iO,,)
Gerbstoffrot (Hoppe- Seyler): CigHuOg (genauer: Cj,H„0,,)
Zellulose: CjgHaoOu
Hydroehinon: CigHigO«
Suberinsäure (G i 1 s o n): CißH^O, (genauer Ci7H,oO,)
Ölsäure: CiaHj^Oj.
Hieraus ist erstens zu ersehen, daß die aromatische Substanz (Hydro-
ehinon) und der Gerbstoff in ihrer Zusammensetzung dem Humus
am nächsten, zum Teil sehr nahe kommen, imd allenfalls durch Oxy-
dation oder Austritt weniger Wassermoleküle zu ihm führen könnten.
Bei der Zellulose wäre ein sehr reichlicher Austritt von Wasser nötig,
bei dem Fett und der ihm nahestehenden Kutikular- und Korksubstanz
(Suberinsäure) eine sehr starke Oxydation. Umgekehrt ist der Über-
gang von dem Humus zur Kohle nur möglich durch starke Reduktion.
1) Annal. scionc. naturell, (botan.) 8. s<^r. 2. 275, 1896 und zahlreiche
andere Arbeiten. Abbildungen bei Z o i 1 1 e r , Elements de pal6obotanique
1900. 39. Vgl. auch Duclaux, Mikrobiol. 4. 489.
2) Vgl. § 123 am Schluß.
3) S. bei Solms-Laubach, Einf. in die Paläophytologie 1887,
S. 18.
4) Vgl. Duclaux, Mikrobiol. 4. 486 und 707.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 383
In der Tat gibt Renault für die Entstehung der Kohle aus der
Zellulose folgende Formel:
2C1Ä0O10 = CeHeO + TCH^ + SCO^ + SH^O
und durch eine ähnliche Formel kämen wir von der Humussäure zur
Kohle:
• TCieHiA = eCißHiA + 3CH4 + 15 CO,.
Omeliansky^) stellt dagegen folgende einfache Gleichung auf,
die sofort den Übergang zu reiner Kohle bewerkstelligen würde:
2CeHio05 = 5CO2 + 5CH4 + 2C.
Alles das wären anaerobe (Sumpfgas-)Gärungen, für die wir aber in
der Erfahrung keinen Anhalt haben. Allerdings haben wir allen Grund,
anzonehmen, daß die Bildimg der Kohle wie die des Torfs im Wasser
vor sich geht, und daß unter Wasser die Zellulose zu Sumpfgas und
Kohlensäure vergärt, haben wir eben (§ 117) gesehen. Der „Gruben-
gas^^-Gehalt der Kohlengruben spricht außerdem dafür, daß vielleicht
etwas derartiges bei der Kohlenbildung vorkommt. Da uns aber vor-
läufig nichts zu der Voraussetzung berechtigt, die Sumpfgasgärungen
seien früher anders verlaufen als jetzt, d. h. wo sie unter völUgem
Ansehen der Zellulose in Gas, oder wenigstens ohne Zurückbleiben
von Kohle vor sich gehen, könnten wir mit Duclauxzu dem Schlüsse
kommen, daß die Zellulose zur Zeit der Kohlenformation zwar auch
der Sumpfgasgärung verfallen, aber gar nicht die Quelle der Kohle
selbst wäre, sondern daß andere sie begleitende Pflanzenstoffe dafür
in Anspruch genommen werden müßten. Als solche bieten sich dar
in erster linie die Fett-, Kork- und Kutikularsubstanzen. Wie die
obigen Formeln zeigen, würde die Kohle durch Wasserstoffentziehung,
also durch Oxydation aus diesen Stoffen hervorgehen können. Wirk-
lich hat Duclaux bituminöse Stoffe aus Käse dar-
stellenj können, die er auf Umwandlung der Fette durch langsame
Oxydation zurückführt. Grundsätzlich wird man zwar damit einver-
standen sein können, daß Oxydation und Reduktion neben oder nach-
einander bei der Humifizierung und Verkohlung mitwirken. Der Ur-
sprung der bituminösen Stoffe aus dem Fett bedürfte nur noch einer
gründlichen experimentellen Prüfung.
Daneben bietet sich nach Duclaux aber noch eine zweite Mög-
lichkeit der Erklärung in den Veränderungen der aromatischen Be-
standteile der Pflanzen, zu denen ja auch die weit verbreiteten Gerb-
stoffe gehören. Auch diese können nachweislich durch Oxydation in
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 15.
384 Kap. VI. § 118 u. 119.
schwärzliche Produkte („Melanine") verwandelt werden (Kap. VIII).
Bekanntlich ist auch der aromatische Kern in der Kohle reichlich
vertreten. Man kann dem zwar insofern zustimmen, als voraussichtlich
auch die aromatischen Stoffe von Bedeutung für die Kohlenbildung
sind, sieht aber nicht ein, was die sehr sauerstoffreichen Melanine mit
der sauerstoffarmen Kohle außer der Farbe zu tun haben sollten. Auch
hier tappt man also noch völlig im Dunklen.
Für die Entstehung des Sumpfgases, das sich in der Kohle so
häufig als Grubengas, imd zwar als einziges brennbares 6as^) ein-
geschlossen findet, hätte man allenfalls eine genügende Erklärung in
den oben erwähnten biologischen Vorgängen. Das ebenfalls reichUche
Vorkommen in manchen heißen Q u e 1 1 e n und namentlich in n a p h -
t h a haltigen ^) Erdschichten ist aber wohl besser auf rein chemischem
Wege, z. B. durch die Wechselwirkung von Karbonaten, Schwefel-
wasserstoff und schwefliger Säure, zu erklären (Roche ')).
CaCOg + SO2 + 3H2S = CaSO^ + H^O + 3 S + CH4.
Schwefel ist ja ebenfalls ein gewöhnliches Produkt vulkanischer Tätig-
keit. Auch Wasser könnte mit Kohlenstoffverbindimgen des Eisens
und Aluminiums zusammen Kohlenwasserstoffe erzeugen (M e n d e 1 e -
j e w , Arm. G a u t i e r).
In der Luft ist, wie schon V o 1 1 a gefunden, ebenfalls Sumpfgas
enthalten. Nach Armand Gautier*) ist dabei die Verteilung
eine ganz eigentümliche, indem
Stadtluft in je 100 Litern 22 ccm,
Waldluft „ „ 100 „ 11,3
Gebirgsluft „ „ 100 „ 2,19
Seeluft „ „ 100 „ 0,10
enthält. Das spricht für die Entstehung des Gases aus der Zersetzung
organischer Stoffe. Solche Vorgänge haben wir in der Vergärung der
Zellulose, der Gummiarten schon kennen gelernt, und ähnlichen werden
wir weiter bei der Vergärung der Essig-, Milch- imd Buttersäure sowie
der Eiweißstoffe begegnen.
§ 119. Oxydation der Kohlehydrate. Nachdem wir in den
vorhergehenden Abschnitten die Spaltungen der Kohlehydrate, die
1) Schlösing, Compt. rend. 122. 398, 1896, vgl. auch Zeiteclir.
phys. Chem. 10. 203.
2) Das gilt wohl auch für die Entstehung des Xaphthas und Erdöls
selbst, vgl. § 151.
3) Vgl. Omeliansky, a. a. O.
4) Compt. rend. 130 und 131, 1900.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 385
ohne Beteiligung des freien Sauerstoffs der Luft verlaufen, besprochen
haben, wenden wir uns jetzt den Oxydationen zu. Je nach der Zahl der
Sauerstoffatome, die in das Molekül des Kohlehydrats eintreten, ändern
sich die Verbrennungsprodukte. Die vollständige Oxydation des
Zackermoleküls zu Kohlensäure und Wasser verlangt 12 Atome Sauer-
stoff nach der Gleichung
CeHjgOe + 120 = öCOg + 6H2O.
Verbindet sich nur ein Atom Sauerstoff mit dem Zucker, so entsteht
Glykonsäure:
C^jHjgOg + 0 = CßHigO,.
Dazwischen liegen die Oxalsäure (mit 9 Atomen Sauerstoff), Glyze-
rose (6), Essigsäure (4), Zitronensäure (3), Zuckersäure (3), Glykuron-
saure (2) als Erzeugnisse mehr oder weniger weitgehender Verbrennung
der Kohlehydrate. Die Art, wie alle diese Körper sich bilden, ist noch
keineswegs aufgeklärt. Zunächst wissen wir häufig schon nicht, ob die
Polysaccharide und Disaccharide vor ihrer Oxydation hydrolytisch zu
Monosacchariden gespalten werden. Nur in einzelnen Fällen ist das
nachgewiesen. Dann wissen wir nicht, warum in dem einen Falle
dieses, in dem anderen jenes Oxydationsprodukt, in dem einen hoch-
oxydierte, in dem anderen schwachoxydierte Körper entstehen. Die
Annahme, daß spezifische Sekretionsprodukte der Mikroorganismen,
oder besser gesagt, bestimmte Bestandteile (Seitenketten) ihres Proto-
plasmas das besorgen, die Oxydationsenzyme oder „Oxydasen", liegt
nach der Entwicklung unserer Kenntnisse in den letzten Jahren nahe,
der Beweis dafür fehlt aber bisher noch fast überall. Sicher ist daneben
das Maß des Sauerstoffzutritts von einer gewissen Bedeutung für den
Verlauf der Oxydation. Wir werden einige Beispiele kennen lernen,
wo bei Sauerstoffmangel niedrig oxydierte Produkte entstehen, die
dann bei reichlichem Zutritt von Sauerstoff weiter verbrannt werden.
Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß die Verbrennung in j e d e m
Falle schrittweise von der niederen zu der höheren Oxydationsstufe
erfolge, doch fehlen gewöhnhch die Ubergangsprodukte.
Nirgends zeigt sich der Mangel an Folgerichtigkeit mehr als in der
Bezeichnungsweise der hier zu erörternden Prozesse. Allgemein spricht
man von Oxydationsgärungen, wenn das Produkt der Verbrennung
die Zitronen- oder die Oxalsäure ist, die vollständige Verbrennung hat
dagegen niemand bisher „Kohlensäuregärung'* genannt und doch wäre
diese Benennimg durchaus berechtigt. In dem einen wie dem anderen
Falle handelt es sich nicht um einfache chemische Prozesse, die „von
selbst" verlaufen, es bedarf dazu eines Anstoßes, eines organischen
Katalysators, d. h. Ferments oder Enzyms. Gleichgültig für den Prozeß
Kruse, Mikrobiologie. 25
386 Kap. VI, § 119—121.
selbst ist es, ob man sich dieses Enzym als von der Zelle trennbar
vorstellt oder als ,, Seitenkette'' des Protoplasmas, die mit dem Tode
des letzteren oder nach ihrer Abtrennung ihre kataljrtische Wirksam-
keit verliert.
Das wenige, was bisher bekannt ist über oxydierende Fermente
der Kohlehydrate, bringen wir später (§ 222 u. 226).
§ 120. Glykonsäore-^Glykuronsänre-^Zackersftaregftrung.
Die beiden ersten Gänmgen sind von Boutroux^) entdeckt worden.
Der Micrococcus (besser Bac.) oblongus, der in saurem Bier gefunden
wurde und offenbar in allen Eigenschaften den Essigbakterien
nächstverwändt ist, wächst auf Glykose und Invertzucker, aber
auch auf Saccharoselösimgen, nicht auf solchen von Milchzucker,
in Gestalt eines Bakterienschleims und bildet dabei neben wenig
Kohlensäure ausschließlich reichliche Mengen von Glykonsäure nach
der Gleichung
1) CeH^^Oe + 0 = C^Hi^O,.
Findet das Wachstum in Gregenwart von kohlensaurem Kalk statt,
so scheidet sich der glykonsäure Kalk in Form von charakteristischen
Krystallen ab. Aus Alkohol bildet der Bazillus wie andere Essigbak-
terien Essigsäure (§ 135).
Auch der Bac. aceti ist nach B r o w n ^) , der Bac. Pastorianus
und Kützingianus nach Seifert^), das Bact. industrium nach
Henneberg*) zu der gleichen Umsetzung imstande. Das einzige
Essig-Bakterium, das Glykose nicht oxydiert, ist nach Henneberg
das Bact. ascendens.
Wie der Bac. oblongus verhält sich ein ähnlicher Mikrobe, den wir
Bac. glycuronicus nennen wollen, aber nur in Zuckerlösimgen ohne
Kreidezusatz. Wird die Säure durch diesen Zusatz neutralisiert, so
oxydiert sie sich weiter zu einem Körper, der wie die Glykuronsaure
zusammengesetzt ist, aber das polarisierte Licht nicht nach rechts,
sondern nach links dreht. Die Reaktion verläuft wohl in folgender
Weise :
2) CeOi2 He + 20 = C,ll,fi, + 0 = CeHioO, + H,0.
Nach Beijerinck^) sollen die Essigbakterien zur Bildung von
„Zuckersäure^' aus Glykose, Maltose, Saccharose oder Laktose be-
1) Compt. rend. ac. sc. 86. 605 und 91. 236. Annal. Pasteur 1888.
2) Joiirn. ehem. sog. 49. 172 und 432, 1886.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 3. 337, 1897.
4) Zeitschr. f. Essigind. 1898 und Zentr. Bakt. 2. Abt, 4. 14.
5) Zentr. Bakt. 11. 72, 1892.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 387
fähigt sein. Ob damit die vorgenannten Säuren gemeint sind oder
eigentliche Zuckersanre, die durch Oxydation nach der Formel
3) C,H^O, + 30 = C,HioO, + H^O
entstehen würde, muß dahingestellt bleiben.
Bertrands ^) „Sorbosebakterium", das dem Bact. xylinum,
einem anderen Essigbildner, nahe steht, verwandelt verschiedene Hexo-
sen, wie Glykose und Galaktose, aber auch Pentosen, wie Xylose und
Aiabinose, durch Anlagenmg eines Atoms Sauerstoff in G 1 y k o n -
s ä u r e und die ihr entsprechenden Galaktonsäure, Xylonsäure
und Arabinonsäure. Allerdings geht die Oxydation langasm vor sich.
Der Sauerstoff tritt dabei immer an die Aldehydgruppe. Daraus erklärt
es sich, daB nur die Aldohexosen oder -pentosen angegriffen werden, nicht
die Eetohexosen Fruktose und Sorbose. Wie sich das Bakterium zu
den höheren Alkoholen verhält, werden wir später sehen (§ 132).
Noch vielseitiger ist das von Henneberg beschriebene Essig-
bakterium Bact. industrium (s. o.), indem es außer den genannten
Hexosen nock Fruktose, femer die Disaccharide Saccharose, Maltose
und Laktose rmd die Poljrsaccharide Dextrin und Stärke angreift und
nur Sorbose, Inulin imd Glykogen unberührt läßt. Der Verfasser hat
allerdings nur festgestellt, daß bei der Oxydation des Zuckers eine
Säure entsteht. Ob das die Glykon- oder Glykuronsäure oder eine
andere ist, bleibt unbestimmt.
§ 121. Zitronensäuregärung. Diese merkwürdige Gärung
kommt nach Wehmer*) zwei Schimmelpilzen, dem Citromyces Pfeffe-
rianus und glaber zu. Glykose eignet sich am besten, aber auch andere
Zuckerarten, schlecht die Polysaccharide. Die Formel
4) CßHiaOe + 30 = CJtlfi, + 211 fi (+ 199 Kai.)
gibt die Reaktion wieder, drückt aber nicht den Vorgang genau genug
aus, denn neben der Oxydation findet auch noch eine Umstellung
eines der Eohlenstoffmoleküle statt, da die Zitronensäure einen Kohlen-
stoff seithch angelagert zeigt, während der Zucker nur eine einfache
Kohlenstoffkette darstellt.
GOjjH COH
CHjj CHOH
CHOH CHOH
CH.CO2H CHOH
COgH CHOH
CHgOH
Zitronensäure Glykose.
1) Compt. rend. 127, 124 und 128.
2) Zentr. Bakt. 15. 427, 1894, vgl. Kochs Jahresber. 1893. 268.
25*
388 Kap VI, § 121 u. 122.
•
Die Zitronensäure ist übrigens nur das Endprodukt der Verbrennung,
wenn die Säure durch Kalk gebunden und dadurch aus dem Stoff-
wechsel ausgeschaltet wird. Sonst wird sie weiter oxydiert bis zu
Kohlensäure und Wasser. Das Maß des Sauerstoffzutritts, die Tem-
peratur und die übrigen Nährstoffe haben auch einen Einfluß auf den
Verlauf der Gärung. Findet das Wachstum ohne Kreide in der Nähr-
lösung statt, so steigt die Säuremenge bis auf 4% und verschwindet
dann im Laufe von 2 bis 3 Monaten vollständig. Andere Säuren wirken
schon in sehr viel geringeren Konzentrationen hemmend auf die Ent-
Wicklung ein, so z. B. P/oo Salz- und Schwefelsäure. Ähnlichen Ver-
hältnissen werden wir bei der EssigbUdung (§ 135) begegnen.
Die günstigste Temperatur liegt in der Nähe von 20^. D i e G ä •
rung ist aber nicht streng an das Wachstum ge-
bunden: bei 30 — 35° hört letzteres auf, während
erstere noch fortschreitet, ein Hinweis auf die
enzymatische Natur des Vorgangs. Unter günstigen
Bedingungen werden bis zu 55% des Zuckers in Zitronensäure ver-
wandelt. Man hat deswegen den Versuch gemacht, die Gänmg tech-
nisch zur Darstellung der Säure zu verwerten.
Neuerdings haben M a z 6 und P e r r i n ^) für die Zitronensäure-
gärung andere Formeln aufgestellt. Es soll der Zucker zimächst ge-
spalten werden wie bei der alkoholischen Gärung in Alkohol und
Kohlensäure :
a) CeHi20e = 2C2HeO + 2CO^.
Der Alkohol soll dann unter Mitwirkung des Sauerstoffes in Zitronen-
säure und Wasser verwandelt werden:
b) 3C2HeO + 90 = C^HgO, + ^K^O.
Durch Kombination beider Gleichungen hätte man schließlich die
Umsetzung:
c) 3C6Hi20fl + 180 = 2CeH807 + lOH^O + GCOj.
Diese Formel läßt sich aber auch in folgende zerlegen:
a) 2CeHi20e + 60 = 2CeH807 + iU^O (identisch mit Formel 4 s. o.).
ß) CeH^20e+ 120 = 6H2O + 6CO2 (identisch mit Formel 6 s. u.§ 123).
Mit anderen Worten : die von M a z e und P e r r i n vorgeschlagene
Formel würde sich auch mit der Vorstellung vertragen, daß der größere
Teil des Zuckers nach der Formel 4 zu Zitronensäure oxydiert, ein
anderer Teil aber vollständig zu Kohlensäure und Wasser verbrannt
1) Annal. Pasteur 1904. 9.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 389
würde. In der Tat scheint die Sache so zu liegen : M a z e und P e r -
r i n haben sogar gefunden, daß in der ersten Periode des Wachstums
der Citromyces überhaupt keine Zitronensäure bildet, sondern den
Zucker vollständig verbrennt; erst wenn die Stickstoff emährung eine
spärliche zu werden beginnt, erscheint die Zitronensäure, und zwar
in einer Menge von 50 bis 55 g auf je 100 g verschwindenden Zuckers.
Dabei läßt sich durch Gasanalyse feststellen, daß in der zweiten Periode
viel mehr Sauerstoff aufgenommen als Kohlensäure ausgestoßen wird.
Tngefähr könnte also die Gleichung c den Tatsachen entsprechen.
Man darf auch den französischen Forschern zugeben, daß die Zitronen-
säure ein Produkt ist, daß erst in halberschöpften Kulturen auftritt
(s. u. Oxalsäuregärung § 122). Nur liegt kein genügender Grund vor,
die Umsetzimg auf dem Umwege über Formel a und b verlaufen
zu lassen. M a z e ist hierzu wohl verführt worden durch die von ihm
verfochtene Theorie, daß der erste Schritt bei allen Oxydationspro-
zessen, denen der Zucker imterliegt, der Zerfall in Alkohol und Kohlen-
säure sei, der durch die allgegenwärtige Zymase bewirkt werde (vgl,
§ 123). Um von dem Alkohol zur Zitronensäure zu gelangen, bedarf
es der eigentümlichen Synthese b, die nach M a z e und P e r r i n nur
vom Protoplasma bewerkstelligt werden kann. Zur Stütze dieser
Auffassung geben die Autoren an, Zitronensäure werde auch gebildet,
wenn man das gut entwickelte Mycel des Citromyces bei Sauerstoff-
abschluß halte. Freilich soll dieser Versuch nicht immer gelingen.
Ein weiterer Beweis für ihre Theorie sei die Tatsache, daß bei anaerober
Entwicklung der Kulturen wirklich etwas Alkohol nachweisbar werde.
Das wird ja aber auch bei anderen Pilzen beobachtet, die keine Zitronen-
säuregärung hervorrufen (§ 85).
Schließlich soll Zitronensäure auch bei Darreichung von Glyzerin
oder Alkohol gebildet werden, im letzteren Fall allerdings nur in ge-
ringer Menge. Man kann dafür aber wohl andere Möglichkeiten gelten
lassen: die Pilze bauen aus dem Glyzerin leicht Zucker auf imd haben
auch in ihrem Körper Kohlehydrate genug zur Verfügung, um daraus
den für die geringfügige Zitronensäurebildimg nötigen Zucker abzu-
spalten. Alles in allem genommen sind die Darlegungen von M a z e
und P e r r i n durchaus nicht geeignet, die einfache Auffassung des
Oxydationsvorganges zu widerlegen. Fraglich bleibt es natürlich, ob
es sich um die Wirkimg einer isolierbaren „Oxydase" handelt.
§ 122. Oxalsäuregärnng. Diese Gärung schließt sich eng an die
vorige an. Oxalsäure als Produkt von Mikroorganismen, namentlich
von echten Pilzen, ist schon lange bekannt: sie erscheint, gewöhnlich
an Kalzium gebunden, in Form der charakteristischen Krystalle.
390 Kap. VI, § 122.
Z o p f ^) sah sie in reichlicher Weise entstehen in Zuckerkulturen einer
Hefe, des Saccharomyces Hansenü, ferner bei zahlreichen Eissigbak-
terien^). Banning^) vervollständigte die Liste dieser Bakterien.
Alle sind strenge Aerobier. Nach ihm ist am besten zum Nachweis
der Oxalsäure geeignet ein fester Nährboden, der 2% Glykose, 1%
Fleischextrakt mit 1% Pepton und 7% Gelatine enthält. Aaßer der
Glykose wird von den meisten dieser Bakterien auch die Arabinose
vergoren, die übrigen Zuckerarten ungleichmäßig, in keinem Falle
Stärke, Inulin, Glykogen und Gummi arabicum. Die höheren Alkohole,
Essig- und Milchsäure, verhalten sich verschieden gegenüber den
einzelnen Arten. Doch gelten diese Unterschiede nur für die Bakterien,
denn den Schimmelpilzen können fast alle Kohlen-
stoff Verbindungen als Material zur Oxalsäure-
bildung dienen. Nicht unwichtig scheint die Oxalsäurebildimg
zu sein für einige Erreger von Fflanzenkrankheiten,
so die Pseudomonas destructans P o 1 1 e r s ^) , da die Säure auf die
Zellen der Wirtspflanzen als Gift wirkt (vgl. § 51 u. 258). Die Gärung
ist eine Oxydation von der Form:
5) CeHigOe + 90 = 3Cfifi^ + SHgO (+ 493 Kai.).
Ihre Bedingungen sind besonders bei Schinmielpilzen näher studiert
worden. Nach D u c 1 a u x ^) ist die Oxalsäure beim Aspergillus niger
ein Zwischenerzeugnis der Oxydation, das sich dann besonders anhäuft,
wenn die Emährungsbedingungen ungünstig, die Lüftung ungenügend
ist. Unter günstigeren Umständen wird es vollständig zu Kohlensäure
und Wasser verbraucht, wie der übrige Teil des Zuckers, der durch
diesen Zwischenzustand gar nicht hindurchgeht, sondern unmittelbar
der Verbrennung verfällt. Nur wenn die Oxalsäure bei Vorhandensein
von kohlensaurem Kalk zum Nährboden sofort nach ihrem Entstehen
ausgefällt wird, bleibt sie unberührt. W e h m e r *) , der eine größere
Reihe von Schimmelpilzen untersucht hat, kommt nicht zu so klaren
Schlüssen. Einige wichtige Ergebnisse lassen sich aber doch aus der
W e h m e r sehen Arbeit herausschälen : zunächst das verschie-
dene Verhalten der einzelnen Pilze: während z. B.
Aspergillus niger bei Kalkzusatz in Traubenzuckerlösimgen sehr große
Mengen von Oxalsäure anhäufte, war davon bei Penicillum glaucuni
keine Rede. Beim Vergleich der verschiedenen Stickstoffquellen erwies
1) Ber. botan. Ues. 1889. 94.
2) Ebenda 1900. 300.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 13—19.
4) Ebenda 7, 354.
5) Mikrobiologie 4. 291, 1901.
6) Bot. Zeitg. 1891; vgl. D u c 1 a ii x a. a. O.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 391
sich Salmiak und Ammonsulfat als ungeeignet zur Ansammlung von
Oxalsäure, die übrigen Ammonsalze, Nitrate und Peptone als gleich
geeignet. Von den Kohlenstoffverbindungen ergaben Pepton oder
weinsaures oder zitronensaures Salz mehr Oxalsäure als Dextrose oder
Glyzerin, freie organische Säuren überhaupt keine Oxalsäure. Noch
größer werden die Unterschiede, wenn man gleichzeitig die Pilzemte
berücksichtigt: Aus 1,5 g der nachstehenden Verbindungen wurden
beim Aspei^Uus niger in einer kalkfreien Mineralsalzlösung, die 0,5 g
salpeteisaures Ammon als Stickstotf quelle enthielt, gewonnen:
Oxalat Pilzemte Verhältnis beider
Gijkose
0,278
0,228
1,2
Glyzerin
0,240
0,475
0,5
Olivenöl
0,194
0,810
0,24
Chinasäure
0
0,226
0,00
Weinsäure
0
0,155
0,00
Zitronensäure
0
0,240
0,00
Milchsäure
0
0,260
0,00
Weinsaures
Kalium
0,550
0,032
17,1
»>
Ammon
0,767
0,030
25,6
Pepton
0,530
0,162
3,3
In der letzten Spalte vorstehender Tafel haben wir das Gewichts-
verhältnis zwischen Oxalat und Pilzernte ausgerechnet: man sieht,
wie gewaltig es schwankt, von 0 bis 25 ! Im ganzen scheint umso
mehr Oxalsäure gespeichert zu werden, je mangel-
hafter das Wachstum des Pilzes ist. Nur die Kulturen
mit freien Säuren machen von der Regel eine Ausnahme. Es liegt
das wohl allein an der Reaktion des Nährbodens, denn in den übrigen
Nährstoffen wurde bei saurer Reaktion ebenfalls keine Oxalsäure ge-
funden. Umgekehrt veranlaßte der Zusatz von säureabsorbierenden
Salzen, z. B. sekundären und tertiären Alkaliphosphaten und den
meisten Kalksalzen selbst bei Penicillium Oxalsäureanhäufung. An-
sammlung und Bildung der Oxalsäure ist aber
keineswegs gleichbedeutend, denn die Säure kann
bereits im freien Zustand von den Pilzen zerstört werden. Lösliche oxal-
sanre Salze werden vom Aspergillus schwer, vom Penicillum viel leichter
angegriffen. Man könnte deswegen daran denken, den Unterschied,
den man zwischen den beiden Pilzen findet, daraus zu erklären, daß
Penicillium die von ihm gebildete Oxalsäure,
wenn sie nicht in bestimmter Weise fixiert wird,
auch in neutralen Lösungen verbraucht, während
392 Kap. VI, § 122 u. 123.
Aspergillus dazu nur bei saurer Keaktion im-
.stande ist.
Für die Anhäufung der Oxalsäure durch Aspergillus niger sind
nach W e h m e r die Temperaturverhältnisse ^) von großer Bedeutung.
In Kulturen mit salpetersaurem Ammon als Stickstoff quelle wird bei
8 — 10** reichlich freie Oxalsäure gebildet, und diese nicht weiter zer-
setzt. Bei 15 — ^20® nimmt die Oxalsäuremenge bis zu einem Maximum
zu, wird aber dann wieder zerstört. Bei 34® tritt dagegen freie Oxal-
säure in irgend erheblicher Menge nicht auf, weil sie sofort oxydiert
wird. Das wird dadurch bewiesen, daß bei Gegenwart von Kreide
sich Kalziumoxalat ansammelt. Ebenso wie Temperaturerhöhung wirkt
Ersatz der genannten Stickstoffquelle durch Salmiak oder Ammon-
sulfat, während Ammonphosphat und -Oxalat sich wie Ammonnitrat
verhalten. Es scheint das dadurch verursacht zu sein, daß das Wachs-
tum durch das salzsaure und schwefelsaure Ammon ebenso begünstigt,
wird, wie durch die höhere Temperatur. W e h m e r selbst versucht
allerdings eine andere Erklärung dafür zu geben.
Im ganzen genommen entsprechen also die Resultate W e h m e r s
denjenigen Duclaux'. Die Oxalsäure ist ein „produit de souf-
france", ein Erzeugnis mangelhafter Ernährung.
Die Anhäufung dieses Stoffes kann eine sehr erhebliche werden.
So fand Wehmer in einem Falle auf 1,5 g verbrauchten Zuckers
20% im Trockengewicht der Pilze
55% als Oxalsäure,
25% als Kohlensäure
wieder. Die gewöhnliche Kohlensäureatmung zeigt sich also im wesent-
lichen ersetzt durch eine Oxalsäureatmung.
Emmerling^) hat die Oxalsäurebildung des Aspergillus niger
neuerdings untersucht. Er fand überhaupt keine bei Züchtung des
Pilzes auf Kohlehydraten, wohl nur deshalb, weil er unter möglichst
günstigen Wachstumsbedingungen imtersuchte.
In welcher Weise die Eiweißspaltung durch die Fähigkeit der
Pilze, Oxalsäure anzuhäufen, beeinflußt wird, werden wir § 172 sehen.
§ 123. Vollständige Verbrennung der Kohlehydrate, Die
Oxydation der Kohlenhydrate zu Kohlensäure und Wasser nach der
Formel
6) CeHigOß + 12 0 = 6 CO2 + 6 Bfi (+ 674 Kai.)
kann man als die normale Verbrennung bezeichnen. Sie ist es bekannt-
1) Vgl. auch Ber. bot. Gesellsch. 1891. 163.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 274, 1903.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 393
lieh auch bei den höheren Organismen. Unter günstigen Bedingungen
finden wir sie bei den allermeisten aerob lebenden Mikroorganismen
wieder. Wie sich von selbst versteht, wird bei dieser vollständigen
Verbrennung mehr Wärme gebildet als bei der unvollständigen, die wir
bisher besprochen haben. Das drückt sich darin aus, daß die Mikro-
organismen mehr Leibessubstanz im ersten Falle
aufbauen können als im letzteren. So fand Weh mer
bei dem Aspergillus niger ein Trockengewicht von 28% des verbrauchten
Zuckers, wenn er den Pilz auf Zuckerlösung mit Salmiakbeigabe
züchtete, ein solches von 20% (s. o. S. 392), wenn er das salzsaure
Ammon durch salpetersaures ersetzte. Hier wurde der Zucker wesent-
lich zu Oxalsäure verbrannt, dort zu Kohlensäure und Wasser. Die
bei der Oxydation entwickelten Wärmemengen (674 und 493 Kai.)
stehen in einem ähnlichen Verhältnis.
Ungewiß ist, wie der Zerfall des Zuckermoleküls vor sich geht.
In manchen Fällen entstehen, wie wir gesehen, als Zwischenprodukte
z. B. Oxalsäure und Zitronensäure. Bei Mikroorganismen, die imstande
sind, Spaltungsgärungen des Zuckers zu bewirken, könnte man daran
denken, daß die Oxydation erst an den Spaltungsprodukten einsetzt,
z. B. bei der Hefe am Alkohol, bei Milchsäurebakterien an der Milch-
säure. Doch fehlt es an strengen Beweisen für diese Annahme. Der
Gegenbeweis kann sogar hier und da dadurch geliefert werden, daß die
betreffenden Mikroorganismen nicht imstande sind, ihre Spaltungs-
produkte zu verbrennen. Für die obigen Beispiele trifft das z. B. ge-
wöhnlich zu. Doch braucht es kein allgemein gültiges Gesetz zu sein.
Ein Beweis dafür ist freilich noch nicht die Tatsache, daß auch die
sogenannte intramolekulare Atmung der höheren Organismen im
wesentlichen einer alkoholischen (oder milchsauren) Gärung entspricht
(vgl. § 65 u. 85). Die Möglichkeit ist aber deshalb nicht zu leugnen,
weil es ja Mikroben genug gibt, die Alkohol und Milchsäure, auch
Buttersäure, Bernsteinsäuie, Ameisensäure usw., wo sie als Gärungs-
erzeugnisse anderer Mikroorganismen erscheinen, oxydieren (Kap. VII).
So könnte sich wohl gelegentlich die Funktion der Spaltung und der
Oxydation in ein imd demselben Bakterium vereinigt vorfinden. D u -
c 1 a u X ^) hat das für seinen Amylobacter butylicus und K a y s e r 2)
für einige seiner Milchsäurebakterien wahrscheinlich gemacht. Die
ursprünglich bei diesen Bakterien durch anaerobe Tätigkeit gebildeten
Gärprodukte (Essigsäure, Buttersäure, Butylalkohol, Milchsäure) neh-
men später bei Zutritt von Sauerstoff an Menge ab und verschwindei)
1) Annal. Posteiir 18'.)").
2) ElH^nda 1894, s. o. S. M
394 Kap. VI, § 123.
manchmal ganz, wie man wohl annehmen darf, durch Oxydation.
Ganz sicher bewiesen ist die Fähigkeit der Eurotiopis Gayoni, eines
Schimmelpilzes, den Zucker zu Alkohol zu vergären uind den Alkohol
zu Kohlensäure und Wasser zu verbrennen (Laborde^),Maze *)).
Doch ist es M a z 6 — ebensowenig wie Stoklasa, der ähnliche
Ansichten vertritt') — trotz aller Bemühungen nicht gelungen, nach-
zuweisen, daß der Zucker nun stets diesen Umweg über den Alkohol
machen muß, bevor er oxydiert oder assimiliert wird (vgl. auch S. 389).
Außer den schon genannten Stoffen kommt als Zwischenprodukt
auch die Essigsäure in Betracht. Häufig entsteht sie erst auf
dem Umwege über den Alkohol, den wir bei der aeroben Essi^ärung
kennen lernen werden (§ 135), andere Male aus der Milchsäure
(s. o. Kays er). Aber auch der Weg über das Aldehyd oder die
unmittelbare Erzeugimg wäre denkbar nach den Gleichungen:
6a) CeHigOe + 40 = 2C2H4O + 2H2O + 2CO2 + 20 = 2C2H4O,
+ 2H2O+2CO,.
Es lohnte sich wohl, bei Mikroorganismen, die sowohl Zucker als Essig-
säure vollständig verbrennen, z. B. den Mycoderma cerevisiae*) und
Schimmelpilzen, nach diesen Zwischenprodukten zu fahnden. Ihre
weitere Verbrennung zu Kohlensäure und Wasser ist ohne weiteres
verständlich, ebenso das Auftreten von Oxalsäure als Zwischenprodukt.
Andere Zwischenprodukte, die Glyzerose, einen Zucker mit
drei Kohlenstoff atomen, und den Formaldehyd hat P e r e ^)
bei der Oxydation von Hexosen durch mehrere Arten von Heubazillen,
den Bac. subtilis, mesentericus vulgatus und Tyrothrix tenuis entstehen
sehen. Um den Oxydationsprozeß zu studieren, bediente sich Pere
absichtlich einer Nährlösung, die nur ein wenig lebhaftes Wachstum
gestattete (10 g Ammoniumphosphat, 5 g Ammonsulfat, 2 g KaUum-
phosphat auf 1000 aq + 10% Zucker). Die Destillation der Kulturen
ergab außer fixer und flüchtiger Säure, auf die nicht weiter geachtet
wurde, eine stark reduzierende und linksdrehende flüchtige Substanz,
die als Aldehyd des Glyzerins, als Glyzerose COH . CHOH . CH^OH
aufzufassen ist. Leider fehlten quantitative Bestimmungen. Da es
sich aber um strenge Aerobier handelte, dürfte die Gleichimg
CeHigOe +60= C^Bfi^ + 3 CO^ + 3 H^O
1) Annal. Pasteur 1897.
2) Ebenda 1902.
3) Vgl. Kochs Jahresber. 1905, 513. Nach S. geht die Oxydation
vom Alkohol weiter über die Essigsäure und Ameisensäure durch Ver-
mittlung der „Acetolase*' (§ 135) und „Formilase".
4) Vgl. B e i j e r i n c k , Zentr. Bakt. 11. 68.
5) Annal. Pasteur 1896, 417.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 395
der Reaktion am besten entsprechen. Als bemerkenswertes Neben-
resultat ergab sich, daß der Bac. subtilis vorwiegend die Glykose an-
griff imd in einer Saccharoselösung die Fruktose ziurückließ, während
die beiden anderen Bakterien gerade umgekehrt wirkten (vgl. § 58).
Im Laufe der Kultur verschwand der Zucker vollständig aus der Lösung
and später auch die Glyzerose. Dabei trat zuletzt eine Spur von Formal-
dehyd auf, die ebenfalls durch die Bakterien verbrannt wurde. Auch
bei der Oxydation des Mannits und Glyzerins wurden von P e r e
dieselben Zwischenprodukte gefunden. Wir werden später sehen, daß
die Oxydation des Glyzerins durch das Sorbosebacterium Bertrands
einen der Glyzerose isomeren Körper, das Dioxyazeton, ergibt (§ 132).
Andere Arbeiten über die Umwandlung der Kohlenhydrate durch
Heabazillen stimmen nicht ganz mit den Ergebnissen Peres überein.
So konnte Kalischer ^) als Produkt der Zersetzung der Zucker-
arten durch ein „peptonisierendes'' Milchbakterium nur Essigsäure
und Baldriansäure ^) nachweisen, die wahrscheinlich daneben
gebildete Kohlensäure wurde freilich nicht bestimmt. Milchzucker
wurde bei der Zersetzung nicht hydrolytisch gespalten, wohl Rohr-
zucker. Ein bemerkenswerter Unterschied zeigte sich in dem Ver-
halten des Bakteriums gegenüber Traubenzucker und Rohrzucker:
Während es auf den übrigen zuckerhaltigen Nährböden nur oberfläch-
liche Wucherungen (Decken) bildete, wuchs es in Traubenzucker-
bouillon auch in der Tiefe und trübte sie gleichmäßig. Das würde
dafür sprechen, daß der Bazillus bei (Jegenwart von Traubenzucker
auch (unter Gränmg?) anaerob, sonst nur aerob zu gedeihen vermochte.
Aus Glyzerin und Milchsäure entstanden dieselben Produkte wie aus
den Kohlenhydraten.
In einer neueren Untersuchung fand Desmots^), daß ver-
schiedene Arten von Kartoffelbazillen ebenso wie der typische Heu-
bazillus und die T3rrothrix tenuis Zucker, Stärke, Mannit und Glyzerin
bei Gegenwart von Kalziumkarbonat zwar langsam, aber vollständig
aufzehrten. Es handelt sich offenbar um eine Verbrennung, bei der
als Nebenprodukte Essigsäure und Baldriansäure, femer Spuren von
Alkohol und eine flüchtige Substanz, die in Kälte Fehlingsche Lösung
reduzierte, das Azetylmethylkarbinol C4H8O2 auftraten (vgl. § 110).
Ob der Oxydation Spaltungen, vergleichbar den Gärungen, vorhergehen,
oder ob sie wenigstens teilweise direkt erfolgt, muß dahingestellt bleiben.
1) Areh. f. Hyg. 37. 1900.
2) Ob diese aus dem Zucker stammt, ist doch wohl noch zweifelhaft.
Immerhin soll Baldriansäure auch aus einer Vergärung der Milchsäure
hervorgehen (§ 142). Über die Entstehung aus Eiweiß vgl. § 168 ff.
3) Compt. rend. ao. sc. 138. 581, 1904.
396 Kap. VI, § 123 u. 124.
Jedenfalls werden die Säuren so langsam gebildet, daß sie durch das
gleichzeitig aus der Eiweißzersetzung hervorgehende Ammoniak neu-
tralisiert werden, eine saure Reaktion also in der Nährfliissigkeit höch-
stens vorübergehend auftritt.
Wo man hinsieht, trifft man also auf spezifische oxy-
dierende Eigenschaften der einzelnen auf den Luftsauer-
stoff angewiesenen Organismen, ebenso wie man spezifische Gär-
funktionen (§ 84 — 117) bei den strengen oder gelegentlichen Anaerobiern
findet. Mit einer gleichen „oxydierenden Kraft" des lebenden Proto-
plasmas ist es offenbar nicht getan.
Alle Kohlenhydrate, einschließlich der Polysaccharide, die Hexosen
sowohl wie die Pentosen, Tetrosen usw. scheinen der Oxydation der
Mikroorganismen verfallen zu können, während sie den Spaltungs-
prozessen, wie wir gesehen haben, sehr imgleichmäßig unterliegen.
Die Hexosen haben freilich auch hier im allgemeinen den Vorrang.
Doch kommen Ausnahmen vor. So sollen nach Krüger und Schnei-
d e w i n d ^) die denitrifizierenden Mikroorganismen ihre zerstörende
Tätigkeit in bedeutend größerem Maße ausüben, wenn ihnen Pento-
s a n e , als wenn ihnen Traubenzucker oder Mannit zur Verfügung
stehen (§ 198).
Ebenso soll auch die Zellulose nach vaniterson*) durch
denitrifizierende Bakterien, deren Reinkultur allerdings nicht gelang,
also durch den gebundenen Sauerstoff des Salpeters zur Auflösung ge-
bracht werden. Dabei bilden sich große Mengen von Gasen, die aus-
schließlich Stickstoff und Kohlensäure, keine Spur von Wasserstoff
Sumpfgas oder Stickoxydul enthalten. Der Prozeß stellt sich bei
Sauerstoffabschluß ein, wenn man Papier, Flachsfasern, Watte oder
Leinwand mit einer Lösung von 0,25 prozentigen Kaliunmitrat und
0,05 Kaliumsphosphat übergießt und mit Kanalwasser und etwas
Moder impft. Zunächst färben sich die Fasern goldig, verschwinden
aber allmählich vollständig, wenn man ab und zu für Ersatz der nitrat-
haltigen Nährlösung sorgt. So konnte vanitersonim Laufe eines
Monats 8 g Zellulose durch 36 g Kaliumnitrat zur Auflösung bringen.
Die darin enthaltene Sauerstoffmenge genügt reichlich zur voll-
ständigen Oxydation der Zellulose. Welche Zwischenprodukte dabei
entstehen, und ob eine Lösung des Zellstoffs durch ein hydrolytisches
Enzym (§ 76) vorhergeht, ist imbekannt. Holz und Torf wider-
steht dieser Zersetzung, wie es scheint, ebenso
wieder Sumpfgasgärung.
1) Land\Aartsch. Jalirb. 28 und 29.
2) Verh. kon. Akad. Weetensch. 1903, ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 11. 690.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 397
Weniger kräftig ist die Oxydation der Zellulose durch den freien
Sauerstoff der Luft. Daß sie aber stattfindet, und zwar in schwach
alkalischen Nährlösungen durch Bakterien, in sauren durch Schimmel-
pilze, hat ebenfalls van Iterson bewiesen. Man nimmt dazu im
ersteren Falle am besten eine Lösung von 0,1% Chloranmionium (oder
Ealiumnitrat, -nitrit, Magnesiumammoniumphosphat) und 0,05%
Ealiumphosphat, der man noch etwas Kreide und Stückchen Papier
oder Leinwand beigibt und impft wieder mit Grabenmoder oder der-
gleichen. Nach einigen Tagen erscheinen auf dem Papier gelbbraune
Flecken, die sich schnell ausbreiten. Die Zellulosefasem verschwinden
schließlich in einem Bakterienschleim. Van Iterson sieht als
Erreger des Prozesses vornehmlich einen Bac. ferrugineus an. Daneben
finden sich in großer Menge Spirillen, die aber die Zellulose nicht an-
greifen. Eine ähnliche Zersetzung erhält man durch Schimmelpilze,
wenn man das alkalische (sekundäre) Kaliumphosphat durch das saure
(primäre) ersetzt. Van Iterson züchtete 15 verschiedene Arten,
unter anderem Mycogone puccinioides imd Botrytis vulgaris. Auch
sie bringen die Zellulose, und zwar, wie es scheint, durch Ausscheidung
eines Enzyms (vgl. § 76) und nachfolgende Oxydation langsam zum
Verschwinden. Gleichzeitig entstehen gewöhnlich dunkle humus*
artige Pigmente. Über deren eigentUche Natur und Ent-
stehungsart fehlen aber genaue Untersuchimgen, so notwendig sie auch
wären, um das Problem der Humusbildung zu lösen. Von vornherein
ist nicht anzunehmen, daß eine einfache Oxydation von Kohlehydraten
dabei eine Rolle spiele, denn die chemische Zusammensetzung der
Hiuninsubstanzen unterscheidet sich von der der Kohlehydrate im wesent-
lichen dadurch, daß die ersteren mehr Kohlenstoff enthalten als die
letzteren. Das Verhältnis des Wasserstoffs und Sauerstoffs ist in beiden
annähernd das gleiche. Wir haben schon früher davon gesprochen
(§ 118).
§ 124. Reduktion der Kohlenhydrate : Mannitgärung. Nach
den Oxydationen der Kohlenhydrate kommen wir zu den Reduktions-
prozessen, denen sie verfallen. Die teilweisen Reduktionen, die aller-
dings mit Oxydationen zugleich bei der Spaltung des Zuckermoleküls
eintreten, haben wir schon bei der Alkohol-, Glyzerin-, Wasserstoff-,
Buttersäure- und Sumpfgasgärung kennen gelernt; die genannten
Körper enthalten in der Tat im Verhältnis mehr Wasserstoff und
weniger Sauerstoff als der Zucker und sind aus diesem teils durch
einfache Abspaltung von Kohlensäure, teils durch Aufnahme von
Wasserstoff aus dem Molekül HgO und nachfolgender Abspaltung von
Kohlensäure usw. entstanden zu denken. Scheinbar aus dem Rahmen
dieser Reaktionen heraus fällt die Bildung des Mannits 0^11^40« aus
398 Kap. VI, § 124.
Zucker C^HijO^. Sie macht den Eindruck einer einfachen Reduktion,
d. h. einer Wasserstoffaufnahme in das Zuckermolekül. Bekannt ist
die Entstehung von Mannit durch Gärung schon sehr lange. Fe-
lo u z e ^) hat im Jahre 1833 gezeigt, daß der Bunkelrübensaft, in wel-
chem frisch ausgepreßt kein Mannit, sondern nichts als Rohrzucker
enthalten ist, umgekehrt außer Schleim nichts als Mannit und Milch-
säure enthält, sobald er die schleimige Gärung erlitten hat. Von dieser
schleimigen Mannitgärung, die auch im Weine vorkommt, werden
wir später sprechen (§ 125). Die reine Mannitgärung ist ebenfalls
aus dem Wein bekannt. Grefimden wurde der Mannit zuerst von C a r -
1 e s ^) vor allem in algerischen Weinen und sein Auftreten durch das
Verschneiden des Mostes mit Feigensaft, in dem er inmier reichlich
vorkommt, erklärt. J e g o u ^) und R o o s ^) deuteten dann die
Bildung als krankhaft und führten sie auf Bakterien zurück. In süd-
lichen Gegenden scheint die Gärung deshalb besonders häufig zu sein,
weil hohe Temperaturen und starker Zuckergehalt des Weins das
Überwuchern ihres Erregers begünstigen. Die genaue Beschreibung,
die G a 7 o n und Dubourg^) von dem „Bac. manniticus^' lieferten,
läßt keinen Zweifel an seiner ursächlichen Bedeutung zu.
Die mustergültige Arbeit dieser Forscher, deren Hauptergebnisse
Laborde^) für ähnliche ketten- bzw. fadenbildende Bazillen aus
,, umgeschlagenem'' Wein bestätigte, haben wir schon bei der Milch-
säuregänmg erwähnt. Die Tabelle auf S. 291 zeigte uns, daß bei der
Vergärimg der Glykose, Galaktose und Saccharose viel Alkohol,
Kohlensäure und Milchsäure, beträchtliche Mengen von Glyzerin
und Essigsäure, und Spuren von Bemsteinsäure entstehen. Mannose,
Sorbose, Maltose und Laktose und das Trisaccharid Raffinose vergären
ähnlich, ein anderes Disaccharid die Trehalose gar nicht; Xylose, eine
Pentose, gibt fast ausschließlich Milch- und Essigsäure, nur Spuren
von Alkohol und Kohlensäure. Andere Fentosen (Arabinose),
Polysaccharide (Dextrine, Stärke, Glykogen, Gummi) femer die
Alkohole (Mannit, Dulzit, Sorbit, Erythrit, Glyzerin, Äthylalkohol),
Säuren (Milchsäure, Bernstein-, Äpfel-, Wein- und Zitronensäure) und
Glykoside werden gar nicht angegriffen.
1) Annal. chim. phys. 52.
2) Compt. rend. 112. 811, 1891.
3) Kochs Jahresber. 1893. 152.
4) Ebenda.
5) Annal. Pasteur 1894 und 1901.
6) Compt. rend. ac. sc. 138. 228, 1904. Die Bezeichnung „umge-
schlagener" Wein (vin tournö oder pouss6) wird übrigens auf sehr ver-
schiedene Zustände angewendet (vgl. § 95). Nach L a b o r d e sollen die
Mannitbildner aber identisch sein mit den Weinsäure vergärenden (§ 147).
Wandlungen der Kohlenhydrate.
399
Eine Ausnahme unter den Zuckern macht nur die Fruktose.
Sic vergärt unter Bildung von
58—72% Mannit,
13—16% Essigsäure,
10—15% Milchsäure,
6 — 12% Kohlensäure,
etwa 0,6% Bemsteinsäure,
0,9—1,5% Glyzerin.
Alkohol, der bei der Vergärung der übrigen Zucker durch den Bac.
manniticus ein Haupterzeugnis ausmacht, fehlt hier vollständig, Kohlen-
saare und Glyzerin, aber auch Milchsäure werden viel weniger gebildet,
Wasserstoff fehlt in beiden Fällen. Man sieht, welchen bedeu-
tenden Einfluß wieder die Konfiguration des
Zuckermoleküls auf den Verlauf der Gärung hat:
nur die Ketohexose Fruktose wird zu Mannit reduziert, die nah-
verwandten Aldohexosen Glykose und Mannose nicht.
COH
CHjOH
CHjOH
COH
HCOH
HOCH
CO
HOCH
HOCH
HOCH
HOCH
HOCH
HCOH
HCOH
HCOH
HCOH
HCOH
HCOH
HCOH
HCOH
CHjOH
CHjOH
CHjjOH
CHjjOH
d-Glykose
d-Mannit
d-Fniktose
d-Mannose
Aber aach eine zweite Ketohexose, die Sorbose, wird nicht etwa zu
Sorbit verwandelt, wie man bei ihrem ähnlichen Bau denken könnte:
CHgOH
CO
HOCH
HCOH
HOCH
CHjOH
d- Sorbose
CHjOH
HOCH
HOCH
HCOH
HOCH
CHjOH
d-Sorbit.
Selbstverständlich gibt der Invertzucker, der aus einem Ge-
misch von Glykose und Fruktose besteht, bei der Vergärung ebenfalls
Mannit und daneben Alkohol, aber die Saccharose, aus der er durch
Inversion hervoi^ht, und die Baffinose, die bei der vollständigen
Hydrolyse in Fruktose, Glykose und Galaktose zerfällt, geben^beide
keinen Mannit, sondern Alkohol. Der Schluß ist also unabweisbar, daß
der Bac. manniticus die genannten Zuckerarten nicht erst hydrolysiert.
400 Kap. VI, § 124.
also keine Enzyme, die der Invertase und Raffi-
nase entsprechen, e rz e ugt, sondern sie unmittel-
bar vergärt.
Die Essig- und Milchsäure entstehen bei der Mannitgärung wahr-
scheinlich durch einfache Spaltung nach den bekannten Gleichungen
(vgl. § 98)
CeHiA = 3C2H4O2 (+ 34 Kai.)
CeHi20e=2C3He03(+15Kal.)
Die Bildung des Mannits und der Kohlensäure wird durch die empirische
Gleichung
1) ISCeHigO« + 6H2O = 12CeHi40e + öCOg (+ 141 Kai.)
wiedergegeben. Statt dieser sehr verwickelten Formel kann man auch
die folgenden benutzen, die die Reaktion in zwei Absätzen verlaufen
lassen: zuerst entsteht durch Spaltung des Zuckermoleküls Kohlen-
säure und Wasserstoff nach der ims schon bekannten Gleichung der
Wasserstoffgärung :
la) CeHjgOe + GHgO = öCOg + 12 H^ (— 145 Kai).
Dann wird der Wasserstoff zur Reduktion des Zuckers verbraucht:
Ib) 12 (CeHiA + H2) = 12 CeHi^Oe {+ 286 Kai.).
Sollte die Reaktion wirklich in dieser Weise erfolgen, so müßte man
sich vorstellen, daß sämtlicher Wasserstoff, der aus der Spaltung
la entstünde, sofort von dem reduzierenden Enzym in Beschlag ge-
nommen und an Zuckermoleküle festgelegt würde, da ja Wasserstoff
nicht unter den frei werdenden Gasen erscheint.
Wie man aus den beigefügten Reaktionswärmen sieht, ver-
läuft dieMannitbildung aus Zucker mit kräftiger
Wärmeentwicklung ungleich anderen Reduktionen und Syn-
thesen, bei denen Wärme gebunden zu werden pflegt.
Auf die Ähnlichkeit der Mannit- mit der Glyzerinbildung durch den
Bac. manniticus wurde schon S. 328 hingewiesen. Die für die letztere
aufgestellte Gleichung
2) 7 CeHigOg + 6 Rfi = 12 CgH^Og + 6 COg (— 50 Kai.)
läßt sich ebenfalls in zwei
2a) CeHigOe + GHgO = 6CO2 + 12 H^ (— 147 Kal.^))
2b) 6 (CeH^^Oe + 2 H^) = 6 (2 C3H3O3) (+ 97 Kai.)
1) Die Kalorienzahl ist hier etwas verschieden von der bei la, weil
die Glykose eine andere Verbrennungswärnie hat, als die Fruktose.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 401
zerlegen. Die Gesamtzersetzung erfolgt hier freilich unter Wärme-
bindung. Da aber nebenher kräftige exotherme Zersetzungen — die
Essig-, Milchsäure- und Alkoholgärung — verlaufen, bleibt schließlich
doch noch ein großer Wärmeüberschuß.
Wie haben wir uns nun den Unterschied in dem Verhalten des Bac.
manniticns gegenüber der Fruktose einerseits imd den übrigen Zucker-
arten andererseits zu erklären? Ist es ein und dasselbe £nz}mi, das
dort Mannit, hier Alkohol und Glyzerin erzeugt ? Hängt Alkohol- und
Glyzerinentstehung überhaupt zusammen? Ist das Alkoholenzym mit
der Zymase der Hefe identisch ? Nur die letzteren beiden Fragen lassen
sich mit einiger Wahrscheinlichkeit beantworten. Auch bei der Ver-
gärung der Fruktose entsteht Glyzerin, wenn auch in kleinen Mengen,
dagegen kein Alkohol. Auch sonst wechselt das Mengenverhältnis
zwischen Alkohol und Glyzerin zu sehr, als daß man an einen Zu-
sammenhang beider denken könnte (vgL S. 291). Das Alkoholferment
des Bac, manniticus kann auch nicht mit der Zymase identisch sein,
denn durch die Zymase wird Fruktose fast gleich leicht in Alkohol
und Kohlensäure gespalten, wie die Glykose, während bei der Ver-
gärung der Fruktose durch den Bac. manniticus überhaupt kein Alkohol
gebildet wird. Am einfachsten ist immer noch die Annahme, daß die
Zellen unseres Bazillus mit verschiedenen für die ein-
zelnen Prozesse spezifischen Enzymen ausge-
rüstet sind. Je nach der Beschaffenheit des Gärmaterials tritt das
eine oder andere in Wirksamkeit.
Von anderen Bakterien kommen als kräftige Mannitbildner —
abgesehen von den schleimbildenden, die wir gleich besprechen werden
— noch gewisse Milchsäurebakterien in Betracht, die Beijerinck^)
als „Laktobazillen" bezeichnet und in die Nähe des Bac. Delbrückii
stellt (§ 97). Auch diese bilden Mannit nur aus Fruktose. Wahrschein-
lich ist auch der Bac. manniticus von G a y o n und D u b o u r g ein
Verwandter derselben. Vielleicht gehören auch die Milchsäurebakterien
des kranken Obstweins hierher, die nach Müller-Thur-
g a u 2) ebenfalls aus dem Fruchtzucker Mannit hervorbringen. Gewisse
Mengen von Mannit werden übrigens nach Beijerinck und K a y -
5 e r ') auch von manchen Milchsäurestreptokokken (Beijerincks
Laktokokken § 97), imd zwar aus Fruktose, Invertzucker und Saccha-
rose gebildet: Anscheinend wird hier ein invertierendes Enzym ge-
bildet, denn die Rohrzuckerkulturen wirken stark reduzierend.
1) Arch. n^^rland. 1901 und Zeitschr. f. Spiritusind. 1901.
2) Landwirtsch. Jahrb. Schweiz 1907, ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 21. 155.
3) Kochs Jahresber. 1904. 320.
Krage, Mikrobiologie. 26
402 Kap. VI. § 125 — 127.
§ 125. Schleimige Mannitgärung. Erwähnt wurde schon
S. 398, daß bei der „schleimigen Gärung'' des Runkelrübensaftes
zuerst P e 1 o u z e Mannit, Milchsäure und Schleim gefunden hat.
K i r c h e r 1) studierte bald darauf denselben Vorgang und Bt«llte
aus 38 Pfund Rimkelrüben 46 g Mannit nebst einem Schleim von der
Zusammensetzung des arabischen Gummis dar (vgl. § 128). P a s t e u r^)
sah einen ähnlichen Prozeß in krankem Wein und führte auch diese
Gärung auf Bakterien (eine Art von Streptokokken?) zurück. Durch
ihre Übertragung sollte sich die Krankheit im Wein künstlich hervor-
rufen lassen. Der Traubenzucker würde dabei in Wasser, Kohlensäure,
Mannit und Gummi übergeführt, etwa entsprechend der Formel:
25CeHi20e = 12CeHio05 + 12CeHi,0e + 6C0, + GH^O
Gummi Mannit
Diese Gleichung ist leicht auf die früher (in § 124) besprochene zurück-
zuführen. Etwas Mannit bildet auch der Bac. viscosus vini Krämers^)
der aber zu den fadenbildenden Stäbchen gehört. Neuere Unter-
suchungen und Beinkulturen aller dieser Bakterien fehlen. Indessen
isolierte H a p p ^) aus Digitalis- und Senegaabkochungen einen B a -
cillus gummosus und Micrococcus gummosus, die
ß,us Rohrzucker oder auch aus Maltose Schleim neben Mannit, Milch-
säure, Buttersäure und Kohlensäure erzeugen. Peglion*) beschrieb
femer aus kranken Weinen einen Bazillus, der aus Most mit Bouillon-
zusatz bei Sauerstoffabschluß Mannit, Gas, Butter-, Essig-, Propion-
und Milchsäure und etwas Schleim bilden, bei Sauerstoffzutritt aber
auch den Alkohol zu Essigsäure oxydieren soll. Für manche Fälle
scheint es also bewiesen, daß Schleim-, Mannit- und andere Gänmgen
demselben Bakterium zukommen können.
Ob in allen Fällen der Mannit nur aus der Fruktose hervorgeht
(§ 124), wäre nach diesen Angaben zu bezweifeln.
§ 126. Mannitbildimg durch Schimmelpilze. W^ie bei höhe-
ren Pflanzen, so ist auch in den Zellen von Pilzen der Mannit sehr ver-
breitet®), so bei vielen eßbaren Pilzen, ferner im Sklerotium des Mutter-
korns. Nach M ü n t z ') kommt er auch im Penicillium glaucum vor
1) Annal. Chem. Pharm. 31. 337, 1839.
2) Bull. soc. chim. 61. 30 (nach E m m e r 1 i n g), vgl. auch Etudes
8ur le vin, 1866.
3) Zentr. Bakt. 8. 77, 1890.
4) Bakt. u. ehem. Untersuchg. über schleimige Gärung. Basel 1893
(Arbeiten d. bakteriol. Inst. Karlsruhe).
5) Vgl. Zopf, Pilze S. 125.
6) Ebenda.
7) Compt. rend. 79. 1182 Arch. chim. phys. 5. s^r. 8. 61.
Wandlungen der Kohlenhydrat«. 403
und zwar bei Emährnng mit Stärke, Traubenzucker und Weinsäure.
Es muß also eine Sjmthese des Mannits aus Zucker oder letzterem
Stoffe stattfinden. Man hat kaum Grund für die Annahme, daß der
Aufbau aus dem Zucker auf einem anderen Wege erfolge als bei der
Mannitgärung, die wir eben besprachen. Derselbe Autor vermißte
Mannit im Körper von Mucorarten und fand statt dessen Trehalose,
ein Disaccharid. Es scheint also Mannit Zucker vertreten zu können
(vgl. S. 83).
§ 127. Aufbau von Disacchariden und Polysacchariden
aus Hexosen und Pentosen. Wie die Mikroorganismen imstande
sind, die Polysaccharide Zellulose, Stärke, Gummi zu verflüssigen und zu
verzuckern, so können sie umgekehrt Zucker zu Poljrsacchariden ver-
dichten. Dort haben wir es mit Depolymerisierung und hydrolytischer
Spaltung, kurz, mit dem Abbau komplizierter Moleküle, hier mit
Anhydridbildung, Polymerisierung, wenn man will mit Synthesen
einfachster Art zu tun (S. 204). Der Energieaufwand, der dazu
gehört, ist freilich ein recht geringer, kaum meßbarer. So würden
nach Stohmann und Langbein^) beim Aufbau der Maltose
aus Glykose nur 3,3 Kai. verschwinden :
2 CeHi^Oe - H^O = C^^H^gO,! (- 3,3 Kai.).
Etwas weniger (3,1 Kai.) erfordert die Entstehung des Bohrzuckers
aus Glykose undLaevidose^), etwas mehr (7,8 Kai.) die des Milchzuckers
aus Glykose und Galaktose.
Beim Aufbau der Stärke aus Maltose für jedes Zuckermolekül
werden 4,3 Kai.
|- (CieH^^Oa - H^O) = (C^HioOs), (-4,3 Kai.) ^
beim Aufbau der Zellulose aus Glykose ebenfalls 4,3 Kai. gebunden
y (CgHiA -HjO) = (C,HioOs)y (- 4,3 Kai.) y.
Merkwürdigerweise findet Stohmann, daß bei der Synthese des
Dextrans, einer Gummiart, Wärme frei wird:
z (CeHiA - H^O) = (CeHioOs), (+ 7,7 Kai.) z.
Alle diese Wärmebestimmimgen sind freilich mit Vorsicht aufzunehmen,
da die Ausschläge teilweise innerhalb der Fehlergrenze liegen.
In manchen Fällen erscheint das Umwandlungsprodukt des Zuckers
nur innerhalb der Zelle, in anderen als Bestandteil der M e m -
1) Joum. prakt. Chem. 45. 322 ff .
2) Unmittelbar — im Kalorimeter — bestimmte R u b n e r die Tn-
vmionBwärme zu 3,1 Kai. (vgl. § 237).
26*
404 Kap. VI. § 127 u. 128.
b r a n (Zellulose), in wieder anderen als Ausscheidung der
Zellen, sie entweder hüllenartig umgebend oder frei in der Nährflüssig-
keit. Im letzteren Falle spricht man häufig von „Gärung". Doch liegt,
keine Veranlassung vor, alle diese Vorgänge für wesentlich verschieden
zu halten. Gärung und Neubildung von Zellsubstanz
gehen ineinander über. Beides sind wahrscheinlich enzyma-
tische Prozesse, wenn das auch bisher nur ausnahmsweise (§ 130) nach-
gewiesen ist. Man darf sich nicht dadurch täuschen lassen, daß andere
Stoffe, wie Milchsäure, Essigsäure, Buttersäure, Bemsteinsäure, Alkohol,
Wasserstoff und Kohlensäure nebenher entstehen. Sie verdanken ihren
Ursprung, wie wir in den vorhergehenden Abschnitten gesehen haben,
anderen Gärungen, die wohl nur indirekt mit der Bildung von Zellu-
lose, Stärke und Gummi zusammenhängen, indem sie unter anaeroben
Wachstumsbedingungen die für den Aufbau dieser Substanzen nötige
Energie liefern, also nur dieselbe Aufgabe erfüllen, die den Oxydationen,
der sogenannten Atmimg, unter aeroben Bedingungen zufällt.
Ein praktisch wichtiger, aber für die Auffassung der Dinge gleich-
gültiger Unterschied besteht darin, daß die Stoffumwandlungen in
sehr imgleichem Umfange auftreten. So kann Schleim oder Zellulose
in solcher Menge gebildet werden, daß die Kulturflüssigkeit zu einer
Gallerte erstarrt, der Sprachgebrauch heißt das gerade Gärung. Kann
man den Schleim nur mikroskopisch, die Zellulose nur mikrochemisch
nachweisen, so fällt es niemandem ein, diese Stoffe als Gärprodukte
zu bezeichnen, xmd doch haben sie denselben Ursprung. Wir werden
im folgenden die extrazellular oder in Gestalt von Hüllen auftretenden
Bakterienschleime besprechen und erst später (§ 130) die intra- und
extrazellularen Anhäufungen von Zellulose und Stärke behandeln.
§ 128. Gummi- oder Schleimgärungen. Reichliche Schleim-
bildung wird bei sehr vielen Bakterien beobachtet. Wir geben im
folgenden eine Liste der hauptsächlichsten Formen. Genauere chemische
Untersuchungen über die Zusammensetzimg und den Ursprung des
Schleims liegen nicht wenige vor, wir besprechen sie nachher im
Zusammenhang (§129).
Auf fast allen in der Natur oder im Gewerbe vorkommenden
zuckerhaltigen Stoffen tritt gelegentlich Schleimbildung im Gefolge
von Bakterienwucherung auf.
Im Wein (vgl. § 95), besonders im weißen, ist eine Krankheit
schon lange bekannt, bei der der Wein zu einer öligen, f^enziehenden
Flüssigkeit wird. P a s t e u r ^) beschrieb einen streptokokkenähnlichen
Organismus als Erreger, den späteren sogenannten Micrococcus
1) Etudes sur le vin 1866. 62.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 405
vi SCO SU 8. Bei der Mannitgärung (S. 402) war schon von ihm die
Rede. N e ß 1 e r ^) fand andere Kokken als Erreger, ohne sie weiter
zu untersuchen. Auch Krämers^) Bac. viscosus vini ist
noch keine sichere Reinkultur.
Würze und Bier unterliegen nicht selten der Verschleimung
(vgl. § 94). Nach Pasteur^) wäre auch hier ein Streptokokkus
die Ursache. Van Laer*) beschrieb aus belgischem Bier einen
Bac. viscosus I xmd II, V a n d a m ^) einen B. viscosus III,
H e r o n *) aus englischen Bieren einen Kokkus, der die Eigentümlich-
keit hat, nur mit Hefe zusammen das Bier schleimig zu machen, L i n d -
ner') einen Pediococcus (Sarcina) viscosus aus Weißbier. Nach
B e i j e r i n c k (vgl. S. 352) verwandelt das Granulobacter butylicus
und G. polymyxa Würze in einen zähen Schleim, nach Lindner ^)
der hefeähnliche Schimmelpilz Dematium puUulans. Das Ingwerbier
entwickelt sich nach Ward aus wurmförmigen Zoogloen, die aus
einer Vereinigung der Hefe mit dem schleimbildenden Bact. vermiforme
bestehen (vgl. § 111).
Runkelrübensaft ist, wie wir schon bei der Mannitgärung (S. 402)
gesehen haben, auch der schleimigen Gärung unterworfen. Wahr-
scheinUch handelt es sich dabei um eine ganze Reihe verschiedener
Erreger. Am längsten bekannt ist der sogenannte Leuconostoc mesen-
terioides, oder besser gesagt, ein Streptokokkus*), der den sogenannten
Froschlaich der Zuckerfabriken, d. h. gallertartige Massen, die
zur Betriebsstörung werden können, erzeugt.
Andere Arten von Gallertbildnem aus Rübensaft sind der merk-
würdige Bac. pediculatus von Koch und Hosaeus^®), der schleimige
Substanz einseitig in Form von Stielen, auf denen er sitzt, bildet (s. u.).
Ein bewegliches Bacterium gelatinosumbetae beschreibt
Glaser ^^) als Erzeuger des Froschlaichs, das Clostridium gelatinosum
1) Bereitung, Pflege und Untersuchung des Weins 1898 (nach
L a f a r).
2) Zentr. Bakt. 8. 77.
3) Etudes sur la bidre 1876. S. 5.
4) Memoir. acad. roy. Belgique 43, 1889.
5) Woch. f. Brauerei 1896. 31.
6) Kochs Jahresber. 1899. 152.
7) Woch. Brauerei 1889. 181.
8) Mikroskop. Betriebskontrolle 1901, S. 289.
9) Liesenberg und Zopf, Beitr. Physiol. u. Morph, nied. Organis-
men, 1892. Mehrere Arten von Froschlaichstreptokokken züchtete neuer-
dings Z e 1 1 n o w , Zeitschr. f. Hyg. 57.
10) Zentr. Bakt. 16. 225» 1894.
11) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 879, 1895.
406 Kap. VI, § 128.
L a X a^) , das Semiclostridium commune, rubrum usw. M a a ß e n^).
Vielleicht gehören diese beweglichen Bakterien alle zu einer Gruppe,
die den Heubazillen (s. u.) verwandt ist.
Pflanzeninfuse verschiedener Art verfallen häufig einer
schleimigen Veränderung, wie schon Kützing') feststellte, durch
Bakterienwirkimg. Aus Digitalisabkochung isolierte Bräutigam')
einen Micrococcus gelatinogenes, der auch andere Infuse in steife
Gallerte verwandelte, in zuckerfreien Nährböden aber keinen Schleim
bildet, Ritserts^) Bact. gummosum und H a p p s •) Bac. gum-
mosus gehören ebenfalls hierher, desgleichen der Micr. gummosus H a p p s
aus Senegainfus. Die Schleimbildung der Essigbakterien be-
trachten wir weiter unten (§ 130 u. 135).
In Gerbbrühen wird eine ähnliche Verschleimung beob-
achtet, an der die Crenothrix Kühniana beteiligt sein solF).
Die destillierten Wässer der Apotheker, z. B. Orangen-
blütenwasser, erleiden häufig schleimige Zersetzungen; selbst reines
destilliertes Wasser kann schleimig werden, wenn es aus Holzfasern
organische Stoffe aufnimmt'^).
Tinte aus Campecheholz wird nach H e r y '') durch einen Kapsel-
bazillus verschleimt.
Die schleimige Gärimg der M i 1 c h ist von zahlreichen Forschem
untersucht worden. Sie wird anscheinend von Bakterien hervorgerufen,
die den gewöhnlichen Milchsäurebakterien nahe stehen (§111). Es ist
aber dabei zu unterscheiden, ob der Schleim aus dem Milchzucker
oder aus dem Kasein entsteht, wie das für den Streptococcus hollandicus
der „langen Wei", der fadenziehenden Molke, die zur Bereitung des
Eidamer Käses verwendet wird (Goethart®)), behauptet wird.
Nachweislich auf Kosten des Zuckers wird Schleim durch das L e i c h -
mann sehe®) und Emmerling sche^®) Kapselbakterium und die
Kokken Schmidt-Mülheims^^) erzeugt. Wahrscheinhch ist
das auch der Ursprung des Schleims in der schwedischen „Langmilch'',
1) Kochs Jahresber. 1901, 127.
2) Arb. biol. Abteil. Gesundheitsamt. 5, 1905.
3) Journ. prakt. Chem. 11. 386, 1837.
4) Kochs Jahreeber. 1891. 222.
5) Zentr. Bakt. 11. 730.
6) Vgl. S. 402.
7) Bei Eitner in Lafars Handb. 5. 29.
8) Kochs Jahresber. 1897. 194.
9) Landwirtschaft!. Versuchsstation 43. 373.
10) Ber. chem. Ges. 33. 2478.
11) Pflügers Arch. 27. 490.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 407
die durch Troili-Pettersons^) Bact. (Strept.) lactis longi,
einen nahen Verwandten des Str. lacticus, erzeugt wird, und (min-
destens zum Teil) der ähnlichen Schleimgärungen, die nach G u i 1 -
1 e b e a u *) ohne oder mit Zusammenhang mit Eutererkrankungen
durch Hicroco<3cus Freudenreichii, Bact. Hessii und einen pathogenen
Bacillus, nach. A d a m e t z durch den Bac. lactis viscosus^), nach
L ö f f 1 e r ^) durch den Bac. lactis pituitosi, nach H ü p p e ^) und
Flügge^) durch Heubazillen, nach Duclaux^) durch den „Actino-
bacter", nach B u r r i ®) wieder durch eine Abart des Streptococcus
lacticus hervorgerufen werden. Dazu kommt noch der Bacillus der
„seifigen Milch" (Pseudomonas Weigmanni Mig.) von W e i g -
mann und Z i r n ^).
Auch andere Nahrungsmittel, z. B. B r o t , unterliegen der schleimi-
gen Veränderung. Es scheint sich dabei stets um sporenbildende Bak-
terien aus der Heu- und Kartoffelbazillengruppe zu handeln, die als
Bac. mesentericus panis viscosi, mesentericus fuscus panis viscosi be-
schrieben worden sind (Vogel i®),Juckenack^*),Svoboda^^),
V. Czadek und Kornauth^^), König, Spieckermann
und Tillmanns ^^)). Die Sporen dieser Bakterien kommen in jedem
Mehl, aber in verschiedener Menge, vor. Durch Lagern in feuchten
Ränmen vermehren sich die Bazillen und können dann später, da ihre
Sporen der Backhitze widerstehen, im fertigen Brot die Verschleimung
hervorrufen.
Die schleimige Beschaffenheit des Harns, die M a 1 e r b a und
Sanna-Salaris^^) unter dem Einfluß des Bact. gliscrogenum
beobachtet haben, scheint durch einen Muzinstoff, nicht durch echten
Gumnii bedingt zu sein.
Bei dem häufigen Vorkommen der schleimigen Gänmgen kann es
nicht Wunder nehmen, daß gelegentlich zufällig in der Luft, im Wasser
1) Zeitflchr. f. Hyg. 32.
2) Kochs Jahresber. 1891. 185.
3) Landwirtsch. Jahrb. 1891 und Zentr. Bakt. 9. 689.
4) Berl. klin. W. 1887. 631.
5) Mitt. Gesundheitsamt 2, 1884.
6) Zeitschr. f. Hyg. 17.
7) Annal. agronom. 1883.
8) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12, 1904.
9) Zentr. Bakt. 15. 466, 1894.
10) Zeitschr. f. Hyg. 26.
11) Ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 7. 109.
12) Ebenda 8. 121.
13) Ebenda 9. 683.
14) Ebenda 11. 61.
15) Zeitschr. physiol. Chem. 15. 539.
408 Kap. VI, § 128 u. 129.
und an anderen Orten Bakterien gefunden woiden sind, die imstande
waren, derartige Prozesse zu bewirken. Dahin gehört der von Schar-
d i n g e r ^) aus unreinem Trinkwasser isolierte Bazillus und der Strepto-
coccus hornensis, den Boekhout*) aus mit Rohrzucker versetzter
Milch gezüchtet hat.
Schließlich ist auch die Gummibildung, die an manchen Pflanzen
auftritt und unter dem Namen Gummosis der Akazien, des Zucker-
rohrs (G. Smith*)), der Zuckerrüben, des Feigenbaums, Weinstocks U8w.
bekannt ist, durch Bakterien verursacht. Den Gummi hielt man früher
ganz allgemein für ein physiologisches Erzeugnis der Pflanzen selbst.
Der Bac. radicicola der Leguminosenknöllchen (§ 201) bildet eben-
falls in künstlichen Nährböden Schleim (B u c h a n a n ^)) , in der
Pflanze selbst „Infektionsfäden", die man früher für Bestandteile
eines Pilzes gehalten hat (s. u. Myxobakterien).
Andere Schleimbildner kennt man unter der Bezeichnung der
Kapselbakterien (Bac. pneumoniae, Strept. lanceolatus), des
„Ascococcus", ,,Ascobacterium** und der sich in allerhand vegetabilischen
Aufgüssen bildenden mannigfach geformten „Zooglöen" (F. C o h n ^)).
Im Tierkörper und in gewissen tierischen Flüssigkeiten (Blutserum)
werden auch viele andere Bakterien (Milzbrand, Pest, Streptokokken)
zur Kapselbildung befähigt. Man darf sich wohl vorstellen, daß die
Schleimhüllen ihnen zum Schutz dienen, jedenfalls bestehen deutliche
Beziehungen derselben zur Virulenz dieser Bakterien. Für diejenigen
Bakterien, z. B. Streptokokken, die in toten Nährböden bei bestimmter
Zusammensetzung derselben (z. B. hohem Rohrzuckergehalt § 129)
Kapseln bilden, wäre an eine ähnliche Vorstellung zu denken. Trotz-
dem wird man gut tun, sie nicht zu sehr zu verallgemeinem, und die
Kapselbildung zimächst einfach als Wirkimg bestimmter Reize be-
trachten (§ 4). Die eigentümlichen Kapseln bzw. Zooglöen des Bao.
pediculatus wurden schon oben erwähnt, ihnen ähneln außerordentlich
die von F a m i n t z i n ®) bei seiner Nevskia ramosa beobachteten
Formen und ebenso, wenigstens äußerlich, die von Metschnikoff)
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 5.
2) Ebenda 6. 161.
3) Ebenda 8. 596; 9. 21; 10. 2 und 11. 23.
4) Ebenda 22. 371, 1909, mit Literatur.
5) Vgl. über Zooglöenbildung des Bac. allantoides L. Klein, Zentr.
Bakt. 6. 377, 1889. Auch die Gallertklumpen des Ingwerbiers usw. gehören
zu den Zooglöen.
6) Kochs Jahresb. 1891. 42.
7) Annal. Fast. 1888. Die Pasteuria würde ganz genau den „ge-
stielten Bakterien'* entsjirechen, wenn die von Metschnikoff als
„Sporen" betrachteten Ciebilde die Bakterien selbst darstellten.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 409
als Pastenria ramosa beschriebenen, parasitiscli auf Daphnien in finger-
förmig gelappten Verbänden lebenden Mikroorganismen. Auch die
merkwürdigen von T h a x t e r sog. ,,Myxobakterien", die namentlich
auf Kot leben, aber nach B a u r s und Q u e h 1 s ^) neuesten Fest-
stellungen auf künstlichen Nährböden reingezüchtet werden können,
erzeugen gleichfalls durch einseitige Ausscheidung eines
mehr oder weniger festen Schleims einen zum Teil verästelten selbst
Hunderte von Mikromillimetem langen Stiel („Zystophor"), auf dem
dann erst die mannigfach gefärbten und geformten aus dichten Bak-
terienmassen bestehenden Fruchtkörper („Zysten") pilzartig aufsitzen.
Nach Z u k a 1 und Stefan*) würde man femer die Bildung der
schon oben erwähnten ,, Infektionsfäden** in den Wurzelknöllchen der
I^guminosen am besten verstehen, wenn man die Knöllchenbakterien
(Bac. radicicola) als Myxobakterien auffaßte. Die schlauchförmigen
Fortsätze der „Bakterienblasen" Müller-Thurgaus^) haben
aber wohl eine andere Bedeutung (vgl. § 129 am Schluß).
Vielen Forschem ist die Unbeständigkeit der Schleimbildung auf-
gefallen. Die Fähigkeit dazu kann gewonnen und verloren werden
(§ 351). Auch darin drückt sich die Ähnlichkeit mit anderen enzyma-
tischen Vorgängen aus.
§ 129. Zusammensetzung und Entstehung des Bakterien-
sehleimes *). Am frühesten und eingehendsten ist der Schleim des
Leuconostoc mesenterioides studiert worden (s. o.).
Scheibler ^) hat ihn schon als Dextran bezeichnet. Reinkul-
turen hatten wohl erst Zopf imd Liesenberg zur Verfügung.
Nach ihnen wächst der Spaltpilz in zuckerfreien Nährböden wie andere
Streptokokken^) ohne Schleimhülle. Letztere bildet sich erst neben Milch-
saure und Gasen (Kohlensäure?) aus Rohr- und Traubenzucker, und
zwar wird ersterer dabei invertiert. Laktose, Maltose, Dextrin werden
zwar angegriffen, aber nicht zur Gallertbildimg benutzt. Ein Gehalt
des Nährbodens an Chlorkalzium (3 — 5%) oder Chlornatrium (1—3%)
oder Salpeter (1%) befördert die Verschleimung, die unter günstigen
Bedingungen — bei einer Temperatur von 30 bis 37° — ganz gewaltige
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 16. mit Lit. und Tafeln.
2) Ebenda 16 mit Taf.
3) Ebenda 20. 353 u. 21. 384, 1908.
4) Vgl. § 27 und T o 1 1 e n s , Handb. der Kohlenhydrate 2. Aufl.,
1898. Die Lit. ist meist in § 128 angegeben.
5) Zeitsehr. d. Vereins f. Rübenzuckerindustrie 1874. 309.
6) Umgekehrt bilden n«*ch H 1 a v a ( § 4) die gemeinen pathogenen
Streptokokken in starken Rohrzuckerlösungen Kapseln, die denen des
Leuconostoc ähneln.
410 Kap. VI, § 129.
AuBdehnung annimmt. Luftzutritt ist nicht nötig. Leider fehlen An-
gaben darüber, wie sich Leuconostoc gegenüber der Galaktose imd
Fruktose verhält. Auch die Zusammensetzung des Schleims verdient
nochmals geprüft zu werden.
Nach Scheibler wird er dargestellt, indem man den ,,Frosch-
laich** mit Alkohol auszieht (um die fettartigen Substanzen zu entfernen),
mit Kalkmilch wiederholt kocht, filtriert, den überschüssigen Kalk durch
Einleiten von Kohlensäure entfernt, eindampft, in der Kühe klärt, dann
nüt Salzsäure ansäuert und unter starkem Umrühren mit Alkohol nieder-
schlägt. Der Niederschlag wird gereinigt dadurch, daß mcm ihn abfiltriert,
in kaltem Wasser löst, mit Alkohol bis zur Trübmig versetzt und von den
Abscheidungen, die sich in der Ruhe absetzen, abgießt. Weiterer Alkohol-
zusatz fällt jetzt den Gummi, der dann diurch wiederholte Lösung in Wasser
und Alkoholfällung noch von den letzten Unreinigkeiten befreit werden
kann. Seine Zusanunensetzung ist CeH^oOc, er zeichnet sich durch seine
starke Rechtsdrehung vor allen anderen Körpern aus (-{- 223), verwandelt
sich femer durch verdünnte Schwefelsäure in Dextrose, nicht wie die
meisten anderen Gummiarten in Galaktose (oder Arabinose) und bildet
dementsprechend, mit Salpetersäiure oxydiert, keine Schleimsäure, sondern
Oxalsäure. Die wässerige Lösung reagiert neutral, reduziert kochende
Fehlingsche Lösung nicht, wird durch neutrales essigsaures Blei überhaupt
nicht, durch basisches Salz nur in starker Konzentration gefällt.
Mit dem Dextran identisch zu sein scheint der Schleim des Bact.
gelatinosum Glasers, der ebenfalls aus Rohrzucker nach dessen
Inversion gebildet wird. Der Bazillus entwickelt sich freilich nicht
ohne weiteres in der Melasse, wohl nach Zusatz von Phosphaten der
Erdalkalien. Er erzeugt nebenher Alkohol, etwas Gas und Säure, die
aber keine Milchsäure ist. Auf Bierwürze entwickelt er nur wenig
Schleim.
Dextran bildet nach Boekhout auch der Streptococcus hor-
nensis auf Rohrzuckerlösungen von 4 bis 40%, aber nur, wenn ihm
daneben Pepton als Stickstoffnahrung geboten wird. Die flüssigen
Nährböden werden dabei gallertig, die festen zeigen mächtige Schleim-
wülste. Aus 100 g Rohrzucker in 20 prozentiger Lösung ließ sich durch
Zusatz des 2 — ^3 fachen Volumens Alkohol imd nachfolgendes Aus-
waschen mit 50 prozentigem Alkohol 20 — 25 g des Gummis in ziem-
lich reinem Zustand gewinnen. Bei seiner Hydrolyse mit Schwefel-
säure lieferte er einen rechtsdrehenden reduzierenden Zucker. Die
übriggebliebene alkoholische Flüssigkeit enthielt linksdrehenden Zucker
und reduzierte ebenfalls. Nach Hydrolyse mit Salzsäure erhält man
noch stärkere Reduktion und Linksdrehimg. Vielleicht war also bei der
Schleimbildung Fruktose entstanden und noch ein Rest Rohrzucker
zurückgeblieben. Eine genauere Bestimmimg gelang Boekhout
nicht, auch nicht bei Verwendung von Hefen mit beschränktem Gärungs-
Wandlungen der Kohlenhydrate. 411
vermögen. Die Zerlegung des Rohrzuckers würde sich nach ihm in
folgender Weise ausdrücken lassen:
Gummi Fruktose
JDaneben bilden sich nur immeßbare Mengen von Gas und Säure.
Ein Lävulan ist dagegen die von dem Clostridium gelatinosum
L a X a s und dem Semiclostridium Maaßens ebenfalls aus Rohrzucker
gebildete Gallerte, da sie mit Säuren gekocht die linksdrehende
Fruktose, nicht Dextrose liefert. Als Nebenprodukte entstehen aus
dem invertierten Rohrzucker neben Hexosen Kohlensäure und Alkohol,
Ameisen-, Essig- imd Milchsäure.
Ein Galaktan ist nach Emmerling der Schleim, den der
Bac. aerogenes aus Milchzucker oder Galaktose, nicht aber aus Glykose
erzeugt (vgl. u. Schardinger). Er unterscheidet sich dadurch
von Dextran, daß er viel weniger stark rechts dreht, mit verdünnter
Schwefelsäure Galaktose imd mit Salpetersäure Schleimsäure gibt.
Krämers Bazillen aus Wein bilden aus Rohrzucker, Milchzucker,
Glykoee, Fruktose und auch aus Stärke Schleim von der Formel CgHjoOß.
Ob die „Viskose" Bechamps^) und der Gummi Pasteurs
damit identisch sind, muß zweifelhaft bleiben, da diese Forscher noch
nicht mit Reinkulturen gearbeitet haben. Während wohl alle übrigen
Schleimbildner auch bei saurer Reaktion gedeihen, wächst der Bac.
viscosus sacchari K r a m e r s nur auf neutralen oder alkalischen
Nährboden.
Verschieden ist jedenfalls wieder das Produkt des Ritsert sehen
Bact. gummosum. Es entsteht nur aus Rohrzucker, nicht aus Glykose
und Milchzucker. Von dem Dextran Scheiblers unterscheidet es
sich auch dadurch, daß es optisch inaktiv ist. Die Schleim-
bildung findet noch statt in Zuckerlösung von 40%, und ist am ener-
gischsten in einer 30 prozentigen Lösung, in der 6,5% Schleim ent-
steht. Auch hier begünstigt Zusatz von Aschenbestandteilen die
Gänmg.
Man kann überhaupt sagen, daß bei genauer Unter-
suchung sich die Schleimgärungen als ebenso
spezifisch erweisen, wie die anderen Gärungen,
die wir früher behandelt haben. Weitere Beispiele dafür haben H a p p
und G. Smith geliefert: der Bac. gummosus vermag nur Saccharose,
der Micrococcus gummosus auch Maltose zu Schleim zu verarbeiten.
Neben dem Schleim, dem die Formel CgHioOg zukommt, entstehen
1) Compt. rend. 93. 78.
412 Kap. VI, § 129.
geringe Mengen von Mannit, Milcht-, Butter- und Kohlensäure. Die
Saccharose wird dabei invertiert, denn freie Glykose läßt sich in der
Kultur nachweisen.
Sehr mannigfaltige Verhältnisse hat Smith bei den Schleim-
gärungen aufgedeckt, die als Bakterienkrankheiten an vielerlei Bäumea
auftreten. Das Bacterium acaciae erzeugt A r a b i n , das Bact. metara*
bicum Metarabin, das Bact. pararabicum Fararabin, das
Bact. Persicae eine vierte Gummiart, die dem Fararabin nahesteht.
Daneben entwickelt die Gärung bei den beiden ersten Bakterien etwas
Alkohol und Kohlensäure, ziemlich viel Linksmilchsäure und wenig
Bernsteinsäure, Essigsäure und Ameisensäure; bei dem Bact. metara-
bicum wird die Milchsäure durch Buttersäure ersetzt; beim Bact. persicae
finden sich beide Säuren nebeneinander. Das Verhalten der genannten
Mikroorganismen zu den einzelnen Kohlenhydraten ist ein ebenso un-
gleiches. Das Bact. pararabicum invertiert den Rohrzucker nicht,
obwohl es ihn in schleimige Gärung versetzt.
Das Arabin zeigt die Reaktionen des arabischen Gununis, d. h. es
gibt bei der Hydrolyse mit Schwefelsäure Arabinose und Galaktose (durch
ilire Osazon^ festgestellt), mit Salpetersäure Schleimsäure und Oxalsäure,
bei Destillation mit Salzsäure Furfurol, wird durch basisch essigsaures
Blei, nicht durch neutrales, gefällt, reduziert Fehlingsche Lösung nicht.
Das Metarabin ist ähnlich zusammengesetzt, aber in Wasser unlöslich
und in Alkalien löslich ; das Fararabin zeichnet sich dcuiurch aus, daß es selir
widerstandsfähig ist gegen verdünnte Säure, aber durch konzentriert«
Schwefelsäure auch in Arabinose und Galaktose zerfällt und durch Salpeter-
säure zu Schleimsäure oxydiert wird. Der Gummi des Bact. Persicae (an
Pfirsich-, Mandel- und Zederbäumen) ist in verdünnten Säuren und
saxurem Alkohol löslich und wird leicht hydrolysiert in Arabinose und
Galaktose.
Auch die Bazillen van Laers zeigen Eigenheiten: beide ver-
schleimen Bierwürze und Milch, d. h. Malz- und Milchzucker, bemerkens-
werterweise auch milch- und weinsaure Salze. Nur der
Bac. viscosus I vermag den Rohrzucker zu vergären. Charakteristisch
ist eine braune Färbung und ein Geruch, der dabei auftritt. Von son-
stigen Nebenprodukten wird Kohlensäure erwähnt. Enthalten die
Nährlösimgen, z. B. Bier, zu viel Zucker, so bilden die Mikroorganismen
keinen Schleim, zuviel Säure schadet ebenfalls, nicht ein selbst hoher
Alkoholgehalt; die Temperatur kann dabei von 7 bis 42® schwanken.
Es sei hierbei erwähnt, daß manche pathogenen Streptokokken sich
gegenüber der Zuckerkonzentration gerade umgekehrt verhalten.
Während sie in dünnen Lösungen keine Spur von Schleim erzeugen,
bilden sie dicke Kapseln und Gallerten, wenn der Gehalt an Bohr-
zucker auf 14% steigt (Boekhout, Hlava). VanLaerhat
auch chemische Untersuchungen des Bakterienschleims vorgenommen.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 413
Sie beweisen, daß der wasserlösliche Gummi mit einer
unlöslichen stickstoffhaltigen Substanz verge-
sellschaftet ist. Vielleicht gilt das auch für andere Bakterien-
schleime, insbesondere die „K a p s e 1 n" und Zooglöen.
V a n d a m 8 Bazillus unterscheidet sich von den vorgenannten
dadurch, daß er keine Kohlensäure entwickelt und des Luftsauerstoffs
zur Bildung von Schleim bedarf. Außerdem vermag er aus wein- und
milchsauren Salzen keinen Schleim zu erzeugen.
Wenig wählerisch in Bezug auf den Grundstoff für die Schleim-
produktion ist der MUchbazillus Leichmanns: Glykose, Fruktose,
Galaktose, Saccharose, Maltose und Laktose sind dazu geeignet, nicht
Mamiit, Gummi arabicum und Stärke. Nebenher entstehen Milchsäure,
etwas Äthylalkohol und Gase.
Diesem Organismus schließt sich die von Schardinger ^)
studierte Varietät des Bac. aerogenes durch ihre Eigenschaften im-
mittelbaran. Die Analyse des Bakterienschleims ergab ein Kohlenhydrat
von der Zusammensetzung CgHjoOß , das bei Oxydation mit Salpeter-
säure Schleimsäure (und Oxalsäure) ergab, nach Hydrolyse mit Salz-
säure reduzierte und das polarisierte Licht nach rechts drehte, während
es vorher optisch unwirksam gewesen war. Der Gummi besteht also
wenigstens teilweise aus Galaktan. Schardinger hält es für
wahrscheinlich, daß dem Gummi, der gallertig, aber nicht faden-
ziehend ist, in Kulturen ein muzinähnlicher, d. h. eiweiß-
artiger Schleimstoff beigemischt ist, der vielleicht aus den Bakterien-
körpem gewonnen werden kann und wohl die Ursache ist, daß auch
zuckerfreie Kulturen etwas schleimig sind^).
Der in fadenziehendem Brot vorkommende Bakterienschleim ist
nach König, Spieckermann und Tillmanns kaum rein
darzustellen, er enthält aber größtenteils dextrinartige Körper der
Glykose-, nicht der Galaktosegruppe.
Der letzte Forscher, der sich mit der Schleimbildung des Bac.
radieicola beschäftigt hat, Buchanan, fand eine gewisse Überein-
stinmiung in der Zusammensetzung des Schleims, indem er stets die
Reaktion des Dextrans ergab und stickstofffrei war, und eine ebenso
große Mannigfaltigkeit der Stoffquellen, aus denen er herstammte
Tnter den Ammoniaksalzen der organischen Säuren genügten die bern-
stein- und zitronensauren, nicht die milchsauren (s. o.
V a n L a e r) als einzige Kohlenstoff quelle, um (freilich kleine) Schleim-
1) Über die Darstellung vgl. die Original arbeit (S. 408).
2) Vgl. auch die Schleimbildung der Milzbrand- und Pyocyaneus-
bazillen 8. 70/71.
414 Kap. VI, § 129 u. 130.
mengen zu erzeugen. Glyzerin, das anderen Forscliem niemals
Ergebnisse geliefert hat, war sogar eine sehr brauchbare Quelle, ebenso
alle möglichen Kohlenhydrate, einschließlich Galaktose, Fruktose,
Rhanmose, Mannose, Melibiose, Inosit und endlich Mannit. Asparagin
und Pepton genügten zwar nicht allein, steigerten dagegen die Schleim-
bildung als Zusatz zu oben genannten Stoffen oft erheblich. Der Ver-
fasser läßt wohl mit Recht den Schleim in der Zelle entstehen und sich
als äußersten Teil der Bakterienmembran (Kapsel) von ihm ablösen,
nicht durch Synthese außerhalb der Zelle sich bilden.
Während nicht bezweifelt werden kann, daß es sich bei den bisher
besprochenen Beispielen im wesentlichen um echte Gummiarten, also
Kohlenhydrate handelt, hat Goethart nachgewiesen, daß der vom
Streptococcus hollandicus entwickelte Schleim der „langen Wei" eine
Art von Muzin mit einem Stickstoffgehalt von 10
b i s 12 % ist (s. c). Allerdings braucht der Streptokokkus Zucker, um gut
zu wachsen und Schleim zu bilden, doch geht der Zucker nicht in Schleim
über, sondern wird zu Milchsäure vergoren. Auch das Bact. gliscro-
genum aus schleimigem Harn gehört hierher (s. o. M a 1 e r b a und
Sanna-Salaris), wahrscheinlich auch die Myxobakterien, die
nach Quehl auf Mineralsalzpeptonagar ihre pilzähnlichen Fruchtkörper
bilden und durch Zucker in ihrer Entwicklung nicht gefördert werden.
Unbekannt ist die Zusammensetzung und Bildung der sogenannten
Infektionsfäden der KnöUchenbakterien. Jedenfalls bestehen sie nicht
aus Zellulose. Möglich wäre es, daß sie, wie die Stiele der Myxobak-
terien, durch einseitige Schleimausscheidung entständen (S. 409). Die
Bildung von Schleim auch in Reinkulturen ist bei dem Bac. radicicola
ja nachgewiesen. Die in den Knöllchen selbst sich entwickelnden
Bakterienhaufen würden dann gewissermaßen den sich im Freien
entwickelnden Zysten der Myxobakterien entsprechen. Einen anderen
Ursprung haben anscheinend die Fäden und Schläuche, die den „B&k-
terienblasen'^ Müller-Thurgaus aufsitzen. Man kann ihre
Bildung zum Teil imter dem Mikroskop beobachten, wenn man destil-
liertes Wasser zu den Blasen setzt. Eine Stelle der Wand dehnt sich aus,
platzt und stülpt sich röhrchenförmig unter beständiger Verlängerung
und Abscheidung eines Gerinnsels in der Spitze vor. Das macht den
Eindruck, als ob ein Teil des in der Zyste enthaltenen Bakterienschleims
bei seinem Austreten unter dem Einfluß eines in der umgebenden
Flüssigkeit vorhandenen Stoffes (Gerbsäure?) zu einer Röhre geranne.
Andere Male scheinen die Anhängsel der Zysten freilich fest imd nicht
von Gerinnseln umgeben. Die Blasenwand selbst bildet sich nach
Müller-Thurgau vielleicht in ähnlicher Weise als Niederschlags-
membran. Jedenfalls gestattet sie den Durchtritt von Nährstoff und
Wandlungen der Kohlenhydrate. 415
ist nicht nur dehnbar, sondern selbst wachstumsf ähig, denn die Blasen
nehmen in den Fruchtsäften, in denen sie einmal entstanden sind, an
Inhaltsmasse und Größe zu. Zu Anfang handelt es sich übrigens um
einfache, durch dicken Schleim zusammengehaltene Zoogloen, ohne
Wand. Erst später bildet sich die letztere unter Verflüssigung des
Schleims. Die mikrochemische Untersuchung der Blasenwand hat
keinen Anhaltspunkt für ihre Zusammensetzung ergeben.
§130. Bildung von Stärke und Zellulose. Das Vorkommen
des Glykogens, der Stärke und der Zellulose bei den Bakterien und Pilzen
wurde schon bei der chemischen Zusammensetzung ihrer Leiber be-
sprochen (§ 27). Dort wurde auch erwähnt, daß das Glykogen bisher
nur innerhalb der Zellen gefunden worden ist. Die Bildung der beiden
anderen Stoffe erfolgt dagegen unter Umständen in solchem Umfange,
daß man wie von einer Schleimgärung von einer Stärke- und Zellulose-
gärong reden könnte. Beispiele dafür bieten namentlich die Essig-
bakterien (vgl. § 135). Einige von ihnen, z. B. Bact. aceti, bilden
zwar schleimige Massen (die gewöhnliche „Essigmutter"), die chemisch
wohl dem Gummi nahe stehen. In einen ähnlichen, doch festeren,
ja lederartigen und teils die Reaktion der Stärke, teils die der Zellulose
gebenden Schleim eingebettet erscheinen aber Bact. Pasteurianum,
Kützingianum und xylinum. Eaimi zu bezweifeln ist von vornherein,
daß diese Stoffe in den Bakterienleibem, bzw. in deren Hülle gebildet
und dann ausgeschieden werden. Es kommt aber auch vor, daß die
Bakterien allein die Jodreaktion geben und der Schleim nicht ^). Man
wird, da es sich in solchen Fällen wn ältere Decken des Bact. Pasteu-
rianum handelt, daran denken müssen, daß die ausgeschiedenen Stoffe
sich nachträglich verändert haben. In anderen Fällen vermißt man
umgekehrt die Blaufärbung an den Bakterien selber, während die
Zwischenmasse sie zeigt. Genauere Untersuchimgen der stärkeähn-
lichen Substanz, wie sie für die zelluloseähnliche des Bact. xylinum
von Brown geliefert sind, stehen übrigens noch aus, eine völlige
Übereinstimmung mit Stärke ist schon dadurch ausgeschlossen, daß
sie durch Diastase nicht verzuckert wird. Über die Bildungsweise
des einen wie des anderen Stoffs ist wenig bekannt. Wahrscheinlich
tragen aber zuckerartige Stoffe, die bei der Essiggärung ja niemals
fehlen xmd durch Eondensationsvorgänge sich in Stärke und Zellulose
verwandeln könnten (s. o. § 127), in erster Linie dazu bei^).
1) Lafar, Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 149, 1896.
2) Beim Bact. xylinum, dem Erreger der Sorbosegarung (B. xylinum),
scheint ein höherer Alkohol, das Sorbit, die Quelle der Zellulosebildung
2u sein ({ 132)^- diese letztere also vielleicht mit einer Oxydation zu be-
ginnen. Über die Beteiligung von Stickstoff vgl. Emmerling S. 84.
416 Kap. VI, § 130.
Zelluloseartige Hüllsubstanzen bilden nach König, Spiecker-
m a n n und 0 1 i g ^) auch gewisse Heubakterien. Sie veranlassen in
Baumwollensaatmehl zeitweise eine Zunahme der „Bohfaser" bis zu
20%. Vielleicht kommen Gummistoffe (Pentosane), die gleichzeitig
verschwinden, hierfür in Betracht. Zelluloseähnliche Stoffe würden
nach M a z 6 (S. 61) auch in Kulturen der Eurotiopis Gayoni entstehen,
wenn man sie im Hungerzustande sich selbst überläßt. Nach dem
Verfasser sollen allerdings Eiweißstoffe ihre Muttersubstanzen sein.
Über die Entstehungsbedingungen der stärkeähnlichen, durch Jod
rotbraun bis blauviolett sich färbenden Inhaltskömer der Buttersäure-
bakterien und Anaerobier überhaupt geben einige neuere Untersuchun-
gen Aufschluß. Während die meisten Forscher die Ablagerungen der
Granulöse (und des Glykogens) in den Zellen als,, Vorratsstoffe'* zur Auf-
rechterhaltung der Ernährung bzw. der Gärung betrachten, möchte
Graßberger^) darin lieber eine Krankheitserscheinung, eine
Art von „Zuckerkrankheit", sehen und begründet das dadurch, daß
gleichzeitig Gestaltsveränderungen, gewissermaßen Mißgestaltungen
entstehen, und ein abnormer Stoffwechsel (Buttersäuregärung) auftrete,
femer die mit der Clostridiumbildung gewöhnlich verknüpfte Sporen-
bildung gelegentlich ausbleibe, und die ganze Kultur öfters — ohne
oder nait Sporen — wenig lebensfähig sei. Man wird dieser Auffassung
insofern wenigstens nicht jede Berechtigung versagen können, als
allerdings der ganze Vorgang nicht selten den Eindruck einer einseitig
übertriebenen Entwicklung macht. Indessen fragt es sich doch, ob
nicht die ungünstigen Bedingungen, in denen die Buttersäurebazillen
durch unsere künstliche Züchtung geraten, an dieser verfehlten Ent-
wicklung zum großen Teil die Schuld tragen. Insbesondere denken
wir dabei an die Anhäufung von schädlichen Stoffwechselerzeugnissen
(§ 47), z. B. von Säure, die unter natürlichen Verhältnissen, wo Salze
oder alkalische Erden eine zu starke Säuerung verhüten, nicht so leicht
vorkommt. Die wichtige Bedeutung der Alkalinität der Nährflüssig-
keit für die Bildung und die Widerstandsfähigkeit der Anaerobiersporen
hat neuerdings besonders von Hibler^) hervorgehoben (vgl. S. 138).
Demselben Forscher verdanken wir Untersuchxmgen über die Be-
dingungen der Granuloseablagerung, Clostridiumbildung*) und Beweg-
lichkeit. Wie die letztere, die uns hier nichts angeht, wird auch die
Bildung von Granulöse und „Blähformen" durch saure Reaktion ge-
hemmt, durch alkalische gefördert. So z. B. kam eine solche beim
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 539, 1903.
2) Arch. f. Hyg. 48. 35, 1904.
3) Untersuchungen über pathogene Anaeroben usw., 1008, S. 184 ff.
4) Ebenda 157 ff.
Wandlungen der Kohlenhydrate. 417
BazilluB des Gasbrandes auf Kartoffehi^), die mit Sodalösung über-
schichtet waren, erst zu Gesicht, wenn der Sodagebalt über 0,5%
hmausging. Im Traubenzuckeragar zeigte sich ein ähnliches Verhältnis,
wenn auch hier beide abnormen Bildungen weit seltener waren. Beim
Rauschbrandbazillus wurden am meisten Stärke und Clostridien ge-
bildet in Traubenzucker- und Kartoffelkulturen mit 0,25 — 0,5% Soda.
Der Bac. enteritidis sporogenes K 1 e i n s imd der bewegliche Butter-
säurebazillus (Amylobacter) entwickelten beides am reichlichsten in
Kartoffeln mit 1,5 — 2,5% Soda. Die Bazillen des malignen Ödems
(Koch) und Tetanus bildeten in Traubenzuckeragar mit 1,5 — ^2%
zwar Blähformen, aber keine Granulöse, in Agar mit geringerem Soda-
gehalt trat die letztere aber beim Odembazillus, und auf Kartoffeln
mit 0,5% Soda auch beim Tetanusbazillus ausnahmsweise in Spuren
auf. Der Bac. botulinus ließ dagegen stärkehaltige Clostridien in Kar-
toffeln mit 0,5% Soda entstehen. Wie man sieht, gelingt es unter
diesen Umstanden auch bei solchen Anaeroben, Bildimg von Stärke
und Blähformen hervorzurufen, bei denen eine solche im allgemeinen
uicht bekannt ist^).
Die Bildung der Stärke, der Zellulose, des Glykogens, wie der zu-
sammengesetzten Kohlenhydrate überhaupt werden wir uns als eine
eozymatische vorstellen dürfen, da von verschiedenen Seiten die Mög-
lichkeit au^|;edeckt worden ist^), die gelöste Stärke im Reagensglas
durch „Amylokoagulase*" oder Amidozellulase in ungelöste zurück
zu verwandeln, femer die Entstehung der Maltose (Isomaltose) aus
Glykose durch Hefemaltase (S. 239), der Laktose (Isolaktose) aus
Glykose und Gralaktose durch Laktose (S. 241), die eines Polysaccharids
aus Zucker durch Hefepreßsaft (S. 263) festzustehen scheint.
1) Andere stärke- oder glykogenhaltige Nährböden (Blutserum und
Fleischsaftagar) ergaben ungefähr die gleichen Befunde. Bezüglich der
übrigen Zuckerarten vgl. die Arbeit selbst.
2) Auch die Form der Sporen sowie ihre Bildung überhaupt
unterliegt nach von Hibler ähnlichen Schwankungen, so daß durch
seine Untersuchungen die früher beliebte auf die morphologischen Unter-
schiede gegründete Abgrenzung der Anaerobier voneinander endgültig als
eine künstliche erkannt worden ist.
3) W o 1 f und Fernbach, Compt. rend. ac. sc. 137. 718 ; 138, 49 ;
Annal. Pasteur 1904. 3; Magnessen, Compt. rend. 137. 797 und 1266.
Kruse, Mikrobiologie. 27
Kapitel VII.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren,
§ 131. Umwandlungen der höheren Alkohole. Gärungen.
Die höheren Alkohole („Zuckeralkohole"), als deren Aldehyde die
Zucker aufgefaßt werden können, kommen seltener imd in kleineren
Mengen in der Natur vor, als die letzteren und haben deshalb schon
eine geringere Bedeutung für den Stoffwechsel der Mikroorganismen.
Am weitesten verbreitet ist unter ihnen der Mannit C^^ß^ und das
Glyzerin CgHgOj, letzteres allerdings meist in gebimdener Form in
den Fetten, aus denen es aber leicht abgespalten wird (vgl. § 137).
Die Umwandlungen, denen diese Körper unter-
liegen, ähneln durchaus denen der Kohlenhydrate,
und zwar der einfachen Zuckerarten, die wir im vorhergehenden Kapitel
besprochen haben. Wir finden auch bei ihnen die Spaltungen, die wir
als Alkohol-, Milchsäure-, Essigsäure-, Wasserstoff-, Buttersäure-,
Butylalkoholgärung usw. kennen gelernt haben, ferner Oxydations-
prozesse und Synthesen; natürlich erscheint der Verlauf etwas ver-
ändert durch ihre etwas abweichende Zusammensetzimg. Im ganzen
genommen scheinen sie aber durch die Aufnahme von Wasserstoff-
atomen gegenüber den Angriffen der Mikroorganismen widerstands-
fähiger geworden zu sein als die entsprechenden Zucker^). Auch hier
begegnen wir bei den isomeren Körpern je nach ihrer Konfiguration
sehr verschiedenen Prozessen.
Wir besprechen hier nur die Spaltungen und Oxydationen und
lassen die Sjmthesen unberücksichtigt, weil sie mit Ausnahme derjenigen
der Fette (§ 152) wohl gewöhnlich jene Veränderungen voraussetzen.
Doch werden wir schon bei den Spaltungen einige synthetische Pro-
zesse kennen lernen.
Die reine Alkoholgänmg, der die Hexosen imterliegen, finden wir
bei den höheren Alkoholen nicht wieder. Die Hefen vermögen sie über-
1 ) Die Angabe von Frankland, Stanley und F r e w (s. u.)
dor Bac. pneumoniaie vergäre leichter d. h. rascher Mannit als Glykoee.
beruht vielleicht nur auf Zufälligkeiten.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 419
haupt nicht zu vergären, obwohl sie z. B. Glykol, Glyzerin, Erythrit,
Queizit, Mannit assimilieren, d. h. wohl unter Oxydation zum Wachs-
tum verbrauchen können (Laurent ^)). Vielen Bakterien gegenüber
verhalten sie sich anders, sie zerfallen unter ihrem Einfluß gewöhn-
lich gemischten Gärungen, wie die Zucker es auch tun.
Ein Beispiel dafür haben wir schon in den Untersuchungen G r i m -
b e r t s über den Bac. pneumoniae (Friedländer) kennen
gelernt (S. 292). Vergoren werden durch ihn außer den Zuckerarten
Mannit, der isomere Dubdt und Glyzerin. Die Gärprodukte sind
Alkohol, Essigsäure, Milchsäure, Bernstein-
säure, und zwar in wechselnden Verhältnissen. Beim Dulzit
überwiegt die alkoholische, beim Mannit und Glyzerin die Milchsäure-
gärong. Letztere Säure fehlt ganz beim Dulzit und wird hier ersetzt
durch die Bemsteinsäure, ein Verhältnis, das wir ja auch sonst bei
Vergärung der verschiedenen Zucker gefunden haben (S. 302). Leider
hat Grimbert keine gleichzeitigen Gasanalysen vorgenommen.
Wahrscheinlich werden Kohlensäure und Wasserstoff entwickelt, und
zwar letzteres in überwiegender Menge. Der Bacillus formicicus 0 m e -
lianskys (§140), der sonst völlig verschieden ist von dem Bac.
pneumoniae, vergärt Mannit und Dulzit in gleicher Weise. Auch durch
ihre übrigen Eigenschaften gehören hierher femer die von T a t e ^) ,
Grimbert und L e g r o s ^) untersuchten Bazillen.
Dagegen imterscheiden sich die von Frankland, Stanley
und Frew*) sehr gründlich studierten „Pneumoniekokken" (= Bazillen
Priedländers) schon dadurch, daß sie zwar Mannit, aber nicht
Dulzit und Glyzerin vergären, außerdem bei der Vergänmg des ersteren
die Milchsäure vermissen lassen und, neben viel Wasserstoff imd Kohlen-
saure in bestimmten Verhältnissen, etwas Ameisen- und Bernsteinsäure
erzeugen. Bei dem Bac. aerogenes, der von den Pneumonie-
bazillen kaum scharf zu trennen ist, sah Emmerling^) ebenfalls
Milchsäure fehlen, und statt ihrer traten Bernsteinsäure und Alkohol in
den Vordergrund, während flüchtige Säuren spärlich entwickelt wurden.
Auch Frankland und F r e w *) studierten einen ähnlichen Bazillus
(B. ethacetosuccinicus), der nicht nur aus Dulzit, sondern auch aus
Mannit viel Bemsteinsäure neben Alkohol, Essigsäure, Wasserstoff
1) Annal. Fasteur 1889. 114.
2) Transact. ehem. soc. (Kochs JeJxresber. 1893. 191).
3) Compt. rend. soc. biol. 1900. 1424.
4) Transact. ehem. soc. (Kochs Jahresber. 1891. 134).
5) Ber. ehem. Gee. 33. 2477, 1900, vgl. auch ' Zersetzung stickstoff-
freier org. Sahst, durch Bakterien, 1902. Lit.
6) Transact. ehem. soc. (Kochs Jahresber. 1892. 229).
27*
420 Kap. VII, i 131.
und Kohlensäure und etwas Ameisensäure bildete. Bemsteinsäuie
und Milchsäure fehlten dagegen nach Frankland und L u m s -
d e n ^) , wenn sie die beiden Alkohole*) durch ihren Bac. ethace-
t i c u 8 , der freilich auch in den übrigen Eigenschaften von der Aero-
genesgruppe abzuweichen scheint, vergären Ueßen. Äthylalkohol über-
wog unter den Produkten, daneben entstanden Essigsäure, AmeisenBaure
und wieder viel Wasserstoff und Kohlensäure.
Der dem Bac. pneumoniae und aerogenes zunächst stehende
Bac. coli communis bildet nach H a r d e n aus dem Mannit wie aus
der Glykose (S. 318) neben Milchsäure etwas Ameisensäure und Bem-
steinsäure und erhebliche Mengen Wasserstoff imd Kohlensäure, aber
statt der Essigsäure, die ganz fehlt, viel mehr Alkohol, aus dem Glyzerin
sogar nur Alkohol neben den Gasen (und Ameisensäure). Auch die
Paratyphus- und Fleisch Vergiftungsbazillen*) scheinen nach Potte -
V i n aus Mannit mehr Alkohol zu entwickeln als aus Glykose (S. 326).
Die Dysenteriebazillen vergären nur Glyzerin, nicht Mannit,
die Pseudodysenteriebazillen beides, erzeugen aber, wie
aus der Glykose, kein Gas und nach Sera (S. 318) überhaupt
keinen Alkohol, wohl aber große Mengen Ameisen- und
Essigsäure imd vielleicht noch etwas Propionsäure. Wenn
man nach dem Verhalten der Typhusbazillen zur Glykose
urteilen könnte, würden sie dieselben Produkte aus Mannit bzw.
Glyzerin bilden, wie die Ruhrbazillen.
Die ¥ächtig8ten Milchsäurebakterien, Streptokokken wie „lange
Bazillen", die aus Glykose ebensowenig wie Tj^hus- und Ruhrbazillen
Gase oder höchstens etwas Kohlensäure entwickeln (S. 316), tun das
auch wohl nicht aus den Zuckeralkoholen, sofern sie die letzteren über-
haupt angreifen, was durchaus nicht regelmäßig geschieht (S. 298 u. 348).
Über ihre sonstigen Gärprodukte ist kaum etwas bekannt. Doch er-
wähnt P o 1 1 e V i n , sein Milchsäurebakterium, das Glykose ziemlich
glatt in Milchsäure zerlegt (S. 296), habe eine viel schwächere Wirkung
auf Mannit, Dulzit und Glyzerin und bilde daraus zwar auch viel Milch-
säure, aber doch noch 30—40% anderer Stoffe, wie Alkohol, Essig- und
Ameisensäure. Einige lange Bazillen, wie der Bac. manniticus Gayons,
sind nicht nur unfähig, die Zuckeralkohole zu zersetzen, sondern er-
1) Ebenda 231.
2) Nach Frankland tmd Fox (Roy. soc. Prooeed. 46. 346, 1889)
wird auch Glyzerin zu Alkohol und Essigsäure vergoren.
3) Den einzelnen Alkoholen gegenüber verhalten sie sich, wie die
Säure- und Gasprobe ergibt ( § 1 12), ebenso wie die ColibaziUen verschieden.
Teilweise wird auch Erythris vergoren.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 421
zeugen sogar neben andeien Stoffen erhebliche Mengen von Glyzerin
oder Hannit (§ 106 u. 124).
Es fragt sich jetzt, wie wir uns die Vergärung der höheren Alkohole
zu denken haben. Die früheren Untersucher, namentlich Frank-
1 a n d und seine Mitarbeiter, haben geglaubt, verwickelte Umsetzungs-
gleichungen aufstellen zu können. So soll das Mannit durch den Bac.
pneumoniae zerfallen nach der Formel
a) eCeHi^Oe + H,0 = OC^H^O + ^€^^2 + lOCO^ + SH^;
derselbe Stoff durch den Bac. ethaceticus, unter der früher schon er-
wähnten Annahme, daß die Gase hauptsächlich dem Zerfall der Ameisen-
saure entstammen (S. 320), wie folgt:
b) SCeHi^Oe + H^O = C^HA + öC^^O + öCH^ + CO^.
Schließlich werden für die Vergärung des Dulzits durch den Bac.
ethacetosuccinicus unter derselben Voraussetzung 2 Gleichungen
aufgestellt:
c) CeH^A = 2C^eO + CO^ + CH^ «nd
d) CeHiA = CÄH, + C^A + 2H, .
Nimmt man c zweimal und d einmal, so erhält man eine der gesamten
Umsetzung entsprechende Gleichimg.
H a r d e n hat später für die Vergärung des Mannits durch den
Bac. coli eine ebenso einfache Formel angegeben, wie für die des Trauben-
zuckers: auch hier sollen 2 Moleküle zusammentreten, wie wir es auf
S. 294 dargestellt haben, ohne daß aber eine Beteiligung von Wasser
nötig wäre. Die Produkte sind auch die gleichen bis auf die Essig-
saure, die hier durch Alkohol ersetzt ist:
e) 2CeH,A = 2C3He03 + 2C2H,0 + 200^ + 2K^.
Nebenbei bemerkt, nimmt auch H a r d e n an, daß die Gase aus
der Zersetzimg der Ameisensäure hervorgehen. Setzt man die be-
treffende Formel in e ein und teilt durch 2, so erhält man eine ein-
fache Gleichung:
f ) CeHi A = CgHeOj + C^eO + CH A •
Ebenso einfach wäre nach H a r d e n die Vergärung des Glyzerins
durch den B. coli:
g) CgHA = c^o + CH A •
Wir können nur wiederholen, was wir bei Gelegenheit der Zucker-
zersetzungen (§ 98 u. 103 ff.) über dergleichen verwickelte Gärungs-
gleichungen gesagt haben: sie geben vielleicht die Befunde ziemlich
genau wieder bei dem einen oder anderen Versuch, reichen aber
422 Kap. VII, § 131.
nicht einmal für alle Versuche mit einem imd demselben Bakterium
aus, weil das Mengenverhältnis, in de mdieeinzelnen
Oärerzeugnisse zueinander stehen, zuerheblicii
schwankt. Wir sind daher geneigt, um dieser Mannigfaltigkeit
der Analysen gerecht zu werden, auch hier die einzelnen Gär-
produkte unabhängig voneinander entstehen zu lassen, müssen
allerdings zugeben, daß die Formeln für die milchsaure, essigsaure,
alkoholische und Wasserstoffgärung der Zuckeralkohole nicht so einfach
lauten können, wie für die des Zuckers selbst. Das zeigt sich bei jedem
Versuch, die bekannten Formeln dem höheren Wasserstoffgehalt der
Alkohole entsprechend umzuformen. Die Gleichung der „Wasserstoff-
gärung" zeigt verhältnismäßig die geringsten Änderungen, sie würde
z. B. lauten für den Mannit und isomere Alkohole
h) CeHi^Oe + 6H2O = öCOg + ISH^ ,
unterschiede sich also nur durch den größeren Wasserstoffüberschuß
von der Gleichung 6 in § 98. Dafür, daß sie die Verhältnisse richtig
wiedergibt, spricht der von manchen Forschem, namentlich von Frank -
land gemachte reichlichere Befimd von Wasserstoff bei der Marniit-
imd Dulzitvergänmg. Indessen haben wir gesehen, daß gerade die
Formel der Wasserstoffgärung am wenigsten sicher gestützt ist (§ 105).
Nehmen wir freilich statt ihrer die Gleichung der „Ameisensäure-
gärung", so würde sie sich auch noch in einfacher Weise umgestalten lassen :
i) CeH^Oe + GH^O = 6CHA + ^H^.
Die Gleichungen für die milchsaure imd essigsaure Gärung ergäben
dagegen niemals ein einziges Produkt, wie bei dem Zerfall der Zucker,
sondern stets entweder neben der Säure freien Wasserstoff, oder min-
destens einen anderen durch Reduktion entstehenden Stoff*). Wir unter-
lassen es hier, solche Formeln aufzustellen, weil sie bisher nicht genü-
gend durch Beobachtungen gestützt werden. Ähnliches gilt für die alko-
holische Gärung^) derZuckeralkohole. Immerhin hätten wir hier bei derOly-
zerin Vergärung in der obigen Gleichimg g einen möglichst einfachen Ersatz.
Schon bei der alkoholischen Mannitvergärung würden wir aber
statt zweierlei- Produkte drei erwarten müssen, etwa wie folgt:
k) CeHj^Og = 2C2H6O + CH2O2 + CO2 oder
kl) CeH.^Oe = 2C2HeO + 2CO2 + H^ .
1) Z. B. Propionsäure, Alkohol und Methylalkohol (s. u.).
2) Nach M ü n t z (Annal. chim. phys. 6. s6r. 8) soll bei der „intra-
molekularen Atmung" der Pilze in der Tat aus Mannit neben Alkohol und
Kohlensäiu-e Wasserstoff entstehen, aus Zucker nicht. Die Gleichung k,
beistände also zu recht.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 423
Vielleiclit verdienen diese Gleichungen aber doch den Vorzug vor
den aas Hardens Analysen abgeleiteten obigen Gleichungen e und f.
Auch die Bemsteinsäure kann aus den Zuckeralkoholen nur durch
eine verwickelte Umsetzung entstehen (vgl. Gleichung d), wenn man
nicht etwa den bisher nur ausnahmsweise beobachteten Methylalkohol
(s. u.) dafür heranziehen wollte:
1) CäA=C4HA + 2CH,0.
Vorläufig erscheint es uns aussichtslos, genaueres feststellen zu
wollen. Dazu reichen die vorhandenen Untersuchungen nicht aus.
Wir machen aber auch hier auf die besondere Schwierigkeit aufmerk-
sam, die sich für die Erklärung der Gärungen der Typhus- und Ruhr-
bazillen ergeben (S. 318 u. 333).
Die höheren Alkohole sind auch der Buttersäure- und
Butylalkohol gänmg unterworfen. Die Untersuchungen von
Fitz stammen freilich aus einer Zeit, die noch keine Gewähr für Rein-
kulturen übernehmen konnte. Am meisten Vertrauen erweckt seine
Beschreibung des Bac. butylicus^), der nicht nur Rohrzucker, sondern
auch Mannit und Glyzerin zu Buttersäure, Butylalkohol, etwas Milch-
säure und Spuren von Buttersäure vergärt. Es wurden gebildet aus
100 g
Traubenzucker
Butylalkohol 0,5
Buttersäure 42,5
Milchsäure 0,3
Bemsteinsäure Spur
Trimethylenglykol .... — — 3,4
100 g
100 g
Mannit
Glyzerin
10,2
8,1
35,4
17,4
0,4
1,7
0,01
43,3 46,0 30,6
Die dabei entwickelten Gase wurden nicht analysiert.
Buttersäure und Butylalkohol entstehen vielleicht aus Mannit
nach den Gleichungen (vgl. S. 368):
m) CeHiA = C4H8O2 + 2CO2 + 3H2 (- 7,4 Kai.)
n) CeHiA = O4H10O + 2CO2 + Hg + H^O (+ 15,4 Kai.) .
Der Trimethylenglykol CHgOH . CHg . CHgOH könnte vielleicht durch
Reduktion mittelst des Gärungswasserstoffs aus Glyzerin entstehen.
Der von Emmerling^) in Reinkulturen studierte Bazillus aus
Heu hat große Ähnlichkeit mit dem Bac. butylicus von Fitz. Der
1) Ber. ehem. Gea. 1876. 1348; 1877, 276; 1878. 42 und namentlich
1882. 878.
2) Ebenda 1807. 241.
424 Kap. Vn, § 131 u. 132.
Bac. boocopricufi Emmerlings (S. 316) zeichnet sich dagegen
durch ein seltenes Gärprodukt aus, den Methylalkohol, den er
neben Essigsäure und Buttersäure aus Glyzerin bildet (s. o.). Auf
Zuckemährböden verursachte er eine gemischte Milchsauregarung. In
jedem Falle ist die Gärung recht schwach, vom Glyzerin wird z. B.
kaum 10% angegriffen. Dadurch und durch seine sonstigen Eigen-
schaften nähert er sich den Heubazillen.
Einer ziemlich reinen Buttersäuregärung unterliegen nach F i t z ^)
auch der Dulzit imd die beiden Ringalkohole der hydroaromatischen
Kohlenwasserstoffe I n o s i t und Q u e r z i t von der Formel C^H^gOg
und CeHiaOg .
Der Erythrit kann nach demselben Autor in doppelter Weise
vergären: erstens zu Buttersäure und Essigsäure^) mit Beimengungen
von Ameisensäure, Bemsteinsäure und Alkohol, zweitens zu Butter-
säure und Bemsteinsäure^) mit Spuren von Essig- und Kapronsäure.
Letztere Gärung soll nach der Gleichung:
o) 2 C4H10O4 = C,Rfi, + C^HgO, + 2 HgO + R^
verlaufen. Die Erreger dieser Zersetzungen sind nicht näher bekannt,
da nach Fitz sich niemand mit ihnen beschäftigt hat.
Der Bac. orthobutylicus Grimberts (vgl. S. 368) vergärt
Mannit und Glyzerin etwas weniger leicht wie die Zucker, bildet aber
daraus ähnliche Produkte. Die letztere Gärung erfolgt nach der
empirischen Formel:
p) 50C3H8O3+39H2O=5C4Hi0O+12C4HgO2+2CH4O2+78CO2+162H2.
Es findet dabei also eine Synthese der Buttersäure und
des Butylalkohols aus dem Glyzerin statt, vielleicht nach
den Gleichungen
q) 2C3H3O3 = C,Rfi^ + 2CO2 + 4H2 (-2,1 Kai.)
r) 2C3H8O3 = C,HioO + 2CO2 + 2H2 + HgO (+ 20,7 Kai.)
wozu dann noch die Gleichung der Essigsäure- und Wasserstoffgärung
(s. o.) hinzukämen. Der vieratomige Alkohol Erjrthrit wird nach G r i m -
b e r t nicht vergoren.
Diese Formeln würden vielleicht auch Gültigkeit besitzen für
Gärungen, die durch andere Buttersäurebazillen hervorgerufen werden,
z. B. den Amylobacter butylicus Duclauxs*), der nicht nur alle
möglichen Kohlehydrate, sondern auch Mannit und Glyzerin vergärt
1) Ber. ehem. Ges. 1878. 45.
2) Ebenda 1878. 474.
3) Ebenda 1878. 1890.
4) Annal. Pasteur 1895. 811.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 425
und dabei wechselnde Mengen der gleichen Stoffe wie der Bac. ortho*
butyliciiB erzeugt. Glyzerin soll dabei freilich keine wesentlichen
Mengen' von Gras entwickeln.
§ 132. Oxydationen der höheren Alkohole. Sorbose-
garang. Die meisten zum Leben an der Luft befähigten Mikroorganis-
men, die Zucker zu verbrennen vermögen, oxydieren auch die verwandten
Alkohole entweder vollständig zu Kohlensäure und Wasserstoff oder
zu einem Zwischenprodukt wie Oxalsäure und Glyzerose. D u c 1 a u x
hat das im besonderen für Schimmelpilze (S. 390), P e r e für Heu-
bazillen (S. 394) nachgewiesen. Aber auch die Bakterien, deren oxy-
dierende Kraft nicht eine so energische oder besser gesagt tiefgehende
ist, wie z. B. die Essigbakterien, die den Zucker gewöhnlich nur bis
zur eisten Oxydationsstufe, der Glykon- oder Glykuronsäure ver-
brennen (§ 120), greifen die Alkohole in ähnlich beschränkter Weise an.
So oxydiert nach B r o w n ^) das Bact. aceti den Mannit zu Fruk-
tose nach der Formel
CÄ A + 0 = C^x A + H,0 .
Das Bact. Pastorianum ist nach Seifert^) dazu nicht imstande.
Ebensowenig wird nach G. B e r t r a n d (s. u.) der Dulzit imd Sorbit
oxydiert, und zwar durch keins der beiden Bakterien. Auch Glyzerin
verhält sich ähnlich, während der G 1 y k o 1 nach S e i f e r t zu Glykol-
saure oxydiert wird:
CHgOH . CHgOH + 20 = CH^OH . COOH + HgO .
Sehr interessant ist die oxydierende Wirkung eines dritten Essig-
&äuiebakteriums, des Bact. xylinum, die Bertrand ^) gründ-
lich studiert hat. Der zweiwertige Glykol, der fünfwertige Xylit und
sechswertige Dulzit wird nicht von ihm angegriffen, wohl aber Gly-
zerin (dreiwertig), Erythrit (vierwertig), A r a b i t (f ünfwertig),
Sorbit, Mannit, Perseit (sechswertig) und V o 1 e m i t
(siebenwertig). Alle diese Körper werden umgewandelt in die verwandten
Retonzucker, so das Glyzerin in das Dioxyazeton
CH^OH . CHOH . CHgOH + 0= CHgOH . CO . CH^OH + Hfi ,
das sich von der Glyzerose (S. 394), einem anderen Oxydationsprodukte
des Glyzerins, bloß durch seine Konfiguration unterscheidet. Ebenso
wird der Mannit zu Fruktose, der Sorbit zu Sorbose. Die schein-
bare Unregelmäßigkeit in dem Verhalten der einzelnen
1) Joum. ehem. soc. 1886. 172 und 432.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 3. 337.
3) Coinpt. rend. ac. sc. 126. 762, 842 u. 984; 127. 124 u. 729, vgl.
auch Annal. Chim. Phys. (8). 3. 181, 1904.
426 Kap. VII, § 132 — 134.
Alkohole läßt sich nach Bertrand auf die Regel zurückfahren,
daß diejenigen von ihnen allein durch das Bact. zylinum angegriffen
werden, die in ihrer Eonfigurationsformel eine -Gruppe
CHOH enthalten, deren Hydroxyl auf derselben Seite des Moleküls
kein Wasserstoffatom zum Nachbar hat.
So bleibt der Dulzit z. B. unverändert, der Sorbit wird oxydiert:
CHjOH
CHjOH
CHjOH
HOCH
HOCH
CO
HCOH
HOCH
HOCH
HCOH
HCOH
HCOH
HOCH
HOCH
HOCH
CHjOH
CHjOH
CHjOH
d-Dnlzit
d-Sorbit
d-Sorbose.
Die Bildung von Sorbose erfolgt in natürlichen Flüssigkeiten, die Sorbit
enthalten, in charakteristischer Weise, so daß man von einer „Sorbose-
gärung" gesprochen hat^). Wenn man Saft von Vogelbeeren (Sorbus
aucuparia) stehen läßt, so tritt durch Entwicklung von Hefe alkoholische
Gärung ein, in deren Verlauf der Traubenzucker aus dem Saft ver-
schwindet. Dann siedelt sich auf der Oberfläche Eahmhefe (Mycoderma
cerevisiae) an, die den Alkohol und Extraktstoffe zerstört. Auf die
Eahmhefe folgt Schimmel (Penicillium glaucum), der das Zerstörungs-
werk vollendet, aber wie seine Vorgänger den im Saft ursprünglich
enthaltenen Sorbit unberührt läßt. Jetzt erst entwickelt sich das
,,Sorbosebakterium", das Bact. xylinum, imd überzieht die Oberfläche
mit einer dicken Gallerte, die schließlich vertrocknet imd grünlich
wird. Es ist nicht ursprünglich im Safte vorhanden gewesen, sondern
wird durch Essigfliegen (Drosophila funebris), die mehrere Generationen
in dem Saft durchmachen, hineingebracht. Aus dem Sorbit bildet sich
neben Sorbose noch in großen Mengen die Gallerte, die, wie wir schon
S. 80 und 415 gesehen haben, aus Zellulose (oder Chitin S. 84) besteht.
Also folgt hier der Oxydation vielleicht eine Synthese. Auch Eirschen-
und Birnensaft kann die Sorbosegärung durchmachen.
Dasjenige Essigbakterium, das sich den Zuckerarten gegenüber
am vielseitigsten erwiesen hat (S. 387), das Bact. industriiun Henne-
b e r g s , ist es auch gegenüber den Alkoholen : es oxydiert neben
Mannit auch Glyzerin nicht nur zu Zucker, sondern noch weiter zu
Säuren, deren Wesen der Verfasser allerdings nicht festgestellt hat.
§ 133. Umwandlungen der einwertigen Alkohole. Die ein-
wertigen Alkohole der Fettsäurereihe kommen in frischen pflanzUcfaen
1) Bertrand, Compt. rend. ac. sc. 122. 900 und Annal. Pasteur
1898.
Wandlungen der Alkohole» Fette und Fettsäuren. 427
und tieriBchen Stoffen höchstens in Spuren vor. Nicht gelten werden sie
aber, wie wir gesehen, durch intramolekulare Atmung derselben ( S. 246) und
femer durch Mikroorganismen erzeugt, und zwar bei weitem am häufig-
sten der Äthylalkohol (§ 84 ff., § 104), seltener der Butylalkohol (§ 115),
ausnahmsweise auch Methyl- (S. 424), Propyl- (S. 371), Amylalkohol
(S. 372). Abgesehen von ihrem chemischen Bau sind sie schon des-
wegen zur Ernährung der Mikroorganismen weniger geeignet, weil sie
giftig wirken können. Allerdings tritt dieser schädliche Einfluß erst
bei gewisser Konzentration zutage, in genügender Verdünnung sind
alle diese Alkohole auch Nährstoffe. Ohne weiteres verständlich ist
ihre Verwertimg im Betriebsstoffwechsel; sie dienen bei Sauerstoff-
zutritt als vorzügliches Brennmaterial. So kann Äthylalkohol entweder
zu Essig- oder Oxal- oder Kohlensäure und Wasser verbrannt werden:
1) C^HeO + 20= C2H4O2 + H2O (+ 112,4 Kai.)
2) CgHeO + 50 = C2H2O4 + 2 H^O (+ 265,5 Kai.)
3) CgHeO + 60 = 2C02 + 3H20(+ 325,7 Kai.)
Diese Oxydationen kommen in der Tat häufig vor und verlaufen, wie
obige Zahlen zeigen, mit gewaltiger Wärmeentwicklung.
Spaltimgsprozesse wären auch denkbar, sind aber noch nicht
beobachtet worden.
Synthesen aus den Alkoholen kommen vor, denn manche Mikro-
organismen können allein aus ihnen ihre Lebenssubstanz aufbauen.
Sie werden aber wohl durch die oxydierten Zwischenstufen hindurch
erfolgen. Wie sie übrigens vor sich gehen, ist gänzlich unbekannt.
In Betracht kommen für unsere Darstellung also nur die Oxyda-
tionen.
§ 134. Verbrennung der Alkohole. Die meisten bei Sauer-
ßtoffzutritt wachsenden Mikroorganismen können wohl die Alkohole ver-
brennen, ebenso wie es die höheren Organismen tun. Die Voraus-
setzung ist nur, daß sie ihnen in der nötigen, d. h. nicht schädlichen
Verdünnung dargeboten werden. Duclaux*) hat z. B. gefunden,
daß Aspergillus niger die niederen Alkohole sämtlich zu Oxalsäure
und Kohlensäure (s. o. Gleichung 2 und 3) oxydiert. Nach Lau-
rent^) ist die Bierhefe dazu nicht imstande. Es ist ja auch sonst
bekannt, daß sie den Alkohol, den sie durch Gärung aus dem Zucker
erzeugt hat, nicht anrührt. Wohl vermögen das der überhaupt sehr
vielseitige Schimmelpilz Eurotiopsis Gayoni nach Laborde^) und
1) Annal. Pasteur 1889. 109.
2) Ebenda 114.
3) Annal. Pasteur 1897, vgl. Maz6 ebenda 1904.
428 Kap. VII, § 134 u. 136.
einige Eahmliefen nach Beijerinck^) und L a f a r ^). D u -
c 1 a u X hat bei der Oxydation des Alkohols die Essigsäure stets ver-
mißt, sie dient hier also wohl nicht als Zwischenstufe der Oxydation.
Das ist dagegen bei Mycoderma manchmal (L a f a r) und bei den
Bssigbakterien, zu denen wir gleich kommen, regehnäßig der Fall Die
meisten von ihnen können nur den Äthylalkohol oxydieren, einige, z. B.
das B.oxydansundacetosumHennebergs^), aber auch Methyl-, Propyl-,
Butyl-, Isobutyl- und selbst Amylalkohol (Seifert*)). Es entstehen
dabei die entsprechenden Säuren, Ameisen-, Propion-, Buttersäure usw.
Ad. M a y e r ^) hat bei der Oxydation des Äthylalkohols durch
Eahmhefen nicht Essigsäure, aber Azetaldehyd, wenn auch
nur spurenweise, beobachtet. Vor der vollständigen Verbrennung tritt
dieser Körper offenbar als Zwischenstufe auf:
CgHeO + 0 = C2H4O + ttjO .
§ 135. Aerobe Essigsänregftrnng. Die Verwandlung des
Äthylalkohols zu Essigsäure wird gewöhnlich als Essigsäuregärung be-
zeichnet. Wir nennen sie die aerobe, im Gegensatz zu der anaeroben,
die wir bei den Spaltimgsprozessen der Kohlehydrate kennen gelernt
haben (§ 103).
Die Essiggärung ist einer der am längsten bekannten natürlichen
Zersetzungsprozesse. Ihr verfallen alle alkoholischen Flüsngkeiten,
indem sie sich mit einer zähen Haut, der sogenannten Essigmatter,
überziehen. Daß der Zutritt von Luft dazu nötig ist, merkte man
bald, aber erst der Entdecker des Sauerstoffs, L a v o i s i e r •) , er-
kannte die ausschlaggebende Rolle des letzteren. Eine Möglichkeit,
die Umwandlung des Alkohols zu erklären, wurde gegeben durch die
Beobachtung D a v y s (1821) und Döbereiners ^), daß Platin-
m o h r die Oxydation vermittele. Letzterer Autor stellte schon die
Gleichung der Reaktion fest, die in unserer heutigen Formelsprache lautet :
Berzelius®) und namentlich L i e b i g *) betrachteten die Essig-
1) Zentr. Bakt. 11. 68. Wahrscheinlich gehören diese Kfüimhefen
nicht, wie Beijerinck meint, zu den Sacch. mycoderma, der allerdings
auch Alkohol verzehrt, aber ihn nicht produzieren kann (S. 248).
2) Ebenda 13. 684.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 3. 223 und 4. 14.
4) Ebenda 3. 337.
5) Poggendorffs Annal. 142. 293, 1871.
6) Traite de chim. 2. 6d, 1. 159, 1793.
7) Schweiggers Journal 1823.
8) Traite de chim. Bd. 6. 1829.
9) Annal. Chem. u. Pharm. 29, 1839 und 153. 144.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 429
mutier als einen Katalysator, der dem Platinschwarz vergleichbar wäre.
Inzwischen hatte allerdings schon Persoon^) 1822 die Zusammen.
Setzung der Essigmutter und anderer „Kahmhäute'' aus Pilzen behauptet,
undEützing^) 1837 die Essigbakterien genau geschildert imd auch
ihrer Lebenstätigkeit die Gärung zugeschrieben. Erst Pasteur^)
hat aber auch hier wieder die entscheidenden Beweise geliefert und der
neuen Theorie zum Siege verholfen. Auch er glaubte freilich noch,
an der Vorstellung festhalten zu können, die Essigmutter verdichte
ond übertrage den Sauerstoff ähnlich wie das Platinmohr. Ad. Mayer
und V. K n i e r i e m ^) zerstörten diese gewissermaßen mechanische
Ansicht gründlich, indem sie nachwiesen, daß tote Kahmhäute oder
ähnlich poröses Material wie FUeßpapier sich imfähig zeigen, Essig-
gärung zu bewirken, imd daß überhaupt die Essigbildung durch Platin-
mohr und Essigbakterien unter ganz verschiedenen Bedingungen
(Temperatur und Alkoholkonzentration) erfolge. Man nahm deshalb
seitdem meist an, daß die Essi^ärung in ähnlicher Weise als „Lebens-
äoBerung'" der Essigbakterien zu betrachten sei, wie die Alkoholgärung
als solche der Hefe. Die Entdeckimg der Zymase durch E. Buchner
hat auch dieser Ansicht den Todesstoß versetzt. B u c h n e r selbst
konnte im Verein mit Meisenheimer^) und Gaunt*) zeigen, daß
die Essigsäure durch ein Enzym, eine Alkohol-„Oxydase", besser wohl
einfach „Alkoholase^" (Stoklasas „Azetolase''), aus dem Alkohol ent-
stehe. Das gleiche Enzym oxydiert auch Propylalkohol zu Propionsäure.
Wie bei der Herstellung der Dauerhefe (S. 255) wurden Bieressig-
bakterien, die auf Würze (mit 4% Alkohol und 1% Essigsäure) als Haut
(nicht in Reinkultur) gewachsen waren, durch Azeton abgetötet, mit Sand
und Kieeelguhr verrieben und mit 4 prozentigem Alkohol unter Zuf ügtmg
von kohlensaurem Kalk und Toluol versetzt. Drei Tage lang wurde durch
die Mischung von 120 com Flüssigkeit und 8,7 g Daueressigbakterien bei
30* Luft durchgepreßt und nachher die Essigsäure bestimmt« 0,4 g fcust
reine Säure waren nachweisbar. Je nach der Herstellung der Bckkterien
^d des Präparats schwankt die Säiu^menge, woraus sich auch die geringe
Ausbeute, die Rothenbach und Eberlein') erhalten haben, er-
klart. Am größten waren die Säuremengen, wenn die Bazillen vor der
Azetonbehandlung getrocknet waren. Der Preßsaft der frischen Bakterien
ist unwirksam (vgl. Milchsäurezymase § 101).
Die Koch sehe Methode der Reinkultur lehrte auch die Essig-
bakterien isolieren und ihre Eigenschaften naher studieren. Verdienste
1) Mycologia europaea 1. 96. Erlangen 1822.
2) Joum. prakt. Chem. 11. 385.
3) Compt. rend. ac. sc. 54. 265. und Etudes sur le vinaigre, 1868.
4) Landwirtsch. Versuchsstation. 16. 305, 1873.
5) Ber. chem. Ges. 1903. 637.
6) Annal. Chem. 349, 1906.
7) Kochs Jahresber. 1905. 518.
430 Kap. VII, § 135.
darum erworben haben sich Chr. E. Hansen*) und seine Nach-
folger. Wir unterscheiden jetzt eine ganze Reihe von Essigbakterien,
unter denen die wichtigsten Bact. aceti, Pasteurianum, xylinum, in-
dustrium schon öfter von uns genannt sind. Nach L a f a r ^) soll es
auch eine Kahmhefe geben, die Essiggärung bewirkt. Gemeinsam ist
allen Essigbakterien die Fähigkeit, Äthylalkohol zu Essigsäure zu oxy-
dieren. Schon N ä g e 1 i hat aber darauf aufmerksam gemacht, daß
neben der Essigsäure regelmäßig Spuren von Kohlensäure entstehen,
also der Alkohol teilweise bis zu Ende verbrannt wird. Diese Ver-
brennung tritt regelmäßig ein, wenn die Essigbakterien nicht genügend
Alkohol zur Verfügung haben; dann greifen sie nämlich auch die von
ihnen selbst gebildete Essigsäure an und oxydieren sie zu Kohlensäure
und Wasser (L a f a r *)).
Die Nebenprodukte der Essiggärung sind bisher wenig
studiert worden. Nach H o y e r *) wären darunter Bemsteinsäure
und Azetaldehyd. Das „Aroma" stammt wohl wesentlich nicht aus
dem Äthylalkohol, sondern den übrigen Stoffen des Gärmaterials, z. B.
des Weins. Es wird schließlich durch die Essigbakterien selbst zer-
stört, wenn man ihr Wachstum nicht früher unterbricht.
Bedingungen für das Fortschreiten der Essiggärung sind genügender
Sauerstoffzutritt, mittlere Temperatur, saure Reaktion des Nähr-
bodens und mittlere Konzentration des Alkohols.
Der Sauerstoffverbrauch der Essigbakterien ist sehr
bedeutend. D u c 1 a u x ^) berechnet aus Pasteurs Versuchs-
ergebnissen, daß die Bakterien auf der Höhe der Gärung binnen 36 Stun-
den das 165- oder gar das 500 fache ihres Körpergewichts an Sauerstoff
verzehren, d. h. also das 300 — 1000 fache von Essigsäure erzeugen.
Die Wärmeentwicklung muß nach dem, was wir oben (S. 427)
gesehen, eine ganz gewaltige sein und ist tatsächlich auch in den Essig-
fabriken sehr zu spüren.
Die günstigste Temperatur für die Essiggärung ist etwa 30— 35*,
bei 40® steht sie schon still. Dadurch unterscheidet sich der Prozeß
der Essigsäurebildung durch Platinmohr, der um so schneller verläuft,
je höher die Temperatur steigt. Auch bei niederen Temperaturen,
z. B. 4 — 5°, sind manche Essigbakterien (B. aceti) noch imstande.
1) Vgl. Hansen, Zentr. Bakt. 2. Abt. 1, 1895; Lafar ebenda;
Henneberg ebenda 3 und 4; Beijerinck ebenda 4; Hoyer
ebenda 4; Über Weinessigbakterien s. Perold ebenda 24, 1909.
2) Zentr, Bakt. 13. 684.
3) Ebenda 2. Abt. 1 129, 1895.
4) Zeitschr. f. Essigindustrie 1899.
5) Mikrobio]. 4. 216
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 431
langsame Gärung zu erzeugen, andere (Bact. Pasteurianum) nicht
(L a f a r).
Die saure Reaktion befördert die Essiggärung, wenn sie
durch Essigsäure hervorgerufen ist, Mineralsäuren können schon in
Mengen von 0,05 — 0,07% hinderlich sein^). Bei 4 — 5% Essigsäure-
gehalt steht die Gärung still. Wichtig ist die saure Reaktion auch
deswegen, weil sie unter Verhältnissen, wo keine Reinkulturen ins
Spiel kommen, die XTberwucherung fremder Mikroorganismen ver-
hindert. Nach W u r m ^) erhält man bei 0,5 — 1,2% Essigsäure noch
ein üppiges Wachstum der Eahmhefe, und erst bei 2% wird diese
völlig durch die Essigbakterien verdrängt. Übrigens gelten alle diese
Zahlen nur für die gewöhnlichen . Essigbakterien. Nach Henne-
b e r g *) wären die Säuremaxima für Bact. industrium nur 2,7%,
für Bact. ascendens dagegen 9%.
Die günstigste KonzentrationdesAlkohols liegt etwa
bei 10%, die Grenze des Alkoholgehalts, bei der die Gärung aufhört,
bei 14%, Auch hierin besteht ein Unterschied gegenüber der Essig-
säurebildung durch Platinmohr, die ebenso gut in konzentriertem als
verdünntem Alkohol vor sich geht.
Zum Gedeihen der Essigbakterien sind natürlich noch andere
Stoffe, Salze imd Stickstoff nötig, doch sind sie in dieser Beziehung
viel weniger anspruchsvoll als z. B. die Milchsäurebakterien. Die alko-
holischen Flüssigkeiten brauchen nur Spuren von anorganischen und
Ammoniaksalzen zu enthalten. Begreiflich wird der geringe quantitative
Bedarf, wenn man bedenkt, wie klein die Menge der während der Gärimg
neugebildeten Bakteriensubstanz ist (s. o.). Was die Kohlenstoffquelle
anlangt, so unterscheidet H o y e r die „genetische" und „zymotische"
Nahrung*), je nachdem sie Wachstum oder Gärung ermöglicht.
Traubenzucker dient z. B. ebenso dem Wachstum wie der Gärung
(Glykonsäure-, nicht Essigsäuregärung S. 386), Alkohol nur der Gärung
(eigentliche Essigsäuregärung); Essigsäure ist genetische Nahrung,
weil auf ihre Kosten die Bakterien wachsen können, aber auch zymo-
tische, denn die Verbrennung zu Kohlensäure und Wasser ist ebenso
gut eine Gärung wie die des Alkohols zu Essigsäure. Nur pflegt die
erstere im größeren Maßstabe erst einzutreten, wenn kein Alkohol
mehr zur Verfügung steht. Wichtig ist die Beobachtung von H o y e r ,
daß Oxydationen noch stattfinden können, wenn
das Wachstum schon aufgehoben ist. Das würde auch für
1) Hirschfeld, Kochs Jahresber. 1890. 139. Cohn ebenda 140.
2) Zit. nach D u cl a u x 4. 203.
3) Zeitechr. f. Essigindustrie 1898.
4) Vgl. dazu S. 126.
432 Kap. vn, § 135 — 137.
eine Unabhängigkeit der Oxydation vom Wachstum, d. h. für eine
Oxydase Wirkung (s. o.) sprechen.
§ 136. Gewerbliche Darstellong des Essigs. Sie erfolgt
nach zwei verschiedenen Verfahren. Das ältere französische
oder nach der Stadt Orleans benannte besteht darin, daß in halb-
gefüllten Weinfässern, die oben durchlöchert sind und dadurch der
Luft Zutritt gewähren, die alkoholische Flüssigkeit (Wein) unter Zusatz
von Essig vergoren wird. Ist die Gärung einmal im Gang, so wird von
Zeit zu Zeit fertiger Essig unten abgezogen und Wein oben zugegeben.
Seit 1823 ist durch Schützenbach das sogenannte deutsche
oder Schnellessigverfahren eingeführt worden, das auf dem Grund-
satz beruht, den Alkohol möglichst vollständig mit der Luft in Berührung
zu bringen. Die alkoholische Flüssigkeit rieselt dabei beständig über
eine Schicht von Buchenholzspänen, die zwischen Sieben in einem
Bottich so zusammengepackt liegen, daß sie der Luft überall Durchlaß
gewähren. Beiden rein erfahrungsmäßig entwickelten Methoden haften
manche Mängel an. Es läge nahe, sie durch ein wissenschaftliches
Verfahren, das mit der in der Brauerei und Brennerei eingeführten
Reinzuchtmethode vergleichbar wäre, zu ersetzen. Bisher sind aber
dazu kaum Anfänge gemacht worden. Störungen des Betriebes konamen
häufig vor. Ziemlich unschuldiger Natur scheinen allerdings die so-
genannten Essigälchen, die häufig die Oberfläche der gärenden
Flüssigkeit massenhaft bevölkern^). Nach Pasteurs Beobachtungen
würden sie jedoch unter Umständen die Essigbildung behindern können,
indem eine Art von ,, Kriegszustand" zwischen ihnen und den Essig-
bakterien, der Essigmutter besteht. Soviel steht jedenfalls fest, daß
die Älchen keineswegs nötig sind zu einer guten Essiggärung, wie man
früher wohl angenommen hat.
§ 137. Umwandlungen der Fette und Fettsäuren, Hydro-
lyse. Fette und Fettsäuren sind weitverbreitete Stoffe, die den niederen
Organismen wie den höheren zur Nahrung dienen. Dabei erleiden sie
die mannigfachsten Umwandlungen: Hydrolysen, tiefere Spaltungen,
Oxydationen und Synthesen. Bei den Fetten pflegt, wie bei den Poly-
und Disacchariden, die Hydrolyse den weiteren Veränderungen vorauf-
zugehen. Doch ist das bei beiden Gruppen von Körpern wohl keine
allgemein gültige Regel. Daß die Prozesse sämtlich enzymatischer
Natur sind, ist wahrscheinlich, aber nur für die hydrolytischen sicher
bewiesen (vgl. § 138 u. S. 448).
Die Zerlegung der Fette in ihre beiden Bestandteile Glyzerin und
1) Vgl. über die Naturgeschichte der Essigälchen Henneberg,
Deutsche Essigindustrie 1899—1900.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 433
Fettsäure nach der folgenden Formel (in der B ein Fettsäureradikal
bedeutet) (.^^^ r^ ^ 3 jj^O _ C^^O^ + 3R . OH
Fett Glyzerin Fettsäure
geschieht durch Mikroorganismen aller Art^ wie Müller^), Gott-
stein*), Krüger'), von Sommaruga*), H. Schmidt^),
Bubner*), Schreiber'), Reinmann®), 0. Jensen*),
Laxa^), Spieckermann und Bremer^*), Tissier
imdMartelly^*),Carriere^'),Ei]kman^*),Achalme^'^),
Rogers^*), R a h n ^') , H u ß ^®) gefunden. Dazu gehören ^•)
Staphyl. pyogenes aureus^*)
Micr. tetragenus *), ')
Bac. fluorescens liquefaciens ') — ^®), ^')
Bac. prodigiosus •), ^*)
Bac. indicus ^*)
Bac. pyocyaneus *), ^*)
Bac. fluorescens non liquefaciens ')
Bac. lipoljrticus aus Milch (Bactridium lipolyticum H u ß ^®))
Bac. tuberculosis ^')
Anaerobe Bazillen % ^^) ? ^^)
Spir. Finkler *), '')
Spir. cholerae *), i«) ? ^*)
Spir. Metschnikoff ? i*)
Saccharomyces ^% Torula i«) ? '), ")
Aspergillus, Penicillium, Mucor, Oidiumarfcen *) — ^^), ^').
ll^Zeitechr. f. klin. Med. 21, 1887.
2) Berl. klin. Woch. 1887. 907.
3) Zentr. Bakt. 7. 87, 1890.
4) Zeitechr. f. Hyg. 18.
5) Ebenda 28.
6) Arch. f. Hyg. 38.
7) Ebenda 41.
8) Zentr. Bakt. 2. Abt. 6. 131.
9) Ebenda 8. 1—12.
10) Arcb. f. Hyg. 41, 1902.
11) LandTvirtech. Jahrb. 1902.
12) Annal. Pasteur 1902.
13) Ref. Zentr. Bakt. 29. 953.
14) Zentr. Bakt. 29. 22.
15) Annal. Pasteur 1902 und 1903.
16) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 388, 1904.
17) Ebenda 16. 422.
18) Ebenda 20. 474.
19) Diejenigen Autoren, die nur über den Fettverbrauch der von
ihneu gepriiften Bakterien berichten, wie z. B. Escherich, sind hier
Datörlich nicht berücksichtigt (vgl. § 149).
Krnse, Mikrobiologie. 28
434 Kap. VII. § 137 n. 138.
Die in obiger Liste beigefügten Fragezeichen bezeichnen die Fälle,
über die entgegengesetzte Angaben voriiegen. Diese Widersprüche
erklären sich auf verschiedene Weise. Zunächst kommt es sicher vor,
daß Bakterien die Fähigkeit, Fette zu spalten,
mit der Zeit verlieren. Schreiber hat das selbst bei dem
kräftig wirksamen Bac. fluorescens liquefaciens beobachtet. Auch die
natürlichen Varietäten dieses Bazillus besitzen das Vermögen der Fett-
spaltimg in sehr ungleichem Grade. Von größerer Bedeutung auf das
Ergebnis ist freilich die Methode, deren man sich bedient, um die Hydro-
lyse der Fette nachzuweisen. Sommaruga verglich einfach die
Säuremenge, die sich in den Nährböden mit und ohne Fettzusatz (2%)
gebildet hatte und schloß aus der Zunahme der Säuerung auf Fett-
spaltung. Das ist ein etwas unsicheres Verfahren. Besser ist es, die
Menge des neutralen Fettes und der freien Fettsäuren (oder Kalk-
seifen) getrennt für sich durch Ausziehen mit Äther zu bestimmen,
wie Rubner, Schreiber u. a. getan haben. Dem bloßen Auge
sichtbar machen kann man die Fettspaltung nach E i j k m a n , wenn
man Rindertalg in dünner Schicht in Doppelschalen erstarren läßt und
darauf den geimpften Nährboden ausgießt. Wo das Fett gespalten
wird, trübt sich die Talgschicht durch Bildung von Kalkseife.
Auf eine Fehlerquelle hat Achalme aufmerksam gemacht:
durch sehr reichliche Ammoniakbildung kann auch eine
Verseifung der Fette bewirkt werden. So soll sich die Fettspaltung
erklären, die T i s s i e r und Martelly bei Anaerobiern gefunden
hatten.
Nach Rubner werden die Glyzeride sämtlicher Fettsäuren
gleichmäßig angegriffen. Ein Zusatz von kohlensaurem Kalk zu den
Nährböden begünstigt die Fettspaltung bei den Bakterien, weil er die
schädliche Wirkung der im Wasser löslichen freien Fettsäuren aufhebt.
Ob der Sauerstoff einen Einfluß auf die Hydrolyse der Fette aus-
übt, ist imbekannt. Soviel ist aber sicher, daß es gerade strenge
Aerobier, in erster Linie die Schimmelpilze sind, die sich am
wirksamsten zeigen. Außerdem unterliegt es keinem Zweifel, daß die
weitere Zersetzung der Fette und höheren Fettsäuren viel schneller
oder vielmehr allein bei Sauerstoffzutritt — durch Oicydation — er-
folgt. Nur die niederen Fettsäuren unterliegen anaeroben Spaltungen
(s. u. § 139 ff.).
Unter natürlichen Verhältnissen spielt die Spaltung der Fette
in den Abfallstoffen pflanzlichen und vor allem tierischen
Ursprungs, die in den Boden gelangen, wie namentlich Rubner
nachgewiesen hat, eine große Rolle. In den fetthaltigen Nahrungs-
mitteln begleitet sie der Prozeß des Ranzigwerdens (§ 150).
Wandlungen .der Alkohole» Fette und Fettsäuren. 435
§ 138. Lipasen. Die fettspaltende Wirkung tierischer Enzyme,
L B. des Pankreas, ist schon lange bekannt. In jüngster Zeit wurde dann
nachgewiesen, daß in allen möglichen Organen, im Blut usw. derartige
Enzyme vorkommen. G e r a r d ^) und Camus*) stellten zuerst
aus Penicillium glaucum und Aspergillus niger
eine „lipase" dar. B i f f e n ^) verrieb das Myzel eines auf Kokos-
nüssen lebenden Pilzes mit Eieselguhr und gewann daraus einen Preß-
saft, der sowohl Kokosöl als Monobutjnrin (Buttersäureglyzerid) spaltete
and dessen wirksamer Bestandteil durch Alkohol gefällt werden konnte.
Ein solches Enzym will auch Carriere^)inTuberkelbazillen
nachgewiesen haben: eine 6 Monate alte Kultur gab mit Monobutyrin
verrieben saure Reaktion, wenn sie erhitzt war, nicht mehr. Spiecker-
mann und Bremer zerrieben Kulturen von Aspergillus flavus und
repens mit Glasperlen und zogen sie dann mit Glyzerinwasser aus.
Der Auszug spaltete Butyrin ziemlich kräftig, war aber auf Baumwollenöl
ohne Wirkung. L a x a war glücklicher, ihm gelang es, nicht nur Mono-
butyrin, sondern auch Butterfett durch einen aus den Leibern von
Penicillium und Mucor (nicht aus Oidien) gewonnenen Saft zu spalten,
Die Sterilisierung der Fettenzymmischungen durch Antiseptika ließ
freilich etwas zu wünschen übrig.
In einer Torulahefe versuchte Rogers die Bildung eines
lipol3rtischen Enzyms dadurch nachzuweisen, daß er die einen Monat
alte Kultur in zwei Hälften teilte, dann die eine 10 Minuten lang auf
80* erhitzte, beide mit Formaldehyd im Verhältnis von 1 : 1500 mischte
und im Wasserbade erhitztes Fett zusetzte. Eine Säurebestimmung,
die nach 71 Tagen vorgenommen wurde, zeigte in der nicht erhitzten
Hälfte eine starke Säuerung, in der erhitzten nur eine ganz geringe.
Beide waren steril. Das Ergebnis spricht anscheinend dafür, daß diese
Hefe eine Lipase bildet. Zucker vergärt sie nicht. Daß auch der ge-
wöhnKche Hefepreßsaft ein fettspaltendes Enzym enthalte, wird an-
genommen, ohne daß der sichere Beweis bisher erbracht wäre (S. 263).
Auf ähnliche Weise bestätigte übrigens Rogers die schon von
Marfan und G i 1 1 e t und Spolverini gefundene Tatsache,
daß in der frischen Milch ein fettspaltendes Enzym enthalten
ist. Eine erhitzte Probe frischer Milch gab mit sterilem Butterfett
keine Säure, eine nur mit Formaldehyd versetzte Probe wohl, obgleich
beide Proben sich als „fast steril" erwiesen.
1) Compt. rend. ac. sc. 124. 370, 1897.
2) Compt. rend. soc. biol. 1897, 192 und 230.
3) Ann. of botany 1899.
4) Lit. in § 137.
28
436 Kap. Vn, § 138 — 140.
Auch bei der Äutolyse der Bakterien wie bei den höheren Zellen
scheinen Lipasen neben anderen Enzymen (§ 166) wirksam zu sein.
So glaubt Pfersdorff^) ein solches in autolysierten Milzbrand-
bazillen nachgewiesen zu haben, da nach Zusatz einer Olemnlsion
Säure gebildet wurde.
§ 139. Spaltnngsgärungen der Fettsäuren. Wie schon oben
bemerkt, scheinen nur die niederen Fettsäuren bei Sauer-
stoffabschluß einer tieferen Spaltung durch Mikroorganismen zu unter-
liegen^), und zwar sind vergärbar die beiden ersten Säuren der Fett-
säurereihe, d. h. Ameisensäure und Essigsäure, femer die (vierte) Butter-
säure, nicht die Propion- und Valeriansäure; von den Oxyfettsäuren
vergärt verhältnismäßig leicht die Milchsäure, nur schwer die Glykol-
säure, von den Dioxyfettsäuren allein die Glyzerinsäure, von den
zwei- imd dreibasischen Säuren nur sehr schwer die Oxalsäure, Bem-
steinsäure und Methylbemsteinsäure (Brenzweinsäure), leicht dagegen
die Oxy- und Dioxybemsteinsäure (Äpfel- und Weinsäure), von den
dreibasischen Säuren die Zitronensäure, von den Tetraoxysäuren die
Glykuron-, Zucker- und Schleimsäure. Die Säuren mit mehr als 2
Kohlenstoffatomen werden also nur dann leicht zersetzt, wenn sie außer
dem Karboxyl noch eine oder mehrere Hydroxylgruppen enthalten.
Die Spaltungsprodukte sind teilweise komplizierter gebaut als die ver-
gorenen Körper, werden also daraus durch eine Synthese gebildet, so
entsteht aus der Milchsäure Buttersäure und Valeriansäure, wie wir
früher gesehen haben, daß aus Glyzerin Butter- oder Bemsteinsäure
hervorgeht. Die meisten dieser Gärungen sind von Hoppe-Sey-
1er und F i t z in einer Zeit studiert worden, wo man noch keine Rein-
kulturen anzulegen verstand. Daher verdienten ihre Angaben in
weiterem Umfange, als bisher geschehen, nachgeprüft zu werden.
Neuerdings haben Jensen und B a h r ®) die Vergärung der Zitronen-,
Bernstein-, Äpfel-, Glukose-, Zucker-, Schleim- und Traubensäure
benutzt, um die Mitglieder der Paratyphusgruppe (S. 344) voneinander
zu trennen. Genauere Angaben über die Art dieser Zersetzungen
fehlen aber.
1) Zeitschr. f. Tiermediz. 8, 1904.
2) Wie die Bildung flüchtiger Fettsäuren (Propion- imd Buttersäure),
die der Bac. acidophilus des Säuglingsstuhls nach S a 1 g e und
Neuberg (Jahrb. f. Kinderheilkunde 69. 412, 1904) in zuckerhaltigen
Nährböden mit höheren Fettsäuren (0,1% oleinsaures Natron) bewirkt,
vor sich geht, müßte noch festgestellt werden. Es wäre dabei an eine
„innere* ' Oxydation des Fettes durch Sauerstoff aus anderer Nahrung
zu denken.
3) Zentr. Bakt. 39. 269, vgl. aber Trommsdorf, Arch. f. Hyg.
55. 297.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fetteäuren. 437
§ 140. Vergariing der Ameisensänre. Ameisensauzer Kalk
liefert nach Hoppe-Seyler^) mit Schlamm versetzt kohlen-
saoien Kalk, Kohlensäure und Sumpfgas. Fein verteiltes Rhodium
oder Indium haben eine ähnliche Wirkung. Omeliansky^) hat
aus einer Lösung mit 2% KaLüumformiat imd 0,2% Pepton, die er
mit altem Mist geimpft hatte, ein Bact. formicicum isolieren
können, das auf Kalziumformiatagar verkreidete Kolonien bildet,
auf allen Nährböden zum Wachstum zu bringen ist und auch ohne
Sauerstoffzutritt gedeiht und Formiat vergärt*).
Die Gärung des Natriumformiats erfolgt nach der Formel:
2 (NaHCOg + HgO) = NagCOg + HgO + CO^ + 2H2.
Es wird also doppelt so viel, nicht gleich viel Wasserstoff als Kohlen-
saure gebildet, weil die Hälfte der Kohlensäure, die man nach der
Gleichung III (S. 333)
CH2O2 =200^+2 Ha
erwarten sollte, im kohlensauren Salz erscheint. Andere Fettsäuren
werden von dem Bact. formicicum nicht angegriffen, dagegen Glykose,
Galaktose, Laktose, Maltose, Mannit und Arabinose in kräftige Milch-
und Bemsteinsäuregärung versetzt. Auch der Methylalkohol bleibt
unberührt, der Bazillus ist also von dem Bac. methylicus L ö w s ^) ,
der aufier dem ameisensauren Natron auch Methylalkohol assimiliert
(S. 116), verschieden.
Die Fähigkeit, die Ameisensäure in der obigen Weise zu vergären,
ist nach P a k e s und Jollyman*) weit verbreitet, z. B. dem B. coli,
pneumoniae, enteritidis eigentümlich. Diese Autoren bemerken, daß
bei gleichzeitiger Anwesenheit von Zucker das Formiat die Vergärung
des Zuckers begünstigt, weil das kohlensaure Alkali die aus dem letz-
teren entstehenden Säuren bindet. Ist nebeneinander Natriumformiat
und Natriumnitrat (1%) vorhanden, so wird kein Gas entwickelt,
sondern neben Natriumbikarbonat Nitrit gebildet. Bei einem Über-
schuß des Formiats wird Kohlensäure und Stickstoff frei. Der Sauer-
stoff der Salpetersäure vermag also den Wasserstoff der Ameisensäure
zu oxydieren, nicht der freie Sauerstoff. Ein energischer Vergärer der
1) Zeitschr. ph3n3iol. Cham. 11. 561.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11. 6^11, 1903.
3) Nach Omeliansky eJlerdings nur, wenn das Substrat Bouillon
enthält, nicht in Pepton-Formiatnährböden. Doch tritt auch hier Gärung
ein, wenn die Kultur eine Zeitlang bei Sauerstoffzutritt gewachsen ist.
Die Sache scheint nicht ganz klar.
4) Zentr. Bakt. 12. 462.
5) Joum. ehem. soc. und Proceed. ehem. soc. 1901 (Kochs Jahresber.)
438 Kap. Vn, § 140—142.
Ameisensäuie ist ferner nach F r a n z e n und B r a u n i) der Proteus
vulgaris. Danach macht es vorläufig den Eindruck, als ob gerade die
Gasbildner imter den zuckervergärenden Bakterien auch die Fähigkeit be-
sitzen, die Ameisensäure zu spalten, während die nicht gasbildendenTyphiis-
und Buhrbazillen dazu nicht imstande seien. Nimmt ihan noch den
Umstand hinzu, daß die letzteren viel Ameisensäure aus Zucker erzeugen,
die ersteren nur wenig, so scheinen diese Tatsachen die Vermutung
von Frankland und H a r d e n zu bestätigen, daß die Ameisen-
säure ein regelmäßiges Zwischenprodukt der
Z ucker s pa Itun g in diesen Fällen und ihre eigene
Spaltung die wesentliche Quelle der Gasbildung
aus dem Zucker, d. h der sog. Wa sse r s t o ffgär ung
des Zuckers (§ 105) darstelle. Indessen fehlt, wie wir a. a. 0.
sahen, noch viel an dem sicheren Beweise dieser Annahme. Noch gar
nicht festgestellt ist übrigens, wie sich die strengen Anaerobier,
bei denen die Wasserstoffgärung des Zuckers ebenfalls eine große Rolle
spielt (§ 114, 115, 117), zur Ameisensäure verhalten.
§ 141. Sumpfgasgärung der Essigsäure. Auch diese ist von
Hoppe-Seyler erzielt worden durch Zusatz von Schlamm zu einer
Lösung von essigsaurem Kalk. Die Essigsäure wird ohne Nebenprodukte
vergoren zu Sumpfgas und Kohlensäure nach der Gleichung:
Ca(C2H302)2 + H2O = 2CH4 + CO2 + CaCOg (+ 3 Kai.)
oder, was dasselbe ist : C2H4O2 = CH4 + COg .
Neuerdings ist diese Gärung wieder von M a z e und O m e 1 i a n s -
k y ^) studiert worden. Die chemischen Befunde waren die gleichen.
Vor allem scheint an dieser Zersetzung ebenso wie an der ähnlichen
der Buttersäure ( § 145) eine „Pseudosarzine" beteiligt zu sein (vgl. S. 379).
Sehr verbreitet ist die Fähigkeit zur Essigvergärung wohl nicht,
denn sonst würde bei den zahlreichen Mischgärungen, bei denen Essig-
säure entsteht, häufiger Sumpfgas nachgewiesen sein. Nur ausnahms-
weise wird davon berichtet. So soll nach Baginsky*) bei der Spal-
tung der Stärke durch den Bac. aerogenes neben Essigsäure auch eine
Spur CH4 und bei der Buttersäuregärung nach v. K 1 e c k i *) ebenfalls
Sumpfgas auftreten. Auch das bei der Fäulnis der Eiweißstoffe ent-
stehende Sumpfgas geht vielleicht aus einer nachträglichen Spaltung
der Essigsäure hervor (§ 168, 179).
1) Biochem. Zeitsehr. 8, ref. in Zentr. Bakt. 2. Abt. 21. 156.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 15. 679.
3) Zeitsehr. physiol. Chem. 12.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 169.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 439
§ 142. Vergärung der Milchsäure. Die Milchsäure entsteht,
wie wir § 99 u. 114 gesehen, sehr häufig bei der Spaltung der Kohlen-
hydrate, scheint aber nur selten von den Bakterien, die sie erzeugen,
anaerob weiter zersetzt zu werden. Nach B a g i n s k 7 (s. o.) soll
zwar der Bac. aerogenes aus milchsauren Salzen wesentlich
Battersaure bilden, vielleicht nach der Formel, die wir weiter unten
betrachten werden. Derselbe Forscher gibt aber als Gärungsprodukt
aus Zucker hauptsächlich Essigsäure und sehr wenig Milchsäure, keine
Buttersäure an. Auch kein anderer Forscher hat bisher Buttersäure
bei der Vergärung der Kohlenhydrate durch Bac. aerogenes, imd zwar
auch nicht durch milchsäurebildende Stämme, auftreten sehen. Der
dem Bac. aerogenes nahestehende Actinobacter Duclaux'^)
vergärt überhaupt die Milchsäure nicht unter anaeroben Bedingungen,
sondern oxydiert sie nur bei Sauerstoffzutritt zu Kohlensäure und
Wasser. Ähnliches scheint auch von anderen Milchsäurebakterien
nach K a y s e r (S. 313) und vom B. coli nach den Mitteilungen P e r 6 s 2)
zu gelten. Der Amylobacter butylicus D u c 1 a u x' ^) bildet zwar bei
Saueistoffabschluß aus Milchsäure Buttersäure und wenig Essigsäure,
dieselben Stoffe, die er aus Kohlehydraten erzeugt. Da im letzteren
Falle aber die Milchsäure gänzlich fehlt, hat man keinen rechten Grund
anzunehmen, daß sie ein Zwischenprodukt der Gärung
darstelle. Bei einem anderen Buttersäurebakterium, und zwar dem
Rauschbrandbazillus, ist man eher zu dieser Annahme berechtigt.
Wir haben schon S. 313 gesehen, daß eine Varietät desselben nach
Sehattenfroh und Graßberger den Zucker fast ausschließ-
lich zu Milchsäure spaltet, eine zweite aber wenigstens unter Um-
ständen die Milchsäure weiter zu Buttersäure vergärt. Die übrigen
Erreger der Buttersäuregärmig in kohlehydrathaltigen Nährböden
sollen nach den Angaben der meisten Forscher, denen sich Graß-
berger und Schattenfroh anschließen, die Milchsäure, die sie
vielfach bilden, nicht weiter vergären. Dem widerspricht aber neuer-
dings Bredemann*) in seiner großen Arbeit über die beweglichen
Buttersäurebazillen (Bac. amylobacter vgl. S. 354 ff.). Zunächst will er
schon aus dem Umstand, daß die gleichen Erdproben, die Zucker ver-
goren, auch Laktat angriffen und unter dem Mikroskop die selben
Bakterien zu enthalten schienen, auf das Vermögen der echten Butter-
Baurebakterien, Laktat zu vergären, schließen. Nach Bredemann
1) Microbiol. 14. 140.
2) Annal. Paeteür 1892 und L893. Auch nach H a r d e n vermag
der Bac. coli Milchsäure nicht zu vergären (S. 293).
3) Annal. Pasteur 1895.
4) Zentr- Bakt. 2. Abt. 23. 471, 1909 vgl. S. 000.
440 Kap. VII, § 142.
soll es aber auch oft mit Hilfe von Beinkultoren, besondeis nach reich-
licher Einsaat, gelingen, den Widerstand des Kalziumlaktats gegen die
Gärung, der manchmal unleugbar besteht, zu brechen. Welches die
Bedingungen dafür sind, scheint uns der näheren Untersuchung wert
zu sein. Schon seit lange nicht zu bezweifeln ist dagegen, daß es Bak-
terien gibt, die den Buttersäurebakterien morphologisch ähnlich sind
und Kalziumlaktat, und zwar anscheinend sogar dies allein, nicht
den Zucker zu Buttersäure vergären.
Die Vergärung von milchsaurem Kalzium durch „Vibrionen"' zu
Buttersäure ist nämlich schon von Pasteur^) beobachtet und als
Muster eines anaeroben Vorgangs hingestellt worden. F i t z ^) fand sie
durch Impfung von Laktat mit Kuhkot wieder, allerdings erhielt er
keine sehr lebhafte Gärung; so gewann er einmal aus 500 g Laktat
neben 34 g buttersaurem Kalk noch 3,6 g Äthyl- und Butylalkohol,
ein anderes Mal außer Buttersäure Spuren von Kapron-, Essig- und
Bemsteinsäure. Vernachlässigt man diese Beimischungen, so würde
die Gärung der Gleichimg
2 (C3H503)2 Ca + H^O = (C^H^Og)^ Ca + CaCOg + 300^ + IH^
oder, was auf dasselbe herauskommt, der Reaktion
1) 2 CgHeOa = C^H^ + 2 CO^ + 2 H^ (- 0,5 Kai.)
entsprechen.
Das Granulobacter lactobutyricum Beijerincks^), den dieser
Forscher mit dem erwähnten Buttersäureferment Fasteurs identi-
fiziert, ist dadurch bemerkenswert, daß er sehr leicht seine Fähigkeit,
ohne Luftzutritt zu wachsen, Buttersäuregärung zu erzeugen und mit
Jod die Stärkereaktion zu geben, verlieren und dann dem bekannten
Heubazillus (B. subtilis) ähneln soll. Anfangs sei diese aerobe
Varietät noch imstande, das Kalziumlaktat zu Karbonat zu verbrennen;
nach einigen Überimpfungen höre aber das Wachstum sowohl der aeroben
als anaeroben Form ohne ersichtlichen Grund auf. Diese Angaben be-
dürfen dringend der Bestätigung. Sie erinnern daran, daß von ver-
schiedenen anderen Forschem den weit verbreiteten \md als Ver-
unreinigungen sehr gefürchteten Heu- und Kartoffelbazillen das Ver-
mögen, Milchsäure zu Buttersäure zu vergären, zugeschrieben worden
ist (Hüppe, Löffler S. 350 u. 351). Im allgemeinen gehören
diese Bakterien zu den strengen Aerobiern, man wird
1) Ck)mpt. rend. ac. sc. 62, 1861. £:tude8 sur la bi^e, 1876, S. 282.
2) Ber. ehem. Ges. 1878. öl; 1880. 1309.
3) Verband, akad. Wetensch. Amsterdam 2. Sect. I, 1893, Nr. 10,
so genannt im Gegensatz zu dem Gran. saccharobut3nricum vgl. §113.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 441
also von ihnen wohl eher Oxydationen, als Spaltungsgärungen erwarten
dürfen (S. 395 u. § 149).
Doch gibt es unzweifelhaft einzelne Varietäten oder Arten unter
ihnen, die auch ohne Luftzutritt gedeihen (Flügge). Außerdem ist
die Möglichkeit nicht aus den Augen zu lassen, daß selbst die strengen
Aerobier ähnlich den Hefepilzen zeitweise anaerob wachsen und gerade
dabei Gärungen erzeugen könnten. Unter allen Umständen wird man
wohl daran festhalten müssen, daß die Bildung der Buttersäure aus
Milchsäure, ob sie nun nach der obigen Formel oder auf anderem Wege
geschieht, eine Spaltung ist, die ohne Eingreifen des
Luftsauerstoffs erfolgt. Wenn, wie es wohl geschehen ist,
der Einwand gemacht wird, daß diese Spaltung gar nicht als eigent-
liche Gärung zu betrachten sei, sondern zum Stoffwechsel der Zelle ge-
höre, weil sie nur in geringem Umfange imd langsam vor sich gehe,
so haben wir schon öfter hervorgehoben, daß diese Scheidung von
Stoffwechsel imd Gärung eine willkürliche ist. Die Schwierigkeit, in
diesen Dingen ganz klar zu sehen, wird übrigens dadurch vermehrt,
daß die Buttersäure auch der Spaltimg von stickstoffhaltigen Körpern
entstammen kann (§ 168 ff.). Nach Fitz kann der milchsaure Kalk
aber noch auf andere Weise gespalten werden. So fand er nicht selten^)
eine Propionsäuregärung, die streng nach der Gleichung
2) aCjHA = 2CaH,02 + CgHA + CO^ + H^O (+ 39,4 Kai.)
verlief. Nebenprodukte sind hier nur Essigsäure und Kohlensäure,
wie bei der Propionsänregärmig der Äpfel- und Weinsäure (§ 146 u. 147).
In anderen Fällen war das Hauptprodukt der Gärung Baldrian-
säure*) CjHnjOj, der andere flüchtige Säuren (Propionsäure) und
Alkohol beigemischt waren. Femer kommt auch die Baldriansäure-
mit der Propionsäuregärung zusammen vor. — Diese Gärungen sind nach
P i t z lange nicht mehr studiert worden, erst v. Freudenreich
und 0. Jensen*) haben durch den reichlichenBefundvon
Propionsäure im Schweizerkäse aufmerksam gemacht,
die Umwandlungen der milchsauren Salze durch Käsebakterien näher
untersucht und dabei Bakterien gefunden, die daraus Propionsäure
und Essigsäure bilden. Fixe Säuren und Wasserstoff fehlen dabei,
die Kohlensäure wurde nicht gemessen. Das Verhältnis der Propion*
saure und Essigsäure schwankt: bald entspricht es der Fitz sehen
Gleichung, bald entsteht mehr Essigsäure, wohl nach der Gleichung
3) 2C^fi^=3C^ß2>
1) Ber. ehem. Gee. 1878. 479. 1898 imd 1880. 1309.
2) Ebenda 1880. 1309.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 528, 1906.
442 Kap. VII, § 142—145.
bald aber auch mehr Propionsäure. Die Bildung beider Säuren scheint
also doch in gewisser Weise unabhängig voneinander zu sein. In der
Tat kann man auch die Propionsäure herleiten nach der Formel:
4) 7 Cfifi^ = 6 CaHeO^ + 3 CO, + 3 H^O .
Die Propionsäurebakterien ähneln merkwürdigerweise sehr den beiden
Haupttji^en der Milchsäurebakterien, nämlich das Bact. acidi propionici
dem Strept. lacticus und der Bac. acidi propionici den langen Milch-
Säurebazillen (§ 97). Sie sollen übrigens auch den Milchzucker selbst
zu Essig- und Propionsäure zersetzen ( § 109). Die Angabe bei v. F r e u -
denreich und Jensen, daß auch echte Milchsäurebakterien die
Milchsäure zu Essigsäure vergären, stimmt nicht mit anderen Angaben
(§ 103). Wo eine solche Umsetzung erfolgt, wird man wohl gewöhnlicb
einen Einfluß des Luftsauerstoffs annehmen dürfen. Über die Bedeu-
tung der Propionsäurebakterien für die Lochbildung im Käse vgl. § 178.
Schließlich ist von Hoppe-Seyler^) auch Sumpfgas
als Erzeugnis der Milchsäuregärung gefunden worden. WahrscheinUch
stammt es aus der Essigsäure (§ 141).
Nicht unwichtig ist es, daß bisher eine alkoholische Vergärung
der Milchsäure nach der einfachen Formel: CjH^Og = CgH^O -f CO^
nicht bekannt geworden ist, obwohl man sie doch voraussetzen müßte,
wenn die Annahme^) Buchners richtig wäre, daß die Milchsäure das
regelmäßige Zwischenprodukt der alkoholischen Vergärung des Zuckers
sei (S. 252).
§ 143. Vergärung der Glykolsäure, Oxalsäure, Bern-
steinsäure, Brenzweinsäure. Darüber liegen nur sehr spärliche
Mitteilungen vor. Im allgemeinen bleiben diese Säuren von anaeroben
Spaltungen unberührt, während sie der Oxydation leichter verfallen,
F i t z ^) gelang es trotz aller Bemühungen nicht, den glykolsauren
Kalk in Gärung zu versetzen. Glücklicher war Hoppe-Seyler*).
Fäulnisbakterien erzeugen nach ihm aus C2H4O3 Kohlensäure, Wasser-
stoff und Sumpfgas.
Nach Bechamp^) soll oxalsaurer Kalk durch ein unbekanntes
Bakterium in Ameisensäure verwandelt werden. Man könnte sich vor-
stellen, daß der Prozeß unter dem Einfluß von Wasser wie folgt
verläuft : ^^^^^ + H^O = 2 CH A + 0
1) Zeitschr. phys. aiem. 11. 566, 1887.
2) Neuerdings hat Buchner diese Ansicht zurückgezogen (Vcrh.
Gesellsch. D. Naturf. 11. Ärzte, Salzburg 1909. II. 1. 51).
3) Ber. ehem. Ges. 1878. 46.
4) Zeitschr. physiol. Chem. 2, 7.
5) Ck)mpt. rend. 70. 999.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 443
wobei Oxydationen nebenher gehen würden. Derselbe Forscher sah
Bernsteinsäure durch faules Fleisch in Propionsäure
und Kohlensäure zerfallen:
C^H^O^ = Cj^A + CO2 (- 11,1 Kai.).
Auffälligerweise wird dabei Wärme gebunden. Nach Grimbert
und F i r q u e t (s. u. § 147) soll der Bac. tartricus aus Bernsteinsäure
Essigsäure abspalten. Auch die Aminobemsteinsäure wird ähnlich
zersetzt (§ 169).
Die Methylbemstein- oder Brenzweinsäure wird nach Bechamp^)
durch Fleischwasser zu Kohlensäure und Sumpfgas vergoren.
§ 144. Vergärung der Glyzerinsäure. Fitz^) beobachtete
zwei verschiedene Gärungen des glyzerinsauren Kalks bei Impfungen
seiner Lösung mit Heuwaschwasser. Entweder bildete sich vorwiegend
Essigsäure mit Alkohol, Butter-, Ameisen- und Bernsteinsäure als Neben-
produkten. Der Zerfall würde dann vielleicht im wesentlichen so vor
sich gehen:
CsHj04 = C2H4O2 + CO2 + Hg .
Oder es wurde fast reine Ameisensäure und nur Spuren von
Alkohol und Essigsäure entwickelt.
Frankland und F r e w ^) konnten durch die Reinkulturen
ihres Bac. ethaceticus die erste Gärung wieder erzeugen. Sie gaben ihr
die Formel:
5 C^fi^ = 4 C^H A + C^H^O + 5 CO2 + 3 H2 + H^O .
Dabei machten die englischen Forscher die Beobachtujig, daß das
optisch inaktive Salz, das sie der Gärung unterworfen hatten, in die
beiden aktiven Modifikationen verwandelt wurde, von denen nur das
rechtsdrehende Salz der Spaltung verfiel (vgl. § 58). Später*) machte
sich eine Anpassungserscheinung bemerkbar: der lange Zeit in Lösungen
von glyzerinsaurem Kalk gezüchtete Bazillus vergor allmählich auch die
linksdrehende Komponente.
§145. Sumpf gasgärung der Buttersäure. Nach Maze und
Omeliansky^) wird auch der buttersaure wie der essigsaure Kalk
(§ 141) durch eine „Pseudosarzine^' zu Sumpfgas und Kohlensäure ver-
goren, und zwar wahrscheinUch nach der Formel
Ca(C4H702)2 + 3H2O = CaCOg + 2CO2 + 5CH4.
1) Bull. soc. chim. 11. 418, zit. nach Emmerling.
2) Ber. ehem. Ges. 1878. 474 und 1880, 1312.
3) Joum. ehem. soc. 1801 (Kochs Jahresber.).
4) Ebenda 1893.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 15. 680.
444 Kap. Vn, § 146—149.
§ 146. Vergftriing der Apf elsäure. Der äpfelaauie (ozybem-
steinsaure) Kalk ist nacli F i t z ^) ebenfalk veischiedenen Gärungen
unterworfen. Zunächst kann er in Bemsteinsäure und Essigsäure zer-
fallen, genau der Gleichung entsprechend:
1) 3 CJIfi, = 2 C^Hfi^ + C^H A + 2 CO2 + H,0 .
Bei einer anderen Gärung wurde viel Propionsäure, weniger Essigsaure
und eine Spur Bemsteinsäure gebildet, etwa nach der Gleichung:
2) 3 C^H^O^ = 2 CjHeO^ + C^A + 4 CO^ + H^O .
DrittenskonntedieÄpfelsäureauchderButtersäuregärungunterliegen
3) 2 C^HA = C^HaOa + 4 CO^ + 2 H^O.
Eine Milchsäuregärung beschrieb S c h ü t z e n b e r g e r *). Die
einfachste Gleichung dafür lautet:
4) CÄO« = CgHeO, + CO^.
Ob hier wirklich besondere Leistungen einzelner Mikroorganismen
vorlagen oder Mischgärungen, ist unbekannt. Nur für den Bac. aero-
genes hat Emmerling') nachgewiesen, daß er imstande ist, die
Äpfelsäure ziemUch genau der Gleichung 1 entsprechend zu zersetzen.
§ 147. Vergärung der Weinsäure. Der weinsaure {dioxybem-
steinsaure) Kalk liefert nach P a s t e u r ^) ein Beispiel streng anaerober
Gärung, als deren Erreger er eine Art von „Vibrionen" mit einer
glänzenden Anschwellung an einem Fol, wie wir heute sagen würden,
Bazillen mit Köpfchensporen, beschreibt. Schon früher war die Gärung
anscheinend von Dumas beobachtet worden. F i t z ^) fand sie wieder
und gab ihr wie P a s t e u r die Formel:
3 C,HeOe = CgHeO^ + 2 C^H^O^ + 5 CO, + 2 H^O .
Es werden also Propionsäure imd Essigsäure gebildet. Nach
Duclaux*) wird vielleicht die sog. „pousse du vin", bei der eben-
falls die beiden Säuren erzeugt werden, durch diese Vergärung der
Weinsäure hervorgerufen (vgl. Laborde, Mannitbildner im Wein §124).
Bei einer zweiten Gärung entsteht in erster Linie Essigsäure mit
geringen Mengen von Alkohol und Buttersäure. Man könnte ihr die
Formel geben:
C^HeOe = C^ß^ + 200^ + H,.
Aber auch der Zerfall zu Essigsäure und Bernsteinsäure scheint möglich.
1) Ber. ehem. Ges. 1878. 479 u. 1896.
2) Die GäningBerscheinungen, 1876.
3) Ber. ehem. Ges. 1899. 1915.
4) Compt. rend. ac. sc. 56. 416 und Stades sur la biere 274.
5) Ber. ehem. Ges. 1878. 474.
6) Mierobiol. 4. 628.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 445
Mit Reinkulturen ihres Bac. tartricus vergoren Grimbert und
Pirquet^) den Weinsäuren Kalk zu Essigsäure, Bemsteinsäure,
Kohlensäure und Wasserstoff. Die Bemsteinsäure erscheint hierbei
nur als Übergangsprodukt, denn sie zerfällt weiter zu Essigsäure (s. o.
§ 143). Auch die Kohlenhydrate werden von diesem Bazillus ange-
griffen unter Bildung der gleichen Stoffe, wozu aber noch kommen
Linksmilchsäure, etwas Äthylalkohol und Azetylmethylkarbinol C4Hg02,
ein Kupferlösimg schon in der Kälte reduzierender Körper, der neben
Alkohol im Destillat erscheint und sonst nur ausnahmsweise (S. 395)
noch in Bakterienkulturen gefimden worden ist. Mannit und Glyzerin
bleiben unberührt.
§ 148. Vergärung der Zitronensäure, Schleimsäure, Gly-
kuronsänre. Fitz^) hat eine Gärung des zitronensauren Kalks beob-
achtet, bei der aus der Zitronensäure C^HgO, wesentlich Essigsäure
neben etwas Alkohol und Bernsteinsäure entsteht.
Die Schleimsäujre C^HiqOj wird nach Schützenberger
(a. a. 0.) leicht unter Bildung von Essigsäure, Kohlensäure und Wasser-
stoff vergoren.
Die d-61ykuronsäure CgH^QO, soll nach älteren Angaben nicht,
nach Hildebrandt®) wohl durch Hefe und Zymin vergärbar
sein, wobei aber an Stelle des Alkohols Essigsäure imd unter Umständen
Malonsäure CH2(C02H)2 entstehe; nach Thierfelder*) wird sie
durch Bakterien des Kloakenschlammes in eine Art Sumpfgas-
gärung versetzt. Die (im Harn vorkommenden) gepaarten Gly-
kuronsäuren (mit glykosidischem Charakter) werden nach N e u b e r g
und Neimann^) durch Emulsin und Kefyrlaktase (§ 82) gespalten
und verfallen nach Hildebrandt ebenfalls der Fäulnis. Außer-
dem bewirken die gewöhnlichen Fäulnisbakterien nach E. S a 1 -
k 0 w 8 k i imd Neuberg*) bei schwach alkalischer Reaktion den
Zerfall der Glykuronsäure in l-Xylose und Kohlensäure.
§ 149. Oxydation der Fette und Fettsäuren. Der gewöhn-
lichste Weg, auf dem die Fette durch die Mikroorganismen zersetzt,
„verbraucht" werden, scheint die Oxydation zu sein. Den Fettver-
brauch verschiedener Mikroorganismen in Milch hat schon Esche-
rich') seinem Grade nach bestimmt. Während die nicht mit Bak-
terien geimpfte Milch 1,340% Fett enthielt, ließen
1) Compt. rend. biol. 1897.
2) Ber. ehem. Ges. 1878. 1895.
3) Zeitßchr. physiol. Chem. 43, 1904 (und Hofmeisters Beitr. 7. 1905).
4) Ebenda 13, 1889.
5) Ebenda 44, 1905.
6) Ebenda 36, 1901.
7) Darmbakterien des Säuglings 1886 S. 115.
446 Kap. Vn, § 149.
der Bac. fluorescens non liquefaciens . . . 1,226% Fett un^raetzt
„ Strept. gracilis 1,020% „
die Monilia Candida 0,968% „
der Micr. ovalis (Strept. lacticus?) . . . 0,923% „ „
der Bac. subtilis • 0,855% „ „
„ „ aerogenes 0,881% „
,, „coli .... 0,791% „
„ „ fluoresc. liquefaciens 0,578% „ „
Die freien Fettsäuren sind in dem Fett einbegriffen.
R u b n e r ^) fand dann, daß reine Fette, die mit Boden-
proben vermischt worden waren, zum größeren Teil hydrolytisch
gespalten wurden, zum kleineren ganz verschwanden. Im sterilisierten
Boden beobachtet man höchstens eine geringfügige Spaltung. Der
Prozeß verläuft langsam im Laufe von Monaten und Jahren, er wird
begünstigt durch das Vorhandensein von kohlensaurem Kalk im Boden.
Auch in Flüssigkeiten findet eine solche Fettzehrung statt. Voraus-
setzung ist aber immer, daß neben den Fetten die übrigen Nährstoffe
für das Wachstum von Mikroorganismen vorhanden sind. Schrei-
b e r 2) isolierte eine Beihe von Erregern der Fettzersetzimg (Peni-
cillium glaucimi, Mucor mucedo, Oidium albicans, Bac. fluorescens
liquefaciens, Spir. Finkler, Micr. tetragenus) imd konstatierte, daß sie
durchaus an den Zutritt von Sauerstoff gebunden ist. Die
in der Gartenerde vorhandenen Anaeroben waren unfähig, das Fett
anzugreifen, wenn man von einer unbedeutenden Spaltung absieht.
Das in Futterstoffen wie Baumwollsaatmehl vorhandene Fett wird
nach Spieckermann und Bremer (S. 433) bei einem geringen
Wassergehalt (von 12 — 20%) fast ausschließlich durch Hefe („Moni-
lia^'-Arten) angegriffen und verfällt zum größten Teil der Verbrennung,
während die gleichzeitig vorhandenen Kohlenhydrate und Eiweißstoffe
fast unberührt bleiben. Steigt der Wassergehalt bis auf 30%, so werden
Fette und Kohlehydrate zerstört, und zwar durch Schimmelpilze
(PeniciUien) ; Eiweißstoffe imd Pentosane werden nur wenig in Anspruch
genommen. Bei 30 — 50% Feuchtigkeit überwuchern Bakterien, die
sich vor allem auf die stickstoffhaltigen Bestandteile und Kohlenhydrate
werfen, auch die Pentosane nicht verschonen, aber verhältnismäßig
wenig Fett verbrauchen. Es scheint danach, daß unter den Verhält-
nissen, wie man sie in der Natur gewöhnlich findet, die Fette in erster
Linie durch Hefe und Schimmelpilze oxydiert werden. Versuche mit
Reinkulturen haben Spieckermann und Bremer ergeben, daß
1) Vgl. Lit. S. 433.
2) — ebenda.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäiu'en. 447
flüchtige Säuren als Z wi sehen er Zeugnisse der
Oxydation in greifbarer Menge nicht auftreten,
sondern die Verbrennung wohl im wesentlichen eine vollständige ist.
Oxalsäure wird freilich, nach den Untersuchungen von D u -
c I a u X und W e h m e r (vgl. S. 390) zu urteilen, wenigstens zeitweise
nicht fehlen. Nicht immer ging der Oxydation eine
nachweisbare Spaltung der Fette vorher. Die freien
Fettsäuren wurden energischer angegriffen als die Glyzeride. Wie man
sich die Oxydation zu denken hat, ist nicht klar. Wahrscheinlich wird
sie innerhalb der Zellen erfolgen. Die Aufnahme in letztere könnte
dann, da die Reaktion regelmäßig eine saure ist, kaum anders als in
Form einer Emulsion erfolgen. Fett oxydierende Enzyme sind bisher
noch nicht nachgewiesen worden, aber wohl vorhanden (s. u.).
Die niederen Fettsäuren, sowie die Oxyfettsäuren imd mehr-
basischen Säuren, deren anaerobe Spaltungen wir soeben kennen ge«
lernt haben, teilen das Schicksal der höheren, sie werden oxydiert,
und zwar anscheinend viel leichter oxydiert, als sie ohne Sauerstoff
gespalten werden. Darauf beruht zimi größten Teil ihre Eigenschaft
als mehr oder weniger gute Nährstoffe (vgl. § 33). Natürlich bestehen
in dieser Beziehung je nach der Mikroorganismenart und der sonstigen
Zusammensetzung der Nahrung große Unterschiede. Wenn andere
bessere Nährstoffe zur Verfügung stehen, bleiben die Säuren häufig
unberührt. So haben wir gesehen, daß von den Essigsäurebakterien
zunächst immer der Alkohol oxydiert wird, erst wenn dieser ver-
schwanden ist, die Essigsäure (S. 430), von den Schimmelpilzen zunächst
der Zucker und später die Oxalsäure und Zitronensäure (§ 121 u. 122).
Andere Fälle, wo diese Regel nicht zutrifft, vielmehr auch bei Gegenwart
besserer Nährstoffe, z. B. Zucker, schlechtere, z. B. Essigsäure, ver-
zehrt werden, haben wir § 58 besprochen. Dort haben wir auch die
merkwürdige Auswahl kennen gelernt, welche die Mikroorganismen
treffen, wenn ihnen gleich zusammengesetzte, aber in ihrem moleku-
laren Aufbau abweichende Stoffe, wie die Rechts- und Linkswein-
säure, Glyzerinsäure, Milchsäure gleichzeitig dargeboten werden. Aus-
schließlich oder vorwiegend die eine Komponente wird assimiliert imd
oxydiert, und zwar kann es je nach der Eigenart der Mikroorganismen
bald die linksdrehende, bald die rechtsdrehende sein.
Eine damit zusammenhängende Tatsache haben neuerdings Her-
zog und M e i e r ^) festgestellt. Sie fanden nämlich, daß Penicillium
die razemischen Verbindungen Milch-, Trauben-, Äpfel-, /?-Oxybutter-,
Mandelsäure oxydiert, die Glykol-, Zitronen-, Brenztrauben-, Oxyiso-
1) Zeitechr. physiol. Cham. 57, 1008.
448 Kap. VII, § 149 u. 150.
buttersäure kaum angreift, also erst ein asjrmmetrischer KoUenstoff
die Säuren zur Oxydation geeignet macht. Nebenbei erzielten die Ver-
fasser ein wichtiges Ergebnis, indem sie das gepulverte Myzel auch nach
Abtötung durch Azeton oder Methylalkohol wirken sahen. Sie sprechen
daher von einem Oxydationsenzym (vgl. § 222).
In manchen Fällen sind Bakterien wohl imstande, unter Sauerstoff-
abschluß eine Säure zu erzeugen, vermögen sie aber erst an der Luft
weiter zu zersetzen. So oxydiert das Amylobacter butylicum D u -
c 1 a u x' (S. 352) seine eigenen Produkte Essigsäure und Buttersäure
nachträglich zu Kohlensäure und Wasser. An derartige Pro-
zesse muß man immer denken, wenn man Gärungen
studiert, ohne für sicheren Abschluß der Luft
gesorgt zu haben. Die Analysen der Gärungsprodukte werden
dann natürlich ein falsches Bild ergeben. Besonders groß ist die (refahr,
wenn durch Zusatz von kohlensaurem Kalk die durch die Gärung
anaerob gebildeten Säuren abgesttmipft werden und so die Lebens-
fähigkeit der Mikroorganismen länger erhalten bleibt.
Die „Säureverzehrung" dieser und anderer (z. B. aromatischer)
organischer Säuren spielt eine wichtige Rolle bei vielen verwickelten
Zersetzungen, z. B. bei der Verwesung^) kohlehydrathaltiger
Stoffe und des Eiweißes entstehen immer aus der Spaltung mit oder
ohne Sauerstoffzutritt Säuren, die dann bei Sauerstoffzutritt be-
seitigt werden. Die einzelnen Stadien dieser Oxydation durch den
freien Sauerstoff der Luft sind nur ungenügend bekannt. Man weiß
nur, daß neben der Kohlensäure die Oxalsäure häufig auftritt (s. o.).
Theoretisch bestände die Möglichkeit, daß aus jeder Fettsäure durch
Oxydation nach und nach alle Fettsäuren mit geringerem Kohlenstoff-
gehalt hervorgingen. Allerdings kann sich auch durch eine intramole-
kulare Oxydation die nächst niedere aus der höheren Säure bilden,
so z. B. die Valerian- aus der Kapronsäure bei der Fäulnis des Leuzins
(§ 168).
Auch bei einem edleren Vorgang, dem Reifen des Weins,
sehen wir eine Säureverzehrung (§ 95). Es handelt sich da wohl inrnier
um ein Zusammenwirken verschiedener Mikroorganismen (Symbiose)
oder vielmehr um deren gegenseitige Ablösimg (Metabiose § 50).
Die Säureverzehrer sind fast in allen Fällen die Aerobier und Säure-
liebhaber ersten Ranges, d. h. Hefe und Schimmel*). Bakterien greifen
die Säuren im allgemeinen nur an, wenn sie nicht frei, sondern
1) Ball, Zentr. Bakt. 2, Abt. 8. 18/19. Heinze, Zeitschr. f.
Hyg. 46. 324; vgl. § 176 u. 182.
2) Duclaux, Annal. Fasteur 1889.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren.
449
Salze gebunden erscheinen. Dann können sie sie, vorausgesetzt, daß
ihnen Sauerstoff und andere, vor allem stickstoffhaltige Nahrung
genug zur Verfügung steht, recht kräftig zerstören. Die einzelnen
Säuren werden sehr ungleich angegriffen. Nach M a a ß e n ^) ergibt
sich für die Zersetzlichkeit der organischen Säuren durch Bakterien
folgende Reihenfolge (vgl. aber oben Herzog und Meier).
Von 45 verschiedenen Bakterienarten griffen die Säuren an:
Äpfelsäure
. . . 41 Arten
Propionsäure . . .
. 13 Arten
Zitronensäure
. . . 38
>)
Oxyessigsäure . .
. 13 „
Fumarsäure .
. . . 38
>)
Chinasäure . . .
. 10
Glyzerinsäure
. . . 34
>j
Maleinsäure . . .
. 9
Benist^insäure
. . . 32
>>
Malonsäure . . . .
. 8
Ameisensäure
. . 30
>)
Akonitsäure . . . .
7
Milchsäure . .
. . 30
>>
Trikarballylsäure . .
5 :
Schleinisaure .
. . . 23
)j
/?-Oxybuttersäure .
, 5
Weinsäure . ,
. . . 21
>>
Mandelsäure . . .
4
Essigsäure
. . . 14
j>
a-Oxyisobuttersäure ,
0
Oxalsäure
0
Die Lösung, in der die Bakterien geprüft wurden, enthielt auf einen
Liter 10 g Pepton, 1 g Chlornatrium, 1,5 g primären Kaliumphosphat,
0,3 g Magnesiasulfat und den zehnten Teil des Äquivalentgewichts der
betreffenden Säure in Form ihres Kali- oder Natronsalzes. Neutrale
Reaktion wurde durch Natronlauge hergestellt. Die Angaben sind
natürlich nur für den angewandten Nährboden gültig. M a a ß e n
macht selbst die Bemerkung, daß bei gewissen Veränderungen im
Nährboden auch die Oxalsäure von manchen Bakterien angegriffen
werde.
§ 150. Das Ranzigwerden der Fette. Die natürlichen Fett-
gemenge, die uns als Nahrungsmittel dienen, insbesondere die Butter,
erleiden bekanntlich mit der Zeit eine eigentümliche Veränderung,
die sich in dem „ranzigen*' Geruch und Geschmack kundgibt. Lie-
big*) schon führte diese Umwandlung auf beigemengte ferment-
artige Stoffe zurück, die Fettsäure in Freiheit setzten und Glyzerin
zersetzten. Je reiner die Fette wären, desto weniger leicht würden
sie ranzig. Andere Forscher schoben die allmähliche Oxydation des
Fettes in den Vordergrund. Mit dem Beginn der bakteriologischen
Zeit wurden auch Miloroorganismen für die Veränderung verantwort-
lich gemacht. Diese Lehre erhielt einen starken Stoß, als D u c 1 a u x ^)
1) Arb. K. Gesundheitsamts 12.
2) Handb. organ. Chem. 1843.
3) Annal. Pasteur 1888. 352 und Microbiol. 4731.
Kruse, Mikrobiologie. 29
450 Kap. VII, § 150 u. 151.
nachwies, daß die Fette allein unter der Einvrirkung von Luft, Lacht
und Wärme der Zersetzung verfallen können. Nach ihm besteht das
Ranzigwerden in einer hydrolytischen Spaltung — die vielleicht durch
ein in der Butter vorhandenes, aus der Milch in sie übergegangenes
Enzym (Lipase s. o. § 138) begünstigt werde — mit darauf folgenden
durch Licht und Wärme gesteigerten Oxydationsvorgängen und weiteren
Umsetzungen, an denen sich auch Mikroorganismen beteiligen könnten.
Die Glyzeride der flüchtigen Fettsäuren, in erster Linie die Butter-
säure, zerfallen besonders leicht und verflüchtigen sich schnell, woher
es komme, daß die schon stark verdorbene Butter nur eine geringe
Säurezunahme zeige. Alle späteren Forscher haben den bösen Einfluß,
den die Belichtung durch die Sonne ausübt, bestätigen können.
H. Schmidt^) wies auch nach, daß Mikroorganismenwirkung unter
diesen Umständen nicht in Frage kommen kann, weil die Sonne die
Butter nahezu sterilisiere. Doch macht neuerdings Reinmann ^)
darauf aufmerksam, daß die Veränderung, die durch die Belichtung
in' der Butter eintritt, nicht gleichbedeutend sei mit dem Ranzigwerden.
Der Geruch und Geschmack soll dabei „talgig" werden, nicht ranzig.
Mag das nun der Fall sein oder nicht, der gewöhnliche Vor-
gang des Ranzigwerdens kann, wie aus den Arbeiten von
Schmidt und Reinmann mit Sicherheit hervorgeht, nicht
als einfache chemische Spaltung und Oxydation
aufgefaßt werden, sondern beruht auf der ver-
wickelten Tätigkeit von Mikroorganismen, und
zwar hauptsächlich solchen, die den Sauerstoff lieben. Denn bei Ab-
schluß der Luft wird die Butter viel langsamer ranzig. Die Belich-
tung hat, wenn sie nicht das übliche Maß überschreitet, keinen Ein-
fluß. Höhere Temperatur befördert, niedrige Temperatur ver-
langsamt, Abkühlung imter Null verhindert das Ranzigwerden, wie
alle Bakterienwirkungen. Denselben Erfolg hat der Zusatz von anti-
septischen Stoffen, von größeren Mengen Kochsalz, das gründliche
Auswaschen der Butter, das die Bakteriennährstoffe (Kasein, Milch-
zucker) beseitigt, die Herstellung der Butter aus sterilisiertem Rahm.
Wird die auf solche Weise gewonnene keimfreie Butter mit einer Spur
ranziger Butter gemischt, gewissermaßen „geimpft", so wird sie sofort
selbst ranzig. Macht man denselben Versuch mit Butter, die nach-
träglich durch Erhitzen keimfrei gemacht worden ist, so gelingt er
nicht, die Butter wird nicht ranzig; aber nur aus dem Gnmde, weil
die erhitzte Butter sich scheidet in reines Butterfett, das den Bak-
1) Zeitschr. f. Hyg. 28 1898, mit Lit.
2) Zcntr. Bakt. 2. Abt. 6. ö— 7, 1900, (mit Lit.)
Wandlungen der Alkohole, Fette luid Fett43äuren. 451
terien nicht allein zur Nahrung dienen kann, und die übrigen Bestand-
teile, die die nahrhaften Stoffe enthalten.
Bis hierher ist der Vorgang des Ranzigwerdens aufgeklärt. Leider
wissen wir schon über die Art der Mikroorganismen, die ihn verur-
sachen, nichts genaueres. Reinmann hat eine große Reihe von
Bakterien, Hefen und Schimmelpilze, die er aus ranziger Butter ge-
züchtet, auf ihre Fähigkeit, Butter ranzig zu machen, ohne Erfolg
geprüft. Nur drei von ihnen, der Bac. fluorescens liquefaciens, das
Oidium lactis und eine Hefe spalteten die Butter unter Säuenmg und
teilweise unter Geschmacksveränderung, erzeugten aber nicht den
ranzigen Gleruch. Man muß also nach anderen Erregern des Prozesses
suchen. Auch über die chemischen Vorgänge, die dabei stattfinden,
ist man durchaus noch nicht einig. Wahrscheinlich werden sie auf die
schon von L i e b i g hervorgehobenen Erscheinungen hinauslaufen.
Der Versuch ist gemacht worden, die Zersetzimgsprodukte aus ranziger
Butter durch die Analyse zu erfassen. So hat A. S c h m i d ^) daraus
durch Destillation Aldehyde und Ketone, Amthor ^) Ester aus niederen
Fettsäuren, namentlich Buttersäureäthylester gewonnen und für den
Geruch verantwortlich gemacht. Die ersteren sollen aus der Zer-
setzung des Glyzerins, die letzteren aus der Vergärung des Milch-
zuckers zu Alkohol und der Spaltung der Glyzeride hervorgehen. Die
Säuerung der Butter, die das Ranzigwerden stets begleitet, ist doch
kein Gradmesser für den Vorgang. Sie hat wahrscheinlich zwei Ur-
sachen, einerseits die Hydrolyse des Fettes, andererseits die Spaltung
(1er Milch zu Milchsäure. Beide bedingen an sich noch nicht das Ranzig-
werden. Ja, die Milchsäuregärung ist sogar ein Mittel, das Ranzig-
werden der Butter zu verhindern. Es ist eine alte Erfahrung, daß But-
ter, die aus saurem Rahm hergestellt ist, dauerhafter ist als
Süßrahmbutter. Man versetzt deswegen jetzt vielfach in Groß-
betrieben den durch Zentrifugieren frischer Milch gewonnenen Rahm
mit Reinkulturen von Milchsäurebakterien und läßt ihn säuern, bevor
man ihn zur Butter verarbeitet (vgl. § 111).
§ 151. Reduktion von Fetten und Fettsäuren. Bei den
anaeroben Spaltungen der niederen Fettsäuren, Oxyfettsäuren usw.
entstehen, wie wir sahen, neben höher oxydierten auch sauerstoff-
ännere oder sauerstofffreie Körper, z. B. bei der Vergärung der Essig-,
Milch-, Glykol- und Bemsteinsäure Sumpfgas, Wasserstoff, Essigsäure,
Propionsäure. Das in der Natur weit verbreitet vorkommende Sumpf-
oder Grubengas wird zum großen Teil aus solchen Quellen stammen
1) Zeitochr. analyt. Chem. 1898. 277.
2) Ebenda 1890. 18. .
29*
452 Kap. VII, § 161 — 152.
(vgl. § 118). Aber auch andere Kohlenwasserstoffe können durch die
Wirkung von Mikrobien aus organischen Säuren entstehen, so bilden
nach Oliviero sowie Herzog und R ö p k e ^) Aspergillus niger
und Penicillium glaucum aus Zimtsäure durch Kohlensäure-
abspaltung S t y r o 1 CgHßCH . CHg, ganz in der Weise, wie aus Essig-
säure durch Kohlensäureabspaltung Sumpfgas sich bildet. Man darf
sich daher fragen, ob nicht die im Erdöl enthaltenen Kohlen-
wasserstoffe, die man gewöhnlich auf rein chemischem Wege
(durch Destillation von Fettsäure unter Druck nach E n g 1 e r) ent-
stehen läßt, vielleicht ebenfalls Mikroorganismen ihren Ursprung ver-
danken^). Die Tatsache, daß es Bakterien gibt, die Kohlenwasserstoffe
zur Ernährung zu verwenden vermögen (S. 116), spricht nicht
dagegen, denn auch Sumpfgas imd Wasserstoff, die wir als echt«
Gärungserzeugnisse kennen, werden gelegentlich wieder assimiliert.
Immerhin ist wohl die Entstehimg des Erdöls auf rein chemischem
Wege, wenn wir dessen Massenhaftigkeit bedenken, vorläufig wahr-
scheinlicher.
§ 152. Synthesen aus Fettsäuren. Daß die Fette und Fett-
säuren zum Aufbau der Leibessubstanz dienen können, folgt aus der
Tatsache, daß sie schon allein imstande sind, den Kohlenstoffbedarf
vieler Mikroorganismen zu decken (S. 115 u. 116). Das wenige, was
wir von den dazu nötigen Synthesen wissen, werden wir im Zusammen-
hang später (§ 229 — 231) besprechen. Hier sei nur bemerkt, daß wir
den Vorgang der Fettbildung aus Fettsäure und Glyzerin wie den um-
gekehrten der hydrolytischen Fettspaltung wohl als enzymatischen auf-
fassen dürfen. In der Tat hat Pottevin*) durch Zusammenbringen
von Oleinsäure mit Glyzerin Olein darstellen können. Einige andere
in gewissem Sinne synthetische Vorgänge haben wir schon bei den
Spaltungsgärungen erwähnt, so die Entstehung der Buttersäure und
Baldriansäure aus Milchsäure (§ 142). Ihnen anzuschließen haben wir
hier noch die schleimigen Gärungen, die bei ausschließlicher
Ernährung mit niederen Fettsäuren entstehen können. Die meisten
Bakterien können allerdings zur Bildung von Schleim nur Zucker
verwenden. Einige, z. B. der Bac. viscosus I und II von van L a e r
(§ 129), bauen ihn aber auch aus Weinsäure und Milchsäure auf. In
dieselbe Kategorie gehört das Bact. xylinum, das seine mächtigen
lederartigen, wesentlich aus Zellulose bestehenden Gallertmassen auch
1) Zeitschr. physiol. Cham. 57. 43, 1908.
2) Über die Entstehung bituminöser Stoffe aus Fetten durch Oxyda-
tion vgl. § 118.
3) Compt. rend. ac. sc. 138. 378, 1904.
Wandlungen der Alkohole, Fette und Fettsäuren. 453
ans Essigsäure aufbauen kann (§ 130). Man könnte sich denken, daß die
Gäning dabei nach den einfachen Formehi
2C3He03==CeHiA(-löKal.)
Milchsäure Trauben-
zucker
3 C^H A = CeHiA {- 34 Kai.)
Essigsäure Trauben-
zucker
und (CeHiA -H20)x = (CeHioO^)^ (-4,3 Kal.)x
T raubenzucker Zellulose
erfolgte. Die nötige Energie würde durch die gleichzeitigen Oxydationen
oder Spaltungen der Zellen geliefert werden können.
Daß die Unterscheidung zwischen diesen „Gärungen" und den
S)Tithesen, durch die das Protoplasma Leibessubstanz aufbaut, nur
eine künstliehe ist, wurde schon öfter von uns hervorgehoben.
Kapitel VIII.
Wandlungen der Glykoside und aromatischen Körper,
§ 153. Einleitung. Die Glykoside ähneln den zusammengesetzten
Zuckern, Di- und Trisacchariden, dadurch, daß sie ätherartige Verbin-
dimgen sind, die bei der Hydrolyse durch Säure oder Enzyme einfachen
Zucker abspalten, andererseits leiten sie zu den aromatischen
Stoffen über, weil sie — wenigstens die natürlich vorkonunenden
Glykoside — gewöhnlich aromatische Bestandteile neben dem Zucker
enthalten. Je nach der Beschaffenheit des Zuckers unterscheidet man
die eigentlichen Glykoside, die Fruktoside, Galaktoside, Pentoside usw.
Das erste Glykosid, das Amygdalin, wurde von Robiquet und
B o u t r o n 1830 in den bitteren Mandeln entdeckt und seine Spaltung
in Glykose, Blausäure und Benzaldehyd (Bittermandelöl)
C2oH,,NOn + 2Hfi= 2CeHi20e + HCN + CeH^CHO
bald darauf von L i e b i g und W ö h 1 e r *) auf ein Ferment, das
E m u 1 s i n (die Synaptase) der Mandel zurückgeführt. Andere glykosid-
spaltende pflanzliche Enzyme sind das Myrosin, das Senföl aus myron-
saiirem Kali, das Indigoenzym und die Isatase, die Indoxyl aus Indikan
und Isatan bilden u. a. m. Jedes dieser Enzyme spaltet übrigens eine
ganze Reihe von verschiedenen Glykosiden. Die Verbreitung der
Glykoside im Pflanzenreich ist eine sehr weite, Ihrer Spaltung
entstammen zum großen Teil die Riechstoffe (z. B. Benzaldehyd,
Vanillin), die für die Pflanzen so charakteristisch sind. Tieferen
Spaltungen der (intramolekularen Atmung) zugänglich sind natür-
lieh die zuckerartigen Bestandteile der Glykoside (vgl. Kap. VI). Durch
Oxydation der aromatischen Spaltimgsprodukte entsteht dagegen
der größte Teil der Pflanzenfarbstoffe, so z. B. der Indigo
aus dem Indoxyl, die Orseille aus dem Orzin. Ein Chromogen ist auch
das Hydrochinon, das aus dem Glykosid Arbutin hervorgeht. Denn
durch Oxydation dieses und anderer in Pflanzen weit verbreiteter
1) Annal. der Chem. u. Pharm. 22, 837.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 455
•
aromatischer Stoffe wie des Tyrosins^) wird die dunkleFärbung
auf den Schnittflächen von rohem Obst, Kartoffebi, Hutpilzen, im
Rübensaft usw. bedingt. Neuerdings glaubt man Grund zu haben,
diese Veränderung auf das Vorkommen von Enzjonen, „Oxydasen",
in den Pflanzen zurüokführen zu können. Bertrand hat z. B.
eine „Lakkase^' und „Tyrosinase" unterschieden. Natürlich sind auch
weitergehende Oxydationen nicht ausgeschlossen.
In viel größerer Menge als die eigentlichen Glykoside treten in
den Pflanzen die Gerbstoffe auf, die in chemischer Hinsicht ihnen
nahestehen imd ähnlichen Verändenmgen unterliegen. Am schwierig-
sten zersetzbar sind die Humusstoffe.
Auch die für die Technik so bedeutungsvoll gewordenen künst-
lichen Farbstoffe sind aromatische oder sonstige ringförmige Ver-
bindungen. Als Nahrungsstoffe kommen sie nicht in Betracht, sind
vielmehr Gifte^). Sie werden durch organische „Reduktasen" in un-
gefärbte „Leukoprodukte" verwandelt.
Alle diese Veränderungen scheinen auch unter dem Einfluß von
Mikroorganismen zustande zu kommen, die ja den größten Teil der
genannten Stoffe zu ihrer Existenz benutzen können ( § 33). Bei vielen
in der Natur vorkommenden fermentartigen Vorgängen, die wir im
folgenden besprechen werden (§ 156, 157, 162), kann man aber mit
Recht zweifeln, ob sie, wie man früher vielfach angenommen hat, den
Mikroben und nicht vielmehr den Zellen höherer Organismen ihren
Ursprung verdanken. Die oberflächüchen Oxydationen und Reduk-
tionen der Farbstoffe haben zwar für die Ernährung der Eleinwesen
kaum eine Bedeutung, sind aber abgesehen von ihrer theoretischen
Wichtigkeit für die Differentialdiagnostik der Bakterien von einem
gewissen Wert.
§ 154. Hef e-Emulsin. Nach Laurent^) vermag sich die
Bierhefe mit Amygdalin, Salizin, Äskulin, Koniferin, Arbutin und
Saponin, nicht mit Tannin, Gallussäure, Saligenin, Phloridzin, Phenol,
Chinon, Hydrochinon, Pikrinsäure, Benzoesäure, Anilin als einziger
Kohlenstoff quelle zu ernähren. Wenn man berücksichtigt, daß die
erstgenannten Körper sämtlich Glykoside sind und mit Ausnahme
de« Saponins solche Glykoside, die auch vom Mandelemulsin (§ 153)
gespalten werden, so könnte man schließen, daß die Hefe imstande
1) Die tieferen Spaltungen und Oxydationen des Tyrosins und anderer
stickstoffhaltiger aromatischer Kerne bzw. Abkömmlinge des Eiweiß
werden in Kap. IX und X behandelt.
2) Auch die aromatischen Spaltungserzeugnisse der Glykoside sind
übrigens zum Teil Gifte (s. u.).
3) Annal. Pasteur 1880.
456 Kap. VIII, § 1Ö4 u. 155.
sei, dieses Enzym abzusondern. E. Fischer^) hat aber mit Hilfe
eines Auszuges aus getrockneter Hefe nur das Amygdalin spalten können,
und zwar auch nicht so vollkommen, wie durch das Mandelemukin,
sondern nur unvollständig zu Mandelnitrilglykosid und Traubenzucker
Wir könnten daher annehmen, daß die Hefe nur ein emulsinähnUches
l&nzym, das wir in Ermangelung eines besseren Namens Hefeemulsin
nennen wellen, ausscheidet und die übrigen Glykoside unmittelbar
verarbeitet (oxydiert). Indessen haben Henry xmd A u 1 d *) neuer-
dings gezeigt, daß Hefe (und Preßsaft) auch Mandelsäurenitrilglykosid,
femer Salizin, Arbutin u. a. spaltet. E. Fischer hat auch noch
lyeitere Unterschiede zwischen dem gewöhnlichen und dem Hefe-
emulsin gefunden. Von den synthetisch dargestellten optisch sich
verschieden verhaltenden Alkylhexosiden spaltet die Hefe nur die
a-Form, das Mandelemulsin nur die /?-Form.
HCOCH3 CH3OCH
HCOH^ --- . HCOH^
HOCH _- ^ HOCH __
HC HC
HCOH HCOH
CHgOH CHgOH
a-Methylglykosid j9-Methylglykosid
Es ist das wieder ein schönes Beispiel für den Einfluß der
Konfiguration auf den Verlauf der Zersetzungen. Die Sache
wird dadurch noch interessanter, daß die Hefe nur die Glykoside
spaltet, die einen ähnlichen molekularen Bau
haben, wie die Zucker, die sie zu vergären vermag,
nämlich außer dem a-Methyl-d- Glykosid imd dem a-Äthyl-d- Glykosid
(entsprechend der d-Glykose) das «-Methyl- Galaktosid (d- Galaktose)
imd Methylfruktosid (Fruktose), nicht dagegen die Glykoside der
1-Glykose, Xylose, Arabinose, Rhamnose, Sorbose. Damit aber auch
diese Regel eine Ausnahme hat, wurde festgestellt, daß die Methyl-
d-Mannose, also das Glykosid eines gut vergärbaren Zuckers, weder
von der Hefe noch vom Mandelemulsin angegriffen wird.
1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 1898.
2) Proceed. Roy. Soc. 76, 1903.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen- Körper. 457
Da derselbe Hefeauszug, der die Glykoside spaltet, auch die Mal-
tose hj^olysiert, halten Fischer und ebenso Pottevin^) die
Hefemaltase für identisch mitdem Hefeemulsin^).
Ein strenger Beweis dafür ist nicht geliefert, vorläufig ist es wohl besser,
die Trennung aufrecht zu halten. Vorsicht lehrt auch das Verhältnis,
in dem das Mandelemulsin zur Laktase steht. Man könnte glauben,
daß das Emulsin selbst die Laktose spalte, weil der Mandelauszug es
tut. Bourquelot und Herissey^) haben aber gezeigt, daß das
Schimmelpilzemulsin (§ 155) Laktose unberührt läßt. Im Mandel-
auszug wäre also wohl Emulsin neben Laktase vorhanden.
Der laktasehaltige Auszug der Milchzuckerhefe (§ 82)
ist ohne Wirkung auf die natürlichen Glykoside, greift aber /9-Methyl-
galaktosid und -äthyl- und -phenylgalaktosid ebenso an^) wie die
Laktase der Mandel, man könnte sie also vielleicht mit letzterer identi-
fizieren.
Bemerkenswert ist, daß Hefeemulsin (vgl. Maltase § 79) nach
Emmerling^) imstande ist, aus Mandelnitrilglykosid und Glykose
Amygdalin aufzubauen. Es handelt sich also bei der Glykosid-
spaltung um einen umkehrbaren Vorgang (§ 163).
§ 155. Schimmelpilz-Emulsin. Bourquelot®) hat schon
189.3 eine Art Emulsin im Aspergillus niger und G 6 r a r d '') in Peni-
cillium glaucum nachgewiesen. Auch in vielen anderen Pilzen, be-
sonders den holzbewohnenden, kommt es vor®). Es ist aus Asper-
gillus leicht zu gewinnen, wenn man den Pilz auf Raulinscher Lösung
kultiviert und zur Zeit der Sporenreife die Nährlösung durch destil-
liertes Wasser ersetzt. Zum Unterschied von dem Mandelemulsin
(§ 153) spaltet das Pilzemukin auch Populin und Phloridzin, nicht
dagegen die Laktose (§ 154) und das ^-Methyl-d-Galaktosid. Auch
Pottevin hat das bestätigen können, doch fand er, daß der Asper-
gillus niger durch Kultur in Laktose oder i9-Methyl-d-Galaktosid daran
gewöhnt werden kann, beide Körper zu spalten. Das ent-
sprechende Enzym finde sich jedoch nur im Extrakt des Pilzes, wenn
1) Annal. Pasteur 1903.
2) Pottevin nimmt dabei aber an, daß der gewöhnlichen Hefe-
maltase ein anderes Enzym beigemischt sei, das ditö Methyl-Fruktosid
s]>alte, weil die Maltase des Schizosacch. octosxjorus dazu nicht imstande
ist. Wir verweisen auf seine theoretischen Ausführungen.
3) Compt. rend. biol. 1903. 219.
4) E. Fischer und Armstrong, Ber. ehem. Ges. 1902. 3141.
5) Ber. ehem. Ges. 1904. 3810.
6) Compt. rend. biol. 1893. 653.
7) Ebenda 651.
8) Bourquelot und Hörissey, Kochs Jahresber. 1894. 334.
458 Kap. VIII, § 155 u. 156.
man dessen Zellen vorher zerrieben habe. Umgekehrt könne man
durch Züchtmig in a-Methyl-d-Galaktosid den Pilz zur Zersetzung
dieses Körpers erziehen. Im letzteren Fall bliebe er aber imwirksam
auf Laktose und das j9-Galaktosid. Pottevin unterscheidet deshalb
vier Enzyme: das Aspergillusemulsin, das er mit dem der Mandehi
identifiziert, die Maltase (= Hefeemulsin § 154), die /3-Laktase, die er
der Laktase der Milchzuckerhefen und der Mandeln gleichstellt, und
die a-Laktase. Je nachdem dem Pilz dieser oder jener
Nahrungsstoff geboten werde, passe er sich ihm
an durch Erzeugung dernötigen Enzyme. Das letzte
Wort in dieser Angelegenheit, namentlich was die Identifizierung der
Enzyme verschiedener Organismen angeht, ist noch nicht gesprochen,
da genauere Vergleiche über ihre Eigenschaften, z. B. ihre Widerstands-
fähigkeit gegenüber der Wärme, fehlen und Trennungsversuche doch
vielleicht noch Erfolg haben. Das Bestreben, die Forderungen einer
Lieblingstheorie erfüllt zu sehen, führt manchmal auf Abwege.
Nach Brunstein ^) und Schäffer^) bilden die meisten
Schimmelpilze außer emulsinähnlichen Enzjrmen auch solche, die
Saponin, Glykjnrhizin, vielleicht auch mjnronsaures Kali^) zersetzen,
nach Behrens^) spalten sie auch Querzitrin.
Unerwartet, aber von anderen Forschern noch nicht bestätigt, ist
nach Puriewitsch^) das Verhalten der Schimmelpilze gegen das
Amygdalin. Während die Auszüge aus ihren Zellen dieses Gly-
kosid wie das Mandelemulsin zu Glykose, Benzaldehyd und Blausäure
spalten (S. 454), entstehen diese Körper nicht in den lebenden Pilz-
kulturen, obwohl auch hier der Amygdalingehalt allmählich abnimmt.
Vielleicht entsteht dabei zunächst, wie durch Kochen mit Alkalien,
unter Abspaltung von Ammoniak Amygdalinsäure und aus letzterer
wieder, wie durch Kochen mit Säuren, Glykose und Mandelsäure.
In ähnlicher Weise verbraucht nach demselben Verfasser*) der Asper-
gillus niger das Helizin, ohne es, wie das Emulsin, in Salizylaldehyd
und Zucker zu spalten ; so kommt es, daß dieser Pilz auch nicht durch
hohe Helizingaben in seinem Wachstum geschädigt wird, während die
anderen Arten, wie z. B. Penicillium, die antiseptische Wirkung des
Salizylaldehyds erfahren. In dünnen Lösungen können auch sie freilich
diesen Widerstand überwinden, indem sie das schädliche Spaltungs-
1) Beiheft z. bot. Zentralbl. 1901. 1.
2) Di88ort. Erlangen 1901.
3) S. aber unten S. 461 bei Senfgärung.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 577.
ö) Ber. bot. Ges. 1898. 368.
6) Jahrb. wiss. Bot. 40. 1904.
Wandlangen der Glykoside ii. curomatischen Körper. 459
Produkt oxydieren. Dabei entsteht in diesem Falle vorübergehend
Salizylsäure, ebenso bei der Oxydation des schädlichen Hydrochinons
(aus dem Arbutin) Chinon. Wir kommen weiter miten bei den Bakterien
auf diese Oxydationen, die zum Teil unter Farbstoffbildung
verlaufen, zurück. Dahin gehören auch die braunen Färbungen, die
die Pilze der Obstfäulnis (Oidium fructigenum, Botrytis cinerea) in dem
morschen Gewebe erzeugen. Ob dabei isolierbare Oxydasen (§ 159)
ms Spiel treten, ist vorläufig noch zweifelhaft (Behrens).
§ 156. Zersetzungen von Glykosiden durch Bakterien^).
Farbgärungen. Nachdem schon früher gefunden war, daß Amyg-
dalin bei der Fäulnis gespalten wird, haben F e r m i und Monte-
s a n o ') eine große Reihe von Bakterien daraufhin systematisch unter-
sucht. Von den bekannten zeigten sich nur einige Rassen des Bact.
coli und der Vibrio Metschnikoff zu der Spaltung befähigt und auch nicht
auf allen N^lhrböden, z. B. nicht bei Gegenwart von Zucker. Ein Enzym
konnten sie nicht isolieren. Gonnermann^) fand die von ihm
isolierten Colistämme ohne Wirkung auf Amygdalin und Arbutin, da-
gegen zwei andere Darmbakterien wirksam. Nach ihm imd G 6 r a r d
würde sich die Giftigkeit des Amygdalins nach Aufnahme durch den
Mund durch die Wirkung der Darmbakterien erklären. 49 verschiedene
Glykoside prüfte T w o r t *) gegenüber der Coligruppe und sah am
häufigsten verändert das Iridin und Senegin, dann das Euonymin,
Salizin, Arbutin, Koniferin, selten das Amygdalin und Saponin, niemals
Eonvolvulin, Zyklamin, Jalapin. Zur Differentialdiagnose ist das
Verhalten wohl deshalb nicht geeignet, weil leicht Anpassungen
stattfinden (s. o. S. 457). Zur Trennimg verwandter Bakterien empfiehlt
dagegen van der Leck^) besonders die beiden Glykoside Äskulin
und Indikan. Sie werden z. B. von dem Coli- und Aerogenesbazillus,
sowie dem Bac. acidoaromaticus zersetzt, nicht von dem Bac. aroma-
ticus. Die Fähigkeit zur Zersetzung des I n d i k a n s durch Bakterien
hatte schon A 1 v a r e z bei dem Bac. indigogenus und den ihm nahe-
stehenden Bac. pneumoniae und rhinoscleromatis gefunden. Nach
M o 1 i s c h •) besitzen sie sogar außer Schimmelpilzen (Penicillium,
Mueor) und dem Bact. coli der Bac. anthracis, prodigiosus, die Sarcina
lutea und Cladothrix dichotoma. Beiierinck*^) schreibt Indikan-
1) Vgl. auch § 112.
2) Zentr. Bakt. 15. 722, 1894.
3) Pflügers Arch. 113, 1906.
4) Proceed. Roy. See. 79. 329.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 486 und 654, 1907.
6) Ktzmigsber. Akad.Wisa.Wien. Naturw. Kl., 1898, 107. Bd. 1. Abt.787.
7) Akad. Wetensch. Amsterdam 31. 3. 1900 und Zentr. Bakt. 2. Abt.
6. 199, 1900.
460 Kap. VIII, § 166.
Zersetzung allen Mitgliedern seiner Gruppe „Aerobacter" mit Aus-
nahme des B. coli zu und betrachtet sie als einen „katabolischen", d. h.
nicht durch ein isolierbares Enzym oder tote Bakterien verursachten
Vorgang. Ähnlich sollen sich Saccharomyces Ludwigii und Monilia
Candida verhalten, während gewisse Rassen des Bac. radicicola, der
(lange) Milchsäurebazillus der Brennereimaischen und viele andere
Hefen und Schimmelpilze Indikan spaltende Enzyme (Indoxylasen,
Indiemulsin) bilden. Wenn man die Fähigkeit zur Indikanzersetzung
nachweisen will, darf man sich übrigens nicht damit begnügen, die
Bakterien auf beliebigen Nährböden zu züchten, sondern kultiviert
am besten in einer Abkochimg der Indigopflanzen selbst (M o 1 i s c h ^)).
A 1 V a r e z hatte geglaubt, seinen Bazillus für die natürliche bzw.
gewerbliche Indigogärung verantwortlich machen zu dürfen.
Das wurde aber zweifelhaft, als van Lookeren-Gampagne^)
in den Indigopflanzen selbst ein Enzjon nachwies, das noch bei 55^
oder bei Zusatz von 2,5% Karbolsäure und 1 Voo Sublimat die Spaltung
des Indikans bewirkte. Breaudat^), Molisch und B e i j e -
r i n c k bestätigten das und machten es wahrscheinlich, daß bei der
Indigogärung die Bakterien wirklich keine wesentliche Rolle spielen,
ja, sie durch nebenher laufende andere Gärungen geradezu stören
können. Die Indikanspaltung erfolgt in allen Fällen nach der Formel:
C„Hi,NO, + H^O = CeH,,0, + CeH,<^^^VcH
Indikan Traubenzucker Indoxyl.
Das lösliche Indoxyl (Indigweiß) oxydiert sich dann an der Luft zu
zu dem unlöslichen Indigotin (Indigblau). Eine „Oxydase" scheint
dazu nicht nötig zu sein, obwohl vanLookerensiein den Indigo-
pflanzen gefimden haben wollte. Im Waid (Isatis tinctoria) wird das
Indikan nach Beijerinck*) durch Isatan ersetzt und aus diesem
letzteren, ebenfalls durch ein in der Pflanze enthaltenes (unlösliches)
Enzym, die „Isatase", Indoxyl gebildet. Bakterien sind dazu nicht
imstande. Die Indiemulsine der einzelnen Pflanzen und Pilze unter-
scheiden sich nach Beijerinck durch ihre ungleiche Widerstands-
fähigkeit gegen Erhitzung. Bei 6P wird das Indigoferaenzym, bei 44®
das des Saccharom. sphaericus, bei 42° das des Polygonum tinctorium
vernichtet. Etwas saure Reaktion begünstigt die Spaltung.
1) Zur Technik vgl. van der Leck.
2) Landwirtßch. Versuchsstation. 48, 1894.
3) Compt. rend. ac. sc. 127. 769, 1898.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 7. 156.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 461.
Eine andere Farbstoff gämng, bei der das Erjrthrin der Orseille-
Flechten (Roccella tinetoria u. a.) in Orzellinsäure, Kohlensäure, Orzin
und den vierwertigen Alkohol Erythrit gespalten wird, kann nach Cza-
pek*) ebenfalls durch Bakterien hervorgerufen werden. Ob hier wie
in anderen Fällen, so bei der L a k m u s - und Erappgärung,
die Bakterien auch unter natürlichen Verhältnissen die wesentliche
Rolle spielen, bleibt vorläufig noch unentschieden.
Wenig wahrscheinlich ist die Beteiligung von Mikroorganismen
bei der Entstehung des S e n f ö 1 s aus Sinigrin (myronsaurem Kali),
weil das Senföl außerordentlich stark antiseptisch wirkt und in dem
Senfsamen selbst genug Enzym vorhanden ist. Das hindert nicht,
daß in der ersten Zeit der Senfgärung, d. h. vor der Entstehung des
Senföls, große Mengen von Pilzen und Bakterien dabei vorkommen
und Nebengärungen verursachen^).
Eine solche nur vorbereitende Tätigkeit schreibt L ö w ^) auch
den Hefen und Bakterien zu bei der Kakao- und Kaffeegärung.
Die durch sie hervorgerufene Alkohol- und Essigsäuregärung soll nur
dazu dienen, die schleimige Hülle der Samenkapseln zu lockern und
zu zerstören, Aroma und Farbstoff würden aber, um von dem Koffein
usw. gar nicht zu reden, durch Fermente der Pflanze selbst geliefert*).
Dasselbe gilt wohl für die Kola-, Tee- und Vanille-
g ä r u n g ^) , sowie für die Entstehung von vielen Riechstoffen in
Obstsäften, Blüten usw. Daß aber auch die Bakterien und Pilze guten
und schlechten Geruch erzeugen können, ist sicher. Der Einfluß der
Hefeart auf das Bukett des Weins ist ein schon erwähntes Beispiel
dafür (§ 90 u. 95). Die Entstehung dieser Aromas ist freilich bisher
nur wenig aufgeklärt. Manche gehören überhaupt nicht hierher. Ob-
wohl es sich z. B. bei der Fäulnis sicher um aromatische Stoffe handelt,
gehen sie nicht aus Glykosiden hervor, sondern aus dem Abbau des
Eiweißes. Femer sind die Fuselöle und das Aroma des Bac. prae-
pollens gar keine aromatischen, sondern aliphatische Verbindungen.
Wir kommen darauf an anderer Stelle zurück (§ 173).
Wenn wir nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür haben, daß
die in Kakao, Kaffee, Tee usw. enthaltenen Purin basen durch bak-
terielle Spaltung von Glykosiden entstehen, ja, deren Herkimft aus
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 49, 1898.
2) Kossowicz» Zeit«chr. landwirtsch. Versuchs wesen in Öster-
reich 1906 und 1906.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 21. 533, 1908.
4) Vgl. Schweitzer, Pharmaz. Zeitg. 1898.
5) S. bei Behrens in Lafars Handb. 1. 664 ff.
462 Kap. VIII, § 166 ii. 157.
Glykosiden überhaupt zweifelhaft ist^), so kommen derartige Beziehun-
gen bei den eigentlichen Alkaloiden (Pyridin- und Chinolinbasen)
gar nicht in Betracht. Allerdings kennen wir auch eine Opium-
g ä r u n g. Sie dient aber nur zur Herstellung des zum Rauchen dienen-
den Opiums und läßt nach Calmette^) die Alkaloide unberührt,
während sie die 6erbstoffe(§ 158) angreift. Hauptsächlich soll da-
bei der Aspergillus niger beteiligt sein. Die Tabakgärung hat, wie wir
gleich sehen werden, auch mit der Bildung des Nikotins nichts zu tun,
führt aber zu dessen teilweisem Verbrauch. Alkaloidartige Stoffe ent-
stehen dagegen vielfach bei der Fäulnis des Eiweißes (§ 170, vgl.
auch Ptomaine § 259).
§ 157. Tabaksfermentation, Selbsterhitzung des Heus
und anderer Pflanzeiistoffe. Bei der Tabakbereitung werden die
getrockneten Blätter in großen Haufen zusammengeschichtet und unter-
liegen einer mit starker Temperaturerhöhung verbundenen Veränderung,
die man mit den Gärungen auf eine Stufe gestellt hat. Nach Beh-
rens^) findet dabei außer einer Veredelung des Aussehens und Aromas
ein Verlust von 4 — 5% an Trockensubstanz statt, die in erster linie
Kohlenhydrate und nicht flüchtige organische Säuren, Salpetersäure,
Asparagin, dann aber auch das Nikotin betrifft. Der Gehalt an
flüchtigen Säuren steigt, Ammoniak wird nicht gebildet. Behrens
selbst sieht als Ursache der Gärimg, wie schon vor ihm S u c h s -
land^) und nach ihm Vernhout^) und Koning*), Mikro-
organismen an. Die Versuche mit Reinkulturen hatten aber sehr un-
gleiche Ergebnisse und widerlegten selbstverständlich nicht die zweite
Möglichkeit, daß die Gärung wesentlich durch Fermente der Pflanzen
selbst verursacht würde. Nach L o e w ") spräche sogar das Mißver-
hältnis zwischen der Zahl der gefundenen Keime und der Energie der
Gärimg, femer der geringe Wassergehalt des fermentierenden Tabaks
gegen die Keimtheorie. Einen unmittelbaren Beweis für die Fennent-
theorie sieht er darin, daß es ihm gelang, aus Tabaksblättem eine Oxy-
dase, Peroxydase und Katalase (s. u. § 160) zu gewinnen. Behrens®)
erhob schon Bedenken gegen deren Bedeutung. Neuerdings verstärkte
1) S. bei B e h r e n 8 a. a. O. und Czapek, Biochemie der Pflanzen
2. Bd. 1905. Über Zersetzung der Purinbasen vgl. § 193.
2) Rovue seientifique vom 27. II. 1892 (Kochs Jahresber.).
3) Landwirtsch. Versuchsstation. 43, 1893.
4) Ber. D. bot. Ges. 1891 und bei Behrens in Lafars Handb.
5. 8 sowie in Kochs Jaliresber.
5) Ebenda (Behrens).
6) Ebenda.
7) Zentr. Bakt. 2. Abt. 6. 108 und 590 und 7. 674, 1901.
8) Zentr. Bakt. 2. Abt. 7. 1.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 463
0. Jensen^) diese durch die Beobachtung, daß nicht nur einfache
Erhitzung in stTÖmendem Wasserdampf dem Tabak die Eigenschaften
des fermentierten verleihe, sondern auch die „Gärung" durch Behand-
lung der Blätter mit Sublimat, Chloroform und Formaldehyd nicht
verhindert werde. Freilich sprechen diese Tatsachen auch gegen die
Beteiligung von Mikroorganismen. Wenn sie zu recht bestehen, d. h.
wenn wirklich durch diese Bearbeitimg Leben und Enzymwirkung
ausgeschlossen ist, bleibt jedoch unklar, worauf denn nun eigentlich
der Vorgang der Gärung zurückzuführen ist.
Mehr' Klarheit herrscht über die Ursachen der imter ähnlichen
Erscheinungen verlaufenden Gärung, die in zusanmiengepacktem Heu
entsteht. Die Selbsterhitzung kann dabei Temperaturgrade
bis zu 90" erreichen, ja, zur Selbstentzündung führen. Daß
man die Veränderungen im gegorenen Heu auch auf rein chemischem
Wege, d. h. bei Ausschluß von Bakterien und Enzymen erzielen kann,
zeigten Boekhout und OttdeVries^) zunächst durch längeres
Erhitzen des Heus auf 100® unter Sauerstoffzufuhr, M i e h e ^) fand
aber, daß imter natürlichen Bedingimgen die Tätigkeit der Keime
wahrscheinlich die Hauptbedeutung hat, denn sterilisiertes Heu ist
zur Gärung unfähig, vergärt aber nach Beimpfung mit einer Mischimg
von Bac. coli, Oidium lactis und Bac. calfactor, einem neuen Bakterium,
das zwischen 30 — 70® und vielleicht noch höher hinauf gedeiht. Völliger
•Sauerabschluß verhindert die Gärung. Thermophile Pilze und
Strahlenpilze bilden einen Nebenbefund (§ 42).
Auch andere Pflanzenstoffe unterliegen bei Zusammenhäufung der
Selbsterhitzung, z. B. frisches Gerstenmalz*), BaumwoUabfälle^),
Hopfen*), frische Tabakblätter, Äpfel, Zitronen usw. Aber nur zum
Teil ist es wahrscheinlich gemacht worden, daß Pilze und Bakterien
die Ursache davon sind, zum Teil sind es wohl die in den überlebenden
Pflanzenteilen sich noch fortsetzenden enzymatischen Prozesse, seien
es nun anaerobe Spaltungen (§ 85 u. 101) oder Oxydationen. Jeden-
falls lassen sich die höchsten Temperaturgrade und die gelegent-
lich beobachtete Selbstentzündung nicht allein durch die Tätigkeit
der Mikroorganismen erklären, führen sie doch häufig zur Selbststerili-
sierung des Materials; man ist vielmehr genötigt, andere Vorgänge
1) Zentr. Bakt. 21. 469, 1908.
2) Ebenda 12, 15 und 21.
3) Selbsterhitzung des Heus, 1907, ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 20. 295.
4) F. Cohn, Kochs Jahresber. 1890. 40 und 1893. 81.
5) Ebenda.
6) Behrens, Woch. f. Brauerei 1896 und Lafars Handb. 1.
608 ff.
464 Kap. VIII, § 157— 158a.
daneben noch anzunehmen. Ranke, Wohltmann und zuletzt
Hoffmann ^) haben gefunden, daß z. B. durch trockene Destilla-
tion bei 250 — 300® Heu, Kleie ußw. sich in eine bei gewöhnlichen Tem-
peraturen an der Luft entzündliche Masse verwandeln. Ähnliche Ver-
änderungen werden wohl auch bei den genannten „Gärungen "stattfinden.
§ 158. Veränderungen der Gerb- und Knmusstoffo.
Seitdem Scheele 1786 beobachtet hatte, daß Galläpfel bei der Fäulnis
an offener Luft Gallussäure abschieden, versuchte man ihr Entstehen
aus dem „Gerbstoff" auf verschiedene Weise, sei es durch Oxydation,
sei es durch fermentative Spaltung zu erklären. Schon L a r o q u e ,
namentlich aber van Tieghem^) führten den Prozeßjauf die Wir-
kung von organischen Fermenten, und zwar von Schimmelpilzen
(Aspergillus niger und Penicillium glaucum) zurück, Fernbach')
zog dann aus Pilzrasen, die er auf Tanninlösung gezüchtet hatte, ein
Enzym, die „Tannase**, aus, das durch Niederschlagen mit Alkohol ge-
reinigt werden konnte und die Spaltimg des Gerbstoffs wie der lebende
Pilz vollzog. Der letztere sollte ein Glykosid sein, das Traubenzucker
und Gallussäure in verschiedenem Verhältnis gebunden enthält und
durch Einführung von Wasser in beide Körper zerfällt^). Z. B. würde
sich nach der ältesten von P e 1 o u z e und L i e b i g gegebenen Formel
des Tannins die Spaltung wie folgt vollziehen:
3Ci«HieOi2 + 6H2O = 6C7HA + 2CeHi20e.
Faßte man dagegen das gereinigte Tannin des Handels als Digallus-
säure^) auf, so verliefe nach Pottevin®) die Spaltung durch das
Enzym nach der Gleichung:
^14^1009 + HgO = 2C7Hg05.
Das stimmt aber wieder nicht mit dem von M a n e a ^) gelieferten
Nachweis, daß die synthetisch dargestellte Digallussäure durch die
Schimmelpilze nicht gespalten wird, vielmehr für sie ein Antisepti-
kum ist. Wie die Dinge wirklich liegen, ist also vorläufig nicht zu sagen.
Die günstigste Temperatur für die Wirkung des Enzyms liegt sehr hoch,
nämlich bei 67° C. Es wird nur bei Kultur auf Tannin gebildet.
1) Woch. Brauerei 1897. 437 (bei Behrens).
2) Annal. scienc. natur. Botanique, 1868.
3) Compt. rend. ac. sc. 131. 1214, 1900.
4) Strecker, Liebigs Annal. 81 und 90; Kunz-Krause,
Pharmazeut. Zentralhalle 1898 und Chem. Zeitung 1904. 942.
5) S. z. B. N i e r e n 8 t e i n , Ber. ehem. Ges. 1905. 3641 ; 1907. 916.
6) Compt. rend. 131. 1215 und 132. 704, 1901.
7) These de G e n e v o , 1904 bei Behrens in Lafars Handb.
1. 662.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 465
Nicht nur der Zucker, sondern ebenso die Gallussäure dienen den
Schimmelpilzen nach vollzogener Spaltung zur Nahrung, und zwar
so vollständig, daß die Klzemte 25 — 30% des Tanningewichts erreichen
kann. Vielleicht spielt die Tannase auch eine Bolle bei der Opium-
gärung (s. o. S. 462).
Die Grerbstoffe sind im Pflanzenreich allgemein verbreitet und
werden in weit beträchtlicheren Mengen gebildet als die Glykoside.
8ie sind in der Regel viel weniger zersetzlich als das Tannin der Gall-
äpfel, ja sie gehören z. T. geradezu zu denjenigen organischen Körpern,
die von den Mikroorganismen sowohl wie von atmosphärischen Kräften
am schwierigsten angegriffen werden. Wahrscheinlich liegt das daran,
daß die ursprünglichen Gerbsäuren durch Wasserentziehung in die
sogenannten „Grerbstoffrote" oder „Phlobaphene" übergehen. Ebenso
widerstandsfähig sind die aus aromatischen Substanzen durch Oxyda-
tion hervorgehenden, in § 153 erwähnten dunklen Farbstoffe („Mela-
nine**) und die beiden Gruppen vielleicht verwandten Huminsub-
stanzen, die bei der Verwesung pflanzlicher Stoffe im Boden ent-
stehen (§ 118). Nach Reinitzer und Nikitinsky vermögen
Mikroorganismen zwar den spärlichen Stickstoff der letzteren zu ihrer
Ernährung zu benutzen (S. 112), aber nicht den Kohlenstoff (S. 118).
Immerhin steigern sie nach Nikitinsky die schon ohne Mitwirkung
von Keimen unter Kohlensäureabspaltung stattfindende Oxydation der
Huminstoffe in erheblichem Grade, so daß man eine sehr langsame
Zersetzung durch sie annehmen darf. Unter Umständen, wie z. B.
im Torf, wird die Zersetzung aber durch die Gegenwart antiseptischer
Stoffe bzw. Säuren noch behindert werden.
§ 158 a. Veränderungen von aromatischen Holzbestand-
teilen durch Pilze. Der Zersetzung besonders durch Pilze zugäng-
lich sind gewisse, wie die Gerbstoffe den aromatischen Substanzen mehr
oder weniger nahestehende Bestandteile des Holzes, das Hadromal und
Lignin. Das erstere ist nach Czapek^) ein aromatischer Aldehyd, der
mit Zellulose zu einem Äther verbunden ist und aus ihm durch ein Enzym
holzzerstörender Pilze (Merulius lacrymans, Pleurotus pulmonarius),
die „Hadromase'^ abgespalten wird. Das Hadromal selbst wird
dabei nicht angegriffen, aber die Zellulose durch das entsprechende
Enzym, die Zellulase (Zytase § 76), imd auch das Lignin (Lignin-
säure^)), zersetzt. Andere Pilze, z. B. Trametes pini, lassen wieder
die Zellulose mindestens zum Teil unberührt und verbrauchen bloß
den letztgenannten kohlenstoff- und sauerstoffreichen „inkrustieren-
1) Ber. deutsch, bot. Ges. 1899. 166.
2) Empirische Formel CtoHnOg vgl. Czapek, Biochemie 1. 566.
Kr ose, Mikrobiologie. 30
466 Kap. VIII, § 158a u. 159.
den'' Bestandteil des Holzes, so daß das Bild des zerfressenen Holzes
an künstlich durch die Schulze sehe Mazerationsflüssigkeit vom
Lignin befreites Holz erinnert (H a r t i g ^)). Wieder andere zerstören
nur die wenig verholzte, nicht mit Lignin imprägnierte Zellulose.
§ 159. Oxydasen. Sind die eben beschriebenen Veränderungen,
soweit sie überhaupt auf Wirkungen von Kleinwesen zurückführen,
verwickelter Art, so gehören andere in das Gebiet der Oxydationen.
Daß Glykoside und aromatische Stoffe von lebenden Pilzen und Bak-
terien mit oder auch ohne vorhergehende Spaltung vollständig ver-
braucht werden können, folgt aus den Ernährungsversuchen mit ihnen
(§ 33). Daneben kennt man aber eine Reihe von Oxydationen, die
unvollständig bleiben. Sie zeichnen sich gewöhnlich dadurch aus,
daß dunkle Farbstoffe dabei gebildet werden, und werden, seit
der Entdeckimg der pflanzlichen und tierischen „Oxydasen", gern auf
solche Enzyme zurückgeführt^). Man unterscheidet die direkten oder
eigentlichen Oxydasen, die freien Sauerstoff zur Oxydation benutzen
können, von den indirekten oder „Peroxydasen", die den Sauerstoff
Peroxyden, wie z. B. HgOg entnehmen. C h o d a t und Bach')
nehmen an, daß die Oxydasen zusammengesetzt seien aus „Oxy-
genasen", die selbst eine Art organischer Peroxyde*) seien und „Per-
oxydasen", die aus ihnen den Sauerstoff übertragen sollen. Sie wären
durch fraktionierte Fällung mit Alkohol zu trennen, aber wirkten allein
fast gar nicht. Die Peroxydase könnte dabei durch Mangansalze er-
setzt werden. Deren Bedeutung für die Oxydation war schon durch
Bertrand erkannt worden. Nach anderen sollen auch Eisen-
und andere Salze als „Kofermente" eine Rolle spielen. Manche Stoffe,
die „Ozonide" Bourquelots, wie z. B. das Chinon, sollen schließ-
lich noch durch ihren Ozongehalt Sauerstoff übertragen.
Die enzymatische Natur der Oxydasen wird übrigens von ver-
schiedenen Seiten bestritten. In der Tat trifft für sie nach Bach
und C h o d a t ^) selbst die sonst gültige Regel nicht zu, daß kleine
Mengen Enzym große Stoffmengen verändern, vielmehr werden die
Peroxydasen schnell verbraucht.
1) Zersetzungserscheinungen des Holzes usw. 1878, vgl. über diese
und andere Holzzerstörungen auch Tubeuf in Lafars Handb. 3. 392
oder „Pflanzenkrankheiten", 1895.
2) Vgl. Literatur bei Oppenheimer, Fermente, 2. Aufl., 1903,
S. 346, Czapek, Biochemie der Pflanzen 2. 464, Behrens in Lafars
Handb. 1, 668.
3) Ber. d. ehem. Ges. 1903. 606 und 1904. Biochem. Zentr. 1903.
11/12.
4) Ber. ehem. Ges. 1904. 1342 und 2434.
5) Vgl. Amn. 2.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 467
Nichts wesentliches mit den oxydierenden Enzymen zu tun hat die
..Katalase'^ die Wasserstoffsuperoxyd in Wasserstoff und molekularen
Sauerstoff spaltet, also nicht auf andere Körper oxydierend wirkt
(s. u. § 160).
Die Zahl der beschriebenen Oxydasen ist sehr groß und würde
wohl noch größer sein, wenn man nicht hauptsächlich bestimmte Farb-
reaktionen als Kennzeichen der oxydierenden Kraft benutzt hätte.
Mikroorganismen sind bisher noch nicht systematisch genug auf
Oxydasen geprüft worden. Für die meisten Reaktionen liegen nur ver-
einzelte Angaben vor. So gibt die Hefe nach G r ü ß ^) nicht die
Schönbein sehe Guajakreaktion, enthält also nicht die von Ber-
trand*) genauer studierte, im Pflanzenreich und bei den Hutpilzen
weit verbreitete „Lakkase'*. Wohl bläut sie Tetramethylparaphenyl-
endiamin (W u r s t e r ). Auch I s s a j e w ^) sah in Glyzerinauszügen
von Hefe die gleiche Reaktion wie Grüß und außerdem die I n d o -
phenolreaktion, glaubt aber auch das Ausbleiben der Guajak-
reaktion wie die beobachteten Unregelmäßigkeiten auf das gleichzeitige
Vorhandensein eines „Reduktionskörpers"*) beziehen zu müssen. Der
Oxydationsvorgang wurde auch durch Feststellung der Sauerstoff-
absorption und Abgabe von Kohlensäure nachgewiesen. Schon in den
Auszügen allein ließ er sich verfolgen, in der Tat spricht schon die
Bräunung des Hefepreßsaftes (E. B u c h n e r) für die Gegenwart
autooxydabler Körper und einer Oxydase. Zusätze von Hydrochinon,
Pyrogallussäure, Amidophenol verstärkten die Oxydation. Die Oxydase
ließ sich durch Alkohol ausfällen.
Viele daraufhin geprüfte Schimmelpilze reagieren nach
Schäffer^) nicht auf Guajakol allein, wohl mit Wasserstoffsuper-
oxyd zusammen, enthalten also wohl nur eine Peroxydase (s. o.).
Mittelst Neutralrots gelang allerdings P 1 a t o und G u t h ^) eine
intravitale Färbung von Körnern bei saprophytischen und parasitischen
»Schimmelpilzen. Auch lebende Bakterien der verschiedensten Art
gaben mit diesem Farbstoff sowie nach Dietrich und Lieber-
m e i 8 1 e r ') mit einer Mischung von Dimethylparaphenylendiamin
und a-Naphthol eine Kömchenfärbung. Diese ist aber als Fettreaktion
erkannt worden (§ 22).
1) Wochenschr. Brauerei 1901. 310 ff.
2) Compt. rend. ac. sc. 118—123, 1894—1897. Vgl. oben § 153.
3) Zeitschr. physiol. Chem. 42. 137, 1904.
4) Vgl. unt«r Reduktasen § 161.
5) Erlanger phil. Dissert. 1901.
6) Zeitschr. f. Hyg. 38, 1901.
7) Zentr. Bakt. 32. 858, 1902.
30*
468 Kap. VIII, § 159.
Eine kochfeste, also von der Lakkase verschiedene Oxydase fanden
Henneberg und W i 1 k e ^) mittelst der Blaufärbung durch Guajak-
tinktur bei Essigbakterien. Wie die Lakkase färbt nach
G. R o u X 2) das Bact. coli Hydrochinon braun und einen in den
Artischocken enthaltenen farblosen Körper grün. Eine Identifizierung
mit der Lakkase des Lackbaumes und der Hutpilze (s. o.) wäre natür-
lich erst möglich, wenn auch deren übrige Reaktionen, d. h. die
Oxydation des Anilins und Toluidins, Besorzins, Pyrogallols, der
Kresole, des Guajakols und Guajakharzes, Eugenols, a-Naphthols
usw. zuträfen. Besser unterrichtet ist man über das Vorkommen
der ebenfalls von Bertrand zunächst aus Hutpilzen dargestellten
Tyrosinase. Allerdings hat man auch hier nur wieder die Reak-
tion auf Tyrosin, nicht auf die übrigen oxydierbaren Stoffe (Kresole,
Phenole usw.^)) studiert. Vereinzelte Angaben über die Braunfärbnng
von tyrosinhaltigen Nährböden finden wir bei Beijerinck*),
Gessard^), van der Lee k®) betreffend die Streptothrix (Actino-
myces) chromogena, eine „melanogene" Varietät des Pyocyanens
(§ 253), den Bac. tyrosinaticus und acido-aromaticus. Mit fast voll-
ständig negativen Ergebnissen untersuchte Carbone'') daraufhin
eine große Reihe von Bakterien, K. B. Lehmann und S a n o ^)
fanden aber wenigstens drei Arten: außer der Actinomyces chromo-
genes das Bact. (fluorescens) putidum imd phosjporescens. Alle drei
färbten die Nährböden zuerst braun, dann schwarz, und zwar gleich-
gültig, ob Zucker neben dem Tyrosin vorhanden war oder nicht. Die
ersten beiden Mikroben taten das auch in eiweißhaltigen Nährböden
ohne Tyrosinzusatz; offenbar vermögen sie selbst Tyrosin zu bilden.
Der Phosphorescens war dazu nicht imstande, obwohl er die Platten
verflüssigte, andere phosphoreszierende Bakterien gaben überhaupt
keine Färbung. Die Versuche, Tyrosinase aus den Kulturen zu ge-
winnen, schlugen ebenso wie bei Gessard fehl®). Auch bei Chloro-
formzusatz zu den Kulturen blieb die Pärbimg aus. Versuche mit
Preßsaft wurden allerdings nicht gemacht, dagegen gelang es mit
1) Ebenda 2. Abt. 9. 726, 1902.
2) Compt. rend. ac. sc. 128. 289, 1899.
3) Compt. rend. ac. sc. 146. 1362, 1907.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 6 und 7, 1900.
5) Annal. Pasteur 1901.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 17. 489 und 654.
7) Ebenda 19. 687.
8) Arch. f. Hyg. 67, 1908.
9) Ob die Chinonbildung, die Beijerinck für den Actinomyces
chromogenes nachgewiesen hat, für den Oxydationsvorgang in Betracht
kommt, wäre noch zu ent8cheiden][^(s. o. S. 466).
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 469
Glyzerin und Wasser, in geringem Grade auch mit den aus wässerigen
Auszügen gewonnenen Alkoholniederschlägen^), eine Botfärbung von
Aloe und eine Blaufärbung von Guajaktinktur (bei Gegenwart
von H2O2) hervorzurufen, also eine „Guajakase"' und „Aloinase^' bei
den drei Stämmen nachzuweisen. Wahrscheinlich ist, daß auch andere
Bakterien, außer den genannten, unter Umständen „intrazellulare^'
Tyrosinase bilden: die Braunfärbung, die in alten Kulturen,
z. B. der Friedländers chen Fneumoniebazillen imd der echten
Dysenteriebazillen (K r u s e), auftritt, spricht dafür.
Der dunkle Farbstoff selbst, der aus dem Tyxosin und anderen
aromatischen Produkten gebildet wird, ist seiner Natur nach noch
nicht bekannt. Man hat ihn mit den tierischen „Melaninen"' auf gleiche
Stnie stellen wollen, aber es scheint sehr fraglich, ob das Zwischen-
produkt, dasbeider„Alkaptonurie''aus demTyrosin entsteht, dieHomo-
gentisinsäure, durch die pflanzliche und mikrobische Tyrosinase ge-
bildet wird^). Man wird übrigens nicht an einfache Oxydationen zu
denken haben, sondern wie bei den Erzeugnissen der Lakkase an Stoffe,
die durch gleichzeitige Kondensation und Oxydation
entstehen').
Auch die Farbveränderungen, die der Wein erleidet
und die manchmal zur Krankheit ausarten, gehören wahrscheinlich
hierher. P a s t e u r hatte schon die grundlegende Beobachtung ge-
macht, daß bei reichlichem Sauerstoffzutritt, z. B. in halbgefüllten
Flaschen, der weiße Wein in wenigen Wochen schon eine dunklere
Farbe bekommt, während der Farbstoff des Rotweins sich nieder-
schlägt und beide gleichzeitig einen anderen Geschmack annehmen
— alles Veränderungen, wie sie im Fasse erst im Laufe von Jahren ein-
treten und den Charakter des alten Weins bedingen. Im Jahre 1894
machte man in Frankreich vielfach die Beobachtung, daß ein ähn-
licher Prozeß den in gewöhnlicher Weise behandelten Wein des Jahres
1893 ergriff und ihn schnell verdarb. Mikroorganismen waren bei dieser
Zersetzung, die man von früher her, wo sie gelegentlich auftrat, unter
dem Namen „casse du vin", in Deutschland als „Rahnwerden" kannte,
nicht nachweisbar. Die Bedeutung des Sauerstoffs für die Verände-
ning war schon längst erkannt worden, aber erst Gouiraud*)
1) Nicht mit den Tonfiltraten.
2) Vgl. £. Schulze und C a s t o r o , Zeitschr. physiol. Chem. 48 ,
IÖO6. E. Schulze ebenda 60. Nach Gonnermann (Pflügers Arch.
123, 1908) entsteht durch Einwirkung der Tyrosinase (aus Rübensäften)
*as Tyroßin Brenzkatechin und aus diesem unter Mitwirkung von Ferro-
salz und Tyrosinase die Farbe.
3) Bertrand, Compt. rend. 137. 1271.
4) Compt. rend. ac. sc. 120. 887, 1895.
470 Kap. Vin, § 169 u. 160.
führte den Nachweis, daß der veränderte Wein durch Chamberknd-
filter filtriert und mit Alkohol versetzt einen Niederschlag liefert, der
in gesundem Wein dieselbe Veränderung bewirkt. Es handelt sich also
um einen enzymatischen Prozeß, um die Wirkung einer „Oenoxydase"
(Cazeneuve ^)). Marchand ^) zeigte, daß dieses Enzym auch
in gesimdem Traubensaft vorkommt, aber in geringerer Menge; die
reichliche Ansammlung des Enzyms ist sehr wahrscheinlich auf Mikro-
organismen zurückzuführen; nach li a b o r d e ^) erzeugt sie ausschließ-
lich die Botrytis cinerea, derselbe Klz, der durch sein Wachs-
tum auf der Traube die Edelfäulnis des Weins verursacht (S. 281).
Aspergillus niger, glaucus, Penicillium imd andere Pilze bilden dies
Enzym nicht. Peglion*) fand es aber auch bei der M o n i 1 i a
fructigena, die der Botrytis sehr nahe steht, wieder. Die Tat-
sache, daß nach der Ernte des Jahres 1900, die sehr unter der Botrytis
zu leiden hatte, die Casse du vin im weitesten Umfange wieder auftrat,
lieferte eine Bestätigung des L a b o r d e sehen Fundes. Caze-
neuve studierte die Eigenschaften der Oenoxydase genauer. Sie
entspricht in ihrer Wirkung auf die verschiedenen aromatischen Körper
der Lakkase Bertrands (s. o.). Die Oenoxydase unterscheidet
sich aber von der Lakkase dadurch, daß sie außer den aromatischen
Körpern auch Alkohol, Äther, ätherische öle und Säuren oxydiert^).
Ein vorzügliches Mittel gegen den Einfluß der Oenoxydase ist die
schweflige Säure, die den Wein ebenso wie Pasteurisierung
schützt.
Das Rahn werden tritt auch in Begleitung einer anderen Krankheit
des Weines, beim „Bitterwerden" der Rotweine (S. 280) als Begleit-
erscheinung auf. Ob die Erreger dieses Zustandes die schon von
P a s t e u r angeschuldigten Bazillen, die sich im Bodensatz solcher
Weine finden, sind, ist mehr als zweifelhaft. Nach den neuen Unter-
suchungen Wortmanns*) wäre es vielmehr wieder die Botrytis
cinerea oder andere von den faulen Beeren auf den Most über-
tragene Schimmelpilze, die durch Oxydation der in den Beeren-
häuten enthaltenen Gerbsäuren die Bitterstoffe erzeugten. Nicht
ausgeschlossen ist es übrigens, daß das Bitterwerden verschiedene
Ursachen hat.
Die Bedeutung der Oxydasen für das Leben der Kleinwesen ist
1) Compt. rend. ac. sc. 124. 406 und 781, 1897.
2) Ebenda 120. 1426 und 121. 502.
3) Ebenda 122. 1074 und 125. 248.
4) Zitiert nach D u c 1 a u x , Microbiol. 4. 581.
5) Die Monilia sitophila Wents (S. 128) erzeugt Tyrosinase.
6) Landwirtsch. Jahrb. 1900.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 471
dunkel, da sie für die Eraftlieferung und das Wachstum kaum in Be-
tracht kommen. Vielleicht dienen sie als Schutzmittel^).
§ IGO. Katalase. Die S. 467 erwähnte Katalase (Low «)) oder
„Superoxydase" (R a u d n i t z ^)) , d. h. das Enzym, das den Wasser-
stoffsuperoxyd und nur diesen — vermuthch nach der Formel
2 H202= 2 HgO + Og — zersetzt, ohne wie die Peroxydasen dabei aktiven
Sauerstoff oder wie die Reduktasen (§ 161) aktiven Wasserstoff (?)
zu entwickeln, bildet eine Art Übergang von den Oxydasen zu den
Reduktasen, weswegen sie hier besprochen werden soll. Früher schrieb
man die Fähigkeit zu dieser Zersetzung allen Fermenten zu. Die Kata-
lasen sind im Pflanzen- und Tiergewebe weit verbreitet*). Angaben
über das Vorkommen der Katalase bei Bakterien finden wir bei 6 o 1 1 -
stein^), Löwenstein •), und namentlich bei D. imd M. Ry-
w o s c h und Jörns. Die Rywoschs') bestimmten die enzyma-
tische Kraft der Bakterien dadurch, daß sie ihre Rasen von Agar-
platten abgewogen (ca. 22 — 66 mg) in eine mit HgOg-Lösimg gefüllte
Flasche brachten, diese mit einem Eudiometer verbanden und nach
6 — 8 Stunden die entwickelte Sauerstoffmenge feststellten. Sie schwankte
je nach der Bakterienart von 7 ccm (auf 1 mg frische Bakterienmasse
berechnet) bis 0,1 ccm und weniger. Bei Anaerobiern (Tetanus, Botu-
linus) war die Zersetzung nur in Spuren nachweisbar, bei den Vibrionen
blieb sie ebenfalls sehr gering, desgleichen bei Typhus-, Paratyphus-
und Pfeiffer sehen Kapselbazillen. Am stärksten war sie bei Orange-
Sarzine und weißer Hefe, von mittlerer Stärke bei Pneumonie-, Ozaena-,
Milzbrand-, Prodigiosus-, Colibazillen, Streptokokken. Meist war schon
in den ersten Stunden die Höhe der Gasentwicklung erreicht. Jörns®)
fand die Katalase auch bei fast allen daraufhin geprüften Bakterien
und Strahlenpilzarten. Unter 90 Arten fehlte sie vollständig nur bei
1) Raeiborski fand in Kulturversuchen mit verschiedenartigen
Keimen keinen Einfluß der Oxydasen (Behrens in Lafars Handb. 1. '
671). Sieber beobachtete allerdings eine sehr kräftige Wirkung der |
Oxydasen tierischer Organe auf Diphtherie- und Tetanusgift (s. § 274).
Nach E f f r o n t soll sich Hefe durch Oxydasebildimg gegen zugesetzten
Formaldehyd schützen, nach G i m el gegen schweflige Säure (vgl. S. 188).
2) Bull. Departm. Agricult. Wctöhington 1900, vgl. Zentr. Bakt.
2. Abt. 10. 177, 1903.
3) Zeitschr. f. Biol. 42. |
4) Vgl. C h o d a t und Bach, Ber. ehem. Ges. 1902 ff. S e n t e r , i
Zeitschr. physik. Chem. 44, 1903.
5) Virchows Arch. 133, 1893.
6) Wien. klin. Woch. 1903. 50.
7) Zentr. Bakt. 44. 295, 1907.
8) Arch. f. Hyg. 67, 1908.
472 Kap. Vm, § 160 u. 161.
den Bact. mallei, alcaligenes, indigoferum und Bac. genicnlatos; dem
Grade nach — gemessen an der Gasentwicklung nach Mischung von
wenigen Kubikzentimetern Bouillonkultur und 1 prozentiger Wasser-
stoffsuperoxydlösung oder durch Rücktitration des unzersetzten HgOg
mit Permanganatlösung — ist sie allerdings sehr verschieden, spärlich
z. B. beim Micr. intracellularis meningitidis, Bac. mycoides, Milz-
brand-, Typhus-, Paratyphus- und Tuberkelbazillus, den meisten
Vibrionen und Strahlenpilzen, besser entwickelt bei Strept. lacticus,
Coli- und Diphtheriebazillus, Actinomyces chromogenes, reichlich bei
Strept. pyogenes, dem Schweineseuche- und Schweinepest-, Proteus-,
Pyocyaneus- und Heubazillus, sehr reichlich beim Prodigiosus und
Pseudotuberkelbazillus. Die Reaktion der Kultur schien keinen Einfluß
zu haben, das Alter der lebenden Kultur auch nicht. Das letztere beeio-
flußt jedoch den Übertritt der Katalase in die Kulturflüssigkeit: in
Filtraten ganz junger Prodigiosuskulturen war die Wirkung gleich Null,
stieg mit dem Alter der Kultur und der Abnahme der lebenden Keime
in ihr, blieb aber auch bei ganz alten Kulturen noch wesentlich hinter
der ganzen Kultur zurück. Jörns spricht daher von einer „Ekto-"
und „Endokatalase". Ähnlich wie Prodigiosus verhält sich der Pyo-
cyaneus, während der Bazillus der Pseudotuberkulose schon nach 3 Tagen
nur Ektokatalase gab. Erhitzimg der ganzen Kultur selbst auf 70"
schien die Katalasewirkung nicht herabzusetzen, wohl wurde die Filtrat-
wirkimg dadurch geschädigt und nach 30 Minuten aufgehoben. Die
Schnelligkeit der Zersetzung ist größer bei 17 als bei 0", aber auch hier
noch erheblich. Alkohol fallt das Enzym und schädigt es in gewissem
Grade.
Die Bestimmung der Katalase in roher Milch kann dazu
benutzt werden, über ihren Bakteriengehalt zu entscheiden, denn nach
S e 1 i g m a n n und S m i d t verdankt die Milch ihre Katalase zum
größten oder wenigstens zum großen Teil Bakterien (vgl. § 162). — Über
das Vorkommen der Katalase bei Pilzen^) ist noch wenig bekannt,
wahrscheinlich ist sie auch bei ihnen ebenso verbreitet wie bei den
Bakterien. So fanden sie Bach und C h o d a t *) im Aspergillus
niger, Saito im Aspergillus oryzae, Loew (s. o.), Issajew')
u. a. in wässerigen und glyzerinigen Auszügen aus Hefe, E. Buchner*)
im Hefepreßsaft. Bei I s s a j e w finden sich auch nähere Angaben
über die Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit der Katalase von
1) Vgl. Wehmer in Lafars Handb. 4. 269.
2) Zeitschr. f. Biol. 42.
3) Zeitschr. f. physiol. Cham. 42, 1904 und 44, 1905.
4) Zymasegäning S. 77.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 473
der Eonzentration des HgOg und des Enzyms, von Salz-, Säure- und
Alkalizusätzen. Säure und Jod zerstören die Hefekatalase.
Die Bedeutung der Katalasen für das Leben ist dunkel. Nach
Low sollen sie dazu dienen, das im Stoffwechsel entstehende schäd-
liche Wasserstof&uperoxyd immer sofort zu zerstören. Jedoch ge-
deihen Schimmelpilze bei 0,68% dieses Stoffes. Oxydasen und Kata-
lasen hemmen sich gegenseitig nicht.
§ 161. Reduktion TOn Farbstoffen. Reduktasen. Die Farb-
stoffe, die fast sämtlich in die Gruppe der aromatischen (bzw. zyklischen)
Substanzen gehören, besitzen für die Mikroorganismen selbst wohl
keine Bedeutung, eine um so größere aber für unsere Kenntnis von ihnen,
und zwar in erster Linie, weil die Bindungen, die sie mit ihnen eingehen,
uns bekanntlich ihren Nachweis bedeutend erleichtern, ja, vielfach
erst ermöglichen. Über diese Farbreaktionen haben wir schon im
Kap. I gesprochen. Hier interessieren uns gewisse Veränderungen
der Farbstoffe durch die Mikroben, die zwar auch für die Diagnostik
Wert haben, vor allem aber auf die Stoffwechselvorgänge ein Licht
zu werfen scheinen. Es sind keine tieferen Zersetzungen, sondern
nnr oberflächliche Umwandlungen, sie haben aber deswegen schon
früh die Aufmerksamkeit erregt, weil sie mit einer Entfärbung
einhergehen. Schon Helmholtz erklärte 1843 in seinen Unter-
suchungen über Fäulnis die Entfärbimg des Lackmus durch Reduk-
tion des Farbstoi^es. Umfangreiche Untersuchmigen über das Verhalten
der Bakterien gegen diesen selben Farbstoff stellte zuerst C a h e n ^)
an, mit der ausgesprochenen Absicht, ihr Eeduktionsvermögen zu er-
forschen. Es zeigte sich dabei zunächst, daß alle verflüssigenden Bakterien
die durch Lackmustinktur gefärbten Gelatine -Nährböden entfärbten.
Die Entfärbung schritt mit der Verflüssigung fort, griff auch über die
Verflüssigungsgrenze hinaus. Nach und nach kehrte an der Ober-
fläche, offenbar unter dem Einfluß des Luftsauerstoffs, die Farbe
zurück. In Lackmusbouillon trat die Reduktion bei höherer Temperatur,
meist viel schneller und auch bei vielen nicht verflüssigenden Bak-
terien ein, einfaches Schüttehi genügte, um die Farbe wieder erscheinen
zu lassen; aber auch von selbst geschah das nach einiger Zeit, wenn
das Wachstum zum Stillstand gekommen war. Nur wenige Bakterien,
wie die Spirillen von Finkler-Prior imd Deneke, reduzierten zwar
bei niederer, aber nicht bei höherer Temperatur, wahrscheinlich, weil
sie besser bei ersterer wuchsen. Stark war die Reduktion des Lackmus
durch Anaerobier. Doch stellte C a h e n schon fest, daß eine Be-
ziehung des Lebens ohne Säuerst off zurLackmus-
1) Zeitechr. f. Hyg. 2, 1887.
474 Kap. VIII, § 161.
reduktion nicht besteht, da eineiseits viele strenge Äerobier den
Farbstoff reduzierten und andererseits manche fakultative Änaeiobier,
wie Bac. typhi, Strept. pyogenes und Micr. tetragenus, überhaupt nicht
reduzierten. Die Bedeutung der Reduktionsprobe für
die Diagnostik lag dagegen auf der Hand. Die Arbeiten
von Roszaheghyi^), Spina ^), Behring^), Kisatato
und Weyl^), Sommaruga^) lehrten, daß man mit Erfolg auch
andere Farbstoffe, wie Vesuvin^, Gentianaviolett, Methyl violett, Methylen-
blau, Bosolsäure und Indigblau zum Studium der Reduktion ver-
wenden kann und stellten eine Reihe von weiteren Einzelheiten fest.
Allerdings haben sich die daraus gezogenen Schlüsse in der Folge nicht
immer bestätigt, so z. B. nicht die am Milzbrand gewonnene Erfahrung
Behrings, daß Reduktionsvermögen imd Virulenz im umgekehrten
Verhältnis zueinander stehen (Hahn imd C a t h c a r t s. u.). Wich-
tiger sind die Untersuchungen von Th. Smith®), Rothberger"),
F. Müller®) und besonders von Alfred Wolff®), Cath-
c a r t und H a h n ^®) , wozu neuerdings noch Arbeiten von C a r a -
p e 1 1 e^^) und Wichern^^) traten. Man kann aus ihnen verschiedene
Sätze ableiten.
1. Alle Mikroorganismen, Bakterien, Schimmelpilze und Hefen
können Farbstoffe reduzieren, wenn auch der Grad ihres Reduktions-
vermögens und die Reduzierbarkeit der Farbstoffe eine sehr ver-
schiedene ist.
2. Im allgemeinen kann man sagen, daß einige Farbstoffe wie das
Thionin und Methylenblau besonders leicht, andere wie Lackmus schwer
und manche, wie das Neutralrot am schwersten reduziert werden.
Viele Farbstoffe sind für die Reduktionsprobe ungeeignet, weil sie
zu stark entwicklungshemmend wirken (Methylviolett), die meisten
müssen mit Vorsicht — d. h. unter Berücksichtigung von Kontrollen —
benutzt werden, weil sie schon durch die Nährböden angegriffen werden.
1) Zentr. Bakt. 2, 1887.
2) Ebenda.
3) Zeitschr. f. Hyg. 7, 1889.
4) Ebenda 8. 1890.
5) Ebenda 12, 1892.
6) Zentr. Bakt. 19. 181, 1896.
7) Ebenda 24. 513 und 25. 15, 1899.
8) Ebenda 26. 51 und 801, 1899.
9) Arb. pathol. Inst. Tübingen 3. 294, 1901.
10) Arch. f. Hyg. 44, 1902 und „Zymasegäning** von Buchner
und Hahn, 1903. 341.
11) Zentr. Bakt. 47. 546, 1908.
12) Arch. Hyg. 72, 1910. Vgl. auch Zeitsclu*. physiol. Cliem. 67.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 475
3. Ebenso könnte man die Mikroorganismen nach ihrem Reduk-
tionsvennögen in eine Stufenleiter ordnen, an deren Spitze wegen ihrer
besonderen Energie die strengen Anaerobier und auch der Bac. coli
stehen. Am anderen Ende stehen die luftliebenden Bakterien wie der
Milzbrandbazillus und die Choleraspirillen. Doch gilt diese Regel nur
für den Fall, daß bei der Reduktionsprobe für Sauerstoffabschluß ge-
sorgt ist, bei freiem Sauerstoffzutritt beobachtet man eine andere
Reihenfolge.
4. Wenn die unter 2 und 3 ausgesprochenen Sätze auch eine ge-
wisse praktische Bedeutung haben, so wird ihre Allgemeingültigkeit
doch dadurch beschränkt, daß sie zahlreiche Ausnahmen erleiden,
die durch ein elektivesVerhalten der Mikroorganismen gegen-
über einzelnen Farbstoffen bedingt sind (Müller, Wolf f). Während
z. B. der Bacillus typhi und coli gewöhnlich ein gutes Reduktions-
vermögen besitzt, der letztere dabei den ersteren meist übertrifft,
wird das Orzein vom Bac. typhi stärker reduziert als vom B. coli
(Wolff) und das Neutralrot vom Bac. coli sehr kräftig, vom Bac.
typhi aber gar nicht angegriffen (Rothberger, Wolff imd viele
andere Autoren). Das ist ein Beweis dafür, daß das Reduktion s-
vermögen der Mikroorganismen nicht ein quali-
tativgleiches, aber quantitativ verschiedenes,
sondern ein spezifischesist. Zu einem ähnlichen Schlüsse
führen die Beobachtungen über die Reduktion der Nitrate, Sulfate,
Selenite, Arsenikverbindungen usw., die wir später besprechen werden,
und wohl auch die früher erwähnten Erfahrungen über die reduzierenden
Leistungen der Bakterienleiber (S. 106). Ein genauer Vergleich dieser
verschiedenen Reduktionsprozesse würde jedenfalls manche interessante
Einzelheiten ergeben.
5. Die Beobachtimg, daß durch Porzellan filtrierte Colikulturen
keine reduzierenden Wirkungen entfalteten, hatte Smith zu dem
Schlüsse geführt, daß diese nicht durch gelöste Sekrete erzeugt sein
könnten, sondern der Bakterienzelle anhafteten. Hiergegen kann mit
Recht eingewandt werden, daß schon der Augenschein in Stich- und
Strichkulturen, die mit reduzierbaren Farbstoffen versetzt sind, die
allmählich eintretende Diffusion des reduzierenden Stoffes beweist.
Allerdings kann man, wie Hahn und Cathcart gezeigt haben,
mit einfachen Aufechwemmimgen der Zellen die stärksten Reduktions-
wirkungen erhalten, aber auch diese entstehen doch nur dadurch, daß
die Zellen eben die wirksamen Stoffe ausscheiden. Nach denselben
Forschem ist die Reduktion — also wohl die Bildung der reduzierenden
Substanz — energischer, wenn die betreffenden Bakterien unter Sauer-
stoffabschluß gewachsen sind. Die Beschaffenheit der Flüssigkeit, in
476 Kap. VIII, § 161.
der sie aufgeschwemmt werden, ist insofern von Einfluß, als eine starke
alkalische Reaktion, die Gegenwart von organischen Stoffen (milch-
saurem Ammon, Fleischextrakt oder Bouillon) und in gewissem Grade
auch der Salzgehalt die Reduktion begünstigt. Die Darstellung der
reduzierenden Substanz aus dem Zellkörper gelang Hahn bei der
Hefe sehr leicht: der Hefepreßsaft enthält sie, ebenso die nach dem
Albert sehen Verfahren abgetötete Dauerhefe. So reduzieren z. B.
10 ccm Preßsaft allmählich 0,14 g Methylenblau, das in Iproz. Lösung
zugesetzt wurde^). Die reduzierende Wirkung ging dem Safte ebenso
schnell verloren wie die Gärkraft, d. h. in wenigen Tagen bei niederer
Temperatur, und nach einer Stimde bei 55 — 60®. Diese geringe Wider-
standsfähigkeit des reduzierenden Prinzips — vieUeicht können wir
sagen der „Reduktase'* — zeigt sich bei den Bakterien noch in höherem
Grade. Bisher gelang ihre Darstellung durch Zerreiben und Auspressen
der Zellkörper noch nicht. Die Verfahren, die eine Abtötung der Bak-
terien bewirken, vernichten gewöhnlich auch die Reduktion. Doch ge-
langten Cathcart und H a h n ^) zum Ziel, wenn sie die Bakterien-
körper mit Azeton behandelten und die trockene Masse im Vakuum
allmählich auf 107® erhitzten. Die Präparate erwiesen sich als steril
und besaßen doch noch eine gewisse Reduktionskraft. Daß das
Leben der Zellen zur Reduktion nicht unumgänglich nötig ist, hatte
schon früher Smith aus einigen Erhitzungsversuchen geschlossen;
Cathcart und Hahn erwiesen es auch durch Zusatz von Chloro-
form, Toluol sowie von Salzen und Zucker in starker Konzentration.
50 prozentige Rohrzuckerlösungen scheinen ihre besondere Wirksamkeit
ihrer Fähigkeit, die Bakteriensubstanz aufzulösen, zu verdanken. Fil-
trationsversuche sind außer von Smith anscheinend nur von
Deutsch ^) und Carapelle, und zwar nur von ersterem mit
etwas besserem Erfolge untemonmien worden als von Smith. Die
Unwirksamkeit oder schwache Wirksamkeit des Filtrats erklärt sich
vielleicht nach Müller durch den Einfluß des Sauerstoffe beim Fil-
trieren. Auch durch wiederholtes Schütteln mit Luft kann man die
reduzierenden Stoffe der Kulturen zerstören. Keimfrei ausgeschleuderte
Kulturflüssigkeiten besitzen nach Carapelle übrigens auch keine
reduzierende Kraft. Dagegen glaubte er aus Versuchen mit Methylen-
blaulösung, die keimfrei in Zelloidinröhrchen eingeschlossen und in
Kulturen von Bakterien eingebracht worden war, auf ein schwaches
Reduktionsvermögen von löslichen Stoffwechselerzeugnissen schließen
zu dürfen. Ähnliche Beobachtimgen machte Wichern an Agar-
1) Über die Messung der Keduktionskraft von Bakterien s. Cathcart
und Hahn S. 479 und Wiehern S. 478.
2) Kongreßbericht, Paris 1900 (nach Cathcart imd Hahn).
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 477
koltaren von Colibazillen, die er durch eine keimfreie Agarschicht
von der zu reduzierenden Flüssigkeit trennte.
6. Daß es sich bei der Entfärbung der Farbstoffe durch die Mikro-
organismen wirklich um eine Reduktion handelt, wird dadurch für die
gewöhnlichen Fälle sehr wahrscheinlich, daß die Farbe bei Berührung
mit Luft wieder zurückkehrt. Man wird sich, obwohl direkte Analysen
fehlen, den Vorgang so vorzustellen haben, daß aus dem Farbstoff das
sogenannte Leukoprodukt entsteht, so z. B. aus
Indigblau C,H,<^ J^C = C/^^J\c,H,
Indigweiß C,H /^N^^\c_c/^NH \(.^jj^
/C,H3. -N=(CH3)3
und aus Methylenblau N. ^S
^CgH3/=N=(CH3)2
I
Cl.
/CeH, -N=(CH3),
die entsprechende Leukobase: HN\ >S
\CeH3/-N=(CH3),.
In beiden Fällen wird die Veränderung bewirkt durch Eintreten von
Wasserstoffatomen (nicht durch Entziehung von Sauerstoff, wie bei
anderen Reduktionen), die bei Berührung mit dem Luftsauerstoff
wieder entfernt werden. Woher der reduzierende Wasserstoff ent-
nommen wird, wissen wir nicht, vermutlich sind es aber organische
Substanzen, da solche die Reduktion begünstigen. Daß man mit dem
Dens ex machina, den man früher in solchen Fällen auftreten ließ,
dem „Wasserstoff in statu nascendi", nichts beweist, ist sicher, schon
aus dem Grunde, weil die gleichen Bakterien in demselben Nährboden
sich gegenüber zwei Farbstoffen in ihrer Reduktionskraft entgegen-
gesetzt verhalten können (s. o.). Wir werden uns vorläufig mit der An-
nahme begnügen müssen, daß der Wasserstoff unter dem
Einfluß spezifischer Enzyme aus der einen oder
anderen Verbindung auf die Farbstoffe über-
tragen wird. Wäre die fragliche Verbindung Wasser, so würde bei
dem Prozeß der Reduktion Sauerstoff verwendbar für andere Zwecke
der Zelle. Früher hat man in der Tat die Reduktion als ein Zeichen
des „Sauerstoffhungers" (Ehrlich^)) der Zelle aufgefaßt. Dann
1) Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus, 1885.
478 Kap. VIII, § 161.
müßten aber doch strenge Aerobier, die auf den Sauerstoff angewiesen
sind, stärker reduzieren als Anaerobier, die andere Kraftquellen durch
die Qärungen genügend zur Verfügung haben, und für die Sauerstoff
geradezu ein Gift ist. Viel eher würde man es verstehen, wenn das
Reduktionsvermögen, das sich in den Versuchen mit Farbstofflösungen
zeigt, mit den normalen Reduktionen, die im Leben der Mikroorganis-
men so große Bedeutung haben, indem sie z. B. den zum Aufbau ihrer
Leiber nötigen Schwefel und Stickstoff aus schwefelsaurem und sal-
petersaurem Salze beschaffen, zusammenhinge, gewissermaßen ihr
Indikator wäre. Von einem Parallelismus beider Arten von Reduk-
tionen ist aber nichts bekannt (§ 197 ff., § 211 ff.).
Die Prüfung des Reduktionsvermögens der Mikroorganismen erfolgte
wie aus dem Text ersichtlich, in einfacher Weise dadurch, daß man eine
der genannten Fcurbstofflösungen in kleinen Mengen den verschiedenen
Nährböden zusetzt. Jodes hat seine bestimmten Vorzüge und Nachteile.
Die Bouillon gestattet vielfach (bei 37**) am schnellsten den Nachweis,
ist aber (ohne Paraffinölüberschichtmig s. u.) bei schwach reduzierenden
Bakterien nicht brauchbar, weil sie sich zu schnell wieder oxydiert. Agar-
stichkulturen bieten ähnliche Vorteile, gestatten außerdem, weil sie fest
bleiben, das allmähliche Fort-schreiten der Reduktion zu beob€bchten,
reduzieren aber selbst in ziemlich kräftigem Grade die Farben, so daß im-
geimpfte Kontrollröhrchen stets nötig sind. Besonders kräftig ist die
Reduktion in den ,, Schüttelkulturen" Rothbergers,d. h. Agar-
röhrchen, die in noch flüssigem Zustande geimpft w^erden. Da Gelatine
gewöhnlich bei niedriger Temperatur benutzt wird, zeigt es nur kräftige
Reduktionen an.
Am meisten verwandt wird die Lackmus tinktur in Zusätzen
von 10%. Sie hat den Vorzug, daß sie nicht nur die Reduktion durch Ent-
färbung, sondern auch Reaktionsveränderungen dui'ch Umsclilagen der
violetten Farbe in Rot oder Blau anzeigt. Der Lackmus ist wie die Orseille
aus Flechten durch eine Art Gärung (S. 461) gewonnen und ein Gemisch
aus Farbstoffen, deren Konstitution nicht genau bekannt ist. Der färbe-
rische Hauptbestandteil ist das Orzin, ein Dioxytoluol. Aus ihm entsteht
durch Oxydation das Orzein, da« in 1 prozentiger Lösung verwandt werden
kann (W o 1 f f ).
Leichtor reduzierbar als Lackmus ist Methylenblau, das als
salzsaures Zinkdoppelsalz in den Handel kommt, und von dem 1 — 4 Tropfen
einer ^/j prozentigen Lösung auf jedes ReagensrÖhrchen zugesetzt werden.
Entgegen der Angabe von Spina unterliegt auch Methylenblauagar
der Selbstreduktion. Nach W i c h e r n gestattet die Titrierung mit Titan-
lösung eine genaue Bestimmung der Reduktionsgröße. Während der
Hauptwachstumsperiode sollen je 1000 Koli- und Typhusbazillen in mit
Paraffinöl Überschi chteter Bouillon 28 — 30 Millionstel Milligranmi stünd-
lich reduzieren. Reduktionsgröße rnid Generationsdauer stehen im um-
gekehrten Verhältnis.
Indigblau (Indigotin), das Erzeugnis der Indigogärung (S. 460),
ist selbst unlöslich und kommt zur Verwendung als indigodisulfosaures
Natrium (Indigokarmin). */a°/oo davon werden in Agfiur gelöst. Die Braucli-
barkeit dieses Farbstoffs als Indikator des Reduktionsvermögens und des-
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 479
halb auch zur Differentialdiagnose wurde von Kitasato und W e y 1
(s. o.) und von G e r m a n o und Maurea^) im Laboratorium des Ver-
fassers festgestellt. Es muß aber beachtet werden, daß die Entfärbiuig
des Indigos auch durch Oxydation bewirkt werden kann, worauf ja eine
Bestimmungsmethode der Salpetersäure beruht. Die Entscheidung darüber,
ob Rediiktion oder Oxydation vorliegt, läßt sich aber leicht liefern: wenn
die Luft, wie es in der Bakterienkultur die Regel ist, die Farbe zurück-
ruft, handelt es sich vun erstere. Wenn die Farbnährböden älter werden,
^cheint sich der Farbstoff durch Oxydation allerdings zu zersetzen. Daher
warnen wohl Smith und Müller vor ihrer Benutzung *).
Neutralrot (Toluylenrot, eine Azinfarbe) wird seit Roth-
berger mit großem Erfolg neuerdings zur Differentialdiagnose zwischen
Bac. typhi (dysenteriae und pseudysenteriae) und coli (paratyphi) ver-
wandt'), weil die Unterschiede in der Tat sehr ins Auge fallen: Zusatz
von 1 — 2 Tropfen einer 2prozentigen wässerigen Lösung auf ein Röhrchen
gibt dem Nährboden eine dunkelrote Farbe, die durch Typhus usw. nicht
verändert wird, während B. coli eine grünlich gelbrote Fluoreszenz und
völlige Entfärbung hervorruft. Ein starker Zuckergehalt beeinträchtigt
die Reaktion nicht. Man kann in solchen Nährböden vielmehr sehr schöne
Reduktion und Vergärung nebeneinander beobachten.
Andere Farbstoffe sind wohl zu entbehren (vgl. namentlich R o t h -
berger). Über gefärbte Nährböden zum Säurenachweis s. S. 345.
Für manche Zwecke ist Luftabschluß der Kultvu'en zu emp-
fehlen, die durch Überschi chtimg mit flüssigem Paraffin oder diu:ch Kultur
im Gärungsröhrchen zu erreichen ist. Nach unseren Erfahrungen sind ein-
fache Stichkulturen am geeignetsten. Die oberste Schicht behält dabei
mehr oder weniger ihre Farbe oder gewinnt sie wenigstens bald wieder,
wenn die Bakterien den Nährboden nicht mit einer fest schließenden Decke
überziehen.
Zur genauen Messung der Reduktionskraft eignet sich außer dem
W i c h e r n sehen (s. o. S. 478) das von Cathcart und Hahn emp-
fohlene Verfahren. Es setzt freilich die Verwendung großer Bakterien-
massen voraus. Diese werden auf Agarplatten frisch gewonnen, davon
vorsichtig abgehoben, feucht gewogen und in Mengen von 0,2 g zu je lOccm
Bouillon -j- Methylenblau gesetzt. 1 ccm ein 0,1 proz. Lösung wurde z. B.
reduziert von Staphylocoo. pyogenes aureus in 30 Sekimden, von Bac.
coli in 140 Sekimden, von Bac. aerogenes in 70 Sekunden; 1 ccm einer
1 proz. Losung von Prodigiosus in 7 Minuten 3ö Sekunden, von Bac.
megatherium noch nicht in einer halben Stunde. Boiüllonkulturen sind
viel weniger wirksam als Aufschwemmungen. Alte Kulturen reduzieren
viel schwächer. Die günstigste Temperatur für die Reduktion ist im all-
gemeinen 37*, ausnahmsweise (bei Staphylokokken) 50 — 55^.
Es ist anzunehmen, daß das Reduktionsvermögen, wie andere
Bakterieneigenschaften der Variabilität unterworfen ist. So er-
klärt es sich, daß Behring bei virulenten Milzbrandkulturen andere
1) Zieglers Beiträge 12, 531, 1893.
2) Über Bakterien-Farbstoffe und ihr Verhalten zum Sauerstoff vgl.
§ 253 u. 254.
3) Vgl. auch Soheffler, Zentr. Bakt. 28, 1900.
480 Kap. VIU, f 161—163.
Ergebnisse hatte als bei abgeschwächten. Die von ihm beobachtete
Beziehung zwischen Virulenz und Reduktionsvermögen (s. o.) fanden
aber Cathcart und Hahn bei Cholerakulturen nicht wieder. Ebenso-
wenig konnte ein Zusammenhang zwischen Giftigkeit und Reduktions-
vermögen festgestellt werden. Diphtherie- und Tetanusgiftpräparate
reduzierten nicht, wohl eine Lösiuig von Schlangengift.
Während Deutsch durch Behandlung von Tieren mit filtriert^ii
Kulturen des Micrococ. ureae ein Serum mit antireduzierenden Eigen-
schaften erhalten haben wollte, gelang das Cathcart und Hahn
nicht.
§ 162. Reduktionen in Milch und Abwasser. Die Reduktion
von Farbstoffen in der Milch kann zur Bestimmung des Bakteriengehalt«
benutzt werden (M. N e i ß e r und Wechsberg ^), Smidt*),
P. Th. Müller ^)). Man nimmt dazu am besten reine Methylenblau-
lösung, weil nur diese von frischer, keimfrei gewonnener Milch nicht
oder erst nach sehr langer Zeit entfärbt wird. Das Schardinger-
sche Reagens^), das neben Methylenblau (5 ccm gesättigter alkoholischer
Lösung und 190 ccm aq. dest.) noch Formalin (5 ccm) enthält, wird
auch durch bakterienfreie Milch (bei Zusatz von 1 : 20) in wenigen
Minuten bei 40 — 45® entfärbt, sofern die Milch ungekocht (bzw. nicht
auf 80° erhitzt) ist und ist deshalb zur Unterscheidung gekochter und
ungekochter Milch empfohlen worden^).
Man hat femer versucht, die Reduktionsfähigkeit eines Ab-
wassers für Farbstoffe wie Methylenblau zur Beurteilung seiner
Fäulnisfähigkeit zu benutzen*), indessen ist das nach Seligmann')
auf Grund einzelner Prüfungen nicht möglich. Wiederholte Unter-
suchungen eines und desselben Abwassers zu verschiedener Zeit auf
seine Reduktionskraft gestatten dagegen ein Urteil darüber, ob die
1) Münchn. med. Wochenschr. 1900. 37.
2) Hyg. Rundschau 1904, 23.
3) Arch. f. Hyg. 66, 1906.
4) Zeitschr. f. Untersuchung von Nahrungsmitteln 1902.
5) S m i d t (vgl. auch Arch. f. Hyg. 58) nimmt deswegen in der
Milch selbst ein auf da« Formalin katalytisch wirkendes Ferment („Aldehyd-
katalase") an, das den Bakterien der Milch fehlen soll, während diese selbst
Reduktasen bilden. Über die entgegenstehenden Ansichten Seligmanns
(Zeitschr. f. Hyg. 50 u. 52) und die übrige Literatur über Reduktion in
der Milch s. bei S m i d t , femer bei Brand (Münchn. med. Wochenschr.
1907, 17). S e 1 i g m a n n (Zeitschr. f. Hyg. 58, 1908) hält aber neuerdings
wieder seinen Satz, daß die bisher bekannten Reduktionsvorgänge in frischer
wie in älterer Milch bakterieller Natur seien, aufrecht.
6) S p i 1 1 a und W e 1 d e r t , Mitteil, aus der kÖnigl. Priifungs-
anstalt für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung 1906, H. 6.
7) Zeitschr. f. Hyg. 66, 1907.
Wandlungen der Glykoside u. aromatischen Körper. 4Si
bakteriellen Zersetzungen im Wasser zu- oder abnehmen: im ersteren
Falle erhält man eine ansteigende, im letzteren eine abfallende „Re-
cluktionskurve' '.
§ 163. Synthesen von Glykosiden nnd aromatischen Stoffen.
Das durch dieselben Enzyme, die Glykoside spalten, auch solche
aus den Spaltungsprodukten gebildet werden können, mit anderen
Worten, daß diese wie andere Fermentreaktionen umkehrbar sind,
haben Emmerling^) für das Amygdalin und die Hefenmaltase
(§ 154), Wisser^) für das Salizin und das Emulsin nachgewiesen.
Ob derartige Vorgänge aber bei den Mikroorganismen häufig vor-
kommen, ißt unbestimmt, da wir über die Bildung von Glykosiden
durch sie unter natürlichen Bedingungen nur wenig wissen. Nach
Gabrilowitsch^) soll der Giftstoff des „tnmkenen" Getreides
ein stickstoffhaltiges Glykosid sein, das von dem Pilz Fusarium
r 0 s e u m auch in Reinkulturen entwickelt werde. Zweifelhaft ist die
Angabe W e i 1 s *) , das S o 1 a n i n der Kartoffeln werde von seinem
Bacterium solaniferum colorabile und non colorabile erzeugt, denn
W i n t g e n ^) konnte sie nicht bestätigen und von Morgen-
stern*) findet gesunde Kartoffeln ebenso reich an Solanin wie kranke,
schreibt auch dem Solanin eine große Widerstandsfähigkeit gegen
Bakterienwirkungen zu. Die Möglichkeit der Bildung von Glykosiden
durch Bakterien wird aber auch dadurch nahe gelegt, daß sie auf ge-
wöhnlichen Nährböden manche Riechstoffe bilden, die aus
Glykosiden zu entstehen pflegen (s. o. § 153). Die gleiche Bildungsart
wäre für die wohl mindestens teilweise zu den aromatischen Stoffen
gehörenden Farbstoffe der Bakterien denkbar (§253).
Für die aromatischen Stoffe, ob sie nim Bestandteile von Glyko-
siden sind oder nicht, ist die einzige Quelle, die wir bisher sicher kennen,
der Abbau des Eiweißes (Kap. IX). Da Eiweiß auch aus einfachsten
Verbindungen aufgebaut werden kann, gilt dasselbe von seinen aroma-
tischen Kernen. Über die Art und Weise, wie sie entstehen, ist aber
nichts bekannt.
Von der Bildung der Humusstoffe haben wir schon früher ge-
sprochen (§ 118).
1) Ber. deutsch, ehem. Ges. 34. 3810, 1901.
2) Zeitschr. physikal. Chem. 52, 257, 1905.
3) Ref. Chem. Zeitg. Repert. 1907. 156 (nach Behrens in La-
fars Handb. 1. 645).
4) Arch. f. Hyg. 38, 1900, Arch. f. Pharmazie 245, 1906.
5) Zeitschr. f. Unterschg. v. Nahrungsmitteln, 1906.
6) Landwirtschaft!. Versuchsstation. 65, 1907.
Kruse, Mikrobiologie. 31
Kapitel IX.
Wandlungen der Eiweißkörper.
§ 164. Einleitung. Wenn wir uns jetzt den Umwandlungen zu-
wenden, die die stickstoffhaltigen Substanzen, und zwar in erster Linie
die Eiweißkörper, im Stoffwechsel der Mikroorganismen erfahren, so
dürfen wir uns nicht verhehlen, daß die Aufgabe, diese Umwandlungen
erschöpfend darzustellen, eine sehr viel schwierigere ist, als diejenige
war, die wir in den vorstehenden Kapiteln zu erledigen hatten. Handelt
es sich doch um sehr verwickelt gebaute Stoffe, über deren Zusammen-
setzung wir zudem trotz den Arbeiten E. Fischers u. a. vorläufig
noch ziemlich mangelhaft imterrichtet sind. Das ist um so bedauer-
licher, als die Eiweißkörper den wichtigsten Bestandteil der gesamten
organischen Substanz und den größten Teil der tierischen Substanz
ausmachen und als Nahrungsstoffe für die allermeisten Mikroorganismen
von Bedeutung, für viele, wie wir § 32 gesehen haben, unentbehrlich sind.
Daß manche lösliche Eiweißstoffe, so wie sie sind, von den Mikro-
organismen aufgenommen werden, haben wir keinen Grund zu be-
zweifeln, ob es aber solche gibt, die nachträglich keine weitere Ver-
änderung erfahren, ist mehr als zweifelhaft. Denn wenn auch das
Protoplasma im wesentlichen aus „Eiweiß" besteht, so ist doch „leben-
des" Eiweiß nicht dasselbe wie totes, ja das Eiweiß jeder Spezies von
Organismen scheint besondere Eigentümlichkeiten, die sog. „Spezi-
fizität", zu besitzen, die es durch die „Assimilation" erhält (vgl. § 61*
221 u. 334). Einen klaren chemischen Ausdruck dafür besitzen wir
aber noch nicht.
Feste Eiweißkörper können nicht als solche der Ernährung dienen,
sondern müssen durch einen Verflüssigungsprozeß dazu vorbereitet
werden, ebenso viele der löslichen, aber schwer diffimdierbaren Eiweiß-
stoffe. Bekanntlich besorgen dieses Geschäft bei den höheren Organis-
men die proteolytischen (oder peptonisierenden) Verdauungs-
fermente. Bei den Mikroorganismen (§ 165 u. 166) finden wir sie,
und zwar teils außerhalb, teils innerhalb der Zellen wieder. Seit langem
wird die Proteolyse der Verflüssigimg und Hydrolyse der Polysaccharide
Wandlungen der Eiweißkörper. 483
an die Seite gestellt (§ 60, § 69 — 83a). Man nahm also zunächst
an, daß das komplizierte Eiweißmolekül unter Wasseraufnahme in ein-
fachere Moleküle, die sogenannten Albumosen und Peptone gespalten
werde, ebenso wie die Starke durch Diastase in Dextrin' und Maltose
zerfaUe. Die Vergleichung wurde noch weiter geführt: wie die Disaccha-
ride durch Invertase, Maltase und andere hydrolytische Enzyme in die
einfachen Zucker gespalten werden, so zerlegen Trypsin, Erepsin,
Endotryptase die Albumosen und Peptone in Aminosäuren und die
übrigen einfachen Körper, aus denen das Eiweißmolekül zusammen-
gesetzt ist. Daß hier wirklich im wesentlichen Hydrolysen vorliegen,
ist aber erst durch E. Fischers Arbeiten^) über den Auf- und Ab-
bau des Eiweißes bewiesen oder besser gesagt sehr wahrscheinlich ge-
macht worden. Es ist nämlich nicht nur gelungen, die einzelnen Amino-
säuren miteinander in säureamidartige Verbindungen, die sogenannten
Di-, Tri- und Polj^eptide zu vereinigen und diese durch Säuren, Tryp-
sin usw. unter Wassereintritt wieder in die betreffenden Aminosäuren
zu zerlegen, sondern auch nachgewiesen, daß diese in ihren Reaktionen
auch sonst Peptonen und Albumosen ähneln. Schließlich sind die
Peptide auch aus den durch Verdauung von Eiweiß erhaltenen Ge-
mischen zu isolieren. Man könnte daraus fast den Schluß ziehen, daß
die sogenannten Albumosen und Peptone der Hauptsache nach nichts
weiter wären als solche Polypeptide, und daß die Eiweißkörper selbst
aus sehr langen, durch ihre Amid- und Säuregruppen verbundenen
Ketten von Aminosäuren beständen, die durch fortschreitende Hydro-
lyse in Polypeptide und endlich in Aminosäuren zerfallen. Bisher sind
Polypeptide zwar noch nicht aus Kulturen von Mikroorganismen dar-
gestellt worden, wohl aber oft Aminosäuren, und es liegt kein Grund
vor, zu bezweifeln, daß die Lösung der Eiweißkörper durch sie in ähn-
licher Weise erfolgt, wie durch die tierischen und pflanzlichen Fer-
mente, Sauren usw.
Mit der hydrolytischen Spaltung des Eiweißes ist es aber nicht
getan. Bei der sogenannten Fäulnis und auch bei anderen nicht
unter Bildung stinkender Erzeugnisse erfolgenden Zersetzungen durch
Raicterien und Pilze begegnen wir tieferen Spaltungen des
Eiweißmoleküls (§ 167 — 175) mit Bildung von Ammoniak und Aminen,
Kohlensäure, Fettsäuren und aromatischen Säuren, Schwefelwasser-
stcrff imd Sumpfgas, Phenol, Skatol, Indol u. a. m. Man ist berechtigt.
1) Vgl. E. Fischer, Untersuchungen über Aminosäuren, Poly-
I>eptide und Proteine, zusammengestellt aus dem Ber. ehem. Ges. 1899 — 1906
Berlin 1906, Cohnheim, Chemie der Eiweißkörper 2. Aufl., 1904,
Abderhalden, Neuere Ergebnisse auf dem Gebiet der speziellen
Eiweißchemie 1909.
31*
484 Kap. IX, § 164.
diese Stoffe von Zerlegungen der Aminosäuren, die ohne Beteiligung
des liuftsauerstoffs erfolgen, herzuleiten, die Prozesse, aus denen sie ent-
stehen, den früher besprochenen Spaltungsgärungen der Kohlenhydrate
(§ 84—117), Fettsäuren (§ 139—148) usw. an die Seite zu stellen, und
daher von Ammoniak-, Fettsäure- und anderen Gärungen des
Eiweißes zu sprechen. Die Zurückführung derselben auf Enzyme
(„Aminazidasen'') scheint sogar nach neueren Erfahrungen möglich
zu sein (§ 166 u. 169). Wie bei anderen Spaltungsgärungen wird man
daran denken dürfen, daß sie im allgemeinen nicht der Assimilation,
sondern der Lieferung von Betriebskraft dienen. Doch zeigt das Studium
der Wärmeverhältnisse, daß die Sache gerade bei den Spaltungs-
gärungen der Eiweißkörper nicht so einfach liegt, wie bei denen der
Kohlenhydrate (§ 231).
Zwei Arten von Spaltungen, bei denen Anmioniak entsteht, er-
fordern eine besondere Betrachtung. Erstens geht schon die hydro-
lytische Spaltung des Eiweißes durch Trypsin usw. mit der Bildung
von wechselnden Mengen (0,4 — 4,0%) Anmioniak einher. Da die
Hydrolyse der Aminosäuren und Peptide dergleichen nicht fertig
bringt, muß der „Amidstickstoff" einer anderen Quelle entstammen.
Man könnte annehmen, daß er aus Säureamiden, wie das Asparagin
eines ist, abgespalten würde, in der Tat steht die Menge des Amid-
stickstoffs in einer gewissen Beziehung zu dem Gehalt der Eiweiß-
körper an Aminodikarbonsäuren (Asparagin- imd Glutaminsäure), und
die Spaltung des Asparagins in Ammoniak und Asparaginsäure gelingt
nicht nur leicht durch Hydrolyse mit Säuren, sondern auch durch ein
Enzym des Proteus und Pyocyaneus (§ 169). In jedem Falle wird man
also nachzuforschen haben, ob die Quelle der Ammoniakbildung durch
Mikroorganismen in einem ähnlichen Vorgange oder in der Abspaltung
des fester gebundenen Stickstoffes gesucht werden muß.
Eine von der Fäulnis abweichende Zersetzung der Aminosäuren
ist von F. Ehrlich entdeckt worden. Wir haben schon früher
die Bildung des Amylalkohols und anderer Alkohole durch Hefe aus
dem Ijeuzin und anderen Aminosäuren erwähnt (§ 90). Bei ihr ent-
steht nebenher Kohlensäure und Ammoniak, der letztere wird aber
nicht frei, sondern von der Hefe als Stickstoffnahrung verbraucht.
Wir haben hier also, wenn man will, zwar eine Gärung, aber eine solche,
die nicht nur Kraft, sondern auch Baustoffe zu liefern bestimmt ist.
Man könnte sie daher der Spaltung gewisser Glykoside an die Seite
stellen, wenn es auch noch nicht geglückt ist, das entsprechende Enzyni
darzustellen (§ 173). t^brigens wird auch sonst wohl nicht selten die
Spaltung der Aminosäuren dem Stof fersatz dienen, da ja die zahlreichen
Aminosäuren des Eiweißes bei Ernährung der Mikroben z. B. mit einer
Wandliingen der Eiweißkörper. 485
einzigen Aminosäure nicht gut ohne tiefere Spaltung der letzteren
aufgebaut werden können (§231).
Dasselbe Ziel wie die Spaltungsgärungen, die Lieferung von Betriebs-
energie, erreichen auf einem anderen ergiebigeren Wege die 0 x y d a -
t i 0 n e n , d. h. die Zersetzimgen der Eiweißkörper, bei denen sich der
Sauerstoff der Luft beteiligt (§ 176). Bisher sind diese Prozesse, die auf
luftliebende Kleinwesen zurückzuführen sind und die man unter dem
bekannten Namen der „Verwesung'' zusammengefaßt hat, noch nicht
ausreichend studiert worden. Sie scheinen sich regelmäßig mit Spal-
tungen zu verbinden. Daß unvollständige, aber umfangreiche Oxyda-
dationsvorgänge hier mit unterlaufen, die den Namen von Oxyda-
tionsgärungen verdienen, ist bekannt, ja es wiederholt sich hier
sogar die Oxalsäuregärung, die wir schon früher kennen gelernt haben
(§ 122).
Reduktionsprozesse kommen zwar im Verlaufe der Fäul-
nis vielfach vor, aber sie sind wie bei allen Spaltungsgärungen stets
verbunden mit Oxydationen^).
Kondensationen, Ester- und Anhydridbil-
düng von Aminosäuren und Peptiden sind im Stoffwechsel
der Mikroorganismen wohl ebenso verbreitet wie in dem der höheren
Oigamsmen. Sie stellen die einfachsten Synthesen (s. u.) vor. Daß
dabei dieselben Enzyme, die der Hydrolyse dienen, eine Rolle spielen,
kann man bisher nur vermuten.
Sicher nachgewiesen sind Enzyme bei einem Koagulations-
vorgange, dessen eigentliche Bedeutung man freilich noch nicht
genügend kennt, nämlich bei der Labgerinnung (§ 177). Man
hat versucht, auch diesen Prozeß als eine Kondensation zu betrachten,
doch spricht außer anderem der Umstand dagegen, daß die Lab-
gerinnung stets von der Proteolyse gefolgt ist. Sie scheint also nichts
anderes zu sein als ein Vorgang, der die Verdauung vorbereitet.
Synthesen kommen für die eigentlichen Eiweißkörper kaum in
Frage, weil sie selbst schon den Höhepunkt der organischen Synthese
bedeuten, um so mehr aber für die Abkömmlinge der Eiweißkörper,
die Aminosäuren und Peptide. Sie gehören wohl in das Gebiet der schon
erwähnten Anhydridbildungen usw.
Der Aufbau der Aminosäuren selbst, aus denen wahrscheinlich doch
alles Eiweiß hervorgeht, beschäftigt uns an anderer Stelle. Dort werden
wir auch das wenige, was man über die Umwandlung der Eiweißkörper
in Fette und Kohlehydrate weiß, mitteilen (§ 229—231).
1) Über die Schwefelwasserstoff- und Merkaptanbildung aus Eiweiß-
körpem vgl. § 205 u. 206.
486 Kap. IX, § 165.
§ 165. Proteolytische (Verdauuiig8-)Enzyme. Das Vorkom-
men proteolytischer Enzyme bei Mikroorganismen war von vornherein
durch die Beobachtung sehr wahrscheinlich gemacht, daß viele von ihnen
imstande sind, Gelatine und andere feste Eiweißkörper zu verflüssigen
und Spaltungsprodukte zu bilden, die denen der Eiweißverdauung
mehr oder weniger nahestehen. Der sichere Beweis wurde aber erst durch
Bitter^) geliefert. Er fand, daß Kulturen des Spirill. cholerae, die
durch halbstündige Erhitzimg auf 60® abgetötet waren, Gelatine ver-
flüssigten. Senger, Jerosch, Rietsch und Sternberg ^)
bewiesen das gleiche für verschiedene andere sogenannte „verflüssigende^'
Bakterien und stellten teilweise schon das Ferment durch Fällung mit
Alkohol dar. Am ausführlichsten waren die Untersuchungen von
F e r m i ^) , dem die Ausschaltung der lebenden Bakterien nicht nur
durch Erhitzung auf 56 — 60*^, sondern auch durch Zusatz von Sublimat,
Karbol- und Salizylsäure oder Filtrieren durch Porzellan gelang. Aus
Gelatinekulturen erhielt F e r m i dann die Enzyme, nachdem er durch
verdünnten Spiritus den Hauptteil der beigemengten Stoffe beseitigt
hatte, durch Fällung mit absolutem Alkohol. Auch durch Ausziehen
von Kartoffelkulturen ließen sich bemerkenswerterweise wenigstens
in einem Teil der Fälle ziemlich kräftige Enzjone gewinnen. Dargestellt
wurden die Enzyme von F e r m i bei Microc. ascifonms, Bac. prodi-
giosus, anthracis, subtilis, ramosus, megatherium, pyocyaneus, Spirillum
cholerae, Finkler-Prior, Miller, Deneke und einem Schimmelpilz, dem
Trichophyton tonsurans. Zur Prüfung der proteolytischen Kraft be-
nutzte Permi im allgemeinen eine Tprozentige Lösung von Gelatine
in gesättigtem Thymolwasser. Die Enzyme des Spir. cholerae, und
Miller, des Bac. prodigiosus und namentlich des Spir. Finkler-Prior
wirkten auch lösend auf Fibrin, die übrigen nicht. Dem gegenüber ist
die Angabe von Bienstock*) nicht recht zu verstehen, daß kein
einziges der von ihm geprüften zahlreichen aeroben oder fakultativ
anaeroben Bakterien imstande gewesen sei, das Fibrin selbst durch
ihre Lebenstätigkeit anzugreifen. Die lösende Wirkung der Bakterien-
enzyme auf das Fibrin wird übrigens gestört durch die Gegenwart
von 5Voo Salzsäure, 5Vo Karbol, P/o Sublimat oder IVoo Salizyl-
säure, nicht die auf Gelatine^). Beim Trypsin kann man ähnUches
1) Arch. f. Hyg. 5, 1886.
2) Baumgartens Jahresber. 1887. 104 und 362 ff .
3) Arch. f. Hyg. 10, 12 und 14.
4) Arch. f. Hyg. 36. 346.
5) Daraufi erklärt sich, daß viele Bakterien die von G o r i n i so-
genannten Milchsäure-Labbakterien (§ 97) bei saurer Reckktion Gelatine
verflüssigen.
Wandlungen der Eiweißkörper. 487
beobachten, beim Pepsin bleibt Salz- und Salizylsäure ohne Einfluß.
Umgekehrt ist die Gegenwart starker Sodalösung für die Proteo-
lyse durch Trypsin und Bakterien ohne Belang. Durch die Reak-
tion, bei der sie lösen, erscheinen also die £n-
zymederBakteriendemTrypsinähnlich. In anderer
Beziehung sind sie ihm aber wieder unähnlich; so vertragen die Bak-
terienfermente eine 12tägige Behandlung mit Iprozentiger Salzsäure,
während das Trypsin und Papayotin dadurch wirkungslos werden. Auch
gegen Erhitzung ist das Trypsin weniger widerstandsfähig, es wird schon
durch Temperaturen von 50® in kurzer Zeit und selbst von 37® binnen
24 Stunden geschädigt, während die Bakterienenzyme ihre proteo-
lytische Kraft erst bei 50 — ^70® verlieren^). Im trockenen Zustand auf
140® erhitzt, scheint umgekehrt das Trypsin länger zu widerstehen als
das Enzym des Spirill. Finkler-Prior (F e r m i und P e r n o s s i ^)).
Das Sonnenlicht zerstört sowohl das eine wie das andere Ferment auf
die Dauer.
Zwischen den Enzymen der einzehien Bakterien zeigen sich übrigens
auch beträchtliche Unterschiede in der Empfindlichkeit gegenüber
schädigenden Einflüssen, wie hohen Temperaturen, Säuren, Giften^). So
wird z. B. durch Schwefelwasserstoffdurchleitung von einer Stunde
Dauer das Ferment des Bac. pyocyaneus, des Tetanus- und Milzbrand-
bazilhis, des Spir. Metschnikoff und Miller fast gar nicht geschwächt,
das des Bac. prodigiosus, proteus vulgaris und indicus völlig vernichtet.
Trypsin ist demselben Mittel gegenüber ziemlich widerstandsfähig.
Wichtiger zur Kennzeichnung der Enzyme als ihre Widerstands-
fähigkeit scheint die Wirkungsweise auf die Eiweißkörper. In dieser
Beziehung sollen die Bakterienenzyme nach Fermi^) eher dem
Pepsin als dem Trjrpsin gleichen, ja sie sollen die Eiweißkörper
sogar noch nicht einmal, wie es das Pepsin nach längerer Einwirkung
tut, zu Pepton spalten, sondern sie nur eben in den löslichen Zustand
überführen. Das Fibrin wird dabei so verwandelt, daß es zwar durch
Kochen unfällbar, aber durch Salpetersäure in der Kälte teilweise,
und in der Wärme vollständig gefällt wird. Frisches Eieralbumin
wird zwar von den Spir. cholerae und Finkler-Prior sowie besonders
vom Bac. prodigiosus und pyocyaneus, nicht vom Bac. anthracis ver-
flüssigt, verliert aber selbst nach zweimonatlicher Einwirkung nicht
die Eigenschaft, durch Kochen zu gerinnen. Ähnlich verhält sich
koaguliertes Blutserum. Lebende Kulturen des Milzbrand-
1) Vgl. Fermi, Areh. f. Hyg. 12.
2) Zeitechr. f. Hyg. 18. 1894.
3) Vgl. Permi, Areh. f. Hyg. 12.
4) Ebenda 12. 27 ff.
488 Kap. IX, § 165.
bazillus, Spir. cholerae und Finkler-Prior, Bac. prodigiosus und pyo-
cyaneus und Trichophyton tonsurans verflüssigten das Serum, die
Lösung wurde aber durch Kochen und Salpetersäure in der Kälte fast
vollständig flockig gefällt. Die bakterienfreien Enzyme der beiden
Spirillen lösten das Blutserum gleichfalls, die der übrigen Mikroorganis-
men nicht. Die Gerinnbarkeit durch Hitze blieb auch hier selbst nach
zweimonatlicher Einwirkung erhalten. Allerdings wül Fermi das-
selbe für Trypsin beobachtet haben. In späteren Versuchen^) konnte
derselbe Autor in Eiweißgemischen, die mit zahlreichen Reinkulturen
oder Fäulnisbaktericn geimpft waren, nach mehrwöchentlicher Ein-
wirkung mittelst die Biuretprobe niemals Pepton als Bak-
terienprodukt nachweisen.
Man muß nach diesen Erfahrungen F e r m i s wohl zugeben, daß
in vielen Fällen die Enzyme der Mikroorganismen die Proteolyse noch
nicht einmal bis zur Stufe des Peptons durchführen. Daß das aber ein
allgemeines Gesetz sein sollte, ist selbst, wenn wir von einzelnen Bei-
spielen, auf die wir gleich kommen werden, absehen, ganz und gar
unwahrscheinlich. Wir werden bei Besprechung der Fäulnis (§ 167 ff.)
feststellen, daß viele Bakterien das Eiweiß noch weiter spalten als das
Trypsin und sich wahrscheinlich zum größten Teil dazu echter Enzyme
bedienen. Leider ist deren Nachweis freilich noch nicht in größerem
Umfange geliefert worden, aber wohl nur deshalb, weil man bei den
zahlreichen in Betracht kommenden Untersuchungen nur ausnahms-
weise das Augenmerk auf die Enzyme gerichtet hat. Diejenigen Forscher,
die sich nach Fermi mit den proteolytischen Enzymen der Mikro-
organismen beschäftigt haben, sahen mehr darauf, ob eine Lösung
stattfand oder nicht, ließen aber meist die Produkte der Lösung un-
beachtet. So hat Eijkmann*) durch seine Plattenmethode uns ein
einfaches Mittel an die Hand gegeben, uns von dem Vorhandensein
eiweißlösender Enzyme zu überzeugen. Sämtliche gelatineverflüssigende
Mikroorganismen hellen z. B. auf Platten, die mit Kasein- oder Mileh-
agar hergestellt sind, den Nährboden im Umkreise der Kolonien auf
einige wenige von ihnen'), wie der Bac. pyocyaneus, fluorescens lique-
faciens, in geringerem Maße auch der Bac. anthracis und anthracoides,
erzeugen solche „Höfe" auf Agarplatten, die mit fein zerhackten elasti-
schen Geweben gemischt sind. Das kann nur durch die Wirkung von
Enzymen erklärt werden. In der Tat hat E i j k m a n n die Losung
des E 1 a s t i n s auch in keimfreien Filtraten von Bouillonkulturen
des Pyocyaneus festgestellt.
1) Zentr. Bakt. 20. 387.
2) Ebenda 29. 22, 1901.
3) Ebenda 35. l, 1903.
Wandlungen d^ Eiweißkörper. 489
Eine genauere Untersuchung der en^ymatischen Spaltungsprodukte
des Eiweißes, die zu anderen Ergebnissen als die F e r m i sehe Arbeit
führte, hat u. a. Emmerling^) vorgenommen. Er vermischte
-^Jg Bakteriensubstanz des Bac. fluorescens liquefaciens
mit 1000 g Fibrin und ließ die wässerige Aufschwemmung mit Toluol-
zusatz wochenlang bei 37^ stehen. Allmählich ging sämtliches Fibrin
in Lösimg. Pepton war lange nachweisbar. Dazu traten dann
Tyrosin, Arginin, Leuzin, Asparaginsäure, alles
Produkte, die bei der Trypsin- und durch Emmerling selbst bei
der Papayotinverdauung nachgewiesen worden sind. Dieser Versuch
ist insofern nicht einwandfrei, als nicht die nach außen abgesonderten
Enzyme der Bakterien, sondern deren Endoenzyme (s. u. § 166) geprüft
wurden. Wir glauben sie aber schon hier wiedergeben zu sollen, weil der
Fluorescens zu den Bakterien gehört, die Eiweiß besonders energisch lösen:
Einwandfrei ist dagegen die Untersuchung Ealischers^)
über die Verdauung des Kaseins durch Milchbakterien aus der Gruppe
der Heubazillen. Er benutzte zu seinen Versuchen durch Chamber-
landfilter filtrierte alte Bouillonkulturen oder durch gewöhnliches
Filtrierpapier hindurchgegangene Bouillon mit Zusatz von Thymol
oder ToluoL Natürliche Milch oder künstliche Easeinlösung wurden
zunächst durch diese Filtrate zur Gerinnung gebracht (s. u. Labferment
§ 177), dann aber allmählich gelöst. In einem Versuch hörte die Enzym-
räkung mit der Peptonisierung auf, in einem anderen, in dem
größere Mengen von kräftiger wirkender Enzymlösung zur Verwen-
dung gelangten, wurde nicht nur alles Kasein binnen zwei Tagen in
Pepton übergeführt, sondern das Pepton noch weiter gespalten.
Leuzin und Tyrosin wurden isoliert, die Tryptophan-
r e a k t i o n fiel positiv aus, und in dem Ätherextrakt wurde durch
die M i 1 1 o n sehe Beaktion die Anwesenheit einer aromatischen Oxy-
saure festgestellt. Durch diese letztere Reaktion geht die Ferment-
wirkung also sogar über die des T r y p s i n s hinaus (vgl. § 166). Spuren
von Ammoniak wurden, wie so häufig bei der Trypsinverdauung, eben-
falls entwickelt. Das proteolytische Enzym ließ sich durch Alkohol
aus der Fermentbouillon ausfällen, meist in Gesellschaft des Lab-
enzyms; aus 6 Wochen alter Bouillon wurde nur das erstere gewonnen.
Bei einigen Anaerobiem hat Achalme^) folgendes festgestellt.
Zunächst gelang es ihm nicht, wie anderen Forschern^), mittelst Filtra-
1) Ber. ehem. Ges. 1902. 700.
2) Arch. f. Hyg. 37. 48, 1900.
3) Annal. Pasteur 1902, 649.
4) Passini (Zeitschr. f. Hyg. 49. 153) erhielt z. B. in Pukallfiltraten
des Bac. putrificus ein peptonisierendes Ferment.
490 Kap. IX, § 165.
tion durch Tonfilter das Enzym nachzuweisen, sondern nur dadurch,
daß er die Kulturen zentrifugierte und die klare Flüssigkeit mit Zusatz
von Chloroform oder besser von Senföl bei 48® verwandte. Durch
diese Lösung wurde nicht nur Gelatine, sondern auch Kasein, Fibrin,
iSvntonin imd Eiereiweiß peptonisiert, die weitere Spaltung bis zum
Leuzin und Tyrosin ging aber nur sehr langsam von statten,
während die lebenden Bakterien so schnell über die Stufe des
Peptons hinausgelangen, daß es in lebenden Kulturen nur schwer nach-
gewiesen werden kann. Mit dem Trypsin des Pankreas stimmt das
Enzym dadurch überein, daß es nur bei deutlich alkalischer Reaktion
kräftig wirkt und durch Zusatz von Blutserum in seiner Wirkimg ge-
hemmt wird. Die Ähnlichkeit geht sogar so weit, daß das „Antitrypsin'*,
das Achalme^) durch Einspritzung von Pankreatin im Tiere erzeugen
konnte, auch das Bakterientrypsin fast ebenso stark beeinflußte. Die
Ausscheidung des Enzyms durch die Bakterien ist in den ersten Tagen
sehr gering, sie wird erst energischer, wenn die Sporulation und damit
die Auflösung des Bakterienkörpers beginnt. Es läßt sich nicht leugnen,
daß das Verdaumigsenzym der Anaerobier durch diese Eigenschaft
sich wieder den intrazellulären Enzymen (§ 166) nähert.
Von anderen Arbeiten über Bakterien seien noch erwähnt die von
C a c a c e ^) imd Mavrojannis^), obwohl beide Verfasser nicht
mit Enzymen, sondern mit lebenden Kulturen gearbeitet haben. Ca-
c a c e wies durch Züchtung der Sarcina aurantiaca des Bac. anthracis
imd Staphyloc. pyogenes aureus in Gelatine und koaguliertem Rinder-
blutserum nach, daß diese Bakterien das Eiweiß in ähnlicher Weise
spalten wie Verdauungsfermente, unter Bildung von Proto- und
Deuteroalbumosen und Spuren von Pepton. Um diese Pro-
dukte nachzuweisen, muß man aber nicht so spät, wie es Fermi
getan, sondern in einem früheren Zeitpunkt untersuchen, weil sonst
die Spaltung zu einfacheren Körpern fortschreitet. Letztere wurden
leider nicht geprüft. Mavrojannis benutzte die Erfahrung, daß
Formaldehyd die Lösimgen der ersten Produkte der Eiweiß-
und Leimverdauung, der Albumosen (Gelatosen) zur Erstarrung bringt,
die Peptone schon nicht mehr, um das proteolytische Vermögen der
Mikroorganismen zu studieren. Er fand dabei, daß der Staphyloc.
pyog. aureus und albus, Bac. anthracis, pyocyaneus imd das Spir.
cholerae zur ersten, Spir. Deneke, Finkler-Prior imd Metschnikoff
zur zweiten Gruppe gehören. Aus einer alten Denekekultur gelang
1) Aniifal. Pasteur 1901, 737.
2) Zentr. Bakt. 30. 244, 1901.
3) Zeitschr. f. Hyg. 45, 1903.
Wandlungen der Eiweißstoffe. 491
es dem Verfasser auch in gewisser Menge Gelatinepepton auszuziehen.
Es liegt auf der Hand, daß diese Formalinhärtungsmethode nur gröbere
Unterschiede in dem Peptonisierungsvermögen der Bakterien enthüllen
k&nn.
über die proteoljrtischen Enzyme der Fadenpilze liegen
auch einige Untersuchungen vor. F e r m i (s. o.) hatte ihre Existenz
schon für Trichophyton tonsurans bewiesen, D u c I a u x ^) imd Han-
sen^) für Penicillium glaucum und andere Schimmelpilze. B o -
k 0 r n y ^) fand bei Yerdauungsversuchen mit Blutalbumin, Hühnereiweiß,
Milchkasein, Ijegumin und Fleisch, daß durch Schimmelpilze bei saurer
Reaktion nur 1—^%, und zwar am meisten vom Fleisch gelöst wurden.
Er betont die Ähnlichkeit mit der Fepsinwirkung. Genauer
wurden die proteolytischen Enzjrme von Malfiti^no^), Butke-
witsch^) und W e n t •) studiert. Die Angaben lauten verschieden.
Xach Malfitano geht das proteolytische Enzym des Aspergillus
oiger nur aus absterbenden oder toten Myzelien in die Nährböden
über (s. u. § 166), daher entwickelt es sich bei Kultur des Filzes in Rau-
linscher Lösung bei 25^, wo das Absterben früher erfolgt, viel schneller.
Die Art der Stickstoffemährung soll dabei keinen Einfluß auf den
Enzymgehalt der Flüssigkeit haben. Am reichlichsten ist die „Protease"
durch Zerreiben des Pilzkörpers selbst zu erhalten. Sie wirkt am besten
bei schwach saurer Reaktion, wie sie durch saure Phosphate er-
halten wird, aber auch noch bei neutraler Reaktion, während alkalische
ihre Wirksamkeit aufhebt. Die Proteolyse steht nicht still bei dem
Pepton, sondern geht noch weiter. Die Zersetzungsprodukte stellte
Malfitano aber nicht näher fest. Gelatine und Kasein wird stärker
angegriffen als Albumin, durch Hitze koaguliertes Albumin widersteht
überhaupt. Butkewitschs Versuchsanordnung unterschied sich
insofern, als er nicht von der Raulinschen Nährflüssigkeit, sondern
von einer Peptonzuckerlösung, die mit Phosphorsäure nur wenig an-
gesäuert war, ausging. Es zeigte sich, daß sowohl die sterile Kultur-
flüssigkeit von Aspergillus, die sauer reagierte, als die von Peni-
cillium glaucum und Mucor, die alkalisch reagierte, Gelatine
verflüssigten. Wurde Pepton durch ein Ammoniaksalz ersetzt, so ent-
hielt die Kultur kein Enzym. Innerhalb des Pilzkörpers ließ sich
dagegen stets ein solches nachweisen, allerdings in größerer Menge
1) Le lait, 1894.
2) Flora 89. 88.
3) Chemikerzeitung 26, Kochs Jahresber. 1902. 579.
4) Annal. Paeteur 1900. 60 und 420.
5) Jahrb. wiss. Botanik 38, 1903.
6) Ebd. 36, 1901.
492 Kap. IX, § 165.
bei Ernährung mit Pepton. Von den Enzymen wurde auch Fibrin
und Pepton gespalten, und zwar entstanden dabei L e u z i n imd
T 7 r o s i n neben Ammoniak.
W e n t s Arbeit endlich ist deshalb bemerkenswert, weil sie die
Ausscheidung von proteolytischen Enzymen unter verschiedenen Er-
nährungsbedingungen festzustellen suchte: unähnlich den Kohlehydrate
spaltenden Enz3mien (vgl. Kap. VI) bildet die Monilia sitophila proteo-
lytische nur auf Nährböden, die Protein, nicht auf solchen, die Kohle-
hydrate, Glyzerin, Fette usw. enthalten. W e n t hält es für eine Art
Trypsin, weil sich unter den Spaltungsprodukten Ammoniak nach-
weisen ließ.
Eine ,,Kasea8e" (Duclaux) fanden femer Bodin und Le-
normand*) in den Kulturfiltraten eines auf der Haut schmarotzen-
den Strahlenpilzes (Oospora oder Mikrosporon). Sie löste
nicht bloß Kasein, sondern ebenfalls Gelatine, Serum und Eier-
eiweiß. Eine 15 Minuten dauernde Erhitzung auf 70° schädigte
sie nur wenig, 80** zerstörte sie vollständig. Das Enzym entwickelt
sich sehr allmählich imd ist am kräftigsten in alten Kulturen, in denen
der Pilzrasen schon stark im Schwinden begriffen ist (vgl. § 166).
Die Bildung der proteolytischen Enzyme durch die Mikro-
organismen wird durch verschiedene Umstände beeinflußt. Viele von
ihnen büßen nach Liborius^) das Verflüssigungsvermögen ein,
wenn ihnen die Sauerstoff zufuhr beschränkt wird; eine allgemeine
Regel ist das aber nicht, denn unter den strengen Anaerobiem gibt es
bekanntlich eine Anzahl, die mit besonders kräftigen eiweißlösenden
Enzymen begabt sind. Daß zu der Proteolyse selbst der Sauerstoff
der Luft nötig wäre, ist also nicht anzimehmen, die einmal gebildeten
Enzyme werden wohl auch bei den luftliebenden Klein wesen bei Sauer-
stoffabschluß ihre Tätigkeit ausüben, und nur ihre Erzeugung sinkt.
Ebenso verschieden wie der Einfluß der Luft ist der der Zusammen-
setzung des Nährbodens. Wir haben schon gesehen, daß von vielen,
aber nicht allen Bakterien proteolytische Enzyme auch auf Kartoffeln
gebildet werden, also auf Stoffen, die kaum eine Verwendung der
Enzyme gestatten und dabei besonders reich an Kohlehydraten sind,
während umgekehrt die Monilia sitophila W e n t s ihr Enzym nur
auf Proteinnährböden ausscheidet.
Etwas zweifelhaft ist die Deutung folgender Erfahrungen. Die
Gegenwart von Zucker hemmt nach Liboriusu. a. die Verflüssigung
der Gelatine durch den Bac. anthracis und die Spirillen völlig, die durch
1) Annal. Pasteur 1901.
2) Zeitschr. f. Hyg. 1, 1886.
Wandlungen der Eiweißkörper. 493
den Staphyloc. pyogenes aureus, den Bac. prodigiosus und proteus
vulgaris^nur teilweise. Andere, wie der Bac. subtilis, aerophilus, fluores-
cens liquefaciens und pyocyaneus werden gar nicht beeinflußt. Im
ersteren Falle kcmn man entweder daran denken, daß die Bildung des
Enzyms unterbleibt, weil die Bakterien bei Gegenwart des Zuckers
es vorziehen, aus ihm ihren Nahrungsbedarf zu befriedigen, also die
proteolytischen Enzyme nicht produzieren, weil sie ihrer nicht mehr
bedürfen (s. o. und § 58), oder aber die saure Reaktion der Spaltungs-
produkte des Zuckers für die fehlende Proteolyse verantwortlich machen.
Die Wirkung von Alkaloiden auf die Fermentabsonderung
hat F e r m i ^) studiert. Ein Zusatz von Antip3nin imd Strychnin
soll sie beim Bac. prodigiosus, ein solcher von Chinin beim Bac. pyo-
cyaneus aufheben, ohne das Wachstum der Bakterien deutlich zu be-
einfluasen. Die Ursachen sind nicht klar. Wenn das Wachstum be-
einträchtigt würde, wäre das Ausbleiben der Enzymbildung natürlich
nicht weiter verwunderlich.
Aus unserer Darstellung ergibt sich, daß unsere Kenntnisse über
die proteolytischen Enzyme der Mikroorganismen noch ziemlich lücken-
haft sind. Soviel ist jedenfalls klar, daß zwischen den einzelnen Arten
große Unterschiede bestehen, die wohl nicht bloß darauf beruhen,
daß die Menge des gebildeten EnzjmMi wechselt, sondern ihre Wirkungs-
weise eine imgleiche und mehr oder weniger tiefgreifende ist. In dieser
Beziehung haben sie bald mehr Ähnlichkeit mit dem Pepsin, bald mit
dem Trjrpsin, ohne aber sonst mit diesen völlig übereinzustimmen.
Dem Trypsin stehen sie wohl im allgemeinen insofern näher, als alka-
lische Reaktion ihre Wirksamkeit meist begünstigt, doch kommen
besonders bei Pilzen, aber auch bei Bakterien Ausnahmen vor, die wahr-
scheinlich in manchen Fällen, z. B. bei der Reifung des Käses (§ 178),
praktisch bedeutsam sind, und sich vielleicht durch die vorwiegende
Beteiligung von Endoenzymen (§ 160) an der Proteolyse erklären.
Daß auch den Mikroorganismen Fermente zukommen, die bloß
itnstande sind, Albumosen, Pepton mid von den eigentlichen Eiweiß-
körpem nur Kasein zu spalten, wie das E r e p s i n der Darmschleim-
haut (C 0 h n h e i m) , wird von V i n e s behauptet. Wir kommen
darauf ebenfalls bei den Endofermenten (§ 166) zurück. Neuerdings
kaben de W a a 1 e und Vandevelde^) angegeben, auch nicht
verflüssigende Bakterien wie Typhus-, Paratyphus- und Colibazillen
verflüssigten bzw. spalteten die Gelatine und Kasein zu Pepton. Sie
hestimmten das unveränderte Kasein (in Milch oder Kaseinbouillon)
1) Arch. f. Hyg. 14.
2) Zentr. Bakt. 39. 353, 1905.
494 Kap. IX, § 165 u. 166.
durch Niederschlagen mit Essigsäure und die Gelatine durch Fällei
mit TOprozentigem Alkohol, der Albumosen mid Pepton nicht fallt
Ob es sich hier um eine besondere Enzymart oder um Endotrypta&
handelt, steht dahin. Die Fähigkeit, Pepton zu spalten , besitze)
alle diese Bakterien (§ 174).
Nach einigen Beobachtungen von Delezenne und Breton*
sollen dieselben und andere Mikroorganismen, die nicht verflüssigende]
Bac. aerogenes, coli, typhi imd die verflüssigenden Bac. mesentericu
mid Spirillum Finkler-Prior in ihren Kulturfiltraten eine Substan;
enthalten, die der Enterokinase des Darmsafts (P a w 1 o w
entspricht, d. h. die Fähigkeit besitzt, die verdauende Tätigkeit de.«
Pankreassaftes in Gang zu bringen oder, wie man sagt, das Tiypsir
zu „aktivieren". Nach Breton würden die Darmbakterien durch
diese Eigenschaft befähigt sein, die Verdauimg zu unterstützen (vgl.
Infektionslehre).
Auf „Nukleasen", wie man sie auch im Pankreas findet, zurück-
geführt werden die verflüssigenden Wirkungen, die gewisse Bakterien
auf nukleinsaures Natron ausüben^). Die Verschiedenheit der Nukleasen
von den tryptischen Fermenten wurde dadurch erwiesen, daß Gelatine-
auflösung dabei fehlen kann. Die Spaltung der Nukleinsäure bleibt
übrigens bei der Verflüssigung nicht immer stehen, sondern es werden
wahrscheinlich auch wieder durch dieselben oder andere Fermente
Nuklein-(Purin-)basen abgespalten, und diese wieder teilweise (Guanin,
Adenin?) zersetzt (s. u.).
Zu den hydrolytischen sind ebenfalls zu rechnen die Spaltungen
des Asparagins (Glutamins) und A r g i n i n s , und beide auch
enzymatischer Natur. Die Zersetzung des Asparagins in Asparaginsaun^
und Ammoniak werden wir später bei der Vergärung des Eiweißes durch
den Proteusbazillus (§ 169) und Pyozyaneus (§ 171) zu erwähnen haben.
Das Vorkommen von Arginase,d. h. eines das Arginin (Guanidiii-
a-aminovaleriansäure) unter Wasseraufnahme in Harnstoff und Ornithin
spaltenden Ferments, neben „Guanasen" im Hefepreßsaft machte
S h i g a ^) wahrscheinlich. Damit kommen wir zu den intrazellularen
VerdauungseDzymen (§ 166). Man kann übrigens von vornherein an-
nehmen, daß mit den bisher bekannten Arten der proteolytischen Fer-
mente die Zahl der vorhandenen noch nicht erschöpft ist.
1) Coinpt. rend. soc. biol. 1904. 35.
2) P 1 e n g e , Zeitschr. physiol. Chem. 39, 1903; 1 w a n o £ f ebenda,
Nakayama ebenda 41, 1904 ; Schittenhelm und Schröter
ebenda 39—41.
3) Zeitschr. physiol. Chem. 42, 502, 1904.
Wandlungen der Eiweißkörper. 495
Das Verhältnis des Labferments zu den proteoljrtischen wird uns
später beschäftigen (§ 177).
§ 166. Selbstverdaunng der Kleinwesen. Endotryptase.
Vott der Bierhefe ist seit ihrer Eeinzüchtung bekannt, daß sie, wenn
überhaupt, nur ein sehr geringes Verflüssigungsvermögen für Gelatine
und andere Eiweißköiper^) besitzt. Ebenso und noch länger bekannt
ist aber ein Sjcrsetzungsvorgang, der die Eiweißstoffe der Hefe*) selbst
ergreift, wenn sie in größeren Mengen aufbewahrt wird, ohne daß
ihr Gelegenheit zur Gänmg und zum Wachstum gegeben ist, die von
Salkowßki^) zuerst sogenannte „Autodigestion", Selbstverdauung,
Autolyse der Hefe*). Seitdem unterscheidet man sie auch dem Namen
nach von der sogenannten Selbstvergärung der Hefe (S. 267). Nach
der Herstellung des Hefepreßsaftes durch E. Buchner wies dann
Hahn*) das Vorkommen eines proteol)rtischen Enzyms („Endo-
tryptase") neben der Zymase in diesem Preßsaft nach und studierte
dessen Wirkungen zugleich mit G e r e t •). Zunächst machen sich diese
schon dadurch bemerkbar, daß der Preßsaft allein, wenn er mit Chloro-
form oder Toluol, z. B. im Eisschrank 3 Wochen lang, im Zimmer
10—14 Tage, bei 37° wenige Tage steht, nicht mehr durch Hitze ge-
rinnt.
Aber auch zugesetzte Eiweißkörper, wie Gelatine, Kasein, Gluten-
kasein, Liegumin, Eieralbumin, Fibrin, Nuklein werden von dem Preß-
saft verdaut. Die Verdauungsprodukte verteilen sich zum Schluß
ungefähr zu 30% auf die durch Phosphorwolframsäure zu fällenden
Basen (die sogenannten Hexonbasen — Diarninosäuren — Histidin,
Arginin, Lysin und Ammoniak), zu 70% auf Aminosäuren
(licuzin, Asparaginsäure, Tyrosin, Tryptophan). Daneben entstehen
in geringerer Menge Nukleinbasen wie Guanin, Adenin, Xanthin,
Hypoxanthin. Femer wird der organisch gebimdene Phosphor schnell
in Form von Phosphorsäure abgespalten, während bezüglich
des Schwefels nur erwähnt wird, daß der gebundene Schwefel zum
1) Vgl. darüber namentlich Boullanger, Aimal. Pasteur 1897 ;
Beijerinck, Zentr. Bakt. 2. Abt. 3. 449; Will ebenda 4. 753, 1898.
2) Th^nard, Ann. chim. phys. 46. 294 ; P a s t e u r ebenda
3. 8^r. 58. 401, 1860; L i e b i g , Annal. d. Chemie 153, 1870; B e c h a m p ,
(ompt. rend. ac. sc. 61. 74. 78 u. 88, 1865—79; Schützenberger,
<iäning8erscheinungen, 1875.
3) Zeitschr. phisiol. Chem. 13, 1889.
4) Später namentlich studiert von Kutscher ebenda 32. 1901.
5) Ber. chem. Ges. 1898. 200.
6) Ebenda 202 und 2335, vgl. auch die Darstellung bei E. B u c h -
ner und Hahn, Zymasegärung 1903.
496 Kap. IX, § 166.
geringen Teil in Schwefelsäure übergeht. Albumosen
treten während der Spaltung nur vorübergehend und in geringer Menge
auf, Pepton überhaupt nicht. Die Wirksamkeit des Ferments
ist am größten bei 40 — 45**, sie wird vernichtet bei 60®. Bei 37® hält
sich die Wirkung 9 — 15 Tage. Sauerstoff hat vielleicht einen geringen
fördernden Einfluß. Von den Antisepticis sind schädlich nur Sublimat
und Phenol durch die Fällung, die sie hervorrufen, und in größerer
Menge angewandt Formaldehyd, Blausäure und Chinin^). Neutral-
salze wirken selbst in konzentrierter Lösung günstig, Alkalien schon bei
Neutralisierung des schwach sauren Preßsaftes imgünstig, während
Säuren bis zu einem gewissen Grade (2^00 Salzsäure) die Proteolyse
beschleunigen. Glyzerin, Mannit und alle Zuckerarten hemmen, ebenso
wie Konzentrierung des Preßsaftes, die verdauende Wirkung, größere
Mengen von Alkohol (über 5%) ebenso, nicht dagegen GlykokolP).
Das Enzym, das von Hahn „Endotryptase" genannt wird, wahrschein-
lich aber mit einer „Endonuklease" und anderen Fermenten (s. u.)
gemischt ist, läßt sich durch wiederholte Alkoholfällung reinigen, meist,
aber nicht vollständig von der Invertase der Hefe trennen, gibt noch
die meisten Eiweißreaktionen imd ist nicht dialysierfähig. Selbst aus
jungen Hefekulturen läßt sich das Enzym durch Verreiben mit Kiesel-
guhr und Sand sofort gewinnen, es scheint aber in der lebenden Zelle
in Form eines Zymogens vorhanden zu sein, aus dem es in größerer
Menge erst durch schädigende Einflüsse der verschiedensten Art frei
wird und dann auch unter Umständen nach außen tritt. So erklärt
sich gleichzeitig mit der Selbstverdauung der lebenden Hefe wohl auch
die proteolytische Wirkung älterer, im Absterben begriffener Hefe-
kulturen. Möglich wäre es freilich, daß wie V i n e s *) es behauptet,
die Endotryptase noch von anderen proteolytischen Enzymen, die
sich leichter von der Zelle trennen lassen, begleitet wäre. So
erhielt er durch rasches Ausziehen von Hefe ein pepton- und
kaseinlösendes ,,Erep8in".
Es braucht kaum gesagt zu werden, daß sich die Endotrj^ptase
nicht nur im Preßsaft., sondern auch in der Dauerhefe nach-
weisen läßt.
Zur Ergänzung dieser Mitteilimgen über die Wirkung der Endo-
tryptase mag noch die Erfahrung von Schütz^) dienen, daß bei
1) O r o in o w , Zeitschr. physiol. Cham. 42. 300, 1904, vgl. über die
zum Teil entgegengesetzten Wirkungen von Giften und anderen Zusätzen
auf die Zymase und die Endotryptase auch S. 269 u. 270.
2) Annal. of botany 1904 u. 1905 (Kochs Jahresber.).
3) Hofmeisters Beitr. 3, 1903.
Wandlungen der Eiweißkörper. 497
der Selbstveidauimg der Hefe etwa 6% des Gesamtstickstoffs in Form
von Ammoniak erscheint^). Na<$li Schütz zeigt sich ferner, daß
Euglobulin mid Semmalbumin, die der in Selbstverdauung begriffenen
Hefe zugesetzt werden, weniger angegriffen werden als das eigene
Eiweiß der Hefezelle, am wenigsten aber Pseudoglobulin. Letzteres
schien sogar die Selbstverdauung zu hemmen. Dagegen wurde Gelatine
sehr reichlich zersetzt. Die Mitteilungen von Hahn und G e r e t
sowie die früheren Erfahrungen über die tryptischen Fermente lassen
noch die Gregenwart einer die Nukleinsäure zersetzenden „Nuklease'*
(8. o. S. 494) vermuten. Die dabei entstehenden oder künstlich zu-
gesetzten Nukleinbasen werden chemisch noch weiter verändert. So
kann man nach den Versuchen S h i g a s ^) im Hefepreßsaft mindestens
noch eine „Guanase^' annehmen. Außerdem wird nach demselben
Forscher Arginin durch eine „Arginase'' des Preßsaftes in Ornithin
und Harnstoff gespalten. Nach I w a n o f f ist im Hefepreßsaft auch
noch ein synthetisches Enzym enthalten, das die Phosphorsäure in
organische Bindung überführt (Triosephosphorsäure vgl. S. 263). Wie
diese sich zu dem Phosphorsäure abspaltenden von Hahn und
6 e r e t verhält, wäre noch auszumachen.
Intrazellulare Enzyme ähnlicher Art haben Hahn und 6 e r e t
auch aus Typhus-, Tuberkelbazillen und S a r c i n a
r o 8 e a *) mittelst der Preßsaftmethode dargestellt. Es sind das Mikro-
organismen, bei denen man bis dahin überhaupt keine proteolytischen
Eigenschaften gekannt hatte. Die von Hahn und G e r e t befolgte
Technik ist zwar sonst nur noch selten angewandt worden, trotzdem
1) Bei der Selbstverdauung der Organe und Bakterien (s. u.) wurden
Öfters ähnliche, bei der Trypsinverdauung meist niedrigere Zahlen erhalten.
Daraus wie aus den übrigen Zersetzungsprodukten der Endotryptase mit
Hahn (in Lafars Handb. 3. 127) zu schließen, daß die letztere sich
zu den proteolytischen Ektoenzymen verhalte wie Zymase zu Invertewe,
geht nicht an. Wenn die Endotryptase die Aminosäuren spaltete, wie etwa
die Fäulnis, wäre es eben kein tryptisches (hydrolytisches) Ferment mehr,
sondern eine „Aminazidase**. In der Tat spricht viel dafür, daß solche
bei der Selbstverdauung der Organe, der Hefe und namentlich der Bakterien
neben tryptischen Enzymen mitwirken (s. u. im Text).
2) Zeitschr. physiol. Chem. 42, 1904. Vgl. § 193.
3) Kutscher (Sitziuigsber. Gesellsch. z. Beförd. Naturw. Marburg
Mai 1901) findet bei elftägiger Selbstverdauimg frischer Tuberkelbazillen
unter Ohloroformzusatz, daß beträchtliche Mengen der Bazillen in Lösung
gehen, die gelösten Stoffe aber wegen ihres geringen Stickstoffgehalts
nur etwa zum dritten Teil aus Eiweiß bestehen könnten. Propepton und
Pepton fehlten gänzlich (keine Bim-etreaktion), eine leuzinähnlich kristalli-
sierende Substanz und geringe Mengen von Alloxur- ( Nuklein- )Basen
waren nachweisbar.
Kruse, Mikrobiologie. 32
498 Kap. IX, § 166.
sprechen viele Tatsachen dafür, daß intrazellulare Verdauungsenzyme
in den Mikroorganismen weit verbreitet, ja allgemein vorkommen.
Die Ergebnisse, dieEmmerling mit den Leibern des B a c. f 1 u o -
rescens liquefaciens erhalten hat, wurden schon früher
besprochen (S. 489). Besonders häufig, allerdings nicht immer mit
genügender Sicherstellung der intrazellularen und enzymatischen
Natur seines Leistungsvermögens wurde der mit dem Fluorescens nahe
verwandte Pyocyaneus studiert. Sehr bedeutend ist die lösende
Kraft, welche die „Pyocyanase"^) nach Emmerich und Low auf
die Bakterienleiber der eigenen und auch fremder Arten ausübt. Sie
arbeiteten meist mit eingedickten Filtraten alter Kulturen. Aber der
Freßsaft des Bac. pyocyaneus wirkt nach P. Krause^) ebenfalls
sehr kräftig. Nach Breymann') haben schon die zerriebenen
— nur mit Chloroform abgetöteten imd getrockneten — Bazillen ver-
dauende Wirkung auf Gelatine. Sera hat jüngst in meinem Labora-
torium den Versuch gemacht, den Qrad der Selbstzersetzung von
Pyocyaneusbazillen unter Chloroform an der Hand von Ammoniak-
bestimmungen festzustellen. Er fand etwa 13% des Stickstoffs der
Bazillenleiber als Ammoniak wieder. Wir schließen daraus auf das
Vorhandensein von „Aminazidasen'^ neben Endotryptase (s. u.). Auf-
lösungserscheinungen sind übrigens schon früher vielfach
in Bakterienkulturen beobachtet worden, so besonders bei P n e u -
moniekokken, Gono- und Meningokokken, Cho-
lera - mid Milzbrandbazillen*). Allem Anschein nach ge-
hört auch ein Teil der „Entartungsformen", die man ganz allgemein
in alten Bakterienkulturen gefunden hat in den Bereich der Selbstver-
dauung. Wir haben die mikroskopischen Veränderungen, die dabei
auftreten, schon früher ausführlich besprochen und verweisen auf die
dort gegebene Literatur (§9). Die chemischen Vorgänge sind aber bisher
nur ausnahmsw^eise näher verfolgt worden. Von vornherein wird man
erwarten dürfen, daß morphologische und chemische Veränderungen
einigermaßen parallel gehen. Wenn daher M o u t o n ^) erklärt, die
Colibazillen unterschieden sich durch den Mangel der autolyfcischen
Fähigkeit von anderen Bakterien, so ist uns das nach unseren eigenen
Erfahnmgen verständlich (S. 22). Doch kommen Stämme mit anderen
1 ) Wahrscheinlich enthält die Pyoeyanase neben VerdauimgsenzjTnen
noch einen eigentümlichen hitzebeständigen bakteriziden Stoff (Lipoid ?),
über den an anderer Stelle berichtet wurde (§ 7 u. 8). Dort Lit.
2) Zentr. Bakt. 31. 14, 1902.
3) Ebenda 31. 498, 1902.
4) Pfersdorff (Zeitechr. Tiermediz. 8, 1904) fand darin ein gela-
tinelösendes Ferment (vgl. u,).
5) Annal. Fast. 1902. 498.
Wandlungen der Eiweißkörper. 499
Eigenschaften vor. Rettger ^) hat z. B. die A.utoIyse ebensowohl bei
^*olibazillen wie beim Pyocyaneus und Prodigiosus gefunden; nach ihm
ist sie am besten zu beobachten und mit Hilfe der Biuretreak-
t i o n zu verfolgen in dicken Aufschwemmimgen der Bazillen in neutraler
oder leicht alkalischer physiologischer Kochsalzlösung mit 5% Toluol-
zasatz. 10% des Antiseptikums hoben die Autolyse völlig auf, ebenso
■A) Minuten dauernde Erhitzung auf 58 — 60®.
Am weitesten gehen die autolytischen Wirkungen anscheinend
beim Proteus vulgaris'). Nawiasky^) hat nämlich gefunden, daß
H,5— 7 g Proteusbazillen in 100 ccm einer Mineralsalzlösung in 4 — 15
Tagen 21 — ^99 mg Ammoniak abspalteten. Berechnet man den
Stickstof^ehalt von 1 g Proteus auf 27 mg, so würden durch die Selbst-
verdauung 16 — 50% der Eiweißstoffe des Bazillus nicht nur gelöst,
sondern sogar tiefer gespalten worden sein. Wir kommen gleich auf
diese Tatsache zurück, die dafür spricht, daß bei der Selbstverdauung
neben den eigentlichen (hydrolytischen) Yerdauungsenzymen auch
solche, die Aminosäuren spalten, vorhanden sind. In der Tat hat
Nawiasky auch auf immittelbarem Wege die Entstehung solcher
Enzyme („Aminazidasen") nachgewiesen (§ 169). — Die Angaben M a 1 -
fit an OS und Butkewitschs über die Möglichkeit, proteolytische
Enzyme aus den Leibern von Schimmelpilzen zu gewinnen,
wurden schon erwähnt (S. 491). Sie ähneln offenbar in ihren Eigen-
schaften und Leistungen der Endotryptase, doch bleibt es unbestinmit,
ob nicht noch daneben die gewöhnlichen nach außen abgesonderten
Verdauungsenzyme in Frage kommen. Durch Zerreiben der endo-
trophen Mykorrhizen (Wurzelpilze) von Podocarpus (vgl. § 202) hat
auch Shibata^) nach dem Vorgange von F e r m i und B u s -
caglioni^) ein proteolytisches Enzym dargestellt, d$w Fibrin in
schwach saurer Lösung in Albumosen und Peptone spaltet. Er führt
es freilich nicht auf die Pilze der Mykorrhizen, sondern auf die Wirts-
zellen zurück, die durch Vermittelung dieses Enzyms in der Lage seien,
die Eiweißsubstanzen der mit ihnen in Symbiose lebenden Pilze aus-
zunutzen. Daß die in den Schimmelpilzen enthaltenen Endoenzyme
auch zur Selbstverdauung führen, ist von vornherein wahrscheinlich.
^ erklären sich wohl die großen Stickstoffverluste, die in ausgewachse-
nen, aber hungernden Kulturen der Eurotiopsis Gayoni nach M a z e
1) Joum. med. research. 1905.
2) In unseren Beobachtungen neigte dagegen gerade dieser Bazillus
wenig zur Selbstauflösung (S. 22).
3) Arch. f. Hyg. 66. 222.
4) Jahrb. wiss. Bot. 37. 673, 1902.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5, 1899.
32*
500 Kap. IX, i 166.
(S. 61) bei Sauerstoffzutritt oder -abschluß eintreten. Daß in diesem
Fall mit dem Stickstoffverlust ein Crewinn an Kohlenhydraten (Zellu-
lose?) und ein Fettverlust unter aeroben Bedingungen Hand in Hand
geht, haben wir schon a. a. 0. erwähnt. Sicher sind dabei nicht nur
tryptische Fermente im Spiel (vgl. § 229).
Auch die Protozoen entbehren nicht der intrazellularen
Enzjone, ja sie bedürfen ihrer zur Verdauung der durch amöboide Be-
wegimgen oder Mundöffnungen aufgenommenen Nahrungskörper (Bak-
terien, Algen usw.). Die Verdauimg erfolgt bei schwach saurer Reak-
tion, wie sich durch Zusatz von Lackmustinktur oder besser Neutralrot-
lösung feststellen läßt. M o u t o n (a. a. 0.) ist es gelungen, durch
Glyzerin aus Amöbenkulturen ein Enzym zu gewinnen, das bei neutraler
oder schwach saurer oder schwach alkalischer Reaktion Fibrin, Grelatine,
aber auch tote Bakterien verdaut. Lebende werden nicht angegriffen.
Offenbar muß der intrazellularen Verdauimg also die Tötung der Bak-
terien durch andere Kräfte der „Phagozjrten" vorhergehen (vgL S. 24).
Die besprochenen intrazellularen Enzyme der Mikroorganismen
ähneln in ihren Produkten am meisten den autolytischen Fermenten
der tierischen Zellen, die wir durch die Arbeiten von Salkowsky^),
J 8 c o b y ^) , Friedr. Müller^) u. a. kennen gelernt haben. Die
Eiweißspaltung geht im allgemeinen auch hier etwas weiter als bei
der Trypsinverdauung, ebenso wie eher eine saure als eine alkalische
Reaktion den Zerfall befördert. — Zweifelhaft ist noch, ob es sich im ein-
zelnen Falle um eine Einheit oder um eine Vielheit von Enzymen handelt.
Wir sehen dabei ganz ab von den Fett-, Lezithin-, zuckerspaltenden,
reduzierenden, oxydierenden imd synthetischen Enzymen, die, wie das
Beispiel des Hefepreßsaftes zeigt, wohl mehr oder weniger regelmäßig mit
den proteolytischen vergesellschaftet, aber bisher sonst nur ausnahms-
weise studiert worden sind*). Bedeutsamer ist hier für uns das Vor-
kommen von solchen hydrolytischen Enzymen, die wie das E r e p s i n,
die Nuklease, Arginase, Guanase ebenfalls gewisse
Eiweißkörper oder deren Abkömmlinge spalten. Am allerwichtigsten
aber ist die Frage, ob imd wie häufig neben den Enzymen, die die mehr
oder weniger verwickelten Stickstoffverbindungen nur durch Hydrolyse
1) Zeitschr. f. klin. Med. 17. Suppl. und „Autolyse" in Deutsch. Klin.
1903/04.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 30 und 33 und Ergebnisse der PhjTäiol.
1, 1902 Lit.
3) 20. Kongreß f. innere Med. 1902.
4) So hat P f e r ß d o r f f (Zeitschr. f. Tiermed. 8, 1904) in autoly-
Bierten Milzbrandbazillen nicht nur ein gelatinelösendes Enzym und Lab,
sondern eine Lipe^o und manchmal Diastase gefunden.
Wandlungen der Eiweißkörper. 501
spalten, solche vorkommen, die Aminosäuren vollständig
in ihre Bestandteile zerlegen, also den eigentlichen Gärungsenzymen
entsprechen würden. In allen Fällen von Selbstverdauung, wo man
wegen des übe^ewöhnlich reichlichen Vorkommens von Ammoniak
diesen nicht mehr als Amidstickstoff betrachten kann, wird man in
der Tat nicht mehr von tryptischen Fermenten oder Endotrjrptasen,
sondern von neben ihnen vorhandenen „Aminazidasen" sprechen
müssen. Daß alle Freßsäfte, Azetonpräparate usw., z. B. auch die der
Hefen solche Aminazidasen enthielten, ist bisher nicht klar bewiesen. Im
Gegenteil zeigen gerade die mit letzteren am Leuzin, Tyrosin u. a.
gemachten Erfahrungen, daß sie diese Aminosäuren nicht zu spalten
veraiögen, während die lebende Hefe bis zu einem gewissen Grade dazu
imstande ist (§ 173). Wohl scheinen dagegen bei der Selbstverdauung
der Proteus- und Pyocyaneusbazillen (Nawiasky, Sera) tiefere
Spaltungen zu erfolgen^). Daß die erstgenannten Bakterien wirklich
Ammazidasen bilden, werden wir später erörtern (§ 169).
Eine offene Frage ist femer, in welchem Verhältnis die intrazellu-
laren Verdauungsenzyme stehen zu den im § 165 besprochenen, nach
außen abgesonderten proteolytischen Enzymen der Mikroorganismen.
Ist die scharfe Scheidung beider, wenigstens in der Theorie, berechtigt,
wirken die ersteren z. B. nur bei saurer, die letzteren nur bei alkalischer
Reaktion? Dann würde man annehmen müssen, daß die Proteolyse,
die wir bei den in saurer Lösung wachsenden Schimmelpilzen beob-
achten, wie bei den Hefepilzen allein auf die durch den Zerfall von
Zellen frei werdenden Enzyme zurückzuführen wäre, während sie in
alkalischer Lösung auch durch ein Verdauungsenzym bedingt wäre.
Aber auch bei den Bakterien wird man, wenn man die Proteolyse in
alten Kulturen untersucht, wohl stets erwarten müssen, mindestens
eine Mischung der durch beide Arten von Enzymen bedingten Spal-
tungsprodukte zu erhalten, da in solchen Kulturen immer der größte
Teil der Mikroorganismen zugrimde gegangen sein und die intrazellu-
laren Enzyme entbunden haben wird. In jüngeren Kulturen wird das
überall da wohl ebenfalls in mehr oder minder großer Ausdehnimg
eintreten, wo die Lebensdauer der Individuen eine kurze ist (§ 36).
l mgekehrt besteht auch die Möglichkeit, daß die ursprünglich natür-
1 ) Bei der Autolyse von Organen hat schon J a c o b y die Aminoniak-
bildiing auf eine tiefere Spaltung zurückgeführt, weil sie nicht auf Kosten
*if*s (durch Säuren abzuspaltenden) Amidstickstoff s erfolgte, sondern auch
^ii<^«er vermehrt war. Auch die Abspaltung von Kohlensäure, Schwefel-
wasserstoff, Bemsteinsäure, Pentamethylendiamin, hat man bei der Auto-
Jyse gelegentlich beobachtet. Wieweit hier eine mangelhafte Antisepsis
(lie Schuld trägt, wäre natürlich noch auszumachen.
502 Kap. IX, i 166 u. 167.
lieh in den Zellen gebildeten Ektoenzyme von ihnen längere Zeit fest-
gehalten werden, also auch intrazellular wirken. Wir erinnern daran,
daß ja auch manche andere hydrolytische Enzyme, die als Ektoenzyme
bezeichnet werden, weil sie leicht aus Filtraten zu gewinnen sind, in
diesen erst erscheinen, wenn die Zellen älter bzw. in Auflösung be-
griffen sind (S. 234, 238, 241). Die Unterschiede zwischen Ekto- und
Endoenzyme sind also keine scharfen.
Schließlich sind noch die Fragen zu beantworten, welche B e -
deutung die Endotryptase für die Zellen selbst hat, aus denen
sie sich darstellen läßt, und wie es sich erklärt, daß die Selbstverdauung
nicht schon die wachsenden Zellen ergreift. Was den ersten Punkt
anlangt, so liegt der Nutzen der intrazellularen Yerdauungsenzyme
für die Ernährung mit diffusiblen und daher wohl ohne weiteres in die
Zellen aufgenommenen Eiweißstoffen auf der Hand. Entweder werden
diese durch die Endoenzyme zur ABsimUation oder zur Kraftüeferung
(durch tiefere Spaltungen, die ebenfalls im Protoplasma vor sich gehen)
vorbereitet. Bei den nicht mit Ektoenzymen versehenen Mi-
kroben werden sie vielfach geradezu unentbehrlich sein. Was das
Ausbleiben der Selbstverdauimg bei wachsenden bzw. lebenskräftigen
Zellen betrifft, so verweisen wir auf früher Gesagtes (S. 209 u. 268).
§ 167. Tiefe Spaltung der Eiweißkörper. Fäulnis^). Tief-
gehende, bei Sauerstoffabschluß vor sich gehende Spal-
tungen der Eiweißkörper sind von Alters her unter dem Namen der
Fäulnis bekannt. Wenn man die letztere so begrenzen wollte, so
würde man sich allerdings vielfach zu dem volkstümlichen Sprach-
gebrauch in Widerspruch setzen. Es gibt sehr tiefgehende Spaltungen
der Eiweißkörper, die nicht als Fäulniserscheinungen bezeichnet werden,
weil ihnen ein Merkmal fehlt: der faulige Geruch. I^eider ist
dieser chemisch bisher nur schlecht gekennzeichnet. Andererseits kann
ein Fäulnisgestank auch da auftreten, wo wir kaum von tiefgehenden
Spaltungen des Eiweißes in erheblichem Umfange sprechen dürfen.
Ebensowenig glücklich ist man bisher gewesen, wenn man versucht
hat, die Fäulnis durch bestimmte chemische Erzeugnisse zu charakteri-
sieren. Als solche wurde z. B. der Schwefelwasserstoff, das Ammoniak
und besonders das Indol imd andere aromatische Körper angesehen.
Die ersten beiden Stoffe werden aber bei allen oder fast allen Eiweiß-
zersetzungen gebildet und die letzteren können dort fehlen, wo man
1) Bezüglich der Untersuchungs verfahren, namentlich soweit sie die
Aminosäuren und aromatischen Körper betreffen, muß auf die Lehrbücher
und die einzelnen Arbeiten verwiesen werden (vgl. Anm. 1 auf S. 483).
Zur Darstellung der flüchtigen Fettsäuren vgl. S. 312 Anm. 1, der fixen
Säuren S. 331, der Gase § 221.
WandluRgen der Eiweißkörper. 5 0 3'
keinen Augenblick zweifeln würde, wegen der übrigen Spaltungsprodukte
und des faulen Geruchs von Fäulnis zu sprechen. Auch die b i o I o ->
g i 8 c h e Erklärung der Fäulnis als einer „Gärung der Eiweißkörper'',
die nicht durch isoUerbare Enzyme, sondern durch lebende Mikro-
Organismen hervorgerufen würde, ist nur in ihrem ersten Teile
hftltbar. Der Vergleich mit den Gärungen (Spaltungsgärungen) der
Kohlehydrate ist sehr berechtigt, gerade ihr Beispiel lehrt uns aber,
recht vorsichtig zu sein mit der Behauptung, daß wir es bei bestimmten
chemischen Vorgängen nur mit sogenannten LebensäuOerungen, nicht
mit enzymatischen Vorgängen zu tun haben. Im Gregenteil ist es u. £.
durch die Entdeckimg der Zymase und des Milchsäureenzyms wahr-
scheinhch gemacht, daß auch alle übrigen enzymatischer Natur sind.
So hat ims denn auch schon das Studium der „Selbstverdauung'' im
§ 166 gezeigt, daß die Zersetzxmg des Eiweißes dabei nicht unerheb-»
lieh weiter getrieben wird, als durch die bis dahin ausschließlich be-
kannten hydrolytischen Verdauungsfermente, daß die sogenannte
„Endotryptase" manchmal wohl schon kräftiger spaltende Enzyme,
die wir, weil die Zersetzung die Aminosäuren berührt, „Aminazidasen''
nannten, beigemengt enthält. Dazu sind schließlich die Feststellungen
Berghaus' und Nawiaskys gekommen, daß man wirklich
tiefere Spaltimgen des Eiweißes bzw. der Aminosäuren, wie sie sonst
nur die Fäulnis zuwege bringt, auch mit Hilfe abgetöteter Proteus-
bakterien (§ 169) erhalten kann. Es wird sich also jetzt nur darum
handeln können, zu bestimmen, ob das auch in anderen Fällen zutrifft.
Weit schlimmer als die Schwierigkeit der Bezeichnung ist der
Mangel an ausreichenden tatsächlichen Unter-
lagen für eine gründliche Kenntnis der hierhergehörigen Zersetzungen.
Die Fäulnis ist zwar von vielen hervorragenden Chemikern studiert
worden, zum großen Teil aber noch zu einer Zeit, wo die Chemie der
Eiweißkörper noch wenig entwickelt war. Gewöhnlich wurden zudem
nicht die Wirkungen einzelner rein kultivierter Organismen, sondern
diejenigen unbekannter Gemenge studiert. Etwas besser ist es in
den letzten Jahren damit geworden. Doch bieten leider gerade die
gründlichsten Untersuchungen Anlaß zu Zweifeln, weil ihre Resultate
nicht selten im Widerspruch miteinander stehen. Zum Teil würden sich
diese Widersprüche lösen, wenn die Ansicht Rettgers richtig wäre
(8. u.), daß man trotz des besten Willens oft nicht mit Reinkulturen,
sondern nodt nachträglich verunreinigten gearbeitet hat. Diese Be-
merkung wird jedem, der sich mit ähnlichen Untersuchungen befaßt
hat, nur zu berechtigt vorkommen. Es ist gar nicht leicht, Massen-
kulturen in flüssigen Nährböden viele Tage oder Wochen hindurch
rein zu erhalten. Ist dem aber so, dann ist ein Teil der vorliegenden
504 Kap. IX, § 167 u. 168.
Arbeiten — man weiä leider nur nicht immer welche — wenigstens
für die Entscheidung der Frage nach den Leistungen der einzehien
Mikrobenarten imbrauchbar geworden.
Ein Mangel besteht femer darin, daß gewöhnlich nur wenige,
und zwar gerade die verwickelten Eiweißsubstanzen dem Studium
unterworfen wurden, während es doch so notwendig wäre, zu wissen,
wie sich die einfacheren Spaltungsprodukte der Eiweißkörper, die
Aminosäuren, zu den Mikroorganismen verhalten. Auch den Einfluß
des Sauerstoffs, der doch für unsere Auffassung von der chemischen
Natur der Zersetzungsprozesse von maßgebender Wichtigkeit ist,
hat man nicht genügend berücksichtigt. Das Bild, das wir hier ent^
werfen können, ist daher ein recht lückenhaftes. Um Klarheit zu
gewinnen, halten wir uns hier zunächst im wesentlichen nur an R e i n -
kulturen (§ 168 — 175) und werden die Erscheinungen der in der
Natur vorkommenden gemischten Fäulnis später besprechen (§ 178 ff.).
§ 168. Fäulnis durch Anaerobier. I. Wir beginnen mit den
Anaerobiem, die nach Sanfelice, Bienstock, Rettger u.a. (§ 180)
die Haupterreger der Fäulnis sind. Zu ihnen gehören einige pathogene
Anaerobier wie ödem-, Emphysem-, aber auch manche Rassen von
Rauschbrandbazillen^). Die ersten Forscher, die mit Reinkulturen
arbeiteten, waren N e n c k i 2) und seine Schüler Sieber, Bovet,
Kerry und Selitrenny. Geprüft wurde zunächst die Zersetzung
des Serumeiweißes durch Rauschbrand-, Odembazillen und zwei Sapro-
phyten (B. liquefaciens magnus und spinosus). Sie verlief im wesent-
lichen gleichartig. Besonders genau wurden die Gase und aromatischen
Stoffe untersucht. In erster Linie wird Kohlensäure (97%),
daneben etwas Wasserstoff, nur vorübergehend Sumpf-
gas, femer Schwefelwasserstoff und Methylmer-
k a p t a n (beide aus Zystin ^)), aber kein freier Stickstoff
abgeschieden. Durch Schütteln mit Äther wurden erhalten die aroma-
tischen Säuren, die Phenylpropionsäuren, die P a r a -
oxyphenylpropionsäure (Parakumarsäure) und die S k a -
tolessigsäure, die später von Ellinger als Indolpro-
1 ) Vgl. die auf S. 3ö2 ff. angezogene Literatur über Anaerobier, die
auch in dieser Beziehung Widersprüche aufweist. Nenckis Rauschbrand-
bazillen waren a\dnilent, also vielleicht nicht echt. Auch ( SpieUbazillen
und) Spirochaeten, einschl. der Sp. pallida (?) sind anaerobe Fäulniserreger.
Mühlens u. Hartmann, Zeitschr. Hyg. 55; Mühlens klin. Jahrb. 1910.
2) Sitzungsber. Wien. Akad. 95. II b, 1889, Monatsschr. f. Chemie
9 u. 10, 1889; Annal. microgr. 1890; Baumgartens Jahresber. 1889. 480ff.
3) Vgl. über die schwefelhaltigen Abkömmlinge des Eiweißes § 205
u. 206, über das Taurin § 190.
Wandlungen der Eiweißkörper. 505
pionsäure erkannt wurde. Essinddas die drei Säuren,
die durch Reduktion der aromatischen Amino-
säuren des Eiweißes, des Phenylalanins, Tyro-
sins und Tryptophans unter Abspaltung von Am-
moniak gebildet werden. Allgemein würde folgende Formel
dafür gelten können:
R . CHNHj . COOH + H2 = R . CH^ . COOK + NH3 ,
oder, wenn wir den Wasserstoff vom Wasser herleiten:
1) R . CHNH2 . COOH + H2O = R . CH2 . COOH + NH3 + 0 ,
wobei der abgeschiedene Sauerstoff nicht frei, sondern zur Oxydation
anderer Stoffe verwendet würde. Bei der Zersetzung der Gelatine,
die ja des Tjnroeins und Tryptophans ermangelt, fehlten nach S e 1 i -
trenn y die letzten beiden Säuren, und trat neben der Phenylpro-
pionsäure die Phenylessigsäure auf, die unter Abspaltung von Kohlen-
saure durch Oxydation aus ihr entsteht, d. h.
2) R . CHg . COOH + 2H2O = R . COOH + CO^ + SH^ .
Wollte man die niedere Säure unmittelbar von der Aminosäure ableiten,
so hätte man
Ja) R . CHNH2 . COOH + 2H2O = R . COOH + COg + SH^ + NH3 .
Das würde die Entbindung viel freien Wasserstoffs voraussetzen, die
nicht beobachtet wird. Nehmen wir aber an, daß die beiden Säuren
gleichzeitig und un abhängig von anderen Stoffen
aus den Phenylalanin hervorgingen, so würde durch die Bildung von
drei Molekülen der Phenylpropionsäure der zur Entstehimg von einem
Molekül Phenylessigsäure nötige Sauerstoff frei werden, oder allgemein
ausgedrückt hätten wir:
3) 3R.CH.NH2.COOH + 2H20 = 2R.CH2. COOH + R. COOH +
COjj+SNHg,
Die höhere und die nächst niedere Säure ständen
also im Mengenverhältnis von 2:1; den drei Mole-
külen Säure würden ebensoviel Ammoniak und
außerdem noch ein Molekül Kohlensäure ent-
sprechen. Die gesamte Umwandlung machte den
Eintritt von zwei Wassermolekülen nötig. So nahe
es liegt, eine solche Zersetzimg der aromatischen Aminosäuren anzu-
nehmen, so sehr fehlt es noch an analytischen Belegen dafür, obwohl
gerade die aromatischen Bestandteile neben der Menge der übrigen
Zerfallsstoffe des Eiweißes verhältnismäßig leicht erkennbar sind.
506 Kap. IX, § 168.
Versuclie, die mit reinen Aminosäuren angestellt wurden (s. u. Na-
w i a s k 7 § 169), lieferten die Beweise auch noch nicht. Denkbar
wäre freilich noch die Bildung von Ameisensäure an Stelle der Kohlen*
säure. Dann hätten wir statt 2):
2a) R . CH2COOH + 2H2O = R . OOOH + HCOOH + 211^
und statt 3):
3a) 2R.CHNH2.COOH + 2H2O = R.CH2COOH + R.COOH +
HCOOH + 2NH3.
An Stelle der Ameisensäure könnte aber auch Essigsäure auftreten,
wenn die Säure R . CO OH durch die nächstniedere Säure ersetzt würde.
Wir könnten das durch die Formel ausdrücken:
2b) R'.CHg.CHg.COOH + 2H2O = R'.COOH + CH3.COOH+ 2Hj
3b) 2R'.CH2.CHNH2.COOH + 2H2O = R'.CHjj.CHa.COOH +
R' . COOK + CH3 . (X)OH + NH3 .
Bei der Zersetzung des Leuzins durch den Proteus (§ 169) werden wir
auf diese Formeln zurückkommen. Daß sie für die aromatischen
Aminosäuren Bedeutung haben sollten, ist kaum anzunehmen.
Kerry fand weiter bei der Fäulnis des Eiweißes durch den
Odembazillus neben Sumpfgas noch ein übelriechendes 0 1
von der Zusammensetzimg CgH^^O«, „das nach seiner Reaktion und
seinem Verhalten bei der Oxydation in die Reihe der Ketone oder
Aldehyde zu gehören scheint.^' Bei der Fäulnis des Elastins durch
den Rauschbrandbazillus beobachtete Z o j a ^) neben Kohlen-
säure, Wasserstoff und Merkaptan ebenfalls Sumpfgas,
femer von flüchtigen Säuren Butter- und Baldriansäure
zu annähernd gleichen Teilen, Phenylpropionsäure, eine
aromatische Oxysäure und Ammoniak. Auf die flüchtigen
Säuren kommen wir gleich zurück; das was über die Entstehung von
Aldehyden bekannt ist, bringen wir später (§ 173)» Das Sumpfgas
sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben, weil es sonst als Erzeugnis
von Reinkulturen kaum gefunden worden ist, aber bei einer besonderen
Form der gemischten Fäulnis nach Oraeliansky (§ 179) eine große
Rolle spielt. Es (wie es wohl versucht ist) aus dem Glykokoll (Amino-
essigsäure) herzuleiten, geht nicht wohl an, weil Eiereiweiß, das davon
nichts enthält, auch Sumpfgas gibt. Aber Essigsäure, die der Sumpf-
gasgärung fähig ist (§ 141), kommt ja auch sonst bei der Spaltung
von Aminosäuren vor, z. B. bei der Vergärung der Bemsteinsäure
I) Zeitschr. physiol. Chem. 23, 1897.
Wandlungen der Eiweißkörper. 507
and des Leuzins durch Proteus (§ 169), ebenso Buttersäure, für die
wir übrigens auch eine Sumpf gasgärung kennen (§ 145).
Die Zersetzung des Fibrins durch den tjrpischen Veitreter
der Fäuhiisbazillen, den Bac. putrificus, wurde von B i e n -
s t o c k ^) untersucht. 100 g Fibrin in 500 g eiweiäfreier Salznährlösung
aufgeschwemmt, wurde unter Entwicklung übelriechender Gase zur
völligen Auflösimg gebracht. Daß dabei hydrolytische Enzyme mit-
wirken, ist sicher (s. o. P a s s i n i S. 489), so wurden denn auch nach
8—14 Tagen nachgewiesen Pepton, Leuzin, Tyrosin, da-
neben aber traten tiefere Spaltungen ein mit Bildung von Baldrian*
and Buttersäure, Paraoxyphenylpropionsäure,
Skatolkarbonsäure (Indolessigsäure nach E 1 1 i n -
g e r) , femer reichlich Ammoniak und Schwefelwasser-
st o f f , sowie außerdem (primäre) Aminbasen. Den Aminbasen
werden wir auch sonst, z. B. bei der Eiweißzersetzung durch Cholera«
bazillen, begegnen und dort ihre vermutliche Bildungsweise behandeln
(§ 170).
Auch andere Anaerobier, wie das Clostridium foetidum, die Ba-
zillen des Odems und Rauschbrandcs erzeugen nach B i e n -
stock, der Bac. perfringens nach T i s s i e r und M a r -
t e 1 1 y ^) eine ähnUche Fäulnis des Fibrins. Bettger ^) bestätigt
diese Ergebnisse am Putrificus usw. für seine Fleisch-Eiemährböden.
Alle drei Forscher stimmten darin überein, daß
bei der reinen Anaer o hier fäulnis Indol, Skatol
und Phenol, die Endprodukte der Zersetzung des
Tryptophans und Tyrosins*) fehlten. Indessen gibt
es offenbar Ausnahmen von dieser Regel. So hatte schon E i t a -
s a t o ^) sowohl bei dem Tetanusbazillus, der nicht als echter
Fäulniserreger bezeichnet werden kann, als bei Odem- imd Bausch-
brandbazillen starkelndolreaktion erhalten. Femer erzeugte
nach S a 1 u s ^) der Bac. saprogenes camis, der dem Putrificus nicht
fernsteht, aus Fibrin neben Pepton, Leuzin, Tyrosin, Ska-
tolkarbonsäure (Indolessigsäure), Oxysäure, But-
tersäure,Kohlensäure, Ammoniak, Wasserstoff,
Schwefelwasserstoff sowohl Indol ak Skatol und
Phenol, während ein zweiter Anaerobier, das Clostridium foetidum
1) Arch. f. Hyg. 36, 1899.
2) Annal. Pasteur 1902. 892.
3) Stud. Rockefell. Institute f. med. research. 7. Nr. 4, 1907.
4) S. über deren Bildung beim Bac. proteus § 169.
5) Zeitschr. f. Hyg. 7. 619.
6) Arch. f. Hyg. 61, 1904.
508 Kap. IX, § 168.
cariÜB, allerdings nur Spuren von Indol und Skatol bildet. Ein Enegei
der Gasphlegmone, wie es scheint ein regelmäßiger Darm-
bewohner und Fäulniserreger (Bac. perfringens?), entwickelt ferner
nach P a 8 s i n i ^) in Blutserumkulturen viel Indol.
Nach den meisten Analysen sind die flüchtigen Fettsäuren der
Anaerobierfäulnis gemischter Art. Indessen fand R o d e 1 1 a ^) bei
der Zersetzung von Milch durch verschiedene Stämme des Putrificus
(aus Milch oder Gasphlegmone) entweder nur Kapron- oder
Baldrian- oder B utt e r s äur e. Das Kasein soll dabei fast
völlig zerstört, der Milchzucker imberührt geblieben sein. Am häufigsten
begegnen wir sonst einer Mischimg von Baldrian- und Buttersäure-
gärung^). Abweichend sind aber die Befunde, die Graßberger
und Schattenfroh ^) mit ihrem fäulniserregenden
Buttersäurebazillus (S. 356) in Wittes Pepton erhielten:
es wurden nämlich Milchsäure^) und daneben nur in geringer
Menge flüchtige Säuren, namentlich K a p r o n - und Propion-
säure (Buttersäure?) entwickelt. Alle diese Angaben setzen einem
Erklärungsversuch große Schwierigkeiten entgegen. Niemals finden
wir das in Gleichung 3 ausgedrückte Verhältnis wieder, welche Amino-
säure wir auch als hauptsächlich angegriffen betrachten. Gkhen wir
z. B. vom Leuzin aus, als dem quantitativ wichtigsten Bestandteil
des Eiweißes, so treffen wir nicht in einem einzigen Fall die Verbindung
2 Moleküle Kapronsäure + 1 Molekül Baldriansäure. Die erstere fehlt
sogar meist in der Analyse, damit also die einzige Säure, deren Bildung
aus dem Leuzin (Aminoisokapron- oder Aminoisobutylessigsäure)
durch Reduktion (und Atomverschiebung) erfolgen könnte, während
die aus ihr durch Oxydation entstehende Baldriansäure am häufig-
sten vorkommt, und diese sogar meist mit der Buttersäure vergesell-
schaftet ist, die aus der letzteren oder dem Leuzin selbst nur durch
weitere Oxydation abzuleiten ist. Andere genügend reich-
liche Quellen für die beiden Säuren liegen aber neben dem Leuzin
kaum vor. Erwägt man nun ferner, daß regelmäßig außerdem noch
1) Zeitschr. f. Hyg. 49, 190ö.
2) Annal. Pasteur 1905. 809.
3) Bei der gemischten anaeroben Fäulnis des Blutes fanden Ber-
thelot und A n d r 6 Butter-, Propion- und Kapronsäure (vgl. § 179),
bei der des Leuzins allein N e n c k i Baldriansäure. Bei den Aerobiem
(s. u. § 169 ff.) wiegt Buttersäure vor, daneben findet sich aber auch oft
Baldriansäure, in anderen Fällen Essigsäure; nur in kleineren Mengen
Ameisen- imd Propionsäure und die höhere Fettsäure.
4) Arch. f. Hyg. 60. 55, 1907.
5) Über sonstige Milchsäurebildung aus Eiweiß s. u. § 174. Über
Propionsäure s. o. Anm. 3.
Wandlungen der Eiweißkörper . 509
viel Kohlensäure gebildet wird, so können wir die Säurebildung
nicht mehr als einen von anderen Vorgängen unabhängigen Prozeß
betrachten, sondern miissennach anderen durch Reduk-
tion entstandenen Körpern suchen, um einen Aus-
gleich für die zahlreichen Oxydationsprodukte zu haben. Als solche
könnten Schwefelwasserstoff und Merkaptan, Wasserstoff und Sumpf-
gas, Amine, Alkohole und Aldehyde in Betracht kommen. Die letzteren
drei Arten von Stoffen entstehen zwar wahrscheinlich meist mit oder
ohne Wasseraufnahme unabhängig von anderen Körpern unter Ab-
spaltung von Kohlensäure aus den Aminosäuren, wir werden aber später
sehen, daß allerdings auch ihre Bildung denkbar ist unter Freiwerden
von Sauerstoff (Gleichung 10 und 11 auf S. 536). Wasserstoff und
Sumpfgas sind zu unbeständig in ihrem Vorkommen, um in Frage
zu kommen, und das Sumpfgas bildet sich zudem nach der gewöhnlichen
Annahme ebenfalls, ohne daß dabei Sauerstoff für andere Oxydationen
frei würde, nämlich aus der selbst durch Oxydation entstehenden Essig-
oder Buttersäure. Die schwefelhaltigen Körper endlich, deren Bildung
am ehesten verständüch wäre als eine Reduktion, die durch den Wasser-
stoff des Wassers vermittelt, und bei der Sauerstoff für andere Prozesse
verfügbar würde, werden ebenfalls in zu kleinen Mengen erzeugt. Es
bleibt danach vorläufig unklar, woher der Sauerstoff kommt, der zur
Bildung der Baldrian- und Buttersäure nötig ist. Eher verständüch
wären die Fälle, in denen Propionsäure imd Kapronsäure als Haupt-
produkt der Spaltimg gebildet würden, denn sie könnten durch Re-
duktion nach Gleichung 1 aus Leuzin (Rodella, Graßberger
und Schattenfroh, Berthelot und Andre) und Alanin
i'Aminopropionsäure) hervorgehen. Das Fehlen von flüchtigen Fett-
säuren als entsprechender Oxydationsprodukte in diesem Falle könnte
man noch hinnehmen, da man in der Kohlensäure, die durch völlige
Verbrennung der betreffenden Aminosäure oder anderer Körper ent-
standen sein könnte, einen Ersatz dafür hätte. Daß solche Verbren-
nungen wirklich in gewissem Umfange bei der Fäulnis vorkommen,
wird durch die Erfahrungen, die N a w i a s k y z. B. an der Asparagin-
saure gemacht hat, wahrscheinlich (§ 169). Das sonst ungewöhnliche
Erscheinen von Milchsäure (Graßberger imd Schattenfroh)
ließe sich theoretisch am einfachsten erklären. Entsteht doch aus dem
AI an in durch Wasseraufnahme Ammoniak und Milchsäure nach
der Gleichung
4) CH3CHNH2 . COOK + HgO = CH3CH . OH . COOK + NH3 .
Übersieht man die hier mitgeteilten Ergebnisse, so erscheinen sie
offenbar in vielen Beziehungen recht unbefriedigend. Von allem übrigen
510 Kap. IX, § 168 u. 169.
abgesehen, fällt schon die ziemlich beschränkte Anzahl der Fäulnis-
prdoukte auf. Müßte sie nicht viel größer sein in Anbetracht der zahl-
reichen Arten von Aminosäuren? Werden bei der Anaerobierfäulnis
nur einzelne von ihnen angegriffen? Oder sind die Analysen sämtlich
als recht unvollkommen zu betrachten? Wir neigen zu der letzteren
Ansicht. Natürlich ist die Schwierigkeit der Aufgabe nicht zu verkennen.
Sie kann unseres Erachtens nur dadurch schrittweise überwunden
werden, daß man die einzelnen Aminosäuren der Anaero-
bierfäulnis unterwirft, dann zu Mischungen von Amino-
säuren fortschreitet usw. Bisher sind keine Versuche dazu gemacht
worden.
Nach Achalme^) geben alle Anaerobier, die Eiweiß zersetzen,
außer den erwähnten Stoffen, besonders in konzentrierter Pepton-
lösung, ein schwärzliches Pigment, das den Melaninen (und Humus-
stoff envgl. § 118 u. 158) ähnlich zu sein scheint (s. auch R o d e 1 1 a).
§ 169. Fäulnis durch Protensbazillen. II. Den Anaerobiern
durch seine fäulniserregenden Eigenschaften am nächsten konmit der
bei Luftabschluß und -zutritt gedeihende Bac. proteus vulgaris imd
seine teils schlechter verflüssigenden, teils grün fluoreszierenden Ab-
arten. Weil er sich leichter züchten läßt, ist er von allen Forschem,
die sich mit der Ursache der Fäulnis beschäftigt haben, seit Rosen-
b a c h imd H a u s e r immer wieder gefunden worden und sogar viel-
fach als alleiniger oder wesentlicher Erreger derselben betrachtet worden
(§ 180). Das trifft allerdings nach Sanfelice, Bienstock,
R e 1 1 g e r u. a. (s. o. § 168), die das regelmäßige Vorkommen der
Anaerobier in faulen Gemischen festgestellt haben, nicht zu. Nach
den beiden letzten Autoren wäre der Proteus vulgaris sogar nicht
einmal imstande, Eiweißkörper, wie das Fibrin, Fleisch- und Eieralbumin
in Fäulnis zu versetzen. Trotzdem ist nach unseren eigenen und fremden
Beobachtungen nicht zu leugnen, daß er Blutserum, Kasein usw. unter
Bildung von Fäulnisgestank löst. Emmerling^) konnte auch
Weizenkleber durch Proteus \Tilgaris in stinkende Fäulnis versetzen.
Die dabei entwickelten Gase bestanden zu 46% aus Kohlensäure,
zu 38% aus W a s 8 e r s t o f f ») und zu 16% aus S t i c k s t o f f (?).
Nach 14tägiger Fäulnis wurden aus 600 g Kleber durch Destillation
erhalten 1 5,5 g Chlorammonium, entsprechend 10 g Ammoniak,
1,05 salzsaure Basen, vor allem Trimethylamin und B e t a i n
und 0,65 g Phenol, femer flüchtige Fettsäuren, deren Menge an
1) Annal. Pasteur 1902, 652.
2) Ber. ehem. Ges. 1896. 2711.
3) Stammt wohl aus den beigemischten Kohlehydraten.
Wandlungen der Eiweißkörper. 511
Kalk gebunden 36,5 g betrug. Unter ihnen herrschte Buttersäure
vor, daneben fand sich Essigsäure in beträchtlicher, höhere
Fettsäuren und Ameisensäure in geringerer Menge. Tay-
lor^) wies femer bei der Fäulnis des Kaseins durch Proteus vulgaris
Deuteroalbumosen und Pepton, Monoaminosäu-
ren, Diaminosäuren (Histidin und Lysin), Tyrosin, In-
d 0 1 und S k a t o I nach. Harnstoff, Harnsäure und Purinbasen wur-
den nicht gefunden. T i s s i e r und Martelly^) erhielten aus der
Zersetzung von Eiweiß und Peptonen Leuzin, Amine, Indol,
Phenol imd flüchtige Fettsäuren.
Soll man nun alle diese Angaben, wie Bienstock und R e 1 1 -
ger es zu tun scheinen, durch unabsichtliche Verunreinigungen der
Proteuskultur durch Anaeroben erklären, oder liegen die Unterschiede
in den Angaben darin, daß die einzelnen Forscher mit verschiedenen
Eiweißstoffen, mit Beimischungen von Kohlenhydraten oder gar mit
anderen Bakterien gearbeitet haben? Eine Wiederholung der Ver-
suche wäre von diesen Gresichtspimkten aus sehr erwünscht. Jedenfalls
steht fest, daß vom Proteus die aromatischen und
namentlich der Indolkern des Eiweißes tiefer
gespaltenwerden, alsvondenmeistenAnaeroben.
Die Indolreaktion wird von allen Autoren beim Bac. proteus an-
gegeben. Sie tritt nicht auf, wenn in der Kultur Zucker vorhanden
ist, der durch den Bazillus in saure Gärung versetzt wird, wie z. B.
Traubenzucker. Die Gegenwart von Milchzucker hindert die Indol-
bildung beim Proteus nicht, weil er ihn nicht angreift, wohl beim Bac.
coli, der dazu imstande ist. Es handelt sich offenbar um eine schäd-
liche Wirkung der Säure, die vielleicht vergleichbar ist mit dem hem-
menden Einfluß der sauren Reaktion auf die Trypsinverdauung. Auch
die Bildung stinkender Fäulnisprodukte wird durch die saure Ver-
gärung des Zuckers verhindert (§ 186). Nach F e 1 1 z ^) fehlt die Indol-
reaktion femer bei Kulturen in Abkochungen von frischem Eiweiß
und Fleisch, vielleicht weil hier die Stammkörper, aus denen das Indol
hervorgeht, fehlen. Sauerstoffzutritt soll die Reak-
tion begünstigen. Diese Bemerkung, die auch bei anderen
Indolbildnem gemacht worden ist*), und die Beobachtung, daß Indol
überhaupt mit Vorliebe von Aerobiem gebildet wird (Bienstock),
konnte dahin gedeutet werden, daß der Sauerstoff der Luft bei der
1) Zeitfichr. physiol. Chem. 36, 1902.
2) Annal. Pasteur 1902. 12.
3) Archiv. m6d. exp^r. 1899.
4) Th. Smith, Joum. exper. med. 1897 (B. coli).
512 Kap. IX, f 169.
Bildung des Indols mitwirke. In der Tat neigt N e n c k i ^) zu dieser
Auffassung. Nach ihm wird die Skatolaminoessigsäure (Indolamino-
propionsäure oder Tryptophan) durch Reduktion mittelst H2 zu Skatol-
essigsäure (Indolpropionsäure) und Ammoniak (s. o.), die Skatolessig-
säure durch Oxydation mit 30 zu Skatolkarbonsaure (Indolessigsaure),
Kohlensäure und Walser, die Skatolkarbonsaure durch Spaltung zu
Skatol (Methylindol) und Kohlensäure'), das Skatol durch Oxydation
mit 3 0 zu Indol, Kohlensäure und Wasser. Es wechseln also
Reduktion, Oxydation und Spaltung miteinander
a b. In ganz ähnlicher Weise soll sich die Phenylaminopro-
pionsäure in Phenylpropionsäure, Phenylessigsäure, Benzoe-
säure und das Tyrosin in Paraoxyphenylpropionsäure, Paraoxy-
phenylessigsäure, Parakresol, Paraoxybenzoesäure und Phenol ver-
wandeln. Die meisten dieser Körper sind bei der gewöhnlichen gemisch-
ten Fäulnis, ein großer Teil bei der Fäulnis durch Anaerobier (§ 168)
wirklich erhalten worden, zwei der Endprodukte (Indol und Phenol)
namentlich bei der Fäulnis durch unseren Bac. proteus vulgaris und den
Bac. coli (§ 174). Daß die Beteiligung freien Sauerstoffs bei der hier
in Betracht kommenden Oxydation notwendig sei, ist aber nicht be-
wiesen. Im Gegenteil haben Nencki^) selbst und seine Schüler
Jeanneret^) und B r i e g e r ^) Skatol imd Indol auch bei voll-
ständigem Luftabschluß aus faulendem Eiweiß erhalten, und zwar
in ziemlich gleicher Quantität, wie es bei Luftzutritt der Fall war.
Die oben erwähnte Tatsache, daß Kitasato u. a. in Kulturen ver-
schiedener echter Anaerobier Indol gefunden haben, läßt sich auch
nicht wegleugnen. Bilden kann es sich dabei nur durch eine innere
Oxydation, wie sie bei allen Spaltungsgärungen vorkommt. Es
liegt nahe, an die Vorstellung zu erinnern, die N e n c k i •) selber bei
anderer Gelegenheit über den „chemischen Mechanismus der Fäulnis^'
entwickelt hat. Er macht darauf aufmerksam, daß die Fäulnisprodukte
wesentlich dieselben sind wie diejenigen, die man erhält beim Schmel-
zen von Eiweiß mit Ätzkali. Wie man sich die Bildung der
letzteren am besten erklären könne, indem man einen Zerfall der KHO
1) Sitzungsber. Wien. Akad. 98 IIb S. 412, 1889.
2) Damit stimmt freilich nicht überein, daß die Skatolkarbonsaure
nach Salkowsky (Zeitschr. phys. Chem. 9, 8) durch die Fäulnis über-
haupt nicht, oder fast nicht angegriffen wird. Eine Wiederholung dieser
Versuche, sowie überhaupt die Prüfung der einzelnen in Betracht kommen-
den Körper auf ihre Zersetzungen wäre sehr erwünscht.
3) a. a. O. 145.
4) Journ. prakt. Chem. N. F. 15. 388.
5) Zeitschr. physiol. Chem. 3, 1879.
6) Ebenda 17. 105.
Wandlungen der Eiweißkörper. 513
in H und KO annehme, von denen die erstere die Reduktion, die letztere
die Oxydation veranlaßte, so würde vielleicht die Fäulnis ähnUch wirken
durch eine Spaltung des Wassers in H und HO. Der Wasserstoff be-
wirkt z. B. die Reduktion der Indolaminopropionsäure zu Indolpro-
pionsaure und Ammoniak, das Hvdroxyl die Oxydation der Indol-
Propionsäure zu Indolessigsäure, und des Skatols zu Indol. Diese
Abwechselung von Reduktion und Oxydation ist ja bei der Fäulnis
nichts Neues, wir haben sie schon bei der Zersetzimg der aromatischen
Aminosäuren durch die Änaeroben, die freilich meist nicht bis zu Skatol,
Indol und Phenol fortschreitet, angetroffen und ebenso bei den ao aeroben
Zersetzungen der übrigen Aminosäuren. Wir fragen auch hier wieder,
wie wir die Reduktion und Oxydation quantitativ miteinander ver-
einigen sollen. Setzen wir als den einfachsten Fall, daß die Zersetzung
der aromatischen Aminosäure auf ihre eigenen Kosten, d. h. unabhängig
von anderen Stoffen erfolge, so haben wir schon früher festgestellt,
daß nach Gleichung 3 auf S. 505 drei Moleküle Indolaminopropionsäure
(Tryptophan) mit zwei Molekülen Wasser zwei Moleküle Indolpropion-
saure, je ein Molekül Indolessigsäure und Kohlensäure und drei Moleküle
Ammoniak ergeben würden. Die Indolessigsäure würde weiter sich
umlagern zu je einem Molekül Skatol und Kohlensäure.
C . CHj . COOK C . CH3
5) C,k/ )>CH = C,h/ ^CH + COg
HN NH
Bis zum Skatol würde also die Zersetzung unabhängig von anderen
Stoffen vor sich gehen können unter den angegebenen Mengenverhält-
nissen der beiden Indolfettsäuren.
Woher kommt nun aber der Sauerstoff, der zur Bildung des Indols
nötig ist?
C . CH3 CH
6) CeH,<^ ^CH + 30 = CeH,<( ^CH + CO^ + H^O .
NH NH
Skatol Indol
Steht er zur Verfügung durch Reduktion von weiteren drei Molekülen
Indolaminopropionsäure zu Indolpropionsäure nach Gleichung 1 auf
S. 505 ? Dann würden 6 Moleküle Tryptophan 5 Mole-
küle Indolpropionsäure und 1 Molekül Indol;
außerdem 6 Moleküle Ammoniak und 3 Moleküle
Kohlensäure ergeben. Oder wird der nötige Sauerstoff un-
mittelbar aus dem Wasser entnommen ? Dann würden auf jedes Molekül
Kruse, Mikrobiologie. 33
514 Kap. IX, § 169.
Indol 3 Moleküle Wasserstoff frei werden. Oder endlich wird
die Oxydation des Skatols zu Indol gar nicht aus der Zersetzung des
Tryptophans allein bestritten, sondern aus anderen Quellen?^) Die
Antwort auf diese Fragen, wie auf die entsprechenden, welche die
Phenolbildung betreffen, steht noch aus. Sie würde wohl nur
durch Züchtung von Reinkulturen indol- und phenolbildender Bak-
terien, z. B. des Proteus auf den betreffenden aromatischen Amino-
säuren geliefert werden können. Kawiasky, der, wie wir gleich
sehen werden, mit Proteus einen solchen Versuch angestellt hat, ist
auf die Frage überhaupt nicht eingegangen. Leider ist es uns bisher
bei der verwickelten Natur der EiweiDkörper unmöglich, in jedem
einzelnen Falle zu sagen, welcher Beduktionskörper dem gefundenen
Oxydationskörper entspricht und umgekehrt. Da die Unabhängig-
keit der Indolbildung vom Luftzutritt erwiesen ist, so könnte man das
reichlichere Auftreten von Lidol bei manchen Aerobiem daraus erklären,
daß der Luftsauerstoff die Bildung des „Lidolfermentes"' wie die der
Zymase (§91) befördert.
Einige neuere Arbeiten Berghaus' und Nawiaskys-)
aus dem Institute B u b n e r s bringen uns willkommene Mitteilungen
über das Verhalten des Proteus zu Albumosen, Peptonen,
Aminosäuren usw. In seiner ersten Arbeit^), die übrigens auch
entsprechende Untersuchungen über einige strenge Aerobier (Vibrio
Finkler, Bac. mesentericus, alcaligenes) bringt (§ 170 ff.) sucht Na-
w i a s k y festzustellen, in welcher Weise der Gehalt einer Pepton-
bouillon an Albumosen, Peptonen, Aminosäuren, Kreatin, Kreatinin,
flüchtigen Basen (einschl. Ammoniak) und ,, Beststickstoff '^ durch
das Wachstum der Bakterien verändert wird. Auf die Methodik gehen
wir hier nicht ein. In der ersten Wachstumsperiode, die 10 Tage um-
faßt, verschwinden die Albumosen*) schon fast vollständig und werden
dabei offenbar nur zum kleinsten Teil in Leibesbestandteile, zum größten
vielmehr in Peptone, flüchtige Basen xmd Beststickstoff verwandelt;
Kreatin und Kreatinin, sowie die Aminosäuren nehmen dagegen ab.
Das läßt sich wohl nur so erklären, daß die bei der Spaltung der Albu-
mosen gebildeten Aminosäuren schnell weiter gespalten werden. In
der zweiten Wachstumsperiode (weitere 10 Tage) schreitet die Ab-
1) Ein Indoläthylamin, das etwa wie das Phenyl- und Oxyphenyl-
Äthylamin aus der aromatischen Aminosäure gebildet werden könnte,
kommt dafür nicht in Betracht, weil alle diese Amine Reduktionsprodukt«
sind, die durch einfache Abspaltung von Kohlensäure entstehen (s. u.
beim Cholerabazillus § 170).
2) Arch. f. Hyg. 64, 1908.
3) Der wesentlichste Bestandteil des ,, Peptons".
Wandlungen der Eiweißkörper. 515
nähme der Albumosen, von denen fireilicli nicht allzuviel mehr übrig
geblieben ist, nur noch sehr langsam fort, dasjenige der Peptone da-
gegen um so schneller, hauptsächlich wieder zugunsten des Beststick-
stoffs und der Basen; aber auch die Aminosäuren nehmen jetzt etwas
zu. In der dritten Periode, in der, nach der Eisenfällung zu urteilen^),
die Bakterienemte noch in geringem Maße zuninmit, bleiben die Ver-
hältnisse ähnlich. Nur verlangsamt sich die Abnahme der Peptone,
und der Beststickstoff sowie die Fleischbasen beteiligen sich jetzt an
der Zersetzung. Nawiasky schließt aus seinen Zahlen, daß der
Prote US b azill US in weit erheblicherem Maße als
die gleichzeitig geprüften Aerobier das Eiweiß
zu Zwecken der Er af tlief erung verbrauche, d.h.
tief spalte. In der Tat wird fast die Hälfte des
vorhandenen Stickstoffs in Basenstickstoff ver-
wandelt*). Auch Bergbaus^), der die tägliche Ammoniak-
bildung (Basen) des Proteus in Peptonbouillon mit der des Cholera-
vibrio, Prodigiosus, Coli- und Typhusbazillus verglich, kam zu ähn-
lichen Ergebnissen, wenn auch hier selbst vom Proteus mir 24,5%
des Stickstoffs in flüchtige Basen übergeführt wurden. Nachdem hierbei
duich fortlaufende Keimzählungen wahrscheinlich gemacht worden
war, daß an der Ammoniakbildung auch die nicht
weiter wachsenden Zellen beteiligt seien, wurde
auch versucht, festzustellen, ob enzymatische Vorgänge
dabei mitwirkten. Es zeigte sich in der Tat, daß eine Proteuskultur,
die nach 24 Stunden Wachstums 4,25 mg Ammoniak (auf 50 ccm)
eizeagt hatte, nach Abtötung durch Toluol in der folgenden Woche
etwa noch ebensoviel und mehr, ja, wenn man die letzte Bestimmung
am 21. Tage, bei welcher der Bodensatz mit verarbeitet wurde, berück-
sichtigt, mehr als doppelt soviel Ammoniak neu bildete. Es machte
dabei keinen Unterschied, wenn Bouillon mit Traubenzucker, die durch
Vergärung desselben sauer geworden war, benutzt wurde. In einem
weiteren Versuch, in dem (mit Azeton) abgetötete Proteusbazillen
(93 mg Trockengewicht) in 800 ccm Bouillon eingebracht wurden,
sah Berghaus ebenfalls eine wenn auch geringere Ammoniakbildung.
In seiner zweiten Arbeit *) studierte Nawiasky die Zersetzimgen
des Asparagins, der Aminosäuren tmd einiger anderer Eiweiß-
1) Vgl. über die Bestimmung der Bakterienemte durch dies Ver-
fahren § 234.
2) Ähnliche Zahlen für Proteus geben M a r c h a 1 und Stoklasa,
aber auch für Ärobier zum Teil noch höhere (§ 171).
3) Arch. f. Hyg. 64, 1908. Der Stickstoff wurde hier zum Teil auch
nach der H ü f n e r sehen Methode der Harnstoff bestimmung festgestellt.
4) Ebenda 66, 1908.
33*
516 Kap. IX. i 169.
abkömmlinge durch den Proteus. Der erstere Stoff, das Aminobem-
steinsäureamid, wird, wie sich bei seiner leichten Hydrolysierbarkeit
und den früher von A r n a u d und C h a r r i n bei der Züchtung des
Pyocyaneus in Asparagin erhaltenen Ergebnissen (§171) fast erwarten
ließ, glatt unter Wasseraufnahnie in asparaginsaures Ammoniak ver-
wandelt (vgl. auch § 191). Dabei bleibt es aber nicht, sondern die As-
paraginsäure wird weiter in Bemsteinsäure und Ammoniak als Haupt-
erzeugnisse sowie Essigsäure und Kohlensäure gespalten^). Die Bem-
steinsäure, deren Bildung bei der „Fäulnis*' des Asparagins schon
Hoppe-Seyler^) und Tappeiner') gesehen, muß aus der
Asparaginsäure (Aminobemsteinsäure) durch Reduktion — Eintritt
von 2 Wasserstoff atomen nach Formel 1 auf S. 505 entstehen; die
Essigsäure, die auch Tappeiner neben Propionsäure ( ?) gefunden,
kann entweder ebenfalls aus der Asparaginsäure durch Eintritt von
4 Wasserstoffatomen oder, wie es ein Versuch mit Bemsteinsäure wahr-
scheinlich machte (vgl. S.443), aus der Bemsteinsäure durch Eintritt von
2 Wasserstoffatomen hervorgehen. Wenn man sich vorstellte, daß der
dazu nötige Wasserstoff aus dem Wasser stammte, so bliebe Sauerstoff
übrig, um die Asparaginsäure, Bemsteinsäure oder Essigsäure zu oxy-
dieren und so die Bildung von Kohlensäure zu erklären. Da die Menge
der reichlich vorhandenen Kohlensäure weder von Tappeiner noch von
Nawiasky genau bestimmt, femer auf etwaige Zwischenerzeug-
nisse und Beste von Asparaginsäure nicht gefahndet wurde, auch ein
kleiner Fehlbetrag von Ammoniakstickstoff (3% des Gesamtstick-
stoffes) sich ergab, war eine genaue Stoffbilanz nicht möglich, inmierhin
zeigte sich, daß schon 24 Stunden nach Impfimg von je 250 ccm die
Nährflüssigkeit^) mit 5 g Proteusbazillen die Verwandlung des Aspara-
gins zu Asparaginsäure vollendet und ein Teil davon weiter zerlegt,
nach 4 mal 24 Stunden fast 95% der Asparaginsäure gespalten sein
mußte. Auf einen etwaigen Stoffansatz brauchte nach N a w i a s k v
— indiesen Versxichen — nichts verrechnet zu werden, da ein Kon- ,
trollversuch ergab, daß der Proteus in dieser Nährlösung nur ein ganz
schwaches Wachstum entfaltete^). Es handelt sich also um reine
1) Nach 96 Stunden wurden aus 4,34 Aspeuragin gefunden 2,84 Bem-
steinsäure, 0,28 Essigsäure, 0,872 Anunoniakstoff, 0,33 Kohlensäure. D&s
entwickelte Gas bestand zu 94,3% aus Kohlensäure, die übrigens allein
bestimmt wurde.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 2. 13.
3) Zeitschr. f. Biol. 24. 116.
4) Außer 5% Asparagin nur Mineralsalze.
5) Es scheint das doch bei der guten Wachstumsfähigkeit des Proteus
etwas wunderbar. An den Schlüssen Nawiaskys ändert sich freilich
nichts, da im Hauptversuch bei der gewaltigen Einsaat sowieso ein Wachs-
Wandlungen der Eiweißkörper. 517
Zeisetzungen, bei denen man nur noch festzustellen hatte, ob sie auf
Enzyme zurückzuführen wären. Das gelang Nawiasky in einigen
Versuchen, in denen mit Azeton abgetötete Proteusbazillen (je 8 g
friache Bazillen) nach dem Trocknen mit Glaspulver und Toluol ver-
rieben in 100 — ^300 ccm öprozentige Asparaginlösung gebracht
worden waren. Im ersten Versuche wurden nach 4*/^ Tagen bei 37®
49,3% des Asparaginstickstoffes in Ammoniak übergeführt, aber nur
Spuren von Bemsteinsaure gebildet, also zwar die Hydrolyse des Aspara-
gins zu Asparaginsäure durch die in den toten Leibern enthaltenen
Enzyme glatt vollzogen, nicht aber die weitere Spaltung der Asparagin-
säure. Soweit waren übrigens schon A r n a u d und Charrin in
ihrer Arbeit über den Bac. pyocyaneus gekommen (§ 71). Ähnlich fielen
einige weitere Versuche aus. In einem letzten Versuch wurden aber
aus 13 g Asparagin binnen 24 Stunden gebildet 0,47 Bemsteinsaure,
0,063 g Essigsäure und 1,344 g Ammoniakstickstoff^). Nawiasky
berechnet daraus, daß auf enzymatischem Wege nicht
nur 92% des Asparagins in Asparaginsäure ver-
wandelt, sondern auch noch 6% der letzteren ge-
spalten, d. h. teils zu Bernstein- und Essigsäure
reduziert, teils verbrannt wurden. Damit wäre zum
ersten Male die Existenz einer „Aminazidase'^ wie wir die Aminosäure
spaltenden Enzyme nennen können, durch den Versuch unmittelbar
bewiesen^). Über die dabei beobachtete Wärmeentwicklung, die Na-
wiasky ebenfalls bestimmte, vgl. § 237.
tum kaum stattfinden konnte (s. o. S. 135 Davids Versuch). Man
hätte nur argwöhnen dürfen, daß unter diesen Umständen eine Selbst-
verdauung der Keime stattfände, und ein Teil der gefundenen Stoffe,
namentlich des Ammoniaks, aus den verdauten Bakterien selbst stammte.
Nawiasky hat an diese Fehlerquelle gedacht, aber in einem Versuch
mit Einsaat von 6,75 Proteus in 100 ccm einer Lösung, die nur Mineral-
s^alze enthielt, nach 15 Tagen nur 99 mg Animoniakstickstoff, in einem
ähnlichen mit 5 g Proteus nach 4 Tagen nur 21 mg Ammoniakstoff ge-
funden. Danach vermutet er, daß 1 g Proteus mit 27 mg Stickstoff durch
Selbstverdauung täglich nur etwa 1 mg Ammoniakstickstoff erzeuge, eine
Menge, die für den obigen Hauptversuch kaum ins Gewicht fiele, vor-
ausgesetzt, daß die Selbstverdauung hier nicht
Kroßeren Umfang besessen hat. Eine Bestimmung der Bak-
terienraenge wäre jedenfalls möglich gewesen und in künftigen Versuchen
nicht zu vergessen. Wir selbst schließen übrigens aus diesem Versuche
^'awiaskys, daß dadurch die Existenz von ,,Aminazidasen" neben
der Endotr3rpta8e im Proteus nachgewiesen worden ist (S. 499), daß also
nicht bloß die Zersetzung von Asparaginsäure, sondern auch die anderer
Aminosäuren des Eiweißes ein enzymati scher Prozeß ist.
1) Kohlensäure wurde nicht bestimmt.
2) Vgl. übrigens das in der vorletzten Anmerkung Gesagte und § 166.
518 Kap. IX, i 169.
In anderen Versuchen, die ebenfalls mit sehr großer, kaum wachs-
tiimsfähiger Einsaat von lebenden Proteusbazillen angestellt wurden,
prüfte derselbe Forscher die Zersetzung der Aminosäuren und einiger
Basen und erhielt zunächst aus 4,4 g Asparaginsäure nach
49 Stunden 2,7 g Bernsteinsäure ^), d. h. 56,6% der möglicheD
Menge und 0,302 g Ammoniakstickstoff, d. h. 65,9%. Die übrigen
Stoffe folgen hier in der Reihenfolge, in der sie sich zur Spaltung be-
währten. Am nächsten kam der Asparaginsäure das L e u z i n (Amino-
isobutylessigsäure). Aus ihm wurden nach 7 bzw. 14 Tagen 54,1 bzw.
58,7% der möglichen Menge Ammoniak, 27,3 bzw. 63,2% der flüchtigen
Säure (Essig-, Butter-, Baldrian- und Kapronsäure), 38,4 bzw. 3,3%
Amylalkohol (daneben Butylalkohol) entwickelt. Die Baldriansäure
war, wie wir früher sahen (§ 168) schon vielfach bei der Fäulnis des
Eiweißes und von N e n c k i durch Fäulnis des Leuzins erhalten worden,
hier werden nur in der späteren Zeit die höheren, in den ersten Tagen
nur die niederen Säuren gefunden. Nawiasky macht dafür die
Mitwirkung des Luftsauerstoffe verantwortlich, durch die man freilich
— aber auch doch nur wieder unter Annahme besonderer oxydativer
Kräfte (Oxydasen?) der Zellen — die Bildung der niederen aus den
höheren Fettsäuren erklären könnte. Wir glauben aber, daß auch die
Essigsäure und Buttersäure (Isobuttersäure?) durch anaeroben Zer-
fall des Leuzins entstehen könnten. Die Formel 3b auf S. 506 gibt
uns den Weg dazu an. Wir hätten nämlich
2 cH^'^H . CHg . CHNHgCOOH + 2 H^O =^8^CH . CH^ . CH^
Leuzin Isobutylessig-
. COOK +^JJV^H.C00H + CH3.COOH + 2NHs
säure Isobuttersäure Essigsäure Anmioniak.
An die Stelle der Isobutylessigsäure (Isokapronsäure) könnte in dieser
Gleichung aber nach einer später zu erörternden Umsetzimg (IIa in
§ 173) Isobutylalkohol und Essigsäure treten. Ein ähnlicher Alkohol
wurde ja auch von Nawiasky erhalten.
Eher kommt neben der Verdunstung der Luftsauerstoff in Frage
für das allmähliche Verschwinden des Amylalkohols. Auf dessen sonst
hauptsächlich bei Pilzen beobachtete Bildimg kommen wir weiter unten
noch zurück. (§ 173). Nawiasky möchte für das spätere Stadium
der Zersetzung annehmen, daß 4 Moleküle Leuzin unter abwechselnder
1) Vgl. dazu die Befunde Blumenthals u. a. von Bemsteinsäure
in Milchkulturen des Proteus S. 329.
Wandlungen der Eiweißkörper. 519
Aufnahme (SHgO) und Abspaltang (2H2O) von Wasser in 4 Moleküle
Ammoniak je 2 Moleküle Eapronsaure (Isokapronsäure?) und Kohlen-
säoie und je ein Molekül Baldriansaure (Isovaleriansaure?) und Amyl-
alkohol (Isoamylakohol?) zerfallen. Die Umsetzung entspricht in der
Tat einer Addition unserer Formeln 3 auf S. 505 and 8 auf S. 534.
Nach dem bisherigen Ausfall der Analysen würden also für den
Zerfall des Leuzins eine ganze Reihe von Spaltangsmöglichkeiten — oder
vielleicht besser gesagt verschiedene Fermente — in Betracht kommen,
die je nach dem Stadium der Kulturentwicklung in wechselnden Ver-
hältnissen wirken. Bei den Milch- und Buttersäuregärungen der Kohle-
hydrate haben wir ähnliches erlebt (§ 98 u. 114).
Aus Aminovaleriansäure entsteht nach 7 Tagen durch
Proteus neben Anmioniak Buttersäure, außerdem vielleicht Essigsäure
(Ameisensäure?) und Butylalkohol und sehr wahrscheinlich die nicht
vom Verfasser bestimmte Kohlensäure. Die flüchtigen Säuren betragen
29,5% der zu erwartenden Mengen, falls aus* jedem Molekül nur ein
Molekül Säure entstände.
Phenylalanin gibt ähnliche Mengen (24,3%) flüchtiger
Säure, 28,1% Ammoniak und außerdem intensive Gelbfärbung (durch
Benzil ?) und Geruch nach Benzaldehyd. Bei der Besprechung der Fusel-
ölbildung kommen wir darauf zurück (§ 173).
T y r o s i n (Paraoxyphenylalanin) verhält sich fast gleich dem
vorhergehenden. Von Phenolen wird nicht gesprochen.
Arginin ergab mit Proteus 20% Ammoniak und einen sperma-
ähnlichen Geruch (Kadaverin oder Aminovaleriansäure s. u. § 170).
Aus K r e a t i n wurden nur 3,7% des Stickstoffs als Ammoniak
entbunden. Da aber vom Kreatin selbst 8,64% nicht wiedergefunden
worden, ist die B r i e g e r sehe Annahme vielleicht gestattet, daß
Kreatin teilweise in Methylguanidin und Essigsäure gespalten wird.
Der Umsatz zu Kreatinin (s. u. § 170) wurde nicht verfolgt.
G 1 y k o k o 1 1 1) ( Aminoessigsäure) wird noch weniger angegriffen :
2,8% Anmioniakstickstoff. Von der zu erwartenden Essigsäure wurden
nur 0,6 wiedergefunden.
A 1 a n i n (Aminoproprionsäure) ergab in einem Versuch (4 Tage)
ähnliche Verhältnisse, in einem zweiten 22 Tage fortgeführten wurden
allerdings 18,5% fast reiner Essigsäure gefunden. Die übrigen Er-
zeugnisse wurden leider nicht untersucht. Ohne erhebliche innere
oxydative Vorgänge ist die anaerobe Entstehung der Essigsäure aus
Alanin wie die der Buttersäure aus Aminovaleriansäure und der Valerian-
1) Vgl. Hippursäurezersetzung § 191.
520 Kap. IX, § 169 u. 170.
säure aus Leuzin natürlich nicht denkbar, immer wieder unter der
Voraussetzung, daß kein Wasserstoff frei wird.
Glutaminsäure, die zweite Aminodikarbonsäure (mit fünf
Kohlenstoff atomen), entwickelte in 15 Tagen 52,94% des Stickstoffs als
Ammoniak. Unter den nur in geringer Menge gefundenen Sauren waren
teils ätherlösliche kristallisierbare, die jedenfalls u. a. Bemstein&äure
enthielten, teils flüchtige mit Essigsäuregeruch. Daß hierbei Oxyda-
tionen durch den Luftsauerstoff eine Bolle spielten, wurde durch das
hautartige Wachstum auf der Oberfläche nahegelegt.
Die Pyrrolidinkarbonsäure (mit 5 Kohlenstoffatomen)
gestattete ein ähnliches Wachstum. Es wurde dabei durch Sprengung
des durch Stickstoff gebildeten Ringes Ammoniak frei (als Platindoppel-
salz bestimmt), daneben Spuren anderer Basen, im ganzen in 1 1 Tagen
43,7 des Stickstoffs. Die beim Abdestillieren zurückbleibenden Massen
hatten Spermageruch, wie in der theoretisch zu erwartenden Amino-
valeriansäure. Da niedere kohlenstoffhaltige Abbauprodukte nur wenig
gebildet zu werden scheinen, wird die der kräftigen zur Abspalttmg
des Ammoniaks nötigen Reduktionswirkung entsprechende Oxydation
wohl zur völligen Verbrennung führen.
T a u r i n , die Aminoäthansulfosäure, die als Verwandte des
Z y s t i n s untersucht wurde, gestattete wegen der bald eintretenden
Säuerung nur ein reichliches W^achstum des Proteus, wenn Kreide
zugesetzt wurde. Dabei wurde in 10 Tagen 11,3% des Stickstoffe in
Form von Ammoniak abgegeben. Die übrigen Erzeugnisse wurden nicht
untersucht (vgl. § 190).
Die Diaminosäuren wurden leider nicht geprüft (vgl. § 170).
Schließlich untersuchte Nawiasky noch das Verhalten des Proteus
gegen Harnstoff und Harnsäure (vgl. § 195 u. 193). 3 g Harn-
stoff wurden von 2 g Proteus in 2 Tagen zu 81% hydrolysiert, aus der
Harnsäure aber wohl wegen ihrer sauren Reaktion in 6 Tagen nur 7,74%
des Stickstoffs abgespalten.
Es wäre sehr erwünscht, wenn diese Untersuchungen auch mit
anderen Bakterien wie mit dem Proteus angestellt imd weiter auch nach
der Seite der Enzymforschung hin vervollständigt würden.
Während der Staphylococcus pyogenes aureus
nach Liborius, Bienstock, Rettger (§ 68) bei Sauerstoff-
abschluß imd Fehlen von Kohlehydraten nicht zu wachsen vermag,
oder mindestens nicht als Fäulniserreger bekannt ist, gibt E m m e r -
1 i n g ^) an, mit diesem Mikroorganismus bei Sauerstoffabschluß
stinkende Fäulnis des Eieralbumins mit Bildimg von Phenol, Indol,
1) Ber. ehem. Ges. 1896. 2721.
Wandlungen der Eiweißkörper. 521
Skatol erzeugt zu haben. Außerdem wurde Ammoniak in großer Menge,
reichliche Mengen von Buttersäure, geringe von Ameisen-, Propion-
imd höheren Fettsäuren, viel Oxalsäure und wenig Bemsteinsäure,
Trimethylamin, aber kein Betain (S. 510) gefunden. Auch Tissier
und Martelly^) sahen durch den Staphyl. pyogenes, den sie aller*
dings aus Fäulnismischungen isoliert hatten, Zerfall des Fibrins unter
Bildung übelriechender Produkte eintreten. Indol fanden sie aber nur
in Spuren, Phenol überhaupt nicht. Lewandowski*) u. a. ver-
mißten auch Indol imd überhaupt die faulige Zersetzung des Fibrins.
Entweder haben diese Forscher verschiedene Bakterien in der Hand
gehabt, oder, was wahrscheinlicher, der Verdacht, den R e 1 1 g e r
ausspricht, trifft zu, d. h. man hat sich zum Teil durch Anaerobier,
die die Kulturen verunreinigt hatten, täuschen lassen. Es fehlt dem-
nach vorläufig eine unanfechtbare Arbeit über die Eiweißzersetzung
durch die Eiterstaphylokokken. Neuerdings hat allerdings Riemer^)
die Zersetzung der Peptonbouillon durch sie studiert, aber wesentlich
nur in bezug auf die Eohlensäurebildung (§ 220). Nur in zwei Parallel-
vereuchen, die je 74 Tage dauerten, wurde auch die Ammoniakbildimg,
und zwar auf 22,9 bzw. 39,5% des Eiweißstickstoffs bestimmt. Die
Kulturen waren dabei übrigens regelmäßig durchlüftet worden.
Sind die Zahlen richtig, dann kann es kaum der Wirklichkeit entsprechen,
wenn Riemer auf Grund seiner fortlaufenden Kohlensäurebestim-
mungen angibt, 42 — 47% der Albumosen seien dabei zu Kohlensäure
verbrannt worden, sondern ein Teil des Gases muß aus anderen Quellen
stanmien.
§ 170. Eiweißspaltangen durch Vibrionen und andere
Aerobier. Ptomaine. III. Wir kommen jetzt zu den mehr oder
weniger streng aeroben und schon darum nicht eigentlich als Fäulnis-
erreger zu betrachtenden, aber Eiweiß doch energisch angreifenden, zum
mindesten es durch hydrolytische Enzyme verflüssigenden Mikroben.
Zuerst wollen wir hier dieCholeraspirillen und ihre Verwandten
herausgreifen, weil sie den Proteusbakterien wenigstens durch ihr
Vermögen, Indol zu bilden, nahestehen. Bekanntlich zeichnen sie
sich gleichzeitig dadurch aus, daß sie Nitrate zu Nitriten reduzieren.
^ erklärt sich nach Brieger^), Salkowski^) und P e t r i *)
die gerade für diese Bakterien recht charakteristische, durch Zufügen
1) Annal. Pasteur 1902. 877.
2) Deutsch, med. Wochenschr. 1890. 51.
3) Arch. f. Hyg. 71, 1909.
4) Deutsch, med. Wochenschr. 1887. 15 und 22.
5) Virchows Arch. 110, 1887.
6) Zentr. Bakt. 5, 1889.
522 Kap. IX, § 170.
von Mineralsäure zur Kultur zu erhaltende Nitrosoindol- oder
Gholerarotreaktion (vgl. S. 539). Von sonstigen Zersetzungspro-
dukten sind namentlich studiert worden der Schwefelwasserstoff,
dessen Bildung wir an anderer Stelle erörtern (§ 205), und die basischen
Stoffe, die man mit BriegeralsPtomaine (vgl. § 259) bezeichnet
hat. Nach diesem Forscher^) werden in Cholerakulturen gefunden:
Putreszin, Methylguanidin, Cholin und namentlich
Kadaverin.
Kunz"") isoUerte femer aus einem Infus von Serumeiweiß und
Ochsenpankreas, das mit Gholerabazillen geimpft war, eine Base von
der Zusammensetzimg C2H5N, die höchst wahrscheinlich mit dem
Spermin identisch war. Wir werden bei Besprechung der Bakterien-
gifte auf diese und andere Ptomaine zurückkommen. Hier interessiert
uns ihre Entstehungsweise aus dem Eiweiß, die wenigstens teilweise
bekannt ist. Das Putreszin oder Tetramethylendiamin, das von
Brieger^) wie das Kadaverin auch aus Fäulnisgemischen erhalten
wurde, bildet sich nach E 1 1 i n g e r ^) bei der Fäulnis aus Ornithin
(Diaminovaleriansäure), einem hydrolytischen Spaltungsprodukt des
im Eiweiß vorgebildeten Arginins CeHi4N402'*), und zwar durch ein-
fache Abspaltung von Kohlensäure (vgl. Formel 5 S. 513):
7) C^Hi^N A = C4H12N2 + CO2 .
Ob gleichzeitig das Methylguanidin C2H7N3 aus dem
zweiten Spaltungsprodukt des Arginins, dem Guanidinrest, etwa durch
Reduktion mit Wasserstoff hervorgeht, muß dahingestellt bleiben.
Eine andere Möglichkeit, die Entstehung durch Oxydation aus dem
Kreatin oder Kreatinin des Fleisches, ist experimentell bewiesen und
bei dem Luftbedürfnis des Cholerabazillus auch nicht von vornherein
abzulehnen.
Wie das Putreszin entsteht auch das Kadaverin oder Penta-
methylendiamin nach Ellinger®) durch Kohlensäurespaltung aus
der Diaminokapronsäure.
Das C h o 1 i n ist schließlich ein Zerfallsprodukt des Lezithins
{§ 189).
Wie die übrigen Basen, die bei Eiweißzersetzungen gefunden
worden sind, sich bilden, ist unbekannt. Es ist aber wahrscheinlich.
1) Bari. klin. Wochenschr. 1887. 44.
2) Monatsh. Chem. 1888. 361.
3) Untersuchungen über Ptomaine 1885 und 1886.
4) Ber. chem. Ges. 1898. 318.
5) Das Arginin zerfällt, wie wir sahen, im Preßsaft der Hefe durch
Hydrolyse in Ornithin mid Harnstoff (§ 166).
6) Her. chem. Ges. 1899. 3542.
Wandlungen der Eiweißkörper. 523
daß auch das Phenyläthylamin^), das zuerst von N e n c k i
und J e a n n e i e t ') bei der Fäulnis des Leims, das Oxyphenyl-
äthylamin, das bei der Eäsereifung (§ 178) gefunden worden ist,
nach Art der Gleichung 7 aus den aromatischen Aminosäuren sich
abspalten. Das Methylamin und Äthylamin aus Fäulnis-
gemischen bzw. Beinkulturen (s. Ptomaine § 259) würde vielleicht
ebenso aus dem GlykokoU imd Alanin entstehen. Manche andere
Basen werden sich möglicherweise aus dem Cholin ableiten lassen.
Neuerdings hat Nawiasky') in der beim Proteus (§ 169) be-
richteten Weise auch die Eiweißzersetzung des Vibrio Finkler-
Prior imtersucht. Es zeigten sich in der ersten Wachstumsperiode
(in Peptonbouillon) vermehrt die Aminosäuren, flüchtigen Basen*) und
Kreatin^), vermindert die Albumosen, Peptone und der „Reststickstoff",
anverändert das Kreatinin. Beim weiteren Wachstum blieben ähnliche
Verhältnisse bestehen, in der Absterbeperiode ninmit dagegen das
Pepton und das Kreatin erheblich zu, während die Albumosen stark
abnehmen. Fermente, die aus den Bakterienleibem austreten, werden
daran schuld sein. Auffällig ist die dauernd geringe Bildung
flüchtiger Basen, die im Gegensatz steht zu den sonstigen
Funden Nawiaskys beim Proteus und bei zwei anderen streng
aeroben Bakterien (Bac. mesentericus und alcaligenes), und übrigens
auch zahlreicher anderer Forscher^), und beweist, daß die tieferen
Spaltungen der Aminosäuren, wenn sie überhaupt vorkommen, bei
diesem Vibrio keinen bedeutenden Umfang haben, von einer Deckimg
des Betriebsstoffwechsels durch die Eiweißzersetzung also hier kaum
die Rede sein kann, während umgekehrt die Ausnutzung der Eiweiß-
stoffe zum Wachstum hier viel größer ist, als bei den übrigen Bakterien
(vgl. § 234).
Weiter ist bemerkenswert die Bildung von Kreatin, die
nicht nur während des Wachstums erfolgt, sondern auch beim Zell-
zerfall (enzymatisch ?) weiter fortschreitet. Beim Bac. alcali-
genes wird, um das hier gleich anzugeben, Kreatin nur im letzten
Stadium gebildet, im ersten zersetzt, beim Bac. mesentericus nur
1) Vgl. Spiro, Hofmeisters Beitr. 1. 1901.
2) Joum. prakt. Chem. 15, 1877.
3) Arch, f. Hyg. 64, 1908.
4) Nur um 4 mg.
6) 28 gegen 15 mg.
6) Z. B. Mar chal und Stoklasa § 171. Berghaus (Arch.
f. Hyg. 64 8. o. beim Proteus S. 515) hat übrigens auch beim Choleraspirillvim
keine erheblichere Ammoniakbildimg beobachtet, ebensowenig beim Typhus-
bazillus (vgl. aber Stoklasa).
524 Kap. IX, § 170 u. 171.
während des Wachstums gebildet. Kreatinin, dessen Menge
beim Vibrio unverändert bleibt, nimmt beim Alcaligenes (durch Wasser-
entziehung aus dem Kreatin?) während des Wachstums zu, bei dessen
Zerfall (durch Wasseraufnahme imd Umbildung in Kreatin?) wieder
ab; beim Bac. mesentericus nimmt es gleichzeitig mit dem Kreatin
während des Wachstums zu. Ob man bei den inmierhin kleinen Mengen
auf diese Analysen entscheidenden Wert legen darf, steht freilich dahin.
Sonst ist über die Bildimg der Fleischbasen wenig bekannt (s. o. Proteus
S. 514). Neuerdings hat aber Antonoff ^) wie schon früher Z i n n o
die W e y 1 sehe Reaktion benutzt, um die Bildung von Kreatinin bei
Bakterien zu studieren. Nach ihm erzeugen diesen Stoff aus Pepton
die Vibrionen, Hühnercholerabazillen, Proteus, Bac. coli, pseudo-
dysenteriae, auch Diphtheriebazillen, Staphylo- und Streptokokken,
nicht Typhus-, Paratyphus-, Dysenteriebazillen usw. Manche der
letzteren geben eine positiv^e Reaktion bei Traubenzuckerzusatz; viel-
leicht hat also die Säureentwicklung einen gewissen Einfluß.
§ 171. Fortsetzung. Ammoniakbildung durch Aerobier.
IV. Energische Zersetzungen des Eiweißes, bei denen gewöhnlich weder
übelriechende Produkte noch Indol gebildet werden, erzeugt eine
ganze Reihe verflüssigender Bakterien, die wie die Spirillen strenge
x\erobier sind. Als Vertreter der großen Gruppe der Heubazillen
sei zuerst ein aus Milch isoliertes Bakterium erwähnt, das von Ka-
lischer*) auf Milch und Kaseinlösung studiert worden ist. Durch
Enzymwirkung allein (S. 489) entstehen aus dem Kasein Pepton,
Leuzin, Tyrosin, Tryptophan, eine aromatische Oxysäure und etwas
Ammoniak. Dieselben Stoffe werden in den lebenden Kulturen nach-
gewiesen, Ammoniak aber in sehr viel reichlicherer
Menge. Offenbar findet eine Spaltung der Aminosäuren durch die
Bakterien statt. Dafür spricht auch das Vorhandensein flüchtiger
Fettsäuren, vor allem der Baldriansäure (s. o. S. 508). Asparagin-
säure und Glutaminsäure, Skatol, Phenol und Kresol wurden nicht
gefunden, dagegen bei der Prüfung auf Hexonbasen eine kristallisier-
bare Substanz, die nicht näher bestimmt werden konnte.
Andere Milchbazillen aus der Gruppe der Heubakterien waren
schon früher mehrfach als Eiweißzersetzer erkannt worden, so der
Bac. (pseudo-)butyricus, der nach Hüppe^) Pepton, Leuzin,
Tyrosin imd Ammoniak und außerdem Buttersäure, die er aber auf die
Vergärung von Milchsäure zurückführte, entwickelt. L ö f f 1 e r ,
1) Zentr. Bakt. 43. 209, 1907.
2) Zentr. Bakt. 37, 1900.
3) Mitteilimgen d. GesundheitBamts 2, 1884, vgl. § 113.
Wandlungen der Eiweißkörper. 525
H ü p p e , Flügge^) u. a. studierten dann die diesen Bazillen sehr
nahestehenden Bakterien der „bitteren Milch'\ ohne aber auf die feinere
Zosammensetzung ihrer Erzeugnisse mit Ausnahme der nach ihrer
Ansicht den bitteren Geschmack erzeugenden Peptone (s. u.) näher
einzugehen. Lewandowski«) fand bei dem Bac. subtilis zwar
weder Indol noch Phenol, beide Substanzen aber bei dem nahe ver-
wandten Kartoffelbazillus. Daß die Scheidimg zwischen
Bakterien, die Indol bilden, und solchen, die es nicht tun, eine etwi^
künstliche ist, zeigen noch mehr die Untersuchungen von König,
Spieckermann und 0 1 i g ^) (vgl. S. 567). Heubazillen zersetzen
einen v^tabilischen Nährboden, der aber reich ist an Eiweiß, das
Baumwollensaatmehl, zunächst ohne Indol zu bilden: es fanden sich
nach fünfwöchentlicher Kultur nur Kohlensäure, Ammoniak,
Schwefelwasserstoff und Merkaptan, primäre und
sekundäre Aminbasen, Buttersäure, Phenylpropion*
und Phenylessigsäure,aromatischeOxysäure neben
Albumosen und Peptonen. Nach 3 Monaten waren aber auch
noch Baldriansäure, Phenol, Kresol, Skatolkar-
bonsäure (Indolessigsäure), S k a t o 1 und Indol nachzuweisen.
Die Zersetzung reiner Proteinstoffe verlief in ähnlicher Weise: bei
3— 4wöchentlicher Fäulnis traten Skatol imd Phenol nicht auf, Indol
nur bei Eiweiß und Blutfibrin, nicht bei Pflanzenkonglutin. Am stärk-
sten war das Eiweiß zersetzt: es verschwanden 26,5% der Trocken-
substanz xmd 41% des Stickstoffes, und zwar 20% als Ammoniak.
Da die austretenden Gase in Schwefelsäure aufgefangen wurden, hätte
man diesen Verlust nicht haben dürfen, wenn es sich bloß um Ammoniak-
verdunstung gehandelt hätte. Also muß nach der Ansicht der Verfasser
freier Stickstoff entbunden worden sein, ein Schluß, der der
üblichen Annahme, wonach nur die Nitrate und unter dem Einfluß
von salpetriger Säure die Amide solchen liefern, widerspricht (vgl. § 179).
Die eiweißzersetzende Fähigkeit der Heubazillengruppe (Tyrothrix
D u cl a u x) spielt auch anscheinend eine große Rolle bei der Käse-
reifung (§178). Chemisch genauer untersucht sind namentlich die Leistun-
gen des Bac. n o b i 1 i s durch 0. Jensen*). Sie bestehen darin,
viel Pepton, Ammoniak, von flüchtigen Säuren Baldrian-
und Buttersäure, also dieselben, die wir schon bei der Anaeroben-
fäulnis vorkommen sahen, zu bilden. Ähnliches darf man sagen von
einem zweiten für die Käsereifung wichtigen Bakterium, dem M i c r.
1) Zeitschr. Hyg. 17. 293, 1894.
2) Deutsch, med. Wochenschr. 1890. 51.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 535» 1903.
4) Joum. Landwirtsch. Schweiz 1904.
526 Kap. IX, § 171.
casei liquef aciens. Kleine Mengen von Ame^isen- und
Essigsäure erzeugte es nebenbei. Nach A d a m e t z und
Chrzaszcz^) wäie femer für den Bac. nobilis ein alkaloid-
ähnlicherKörper, der genau beschrieben wird, charakteristisch.
Eine als Thyrothrix bezeichnete Bazillenart, die nach Epstein^)
die Reifung des Camembertkäses bewirken soll, ist ein aerobes Bak-
terium, das wahrscheinlich den folgenden Arten näher steht. Es er-
zeugt in Kaseinlösung Albumosen, Peptone, Tyrosin,
Leuzin, aromatische Oxysäure, Essig-, Butter-
und Valeriansäure, Ammoniak, aber kein Tryptophan,
Indol, Skatol, Phenol und Kresol. Der Bitterstoff, der in Käsen,
ebenso wie in Milch nicht selten auftritt, soll nach neuen Untersuchungen
von T r i 1 1 a t und S a u t o n nicht Pepton sein, sondern eine harz-
ähnliche Substanz, deren Bildung auf gleichzeitigem Auftreten von
Aldehyden und Ammoniak beruht (§ 173 u. 178).
Auch die grünfluoreszierenden Bazillen, die
eine ähnliche Verbreitung wie die Heubakterien und der Proteus atiI-
gans haben, namentlich aber im Wasser regelmäßig vorkommen,
gehören hierher. Emmerling imd Reiser^) haben allerdings
nur die Wirkung des Bac. fluorescens liquefaciens auf die Gelatine
studiert. Das Hauptprodukt ist Ammoniak, in dem mehr als
25^0 ^^ Stickstoffs erscheinen. Daneben treten Methylamin,
Trimethylamin, Gholin und B e t a i n auf. Aminosäuren,
aus denen jedenfalls das Anmioniak stammt, wurden nicht dargestellt,
wohl Pepton. Daß Indol und Skatol und Schwefelwasserstoff sich
nicht fanden, ist nicht wunderbar, da Tryptophan und die Zystein-
gruppe überhaupt dem Leim fehlen. Aber auch die Abkömmlinge
desTjnrosins, die Phenole, wurden vermißt. Über das tryptische Enzym,
das Emmerling und Reiser aus den Leibern derselben Bazillen
gewannen, wurde schon S. 489 gesprochen.
Eine Ergänzung zu dieser Untersuchung über den Bac. fluorescens
liquefaciens bildet die Arbeit von A r n a u d und Charrin*) über
die Zersetzung, die der naheverwandte Bac. pyocyaneus in
einer 5 Vqq Asparaginlösung verursacht. Danach wird fast der gesamte
Stickstoff dieses Amids der Aminobemsteinsäure, nämlich 91 y^, in die
Form von Ammoniakverbindungen übergeführt, und zwar teils un-
mittelbar, teils auf dem Wege über die Asparaginsäure. Auch
aus der Gelatine wird durch den Pyocyaneus TO^q des Stickstoffs als
1) Kochs Jahresber. 1005. 323.
2) Arch. f. Hyg. 43, 1902.
3) Ber. ehem. Ges. 1902. 700.
4) Ck)mpt. rend. ac. sc. 112. 766 u. 1167, 1891 vgl. § 234.
Wandlungen der Eiweißkörper. 527
Ammoniak abgespalten. Wir haben also wahrscheinlicli ähnliche
Verhältnisse, wie wir sie oben vom Proteus berichtet haben (§ 169).
Ä r n a u d und C h a r r i n fanden auch schon die enzymatische Natur
der Asparaglnsaurebiidung. Allerdings gelingt die Zerlegung des As-
paragins nicht durch Eulturfiltrate, wohl aber durch die Bazillenkörper,
wenn Chloroform zugesetzt wird. Neben dieser „Asparaginase", die
nur hydrolytisch wirkt, gibt es nach dem Funde Nawiaskys
(§ 169) eine „Aminazi dase", die die Asparaginsäure weiter spaltet.
Leider fehlen entsprechende Untersuchungen über die Zersetzungen
anderer Aminosäuren durch den Bac. pyocyaneus.
Nur teilweise wird diese Lücke ausgefüllt durch die Arbeiten von
M a r c h a 1 ^) imd S t o k 1 a s a. Zunächst untersuchte der erst-
genannte Forscher, wieviel Ammoniak die von ihm aus Erde
gezüchteten verschiedenartigsten Mikroorganismen aus einer Eiweiß-
losung entwickelten, die 10% durch Zusatz von 0,01% Ferrisulfat
ungerinnbar gemachtes Eieralbumin und darin 1,5% Stickstoff ent-
hielten. Alle waren dazu imstande, wenn sie sich überhaupt auf diesem
Nährboden entwickelten. Die Bestimmung ergab nach Destillation
mit Magnesia die folgende Reihe:
Es verwandelten binnen 20 Tagen bei 30° von dem Eiweißstick-
stoff in Anmioniakstickstoff :
Bac. mycoides .... 46% Bac. arborescens .... 19%
Proteus vulgaris .... 36% Bac. fluorescens liquefaciens 16%
Bac.mesentericusvulgatus. 36% Cephalothecium roseum . 37%
Sarcina lutea 27% Aspergillus terricola . . . 32%
Bac. subtilis 23% Botryotrichum piluliferum 24%
Bac. janthinus .... 23% Stemphylium 5%
Bac. fluorescens putidus . 22% Streptothrix Foersteri ( ?) . 21%
Von den hier aufgeführten Bakterien und Schimmelpilzen, die, ab-
gesehen von Proteus und Fluorescens putidus, nur strenge Aero-
hier umfassen, erwies sich also Bac. mycoides als kräftigster
Eiweißzersetzer. Unter 8 Stänmien dieses Bazillus fand M a r c h a 1
einen, der sogar 58% des Eiweißstickstoffs in
Ammoniak überführte*). Weiterhin ergab sich das inter-
essante Resultat, daß die Eiweißspaltung um so weiter
1) Bull. acad. roy. sc. bell. lett. Bruxelles 3. s6r. 25, 1893, S. 727.
2) Auch der Bac. megatherium führt den Eiweißstickstoff (aus der
Abfallauge der Melasseentzuckerung) his zu 62% in flüchtige Basen über
( A n d r 1 i k ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 219, s. auch u. bei S t o k -
1 a s a).
528 Kap. IX, § 171.
ging, je verdünnter die Lösung war. In Iprozen-
tiger Lösung erreichte sie 100%. Sämtliche Eiweißkörper
wurden in ähnlicher Weise angegriffen, am stärksten sogenanntes
„Pepton". Von den Aminosäuren entwickelte Tyrosinin 0,4prozen-
tiger Lösung mit etwas Zucker und Salzen 66% seines Stickstoffs in
Form von Anmioniak, L e u z i n 40% und Asparaginsäure
in Iprozentiger Lösimg 37%^). Der K re ati n Stickstoff ging nur
zu ca. 9% in Ammoniak über. M a r c h a 1 faßt diese Zersetzung der
Eiweißstoffe durch den Bac. mycoides als eine Oxydation auf.
Doch gibt er selbst an, daß sie nicht vollständig ist, da er auf jedes
Milligramm Ammoniak nur 8,9 mg Kohlensäure sich entwickeln sah,
während von der Theorie 10,35 verlangt werden, und außerdem flüchtige
Fettsäuren wie Ameisen-, Propion- und Buttersäure
nachgewiesen wurden. Uns scheint die Voraussetzung näher zu liegen,
daß auch hier zunächst ähnliche Spaltungen statt-
finden wie bei den Anaeroben — Peptone, L^uzin und
Tyrosin fehlten ebenfalls nicht — , daß dann aber die Spal-
tungsprodukte weiter durch den Sauerstoff der
Luft oxydiert werden. Die Säuren (Oxalsäure ? s. u.), die
dabei sich bilden, und die Verdunstung des Ammoniaks, die dabei
möglich ist, erklären es wahrscheinlich, daß die Eiweißzer-
setzung gerade bei den Aeroben gewöhnlich viel
umfangreicher ist als bei den An a er ob en^), bei denen
die Anhäufung des Ammoniaks den Spaltungsprozeß früher hemmt.
In einem ähnlichen Versuch mit Iprozentiger Peptonlösung erhielt
übrigens L ö h n i s ^) nach 10 Tagen von verschiedenen Bakterien
4 — 20% Ammoniak, von Bac. mycoides nur 10 — 12%.
Ein anderes Verfahren, um den Grad der Eiweißzersetzung durch
verschiedene Bakterien festzustellen, befolgte Stoklasa*) in einer
Arbeit, die wir hier anschließen wollen, obwohl sie außer verflüssigen-
den strengen Aerobiem auch fakultativ anaerobe, verflüssigende und
1) Auch Gly kokoll wird durch manche Bakterien und Pilze kräftig
gespalten, vgl. Hippursäure §191. Die Assimilationsversuche von B i e r e m a
(Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 710, 1909) lehrten nichts über Zersetzungen
des Leuzins, Tyrosins und der Asparaginsäure, zeigten aber, daß sie ohne
Abscheidung von Ammoniak und Stickstoff-( Ammoniak-) Verlust assimiliert
werden.
2) Wie gering die Kohlensäurebildung bei der gemischten anaeroben
Fäulnis ist, sieht man aus den Angaben von Berthelot und Andre
(§ 179). Daß nur die Aerobiose dabei entscheidet, folgt aus den ähnlichen
Erfahrungen von A r n a u d und C h a r r i n (s. u. S. 545).
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 14. 399. 1905.
4) Hofmeisters Beitr. 3. 1903.
Wandlungen der Eiweißkörper.
529
nichtverfliissigende Arten betrifft. Nach dem Vorgänge Haus-
manns^) bestimmte er zuerst den „Amidstickstoff '', dann den „Di-
amino-*' und schließlich dem ,,Monaminostickstoff", der aus einem
eiweißhaltigen, gut durchlüfteten*) Nährboden — in diesem Falle
Knochenmehl^ 10g -f 0,1g Ealiumsulfat -f ^fi5 g Magnesium-
chlorid + 0,01 g Eisensulfat auf 900 Teile Wasser — während 33 Tagen
bei 32® erhalten wurde, und verglich ihn mit der Bindungsform des
Stickstoffs in dem ungeimpften Nährboden.
Von der Nährlösung wurden 250 — 600 com klcur abfiltriert, auf
ca. 100 ccm eingedampft (unter Auffangen des überdestillierten Ammoniaks),
dann nach dem Abkühlen mit 20 com konzentrierter Salzsäure versetzt
und unter beständigem Ersatz des verdampften Wassers 5 Stunden am
Rückflußkühler gekocht. Jetzt wurde die Flüssigkeit nut Magnesia über-
neutralisiert und das Ammoniak abdestilliert, — der N im Ammoniak
ergibt den (lose gebundenen) Amidstickstoff. Der Rückstand, in Salzsäure
gelöst, wurde eingeengt, mit Phosphorwolframsäure ausgefällt, die Fällimg
nach 24 Stunden abfiltriert und mit stark verdünnter, salzsäurehaltiger
Phosphorwolframsäure gewaschen, bis das Filtrat nicht mehr gelb gefärbt
ablief — die Stickstoffbeetimmung ergab den- Diaminosäurenstickstof f . Das
Filtrat wurde auf 250 ccm eingedampft und sein Stickstoff wurde (nach
Kjeldahl) bestinunt: Monoaminosäurenstickstoff. Schließlich stellt
man auch noch den Gesamtstickstoff in einem anderen abgemessenen Teil
der Nährlösung fest und berechnet die Verhältniszahlen.
Das Ergebnis war folgendes (abgekürzt):
nie Kultur ergab den Stickstoff in Fonn von
Amid-N
Dia-
ralno-N
Monoa-
mino-N
B. megatherimn ....
„ proteus vuIgariB . . .
„ pseudobutyricus (Hüppe)
„ mycoides
„ mesentericus vulgatus .
„ subtilis
„ coli conununiB ....
» typhi
61%
20%
41%
30%
46%
14%
62%
9%
63%
41%
62%
18%
53%
21%
67%
10%
14%
29%
36%
25%
12%
20%
18%
Von der
Phosphor-
säore des
Knochen-
mehls
gingen In
Lösung
Absolute
Menge des In
Lösung')
befindlichen
Stickstoffs
22%
15%
16%
23%
21%
23%
21%
23%
0,48 g
0,47 g
0,48 g
0,49 g
0,49 g
0.46 g
0,44 g
0,46 g
1) Zeitflchr. f. physiol. Chem. 27 und 29.
2) Dabei wurde die zutretende Luft von Ammoniak befreit und das
Ammoniak in der austretenden Luft in Schwefelsäure aufgefangen, um
keinen Verlust zu bekommen.
3) Das Knochenmehl hatte einen Stickstoffgehalt von 5,3%, es war
also in dem ganzen Nährboden 0,53 g N vorhanden.
Kruse, Mikrobiologie. 34
530
Kap. IX, § 171 u. 172.
Die Kultur ergab den Stickstoff In Form von
Amid-K
DU-
mlno-N
B. fluorescens liquefaciens .
„ pyocyaneus
Hartlebii
Statzeri
>>
>>
>>
filifaciens
ungeiinpft
23%
22%
20%
14%
11%
4%
57%
Monoa-
mlno'N
66%
57%
63%
29%
15%
17%
11%
26%
18%
62%
Von der
Phosphor«
sfture des
Knodien-
mehla
gingen in
liösung
Absolut«
Menge de» in
Lösung
befindlidien
Stkkstoffs
12%
6%
8%
4%
4%
0,47 g
0,43 g
0,46 g
0,35 g
0,32 g
0,37 g
Leider wurde der von den Bakterien fertiggebildete Ammoniakstick-
stoff nicht getrennt bestimmt, er ist in den Zahlen der ersten Spalte
mit einbegriffen. Die Methode ergibt femer, wie man sieht, meist einen
nicht mierheblichen Verlust. Man weiß auch nicht, in welcher Fonn
der Stickstoff in dem unlöslichen Teil des Nährbodens enthalten war.
Immerhin sind die Unterschiede so bedeutend, daß sie im großen und
ganzen kaum auf Fehler zurückgeführt werden können. Es zeigt sicli
gegenüber den geimpften Proben eine starke Abnahme des Monoamino-
stickstoffs, und zwar bei den ersten 8 Arten — den „Ammonisations-
bakterien" zugunsten des Amidstickstoffs, bei den letzten 5 — den
Denitrifikationsbakterien — zugunsten des Diaminostickstoffs. Die
erstere Tatsache würde ja ohne weiteres verständlich sein, wenn man
sich die Zersetzung der ursprünglich in Knochenleim vorhandenen
Monoaminosäuren in der gewöhnlichen Weise vor sich gehend denkt;
das reichliche Auftreten des Diaminostickstoffs
in den Kulturen der zweiten Grappe setzt aber Umwandlungen
eigentümlicher Art voraus, die noch aufgeklärt werden
müßten. Die Zahlen, die in der Tabelle für die in Lösung gegangene
Fhosphorsäure des Knochenmehls angegeben sind, sprechen dafür,
daß das Kalziumphosphat durch die Bakterien der ersten Gruppe
energisch angegriffen wird. Auch hier täte eine Aufklärung not. Wir
wollen schon hier vorwegnehmen, daß die Bakterien der zweiten Gruppe
den Namen der Denitrifikationsbakterien mit Recht führen, weil sie,
wie wir später sehen werden (§ 198), die salpetersauren Salze sehr leb-
haft zersetzen. S t o k 1 a s a stellte in besonderen Versuchen fest,
daß sie im Gegensatz zu den Bakterien der ersten Gruppe, in Nähr-
lösungen, die neben Eiweiß (Leim) oder Asparagin noch Nitrate ent-
halten, die komplizierten Stickstoffverbindungen ziemlich imberührt
lassen, um so reichlicher aber das salpetersaure Salz angreifen.
Wandlungen der Kiweißkörper. 531
Hierher gehören schließlich auch einige Untersuchungen B e r g -
haus' und Nawiaskys, die sich mit der Eiweißzersetzung durch
Proteus (S. 514), Vibrio Pinkler (S. 523), Bac. alcaligenes und Bac.
mesentericus befaßten. Der letztere unterschied sich wenig von
dem Alcaligenes, indem er den Stickstoff der Albumosen und Peptone
zu mehr als einem Drittel in Basenstickstoff verwandelte.
§ 172. Eiweißspaltnng durch Schimmelpilze und Strahlen-
pilze. V. Den aeroben Bakterien treten die Schimmelpilze, die meist
proteolytische Enzyme bilden (S. 491 ), an die Seite. Über die Erfahrungen
Marchals, die Schimmelpilze des Bodens betreffend, haben wir
schon S. 527, berichtet. Die einzelnen Pilzarten imterscheiden sich
auch nach Teichert^) in ihrem Vermögen, das Eiweiß anzugreifen,
recht erheblich. Penicillium glaucum macht aus den Proteinstoffen
der Milch 77,8% löslich und bildet dabei 69,7% „Amidsubstanzen".
Die entsprechenden Zahlen für Mucor mucedo lauten 48,5 bzw. 33,6%,
für Oidinm lactis 9,1 bzw. 2,4%. Über die Bedeutung dieser und anderer
Pilze für die Käsereifung und das Käsearoma werden wir an anderer
Stelle handeln (§ 178). Besonders Butkewitsch*) hat aber bei
den einzelnen Arten interessante Unterschiede in ihrem Verhalten zu
den Eiweißkörpem aufgefunden. Der Aspergillus niger ver-
wandelt den größten Teil derselben in Ammoniak und Oxal-
säure, den kleineren Teil in Aminosäuren wie L e u z i n und T y r o -
s i n und andere nicht bekannte Stoffe. Penicillium glaucum
und Mucorarten bilden umgekehrt verhältnismäßig wenig Ammo-
niak und Oxalsäure, aber viel Aminosäuren. An diesem Verhältnis
ist die saure Reaktion, die durch die Anhäufung der Oxalsäure in den
Kulturen des Aspergillus niger entsteht, schuld. Sorgt man z. B. durch
Bindung der Oxalsäure mit kohlensaurem Kalk für ihre Entfernung
aus der Nährlösung, so bleibt auch beim Aspergillus die Zersetzung
der Eiweißstoffe im wesentlichen bei den Aminosäuren stehen, offenbar
weil der Ammoniak, der aus der Spaltung hervorgeht, die Reaktion
des Nährbodens bald so alkalisch macht, daß dadurch die weitere Tätig-
keit des Pilzes behindert wird. Umgekehrt kann man Penicillium
und Mucor durch Aufrechterhalten der sauren Reaktion in der Kultur
mittelst Zufügung von Phosphorsäure dazu bringen, daß sie das Eiweiß
auch zum größten Teil zum Ammoniak spalten. Oxalsäure selbst wird,
wie wir S. 390 ff. gesehen haben, wohl von allen Pilzen gleichmäßig ge-
bildet, aber von dem Aspergillus nicht weiter angegriffen, während
es von den anderen Arten verbraucht wird. Daß das Ammoniak durch
1) Milchzeitung 1903.
2) Jahrb. wiss. Bot. 38, 1903.
34'
532 Kap. IX, § 172 u. 173.
Spaltung der Aminosäuren entsteht, hat Butkewitsch durch
Züchtung des Aspergillus auf Leuzin, Ty rosin und Aspara-
g i n nachgewiesen. Im Widerspruch damit hat freilich E m m e r -
1 i n g ^) auf L e u z i n überhaupt kein Wachstum des Aspergillus
niger beobachtet, ein schwaches nur auf Phenylalanin, Argi-
nin, Histidin, Lysin. Die übrigen Aminosäuren (G 1 y k o -
koll, Alanin, Asp ar aginsäur e , Glutaminsäure,
Pyrrolidinkarbonsäure, Serin) ermöglichen ein üppiges
Wachstum. Oxalsäure wurde dabei stets als Stoffwechselprodukt
gefunden, auf andere nicht gefahndet. Leider hat Butkewitsch
ebensowenig wie E m m e r 1 i n g die Frage weiter untersucht, ob diese
Spaltung auf enzymatischem Wege erfolgt, und welche andere Stoffe
dabei entstehen. Fehlen die Zwischenprodukte des Zerfalls, die wir bei den
übrigen Mikroorganismen, auch strengen Aerobiem, bisher niemals
vermißt haben, vor allem die niederen Fettsäuren imd der Schwefel-
wasserstoff, femer die aromatischen Abkömmlinge des Tyrosins,
Phenylalanins und Tryptophans auch bei den Schinmielpilzen nicht?
Oder werden etwa nur Kohlensäure, Oxalsäure und Schwefelsäure
neben dem Ammoniak gefunden? Im letzteren Fall würden wir die
Eiweißzersetzung durch die Schinmielpilze als einen reinen Oxyda-
tionsprozeß, eine echte „Verwesung" (§ 176) anzusehen haben. Die
Frage ist deswegen von ganz besonderer Bedeutung, weil gerade
Schimmelpilze das Eiweiß so vollständig zeilegen
können, wie wenige andere Mikroorganismen.
Erscheinen doch bis zu 60% der Eiweißstickstoffe
in den Kulturen des Aspergillus niger als Am-
moniak 2). Wir nähern uns damit den Verhältnissen des Eiweiß-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 274, 1903.
2) Sehr viel geringer scheint nach Butjagin (Arch. f. Hyg. 52.
1, 1904) die Zersetzung des gekochten, nicht vom Fett befreiten Muskel-
fleisches durch Penicillium glaucum und besonders Aspergillus niger eu sein.
Leider gibt der Verfasser außer der Menge der gasförmig ausgeschiedenen
Kohlensäure luid des Ammoniaks nur die prozentische Zusammen-
setzung des Fleisches vor und nach der 116 Tage dauernden Schimmelpilz-
entwicklung an. Der Ammoniakstickstoff betrug am Schluß wohl kaum
mehr als den 8. Teil des ursprünglich vorhandenen Gesamtstickstoffs.
Der Stickstoff der Aminosäuren machte nur eben den 8. Teil der Trocken-
substanz aus. Die Menge der flüchtigen Säuren und wasserlöslichen Be-
standteile war vermehrt, der Ätherextrakt vermindert. Sind, wie im Brot,
Kom und in den pflanzlichen Futtermitteln neben dem Eiweiß reichliche
Mengen von Kohlehydraten oder Fetten vorhanden, so ist die Zersetzung
des Eiweißes noch geringfügiger (W e 1 1 e , Arch. f. Hyg. 24; Hebebrand,
Hyg. Rundschau 1892; Scherpe, Arbeit. Gesundheit-samt. 15, vgl.
auch § 180 ff.).
Wandlungen der Eiweißkörper. 533
Zerfalls im Organismus der höheren Tiere, der ja ein noch vollstän-
digerer ist, wenn auch das Ammoniak nicht als solches, sondern als
Harnstoff ausgeschieden wird.
Bis zu dem Beweis des Gegenteils werden wir keine so scharfe
Abgrenzung der Schimmelpilze von den übrigen Mikroorganismen
vornehmen dürfen und auch ihnen Spaltungs- und Beduktionsprozesse
zuschreiben müssen, denen die Oxydationen erst nachfolgen würden.
So würde z. B. das Leuzin durch sie nicht unmittelbar oxydiert werden
zu Kohlensaure, Wasser und Ammoniak, etwa nach der Formel
CeHi^NOg + 150 = 6C0a + NH3 + ÖH^O ,
sondern zunächst z. B. in Baldriansäure, Buttersäure, Ammoniak
und Kohlensäure gespalten (S. 518) und dann mehr oder weniger voll-
ständig weiter verbrannt werden. Andeutimgen dafür, daß durch
Schimmelpilze (Penicillium glaucum) auch aromatische (Karbolsäure)
und ptomainartige Stoffe gebildet werden, finden wir übrigens in der
Literatur^).
Einige parasitische Schinmielpilze vermögen auch schwer an-
greifbare Eäweißkörper oder Abkömmlinge davon, wie Keratin,
zu zerlegen, und ebenso stickstoffhaltigen Körpern, die den Kohle-
hydraten wohl näher stehen, wie Chitin und Huminstoffen, ihren
Stickstoff zu entziehen (S. 112). Wie sie das machen, ist aber noch
nicht untersucht.
Den Schimmelpilzen scheinen die Strahlenpilze in ihrem
Stoffwechsel nahe zu stehen (s. o. M a r c h a 1). Streptothrix (Aktin.)
chromogena bildet aus aromatischen EiweiQresten (Tyrosin) Farb-
stoffe (S. 486). Nach Beijerinck^) spielt als Sauerstoffüberträger
das reichlich erzeugte C h i n o n eine Bolle (vgl. S. 466). Auch Indol
wird gebildet (s. u. S. 538).
§ 173. Eiweißspaltung durch Hefe. Bildung von Alko-
holen und Aldehyden, Geruchs- und Geschmacksstoffen.
VI. Den Schimmelpilzen reihen sich die Hefepilze an und bilden gleich-
zeitig durch ihr geringes Verflüssigungsvermögen einen Übergang zu der
folgenden Gruppe (§ 174). Über das Eiweißzersetzungsvermögen der
Hefe ist wenig bekannt. Daß sie auch Ammoniak aus Eiweißstoffen
abzuscheiden vermögen, wird zwar durch die Erfahrungen, die bei
der Selbstverdauung der Hefe gemacht worden sind (§ 166), bewiesen,
aber seine Menge ist nicht wesentlich größer, als man auch bei der Tiyp-
sinverdauung erhält, man ist daher vielleicht zunächst noch berechtigt,
1) G o 8 i o 9 Baumgartens Jahresber. 1896. 525 ; I w a n o f f ebenda
1898. 635.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 6. 2, 1900.
534 Kap. IX, § 173.
sämtlichen von der Hefe entwickelten Ammoniak als ,,Aniidstick-
Stoff ^^ zu betrachten, d. h. aus der Wirkimg eines hydrolytischen Enzyms
auf gewisse leicht spaltbare Bestandteile des Eiweißes (Säureamide)
zu erklären. Versuche mit Asparagin müßten darüber Auskunft geben,
ob Hefe wirklich imstande ist, sie zu Asparaginsäure zu spalten. Die
Tatsache, daß Asparagin zur Ernährung der Hefe besonders geeignet
ist, spricht wohl dafür. In ebensolchen Versuchen würde sich dann v^eiter
ergeben, ob die Spaltung noch darüber hinausgeht und z. B. zur Bil-
dung von Bemsteinsäure u. a. führt. Bisher liegen nur derartige Prü-
fungen vor für einige andere Aminosäuren, namentlich das Leuzin.
F. E h r 1 i c h ^) hat dabei die Entdeckung gemacht, daß die 1 e b e n d e
Hefe allerdings nur bei Gegenwart von viel Zucker, d. h. wenn sie
Gelegenheit zur Gärung erhält, aus dem Leuzin Amylalkohol
zu bilden vermag. Man könnte sich die Umsetzung am ein-
fachsten erklären durch die Gleichung:
CeHiaNO^ + H^O = C^H^jO + CO, + NH, .
Bei der reichlichen Erzeugung von Kohlensäure durch die alkoholische
Gärung des Zuckers ist die neben dem Amylalkohol entstehende Kohlen-
säure kaum nachzuweisen. Merkwürdigerweise wird aber auch der
Ammoniak vermißt. Ehrlich macht deshalb die Annahme, die
Hefe verbrauche das abgespaltene Ammoniak
zuihrer Ernährung, die Spaltung die äußerlich einer Gärung
entspricht, diene also vermutlich der Assimilation. Dazu paßt, daß
ein Zusatz von Ammoniaksalz oder Asparagin zu der Zucker-Leuzin-
mischung das Leuzin vor der Spaltung in Amyalkohol usw. schützt^).
In ganz ähnlicher Weise entstehen vielleicht die anderen höheren
Alkohole, die das „FuselöP' ausmachen (§ 90) aus anderen Amino-
säuren, z. B. der Isobutylalkohol aus der Aminovalerian-
säure. Folgende allgemeine Formel würde den Vorgang wiedergeben:
8) R . CHNHg . COOH + HgO = R . CHgOH + CO2 + NH3.
Wirklich nachgewiesen hat Ehrlich bisher noch, daß aus dem T y r o -
8 i n (Oxyphenylanin) durch die Hefegärung Oxyphenyl-Äthyl-
a 1 k o h o 1 , aus dem Phenylalanin Phenyläthylalko-
h o 1 (der Riechstoff der Rose !), aus der Phenylaminoessigsäure Benzyl-
1) Zoitschr. d. Vereins für Rübenzuckerind. 1906. 8; Ber. ehem.
Ges. 1906 u. 1907.
2) Aus dem hauptsächlich im Eiweiß vorhandenen Linksleuzin ent-
steht lao- Amylalkohol, aus dem wahrscheinlich auch vorhandenen Iso-
leuzin normaler Amylalkohol. Das Rechtsleuzin wird kaum angegriffen,
weshalb durch Hefe inaktives Leuzin unter Freiwerden von Rechts-
leuzin (vgl. § 58) gespalten wird.
Wandlungen der Eiweißkörper . 535
alkohol (und Benzaldehyd) entwickelt weiden. Wenn auch voraus-
gesetzt weiden kann, daß alle diese Yoigänge enzymatischei Natui
sind, so gelang es doch E h 1 1 i c h nicht, sie durch Azetondaueihefe
hervoizurufen. Pringsheim^) bestätigte auch füi a n d e i e
Pilze, wie Mucoi racemosus, Rhizopus tonkinensis, Monilia Candida,
eine Toiulaart usw. die Fähigkeit, Leuzin in Amylalkohol umzu-
wandeln, doch ist sie genngei entwickelt als in dei Hefe, bei dei nach
Ehrlich bis zu 3% entstehen können. Auch nach Piingsheim
ist die „desamidieiende*' Eiaft dei Hefe und Pilze gegenüber Amino-
sauien, ebenso wie die weiteie Spaltung des Restes in Alkohol und
Kohlensäuie an ein Feiment gebunden, das sich bishei abei in den
PreOsäften nicht daistellen läßt, die Auffassung Ehilichs aber
nicht berechtigt, daß die ErnährungderPilzemitAmino-
säuren immer nur auf dem Umwege der Ammoniakabspaltung
geschähe. —Während Pringsheim der Meinung ist, daß Bak-
t e r i e n höchstens aus Zucker und auch nur in geringer Menge Amyl»
alkohol bilden könnten (S. 372), hat Nawiasky in seiner Arbeit über
den Proteus (S. 518 ff.) bewiesen, daß dieses gemeine Fäulnisbakterium
ebenfalls aus Leuzin große Mengen Amylalkohol, aus Amino-
valeriansäure Butylalkohol und aus Phenylalanin wahrschein-
lich B e n z i 1 imd Benzaldehyd entwickelt. Aber schon eine
ältere Angabe über Amylalkoholbildung aus Eiweiß liegt bei M a a s •
s e n ^) vor. In seiner gründlichen Arbeit über den B a c. p r a e -
p 0 1 1 e n s stellte er fest, daß dieser alle Eiweißstoffe energisch ver-
flüssigende Keim, der wohl in unsere vierte Gruppe (§ 171) gehört,
neben Leuzin und T y r o s i n viel Kohlensäure, femer
Propion-, Valerian-, Bernsteinsäure, Spuren von
Ameisensäure, aromatische Oxysäure \md eine un-
bekannte Säure erzeuge. Schwefelwasserstoff imd M e r -
k a p t a n werden nur aus Pepton, nicht aus andeiem Eiweiß eihalten.
Das Aioma schien durch v aleri ansäuren Amyl-
ä t h e I gebildet zu sein. Daneben entsteht noch ein flüchtiger, jodo-
formbildender Körper, während Indol, Skatol imd Phenol
fehlen. Andere von M a a s s e n untersuchte Aromabildner sind dem
Bac. praepoUens teib ähnlich, teils gehören sie zu der folgenden nicht-
verflüssigenden Gruppe (§ 174).
Unter den Erzeugnissen dei Hefegäiung (§ 90), wie gelegentlich
untei denen dei Fäulnis und Eiweißzersetzung, z. B. bei dem eben
1) Biochem. Zeitschr. 8 und 12, ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 21. 156;
22, 119.
2) Arb. k. Gesundheiteamts 15. 500, 1901.
536 Kap. IX, { 173 u. 174.
genannten Bac. praepoUens, weiden Aldehyde und Ameisen-
säure neebneinander erwähnt. Die oben erwähnten Mitteüungen
Ehrlichs und Nawiaskys beweisen, daß Aldehyde auch bei der
Zersetzung der Aminosäuren neben Alkoholen entstehen. Ehrlich^)
hat darauf hingewiesen, daß, wenn man den entsprechenden Aldehyd
an die Stelle des Alkohols und Ameisensäure an die der Kohlensäure
setzt, die oben angegebene Formel geeignet sei, die Bildung beider
Stoffe zu erklären:
9) R . CHNHa . COOK + H^O + R . CHO + HCOOH + NKj.
Ob die Aldehyde, die nach T r i 1 1 a t und S a u t o n ^) von Milchsäure-
hefen und anderen Mikroben erzeugt werden, auf Kosten von Zucker
oder von Eiweißstoffen oder das einemal so, das anderemal so ent>
stehen, ist zweifelhaft. Sie haben dadurch eine Bedeutung, daß sie
mit dem von demselben oder anderen Keimen gebildeten Ammoniak
zusammen eine harzähnliche Substanz mit bitterem Geschmack
ergeben. Die Verfasser führen darauf den Geschmack dorbit-
teren Milch und des bitteren Käses zurück (§ 171 u. 17d).
Wir wollen übrigens hier bemerken, daß auch noch andere Zer-
setzungen der Aminosäuren und entsprechenden Fettsäuren denkbar
wären, die zur Bildung von Alkoholen führen. Es ist nämlich:
10) R.CHNHg.COOH + 2H2O = R.CH2OH + H.COOH + NH,+ 0
, R.Alkohol Ameisensäure
und
11) R'. CHj . CHNHjj . COOH + 2H2O = R'CHjOH + CH5 . COOK +
R' . Alkohol Essigsäure
NH3+O.
Wir haben damit Umsetzungen, bei denen, wie bei unserer Gleichung 1
auf S. 505, Sauerstoff frei wird. Beide könnten sich also vielleicht
ersetzen. Ebenso erhielten wir an Stelle von Formel 2a und 2b auf
S. 506 folgende einfachere:
10a) R . CHj . COOH + H^O = R . CH^OH + HCOOH ,
1 la) R' . CHj . CH2 . COOH + H^O + R'CHaOH + CH3 . COOH .
In der Tat haben wir Veranlassung, bei der von Nawiasky studierten
Fäulnis des Leuzins durch Proteus (S. 518) dergleichen anzunehmen.
liäßt man die in den Formeln 8 und 9 festgelegten Umsetzungen
als Leistungen der Hefe zu, so ist es vielleicht erlaubt, mit Ehr-
1) Zitiert von Nawiasky a. a. O. Der Ort ist falsch zitiert und
hat von uns nicht festgestellt werden können. Vgl. aber Anm. 1 auf folgender
Seite.
2) Annal. Pasteur 1908. 3.
Wandlungen der EiwelOkörper. 537
lich^) auch die Bernsteinsänre der alkoholischen
Hefegärung (§ 90) aus einer Aminosäure, d. h. der Asparagin-
sauie nach Formel 1, herzuleiten. Natürlich müßten daneben Ozyda«
tionsprodukte (vgl. S. 516) entstehen. Beweise für diese Annahme scheinen
noch nicht vorzuliegen. Selbst an eine Bildung der bei der Zymase-
ganmg gefundenen (§90) Milchsäure aus dem Alanin nach
Formel 4 auf S. 509 ließe sich denken.
Daß durch diese Bildungsart der Aldehyde wie der Alkohole die zur
Entstehung der Geschmaclä- und (jeruchsstoffe führenden Vorgänge
erschöpft wären, ist freilich kaum anzimehmen. Auch aus dem Zucker
bzw. Kohlehydraten und Glykosiden können ja, wie wir bei der Milch-
und Buttersäuregärung sahen, mindestens Alkohole, vielleicht auch
Aldehyde imd Ketone entstehen. In sehr vielen Fällen ist die Herkimft
des Aromas noch nicht aufgeklärt (s. Butterherstellung § 111, Käsereifung
§ 178), oder muß zum Teil auf in den Nährböden vorgebildete Stoffe
wie Glykoside zurückgeführt werden (s. S. 261 u, 454 ff.).
§ 174. Eiweißspaltimg durch nicht peptonisierende Bak-
terien. VII. Den bisher besprochenen vier Gruppen von Bakterien
(§ 168 — 171), die das Eiweiß tmter Mitwirkung proteolytischer Enzyme
zerlegen, stehen die übrigen gegenüber, die nicht mit solchen ausgerüstet
sind und dennoch die Eiweißstoffe ihrer Ernährung dienstbar machen, es
also auch ohne Ausnahme mehr oder weniger tief spalten müssen, wenn
sie davon leben sollen. Man könnte sie als „peptolytische'' von den
„proteolytischen" unterscheiden (T i s s i e r und Martelly^)). Doch
stimmt der Name deswegen nicht, weil nicht bloß die Peptone und
Älbumosen, sondern auch lösliche und sogar feste Eiweißstoffe von
ilmen, wenn auch in abnehmender Stärke, angegriffen werden. Wie
das geschieht, ist im allgemeinen noch dunkel. Die Möglichkeit, daß
bei der Peptonspaltimg Enzyme, wie das E r e p s i n der Darmschleim-
kaut mitwirken, ist im Auge zu behalten (S. 493). Daneben wird man
aber vor allem an die Beteiligung von Endotryptasen, die ja zum Teil
bei ihnen nachgewiesen sind (§ 166), denken. Eine wissenschaftliche
Einteilung der nicht verflüssigenden Mikroorganismen zu geben, sind
wir vorläufig nicht imstande. Ganz verkehrt wäre es z. B., den un-
gleichen Sauerstoffbedarf dazu zu benutzen. Allerdings gibt es auch
unter ihnen strenge Anaerobier, wie gelegentliche und strenge A§robier,
aber die Art der tieferen Spaltung scheint durch diese Eigenschaft
ebensowenig gekennzeichnet zu sein, wie bei den peptonisierenden
Mikroben. Für den praktischen Gebrauch hat folgende Trennung
ein gewisses Interesse.
1) Ref. Chemiker-Zeitung 1907. 1086.
2) Annal. Paeteur 1902. 12.
538 Kap. IX, § 174.
Nsich den Spaltungsprodukten der ,, aromatischen" Eiweißkerne
könnte man die „niehtverflüssigenden'' Mikroorganismen mit Kit a-
8 a t o ^) imd Lewandowski^) einteilen in solche, die
a) Indol (oder Skatol) und Phenol bilden, d. h. Tryptophan und
Tyrosin zerlegen — hierher gehören z. B. die Bakterien der hämorrha-
gischen Septikämie und des Botzes;
b) Indol, aber kein Phenol bilden — der Bac. coli communis und
Verwandte, ferner der Tuberkelbazillus*) und Aktinomycesarten^);
c) weder Indol noch Phenol bilden, z. B. der Typhus-, Paratyphus-
und Ruhrbazillus, der Bac. aerogenes, die Streptokokken, der Micro-
coccus tetragenus usw.
Die Bedeutung dieser Einteilung für die Diagnostik ist allerdings,
wenn wir von den bei den anderen Bakterien gemachten Erfahrungen
(s. o. § 168 — 171) ganz absehen, durch spätere Untersuchungen zweifel-
haft geworden. Widersprechende Angaben über den B. coli communis
(Blumenthal ^), Tissier und Martelly*), Lehmann
und Neumann '^)) lassen sich freilich noch erklären durch den
Umstand, daß unter diesem Namen mehrfach Bakterien identifiziert
worden sind, die voneinander verschieden sind. Es gibt ja viele Unter-
arten des B. coli (z. B. B. coli anindolicus). Unzweideutig lehren dagegen
die Versuche von Morris®), daß scharf gekennzeichnete Bakterien,
wie der Bac. typhi, murisepticus, cyanogenes und von verflüssigenden
der Bac. violaceus, pyocyaneus, anthracis, die man früher als Nicht-
indolbildner ausgegeben hat, mehr oder weniger starke Indolreaktion
liefern, wenn man sie nicht wie gewöhnlich einige Tage in 1 prozentiger,
sondern 10 Tage in öprozentiger Peptonbouillon züchtet. Auch unter
diesen Umständen bilden nach Morris kein Indol der Streptococcus
pyogenes, Micrococcus tetragenus, Bac. phosphorescens, diphtheriae,
Zopfii, enteritidis, rhusiopathiae suis; und von verflüssigenden der
Staphyl. pyog. aureus und albus, der „Bac. subtilis" und megatherium.
Es fragt sich nur, ob diese Bestimmungen denn nun endgültige sind.
Schon S. 525 haben wir gesehen, daß je nach der Wahl des Eiweiß-
körpers, der durch Heubazillen zersetzt wird, die aromatischen Zerfalls-
1) Zeitschr. f. Hyg. 7, 1889.
2) Deutsch, med. Wochenschr. 1890. 51.
3) Kühne, Zeitschr. f. Biol. 29 und 30. 238.
4) Lehmann und N e n m a n n , Grundriß d. Bakteriologie
1904. Über Strahlenpilze vgl. das S. 533 Gesagte.
5) Zeitschr. f. klin. Med. 28. 241, 1895 (Indol imd Phenol).
6) a. a. O, (ebenso).
7) a. a. O. (Spuren Phenol).
8) Arch. f. Hyg. 30, 1897.
Wandlungen der Eiweiß körper . 539
Produkte verschieden sind. Noch schlimmer ist es, daß die Indol-
bildung bei einem und demselben Bakterium in den gleichen Nähr-
boden veränderlich ist. Versuche, die im Laboratorium des Verfassers
von S e 1 1 e r ^) mit dem Bazillus der Pseudodysenterie gemacht worden
sind, beweisen das: von einer Reihe von 10 Bouillonpeptonröhrchen,
die gleichzeitig mit einem und demselben Stamm dieses Bazillus ge-
impft wurden, gaben nach 14 Tagen die einen die Reaktion, die anderen
nicht oder schlecht. liegt das an einer eigentümlichen Fehlerquelle
in der kolorimetrischen Methode des Indolnachweises oder wirklich
an der Variabilität der Bazillen ? Es wäre interessant genug, dieser Frage
weiter nachzugehen.
Weim man somit der Indolprobe auch nicht jede Bedeutung
namentlich für die Bakteriendiagnostik absprechen wird, so beweisen
diese und frühere Erfahrungen doch, daß nicht nur ihre Hand-
habung gewisse Vorsichtsmaßregeln erfordert,
sondern auch, daß die Verarbeitung des Tryptophankems zu Indol
viel häufiger den Mikroorganismen gelingt, als man früher ge-
glaubt hat.
Bis wir in der Lage sind, das reine Tryptophan (Aminoindolpropion-
säure) als Reagens auf Mikroorganismen zu verwenden, müssen wir uns
mit der bisherigen Methode des Indolnetchweises in eiweißhaltigen Nähr-
böden begnügen. Am besten geeignet ist nach unseren Erfahrungen eine
lOprozentige Peptonsalzlöeung oder im Notfall eine 6 — lOprozentige Pep-
tonbouillon. Benutzt man die gewöhnliche Iprozentige Peptonbouillon,
so ist auch ein kleiner Zuckergehalt vom .Übel, weil er die Reaktion
meist verhindert (§ 186). Letztere wird so augestellt, daß man zu etwa
10 ccm der wenigstens Stägigen Kultur je 1 ccm einer 0,02prozentigen
Losung von salpetrigsaurem Natrium und reiner Schwefel-, Salpeter- oder
Salzsäure gibt (SalkowskiS. 521). Die rote Fällung geht beim Schütteln
in reichliche Mengen von Amylalkohol über. Dadurch ist das „NitrosoindoP*
von anderen roten Farbstoffen, die gelegentlich beim Zusatz obiger Reagen-
tien auflreten, zu unterscheiden (Milzbrand nach M a a ß e n). Die Le-
gal sehe Probe (Nitroprussidnatriumlösung bis zur Gelbfärbung und einig»
Tropfen Natronlauge) gibt mit Indol eine blauviolette Färbung, die auf
Zusatz von Salzsäure reinblau wird. Am sichersten ist die Gewinnung
des Indols, Skatols und Phenols durch Destillation.
Über die neue imd anscheinend recht brauchbare Ehrlichs che
Indolprobe vgl. Böhme*), Marshall') und Crossonini *).
1 ) Zentr. Bakt. 51,1 909. Über das ungleiche Verhalten der verschiedenen
Abarten der Pseudodysenteriebazillen vgl. auch Kruse, Ritters-
haus, Kemp und Metz, Zeitschr. Hyg. 67. 430, 1907.
2) Zentr. Bckkt. 40. 129. Zu 10 ccm der Kultur werden je 5 ccm
einer Lösung von Paradimethylamidobenzaldehyd (4 in 380 Alkohol von
96% und 80 konz. Salzsäure) und Kaliumpersulfat (konz. wässrig) zugesetzt.
3) Joum. of hyg. 1907. 581.
4) Arch. Hyg. 72, 1910.
540 Kap. IX, § 174.
Eine notweadige Vorauasetasung für die Bildung von Indol scheint
die Abspaltung des Tryptophans aus den Eiweißkörpem zu sein.
Eine Untersuchung von E r d m a n n und Winternitz *) hat ergeben,
daß fast alle Bakterien dazu befähigt sind. Sie weisen das Tryptophan
(oder ,,Proteinochrom*S wie sie es nach dem Vorgang von Stadel mann
nennen) na^h, indem sie die Kulturen in öprozentiger Peptonbouillon mit
Essigsäure schwcu^h ansäuern und unter Umschütteln tropfenweise mit
gesättigtem, frisch zubereitetem Chlorwasser (besser als Bromwasser) ver-
setzen. Die ersten Tropfen bringen gewöhnlich schon eine deutliche Kot-
färbung hervor. Nur bei starken Indolbildnem wie Bac. coli, pneumoniae ( ? ),
acidi lactici (aörogenes?), suisepticus fehlte die Reaktion stets, vrährend
schon am ersten Tage Indol nachgewiesen wurde. Man könnte das damit
erklären, daß von diesen Bakterien das aus dem Eiweiß abgespaltene
Tryptophan sofort weiter umgewandelt würde. Allerdings spräche dagegen,
daß einzelne Bakterien (die Spirillen der Cholera usw.) erst die Indol-,
dann die Tryptophanreaktion geben. Vielleicht liegt das aber an der ge-
ringen Empfindlichkeit der letzteren. — Bei einer Nachprüfung im Labora-
torium des Verfassers erhielt S e 1 1 e r nur negative Ergebnisse.
Grenauere Untersuchungen über die Eiweißzersetzung durch nicht
verflüssigende Mikroorganismen liegen bisher nur wenige vor, und
auch diese wenigen widersprechen sich.
Taylor^) hat die Eiweißzersetzung durch Bac. coli unter-
sucht, aber nur sein Verhalten zu E a s e i n festgestellt. Die Spaltung
dieses Stoffes soll keine tiefgreifende sein. Freilich wird der orgamsch
gebundene Phosphor zu y4als Phosphorsäure abgespalten, femer
Spuren von Diaminosäuren (Histidin), aber anscheinend keine
Monoaminosäuren gebildet, und es bleibt viel koagulierbares Eiweiß
zurück.
Viel energischere Wirkungen fand dagegen zunächst Rettger ^)
bei anaerober Züchtung des B. coli auf Pepton, Eieralbumin und nament-
lich in einer Aufschwemmung von Fleisch und Eieralbumin. Nach
2 — 3 Wochen war die Flüssigkeit faulig zersetzt und enthielt neben
sehr wenig Albumose und Pepton viel Leuzin, Tyrosin, Indol, Skatol-
karbonsäure, Phenolen, Schwefelwasserstoff imd Merkaptan, während
Eadavenn und Putreszin fehlten. Die Fäulnis schritt dann weiter,
die meisten Zwischenprodukte wurden zu Kohlensäure, Sump^as,
Ammoniak zersetzt, Indol, Leuzin und Tyrosin blieben unberührt.
Der Bac. aerogenes brauchte viel längere Zeit, um ähnliche Zersetzungen
zu bewiiken.
Mit diesen Angaben stimmen aber nicht überein die Erfahrungen
Bienstocks, die mit zahkeichen Anaerobiem am Fibrin gemacht
1) Münchn. med. Wochenschr. 1903. 23.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 36, 1902.
3) Americ. Joum. of physiol. 8. 284, 1903.
Wandlungen der EiweifikÖrper. 541
worden sind (S. 507), und Pfaundlers^), die dahin gehen, daß
der CoübaziUus reine Proteine wie Serumeiweiß und Eiweißsalzlösungen
überhaupt nicht anzugreifen vermöge, sondern nur weiter abgebaute
Eiweißstoffe. So bilde er z. B. bei der Zersetzung des Wittepeptons
6% Ammoniak (aus Leim aber nach Stoklasa [s. o. S. 529] ebenso wie
der Typbusbazillus 9 — 11 mal soviel Amidstickstoff). Spätere Unter-
suchungen führten dann auch R e 1 1 g e r (S. 507) zu dem Ergebnis,
daß die Fleischeiermischung in wirklichen Reinkulturen des Bac. coli,
aerogenes und vieler anderer daraufhin geprüfter verflüssigender und
nichtverflüsaigender Aerobier, z. B. des B. faecalis alcaligenes, fluores-
cens, Streptococcus pyogenes, ohne „sichtbare Zeichen der Zersetzung'*
blieb, und daß seine eigenen früheren Befunde wie die E m m e r -
I i n g 8 (s. u.) sich durch nachträgliches T)berwuchem von Anaeroben
erklärten. Erst in Mischkulturen von letzteren (besonders des Putri-
ficns) und Colibazillen traten erhebliche Mengen Indol, kleine von
Skatol imd Skatolkarbonsäure auf. Im übrigen scheinen aber die
Coli- und Aerogenesbazillen die Eiweißspaltung durch die Anaeroben
zu verlangsamen, was man wohl auf Säurebildung aus den Zuckern
des Nährbodens erklären darf (§ 186).
Schittenhelm und Schrötei ^) zeigten, daß der B. coli
aas nukleinsaurem Natrium durch ein erepsinähnliches
Enzym (s. o. S. 494), Phosphorsäure, Ammoniak imd Purinbasen ab-
spaltet und letztere weiter zersetzt. Das G u a n i n zerfällt dabei unter
Wasseraufnahme in Xanthin, das Aden in in Hypoxanthin und
Ammoniak (§ 193). Soweit würde man mit der Annahme hydrolytischer
Enzyme auskommen. Außerdem finden sich noch Stoffe, die auf
tiefere Abspaltungen deuten, aber nicht, wie Schittenhelm und
Schröter ursprünglich annahmen, freier Stickstoff (Oppen-
heimer^)).
Nach Emmerling*) wäre auch die Wirkung des Strepto-
coccuspyogenes auf Fibrin eine sehr kräftige. Er soll es bei
Luftabschluß allmählich zu einer nichtstinkenden Flüssigkeit lösen,
die durch Kochen nicht gerinnt, durch Alkohol getrübt wird, Biuret-
leaktion gibt und aus der sich Pepton, Leuzin, Tyrosin,
Ammoniak, Methylamin, Propylpyridin (Kollidin),
Bernsteinsäure, Buttersäure und andere flüch-
tigeFettsäuren, aber kein Phenol und Indol darstellen lassen.
1) Zentr. Bakt. 31. 113, 1902.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 40, 1903.
3) Ebenda 41.
4) Ber. ehem. Ges. 18. 97. 1863.
542 Kap. IX, § 174 u. 176.
Diese ErgebniBse widersprechen aber denen Bienstocks^) und
Rettgers (s. o.). Sie konnten überhaupt keine iZersetzung des
Fibrins oder Fleisches und Eiweißes durch Streptokokken feststellen.
Möglich wäre es, von Verunreinigungen abgesehen, daß Unterschiede
zwischen den einzelnen Arten und Varietäten von Streptokokken
beständen. Hat man doch auch verflüssigende Stämme beobachtet.
Der Streptococcuslacticus, sowie namentlich die langen
Milchsäurebazillen, d. h. die gewöhnlichen Milchsäure-
bakterien (§ 97), greifen femer mindestens das peptonisierte
Kasein an imd tragen dadurch zur Käsereifung bei (§ 178). Auch
für den Geschmack und Geruch der Butter sollen ihre aromatischen
Produkte, deren Entstehung freilich noch dimkel ist, von Bedeutung
sein (§ 111). Unter den fruchtätherbildenden Bakterien gibt es nach
M a a s s e n (s. o. S. 535) auch einige nicht verflüssigende. Ammo-
niakderivate sind gelegentlich aus Kulturen dieser Gruppe dar-
gestellt worden, wie wir bei Besprechung der Gifte (§ 259) noch sehen
werden.
Daß alle Bakterien, die sich von Eiweiß nähren, es auch angreifen,
ist selbstverständlich. Von den Zersetzungsprodukten kennen wir aber,
abgesehen von den früher erwähnten Fällen, nur das Ammoniak.
Daß es regelmäßig gebildet wird, können wir schon aus der bekannten
Laboratoriumerfahrung folgern, daß stets in (zuckerCreien) Kulturen
eine ausgesprochen alkalische Reaktion eintritt und daß selbst in
zuckerhaltigen die ursprünglich saure Reaktion sich früher oder später
in die alkalische zu verwandeln pflegt, wenn die Säuerung nicht zu stark
ist^). Die Erfahrungen Pfaundlers, Stoklasas und Berg-
baus' (S. 515) an Coli- und T}rphusbazillen wurden schon erwähnt.
Im Laboratorium des Verfassers stellte H ö 1 1 i n g auch reich-
liches Ammoniak fest in Kulturen von Ruhr- und TyphusbazUlen.
Neuerdings haben dann Berghaus und Nawiasky (S. 514) nicht
nur beim Proteus und anderen verflüssigenden Bakterien, sondern
auch bei dem streng aeroben, aber nicht verflüssigenden B a c. a 1 c a -
1 i g e n e s den Abbau der Albumosen, Peptone und Aminosäuren zu
Ammoniak bzw. anderen flüchtigen Basen festgestellt. Im ganzen
wurde von dem ursprünglichen Stickstoff der
Nährlösung weit mehr als ein Drittel in dieser
Weise umgewandelt. Daß dabei enzymatische Vorgänge be-
teiligt sind, ist kaum zu bezweifeln.
1) Arch. f. Hyg. 36. 389.
2) Vgl. Kruse, Rittershaus, Metz und K e m p über
Dysenterie- und Pseudodysenterie, Zeitschr. f. Hyg. 57, 422, 1907.
Wandlungen d er Eiweißkörper. 543
Die bei der Zersetzung des Peptons durch B. coli gebildeten Fett-
säuren scheinen nur von Blumenthal ^) näher studiert worden
za sein. Er fand außer Yalerian- und Eapronsäure (s. o. Leuzinzer-
Setzung S. 518) namentlich noch Bernsteinsäure, deren Bildung
aus Milcheiweiß, Äspar^in- und Glutaminsäure durch Proteus wir
schon S. 516 ff. kennen gelernt haben. Ausnahmsweise wird von nicht
verflüssigenden Bakterien, und zwar von manchen echten Milchsäure-
bakterien nach K a 7 s e r und R o d e 1 1 a (S. 298) auch Milch-
säure aus Eiweiß und Fibrin erzeugt. Eben dahin gehört die Er-
zeugung von Milchsäure durch den fäulniserregenden Buttersäure-
bazillus Graßberger imd Schattenfroh (S. 508). Vielleicht
geht die Bildung nach der einfachen Formel 4 auf S. 509 vor sich:
C^H^NOg + H^O = CgHeOg + NH3
Alanin Milchsäure.
§ 175. Zusammenfassendes Aber die Eiweißspaltungen.
Überschauen wir den zurückgelegten Weg, so sehen wir zwar ein recht
mannigfaltiges Bild, finden aber doch auch in zahlreichen Zügen genug
rbereinstimmungen. Soviel ist sicher, daß sich scharfe Grenzen nirgends
ziehen lassen, daß vor allem die sogenannte „Fäulnis", wie wir in der
Einleitung dieses Abschnittes (§ 167) sagten, mit den übrigen Arten der
Eiweißzersetzung allenthalben durch Übergänge verbunden ist. Die
eigentliche 2^rsetzung des Eiweißmoleküls scheint eben stets im wesent-
lichen die gleiche zu sein, insofern die durch Hydrolyse aus dem Eiweiß
hervorgegangenen Aminosäuren nach den in unseren Formeln 1 — 11
niede^elegten Möglichkeiten und vielleicht noch nach einigen anderen
ähnlich gebildeten zerfallen. Wahrscheinlich beruhen die bisher beob-
achteten Unterschiede, wenn wir von den nur die Vorbereitung des
Zerfalls betreffenden Verschiedenheiten absehen, die durch das Vor-
handensein oder Fehlen proteolytischer (hydrolytischer) Enzyme be-
dingt werden, darauf, daß bald diese, bald jene Zersetzung mehr hervor-,
manche vielleicht ganz zurücktritt. Die vielfach voneinander ab-
weichenden Angaben in der Literatur, namentlich über die Indol-
und Phenolbildung, lassen es aber als möglich erscheinen, daß die
Fähigkeiten der einzelnen Arten nur gradweise
voneinander verschieden sind. Natürlich könnte man
daran denken, daß auch die einzelnen Aminosäuren in ungleicher Art
und Stärke von den verschiedenen Mikroben angegriffen würden,
licider fehlt uns darüber bisher aber jede Möglichkeit zu urteilen, weil
die Zersetzungen der Aminosäuren durch Reinkulturen nur von wenigen
Forschem (Arnaud imd Charrin, Marchai, Butkewitsch,
1) S. o. S. 538 und V i r c h o w s Arch. 137.
544 Kap. IX, § 176 u. 176.
Emmerling, F. Ehrlich, Pringsheim, Nawiasky) und zwar
auch noch nicht in genügender Weise studiert worden sind. Aus
demselben Grunde können wir natürlich nicht angeben, welche
unserer Formeln dabei nun in jedem Falle in Frage kommt. Es folgt
daraus, daß das Studium der tieferen Eiweißspal-
tung durch Mikroben erst in den Anfängen steckt,
der Zukunft also das entscheidende Wort in fast allen hier in Betracht
kommenden Fragen überlassen bleiben muß. Das gilt auch für die
Frage nach der enzymatischen Natur der Spaltimgen, nach dem all-
gemeinen Vorkommen von „Aminazidasen*', und ganz besonders auch
für die Feststellung der Energieverhältnisse (vgl § 223, 231 u. 237).
Selbst darüber sind wir noch durchaus nicht in allen Fällen unter-
richtet, wie weit der freie Sauerstoff der Luft bei den in diesem Ab-
schnitt beschriebenen Zersetzungen eine Rolle spielt. Im wesentlichen
wird es sich ja freilich nach imseren Ausführungen auf S. 533 um die
Beteiligung des Sauerstoffs bei den weiteren Veränderungen der Eiweiß-
spaltungsprodukte handeln. Im nächsten Abschnitte, wo wir über
die Verwesimg sprechen, werden wir die wenigen bisher über die Ver-
brennung der Eiweißstoffe vorliegenden Erfahrungen mitteilen.
§176. Oxydation von Eiweißstoffen. Verwesung. Mit Ver-
wes u n g bezeichnete L i e b i g ^) eine langsame Verbrennung der
organischen Stoffe durch den Sauerstoff der Luft. Wir wissen jetzt,
daß Veränderungen der organischen Stoffe allein durch den Luft-
sauerstoff, d. h. ohne Beteiligung von Enzymen oder lebenden Mikro-
organismen, in meßbaren Zeiträumen nur äußerst gering sind*). Aber
auch wenn wir die letzteren in die Definition mit aufnehmen, wird sie
noch keine brauchbare, sobald wir sie auf die eiweißartigen Stoffe
anwenden. Wir haben zwar gesehen, daß Kohlenhydrate, Alkohole,
organische Säuren, und wir werden bald davon sprechen, daß Ammoniak-
und salpetrige Säure solchen reinen Oxydationsprozessen verfallen
können, bei den Eiweißstoffen kennen wir derartige Vorgänge aber
bisher nicht. Anscheinend müssen diese bei der Zersetzung inmier erst
Wandlungen durchmachen, die vom Sauerstoffzutritt unabhängig
sind, und die wir teils auf einfache hydrolytische Spaltimgen teils auf
Spaltimgsgärungen enzymatischer Natur zurückgeführt haben*). Selbst
1) Organische Chemie 1846, S. 379.
2) Bei P a 8 t e u r , Etudes sur la biere, finden sich solche Vereuche,
weitere Erfahrungen sind gemacht worden beim Studium der Selbst-
reinigung und Nitrifikation im Boden und Wasser (vgl. § 183 ff.). Erwähnt
wurde schon die langsame Oxydation der Humusstoffe 8. 118.
3) Auch bei der vollständigen Oxydation der Kohlehydrate sind
übrigens nach der Ansicht mancher Forscher derartige anaörobe Spaltungen
Vorbedingungen der Oxydation (§ 123).
Wandlungen der Eiweißkörper. 545
die Aeiobier, deren Leben ohne freien Sauerstoff auf die Dauer unmög-
lich ist, wie Schimmelpilze, Hefe, Heubakterien, vollziehen wahr-
scheinlich die Spaltung der Eiweißkörper zu Aminosäuren und der
Aminosäuren zu Ammoniak imd stickstofffreien Substanzen ohne un-
mittelbare Beteiligung des Luftsauerstoffs. Erst bei den • weiteren
VerÄnderungen und anscheinend auch für die Bildung ihrer enzy-
matischen Eüräfte kommt die letztere in Frage. Wir haben des-
wegen diese Mikroorganismen, die man am ehesten noch als Erreger
der Verwesung bezeichnen kann, schon im vorigen Abschnitt be-
sprechen müssen.
In welchem Umfange die Sauerstoffwirkung besteht, wissen wir
leider nur aus wenigen Arbeiten. Wenn wir von denjenigen Mar-
chals (S. 527) und Riemers (S. 521) absehen, in denen nicht die
Sauerstoffaufnahme, sondern nur die Eohlensäureabgabe bestimmt,
also nicht mit voller Sicherheit die Ausdehnung der Beteiligung des
freien Sauerstoffs festgestellt wurde, so bleiben eigentlich nur die
Versuche von A r n a u d und C h a r r i n mit Pyozyaneus übrig (S. 526).
Ans ihnen folgt, daß dies Bakterium in Asparaginlösung etwa das
Fünffache seines Eigengewichts (d. h. der endgültigen Ernte) an Luft-
sauerstoff verbraucht und dabei 72,5% des ursprünglich im Nähr-
boden enthaltenen oder 84% des nicht in den Bakterien festgelegten
Kohlenstoffs zu Kohlensäure, den Rest zu nicht näher bestimmten
Verbindungen verbrennt. Wir kommen am anderen Orte (§ 220 u. 234)
auf diese Zahlen zurück. Die Ergebnisse H e s s e s , die an einem ge-
mischten Nährboden gewonnen wurden, und diejenigen von S c h i t -
t e n h e 1 m und Schröter betreffend den Atemquotienten von Coli-
bazillen, die auf nukleinsaurem Natron mit und ohne Glyzerin, Aspara-
gin und Milchsäure gezüchtet waren, erwähnen wir eben daselbst. Alle
diese Versuche sind noch sehr der Nachprüf img bedürftig. Vor allem wäre
es nötig, mehr als bisher auf die bei der Oxydation gebildeten Zwischen-
erzeugnisse zu achten. Die Schwierigkeiten sind freilich groß. Von vorn-
herein ist es nämlich klar, daß durch die freie Oxydation
nicht nur die in ihrem Ursprung leicht erkennbare
Oxalsäure (s. o. S. 531), sondern auch alle anderen
Fettsäuren und Oxyfettsäuren von der Baldrian-
säure bis zur Ameisen- und Kohlensäure gebildet
werden könnten^), alles Stoffe, die auch durch
^intramolekulare Oxydatio n'^, d.h. anaerobe Spal-
tungen, entstehen. Man wird also im einzelnen Falle über
ihren Ursprung im Zweifel bleiben können.
1) S. über die „Säureverzehning'* auch § 149.
Kr ose, Mikrobiologie. 35
546 Kap. IX, § 176 u. 177.
Das nach unserer Auffassung ebenfalls anaerob entstehende
Ammoniak wird im allgemeinen durch die Oxydation nicht weiter
verändert. Immerhin liegen einige Angaben über die Bildung freien
Stickstoffs (s. o. S. 525 und § 179) und selbst über die ohne Beteiligung
der echten „Nitrifikationsbakterien" (§ 196) vor sich gehende Bildung
von salpetriger und Salpetersäure vor. So besteht D u n b a r ^) auf
Grund seiner beim Studium der Abwasserreinigung im Boden und in
den „biologischen" Filtern gemachten Erfahrungen darauf, daß es
Bakterien gibt, die den organischen Stickstoff sogar unter Ver-
meidung der Reduktion zu Ammoniak, d. h. also unmittelbar zu Sal-
petersäure oxydieren. Nach H e i n z e ^) wären auch die gewöhn-
lichen Schimmelpilze, z. B. Aspergillus niger, zu ähnlichen
Leistungen imstande. In welchem Umfange das freilich geschieht,
ob solche Wirkungen praktisch neben der Tätigkeit der Nitrobakterien
in Betracht kommen, ist eine andere Frage.
Der organische Schwefel wird zugegebenermaßen bei
der Verwesung und zwar vollständig zu Schwefelsäure verbrannt,
ebenso wohl der Phosphor zu Phosphorsäure.
Es unterliegt, wie wir schon mehrfach hervorgehoben, keinem
Zweifel, daß die Verwesung in dem bezeichneten Sinne aufgefaßt einen
bedeutend größeren Anteil an der vollständigen Zerstörung des Eiweißes
hat als die Fäulnis. Wir sprechen davon noch mehr bei der gemischten
oder „natürlichen" Fäulnis und Verwesung (§ 179 ff.).
Die enzymatische Natur der bei der Verwesung wirkenden Kräfte
ist zwar wahrscheinlich, aber bisher, wenn wir von einigen später
zu berichtenden Erfahrungen (§ 222) absehen, noch nicht sicher genug
bewiesen.
Jedenfalls können wir uns heutzutage mit der einfachen chemischen
Erklärung, die H o p p e - S e y 1 e r ^) für die kräftige Wirkung des
atmosphärischen Sauerstoffs bei der Eiweißzersetzung gegeben hat,
nicht mehr begnügen. Nach ihm wird das Sauerstoffmolekül durch
den bei der Fäulnis entwickelten Wasserstoff in statu nas-
c e n d i in seine Atome gespalten und diese sollen die Oxydation be-
wirken. Dieser Hjrpothese widerspricht schon das fast regelmäßige
Fehlen von Wasserstoff bei der Eiweißzersetzung und das Ausbleiben
der Oxydation bei der reinen Anaerobierfäulnis, bei der am ehesten
noch Wasserstoff aus Eiweißstoffen selbst oder wenigstens aus beige-
mischten Kohlehydraten entsteht.
1) Leitfaden für die Abwasserreinigungsfrage, 1907, S. 219.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 14. 18, 1905.
3) Physiol. Chem. S. 127 und 983 (1877—81).
Wandlungen der Eiweißkörper. 547
Neben den euzymatischen Wirkungen im engeren Sinne scheinen
übrigens auch andere katal}d)ische Einflüsse bei der Verwesung eine
Rolle zu spielen. Bei Besprechung der Erfahrungen, die beim Studium
der Selbstreinigung im Boden und in Filtern gemacht worden sind,
weiden wir sehen, daß die Flächenwirkungen dieser porösen Materialien
und außerdem ihre chemische Zusammensetzung (Eisengehalt) einen
eigentümlichen Einfluß ausüben (§ 183 ff.).
§ 177. Eiweißgerinnang. Labenzym. Daß es außer Mikro-
organismen, die durch saure Gärung die Gerinnimg der Milch bewirken
(§97 ff.), auch solche gibt, die es, wie der „Lab" der Magenschleimhaut
und anderer tierischer und pflanzlicher Organe auch bei schwachsauren,
neutralen oder alkalischen Reaktionen tun, haben schon H a u b n e r ,
Pasteur, Duclaux^), Hüppe^) u. a. bei Konservierimgs-
versuchen der Milch, der letztere zuerst nach Impfung mit Reinkulturen
seines Bac. (pseudo-)butyricus beobachtet. Daß es sich auch hier um
ein Enzym handeln müsse, war zwar schon z. B. durch Versuche D u -
c 1 a u X ' , in denen die schnelle Wirkung von labenthaltenden Bak-
terienkulturen gezeigt wurde, genügend sicher bewiesen. Das Enzym
stellte aber erst C o n n ^) aus solchen Kulturen dar. Dieselben wurden
durch Papier filtriert, neutralisiert, mit Thymol, Toluol, Chloroform,
Senföl oder dgl. versetzt, in verschiedenen Mengen — von einigen
Tropfen bis zu einigen Kubikzentimetern — mit 5 ccm roher oder ge-
kochter Milch vermischt, und die Mischung im Brutofen stunden- bis
tagelang beobachtet. Kontrollen dürfen dabei nicht fehlen. Auch
durch Ton filtrierte oder auf 60° erhitzte Kulturen kann man benutzen.
Am sichersten ist es, Milchkulturen zu verwenden, doch wird das Lab-
femient oft auch in allen anderen Nährböden erzeugt imd kann selbst
aus Bakterien, die auf Kartoffeln gezogen werden, durch destilliertes
Wasser ausgezogen werden (G o r i n i *)). Das Enzym wird reichlicher
bei 20** als bei 37® erzeugt, die Lab Wirkung selbst erfolgt aber kräf-
tiger bei letzterer Temperatur. Das Enzym des Bac. prodigiosus soll
nach G o r i n i im Gegensatz zu fast allen anderen Enzymen, die schon
bei 60 — 75^ zerstört werden, erst durch halbstündiges
Erhitzen auf 100® ve r n i c h t e t werden*). Nach Hata*)
1) Le lait, 1887 und 1894.
2) Mitteil. k. Gesundheitsamts 2. 253, 1884.
3) Zentr. Bakt. 12. 233, 1892 und 16. 916, 1894.
4) Hygien. Rundschau 1893. 381 und Rivista d*igiene e saniük pubblica
1892 und 1893. W e n t (Jahrb. wiss. Bot. 36, 1901) fand umgekehrt bei seiner
Monilia sitophila Lab nur auf Eiweißnährböden.
5) Vgl. auch Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 137, 1902.
6) Zentr. Bakt. 34. 208 Ref. und Kochs Jahresber. 1903. 494.
85 ♦
548 Kap. IX, f 177.
der die Enzyme des B. fluorescens und prodigiosus (Lab und Trypsin
gleichzeitig) durch wiederholtes Filtrieren, Niederschlagen mit Alkohol,
Lösen in Wasser, Niederschlagen mit Schwefelanamonium (schwefel-
saures Ammon ?) von Eiweiß reinigte, wurden beide bei 60 — 80® schon
stark geschwächt, behielten aber bei 100® noch eine gewisse Wirkung.
R a p p ^) fand auch im Hefepreßsaft Labferment, obwohl
lebende Hefe die Milch nicht koaguliert. Breymann*) wies Lab
in den Leibern des Pyozyaneusbazillus nach, die mit
Chloroform abgetötet, getrocknet und gepulvert waren; 0,1 g dieses
Bakterienpulvers ließ 10 ccm kuhwarme, mit 0,5% Karbolsäure ver-
setzte Milch binnen 4 Stunden gerinnen.
Alle peptonisier enden Bakterien und Schim-
melpilze scheinen auch Lab zu bilden, in erster Linie
die sogenannten Heu- und Kartoffelbazillen (D u c 1 a u x' Tyrothrix).
die auch als Bazillen der bitteren Milch bekannt sind^), der Bac. pyo-
cyaneus, fluorescens liquefaciens, Sarcina aurantiaca usw. Man kann
die gleichzeitige Bildung beider Enzyme sehr hübsch nach der Methode
von Eijkmann^) zeigen, indem man die Mikroorganismen auf Agar-
platten, die mit Milch oder reinem Kasein versetzt sind, ausstreicht,
so entwickelt sich imi die Kolonie eine helle Zone, in der offenbar das
tryptische Ferment wirkt, und außerhalb dieser eine dunkle Zone,
in der das Kasein gefällt ist. Die Anwesenheit des tryptischen Ferments
stört unter Umständen den Labungsprozeß. So zeigten nach A.
Loeb^) Kulturfiltrate des Staphylococcus quadrigeminus oder Proteus,
wenn man sie nach der Morgenroth sehen Yersuchsanordnung
mit Chlorofornmailch vermischt, zunächst 24 Stunden in den Eis-
schrank und dann in den Brutschrank brachte, einen imregelmäßigen
Verlauf der Labung : während 0,01 — 0,025 ccm Filtrat gar nicht, 0,05 ccm
stark laben, sank die Wirkung wieder bei 0,1 ccm imd fehlte vollkommen
bei 0,5 — 2,0 ccm. Eine nähere Untersuchung ergab, daß in der stärkeren
Konzentration der Gehalt des Filtrats an tryptischen Enzymen störte.
Die Störung blieb aus, wenn man die Filtratmilchmischung gleich in
den Brutofen brachte. Dieses Verfahren ist also für die Feststellung
der Labwirkimg vorzuziehen.
Die Trennimg des proteolytischen und liabenzyms ist schwierig,
sie kann aber nach Blumenthal und C o n n (s. o.) folgender-
maßen versucht werden : Milchkulturen, die nicht zu jung sein dürfen,
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 629, 1902.
2) Zentr. Bakt. 31. 498, 1902.
3) Vgl. Flügge, Zeitschr. f. Hyg. 17, 1894.
4) Zentr. Bakt. 29, 1901.
5) Zentr. Bakt. 32. 471, 1902.
Wandlungen der Eiweißkörper. 549
werden durch ein Bakterienfilter geschickt, mit O,lprozentiger Schwefel-
säure angesäuert und mit Kochsalz übersättigt. Der dabei entstehende
sclmeeweiße Schaum soll fast reines Labfemient enthalten, während
aus der Flüssigkeit durch Fällung mit Alkohol proteolytisches Enzym
gewonnen werden kann. Selbst in dem Falle, daß die Milch durch das
Wachstum der lebenden Bakterien überhaupt nicht gerinnt, sondern
gleich aufgehellt (peptonisiert) wird, ist es C o n n gelungen, das Vor-
handensein von Labenzym in der Kultur nachzuweisen. Nach ihm
wird 68 langsamer bzw. 'später gebildet als das peptonisierende, nach
Duclaux schneller und früher. Bis in die letzte Zeit hinein ist
übrigens über die Frage, ob die koagulierenden und proteol3^ischen
Fermente identisch seien, gestritten worden^). Ein gewisser Zusammen-
hang ist unleugbar.
Im allgemeinen kann man schon aus dem Verhalten der Mikro-
organismen in der Milchkultur auf die Bildung von Lab schließen:
gerinnt die Milch schnell und stramm unter stark saurer Reaktion,
so handelt es sich um Bakterien, die Milchzucker vergären (§ 97 ff.),
bleibt die Milch amphoter, oder wird sie alkalisch, und erfolgt die Ge-
rinnung erst allmählich und führt nur zu einem lockeren Gerinnsel,
so ist Lab entwickelt. Es gibt freilich Fälle, in denen man zweifeln
kann, weil die Gerinnung langsam und miter Steigerung der sauren
Reaktion eintritt. Das könnte durch Bakterien bewirkt werden, die
gleichzeitig Milchzucker vergären und Lab bilden. G o r i n i hat,
wie wir sahen (S. 286 u. 289), in der Tat eine solche Zwischengruppe
^ on Säure-Labbildnern aufgestellt imd rechnet dazu den
Bac. prodigiosus, indicus, proteus mirabilis, einige in der Milch regel-
mäßig vorkommende Staphylokokken und den „Ascobazillus vitreus".
Daß es viele derartige Bakterien unter den verflüssigenden gibt, ist
auch nach unseren Erfahrungen unbestreitbar, aber ob die Gärung durch
das Lahenzym. oder die Säuerung bewirkt wird, muß doch erst in jedem
einzelnen Falle bewiesen werden. Besonders ausführlich untersucht
haben Boekhout und d e V r i e s 2) ein die Gelatine verflüssigendes
Bakterium, das sie im Cheddarkäse fanden. Die Milch wird durch
dieses mit stark saurer Reaktion zur Gerinnung gebracht und dann
peptonisiert. Wenn man die gebildete Säure von vornherein durch
kohlensauren Kalk neutralisierte, trat dennoch Gerinnung ein und
nachher wieder Peptonisierung. Daß die Säure Milchsäure ist, zeigten
die Verfasser dadurch, daß sie die wieder verflüssigte Milch von der
1) Vgl. Sawitsch, Zeitschr. pliysiol. Cham. 55, 1908; R a u d -
nitz in Sommerfelds Handb. der Milchkunde, 1909.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 587, 1904.
550 Kap. IX, § 177 u. 178.
Kreide abgössen und im Vakuum unter 50° bis zur Sirupdicke ein-
dampften. Der auskristallisierte milchsaure Kalk wurde abfiltriert,
dann wieder in Wasser gelöst, mit Oxalsäure gefällt, wieder abfiltriert
und eingedampft, mit Äther ausgeschüttelt, und die Milchsaure als
Zinksalz in der bekannten Weise dargestellt. Um das gleichzeitig vor-
handene Labferment zu erhalten, imterwarfen die Verfasser die vom
Kalklaktat abfiltrierte Flüssigkeit unter Zusatz von Chloroform der
Dialyse, bis kein Milchzucker mehr vorhanden war, engten den Inhalt
des Dialysators im Vakuum bei 50° ein und setzten von der neutral
reagierenden Flüssigkeit einige ccm 100 com Milch zu. Bei 40® gerann
diese in wenigen Minuten.
Möglich wäre es, daß die Labenzyme der einzelnen Mikroorganismen
verschieden wären, z. B. wie die proteoljrtischen Fermente sich durch
Hitzeeinwirkung (s. o. G o r i n i) voneinander trennen ließen. Ein
anderes Unterscheidungsverfahren würde gegeben sein, wenn es gelänge,
auch mit den bakteriellen Enzymen, wie mit tierischen und pflanz-
lichen Antilabserum herzustellen^). Nach Hata (s. o.) wäre
das der Fall. Doch scheinen die Antienzyme, die auch schon im nor-
malen Blutserum vorhanden sind, die Labwirkung nicht völlig aufzuheben.
Welche Bedeutung die Labgerinmmg hat, ist zweifelhaft.
Es ist wohl behauptet worden, daß sie die Verdauung des Kaseins
erleichtere, ein Beweis dafür fehlt aber. Wie der Vorgangselbst
zu deuten ist, steht trotz zahlreicher Arbeiten darüber noch zur Er-
örterung^). Die Theorie Hamarstens, nach der das durch Säure-
fällung zu erhaltende eigentliche Kasein der Milch durch die Labung
in zwei Körper, das in liösung bleibende „Molkeneiweiß" und das durch
die Erdalkalisalze der Milch niedergeschlagene „Parakasein"'
gespalten würde, zählt freilich mehr Anhänger als die Lehre D u -
c 1 a u X ' , nach der Lab- wie Säuregerinnung nur ein physikalischer
Vorgang sein soll, durch den das Kasein nicht chemisch verändert,
sondern seine Moleküle nur zu großen Konglomeraten zusammen-
geballt werden^). Von bakteriologischer Seite ist die Streitfrage nicht
1) Morgenroth, Zentr. Bakt. 26 und 27, Korschun, Zeitschr.
physiol. Chem. 36, 1902.
2) Vgl. dazu R a u d n i t z a. a. O.
3) Vgl. Löwenhart, Zeitschr. f. physiol. Chem. 41, 1904. Hier
sei auch an die ,, Plasteine" und ,,Koagulosen" erinnert, die nach Dani-
lewsky, Okunew, Sawjalow und Kurajeff (Hofmeist.
Beitr. 1 u. 2) durch tierische und pflanzliche Labfermente aus Albumosen
niedergeschlagen und mit der Eiweißsynthese in Verbindung gebracht
werden (vgl. aber L a w r o w und S a 1 a s k i n , Zeitschr. physiol. Chem. 36,
1902). Bei Mikrobenprodukten hat man ähnliches noch nicht beobachtet.
Wandlungen der Eiweißkörper. 551
behandelt worden. Wichtig ist für den Nachweis des Labenzyms die
Tatsache, daß durch Kochen der Milch deren Labungs-
fähigkeit verringert wird, weil Ealksalze dabei aus-
geschieden werden. Durch ein Zufügen von Kalziumchlorid
zur sterilisierten Milch kann dem begegnet werden.
Ob Bakterien imstande wären, außer der Kaseinausfällung auch
die Blutgerinnung zu beeinflussen, darüber war bis vor kurzem
wenig bekannt. L. L o e b ^) wies einen solchen Einfluß nach, indem
er Gänseblut, das nach dem Verfahren von Delezenne unter
strenger Vermeidung von Staub und Berührung von Gewebssaft auf-
gefangen, durch schnelles Zentrifugieren von den Blutkörperchen be-
freit und dadurch gerinnungsunfähig geworden war, mit Bouillon-
kulturen versetzte. Eiterstaphjlokokken beschleunigten die Gerinnung
sehr deutlich, weniger Bac. prodigiosus und coli, so gut wie gar nicht
Bac. typhi, diphtheriae, tuberculosis und Streptokokken. Die Reak-
tion der Kulturen war ohne Bedeutung, Sterilisierung hob die Wirkung
auf. Die Frage verdiente weiter studiert zu werden.
Der Aufklärung bedarf die von verschiedenen Seiten^) und auch
von uns beobachtete Erscheinung, daß in Blutserumnähr-
böden, die Zucker enthalten, durch Bakterien, die den Zucker
säuern, Niederschläge erfolgen können.
§ 178. Käsereifang 3). Von manchen Seiten ist der Versuch
gemacht worden, die sogenannte Reifung des Käses, die in einer mehr
oder weniger tiefgreifenden Veränderung des Käsestoffes besteht,
im wesentlichen als einen Vorgang hinzustellen, der durch die
in der Milch und im Lab ursprünglich enthaltenen
Enzyme verursacht würden. Für das dem Lab beige-
mengte Pepsin wäre eine Beteiligung an der Peptonisierung des Käse-
eiweißes von vornherein nicht unwahrscheinlich. B a b c o c k und
Russell*) haben aber nicht nur darauf hingewiesen, sondern auch
behauptet, daß in der Milch selbst, wenn in ihr das Bakterien Wachstum
durch Chloroform oder Äther verhindert werde, eine Proteolyse mit
Bildung von Albumosen und Peptonen, Aminosäuren und Ammoniak
Platz greife. Sie führen das auf ein in der Milch ursprünglich enthaltenes
trypsinähnliches Enzym, die „Galaktase'^ zurück, v. Freuden-
1) Joum. med. research. 1903. 407, ref. Bull. Pasteur 1904. 25.
2) Vgl. S e g i n , Zentr. Bakt. 34. 212, 1903. Dort auch S. 210 einige
Angaben über die ungleiche Fähigkeit der Säuren, Milchkasein (bzw. Nu-
trose) niederzuschlagen.
3) Vgl. dazu Weigmann in Lafars Handb. d. techn. Mykol.
2, 1905 und Sommerfelds Handb. d. Milchkunde 1909.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 3, 1897: 6, 1900.
552 Kap. IX, § 178.
reich^), 0. Jensen^), Boekhout und Ott de Vries^).
van Slyke, Harding und Hart*), Spolverini^) u. a.
haben zwar das Vorkommen der Proteolyse in derartig konservierter
Milch bestätigt und geben zum Teil eine Mitwirkung der Galaktase
bei der Käsereifung zu, weichen aber doch meist in der Wertschätzung
dieses Enzjnns und namentlicli darin von B a b c o c k und Russell
ab, daß sie die Möglichkeit des bakteriellen Ursprungs der Galaktase
betonen. In der Tat ist die Milch bekanntlich schon in der Zit>ze der
Kuh mehr oder weniger keimhaltig, die genannten Antiseptika töten
die Keime auch nicht sämtlich ab, ja verhindern selbst nicht jedes
nachträgliche Wachstum. Auch wenn man das Vorhandensein der
Galaktase zugibtj lassen sich aber gewichtige Bedenken gegen ihre
Bedeutung erheben. So reift der Cheddarkäse, an dem B a b c o c k
und Russell ihre Studien hauptsächlich anstellten, trotz einer
stark sauren Reaktion, welche die Wirkung der Galaktase aufhebt.
Der wichtigste Einwand gegen die Bedeutung der Gralaktase sowie
des Pepsins ist aber die unleugbare Tatsache, daß sich Mikroorganismen
in jedem Käse zu reichlich ansiedeln, als daß sie an den Veränderungen,
die in ihm vor sich gehen, keinen wesentlichen Anteil haben sollten.
Meist geht auch die Zersetzung im Käse viel weiter, als die durch proteo-
lytische Enzyme verursachte, d. h. es entstehen Ammoniak und Fett-
säuren®) in solcher Menge, wie es bisher nur von den lebenden Organis-
men geleistet werden kann (vgl. § 166 u. 167 ff.).
Die Angaben über die ZahlderBakterienim Käse schwan-
ken sehr, von Himderttausenden bis zu Milliarden. Zum größten Teil
hängt das wahrscheinlich von dem Alter des Käses ab. Zu Anfang
steigt die Zahl gewöhnlich schnell, erreicht nach Tagen und Wochen
ihre größte Höhe und sinkt dann ziemlich allmählich ab (v. Freu-
denreich'), Russell und Weinzierl®), Harrison*),
Tr oi li-Pett er sson^**)). Die Verteilung der Bakterien ist, wie
1) Landwirtsch. Jahrb. Schweiz 1897 und 1900.
2) Ebenda 1900 und 1901.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 7, 1901.
4) Kochs Jahresber. 1901. 479.
5) Ebenda 1902.
6) Über die Untersueliung auf Fettsäuren, die zum Teil allerdings
aus Zersetzungen der Milchsäure herrühren, vgl. Jensen, Zentr. Bakt.
2. Abt. 13, 1904.
7) Landwirtsch. Jahrb. Schweiz 1891.
8) Zentr. Bakt. 2. Abt. 3, 1897.
9) Kochs Jaliresber. 1901.
10) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11, 1903.
WandlDügen der Eiweißkörper. 553
Troili^Pettersson, Goiini^) und Rodella ^) in Schnitten
zeigen, eine uniegelmäßige, vielfach finden sich zoogloenartige An-
häufungen.
Was die Herkunft der Keime anlangt, so sind Quellen genug
in dem Bakteriengehalt der Milch, des Labs, der Gefäße und Bäume,
die der Käsebereitung dienen, vorhanden. Mehrfach wird auch alter
Käse als Imp&toff benutzt.
Unter den Mikroben des Käses herrschen der Zahl nach die
Milchsäurestreptokokken (Strept. lacticus § 97) regel-
mäßig vor. Ihre Bedeutung für den Beifungsvorgang besteht in erster
Linie wohl darin, daß sie durch die saure Beaktion, die sie hervor-
rufen, „gewissermaßen eine Auswahl unter der anfangs reichen Flora
des Käses treffen und damit den ganzen Gärungsvorgang in eine be-
stimmte Bahn leiten'^ (W e i g m a n n). Vielleicht unterstützen sie
durch die saure Beaktion auch die peptonisierende Wiikung des Pep-
sins aus dem Lab (0. J e n s e n). Ein Teil von ihnen vermag aber
außerdem die Peptone weiter zu spalten. Mehr als die Milchsäure-
streptokokken scheinen dazu allerdings die nach v. Freudenreich
im Schweizer Käse vorhandenen, wahrscheinlich aus dem Lab
stammendenBassenvonlangenMilchsäurebazil-
I e n (Bac. casei a und e S. 288) befähigt zu sein, ja sie zersetzen auch
das Kasein, obwohl sie es nicht peptonisieren^). Trotzdem ist es sehr
zweifelhaft, ob die ursprünglich von v. Freudenreich*) ver-
fochtene und auch neuerdings noch festgehaltene (T h ö n i ^) , M a z e •))
Ansicht, nach der die Milchsäurebakterien für die Beifung verant-
wortlich zu machen seien, abgesehen vielleicht von gewissen Fällen
(z. B. im Schweizerkäse?), berechtigt ist. Es bedarf dazu im allge-
meinen wohl kräftigerer Eiweißspalter. Als solche haben schon D u -
c i a u X imd Benecke '') unabhängig voneinander die in der
Milch inmier vorhandenen sporenbildenden und und verflüssigenden,
„Kasease'' bildenden Bazillen aus der Gruppe der Heubakterien
(„Tyrothrix") bezeichnet. Namentlich Adametz®) hat sich dem
angeschlossen und betrachtet vor allem den B a c. n o b i 1 i s wegen des
1) Zentr. Bakt. 12, 1904.
2) Ebenda 15, 1905.
3) O. Jensen, Landwirtsch. Jahrb. Schweiz 1904. Über die Bil-
dung von Milchsäure aus Peptonen durch Streptokokken (K a y s e r) und
iange Bazillen (R o d e 1 1 a) s. S. 298 u. 543.
4) Landwirtsch. Jahrb. Schweiz 1894 ff.
5) Ebenda 1906.
6) Annal. Pasteur 1905.
7) Zentr. Bakt. 1. 521, 1887.
8) I.Andwirt8ch. Jahrb. 18, 1889; österr. Molkereizeitung 1899.
554 Kap. IX, § 178.
edlen an Emmenthaler erinnernden Käsegeschmacks, den er erzeugt,
als die Hauptursache der Reifung. Von anderen Forschem sind pepto-
nisierende Bakterien, die nicht Sporen bilden, Bazillen und besonders
auch Kokken (Micr. casei liquefaciens § 171) mehr in den Vordergrund
gestellt worden (Weigmann^), Gorini*), v. Freuden-
reich^), Laxa*), Jensen^), Epstein*) u. a.). Die-
jenigen von ihnen, die sich zum Teil durch Erzeugimg bestinunier
Käsegerüche auszeichnen, werden von Weigmann als „eigentliche
Käsebakterien" von den nur durch ihre proteolytische Fähigkeit wich-
tigen „Kaseasebakterien" unterschieden. Ein Teil von ihnen, die
früher öfters erwähnten Säurelabbakterien (§171), eignen
sich nach 6 o r i n i zur Reifung des Käses deswegen besonders, weil
sie auch bei saurer Reaktion ihre Tätigkeit entfalten. Alle haben,
wie die Tyrothrixarten, die Eigenschaft, vorzüglich oder ausschließ-
lich bei Luftzutritt zu wachsen. Das paßt vortrefflich zu der bekannten
Tatsache, daß die Reifung des Käses ja allermeist von außen beginnt,
während in der Mitte ein quarkartiger Kern zurückbleibt. Mit Weig-
mann könnte man sich vorstellen, daß die Milchsäurebildner in der
Rindenschicht von den peptonisierenden Bakterien überwuchert
werden, die durch Bildimg von Ammoniak und Säureverzehrung die
für die Wirksamkeit ihrer eiweißspaltenden Fermente nötige Reaktion
herstellen.
*
In manchen Käsen vertreten andere Aerobier, namentlich Schim-
melpilze, die peptonisierenden Bakterien, so im norwegischen Gam-
melost ( J o h a n - 0 1 s e n ')) , im Briekäse (Epstein®)), vor
allen Dingen aber, wie der Augenschein schon lehrt, im Stil ton,
Roquefort, Gorgonzola und Stracchino. Damit ist
aber der Kreis der für die Käserei wichtigen Organismen noch lange
nicht erschöpft. Teils durch Säureverzehrung (§ 149), teils durch
Riechstoffbildung wirken nämlich noch hier und da andere Pilze mit,
wie das 0 i d i u m lactis (Weigmann, Laxa, Conn*) und
seine Mitarbeiter), Milchzuckerhefen (M a z e ^^)) , sowie nach R o -
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Zentr. Bakt. 2. Abt. 2, 1896; Milchzeitung 1898.
Zentr. Bakt. 2. Abt. 5, 1899 und 8, 1902.
Ebenda 2, 1896.
Ebenda 5, 1899.
Landwirtsch. Jahrb. Schweiz 1901.
Arch. f. Hyg. 43, 1902.
Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 1898.
Arch. f. Hyg. 45. 1902.
Kochs Jahresber. 1905.
Annal. Pasteur 1903.
Wandlungen der Eiweißkörper. 555
d e 1 1 a ^) Anaerobier. Der Eäsegeruch entsteht vielleicht auf ver-
schiedene Weise, nämlich durch Zersetzung von Biweißstoffen, wozu
Pilze und Bakterien befähigt sind (§ 173), Fetten, wozu namentlich
Pilze beitragen (§ 137 u. 150), vielleicht aber auch von Milchzucker (§111).
Wie man sieht, ist die Eäsereifung ein Vorgang, der von der Sjrm-
ond Metabiose (§ 50) verschiedener Mikroorganismen^) abhängt. In
der Tat ist es mehrfach gelungen, durch künstliche Zumischung von
Reinkulturen zu pasteurisierter Milch oder Kasein Käse von der
Beschaffenheit der in üblicher Weise hergestellten zu erzeugen. Man
beherrscht aber das Verfahren noch nicht so, daß die Verwendung
von Reinkulturen in der Käserei auch nur entfernt in dem Maße Ein-
gang gefunden hätte, wie in der Brauerei oder Brennerei (§ 94 u. 96)
oder selbst bei der Butterherstellimg (§111).
Abweichungen von der normalen Reifung, Krankheiten
des Käses werden ebenfalls auf Mikroorganismen zurückgeführt.
Am häufigsten ist die B 1 ä h u n g . In erster Linie sind für sie milch-
zuckervergärende Bakterien aus der Aerogenes- und Coligruppe^), aber
auch andere Gärungserreger (Staphylo- und Streptokokken, Hefen,
manche Tyrothrixarten*)) verantwortlich zu machen, die zum Teil aus
dem entzündeten Euter von Kühen stammen. Wahrscheinlich haben
sie, wenigstens im Schweizer Käse, nichts zu tun mit den Erregern
der normalen Lochbildung, die entweder in den Klassen
der eiweißzersetzenden Bakterien, d. h. der eigentlichen Käsereifer
zu suchen sind®) oder, wie neuerdings v. Freudenreich und
Jensen für den Schweizer Käse wahrscheinlich gemacht haben,
zu den Propionsäurebakterien gehören (§ 109 u. 142).
Außerdem sind noch Färbungen durch Pigmentbakterien
beobachtet worden (§ 255), ferner Geschmacksveränderungen durch
Mikroben der bitteren Milch und des bitteren Käses,
die zu den Kokken, Bazillen, Hefen und Schimmelpilzen gehören.
Der Bitterstoff soll nach T r i 1 1 a t und Sauton*) ein harzähn-
licher Stoff sein, dessen Bildung auf gleichzeitiger Entwicklung
von Aldehyden und Ammoniak beruht (vgl. § 171 u. 173). Es gibt
Fälle, wo ein Bakterium beides erzeugt, und andere, wo eine Symbiose
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10, 11, 12, 16, 1903—1905.
2) Vgl. auch H e n r i c i , Baseler Dissert. 1893, der zahlreiche Bak-
terien aus Käsen beschreibt.
3) V. Freudenreich, Ann. microgr. 1890 und 1891.
4)Adanietz, Kochs Jahresber. 1893; Peter, Landwirtsch.
Jahrb. Schweiz 1901.
5) Jensen, Zctnr. Bakt. 2. Abt. 4, 1898.
Annal. Pasteur 1908. 3.
556 Kap. IX, | 178 u. 179.
z. B. zwischen Milchzuckerhefen^) und gewöhnlichen Ammoniakbildnem
vorliegt.
Über das Käsegift (T3arotoxicon) Vaughans vgl. § 259. Gre-
wöhnlich sind die „Käsevergiftungen" wohl Infektionen, deren Er-
reger den sogenannten Fleischvergiftungen nahestehen (§ 287).
§ 179. Gemischte Fäulnis und Verwesung. Produkte der-
selben. Wenn wir auch § 167 u. 176 gesehen haben, daß die Anwendung
der Begriffe Fäulnis und Verwesung auf die Zersetzungen von Eiweiß-
körpem durch die einzelnen rein kultivierten Mikroorganismen Schwie-
rigkeiten begegnet, und man hier besser Spaltungsvorgänge und Oxyda-
tionen unterscheidet, so sind jene Bezeiclmungen kaum entbehrlich,
wenn man die in der Natur in größter Ausdehnung vorkommenden
Zersetzimgsprozesse, die durch eine Vielheit von neben- und nach-
ainander wirkenden Mikroorganismen erzeugt werden, zusammenfassen
will. Fäulnis haben wir dann vor uns, wenn die Zer-
setzung wesentlich ohne Beteiligung des Luft-
sauerstoffs verläuft, Verwesung, wenn sie maß-
gebend durch ihn beeinflußt wird (Liebig). In der
Natur der Sache liegt, daß eine scharfe Trennung der beiden Be-
griffe nicht möglich ist. Deshalb besprechen wir die zugrunde liegenden
Vorgänge auch gemeinsam. Im allgemeinen macht man die Voraus-
setzung, daß Fäulnis und Verwesung stickstoffhaltigeKör-
per von der komplizierten Zusammensetzung der
Eiweißstoffe betrifft, da man ja die Umwandlungen der ein-
facheren Stoffe mit besonderen Namen, z. B. alkohoUscha, milchsaure,
essigsaure, oxalsaure Gärung des Zuckers, Sumpfgasgärung der Zellu-
lose, der Essigsäure, Verzehrung der Fettsäuren, Spaltung der Fette,
ammoniakalische Gärung des Harnstoffs, Stickstoffgärung des Sal-
peters, Salpetergärung des Ammoniaks, Schwefelsäuregärung des
Schwefelwasserstoffs zu bezeichnen pflegt. Doch fehlen wegen der
Beimischung der betreffenden Stoffe bei der natürlichen Fäulnis und
Verwesung kaum jemals solche Vorgänge, manchmal erreichen sie
einen so beträchtlichen Umfang, daß der Verlauf der Zersetzung dadurch
erheblich beeinflußt wird. Um so weniger sind aber diese begleitenden
Vorgänge aus der Besprechung der Fäulnis und Verwesung auszuschalten,
als ein großer Teil der Zersetzungsprodukte des Eiweißes selbst ja zu
den genannten weiterer Zersetzung fähigen Stoffen, z. B. den Fettsäuren,
gehört, ja die wichtigsten Schwefel- und stickstoffhaltigen Produkte
der Fäulnis und Verwesung Schwefelwasserstoff und Ammoniak sind,
1 ) Genaueres über Torula amara bei Harrison, Zentr. Bakt.
2. Abt. 9, 206, 1902.
Wandlungen der Eiweißkörper. 557
die teils schon durch die W rknng der sie erzeugenden Mikroorganismen
selbst, teils durch das Eingreifen allgemein verbreiteter „Salpeter-"
und „Schwefelsäurebakterien" in die eigentlichen „Endprodukte der
Verwesimg" (s. u.) verwandelt werden.
Ebenso wichtig wie die Zusammensetzung sind die Konzentration,
Reaktion und Durchlüftung des Nährbodens, die physikalischen Ver-
hältnisse wie Wärme, Licht, Bewegung und Oberflächenwirkungen
(z. B. im Boden). Die Art der zufällig hineingeratenen Organismen
ist natürlich von ausschlaggebender Bedeutimg für die Beschaffenheit
der Zersetzimgsprodukte, letztere ihrerseits habe aber wieder, ebenso
wie die Zusammensetzung des Nährbodens und die äußeren Bedingungen
eine Rückwirkung auf die Ijcbewesen der zersetzten Flüssigkeit. Durch
alle diese Umstände erklärt sich die außerordentliche Mannigfaltigkeit
der unter dem Namen der Fäulnis und Verwesung begriffenen Vor-
gänge. Es braucht kaum gesagt zu werden,' daß die Zersetzung nicht
nur sehr verschieden ist je nach der Beschaffenheit des Ausgangs-
materials und den übrigen Verhältnissen, sondern daß man auch je
nach dem Zeitpunkt, in dem man untersucht, einen mehr oder
weniger vollständigen Wechsel in den Erscheinungen findet. Bisher
smd diese leider nur in beschränktem Umfange studiert worden, und
zwar meist nicht gleichzeitig vom chemischen und vom mikrobiologischen
Standpunkt. Wir werden das darüber Bekannte in den folgenden
Abschnitten besprechen. Von vornherein könnte man erwarten, daß
die Fäulnis bzw. Verwesung, wenn sie vollständig wäre, das Eiweiß
in seine letzten Endprodukte Kohlensäure und Wasser, Ammoniak
bzw. Salpetersäure, Schwefelwasserstoff bzw. Schwefelsäure und
Phosphorsäure zerlegte. Bisher hat man das aber niemals unmittelbar
beobachtet, sondern es nur daraus erschlossen, daß man in der Natur
bei der Fäulnis und Verwesimg von Leichnamen in der Erde (§ 183)
nach einer gewissen Zeit an der Stelle und in der Umgebung des zer-
setzten Körpers nichts anderes findet, als obige Endprodukte. Streng
genommen ist freilich auch das nicht einmal richtig. Denn wohl stets
bleibt außerdem noch ein gewisser Best einer merkwürdigen dunklen
verwickelt gebauten Substanz übrig, des sogenannten H u m u s (s. u.).
Ferner wird wohl ein Teil der flüchtigen Zwischenprodukte der Fäulnis
und Verwesung, auch abgesehen von Schwefelwasserstoff und Ammoniak,
durch Verdunstung in die Atmosphäre oder durch Fortspülung mit
dem Wasser der weiteren Zersetzung entrückt. Doch kann man
von diesen Stoffen vielleicht annehmen, daß sie entweder früher oder
später wieder auf einem Umwege — durch die Niederschläge — auf die
Erde zurückgelangen oder im Wasser selbst der Zersetzung durch
Mikroorganismen doch schließlich anheimfallen, soweit sie nicht schon vor-
558 Kap. IX, § 179.
her durch andere Kräfte wie Sonne oder Luftsauerstoff zerstört worden
sind. Wichtiger ist dagegen ein anderer Einwand, der sich von selbst
ergibt, wenn man sich in Gedanken den Vorgang des allmählichen
Stoffzerfalls vergegenwärtigt. Wo bleiben die Mikroorganis-
men selbst, die diese verursachen ? Sie stellen doch auf jeder
Stufe der Zersetzung einen nicht unbedeutenden Teil der organischen
Substanz dar, und zwar stets verwickelte Stoffe, d. h. im wesentlichen
Eiweiß. Die Lösung des Rätsels ergibt sich aus unserer bakteriologischen
Erfahrung vielleicht in folgender Weise. Die Tjcbensdauer der Mikro-
organismen ist eine beschränkte, sie sterben schließlich ab und zerfallen
durch Selbstverdauung oder Selbstverbrennung ( § 36, 37, 166 u. 226). Da-
durch werden teils Endprodukte des Stoffwechsels, wie Ammoniak und
Kohlensäure, teils Nährstoffe frei für andere Arten von Mikroorganis-
men, die sie in ihrer zersetzenden Tätigkeit ablösen. Auch diese zer-
fallen wieder und werden durch andere ersetzt. Wir wissen nun aber,
daß die bei den einzelnen Gärungs- und Oxydationsprozessen wirksame
Mikroorganismensubstanz nur einen Bruchteil der Nährsubstanz aus-
macht, der etwa von 0,5--30% schwankt (vgl. § 232—236). Nehmen
wir an, daß er durchschnittlich 10% betrüge, so würden wir nach
10 sich abwechselnden Generationen von Organismen nur noch ^/jo"''
d. h. einen verschwindend geringen Teil der ursprüngüch wirksamen
Mikrobensubstanz vorfinden. Nur dadurch, daß die Kleinwesen in
Dauerformen übergehen, können sie der schließlichen Auflösung ent-
gehen oder ihr wenigstens länger widerstehen. Ein beschränkter, an
Masse freilich sehr geringer Teil der bei der Fäulnis und Verwesung
wirksamen Bakterien erhält sich in der Tat in Sporen in den tiefen
Erdschichten (vgl. C. Fränkel, Zeitschrift f. Hyg. 2, 1887).
Doch nicht immer, imd stets nur in größeren Zeiträumen und unter
bestimmten im Erdboden gegebenen Bedingungen vollzieht sich die
Fäulnis und Verwesung in dieser Weise. Besonders die Pflanzen-
substanz hinterläßt gewöhnlich recht bedeutende Reste von Humus,
dessen letzte Verwandlungsprodukte aus geologischen Zeiten wir wohl
in den Kohlen zu sehen haben (§118). Von tierischen Stoffen widerstehen
am besten die Fette, wie uns anscheinend auch wieder die Ansamm-
lungen von Erdöl in geologischen Schichten beweisen (§ 151). Überall,
wo es sich um nicht so alte Zersetzungen handelt, begegnen wir den
zahlreichen Zwischenprodukten der Fäulnis imd Verwesung, deren
Entstehimg im einzelnen wir schon in den § 164 — 177 bei den durch
Reinkulturen verursachten Veränderungen des Eiweißmoleküls be-
sprochen haben. Sie sind fast sämtlich schon von den älteren Forschern,
die sich mit dem Chemismus der gemischten Fäulnis und Verwesung
beschäftigt haben, beobachtet worden. Wir verzichten hier auf die
Wandlungen der Eiweißkörper. 559
ausführliche Wiedergabe dieser älteren Literatur^), weil sie nur noch
geschichtliche Bedeutung besitzt, und beschränken uns, darauf hinzu-
weisen, daß von den Aminosäuren des Eiweißes bisher anscheinend
nur Alanin, Aminobuttersäure, Aminobaldriansäure, Zystein und
Pyrrolidinkarbonsäure noch nicht unmittelbar als bakterielle Zer*
setznngsprodnkte nachgewiesen worden sind; während sämtliche Fett-
säuren von der Eapronsäure abwärts, ferner Bernstein-, Milch-, Oxal-
säure, die aromatischen Säuren (§ 168), Kohlenwasserstoffe und
Alkohole (§ 169), außerdem Ammoniak, eine große Zahl von Basen
(§ 170), von Schwefelverbindungen Schwefelwasserstoff (§ 205), Methyl-
merkaptan (§ 206), Schwefelsäure (§ 207), von Phosphorverbindungen
wahrscheinlich nur Phosphorsäure (s. u.), von Gasen hauptsächlich
Kohlensäure, ausnahmsweise Wasserstoff, Sumpfgas imd Stickstoff (s.u.)
gefunden wurden. Dazu kommen dann noch die humusähnlichen Kör-
per (s. u.). Von den genannten Stoffen sind durchaus nicht alle gleich
wichtig. Viele sind sogar selten gefunden worden. Als chemisch
auch quantitativ gut studiertes Beispiel einer imter strengem Luft-
abschluß erst bei 35^ dann bei 45^ 130 Tage lang durchgeführten Fäuhiis
nennen wir die des defibrinierten Ochsenblutes. Berthelot und
A n d r e ^) fanden dabei an Gasen nur Kohlensäure, aber
weder Wasserstoff noch Sumpfgas, noch Stick-
oderSauerstoff. EinZwölfteldesGesamtkohlen-
stoffsdesBluteswarinKohlensäureverwandelt,
zwei Drittel des Stickstoffs in Ammoniak. Beide
standenindemselbenVerhältniswiebeiderHarn-
stoffgärung (1 : 2). Der Rest des Kohlenstoffs war
enthalten zu einem Drittel in flüchtigen Fett-
säuren (Butter-, Propion-, Kapronsäure), zu zwei
Dritteln in stickstoffhaltigen Verbindungen
(Amiden, Humuskörpern). Alkohol oder Azeton wurden
nicht gefunden, wohl Spuren eines schwefelhaltigen Aldehyds. Die
Elementarzusammensetzung des Blutes hatte sich durch die Fäulnis
derart verändert, daß nur Wasserstoff und Sauerstoff, im Verhältnis^
wie sie in Wasser vorhanden sind, zugetreten waren, und zwar traten
auf jedes Molekül Ammoniak zwei Moleküle Wasser ein.
Wenn hier und bei den meisten anderen Versuchen mit gemischter
Fäulnis oder Reinkulturen Wasserstoff und Sumpfgas ver-
1) Vgl. außer den zerstreuten Angaben in den früheren Abschnitten
Cohnheim, Eiweißkörper, 2. Aufl. 1904, Spieckermannin Lafars
Handb. 3. 102, 1904.
2) Compt. rend. ac. sc. 114. 514; Annal. chim. phy . (6), 27. Kochs
Jabresber. 1892. 241.
560 Kap. IX, § 179.
mißt wurde, so traten beide sehr reichlich auf in Versuchen 0 m e -
1 i a n 8 k y s ^). Diese waren darauf gerichtet, die von Tappeiner-)
zuerst an Fleischextrakt, dann an Pepton und Pflanzeneiweiß studierte
Sumpfgasgärung der Eiweißstoffe wieder zu erhalten. Nach einigen
Fehlschlägen gelang es, in verfaulter Wolle ein geeignetes Impfmaterial
zu erhalten, das gekochtes Eiereiweiß, Gelatine, Tischlerleim, Wolle
in zahlreichen Generationen in Sumpfgasgärung versetzte.
Die Gase setzten sich dabei zu 12 — 67% aus Methan, zu 88 — 33%
aus Kohlensäure zusammen. Ausnahmsweise kam auch etwas Was-
serstoff (3 — 6%) vor. Eine ähnliche Gänmg des Wittepeptons
war schwieriger zu erhalten, zuerst entstand bei der Impfung 12%
Wasserstoff neben den beiden anderen Gasen, in der dritten Genera-
tion war aber die Sumpfgasgärung auch hier eine reine. So reichliche
Mengen Methan wie hier sind bisher in Reinkulturen nicht erhalten
worden (vgl. § 168). Es handelt sich offenbar um besondere Erreger,
die leider nicht rein gezüchtet worden sind.
Freier Stickstoff^) und Phosphorwasserstoff*), die früher oft als
Produkte der Fäulnis und Verwesung aufgeführt wurden, werden dabei
nach der jetzt herrschenden Ansicht nicht gebildet. Der Phosphor
wird stets aus seiner organischen Bindung als Phosphorsäure
abgeschieden. Stickstoff soll nur gefunden werden, wenn Nitrate
in den Fäulnisprodukten vorhanden sind, sein Auftreten also denitrifi-
zierenden Bakterien (vgl. § 1 98 u. 200) verdanken. (Jegen diese Lehre haben
König, Spieckermann imd Ölig*) neuerdings gewichtige
Bedenken geltend gemacht. Sie fanden bei der Zersetzung reiner
Eiweißstoffe durch Heubakterien einen erheblichen Stickstoffverlust,
der sich nicht durch Verdunstung von Ammoniak erklären ließ (vgl.
S. 525). Die Mitteilimgen von Schittenhelm und Schröter
über Ausscheidung freien Stickstoffs beruhen wahrscheinlich auf Ver-
suchsfehlem*). Allgemein anerkannt als Enderzeugnis der Verwesung
stickstoffhaltiger Körper ist die Salpetersäure. Nur streitet
man noch darüber, ob sie nur von den „Nitrobakterien" (§ 196) oder
gelegentlich auch von echten Eiweißzersetzem erzeugt wird (§ 176).
Ein Teil der Fäulnisprodukte hat bekanntlich einen üblen
Geruch, so der Schwefelwasserstoff, das Merkaptan, Trimethyl-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 15. 681, 1906.
2) Ber. ehem. Ges. 1883. 1760 vgl. Sumpfgasgäning der Zellulose (§117),
des Fleisehextrakts (§ 192) und Darmgärung (Infektionslehre).
3) Ehrenberg, Zeitschr. physiol. Chem. 11 und 12.
4) Hoppe-Seyler, Physiol. Chem. S. 56; Stich, Kochs
Jaliresber. 1900. 305; Yokote, Arch. f. Hyg. 50, 1904.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 539.
6) Vgl. Oppenheimer, Zeitechr. physiol. Chem. 41, 1903.
Wandlungen der Eiweißkörper. 561
amin. Indol, SkatoL Daneben wird eä aber noch eine Reihe unbekannter
Körper geben, die an dem „fauligen Gestank" beteiligt sind. Es darf
übrigens nicht verschwiegen werden, daß die letztere Bezeichnung
eine recht subjektive und daher keineswegs verläßliche ist. Sonst
würde man sich die zahlreichen, einander widerstreitenden Angaben
iii der Literatur nicht erklären können. Daneben kommt freilich in
Betracht, daß das Auftreten der Riechstoffe nachweislich von ver-
schiedenen Bedingungen, unter denen die mangelhafte Ltif-
t u D g der zersetzten Flüssigkeit in erster Linie steht, abhängig ist
(§ 1B4). Daraus folgt schon, daß die Verwesimg im allgemeinen nicht
Gestank erzeugt.
Nebenprodukte, die bei der Fäulnis imd Verwesung kaum jemals
fehlen, sind, wie wir sahen, die dimkel gefärbten humusähnlichen
Stoffe, auch „Melanoidine" genannt. Sie enthalten noch ziemlich
viel Stickstoff^), sind aber trotz ihres verwickelten Baues gegenüber
Eingriffen, insbesondere auch der Mikroorganismen, sehr widerstands-
fähig (s. c). Während wir in ihren Grundzügen ferner die Bildimgs-
weise der üb^fen von der Fäulnis und Verwesimg erzeugten Stoffe
kennen, bleibt /ue der Humusstoffe noch aufzuklären (vgl. § 118).
Den oben aufgeführten Produkten kann man im allgemeinen nicht
ansehen, ob sie durch Fäulnis oder Verwesung gebildet werden (§ 176)
— höchstens wären die Oxal-, Schwefel- mid Salpetersäure als charak-
teristische Erzeugnisse der Verwesimg, d. h. der Oxydation durch
freien Sauerstoff zu bezeichnen. Im übrigen pflegt das Mengen-
verhältnis der einzelnen Produkte bei der Fäulnis und Ver-
wesung ein anderes zu sein, indem bei der letzteren Kohlensäure (und
Oxalsäure), bei der ersteren die Fettsäuren (und Riechstoffe, s. o.),
also Zwischenprodukte der Zersetzung, überwiegen. Damit stimmt
zusammen, daß in der Natur derHauptanteil am Zer-
fall der Eiweißkörper, wie die Erfahrung lehrt,
der Verwesung zukommt. Das Studium der Wirkung von
Rrinkulturen hat uns ja ebenfalls zu dem Schlüsse geführt, daß min-
destens die stickstofffreien Produkte der Aerobier das Gepräge eines
fortgeschritteneren Zerfalls an sich tragen, als die der Anaerobier. Die
Erklärung für beide Reihen von Tatsachen liegt natürlich einfach
darin, daß viele Stoffe, die für die anaerobe „Gärung" nicht weiter an-
greifbar sind, durch Oxydation noch weiter verändert werden können.
Von dem wichtigsten stickstoffhaltigen Produkt der Eiweißzersetzung,
dem Ammoniak, kann man dagegen kaum sagen, daß es reichlicher von
1) Hoppe-Seyler, Zeitschr. physiol. Chem. 13, 1889 ; Schmie-
deberg, Arch. exx>er. Path. 39, 1897.
Kruse, Mikrobiologie. 36
562 Kap. IX, § 179 u. 180.
Aerobiem als von Anaerobiern erzeugt wird, nur seine Umwandlung in
Salpetersäure ist ausschließliches Werk der Verwesung.
Man könnte danach geneigt sein, die Frage, ob die Fäulnis
denn für denKreislaufderStoffeeinnotwendigei
Prozeß sei, zu verneinen, würde dabei aber außer acht lassen, daß
nicht selten unter natürlichen Bedingungen die Möglichkeit der Be-
tätigung für Aerobier fehlt, und sie ihnen erst später durch die vor-
bereitenden Leistungen der Anaerobier verschafft wird.
§ 180. Erreger der Fäulnis und Verwesimg, insbesondere
des Fleisches. Wenn wir jetzt von den Erregem der Fäulnis und Ver-
wesung sprechen, so dürfen wir dabei nicht vergessen, daß es nicht
ausschließlich mikroskopische Wesen sind, die in der Natur die Zer-
setzung der abgestorbenen stickstoffhaltigen Stoffe besorgen. Höhere
Organismen aus allen Oruppen des Tierreichs beteiligen sich vielmehr
daran in ganz erheblicher Weise: Säugetiere, Vögel und Fische, die
sich von „Aas" nähren, vor allem aber die große Schar der Insekten,
Krebse und Würmer betätigen sich in der Erde, in Schlamm und
Wasser als Verzehrer der toten tierischen und pflanzlichen Substanz*),
alle Tiere, Fleisch- und Pflanzenfresser, als Verbraucher des lebenden Ei-
weißes der Tiere und Pflanzen. Man kann sogar sagen, daß diese höheren
Wesen den Prozeß der Zersetzung fast noch schneller und mindestens
ebenso gründlich vollziehen, als die Mikroorganismen es können. Man
denke nur an die riesigen Mengen von eiweißartigen Nahrungsstoffen,
die z. B. ein warmblütiges Tier im Laufe seines Lebens zu Kohlen-
säure, Wasser und einfachen Ammoniakverbindungen verbrennt.
Doch sind die höheren Wesen nicht überall und in genügender Zahl
zur Stelle, um als Totengräber der organischen Sub-
stanz zu dienen, während die Kleinwesen niemals fehlen, und was
dem einzelnen an Energie mangelt, durch ihre mibegrenzte Vermehrungs-
fähigkeit ersetzen. Diese Allgegenwart („Ubiquität") der Fäulnis-
und Verwesungserreger ist freilich nicht in dem Sinne zu verstehen,
daß es überall genau dieselben Formen seien, es herrscht vielmehr
darin eine große Mannigfaltigkeit, weim auch einzelne „Spezies" fast
überall in der einen oder anderen „Varietät" oder „Rasse" vertreten
sind. Auch ihre Wirkungsweise ist im großen und ganzen die gleiche.
Bei der echten Fäulnis stehen, wie schon Pasteur*) erkannt, in
erster Linie die strengen Anaerobier, die merkwürdigen
Wesen, die nur bei Sauerstoffabschluß gedeihen, also gewissermaßen ,
für die Fäulnis und die Gärungen überhaupt geschaffen zu sein scheinen. '
1) Vgl. z. B. We s e n b e r g, Umformung des Erdbodens im „Proine-
theus'* 1905 Nr. 816. 817.
2) Compt. rend. ca. sc. 56. 1189, 1863.
Wandlungen der EiweißkÖrper. 563
Durch die Entdeckung Rosenbachs^) und namentlich H a u -
sers^), daß es auch bei Luftzutritt wachsende Bakterien (fakultative
Anaeiobier) gibt, die stinkende Fäubiis erzeugen können, wurden die
Anaerobier eine Zeitlang in den Hintergrund gedrängt. Flügge^)
erwähnt zwar ihr Vorkommen und sein Schüler Liborius*) isolierte
einige eiweißzersetzende Anaerobier. Aber erst S a n f e 1 i c e ^) ge-
bührt das Verdienst, wieder auf ihre Bedeutung für die Fäulnis hin-
gewiesen und sie rein gezüchtet zu haben, ohne freilich näher auf die
chemischen Verhältnisse eingegangen zu sein. Er beschreibt neun ver-
schiedene Arten, die sämtUch Sporen bilden und die Eigenschaft haben,
fauligen Greruch zu entwickeln. Neben den Anaeroben findet S a n •
f e li c e als regelmäßigen Bewohner von faulenden Fleischaufgüssen
die Bac. proteus vulgaris und proteus mirabilis
H a u s e r s (s. o.) wieder, daneben den Bac. fluorescens
liquefaciens und den Bac. subtilis (Heubazillus). Auch
außerhalb von Faulflüssigkeiten sind nach Sanfelice alle diese
Keime weit verbreitet, besonders im Erdboden. Diese Arbeit
geriet vielfach in Vergessenheit, zumal da Santori^) und Kuhn')
die ausschlaggebende Wirkung der Proteusbazillen bei der Fäulnis
von Pflanzenteilen, Fleisch und Leichen hervorhoben, wenn sie auch
das Vorkommen von Anaeroben nicht leugneten. Bienstock®)
machte dann wieder auf die letzteren besonders aufmerksam. Als die
energischsten Fäulniserreger, die sogar allein imstande seien, Fibrin
in Fäulnis zu versetzen, betrachtet er gerade die Anaerobier, in erster
linie den Bac. putrificus coli. Gleichzeitig mit B i e n -
stock führte E. Klein®) die Leichenfäulnis auf den vielleicht
identischen Bac. cadaveris sporogenes zurück. S a 1 u s ^®)
schrieb ähnliche Eigenschaften zwei anderen Anaeroben, dem Clostri-
diom foetidum camis und dem Bac. saprogenes camis zu (vgl. § 168).
T i s s i e r und M a r t e 1 1 y ^^) unterwarfen die Fäulnis bzw. Ver-
wesung von Fleisch von neuem einer gründlichen Untersuchung.
1) Mikroorganismen bei der Wundinfektion, 1884.
2) Über Fäulnisbakterien usw., 1885 und Zentr. Bakt. 12, 1892.
3) Mikroorganismen 2. Aufl., 1886, S. 310.
4) Zeitschr. f. Hyg. 1, 1886.
5) Contributo alla biologia a morfologia dei batteri saprogeni eierobi
<*d anaerobi. Ann. d'ig. sper. Roma 1890 (auch Atti Acad. med. Roma 1890).
6) Ebenda 1891.
7) Arch. f. Hyg. 13, 1891.
8) Ebenda 36, 1899.
9) Zentr. Bakt. 25, Bienstock, Arch. f. Hyg. 39, 382, vgl. auch
Anm. 1 auf folg. Seite.
10) Ebenda 51, 1904.
11) Annal. Pasteur 1902.
36*
564 Kap. IX, § 180 u. 181.
Sie fanden, daß Stücke Fleisch, die sie unter einer Glasglocke, also
bei Luftzutritt aufbewahrten, die folgende Fäulnisflora zeigten: In
den ersten Tagen konnten sie nur Aerobier oder fakultative Anaerobicr
nachweisen, und zwar solche, die gleichzeitig Kohlenhydrate und Eiweiß
angreifen. Zu diesen „ferments mixtes" gehören derBac. proteus vul-
garis, Micrococcus flavus liquefaciens, Staphylococcus pyo-
genes albus, Bac. coli, Streptococcus pyogenes,
Diplococcus gxiseus non liquefaciens, Bac. filifomüs. Die Reaktion des
Fleisches wurde unter dem Einfluß dieser Bakterien eine ausgesprochen
saure, weil das Glykogen in (milchsaure) Gärung versetzt wurde. Da-
neben traten aber schon Spaltungsprodukte des Eiweißes, Albumosen,
Leuzin, Tyrosin, Amine und Spuren von Ammoniak auf.
Nach 3 — 4 Tagen war der Nährboden durch die Arbeit der ge-
nannten Aerobier soweit von Sauerstoff befreit, daß jetzt auch strenge
Anaerobier darin gedeihen konnten : der Bac. perfringens und
bifermentans sporogenes^). Beide gehören ebenfalls noch
zu den ferments mixtes, erzeugen aber vor allem stinkende Fäulnis.
Ihr Auftreten macht sich bemerkbar durch den üblen Geruch ihrer
Produkte. Die saure Reaktion des Fleisches wird jetzt durch die reich-
liche Produktion von Ammoniak herabgesetzt.
Nach 8 — 10 Tagen ist der Zucker des Fleisches verbraucht, auch
die Fette verseift, ihr Glyzerin verbraucht, der Höhepunkt der stinkeo-
den Fäulnis erreicht imd viel Pepton, Indol, Phenol, Ammoniak,
Schwefelwasserstoff usw. nachzuweisen. Die „ferments purs" erscheinen
jetzt, imd zwar die „proteolytischen", die auch das echte Eiweiß zu zer-
legen vermögen, Bac. putrificus coli und putidus gracilis, beides
Anaerobier, sowie die „peptolytischen", die nur Albumosen und Peptone
zerlegen : der Diplococcus magnus anaerobius und der
Proteus Zenker i.
Nach 3 — 4 Wochen beginnen die Peptone und Aminosäuren ab-
zunehmen, das aus ihrer Spaltung hervorgehende Ammoniak nimmt
zu bis 1,5%. Allmählich verschwinden die ferments mixtes und über-
lassen den ferments purs allein das Feld. Nach 3 — 4 Monaten ist das
Fleisch in eine schwärzliche, schleimige Masse verwandelt, es enthält
kein Pepton mehr, auch das Ammoniak hat stark abgenonmien. Nur
der Bac. putrificus, gracilis putidus und der aerobe Diploc. griseus
non liquefaciens sind noch herauszuzüchten.
1) Sie stehen teils den fäulniserregenden Buttersäurebazillen von
Graßberger und Schattenfroh, dem Bac. paraputrificus B i e n-
Stocks, teils den ödem- und Geisbrandbazillen (S. 356 u. 357) nahe.
Wandlungen der Eiweißkörper. 565
Nicht immer waren bei der Fäulnis des Fleisches nach T i s s i e r
und Hartelly sämtliche hier genannten Spezies beteiligt, nur
der Bac. putrificus fehlte niemals, immer waren Aerobier
neben Anaerobiem vorhanden.
§ 181. Fäulnis und Verwesung anderer tierischer Stoffe.
Etwas abweichende Ergebnisse hatten T i s s i e r und Gasching^), wenn
sie M i 1 c h in oben mit Watte verschlossenen Flaschen sich zersetzen
ließen. Wie sich von vornherein erwarten läßt, überwiegen zunächst
die reinen Milchsäurebakterien, der Bac. acidi paralactici
und der „Enterokokkus^^ die wir beide als Varietäten desselben Strepto-
coecos lacticus (S. 286) auffassen, und der Bac. coli (aerogenes S. 289).
Daneben vorhandene Heu- und Eartoffelbazillen und Staphylokokken,
die das Kasein der Milch angreifen, kommen bei der fortschreitenden
Säurebildung nicht auf. Wohl sind dagegen andere Mikroorganismen
imstande, in der durch die Säure koagulierten Milch zu wachsen: auf
der Oberfläche Schimmelpilze — und zwar regelmäßig Oidiumlactis,
seltener Mukorarten — in der Tiefe ein anaerober Buttersäure*»
bazillus, der Bac. lactopropylbutyricus (S. 352). Unter dem
Einfluß des letzteren, der vom Ende der zweiten Woche an nachzu-
weisen ist, steigt der Säuregrad der Milch weiter, während der Milch-
zucker schnell verschwindet. Nach einem Monat wird die Wirkung
der Schimmelpilze dadurch deutlich bemerkbar, daß die Säure wieder
abnimmt, sie wird von ihnen verzehrt, das Kasein gleichzeitig peptoni-
siert. An diesem Vorgang beteiligen sich auch proteolytische und
peptolytische Bakterien, unter ihnen an erster Stelle der Bac. f a e -
cali alcaligenes, Bac. proteus Zenkeri, seltener der
Bac. putrificus coli und Proteus vulgaris. Nach 3 Monaten ist das
Kasein in eine schleimige, leicht stinkende Masse verwandelt, das Serum
gelbbräimlich geworden. Die Pilzdecke zerfällt in dem jetzt alkalischen
Medium. Nach 10 Monaten bleibt nur ein gelblicher, fadenziehender,
übehiechender Bodensatz zurück, Kasein und Pepton sind zersetzt;
Leuzin, Tyrosin, Fettsäuren und Ammoniak noch nachweisbar.
Man sieht, diese Zersetzung der Milch verdient wegen der aus-
schlaggebenden Mitwirkung der sauerstoffliebenden Schimmelpilze
mehr den Namen der Verwesung als der Fäuhiis. Gleichzeitig haben
wir hier ein schönes Beispiel der Sym- oder besser der Metabiose von
Mikroorganismen: die Milchsäurebakterien ermöglichen Buttersäure-
bazillen und Pilzen das Wachstum, die Pilze ebnen wieder durch Ver-
zehrung der Säure eiweißspaltenden Bakterien den Weg und die letz-
teren verdrängen durch die alkalische Reaktion, die sie verursachen,
die Pike (§ 50).
1) Annal. Pasteur 1903. 540.
566 Kap. IX, § 181 u. 182.
Die Fäulnis der E i e r ist noch nicht so gründlich untersucht worden,
wie die des Fleisches und der Milch. Man weiß nur, daß schon die Eier
in der Kloake der Vögel mit Bakterien infiziert sein können, und daß
diese, nachdem die Eier gelegt sind, weiter darin wuchern und sie ver-
derben^). Hier anzuführen sind auch die früher besprochenen (S. 507)
Versuche R e 1 1 g e r s , die die Fäulnis in aus FleischundEiern
zusammengesetzten Nährböden betreffen, allerdings meist mit Sein*
Iculturen angestellt, aber wieder doch so umfanrgeich sind, daß sie
auch für die Frage der natürlichen Fäulnis der tierischen Nahrungs-
mittel Bedeutung haben. Von zahlreichen daraufhin geprüften Bak-
terien waren nur gewisse Anaerobier, nämUch der Bac. putri-
ficus, des malignen Odems und Rauschbrands imstande, ähnliche Fäulnis
zu erregen, während die Bac. coli, aerogenes, faecalis alcaligenes, proteus
vulgaris, pyocyaneus, fluorescens Uquefaciens und non liquefaciens,
cloacae, prodigiosus, Staphylococcus pyogenes, Micrococcus albus und
Streptococcus pyogenes allein oder in verschiedenen Mischungen in der
Nährlösung „keine sichtbaren Zeichen der Zersetzimg" hervorriefen*).
Impfte R e 1 1 g e r gleichzeitig Anaeroben und Aeroben in eine Fleisch-
Eiermischung, so waren die Ergebnisse verschieden je nach der Art
der letzteren: Coli und Aerogenes verlangsamten die Fäulnis, Proteus
beschleunigte sie. Menschliche Fäzes verursachten größtenteils eben-
falls mehr oder weniger starke Zersetzung des Nährbodens, es gelang
aber R e 1 1 g e r nicht, die dafür verantwortlichen Bakterien heraus-
zuzüchten (s. u. S. 570).
Absichtlich ruft man eine, freilich begrenzte Fäulnis tierischer
Stoffe hervor in der Gerberei, um Haare, Oberhaut und gewisse
Bestandteile der Lederhaut zu entfernen. Die Häute werden dazu
teils einfach mit Wasser „eingeweicht" und „abgeschwitzt", wobei
man auf die Tätigkeit der überall vorhandenen Fäulniserreger rechnet,
teils unter Zusatz von Mist „gebeizt". Die Beize mit Kleie dient
nur zur Lockerung der Fasern durch die dabei stattfindende Entwick-
lung von Gärungsgasen. In den dann angewandten eigentlichen „Gerb-
brühen" fehlen zwar Gärvorgänge nicht, sie sollen aber im wesentlichen
nicht zur Auflösung der Hautsubstanzen dienen, sondern nur Säuren
hervorbringen, die die Hautfasern für die Gerbung vorbereiten^).
1) Über die Flora der Eier vgl. Z ö r k e n d o r f e r . A. 16, 1893;
Abel und D r ä e r , Zeitschr. f. Hyg. 19, 1895.
2) Über die älteren Ergebnisse Rettgers und anderer Foröcher
(vgl. S. 540).
3) Über die bei der Gerberei wirkenden Bakterien s. Andreasch,
„Der Gerber" 1895 — 97, vgl. auch bei Eitner in Lafars Handb.
5. 21. 1905.
Wandlungen der Eiweißkörper. 567
Über die „Käsereifung", die ebenfalls beschränkte Eiweißspaltung
im Käse, s. § 178.
§ 182. Fänlnis und Verwesung von Pflanzenstoffen. Der
Verwesung der Milch an die Seite zu stellen ist die Zersetzung gewisser
stickstofffreicher vegetabilischer Futtermittel, z. B. des B a u m -
wollsaatmehls. Nach König, Spieckermann und
0 1 i g ^) verläuft der Prozeß, wenn man das feuchte Mehl in dünner
Schicht bei Sauerstoffzutritt aufbewahrt, in folgender Weise : zunächst
treten auch hier Bakterien (B. c o 1 i) auf, die aus dem Zucker des
Nährbodens Säure bilden. Die Proteinstoffe bleiben dabei ziemlich
unberührt. Die saure Reaktion ruft dann eine starke Schimmel-
pilzwucherung hervor, die ihrerseits wieder durch die Verzehrung
der Säure peptonisierenden Bakterien aus der Gruppe der Heu- und
Kartoffelbazillen Raum schafft. Das durch sie reichlich
gebildete Anmioniak macht die Reaktion stark alkalisch. Das Mehl
verfärbt sich dabei, wird schmierig und riecht widerlich faulig. Wird
das Mehl in hohen Schichten zusammengestampft aufbewahrt, so ver-
ändert sich nur seine Oberfläche in der beschriebenen Weise, in der
Tiefe bleibt der Prozeß bei der sauren Gärung stehen. Offenbar können
die Kartoffelbakterien schon wegen des Sauerstoffmangels dort nicht
gedeihen, aber wegen der sauren Reaktion auch nicht eiweißspaltende
Anaerobier. Die an der Oberfläche hausenden Schimmelpilze würden
zwar auch, wie in der Milch, allmählich die ganze Säure des Nährbodens
verbrauchen, wenn seine Beschaffenheit nicht die freie Diffusion
behinderte.
Eine ähnliche Verwesung, wenn auch im Sprachgebrauch gewöhnlich
als „Fäulnis" bezeichnet, ist die bekannte Zersetzung des Obstes,
bei der es in eine matschige, bräunliche (vgl. S. 459) Masse verwandelt
wird. Die Ursache sind ausschließlich Aerobier, und zwar Schimmel-
pilze*): Botrytis cinerea, Mucor stolonifer, Penicillium luteum und
Oidium fructigenum. Die Zersetzung der Kohlenhydrate (Pektinstoffe,
Zucker, Säuren und Gerbstoffe) steht freilich dabei im Vorder-
grund, entsprechend der Zusammensetzung der Früchte.
Die Rolle der Schimmelpilze vertreten nach den Feststellungen
B a i 1 8 ') bei der gewöhnliehen Verwesung der Pflanzen-
teile, die viel reicher an Kohlehydraten und ärmer an Stickstoff
sind, als die eben besprochenen Nahrungsmittel, Hefepilze aus der
Verwandtschaft der Kahmhefe (S. 248 u. § 149). Werden frische Blätter
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 535. Vgl. S. 525.
2) Vgl. B e h r e n a , Zentr. Bakt. 2. Abt. 4, 1898.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 567 u. 9. 501 ff.
568 Kap. IX, § 182 u. 183.
oder Stengel z. B. von Rhabarber in feuchter Umgebung vor zu starker
Belichtung geschützt sich selbst überlassen, so verwandeln sie sich
unter Umständen schon nach einer Woche in eine „feuchte, schmierige,
dunkle, eigenartig modrig riechende Masse, innerhalb der nur gröbere
Blätter eine größere Widerstandsfähigkeit zeigen' ^ Die ursprünglich
saure Reaktion wird dabei allmählich eine alkalische, die Analyse
zeigt Abnahme der stickstoffhaltigen Substanzen und lösirngsfahigen
Kohlenhydrate, während die Zellulose anscheinend nicht angegriffen
wird. Alis der verwirrenden Masse von Mikroorganismen, die das
zersetzte Gewebe bevölkern, gelang es B a i 1 durch Übertragung von
Proben auf sterilisierte Rhabarberblätter diejenigen zu gewinnen, die
augenscheinlich den Verwesungsprozeß bewerkstelligen. Zunächst
findet sich in dem sauren Nährboden neben den erwähnten Hefepilzen
wieder eine Art von recht säurebeständigen Milchsäurebak-
terien. Sie vergären offenbar einen Teil der Kohlehydrate und ver-
mehren dadurch den Säuregehalt, die Hefe oxydiert ihrerseits die ge-
bildete Säure. In diesem Wettstreit siegt zuletzt die Hefe, die Milch-
säurebakterien verschwinden, die saure Reaktion nimmt soweit ab,
daß auch andere Bakterien zum Wachstum gelangen können. Es sind
hauptsächlich zwei Arten, in erster Linie kräftige Eiweißzersetzer,
Heubazillen. Unter ihrem Einfluß konmit die Verflüssigung
der Pflanzengewebe, die alkalische Reaktion, zustaiide. Daneben findet
sich recht regelmäßig ein anderer Bazillus, der viel weniger energisch
sich an der Zersetzung beteiligt, aber den charakteristischen Moder-
geruch erzeugt, Schimmelpilze können merkwürdigerweise voll-
ständig fehlen und treten in jedem Falle hinter den Hefepilzen zurück^).
Wie sich die Zersetzung pflanzlicher Reste gestaltet, wenn der
Sauerstoff nicht so reichlich zutritt, hat B a i 1 nicht untersucht. Nach
den Ergebnissen Santoris (S. 563) dürfen wir aber annehmen,
daß dann die Flora sowie die äußeren Erscheinungen mehr denjenigen
bei der echten Fäulnis ähneln kann. Doch wird das nur vorübergehend
so sein, imd sich bald das Übergewicht der Kohlenhydrate und ihrer
Spaltungsstoffe durch ihre verschiedenen Qärungen, insbesondere
auch die verschiedenen Sump^asvergärungen bemerkbar machen'). Im
1) Ob diese Erfahrungen allgemein gültig sind, ist zweifelhaft.
Beijerinck hebt die Allgegenwart eines Strahlenpilzes, der Strepto-
thrix chromogena, im Humus hervor. Diese erzeugt moderähnlichen Geruch
imd dunkle Färbungen (vgl. S. 381). Über Zerstörung des Holzes durch
zellulasebildende Schimmelpilze u. a. vgl. S. 397.
2) Vgl. die entsprechenden Abschnitte in diesem Buche, namentlich
die Pektin- und Zellulosevergärung, ferner die Sumpfgasgärungen dw Fett-
sauren.
Wandlungen der Eiweißkörper* 569
großen vollzieht sich der anaerobe Zersetzungsprozeß der Pflanzen
bekanntlich in den Torfmooren. Die Bedeckung mit Wasser
bedingt dabei den Sauerstoffabschluß. Über die Mikroorganismen,
die bei dieser großartigen Verwesung oder Vermoderung die
Hauptrolle spielen, ist nichts bekannt (vgl. § 118).
§ 183. Fäulnis und Verwesung im Boden und Wasser.
Ebensowenig ist die Fäuhiis und Verwesung der Leichen imd anderer
tierischer Stoffe im Erdboden bisher genügend bekannt, wenn man
auch weiß, daß in den Anfangsstadien, abgesehen von der Harnstoff-,
Hippursaure- usw. Vergärung (§ 191 — 195) die gewöhnlichen Erreger
der stinkenden Fäulnis des Fleisches (Proteus^), Putrificus coU^) u. a.),
femer auch Schimmelpilze^) und niedere Tiere (Fliegenlarven vgl. S. 562)
beteiligt sind, imd in den Endstadien der organische Stickstoff durch die
sogenannten Nitrifikationsbakterien vollständig in Salpetersäure ver-
wandelt wird, und der organische Kohlenstoff bis auf Reste von Humus
2u Kohlensäure^), der organische Schwefel zu Schwefelsäure verbrannt
erscheint (s. o. S. 557). Damit wird dann das erreicht, was man wohl
als „Selbstreinigung des Bodens von seinen organischen Verunreinigun-
gen'' bezeichnet hat. Die Zwischenstadien sind aber weit weniger
gut bekannt imd noch niemals ist z. B. die Leichenverwesung in ihrem
ganzen Verlaufe mikrobiologisch verfolgt worden.
So sicher die wesentUche Bolle von Mikroorganismen bei diesen
Yoigangen ist, so wenig ist zu leugnen, daß die Vollständigkeit der Zer-
Setzung, die in Reagensglasversuchen nicht entfernt erreicht wird,
erst durch die physikalischen und chemischen
Eigenschaften des Bodens selbst gewährleistet
wird. Wir konmien gleich auf diese Verhältnisse zurück und be-
merken hier nur, daß erfahrungsgemäß einerseits eine gewisse Wasser-
haltigkeit des Bodens, andererseits aber auch ein nicht zu großer, die
Durchlüftung verhindernder Wassergehalt dazu vonnöten ist. Der
Homusrückstand selbst scheint, wo es sich um tierische Reste handelt,
gering zu sein, ja, vielleicht ganz fehlen zu können, nimmt aber um so
mehr an Ausdehnung zu, je mehr, wie in gewöhnlichemDünger, pflanz-
liche Beste beigemischt sind.
1) Kuhn a. a. O. (S. 663).
2) Identisch mit E. Kleine Bac. cadaveris sporogenes (s. o. S. 563).
Weitere Angaben über Leichenbakterien folgen in der Infektionslehre.
3) Die Zersetzung des (gekochten) Fleisches durch Schimmelpilze
allein bleibt nach den S. 532 Anm. 2 berichteten Untersuchungen B u t -
j a g i n 8 sehr unvollständig.
4) Ob Sumpfgas regelmäßig daneben erzeugt wird luid gasförmig
in die Atmosphäre entweicht, ist zweifelhaft, auch eine Verbrennung im
Boden ja möglich (S. 116).
570 Kap. IX, § 183.
Von der Leichenfäulnis völlig verschieden ist nebenbei bemerkt
die Darmfäulnis, weil bei ihr diese gewöhnlichen Fäulmsbak-
terien, nämlich die Proteusbazillen und auch die strengen Anaerobier,
obwohl sie immer vorhanden sind^) wahrscheinlich keine wesentliche
Rolle spielen, vielmehr das Geschlecht des B. coli und aerogenes
unter Mithilfe von echten Milchsäurestreptokokken und -basillen sowie
Zellulose vergärenden Bakterien die Zersetzung zu bewirken scheint.
Erleichtert wird ihnen ihr Werk offenbar durch die Verdauungsenzyme
des Darms. Andererseits wird das Endergebnis wohl erheblich durch
die Aufsaugung der nährenden Flüssigkeit seitens der Schleimhaut
beeinflußt, insofern sie eine starke Zusammendrängung der Bakterien
und wahrscheinlich mittelbar dadurch eine kräftige Selbstverdauung
derselben bedingt (§ 9). Näheres darüber werden wir erst in der Fort-
setzung dieses Werkes (Infektionslehre) bringen. Hier nur die kurze
Bemerkung, daß es trotz dieser Erkenntnis bisher nicht gelungen ist,
die Darmfäulnis in allen ihren charakteristischen Erscheinungen im
Reagensglas nachzuahmen. R e 1 1 g e r (s. o. S. 566) hat zwar im
Gegensatz zu dieser unserer Darstellung auf Grund seiner Fäulnis-
versuche mit Fleisch-Eiermischungen gefolgert, daß Golibazillen nicht
imstande seien, die Darmfäulnis zu verursachen, sondern wahrschein-
lich nur Anaeroben, aber dabei unberücksichtigt gelassen, daß die
Darmfäulnis sich von der gewöhnlichen doch ganz wesentlich unter*
scheidet. Die dafür charakteristischen Riechstoffe (Indol und Skatol)
wurden ja auch nach seinen eigenen Versuchen nicht von Anaeroben
erzeugt (vgl. S. 507 u. 541), sondern gerade von Golibazillen. Unseres Er-
achtens überschätzt man die Bedeutung der fäulniserregenden Anaeroben
im Darme schon deswegen erheblich, weil sie nicht in genügend großen
Mengen in ihm vorkommen.
Einen besonderen Fall der Fäulnis und Verwesung organischer
Stoffe, nämlich die in den Abwässern des menschlichen
Haushaltes und den damit verunreinigten natürlichen Gewässern
vor sich gehenden „Selbstreinigungsvorgänge" hat man ihrer prak-
tischen Bedeutung halber viel untersucht. Es hat sich dabei gezeigt,
daß zwar auch in den fließenden und stehenden Wässern selbst biolo-
gische Zersetzungen vor sich gehen, die zum Teil mit der Fäulnis und
Verwesung^) verglichen werden können, daß indessen viel lebhafter
und darum für den Enderfolg viel wesentlicher
1) Passini, Zeitschr. f. Hyg. 49, 1905.
2 ) Wahrscheinl ich ist die Verwesung der Hauptsache nach weniger durch
Kleinwesen als durch höhere und niedere Pflanzen, die aber auch nur unter
bestimmten Bedingungen zur Wirkung gelangen, bedingt (a. u.)« Daneben
besteht ein gewisser Einfluß der Lüftung (§ 184) imd des Lieh tee (§187).
Wandlungen der Eiweißkörper. 571
sind diejenigenVeiänderungen^diean den S ch web-
undSinkstoffen der Wässer vor sich gehen, und daß die Reini-
gung der Wässer selbst von den gelösten organischen Stoffen erst dann
deutliche Portschritte zu machen pflegt, wenn die Schweb- und
Sinkstoffe durch Absetzen, Niederschlagen oder Fil-
trieren aus dem Wasser entfernt und das Wasser selbst
wie bei der Berieselung und intermittierenden Filtration mit natürlichem
Boden oder wie in den biologischen Filtern und bei dem D e g e n e r -
sehen Kohlebreiverfahren mit bodenähnlichen Körpern in Berührung
kommt. Offenbar treten auch hier wieder nicht allein die bekannten
biologischen Vorgänge, sondern physikalisch-chemische Einflüsse, die
man als Oberflächenkräfte bezeichnen kann, ms Spiel. Wichtige Auf-
schlüsse darüber verdanken wir außer zahlreichen älteren Vorarbeiten
namentlich den Untersuchungen D u n b a r s ^). Nach ihnen besteht
die Wirkung der genannten porösen Körper in erster Linie in einer
Absorption der organischen (nicht bloß kolloi-
dalen) Stoffe, die zwar von vornherein schon entwickelt, aber
durch die fortgesetzte Berührung mit Abwasser sehr gesteigert wird.
Durch sie werden die fäulnisfähigen Stoffe zum größten Teil dem
Abwasser fast augenblicklich entzogen. Erst in den auf den Boden-
teilchen sich bildenden Niederschlägen gehen dann die biologischen
Veränderungen vor sich, die sehr verwickelter Art sind, aber das
Hauptmerkmal an sich tragen, daß sie unter
lebhaftester Beteiligung des Sauerstoffs, d. h. nur
bei reichlicher Lüftung ungestört verlaufen. Ein-
fache chemische Einflüsse durch gewisse Bodenbestandteile, z. B.
Eisen und Mangan'), wirken dabei wahrscheinlich insofern mit, als sie
die Intensität der Oxydation steigern. Das Ergebnis der Selbstreinigung
besteht darin, daß der gesamte organische Schwefel in dem Abfluß
des Bodenfilters als Schwefelsäure wiedergefunden wird, der
Stickstoff aber nur zu etwa 60—70%^), und zwar teils als organischer
Stickstoff, teils als Ammoniak, teils als Salpetersäure.
Von dem Rest bleibt ein Teil alshumöseMasseim Filter, ein anderer
entweicht als elementarer Stickstoff. Der Kohlenstoff
1) Leitfaden für die Abwässerreinigungsfrage, 1907, S. 204 ff .
2) Vgl. hierzu und zu dem folgenden auch König, Grosse-
Bohle und Roraberg: Zeitschr. f. Untersuchung v. Nahrungs- und
(Vnußmitteln 1900.
3) Kaum zu bezweifeln ist, daß der Prozentsatz der veränderten Stick-
stoff- wie Kohlenstoffsubstanz um so höher steigt, je mehr Zeit dem ganzen
Vorgang gegönnt wird, also wohl unter den natürlichen VerhältniHsen in
gewachsenem Boden, manchmal auch schon auf Rieselfeldern und bei der
Leichenverwesong fast 100% erreichen wird.
572 Kap. IX, § 183 vl 184.
geht, soweit er verwandelt wird, zum größten Teil in Kohlensäure,
die gasförmig oder gelöst entweicht, über, zum kleineren wieder in H u -
m u s , der im Filter zurückbleibt imd seine Poren in kürzerer oder
längerer Zeit je nach der größeren oder geringeren Schnelligkeit der
Berieselung verstopft. Man wird sich vorstellen dürfen, daß die Eiweiß-
körper größtenteils in Aminosäuren und diese in Ammoniak, Schwefel-
wasserstoff imd Fettsäuren gespalten werden, die letzteren wie die
Kohlenhydrate durch den Sauerstoff zu Schwefel- imd Kohlensaure,
das Ammoniak zu Salpetersäure oxydiert werden, und ein Teü der
Salpetersäure selbst wieder unter Reduktion zu Stickstoff zur Oxyda-
tion von Zucker, Fettsäuren u. dgl. dient (s. Denitrifikation § 198).
An Bakterien, die das leisten können, fehlt es in den Bodenfiltem
nicht, die eigentlichen Nitrobakterien werden nach D u n b a r durch
andere nitrifizierende unterstützt (S. 546). Die Entstehung des Humus
bleibt nach wie vor dunkel, die pflanzlichen Beste tragen aber wahr-
scheinlich mehr dazu bei als die tierischen. Eine bakteriologische
Analyse der im Filter wirkenden Keime, die es uns vielleicht ermög-
lichen ^ürde, den natürlichen Beinigungsvorgang mit Hilfe von Bein-
kulturen nachzumachen, fehlt bisher.
Ähnliche Verhältnisse wie in Böden und Filtern bestehen, wenig-
stens in gewisser Hinsicht, im S c h 1 a m m , der sich aus verunreinigten
Oberflächen wässern oder ungemischtem Abwasser absetzt, weilhierimmer
bodenähnliche Bestandteile den organischen Stoffen beigemischt sind,
und auch eine periodische Lüftung durch Auftrieb des Schlanmies,
Trockenlegung des Bodens u. dgl. erfolgt. Bei der „Schlamm verzehrung''
beteiligen sich femer überall da, wo die Luft genügend Zutritt hat,
neben den Kleinwesen (Bakterien imd Schimmelpilzen) niedere Tiere,
namentlich aus der Klasse der Würmer in hervorragender Weise, wie
das übrigens auch nach Darwins Untersuchungen an Regenwürmem
in der Gartenerde der Fall ist (S. 562). Die Bedeutung der Protozoen,
höheren Pflanzen, Algen und Abwasserpilze (Leptomitus, Sphaerotilus,
Cladothrix, Beggiatoa u. a. m.) für die Selbstreinigung des Bodens,
Schlammes und Wassers, und besonders der schwimmenden Elemente
(des „Planktons") in letzterem scheint uns dagegen erheblich über-
trieben worden zu sein, die der Protozoen, weil sie meist nicht in ge-
nügendem Maße auftreten, um ähnlich den anderen Tieren bei der Stoff-
verzehrung ins Gewicht zu fallen, die der übrigen drei Klassen, weil
sie überhaupt nur gelöste Stoffe verzehren oder besser gesagt speichern
und durch ihr früher oder später unvermeidliches Absterben den fäulnis-
fähigen Schlamm geradezu vermehren. In der Praxis der Wasser-
und Abwasserreinigung macht sich dieser Übelstand oft genug be-
merkbar, er würde noch deutlicher hervortreten, wenn man ihm nicht
Wandlungen der Eiweißkörper. 573
durch periodisches Herausnehmen der pflanzlichen Wucherungen
aus dem Wasser zuvorkäme, und dadurch einen Erfolg der Selbstreinigung
nur künstlich vortäuschte. Aber auch die Verzehrung der im Wasser
selbst gelösten organischen Siibstanz durch die Pflanzen ist nur unter
beschränkten Bedingungen von Wert, wenn nämlich das zu reinigende
Wasser in dünner Schickt und sehr langsam fließt oder in Tümpeln
und Teichen ganz stillsteht^).
Ein auf den ersten Blick sehr lehrreiches, weil dem Experiment
zugängliches Beispiel für die Wirkungen der ohne Mithilfe des Bodens
oder bodenähnlicher Körper vor sich gehenden Selbstreinigung bieten
die sogenannten Faulkammern, die neuerdings vielfach mit
den biologischen Filtern zur Abwasserreinigung benutzt werden. In
ihnen werden große Mengen von organischem Schlamm verzehrt, d. h.
in eine nicht mehr fäulnisfähige humusähnliche Masse verwandelt und
außerdem auch ein gewisser Teil der gelösten organischen Stoffe des Ab-
wassers zersetzt. Leider sind wir bisher aber über die dabei wirkenden
Kräfte nur unvollkommen unterrichtet. Nach Dunbars ^) Dar-
stellung sollen aerobe Schimmelpilze dabei eine größere Rolle spielen als
anaerobe Bakterien, aber die Stoffzersetzung durch eigene Enzyme
der pflanzlichen oder tierischen Abfallstoffe ganz bedeutend unter-
stützt werden. Während bei dem Faulverfahren die Selbstreinigung
des Schlammes leidliche Erfolge zeitigt, ist die des daraus hervorgehenden
Abwassers selbst bekanntlich durchaus ungenügend imd läßt die In-
ansprachnahme der reinigenden Kraft des Bodens oder der biologischen
Filter nicht entbehrlich erscheinen.
§ 184. Wirknng des Luf tsanerstof f s auf die Fäulnis. Es ist
eine alte Erfahrung, daß Sauerstoffabschluß die stinkende Fäulnis
begünstigt, reichliche Sauerstoffzufuhr sie verhindert oder hemmt.
1) Diese Andeutungen über die Selbstreinigung des Wassers müsnen
biep genügen. Einige weitere Angaben über den Einfluß physikalischer
Bwiingimgen, wie der Bewegung, des Lichtes usw., folgen auf S. 579 ff. Über
MSauepstoffzehrung" in verunreinigtem Wasser vgl. § 226. Für ein ge-
naueres Studium ist das Werk von D u n b a r sowie meine Arbeiten im
^ntralbl. allgemein, für Gesundheitspflege und in der Zeitschrift für Hygiene
•^9 S. 39, 1908, zu empfehlen. Die Darstellungen der neuerdings sehr ver-
weiteten Planktonenthusiasten sind nur mit Vorsicht aufzunehmen. Von
der chemischen Selbstreinigung, die wir hier allein im Auge haben, ist
natürlich die bakteriologische, d. h. die Befreiung der Gewässer von den
sie verunreinigenden Bakterien zu trennen. Die dabei wirksamen I^äfte
smd mannigfacher Art. In erster Linie scheint es sich aber um freiwilliges
Absterben wegen Nahrungsmangels zu handeln; die namentlich von E m -
°^ e r i c h betonte phagozytäre Rolle der Protozoen erscheint mir neben-
sächlich (a. a. O. S. 61).
2) a. a. O. S. 116.
574 Kap. IX, f 184 u. 185.
Die Erklärung dafür wird uns jetzt nicht schwer, seitdem wir wissen,
daß es gerade die strengen oder fakultativen Anaerobier sind, die
stinkende Fäulnis hervorrufen (§ 168 u. 169). Man hat die Bedeutung des
Sauerstoffs für diese Art der Zersetzung dadurch abschwächen wollen,
daß man auf diejenigen Bakterien (B. proteus vulgaris und mirabilis)
hinwies, die auch an der Luft, d. h. ohne besondere Vorsichtsmaßregeb
gegen den Zutritt des Sauerstoffs wachsen und die Eiweißstoffe trotzdem
in stinkende Fäulnis versetzen. Manche Versuche (B r i e g e r) schienen
auch zu lehren, daß selbst die künstliche Zuführung von Luft den
Fäulnisvorgang eher beschleunige. Das würde sich mit der Theorie
des anaeroben Wesens der Fäulnis noch vertragen. Wir sehen ja das-
selbe bei der alkoholischen Gärung: obwohl auch diese ein Vorgang ist,
der anaerob, d. h. ohne unmittelbare Beteiligimg des Sauerstoffs ver-
läuft, wird sie begünstigt durch mäßigen Luftzutritt, weil die Hefezellen
zu ihrem Wachstum und zur reichlichen Bildung des Gärungsferments,
der Zymase, des Sauerstoffs bedürfen (§ 91). Ebenso wächst augen-
scheinlich der Proteus vulgaris bei ungehindertem I>uftzutritt schneller.
Deswegen ist doch die Bildung der Stinkstoffe wie überhaupt die tiefere
Spaltung der Eiweißkörper sehr wahrscheinlich ein wesentlich anaerobei
Vorgang. Ein mäßiger Zutritt von Luft zu einer faulenden Masse
ist aber auch deswegen der Fäulnis noch nicht hinderlich, weil die darin
stets vorhandenen luftliebenden Mikroorganismen den zugeführten
Sauerstoff an sich reißen und so den strengen Anaerobiem doch ihre
Tätigkeit ermöglichen. Schon P a s t e u r hat diese Erklärung gegeben
(S. 10()). Nach ihm fault z. B. eine offen hingestellte stickstoffreiche
Flüssigkeit, weil die Aerobier den in der Flüssigkeit vorhandenen Sauer-
stoff verzehren und an der Oberfläche eine Decke bilden, die gegen
das Eindringen neuen Luftsauerstoffs schützt. Selbst ein langsames
Durchleiten von Luft braucht die Anaerobier noch nicht zu henunen.
Sobald dagegen sehr reichliche Luftmengen durch die Flüssigkeit ge-
leitet werden, ist das Wachstum der Anaeroben nicht mehr gut mög-
lich, und die stinkende Fäulnis tritt nicht ein.
Schwerer faulende Flüssigkeiten, z. B. Eanalwasscr, verunreinigtes
Flußwasser, die weniger Stickstoff enthalten, muß man schon in hohen
Schichten und womöglich in geschlossenen Gefäßen aufspeichern, um
Fäulnis zu erzielen. Schon die schwache Lüftung, die mit einer fort-
schreitenden Strömung des Wassers verbunden ist, kann hier das
Auftreten übler Gerüche verhindern. Stärkere Lüftung solcher Wässer,
z. B. das Rieseln über Drahtnetze, die Verteilung durch Sprühapparate,
das Durchleiten von viel Luft beseitigt unter Umständen^) nicht nur
1) Vgl. König, Verunreinigung der Gewässer, Berlin 1899. 1. Bd.
S. 235 (mit Literatur).
Wandlungen der Eiweißkörper. 575
die etwa vorhandenen Gerüche, sondern macht sie überhaupt fäuhiis-
unfähig. Eine unmittelbare Oxydation der Faulstoffe durch den Sauer-
stoff der Luft tritt dabei höchstens in unbedeutendem Grade, z. B.
beim Schwefelwasserstoff, oder in längeren Zeiträumen ein.
Die Wirkung der Lüftung hat man sich vielmehr, wenn man von dem
für den augenblicklichen Erfolg maßgebenden Einfluß, der mechanischen
Beseitigung der Riechstoffe durch Abdunstung absieht, so zu
erklären, daß die Ana€robier durch den Sauerstoff geschwächt oder
abgetötet und die Aerobier unterstützt werden.
Auf die Tatsache, daß die Zersetzung der stickstoffhaltigen Sub-
stanzen imter Sauerstoffabschluß, die wir Fäulnis nennen, nicht eine
so vollständige ist, ab die „Verwesung" bei Luftzutritt, haben wir schon
öfters hingewiesen (vgl. S. 661). Da ja aber unter natürlichen Vrehält-
nissen, d. h. im Erdboden die Anaerobiose sich weniger umfassend imd
nur vorübergehend verwirklicht, ist das kein Nachteil für das Endziel
der Zersetzung, die Umwandlung der toten organischen Stoffe in ihre
letzten Bestandteile.
§ 185. Einfluß der Reaktion auf Fäulnis und Verwesung.
Freie Säure im Nährboden hindert die Fäulnis, sichTzu entwickeln und
unterbricht den begonnenen Prozeß. Das ist eine alte Erfahrung, die
auch in der Küche und in den Nahrungsmitt^lge werben verwertet wird :
in Essig eingelegt, „mariniert"', lassen sich Fleisch und Fisch länger
aufbewahren. Nach T i s s i e r und M a r t e 1 1 y ^) genügt z. B.
IVoo Schwefelsäure oder eine äquivalente Menge anderer Säuren, um
Fleisch vor Fäulnis zu bewahren; 0,5^00 verzögert die Fäulnis um
U Tage. Genau genommen ist die Säurekonzentration in diesen Fällen
eine höhere, weil der Säuregehalt des Fleisches selbst (etwa 1,2^^0)
hinzugerechnet werden muß. Die Erklärung für diesen Einfluß der
sauren Reaktion liegt darin, daß dadurch nicht nur die proteoljrtischen
Enzyme (§ 165) ihre Wirksamkeit einbüßen, sondern auch schon das
Wachstum der Fäulnisbakterien gehemmt wird, oder diese so ge-
schwächt werden, daß sie kein Enzym ausscheiden (§ 41). Wo ge-
nügende Säuremengen noch nicht im Nährboden enthalten sind, um
schädUch zu wirken, werden sie leicht entwickelt durch saure
Gärungen von Kohlehydraten. Darauf beruht der hem-
mende Einfluß dieser Stoffe auf die Fäulnis, dem wir schon öfter be-
gegnet sind, und auf den wir noch zurückkommen werden (§186). Milch-
säure- und Buttersäurebakterien sind in der Gesellschaft der Fäulnis-
bakterien überall verbreitet, sie überwuchern die letzteren ohne Mühe,
wo sie zusagende Nahrung finden.
1) Annal. Pasteur 1902. 901.
576 Kap. IX, § 186 u. 186.
Nicht gehemmt selbst durch viel Säure werden die genannten
Säurebakterien, femer Hefe- und namentlich Schimmelpilze. Da die
letzteren bei genügendem Sauerstoffzutritt auch das Eiweiß stark an-
greifen, wird unter solchen Umständen durch die Säure nicht jede
Eiweißzersetzung gehemmt, sondern nur die Fäulnis: die Verwesung
kann dann um so schneller Fortschritte machen: das Verscliinmieln
von sauren Nahnmgsmitteln, die Fäulnis des Obstes ist weiter nichts
als solche Verwesung {§ 181 u. 182). Das Schimmelpilzwachstum ist
allerdings gewöhnlich ein begrenztes, es setzt sich selbst ein Ziel dadurch,
daß die Pilze die organischen Säuren verbrennen und die saure Reak-
tion auch durch Ammoniakbildung aus dem Eiweiß herabsetzen. Ist
das geschehen, so können die Bakterien wieder aufkommen: Fäulnis
löst dann die Verwesung wieder ab. Nur in dem Fall behalten die
Schimmelpilze länger das Feld, wenn der Wassergehalt des Nährbodens
ein so geringer ist, daß die Bakterien nicht mehr dabei gedeihen (§ 40).
Die hemmende Wirkung der Säure auf die Fäulnis kann natürlich
nicht eintreten, wenn sie nachträglich oder gleich bei ihrer Bildung
neutralisiert wird, also z. B. wenn Kreide (kohlensaurer Kalk) reichlich
und genügend fein verteilt im Nährboden vorhanden ist.
Der Einfluß alkalischer Reaktion macht sich im entgegengesetzten
Sinne bemerkbar wie der der Säuren. Die Fäulnis von Fleisch wird
z. B. befördert durch Zusatz von Soda, die hier wirkt wie kohlensaurer
Kalk, indem die vorgebildete oder aus den Flüssigkeiten erst ent-
wickelte Säure dadurch neutralisiert wird. Auch wo keine Säure zu
neutralisieren ist, hat der Alkaligehalt des Nährbodens eine ge-
wisse Bedeutung für den Verlauf der Fäulnis, insofern nach Blumen-
t h a 1 ^) sich zwar — innerhalb gewisser Grenzen — die Intensität der
Zersetzung nicht wesentlich ändert, aber die Menge der einzelnen Zer-
setzungsprodukte schwankt: Ein Zuviel von Alkali kann
z. B. die Schwefelwasserstoffbildung völlig hin-
dern und die Merkaptan- und Indolbildung sehr
herabsetzen, erhöht aber andererseits die Säure -
ausbeute.
Ebenso wie Kohlehydrate die saure Reaktion, so befördern Harn-
stoff und andere leicht in Ammoniak zerfallende Körper die alkaKsche
Reaktion der Faulflüssigkeiten. In Mist und Jauche ist das be-
sonders der Fall. Dadurch kann die Alkalinität so hoch ansteigen,
daß, obwohl immer ein Teil des Ammoniaks durch Verdunstung ent-
fernt wird, die Fäulnis früh zum Stillstand kommt. Beides, die Henamung
der Zersetzung wie die Verdunstung des Ammoniaks, ist für die land-
1) Zeitschr. f. klin. Med. 28. 240, 1895.
Wandlungen der Eiweißkörper. 577
wirtschaftliche Auanutzimg der Dungstoffe vom Übel, ein Hilfsmittel
dagegen aber in der Verwendmig von anmioniakbindenden Stoffen,
wie Schwefelflättre, Superphosphat imd namentlich Gips^) (dem schwefel-
sauren Kalk), der sich mit dem Ammoniak zu schwefelsaurem Ammoniak
und kohlensaurem Kalk umsetzt, gegeben.
§ 186. Einfluß gewisser Stoffe auf die Fäulnis. Es ist eine
lange bekannte Tatsache, daß Milch, trotz ihrem hohen Eiweißgehalt,
sehr wenig zur Fäulnis neigt, ja, andere fäulnisfähige Stoffe, wie Fleisch,
gegen Fäulnis zu schützen vermag. Hirschler 2) stellte dann fest^
daß der Gehalt der Milch an Zucker daran schuld wäre, und daß der
Milchzucker mit dem gleichen Erfolge durch andere Kohlenhydrate^
wie Dextrin, Bohrzucker und selbst durch Glyzerin ersetzt werden
könnte. Gleichzeitig glaubte er aber nachweisen zu können, daß die bei
der Vei^ärung jener Substanzen entstandenen Säuren (s. o. § 185)
nicht schuld an der Hemmimg der Fäulnis sein könnten, weil Zusatz
von kohlensaurem Kalk die Wirkung nicht aufhöbe. Auch Winter-
n i t z ^ imd S e e 1 i g *) kamen zu demselben Schluß und schrieben
daher dem Zucker, insbesondere dem Milchzucker, einen spezifischen
Einfluß zu. Auch im Darm soll diese fäulniswidrige Eigenschaft des
Milchzuckers zu beobachten sein, wie die bekannten Erfahrungen an
Säuglingsstühlen und Emährungsversuche von Erwachsenen mit
Milch- und Kefyrdiät lehrten^). Gegen diese Erklärung sprach aller-
dings schon die Entdeckung Flügges*), daß es Anaerobier gibt,
die sterilisierte Milch in stinkende Fäulnis versetzen. Dann erhielt
Bienstock') denselben Befund mit dem gewöhnlichen Fäulnis-
erreger, dem Bac. putrificus, und den Bazillen des malignen Odems
und Bauschbrandes, während die Fäulnis durch diese Bakterien nicht
hervorgerufen wurde, wenn sie in unsterilisierte Milch übertragen
wurden. Ein näheres Studium ergab weiter, daß die Milchsäurebakterien
oder andere Mikroorganismen, die wie diese den Milchzucker vergären
(B. coli und aerogenes), es sind, die das Aufkommen der Fäulnis ver-
hindern. Nach der Ansicht Bienstocks spielen die Hauptrolle
dabei die bei der Gärung entwickelten Säure mengen. Zugabe von
1) Severin, Zentr. Bakt. 2. Abt. II, 389, 1904.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 10, 1886.
3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 16, 1892.
4) Virch. Arch, 146, 1896.
5) Bovighi, Zeitschr. physiol. Chem. 16, 1892. Neuerdings wird
von Metschnikoff besonders der Yoghurt bzw. dessen Säurebildner,
der Bac. bulgaricus (Lit, S. 288 Anm. 2), zur Bekämpfung der Darm-
fänlnia empfohlen (vgl. auch Infektionslehre).
6) Zeitachr. f. Hyg.lV, 1894.
7) Arch. f. Hyg. 49, 1901.
Kro8e, Mikrobiologie. 37
578 Kap. IX, § 186 u. 187.
kohlensaurem Kalk beseitige die Hemmung, wenn man ihn nur öfter
mit der Nährflüssigkeit verrühre. Es sollen aber daneben noch andere
Stoffwechselprodukte der genaimten Bakterien in Betracht kommen,
die deswegen als Antagonisten der Fäulniserreger zu bezeichnen wären.
Nach dem, was wir auf S. 575 und 565 über die Erfahrungen von
Tissier, Martelly und 6asching mitgeteilt, ist diese An-
nahme wohl überflüssig. Die Säurewirkung allein erklärt alle Er-
scheinungen genügend.
Was von der stinkenden Fäulnis gilt, scheint, wie wir S. 511 und
539 sahen, auch von der Bildung des Indols und anderer Spaltungspro-
dukte des Eiweißes in Reinkulturen des B. proteus imd coli zu gelten.
Bei Gregenwart von gärfähigem Zucker fällt die Indolreaktion aus, doch
muß nach Tissier und Martelly in einer Iprozentigen Peplonlösung
mindestens 0,2% Zucker vorhanden sein, wenn das Indol dauernd fehlen
soll. Das entspricht auch den eigenen Erfahrungen des Verfassers^).
Wenn die Fäulniserreger durch die Kohlenhydrate und Säuren
in ihrer Tätigkeit beeinträchtigt werden, so werden die Verwesungs-
erreger, wie Schimmelpilze, Hefe usw., im Gegenteil gefördert. So er-
klärt sich die oft hervorgehobene Tatsache, sehr einfach, daß a n i m a -
lisohe Stoffe viel mehr zur Fäulnis, vegetabilische
zur Verwesung neigen.
Von dem Einfluß des Harnstoffs auf die Fäulnis haben wir
schon S. 576 gesprochen. Dadurch, daß viele Mikroorganismen ihn in
kohlensaures Ammon verwandeln, wird die alkaUsche Reaktion des
Nährbodens erhöht, die Zersetzimg unter Umständen gehemmt.
Die Anwesenheit von salpetersauren Salzen in Faul-
flüssigkeiten hat keine nachweisbare Wirkung auf den Faulprozeß
selbst, wohl aber auf die Zusanmiensetzung der Gase, die dabei ent-
wickelt werden. Die Salpetersäure verfällt nämlich durch die Wirkung
von zahlreichen im Kot, Erdboden usw. vorkommenden Bakterien
einer Beduktion zu salpetriger Säure und schließUch zu freiem Stick-
stoff (§ 198). Wo aus Fäulnisgemischen dieses Gas entwickelt wird,
hat man daher auf Salpetersäure zu fahnden, eine andere Entstehungs-
weise ist wohl nur ausnahmsweise anzunehmen (S. 525).
Auf der anderen Seite können bei reichlichem Sauerstoffzutritt
aus dem Ammoniak des verwandelten Eiweißes Nitrite und Nitrate ge-
bildet werden. Die Nitrifikation verlangt im allgemeinen aber eine
an organischen Substanzeu so arme Nährlösung, daß sie erst beginnen
kann, wenn die verwesenden Stoffe eine solche Verdünnung erfahren
1) Kruse, Zeitschr. f. Hyg. 17. 48, 1894. Vgl. auch das beim Coli-
bazillus (§ 174) Gesagte.
Wandlungen der Eiweißkörper. 579
haben, daß der Verwesungsprozeß praktisch zum Stillstand gekommen
ist. Im Erdboden mid in Filtern scheinen allerdings die Dinge für die
Xitrifikation günstiger zu liegen als in miseren Nährlösmigen (§ 196).
Die Dichtigkeit der Nährstoffe ist auch sonst für den
Verlauf der Zersetzimg von Bedeutimg. Nach H i 1 1 e r ^) bewirkt
z. B. die einfache Verdünnimg im scheinbar ganz ausgefaulten Fleisch-
aufguß mit Wasser eine Wiederholung der Fäulnis. Sie erklärt sich
wohl dadurch, daß in der verdümiten Flüssigkeit die alten Mikro-
organismen teilweise wieder bessere Existenzbedingungen vorfinden,
weil sie nicht mehr durch ihre schädlichen Stoffwechsel gehemmt
werden, teils neue Formen sich entwickeln, die vorher nicht aufkonamen
konnten. Die Eindickung des Nährbodens wird unter Umständen
eine ähnliche Wirkung haben. Es findet dabei einerseits eine Ver-
dunstung schädlicher Stoffe (Ammoniak, Indol) statt, andererseits
wird der Wassergehalt und dadurch die Nährfähigkeit verändert. Geht
er unter eine gewisse Grenze, so ist das Wachstum von Bakterien
nicht mehr möglich, und Schinunelpilze lösen jene ab. Wird daher
künstlich eine Substanz so weit vom Wasser befreit, so wird sie dadurch
gegen die Fäulnis durch Bakterien geschützt und unterliegt nur noch
der Gefahr des Verschimmeins. Entfemimg des Wassers bis auf 10
bis 15% oder oberflächliche Austrocknung beseitigt auch diese (§ 40).
Viele natürliche Flüssigkeiten, wie Blut, Serum und Eiter, sind
^hon so konzentriert, daß sie nur langsam sich zersetzen. Werden
sie mit Wasser verdünnt, so geraten sie viel schneller in Fäulnis. Wie
der hohe Eiweißgehalt für tierische, so wirkt der hohe Zuckergehalt
für pflanzliche Stoffe als Schutz gegen Fäulnis. Künstlich vermehrt
man den letzteren bei der Konservierung (dem sog. Einmachen) der
Früchte. Durch Einsalzen (Pökeln) erreicht man dasselbe Ziel beim
Fleisch (a. a. O.).
§ 187. Einfluß physikalischer Bedingungen auf Fäulnis
und Verwesung. In erster Linie kommt von den physikalischen Ein-
flüssen die Wärme in Betracht. Wie für die meisten biologischen
Erscheinungen bilden Temperaturen von 5 — 40® C die Grenzen, inner-
halb deren die Fäulnis regelmäßig verläuft. Annäherungen an den
Gefrierpimkt heben die Zersetzung völlig auf, ebenso Erhitzung auf
CO^ und mehr (§ 42).
Der Einfluß des Lichtes ist insofern unverkennbar, als er
die Wucherung chlorophyllhaltiger Pflanzen begünstigt und die der
nicht chlorophyllhaltigen bei einer gewissen Intensität hemmt (§ 45).
Mittelbar werden dadurch natürlich auch die chemischen Vorgänge
I) Lehre von der Fäulnis 1879, S. 455.
87*
580 Kap. IX, § 187.
beeinflußt. Unter natürliclien Bedingungen, wo höchstens eine perio-
dische oder sehr ungleiche Belichtung zur Geltung kommt, wird man
die Bedeutung des Lichtes nicht überschätzen dürfen. Die „bak-
teriologische Selbstreinigung" des Wassers ist daher nur zum
kleinsten Teil auf die BeUchtung zurückzuführen, wenn letztere auch
ebenso wie bei der chemischen Selbstreinigung eine gewisse Rolle
spielt^). Das Licht erzeugt ja antiseptische Stoffe wie H2O2 (S. 154).
Einen großen Einfluß auf die Verhütung der Fäulnis hat man
auch der Bewegung zuschreiben wollen. Ruhende Flüssigkeiten
sollen schneller faulen als strömende, Fleisch in ruhender Luft schneller
als in bewegter. Die Tatsachen sind nicht zu bezweifeln, die fäulnis-
hemmende Wirkung des Sauerstoffe, also die Lüftung, hat aber
jedenfalls einen wesentlichen Anteil an dem Erfolg (§ 184), daneben
kommt für das zweite Beispiel Abkühlung und Eintrock-
nung der Oberfläche durch Luftströme als ein der Zersetzung
hinderlicher Vorgang, für das erste Beispiel Absetzen imd A n -
h ä u f u n g der Sinkstoffe als ein ebenso förderlicher in Betracht.
Li unseren Wasserläufen läßt sich der üble Einfluß der „Stagnation"
oft beobachten. Da, wo die Strömung eine kräftige ist, hat die Einlei-
timg von Schmutzwässem anscheinend — d. h. für den Geruchssinn —
keine schädlichen Folgen, wo sie sich verlangsamt, setzen sich dagegen
die in den Schmutzwässern schwebenden fäulnisfähigen Körper als
Schlamm zu Boden, und der Schlanmi gerät dann namentlich im
Sommer in Fäulnis^). Eigentümlicher Art scheint zunächst die „Fäul-
nis", die ein verhältnismäßig reines Wasser, z. B. in Zisternen, Be-
hältern, Talsperren durchmacht, wenn es in Ruhe verharrt. Wahr-
scheinlich hängt aber auch sie zum Teil von der Anwesenheit fäubis-
fähiger Bodensätze in solchen Wässern ab, die unter günstigen Be-
dingungen, z. B. beim Steigen der Temperatur, in wirkliche Fäulnis
übergehen. Aber auch die löslichen Bestandteile des Wassers und
namentlich des Untergrundes sind dabei von Bedeutimg. So tritt
die „Wasserverderbnis des Hochsommers" gewöhnlich nur in solchen
Talsperren ein, die so flach sind, daß sie Pflanzen wuchs ge-
statten, oder deren Boden nicht genügend von organischen Resten
gereinigt ist, oder die schmutzige (nitrathaltige?) Zuflüsse empfangen.
Sie macht das Wasser gelb bis braun, übelriechend (nach Schwefel-
wasserstoff) imd eisenhaltig. Eine ausreichende mikrobiologische
Untersuchimg der Veränderung fehlt. Auffallend ist aber der ver-
1) Vgl. Kruse, Zeitschr. Hyg. 17. 30, 1894 u. 59. 60—62, 1908;
Zentr. allgem. Gesundheitspflege 1899. 37.
2) Vgl. darüber besonders die letztgenannte Arbeit.
Wandlungen der Eiweißkörper. 581
hältnismäßig geringe Gehalt an züchtbaren Bakterien^). Vielleicht
spielen nicht die gewöhnlichen (s. u.), sondern eigentümliche sulfat-
reduzierende Mikroben, die in der Tiefe der Wasserbecken unter Um-
8täiiden zur Wucherung gelangen, dabei die Hauptrolle (§ 212).
Auf der anderen Seite ist nämlich die R u h e für die bakterio-
logische Selbstreinigung des Wassers von der aller-
größten Bedeutung^). Sie bewirkt z. B., daß das Wasser der Tal-
sperren sich von züchtbaren Keimen, die es beim Eintritt in dieselben
reichlich enthält, im Laufe von wenigen Wochen fast völlig befreit,
während die Keimzahl in einem durch Kanalwasser verunreinigten,
schnell fließenden Strome sich Hunderte von Kilometern imterhalb
noch ziemlich unverändert erhält. Der Grund dafür liegt wohl im
wesentlichen darin, daß der Nahrungsmangel im Wasser im
ersten Falle die Keime abtötet, weil er viel länger einwirkt, als im
zweiten. Daher fehlt die Selbstreinigung auch in eigentlichen Schmutz-
wässern, die genug Nahrung für alle möglichen Kleinwesen enthalten.
Bemerkwert ist, daß die Keimarmut, also die bakteriologische Selbst-
reinigung namentlich in den oberen Schichten eines Staubeckens mit
der obenerwähnten chemischen Wasserverderbnis, die in den unteren
Schichten am stärksten ausgesprochen ist, Hand in Hand gehen kann.
Gerade das gibt uns ein Recht, die letztere als einen Vorgang be-
sonderer Art zu betrachten.
Sehr wichtig ist, wie wir schon früher bemerkten (S. 571), der Ein-
fluß des natürlichen Bodens oder künstlicher Filter auf die Zer-
setzungsvorgänge. Bekanntlich wird durch Yermengung mit Erde,
namentlich mit humushaltiger, stinkende Fäulnis schnell zum Still-
stand gebracht. Der üble Greruch verschwindet sogar augenblicklich.
Diese Wirkung hat man von jeher durch Flächenanziehung,
wie sie allen porösen Körpern eigen ist, die sog. Adsorption oder Ab-
sorption der Gase und gelösten Stoffe erklärt. Doch ist damit die
Wirkung noch nicht abgeschlossen. Die absorbierten Stoffe werden
zersetzt, und zwar, wie es bei der durchlässigen Natur der Unterlage
nicht anders möglich ist, in erster Linie unter Beteiligung des Luft-
»auerstoffa, also durch Oxydation, oder wie man auch, dem Sprach-
gebrauch folgend, sagen kann, durch Verwesung.
Die poröse Beschaffenheit des Erdbodens ist augenscheinlich nicht
Woß von Wichtigkeit, weil sie die Absorption und Oxydation der orga-
1) Vgl. Kruse, Zentrbl. allgem. Gesundheitspfl. 1901. 145 vaid
Zeitschr. Hyg. 59, 56, 1908.
2) S. meine eben angeführten Arbeiten. Die Bedeutung der Pflanzen
^d Protozoen für die Selbstreinigung wird u. E. überschätzt (vgl. S. 573).
582 Kap. IX, § 187 u. 188.
nisclien Substanzen durch Flächenwirkung und Luftgehalt ermöglicht,
sondern sie wirkt auch dadurch, daß sie die zu den Zersetzungen nötige
Feuchtigkeit einerseits festhält, andererseits in gewissen Grenzen die Zir-
kulation der Flüssigkeiten und damit eine Verteilung der Nährstoffe,
Veränderungen der Konzentration imd Reaktion und durch die ver-
schiedene Fällung mit Wasser sogar einen periodischen Wechsel zwischen
Aerobiose und Anaerobiose herbeiführt. Es ergibt sich daraus eine
MannigfaltigkeitvonLebensbedingungen im Erd-
b o d e n , welche wesentlich die Vollständigkeit der Zersetzung, die
Erreichung des Endziels, die vollständige Mineralisie-
rung der organisch en Substanz bewirkt.
Nebenbei bemerkt sei, daß Oberflächenwirkungen auch
von wesentlicher Bedeutung sind für die Leistungen der sog. Bakterien-
filter. Wahrscheinlich ist das schon für die sehr feinporigen Kiesel-
gur-, Porzellanfilter u. dgl., ganz sicher aber für die gewöhnlichen
zur Wasserfiltration benutzten Sandfilter, deren Poren viel zu groß
sind, um Keime an sich zurückzuhalten, und die trotzdem, besonders
nach ihrer Verschleimung durch längere Benutzmig, aber auch schon
ohne diese dazu fähig sind. Die Verschleimung bewirkt übrigens, daß
selbst große Wasserleitungsröhren die Keimzahl des sie durchfließenden
Wassers herabsetzen^).
§ 188. Fäulnis und Krankheit. Die Fäulnis verändert nicht
bloß die tote organische Substanz, sondern sie hat auch mannigfache
Beziehungen zur lebenden Welt, sie verursacht unter Umständen
Krankheit und Tod. Die Uberzeugimg, daß dem so sei, ist eine sehr
alte, ihre Geschichte zu verfolgen wird Angabe der „Lifektions-
lehre" sein. Wir wollen nur in Kürze die Beziehungen feststellen,
die tatsächlich zwischen Fäulnis und Krankheit bestehen.
Können Organismen bei lebendigem Leibe verfaulen? Für be-
stimmte Bedingungen kann man diese Frage bejahen. Man kann
zunächst an lebenden Pflanzen oder Pflanzenteilen (Knollen,
Früchten) sogar durch Einimpfung gewöhnlicher „saprophytischer"
Bakterien (Bac. fluorescens hquefaciens, mesentericus, coli) Zerfallspro-
zesse erzeugen, die der Fäulnis abgestorbener Substanzen sehr ähnlich
sind (§ 356). Dazu sind aber gewöhnlich große Mengen der Fäulnis-
erreger nötig, femer müssen die Pflanzen verwundet werden und auch
durch andere schädigende Einflüsse in ihrer Widerstandskraft ge-
schwächt sein. Doch konmien auch in der Natur derartige Krank-
heiten vor. Auch bei niederen Tieren gelingen ähnliche In-
fektionen mit Fäulniserregem manchmal ziemlich leicht. So konnte
1) Vgl. Kruse, Zeitschr. Hyg. 59. 64 und 70 ff., 1908.
Wandlungen der EiweiDkörper. 583
F i 1 a t o f f ^) Küchenschaben durch ^ Einverleibung aller möglichen
Sapiophyten töten. Eine natürliche Ejrankheit, die Faulbrut der
Bienen, soll nach Lambotte^) durch den gewöhnlichen Kartoffel-
bazUlus (Bac. mesenteiicus) verursacht werden. Bei den Warm-
blütern beobachtet man echte und stinkende Fäulnis an ganzen Gliedern
und Organen (sog. Gangrän) nicht selten. Doch ist die gewöhnliche
Vorbedingung dafür, daß die betreffenden Körperteile schon vorher
(z. 6. durch Verstopfung der Blutgefäße) abgestorben oder zum min-
desten sehr in ihrer Lebensfähigkeit geschwächt und durch mechanische
Einflüsse geschadigt sind, wie bei dem Dekubitus (dem „Durchliegen''
oder „Druckbrand''), der stark in ihren Kräften herabgekommene
Kranke heimsucht. Das Zusammenwirken einer großen Zahl von
Saprophyten befördert derartige Prozesse, daher sie denn auch bei
unreinlich gehaltenen Ejranken viel leichter eintreten. Die große Menge
von Keimen ist es auch, die von verunreinigten Wimden aus gelegentlich
einen fortschreitenden Fäulnisprozeß, den sog. Gasbrand, erzeugt. Doch
steht der Erreger, der Bac. emphysematicus (oder perfringens), anderen
anaeroben spezifischen Infektionserregern, dem Bazillus des Rausch-
brands, malignen Odems und Tetanus schon näher als den gewöhn-
lichen Fäulnisanaeroben (vgl. § 113 u. 168). Nicht zufällig ist es, daß
sich zu eigentlichen Infektionsprozessen häufig genug sekundäre Fäulnis-
erreger^) gesellen und dadurch putride Eiterungen verursachen: offen-
bar wird das lebende Gewebe erst durch die Infektion für die Wirkung
der Saprophyten vorbereitet. Soviel ist sicher, daß die lebenden
undgesunden GewebederhöherenTieredenFäul-
niserregern im allgemeinen einen erfolgreichen
Widerstand entgegensetzen, und daß diejenigen
Mikroorganismen, denen gegenüber dieser Wi-
derstand versagt — die Infektionserreger — nicht
eine Auflösung der organischen Substanz er-
zeugen, die mit der Fäulnis auf eine Stufe zu stellen
ist, sondern nur durch besondere Stoffe Verände-
rungen der Gewebe und so unter eigener Vermeh-
rung Krankheiten und Tod ihres Wirtes verur-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11. 2025, 1904.
2) Annal. Pasteur 1902. Nach Maaßen, Art. biol. Abteil. Ge-
Bvindheitaamt 6, 1908, handelt es sich allerdings um eine besondere Bakterie,
den Bac. Brandenburgensis. Andere Erreger sind der Bac. alvei und
Streptococcus apis (auch von B u r r i gefunden).
3) Dazu gehören namentlich die Anaerobier von V e i 1 1 o n und
Zuber (Arch. m^. exp^r. 1898) und Rist (Zentr. Bakt. 30. 7). Nur
teilweise stimmen sie mit den bekannten Fäulniserregem überein.
584 Kap. IX, § 188.
Bachen^). Bei niederen Tieren und namentlich bei Pflanzen ist
diese Trennung zwischen Infektions- und Fäulniserregem lange nicht
so scharf ausgesprochen.
Der Unterschied zwischen den Erscheinungen der Fäulnis und
Infektion war vor 30 — 40 Jahren noch nicht so sicher erkannt. Man
glaubte sogar sehr allgemein, die Erreger beider Prozesse miteinander
identifizieren oder wenigstens in engste genetische Beziehung setzen
zu müssen, ob man nufdie Existenz 4amscher Erreger oder rein
chemischer Ursachen (Miasmen, Kontaktstoffe) annahm. Der Name
Sepsis, Septizämie, „Faulfieber**, ist bezeichnend genug. DieEntwicklimg
der Bakteriologie hat diesen Irrtum aufgeklärt. Wir wissen allerdings,
daß echte Infektionserreger, z. B. die Bazillen der Mäuseseptizämie,
Kaninchenseptizämie und auch pathogene Kokken (R. Koch) in
faulendem Material vorkommen können. Doch sind das mehr zu-
fällige Befunde oder Ausnahmen. Das Feld ihres Vorkommens ist im
allgemeinen ein durchaus verschiedenes. Man kann sogar den Anta-
gonismus zwischen Fäulnis und Infektion, für den
besonders N ä g e 1 i ^) stritt, nicht leugnen. In faulenden
Stoffen gehen Infektionserreger gewöhnlich
schnell zugrunde, verlieren z. B. in verwesenden Kadavern
bald ihre Infektionsfähigkeit^). Dadurch wird die Abstanmiungs-
frage natürlich nicht berührt; es ist vielmehr wahrscheinUch, daß die
Infektionserreger sich stammesgeschichtlich aus eiweißzersetzenden
Arten entwickelt haben (§ 356 ff. u. 359), die Anpassung an eiweißhaltige
Nährböden ist ja selbstverständliche Voraussetzung für ihre Fähigkeit,
im lebenden Körper zu wachsen. Bei den pathogenen Anaeroben
liegt die Verwandtschaft mit den nicht pathogenen übrigens auf der
Hand.
Abgesehen von den oben beschriebenen Fällen, in denen die Sapro-
phyten im lebenden Organismus wachsen und dabei wie auf totem
Nährboden Fäulnis erregen, könnten sie noch, ohne im Körper zu
wachsen, durch von ihnen gebildeten Stoffe schädlich wirken. Mög-
lich ist das allerdings, wie die zahlreichen im vorigen Jahrhundert
ausgeführten Einspritzimgen von Faulflüssigkeiten in das Blut oder
unter die Haut von Tieren beweisen*). Häufig genug kann man frei-
1) Vgl. § 61 und Kap. XVT u. XVII.
2) Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrank-
heiten und der Gesundheitspflege. München 1877.
3) Vgl. z. B. bei E. Klein, Zentr. Bakt. 25, L ö s e n e r , Arb.
Gesundheitsamt 12, 1899.
4) S. ausführliche Besprechung bei H i 1 1 e r , Lehre von der Fäulnis,
1879 und § 259.
Wandlungen der Eiweißkörper. 5S5
lieh bei den Versuchen im Zweifel sein, ob die schädliche Wirkung
von lebenden Mikroorganismen oder von gelösten Substanzen ver-
ursacht wurde. In vielen Fällen waren es aber sicher letztere, die Gifte
der Fäulnisbakterien. Über die chemische Beschaffenheit dieser
Stoffe, auf die wir in Kap. XVI genauer eingehen werden, weiß man
bisher trotz vieler darauf gerichteter Untersuchimgen recht wenig.
Die von B r i e g e r rein dargestellten Fäuhüsalkaloide oder Ptomaine
kommen wohl für die Giftwirkung nur nebenher in Betracht (§259).
Alles deutet vielmehr darauf hin, daß die Gifte verwickelter gebaute
Stoffe sind. Haben nun aber die Einspritzungsversuche überhaupt eine
praktische Bedeutung, beweisen sie, daß die chemischen Produkte der
Fäulnis unter den natürlichen Resorptionsbedingimgen für Mensch
und Tier schädlich sind? Nur in beschränktem Maße kann das zu-
gegeben werden, nämlich für die Fälle von Wundfäulnis, Gangrän usw.
Man kann da vielleicht von „putrider Intoxikation'' sprechen, obwohl
die Wirkung der Fäulnisprodukte imd der gleichzeitig vorhandenen
echten Infektionserreger schwer zu trennen ist, und die letztere ge-
wöhnhch überwiegt.
öfter hat man es mit der Aufnahme von Fäulnis-
stoffen durchdenVerdauungskanalzu tun, der freilich
allem Anschein nach gegen schädliche Giftwirkungen von dieser Art
ziemlich gefeit ist. Auf die Aasvögel imd Raubtiere, die von faulenden
Kadavern sich nähren, wird man allerdings zum Beweis dieser Lehre
kaum hinweisen können, da sie sich möglicherweise ihre Widerstands-
fähigkeit gegen die Fäulnisgifte erst erworben haben. Andererseits darf
man auch nicht die bekannte Tatsache, daß Fische durch die Einleitimg
von Schmutzwasser in Flüsse und Seen geschädigt werden, als Beweis für
eine giftige Wirkung der Faulstoffe ansehen, denn wenn man von sehr
hohen Konzentrationen der letzteren absieht, ist der Sauerstoff-
m a n g e 1 in solchen Grewässem die eigentliche Ursache des Fischster-
hens^). Die Verhältnisse bei Fischen und Säugetieren sind ferner schon
deswegen nicht vergleichbar, weil das venmreinigte Wasser wohl auf
die Kiemen der ersteren, nicht auf die Lungen der letzteren wirkt.
Beweiskräftig genug sind aber schon die Erfahrungen des täglichen
Lebens: Nahrungsmittel, die in dem ersten Stadium fauliger Zersetzung
begriffen sind, werden häufig und ohne Schaden aiifgenommen. Gerade
diese erste Fäulnisperiode soll aber die schlimmsten Gifte erzeugen
(H i 1 1 e r). Auch das Vieh genießt häufig verdünnte Jauche an Stelle
von Trinkwasser, ohne Nachteil davon zu haben. Außerdem sind
1) W e i g e 1 1 , Arch. f. Hyg. 3, 1885. Vgl. König, Verunreinigung
der Gewässer, 2. Aufl. 1899, 2. 31.
586 Kap. IX, § 188.
aber Fütterungs versuche mit allerhand faulendem Material
angestellt worden. So trank Emmerich^) große Mengen stark
verunreinigten Bachwassers trotz anfänglich vorhandenen Magen-
katarrhs ohne Beschwerden. T i s s i e r und Gasching^) ver-
fütterten faules Fleisch und stark zersetzte Milch an junge Tiere und
erwachsene Menschen ohne Erfolg. Weite ^), Spieckermann
und Bremer*), König und Spieckermann^) sahen ebenso-
wenig Nachteil, wenn sie verschimmeltes Brot und verschimmeltes
oder verfaultes Baumwollensaatmehl Menschen oder Tieren zur Nahrung
gaben. Auch der Hausschwamm ist ohne Einwirkung auf die Ge-
sundheit der Menschen (H artig, Gottschlich *)).
Nun wird man ja freilich den Wert solcher Versuche nicht über-
schätzen dürfen. Es wird wohl empfänglichere Individuen besonders
in zartem Alter geben, denen derartige verdorbene Nahrung nicht
bekommt. Das Ekelgefühl, das dadurch hervorgerufen wird, kann allein
schon krankmachen. Immerhin kann man nicht leugnen, daßdemDarme
eine starke Widerstandsfähigkeit gegenüber Faulstoffen zukommt.
Dieser Satz wird auch dadurch bestätigt, daß ziemlich selten
Krankheitserscheinimgen nach dem Genuß ursprünglich gesunden,
aber später verdorbenen Fleisches beobachtet wurden. VanErmen-
g e m ') fand unter mehr als 100 Epidemien an Nahrungsmittelver-
giftung mit mehr als 6000 Erkrankten nur 9, in denen der 6e-
simdheitszustand der Schlachttiere unbekannt war, dagegen 103, wo
sie nachgewiesenermaßen an Septizämie, Pyämie, Enteritis ubw. krank
gewesen waren. „Fäulnis" des Fleisches wurde in sicherer Weise nur
5 mal angegeben. Die beteiligten Bakterien sind wahrscheinlich ge-
wisse Abarten des Bac. proteus, coli usw. Über die Gifte vgl. § 300
u. 288.
Mit den gewöhnlichen Fäulnisgiften nichts zu tun hat das Käse-,
Fisch-, Wurst- und Fleischgift, das vom Darmkanal aus
sogar epidemische Krankheiten verursacht. Soweit die betreffenden
Gifte und ihre Erzeuger überhaupt bekannt sind, sind sie besonderer
Art (vgl. Bac. botulinus, § 282, paratyphi, enteritidis § 287) und die
1) Zeit sehr. f. Biol. 14, 1878.
2) Annal. Pasteur 1903. 561.
3) Arch. f. Hyg. 25, 1896.
4) Landwirtsch. JcJirb. 1902.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 540.
6) Zeitschr. f. Hyg. 20.
7) Les intoxications alimentaires. Bull. aead. ra^d. de Belgique
1895, vgl. auch van Ermengem in Kolle-Wassermanns
Handb. path. Micr. 2. 665, 1903.
Wandlungen der Eiweißkörper. 587
Erkrankungen teilweise den echten Infektionen zuzuweisen, weil die
Keime sicli im erkrankten Körper vennehren.
Grelegenlilich kommen aucb. unter den weit verbreiteten Mit-
gliedern der Heubazillengruppe giftige Keime vor, die na-
mentlicli Säuglingen in der Milch gefäbrlich werden können (§ 301).
Ebenso führen manche Forscher die sog. Pellagra auf Gifte
von Schimmelpilzen zurück (§ 307). Eigentlich faule Zersetzmigen wer-
den aber diirch fast alle diese giftigen Keime nicht hervorgerufen.
Kapitel X.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper.
§ 189. Einleitung. Spaltung des Lezithins und Cholins.
Im folgenden sollen die Wandlungen, welche die nicht eiweißartigen und
nicht durch Fäulnis aus dem Eiweiß zu erhaltenden stickstoffhaltigen
Substanzen, (z. B. Aminosäuren, die wir ja in den vorstehenden Ab-
schnitten behandelt haben), durch Mikroorganismen erfahren, be-
sprochen werden^). Die einzelnen Umsetzungen, die hier in Frage
kommen, sind sehr imgleich bekannt. So fehlen z. B. Untersuchungen
über die Alkaloide, die im Pflanzenreich eine so große Rolle spielen
(vgl. S. 462). Gut studiert sind dagegen die Veränderungen der
Hippursäure, Harnsäure, des Harnstoffs, der Salpetersäure, des Am-
moniaks imd des Stickstoffs. Sie sind zugleich Beispiele für hydro-
lytische Spaltungen, Gärungen, Reduktionen, Oxydationen und
Sjoithesen.
Die im Tier- und Pflanzenreich weit verbreiteten Lezithine
werden nach R u a t a und C a n e v a 2) durch verschiedene Bakterien
(Bac. mesentericus, prodigiosus, Spir. Finkler-Prior) unter Wasser-
aufnahme in Cholin, Glyzerinphosphorsäure imd Fettsäuren gespalten.
Der stickstoffhaltige Bestandteil, das Cholin (Trimethyloxäthyl-
ammoniumhydroxyd CgH^gNOg) zerfällt dann durch die Fäulnis (unter
Luftabschluß) in Kohlensäure, Sumpfgas, Ammoniak und Methyl-
amin^). Nicht immer geht aber die Spaltung so weit, vielmehr steht
sie nach Briegers Feststellungen für Fäulnisbakterien und J e s e -
rieh und Niemanns*) Studien an Reinkulturen oft schon beim
N e u r i n C5H13NO, das durch Wasserabspaltung aus dem Cholin
entsteht, still. Die Bildung anderer Basen aus dem ChoUn durch,
die Fäulnis behandeln wir bei den giftigen „Ptomainen" (§ 259).
1) Die stickstoffhaltigen Glykoside wurden schon im Kap. VIII
erwähnt.
2) Annali d'igiene. Roma 1901. Über Keimtötung durch Lezithin
s. S. 18.
3) Hasebroek, Zeitschr. physioL Chem. 12. 148, 1888.
4) Hyg. Rundschau 1893. 813.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 5S9
§ 190. Spaltung der Gallensäaren und des Taurins. Durch
ältere Untersuchungen war wahrscheinlich gemacht worden, daß freie
Gallensäuren, insbesondere die Taurocholsäure, antiseptische Eigen-
schaften haben. Meyerheim ^) gab an, daß das für ihre Salze
nicht oder wenigstens nur ausnahmsweise^) (gegenüber Pneumo -
kokken, Tetragenus, Staphylokokken) zuträfe. So wachsen z. E.
Pyocyaneus- imd Proteusbazillen in den reinen Salzlösimgen sogar
ausgezeichnet, und Coli- imd Typhusbazillen zwar nicht in 1 — 5pro-
zentigen, aber doch in lOprozentigen Lösimgen. Die Verwertbarkeit
der Gallensalze zur Ernährung ist dadurch bewiesen, imd die Wahr-
scheinlichkeit, daß sie dabei auch gespalten werden können, gegeben.
Ob das durch Oxydation oder auf anaerobem Wege geschieht, darüber
erfahren wir von Meyerheim nichts. Immerhin hat schon
Hoppe-Seyler^) mitgeteilt, daß Taurocholsäure durch die Fäulnis
hydrolytisch in Cholsäure und T a u r i n imd dieses, die Aminoäthan-
sulfosäure C2H7NSO3 weiter zersetzt werde. Dabei wird nach N a -
w i a 8 k y 8 Untersuchungen mit Proteus (S. 250), sofern durch Kreide-
zusatz für neutrale Reaktion gesorgt wird, ziemlich reichlich Ammoniak
abgespalten. Weitere Studien wären erwünscht.
Ob der Ausfall des Cholestearins, die „Steinbildung" in der Galle
eine Folge der Zersetzung der Gallensäuren durch Bakterien ist, bleibt
zweifelhaft, weil auch durch Autolyse oder Epithelien die gleiche
Wirkung erzielt wird*). Jedenfalls spricht das für Enzymwirkungen.
§ 191. Spaltung der Säurcamide, besonders der Hippur-
saure. Die Säureamide sind, wie wir S. 110 u. 116 gesehen, meist fast
ebenso gute Nährstoffe wie die Aminosäuren. Über ihre Zersetzungen
weiß man aber fast noch weniger, als über die der letzteren (§ 168 ff.). Zu-
nächst liegt es sehr nahe, für sie an die Möglichkeit einer hydrolytischen
Spaltung in Ammoniak und Säure zu denken. In der Tat haben
A r n a u d und C h a r r i n (S. 526) sowie N a w i a s k y (S. 510) das
für das Asparagin, das Amid der Aminobemsteinsäure, gezeigt. Pyo-
cyaneus und Proteus bewirken die Spaltung schnell imd ypllständig.
Nach diesen Forschem ist der Vorgang ein enzymatischer, denn mit
den Chloroform- oder Azetonbazillen erreicht man dasselbe wie mit
den lebenden. S h i b a t a ^) hat ebenfalls aus dem Basen des
1) Zentr. Bakt. 44. 434, 1907.
2) Über die auflösende Wirkung der Galle und gallensauren Salze
auf manche Bakterien und Protozoen vgl. S. 17 ff.
3) Physiol. Chem. S. 318.
4) E X n e r und Heyrowsky, Wien. klin. Woch. 1908, 7 ; B a c -
m e i 8 1 e r , Münch. med. Woch. 1908. 5—7.
5) Hofmeisters Beitr. 5, 1004.
590 Kap. X, § 191.
Aspergillus niger ein Pulver hergestellt, das aus Azetamid, Oxamid,
Biuret und Harnstoff Ammoniak abspaltete. Die Beziehimgen des
Enzyms zu den tryptischen Enzymen sind noch zweifelhaft^). Die
weiteren Spaltungen werden natürlich ähnlich verlaufen, wie die der zu-
gehörigen Säuren, über die Vergärung der Asparaginsäure b7w.
des Asparagins durch den Proteus, Pyocyaneus usw. haben wir
schon a. a. 0. berichtet.
Bemerkenswert sind die Assimilationsversuche, die Bierema^)
unter Zusatz von guten Kohlenstoffquellen mit Säureamiden anstellt«.
Während gewöhnlich weder Stickstoffverlust noch Ammoniakbildung
eintrat, sondern die Amide glatt assimiliert wurden, ergab ein Bac.
pumilus mit Azetamid und Asparagin einen erheblichen Stick-
Stoffverlust, den B i e r e m a auf Abspaltung imd Verdunstung des
an die Karboxylgnippe gebundenen Ammoniaks zurückführt.
Die Hippursäure (Benzoylaminoessigsäure) hat eine ähn-
liche Zusammensetzung wie die Dipeptide E. Fischers, verhält
sich aber zu dem Trypsin, das jene durch Hydrolyse spaltet, anscheinend
verschieden^). Besonders wichtig ist die Hippursäure, weil sie bei
Pflanzenfressern bekanntlich ein wichtiges Endprodukt des Stoff-
wechsels ist. Nach van Tieghem*) verschwindet die Hippur-
säure aus dem Harn der Tiere oder künstlichen Lösungen von Hippur-
säure durch einen Kettenkokkus, den er dem Erreger der Harnstoff-
gärung (§ 195) gleichstellt. Dabei tritt Benzoesäure auf nach der
Gleichimg
CeHg . CO . NH . CHg . COgH + Bfi == C^HsCOgH +
Hippursäure Benzoesäure
NH^CHaCOjjHC+CöKal.)
GlvkokoU.
Auch später wurde die Hippursäurezersetzung gewöhnlich zusammen
mit der Harnsäure- und Harnstoff gärung studiert. Burri,Herfeldt
und Stu-tzer^) kamen dabei zu dem Schluß, daß die in der Jauche
enthaltenen Bakterien aus Harnstoff am schnellsten, aus Harnsäure lang-
1) Vgl. Gulewitsch, Zeitschr. physiol. Chem. 27. 544, 1899; Her-
zog ebenda 37. 391, 1902; Gonnermann, Pflügers Arch. 89. 493:
Lang, Hofmeisters Beitr. 5, 1904.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 707 u. 712, 1909.
3) N e n c k i und Blank (Arch. exper. Path. 20) fanden eine
Spaltung, was Gulewitsch (s. o.) aber nicht bestätigte.
4) These de la facult^ des sciences de Paris, 1864 Nr. 256 und Compt.
rend. 58. 210, 1864.
5) Journ. f. Landwirt seh. 1894.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 591
samer und am schwierigsten aus Hippursäiu^e Ammoniak abspalten.
Die Art der Umsetzung prüften sie nicht näher, ebensowenig wie
Y 0 8 h i m u r a ^), der Bodenproben aus verschiedener Tiefe in Hip-
pursaurelösungen impfte und dabei fand, daß die Anmioniakbildung
in der Nähe der Bodenoberfläche viel schneller vor sich geht, als in
der Tiefe. Die ausführUchsten Untersuchungen über Hippursäure-
zersetzung verdanken wir S c h e 1 1 m a n n ^). Er infizierte zunächst
reine Hippursäure-Mineralsalzlösungen oder Menschenham mit Jauche
und isolierte aus den in ammoniakalische Gärung geratenen 25 Bak-
terien, die Hippursäurelösungen unter Trübung und Ammoniakbildung
zu zersetzen vermochten, von denen aber nur vier daneben auch Harn-
stoff und Harnsäure spalteten. Umgekehrt fand Schellmann
in einigen Kölbchen mit Mineralsalzlösimgen, in denen Hippursäure
durch Harnsäure ersetzt war, und einigen anderen mit harnstoffhal-
tiger Feptonlösung 9 Bakterienarten, die sämtlich Harnstoff und Ham-
ßäure, nur selten aber auch Hippursäure zersetzten. Die Fähig-
keit zur Verwandlung der Hippursäure ist also
offenbar eine besondere Eigenschaft und hat mit
der, Harnstoff und Harnsäure zu zersetzen, nichts
gemein. Andererseits scheint aber, wie fast vorherzusehen, und wie
Verfasser aus weiteren Versuchen schließt, das Angriffsver-
mögen für Hippursäure mit dem für Glykoll zu-
sammenzufallen^). Übrigens war die Wirksamkeit der Bak-
terien eine ungleich starke und regelmäßig nur in Iprozentiger, nicht
immer in 2 — iprozentiger, nie in öprozentiger Hippursäurelösung vor-
lianden. Die 5 — 60 Tage alten Kidturen von fünf Hippursäure und
teilweise auch Harnstoff und Harnsäure spaltenden Arten in ipro-
zentiger Lösimg wurden zur Hälfte nach vorsichtigem Eintrocknen
auf Stickstoff-(Ammoniak-)verlust, zur anderen Hälfte nach Aus-
kochen mit Schwefelsäure auf Kohlenstoff-(Kohlensäure-)Verlust unter-
sucht. Am schwächsten wirkte ein Bakterium mit einem Verlust
von 13,3% N und 6,6% C, am stärksten auf den Kohlenstoff ein zweites
mit 53, 8% N imd 90,1% C und am kräftigsten auf den Stickstoff
ein drittes mit 56,9% N und 19,6% C. Danach glaubt Schell-
mann, daß die Hippursäure zunächst in Benzoesäure und GlykokoU
gespalten, dann die letztere vornehmlich zu Kohlensäure und Am-
moniak verbrannt und schließlich auch manchmal die Benzoesäure zum
großen Teil oxydiert wurde. Die wichtige Rolle des Sauerstoffs
1) Kochs Jahresber. 1896. 219.
2) Göttinger philos. Dissert. 1902 (Kochs Jahresber.).
3) Azetylglykokoll und Benzoylamidopropionsäure wurden von
einigen Arten ähnlich zersetzt.
592 Kap. X, § 191—193.
ist unverkennbar, denn unter Sauerstoffabschluß kam es niemals
zur Vergärung der Hippursäure. Ob nicht andere Bakterien jedoch
auch dazu befähigt sind, ist noch zweifelhaft^).
Auch Pilze scheinen die Hippursäure angreifen zu können. Wenn
es Nikitinsky^) nicht gelang, dabei Benzoesäure nachzuweisen,
so liegt das vielleicht daran, daß der Benzoylrest durch sie sofort weiter
verbrannt wird.
Die Versuche Bieremas^) verfolgten nur den Zweck, die
Brauchbarkeit der Hippursäure als Stickstoffnahrung zu beweisen.
Deshalb wurden den Hippursäure-Nährböden andere gute Kohlenstoff-
quellen beigegeben. Das Ergebnis war, daß Schimmelpilze die Hippur-
säure ohne Ammoniakbildung bzw. -verlust verbrauchten, während
ein Bact. erythrogenes sich ähnlich verhielt, aber etwas Ammoniak
abspaltete. *
Die Art der Zersetzung des Glykokolls ist übrigens durch
alle diese Arbeiten wie auch die sonstigen über Spaltung von Amino-
säuren (S. 519 imd 632) noch nicht genügend aufgeklärt.
§ 192. Fleischextraktivstoffe. Die vorzügliche Brauchbarkeit
des Fleischextrakts zur Ernährung von Mikroorganismen ist längst eine
bekannte Tatsache. TTber die Art, in welcher die einzelnen ihn zusam-
mensetzenden Körper dabei verändert werden, ist aber wenig be-
kannt. Wir wissen nur, daß Fleischextrakt sowohl zur Fäulnis, d. h.
zu anaeroben Spaltungen, als zur Oxydation geeignet ist. Eine be-
sondere Art der Fäulnis mag hier erwähnt werden. Es ist die Sumpf-
gasgärung, die Tappeiner nach Impfung mit Panseninhalt in ihm
nachwies (§ 117). Zunächst wurden flüchtige Säuren, und zwar meist
Essigsäure, femer Kohlensäure, Wasserstoff und auch etwas Sumpfgas
entwickelt. Nach einigen Wochen beginnt dann eine neue Gärung, deren
Gase vorwiegend aus Sumpfgas neben Kohlensäure xmd Schwefel-
wasserstoff bestehen. Welcher Körper als Quelle dafür in Betracht
kommt, ist zweifelhaft. Bekanntlich verfällt aber sowohl Essigsäure
(§ 141) wie Buttersäure (§ 145) und Pepton der Sumpfgasgärung
(§ 179). Man braucht also wohl nicht an seine unmittelbare Ent-
stehimg aus den eigentlichen Extraktstoffen des Fleisches zu denken.
Für die Ammoniakbildung, die vielfach in Fleischextraktkulturen be-
obachtet worden ist*), kommen sie dagegen wohl in Betracht. Das
1 ) Vgl. D ö h 6 r a i n und D u p o n t ref . Zentr. Bakt. 2. Abt. 6. 233,
1900.
2) Jahrb. wiss. Bot. 40, 1904.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 709, 1909.
4) VandeVelde, Zeitschr. physiol. Cham. 8. Vgl. auch die Ver-
suche von Berghaus vmd Nawiasky, § 169 ff.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 593
lehren ausdrücklich die Versuche über die Zersetzung des Kreatins
und Kreatinins, so die NawiaskySjdie mit Proteus, Vibrio
Finkler usw. (S. 519, 523), die M a r c h a 1 s , die mit Bac. mycoides
angesteUt worden sind (S. 529). Allerdings blieb die Ammoniakabspal-
tung und die Verwertung zur Assimilation eine geringe, und die Zer-
setzung wurde nicht vollständig aufgeklärt. Die Umwandlung von
Kreatin (Methylguanidinessigsäure) zu Kreatinin, die durch Wasserab-
spaltung erfolgt, scheint auch durch Bakterien ziemlich leicht bewirkt
zu werden, nicht aber der Übergang zum Harnstoff.
§ 193. Harnsäure, Purinbasen. Über die Zersetzungsfähigkeit
der Harnsäure (Trioxypurin) ist nach den oben erwähnten Arbeiten
von Burri, Stutzer und Herfeldt und Schellmann
( § 191) kein Zweifel. Die Grebriider S e s t i n i ^) hatten aber schon früher
die in Aufschwenamungen von Harnsäure nach Impfung mit faulem
Harn auftretende ammoniakalische Gärimg genau verfolgt imd in acht
Tagen eine vollständige Umwandlung zu kohlensaurem Ammoniak
beobachtet. Man kann etwa die Gleichung annehmen:
C5H4N4O3 + 8H2O + O3 = 4NH4HCO3 + COg.
Bei vorzeitiger Unterbrechung der Versuche fanden sie Harnstoff und
führen das darauf zurück, daß Harnsäure durch Oxydation sich leicht
in Alloxan und Harnstoff verwandele. Nach Gerard^) würde
der Prozeß aber in zwei Stufen verlaufen, bei denen verschiedene
Bakterien beteiligt sind. Durch die eine übrigens nicht rein-
gezüchtete Art wird die durch Dinatriumphosphat in Lösung
gehaltene Harnsäure imter Wasseraufnahme in Harnstoff und Tar-
tronsäure zerlegt:
C5H4N4O3 + 4H2O = 2CON2H4 + C3H4O5 .
Die gewöhnlichen Hamstoffbakterien zerlegen dann den Harnstoff in
der bekannten Weise zu kohlensaurem Anmaoniak und verbrennen
die Tartronsäure. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß Bakterien-
arten weit verbreitet sind, die die Spaltimg in anderer, z. B. in der
von S e s t i n i angegebenen Weise, allein für sich vollziehen können
<s. o. S. 591 bei Schellmann). Ulpiani^) hat dann noch
aus Hühnerkot einen Bazillus isoliert, der Harnsäure ausschließlich
m Harnstoff umwandelt. Daß dieser Vorgang übrigens nicht in einem
1) Landwirtschaft!. Versuchsstation 38, 1890, Kochs Jahresber.
1890. 100.
2) Compt. rend. ac. sc. 122. 1019 und 123. 185, 1896.
3) Rendic. Acc. Lincei 12, 1903.
Kruse, Mikrobiologie. 38
594 Kap. X, § 193—196.
Zuge vor sich gehen wird, folgt aus der verwickelten Strukturformel
der Harnsäure:
HN CO
NH2 NHj
/ /
OC C.NH-(-2H20+03-
OC +0C
>C0
\ \
NH C.NH
NHj NHj
+ 3(X)s
Jedenfalls haben wir aber schon nach den vorliegenden Angaben min-
destens drei Möglichkeiten der Harnsäurezersetz-
ung, bei der immer der Sauerstoff eine Rolle spielt. Von bekannten
Bakterien ist der Proteus von Nawiasky (S. 520) in seinem Ver-
halten zur Harnsäure studiert worden. Er greift sie — wegen ihrer
sauren Reaktion ? — nur wenig an. In seinen mehrfach erwähnten
Assimilationsversuchen mit Beigabe von guten Kohlenstoffquellen
hat B i e r e m a (S. 590) gefunden, daß Bac. aerogenes die Harnsäure
völlig ausnutzte ohne Ammoniakentwicklung \md Stickstoffverlust.
Bei Bac. radiobacter und Penicillium glaucum wurden die beiden
letzteren Erscheinungen aber in gewissem Grade beobachtet.
Nach S c h e 1 1 m a n n (s. o.) wurden auch Koffein (Trimelhyl-
dioxypurin) und Theobromin (Dimethyldioxypurin) durch einige
Bakterien, die Hippursäure zersetzen, in ähnlicher Weise gespalten
(vgl. S. 461).
G u a n i n ( Aminooxypurin) zerfällt nach U 1 p i a n i und C i n -
g o 1 a n i ^) durch ein Bakterium aus Taubenmist (s. o.) in Harnstoff,
Guanidin und Kohlensäure. Das G u a n i d i n NHg . C . <^aTT^ das durch
Barytwasser und nach Ackermann*) auch durch Fäulnis in Harn-
stoff umgewandelt wird, wurde in Assimilationsversuchen von Bie-
r e m a fast ebensogut wie der Harnstoff assimiliert, zum Teil unter
Abspaltung von Ammoniak.
Eine andere Art der Umwandlimg des Guanins, nämlich die in
X a n t h i n (Dioxypurin) scheint häufiger vorzxdcommen. Wie B a -
ginsky, Schindler, Schittenhelm und Schröter^)
feststellten, wird sie durch Fäulnis- und Colibakterien bewerkstelligt.
Der Vorgang ist, wie die Erfahrungen Shigas am Hefepreßsaft
(S. 497) lehren, ein enzymatischer, indem unter Wasseraufnahme die
Amidgruppe als Ammoniak abgespalten wird. Ebenso soll Adenin
(Aminopurin) in Hypoxanthin (Oxypurin) übergehen. Die Zersetzungen
1) Rendic. Acc. Lincei 14, 1905, ref. Chem. Zentr. 1906 I. 694.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 60, 1909.
3) Ebenda 41. 285, 1904.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 595
durch Fäulnisbakterien stehen dabei wohl nicht still, sind aber noch
aafzoklären.
§ 194. Zersetzung des Ealkstickstoffs. Der Ealkstickstoff,
dasKalziumzyanamid, ist bekanntUcb neuerdings alsDungmittel wichtig
geworden. Es war von vornherein wahrscheinlich, daß diese Wirkung
sich erklärt durch eine Hydrolyse, die zur Ammoniakabspaltung führt.
Denn durch Wasser findet unter hohem Druck folgende Umsetzung
statt:
CN . NCa + SHgO = 2NH3 + CaCOg .
Nach li ö h n i s ^) und seinen Mitarbeitern spielen dabei Bakterien
eine große KoUe, doch wohl nur bei einem Teil der Umsetzung, weil
schon in der keimfreien Lösung unter Einfluß kohlensäurehaltigen
Wassers die erste und zweit^e Stufe der Hydrolyse, nämlich
CN . NCa + H2O = CN . NHg + CaO
und (auf einem Umwege über das Anmioniumcyanat)
CN . NH2 + H2O = C0(NH2)2 ,
d. h. Harnstoff entsteht. Die dritte und letzte Stufe der Hydrolyse
endüch, die Umwandlimg des Harnstoffe zu kohlensaurem Ammoniak
(§ 195), scheint erst durch Bakterien vollzogen zu werden, wenn Zucker
und auch leichter assimilierbare Stickstoffsubstanz (Asparagin) zu«
gegen sind. Nach Löhnis wirken am kräftigsten Bac. Kirchneri,
Lipsianus und erythrogenes, schwächer das Bact. Zopfii, am schwäch-
sten Bact. fluorescens, coli und gar nicht Bact. Proteus. Die beiden
ersten sind, wie zu erwarten, Hamstoffvergärer. Umgekehrt sind aber
die gewöhnlichen Hamstoffvergärer durchaus nicht regelmäßig im-
stande, den Kalkstickstoff zu zersetzen, wahrscheinlich deshalb, weil
nicht alle Arten der schädlichen Einwirkung des Zyanamides genügende
^Viderstandskraft entgegensetzen.
Über die Zersetzung eines zweiten bei der Auflösung des Kalk-
stickstoffc im Wasser entstehenden Stoffs, des Dizyandiamides, sind
die Gelehrten noch nicht einig. Nach den deutschen Forschem wäre
dieser Stoff unzersetzlich, nach U 1 p i a n i und Perotti^) da-
gegen leicht assimilierbar, aber nicht der Ammoniakabspaltung zu-
gänglich.
§ 195. Vergärung des Harnstoffs. Der größte Teil der Tiere
scheidet bekanntlich als Endprodukt seines Stoffwechsels Harnstoff
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 14. 87 und 389, 1905; 20, 322, 1908; 22. 254,
1909; mit Lit. vgl. aber auch Kappen ebenda 22. 281.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 21. 200.
38*
596 Kap. X, § 195.
aus. Die Pflanzen und die meisten Mikroorganismen^) vermögen
diesen nicht mimittelbar zur Stickstoffernährung zu benutzen, sondern
erst nach seiner Umwandlung in kohlensaures Ammoniak. Diesen
Prozeß vollzieht eine große Schaar weitverbreiteter Bakterien. Man
kann sich leicht davon überzeugen, wenn man frischen Harn olme
besondere Vorsichtsmaßregeln aufl^ewahrt. Früher oder später sieht
man, wie sich in der ursprünglich keimfreien Flüssigkeit ein Gewimmel
von Bakterien entwickelt, die saure Reaktion in die alkalische um-
schlägt, und der Geruch nach Ammoniak auftritt. Auch hier freilich
hat es lange gedauert, bis man die anmioniakalische Gärung auf die
Tätigkeit von Mikroorganismen zurückzuführen lernte ; Pasteur^)
stand hier wieder mit an erster Stelle. Als Erreger der Gärung sprach
van Tieghem^) das Bact. ureae, andere den Micrococcus ureae
und dergleichen*) an, bis L e u b e ^) und dann in besonders umfang-
reichen Studien M i q u e 1 ®) und Beijerinck') durch Reinkulturen
nachwiesen, daß es in der Luft und Erde, im Fluß- und Kanalwasser
eine große Anzahl von Bakterien gibt, die den Harnstoff vergären.
Die beiden letzteren Autoren unterscheiden sie als Urococcus, Uro-
sarcina, Planosarcina ureae, Urobacillus, Streptothrix urica, womit
aber nicht gesagt sein soll, daß diese Bakterien nur auf Hamnähr-
böden zu wachsen vermöchten; im Gegenteil sind die meisten nur
gewöhnliche Saprophyten, Auch der Bac. proteus, putrifi-
cus coli und perfringens sind kräftige, der Staphylo-
coccus pyogenes albus und der Bac. coli ( ?) schwache Ham-
stoffbakterien (T i s s i e r imd Martelly ®)). Beijerinck fand
auch Leuchtbakterien wirksam. Eine gewisse Wirkung scheint danach
fast allen Mikroorganismen zuzukonmien.
Am energischsten wirkt der Urobacillus Pasteurii, eine
Art Clostridium. Er verdrängt in lOprozentiger Hamstoffbouillon, die
man mit Gartenerde geimpft hat, schließlich alle anderen Bakterien und
zersetzt selbst noch eine Flüssigkeit, die ca. 14%
1) Vgl. S. 111.
2) Amial. chim. phys. 64. 6, 1862; vgl. auch Proust, Ann. chim.
phys. 2. s^r. 14, 257 und Müller, Joum. prakt. Chem. 81. 452, 1860.
3) Compt. rend. 58. 210, 1864.
4) V. J a k s c h , Zeitschr. phys. Chem. 5, 1881.
5) V i r c h o w s Archiv 100, 1885.
6) Annal. de micrograph. 1—9, 1889 — 1897 imd Etudes sur la fer-
mentation ammoniacale etc. Paris 1898.
7) Zentr. Bakt. 2. Atb. 7. 1901.
8) Annal. Pasteur 1902. Beim Bac. coli haben wir u. a. kein Resultat
gehabt, was der sauren Reaktion des Harns bei Colizystitis entspricht,
wohl bei verflüssigenden und nicht verflüssigenden Staphylokokken aus
Zystitis.
Wandlungen einfeu;her Stickstoff körper. 597
Harnstoff enthält. In der Stvinde und im Liter verwandelt er
bestenfalls 3 g Harnstoff in Annnoniumkarbonat, d. h. viele Hundert mal
mehr an Mctsse, als sein Körpergewicht beträgt (vgl. § 235). Auf Fleisch-
celatine wächst er nur sehr langsam und nur bei Zusatz von Ammonium-
karbonat (0,3%) und Harnstoff (2%). Harnstoff genügt keinem der Ham-
vergärer als ausschließliche Kohlenstoffnahrung (vgl. S. 117), manchen
von ihnen aber neben Oxalat oder Azetat als Stickstoff quelle. B e i j e -
r i n c k schlägt zur schnellen Erkennung dieser Mikroorganismen eine
Hefewassergelatine vor, die aus 20 g Preßhefe auf 100 g Wasser hergestellt,
tind der 2 — 3% Harnstoff zugesetzt wird. Schon in wenigen Minuten
macht sich bei den Kolonien, die Ammoniak bilden, eine „Iriserscheinung"
bemerkbar, die durch den Niederschlag einer eigentümlichen Verbindung
mit Kalizumphosphat bewirkt wird.
Die Gärung erfolgt nach der Gleichung:
CO . (NH2)2 + 2H2O = C03(NH4)2 (+ 14,3 Kai.)
und ißt als ein enzymatischer Prozeß aufzufassen, der den Hydro-
lysen dadurch nahesteht, daß er durch Erhitzung auf hohe Tempe-
raturen und Einwirkung von Säuren (und Alkalien) nachgeahmt werden
kann, aber wie die Gärungen unter starker Wärmeentwicklung^) er-
folgt. Schon Musculus 2) erhielt durch Fällen eines schleimigen,
stark ammoniakalischen Zystitishams mit Alkohol das Enzym
im trockenen Zustande, hielt es aber für eine Ausscheidung der
Schleimhaut. L e a ^) konnte es nur aus dem schleimigen Boden-
satze, nicht aus dem filtrierten Harn darstellen. Es würde also von
den Bakterien nicht in die Flüssigkeit abgeschieden, sondern erst
aus diesen frei und in Wasser löslich, wenn sie mit Alkohol abgetötet
worden sind. Beijerinck bestätigte die intrazellulare Bindung
des Enzyms; es tritt nach ihm aus den Bakterienleibern aus nach Fäl-
lung mit Alkohol oder in Kulturen, die man auf 50® erhitzt oder mit
rhloroform versetzt hat. L e u b e fand dementsprechend filtrierte
Kulturen unwirksam. Damit stimmt freilich nicht überein, daß M i -
q u e 1 *) eine Enzymlösung zu gewinnen vermochte, wenn er Rein-
kulturen durch Porzellanfilter hindurchschickte. Jedoch sollen be-
sondere Vorsichtsmaßregeln, vor allem Sauerstoffabschluß, dazu ge-
hören. Die Widersprüche könnten sich aber auch durch die Ver-
schiedenheit der benutzten Bakterien erklären.
1) Herzog, Zeitschr. f. physiol. Chem. 37. 392, 1902. Direkte
Wärmeentwicklung im R u b n e r sehen Kalorimeter § 237. Die Stoff-
und Kraftbilanz ist im § 235 entwickelt.
2) Compt. rend. ac. sc. 78. 132, 1874 und Pflügers Arch. 12.
3) Joum. of physiol. 6, 1886.
4) Ck)mpt. rend. 111. 397, 1890.
598 Kap. X, § 195 u. 196.
Von allen Forschem^) wird die sehr empfindlicheNatur
des Harnstoffenzyms, der U r e a s e , angegeben. Schon
bei 50*^ wird es in wenigen Stunden zerstört, bei 70° in 20 — 30 Minuten,
bei 80° in wenigen Sekunden. Haltbar ist es einige Wochen lang
bei 0° Alkohol, Toluol, Chloroform zerstören es bald, weniger leicht
Fluomatrium in dünner Lösung. Durch diese labile Beschaffenheit
ähnelt es dem Alkoholenzym, der Zymase. Die Wirkung des Enzyms
ist am ausgesprochensten bei 50°.
Mo 11^) hat durch Immunisierung von Kaninchen eine freilich
ziemlich schwache Antiurease erhalten. Henmiend wirkt schon nor-
males Serum und sogar Harn. Vielleicht könnte man mit Hilfe der
Antiurease Unterschiede der einzelnen Ureasen nachweisen.
In der lebenden Harnblase scheinen nur wenige Bakterien, vor
allem der Bac. proteus vulgaris, ammoniakalische Gärung hervorrufen
zu können (vgl. Infektionslehre).
Die Beziehungen der Harnstoffgärung zu der Gärung der Hippur-
säure, Harnsäure des Kalkstickstoffe usw. haben wir schon oben be-
sprochen. Alle hier in Betracht kommenden Bakterien spielen im
Erdboden und namentlich im Mist und in der Düngerjauche insofern
eine ungünstige Bolle, als sie durch Ammoniakverdunstung zum Teil
einen Stickstoffverlust verursachen (vgl. Denitrifikation S.618). Diesem
arbeitet entgegen die sog. Nitrifikation durch die Salpeterbakterien ( § 196).
§ 196. Nitrifikation, Salpetcrgärung. Die Pflanzen können
sich mit wenigen Ausnahmen ebensogut von Ammoniak wie von sal-
petersauren Salzen nähren. Tatsächlich überwiegt die letztere Art
der Ernährung, weil das Ammoniak im Boden regelmäßig in Salpeter-
säure übergeführt wird. Diesen Vorgang, die „Nitrifikation", die
insofern nützlich ist, als sie den Ammoniakstickstoff im Boden fest-
legt, kannte man schon lange, benutzte auch das Bekanntwerden der
Salpeterlager^) in sogenannten „Salpeterhütten" zur Salpeterdar-
stellung, führte sie aber zunächst auf eine einfache Oxydation des
Anmioniaks durch den Luftsauerstoff, bei dem nach Dumas und
M i 1 1 o n ^) der kohlensaure Kalk oder die Humusstoffe die Vermittler
spielen sollten, zurück, bis auch hier die biologische Auffassung nament-
lich durch die Arbeiten von Schlösing und M ü n t z *), P 1 a t h ^)
1) Vgl. auch Moll. Hofmeisters Beitr. 2. 344, 1902.
2) Über deren Bildung vgl. Müntz, Annal. chim. phys. 6. 11.
118, 1887.
3) Compt. rend. ac. sc. 20. 1020, 1846 und 51. 548, 1860.
4) Ebenda 84. 301; 85. 1018; 89. 891 und 1074, 1877—1879; vgl.
auch P a s t e u r ebenda 54. 265, 1862 und Alex. Müller, Landwirtsch.
Versuchsstat. 16. 241, 1873.
5) Landwirtsch. Jahrb. 1887.
Wandlungen einfacher Stickstoff körper. 599
und anderen über die chemische den Sieg davontrug. Sie wiesen nach»
daß bei Ausschluß aller Mikroorganismen durch Sterilisierung die
Ackererde nicht imstande ist, zu nitrifizieren, und daß die Umwand-
lung in den Temperaturgrenzen, zwischen denen ein Leben mögUch
ist, vor sich geht. Gleichzeitig lieferten die französischen Forscher
auch den Beweis, daß als Zwischenprodukt der Nitrifikation salpetrige
Säure auftritt. Die Reinzüchtung der dabei tätigen Mikroben und
griindUche Klarlegung des ganzen Vorgangs gelang nach mehr oder
weniger vergeblichen, wenn auch beachtenswerten Versuchen von
H ü p p e und H e r a e u s (vgl. S. 120), Adametz, P. Frank-
land ^), Warington*) u. a. erst Winogradsky^) und
seinem Mitarbeiter Omeliansky*). Nach Winogradsky
hat man zu unterscheiden zwischen den Nitrosobakterien
(Nitrosomonas und Nitrosococcus), die ausschließlich befähigt sind,
Ammoniak zu salpetriger Säure zu oxydieren und den Nitrobak-
t e r i e n , die nur salpetrige Säure in Salpetersäure verwandeln. Beide
sind in ihren Spielarten überall in der Welt verbreitet, z. B. auch auf
den höchsten Bergen, unter dem ewigen Eis^), doch nur im Erdboden
und im Wasser*), nicht in der Luft, und zwar stets nebeneinander,
woraus es sich erklärt, daß das Zwischenerzeugnis, die salpetrige Säure,
gewöhnlich nicht oder nur in Spuren nachweisbar ist.
Zum Zweck der Isolierung') der Nitritbakterien werden zunächst
Vorkulturen der Erde angelegt in einer Lösimg, die auf
1000 g destilliertes Wasser,
2 „ Ammon. sulf.,
2 „ Natr. chlorat.,
1 „ Kai. phosph.,
0,5 „ Magn. sulf.,
0,4 „ Ferr. sulf.
enthält und auf Erlenmeyerkolben von 12 cm Durchmesser zu je 50 ccm
mit Zusatz von 0,5 g Magnesiumkarbonat verteilt werden. Die dritte oder
vierte Überimpfung in dieser Lösung führt gewöhnlich schon eine solche
Anreicherung der Nitritbakterien herbei, daß an die weitere Verarbeitvuig
in Platten gegangen werden kann. Am besten ist es, zur Überimpfung
den Augenblick zu wählen, in dem die Bakterien aus dem Zoogloen-( Haufen-)
1) Transactions Roy. Soc. 181. 107, 1890.
2) Chemical News 1891.
3) Annal. Pasteur 1890 und 1891; Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 243, 1895
»ind 2. 415, 1896 und Laf ars Handb. 3. 132, 1904.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5. 329, 473 und 537, 1899.
5) Müntz, Annal. chim. phys. (6) 11. 136, 1887.
6) Thomsen, Ber. bot. Ges. 21. IL 1907 (Golf von Neapel).
7) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5. 537.
600 Kap. X, § 196.
Stadium in den frei beweglichen Zustand übergehen und die Flüssigkeit
leicht trüben. Zur weiteren Isolierung hat Beijerinck^) empfohlen,
Platten von gründlich ausgewaschenem Agar zu benutzen. Nach O m e -
liansky (a. a. O.) wachsen die Nitritbakterien darauf aber \äel lang-
samer und schlechter als auf Kieselsäuregallerte, die aller-
dings schwieriger zu bereiten ist. Klare und reine Wasserglaslösung vom
spezifischen Gewicht 1,05 wird allmählich unter Umschütteln mit gleichen
Teilen Salzsäure vom spezifischen Gewicht 1,10 gemischt und die Mischung
in gut schließenden Pergamentschläuchen dialysiert bis zum Verschwinden
des Chlornatriums. In fließendem Leitungswasser gelingt das binnen
24 Stunden. Eine Trübung darf dabei nicht eintreten, weil sonst das Dia-
lysat beim Sterilisieren gerinnt. 50 ccm der sterilisierten Kieselsäurelösung
werden dann möghchst schnell hintereinander mit folgender vorher steri-
lisierter Zusatzflüssigkeit vermischt:
1. 2,5 ccm einer Lösung von IVoo Kai. phosph.,
3Voo Ammon. sulf.,
0,5 Voo Magn. sulf.,
2. 1,0 ccm einer 2 prozentigen Lösung von Ferr. sulf.,
3. eine Platinöse oder ein kleiner Tropfen einer konzentrierten Koch-
salzlösung,
4. soviel von einer Aufschwemmung von kohlensaurer Magnesia,
daß die Gallerte milchig aussieht. Nach dem Ausgießen in gewöhnliche
Doppelschalenplatten tritt bald die Gerinnung der Nährlösung ein. Ihre
Impfung erfolgt durch einen Tropfen der flüssigen Ausgangskultur, die
mit einem Glasstabe ausgebreitet wird, oder durch Vermischen mit einem
Tropfen der Aussaat vor dem Ausgießen zu Platten. L^m das Wachstum
der Kolonien zu beschleunigen, wird, sobald die Ammoniakreaktion des Nähr-
bodens zu schwinden beginnt (nach 4 — 8 Tagen), in seitliche Ausschnitte
der Platte ein Tropfen einer 10 prozentigen Ammoniumsulfatlösung ge-
bracht. Die fortschreitende Säurebildung klärt allmählich die milchige
Trübung der Platte auf und läßt die sehr kleinen kompakten, stark licht-
brechenden, gleichmäßig granulierten Kolonien binnen 14 Tagen etwa
deutlich hervortreten. Um aus den Kolonien Reinkidturen zu erhalten,
müssen zahlreiche Abimpf ungen in die erstgenannte Nährlösung und
gleichzeitig Kontrollimpfungen in Bouillon vorgenommen werden. Die
Kieselsäuregallerte läßt sich auch in Reagensgläsern zu Strichkulturen
verwenden. Auch hier empfiehlt es sich, ab und zu Anunonsulfatlösung
zuzusetzen.
Die Nitratbildner werden ebenfalls zunächst in einer Flüssigkeit vor-
gezüchtet, die
1000 g dest. Wasser,
1 ,, Natr. nitrosum (Merck),
1 „ Natr. carb. calc.
0,5 „ Kai. phosph.,
0,5 „ Natr. chlorat.,
0,4 „ Ferr. sulf.,
0,3 „ Magn. sulf.
1) Zentr. Bakt. 1. Abt. 19. 258, 1896.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 601
enthält. Die Betkterien wachsen darin in zusammenhängenden, an den
(Ilaswänden haftenden Häuten. Ihre Isolierung auf Platten ist leichter,
weil man dazu Agar benutzen kann von der Zusammensetzung:
2 g Natr. nitrosum,
1 „ Natr. carbon. calc,
15 „ Agar,
1000 „ Leitungswasser.
•
Auch hier ist nachträgliches Zufügen von Natriumnitrit zu empfehlen.
Die ziemlich großen Kolonien können nach 10 — 30 Tagen auf Röhrchen
mit Nitritagar weitergezüchtet werden und geben recht ansehnliche Kul-
turen. Die üblichen Nährböden bleiben dagegen steril. Die günstigste
Temperatur ist 25— 30<» C.
Aus der Zusammensetzung der Nährböden erhellt schon, daß
die Nitrifikation 8 Organismen ihren Kohlenstoff
nicht aus organischem Material, sondern aus-
schließlich aus der Kohlensäure entnehmen (S. 120).
Besondere Versuche haben dann Godlewski^) gezeigt, daß das
einfach kohlensaure Salz nicht zur Ernährung der Nitritbakterien
genügt, wohl aber das doppeltkohlensaure Salz oder die freie Kohlen-
säure der Atmosphäre. Für die Nitratbakterien kamen W i n o -
g r a d s k y und Omeliansky^) zu einem ähnlichen Schluß,
fanden allerdings, daß das kohlensaure Salz ebenso unentbehrlich ist,
als die freie Kohlensäure, woraus zu folgern wäre, daß die Bikarbonate
es sind, durch der Kohlenstoff assimiliert wird. Doch müssen diese
Versuche wohl noch in erweiterter Form wiederholt werden. Der
Einwand Elfvings, daß es vielleicht gar nicht die Kohlensäure
sei, die assimiliert würde, sondern andere kohlenstoffhaltige Stoffe
der Atmosphäre, deren Wert für die Ernährung mancher Bakterien
Beijerinck festgestellt hat (vgl. S. 122), ist nach G o d 1 e w s k i^)
nicht stichhaltig, denn die Nitrifikation findet auch statt, wenn die
Luft, die zugeführt wird, durch konzentrierte Schwefelsäure vorher
gereinigt ist.
Daher darf man wohl daran festhalten, daß in den Nitri-
fikationsbakterien die ersten Organismen gefunden worden sind, die
aus der Kohlensäure ohne Hilfe des Lichts ihre
Eiweißkörper aufbauen können, also, wenn man will,
noch leistungsfähiger sind, als die chlorophyllführenden Pflanzen. Er-
möglicht wird ihnen diese Arbeitsleistimg durch die Oxydc^tion des
Ammoniaks und Nitrits, die ja eine reiche Kraftquelle darstellt.
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2. 458, 1896.
2) Ebenda 5. 336.
3) Kochs Jahresber. 1892. 219.
602 Kap. X» § 196.
Für die Nitritbildner konnte Winogradsky feststellen, daß
für je 1 mg Kohlenstoff, der assimiliert wurde, oder 2 mg Bakterien-
trockensubstanz 35,4 mg Stickstoff (43 mg Ammoniak) oxydiert und
96 mg salpetrige Säure gebildet wurde. Das Wachstum wurde in den
Kulturen, wenn man durch Zufügen von Ammoniak das verbrauchte
ergänzte, von Tag zu Tag energischer, so daß z. B. am 5. Tage 3 mg,
am 10. Tage 9 mg, am 30. Tage 20 mg Stickstoff oxydiert wurden. In
Parellelkulturen der Nitratbildner war die Entwicklung zwar auch
eine au&teigende, doch wurden selbst am 40. Tage erst 10 mg Stick-
stoff oxydiert^). Die dabei gebildete Menge organischen Kohlen-
stoffs war so gering, daß ihre Bestimmung nicht gelang. Es läßt sich
das vorhersehen: da bei der Verbrennung der salpetrigen Säure zu
Salpetersäure viel weniger Wärme entwickelt wird, als bei der Oxy-
dation des Ammoniaks zu salpetriger Säure, wird um so mehr Salpeter-
säure gebildet werden müssen, um den Aufbau der gleichen Menge
Bakteriensubstanz zu ermöglichen.
Die betreffenden Kalorienzahlen verhalten sich wie 18,3 zu 78.8,
denn es ist*)
1) NH, aq. + 30 = HNO, + H,0 (+ x Kai.)
und nach Einsetz\ing der Bildungswärmen:
— 20,4 = — 30,8 — 68,4 + x
oder X = 78,8 Kai.
2) HNO, + O = NHO, (+ y Kai.)
— 30,8 = —49,1 X y
y = 18.3 Kai.
Dabei ist allerdings zu bedenken, daß die Oxydation des Anunoniaks die
Zersetzung des Anunoniaksalzes und damit einen Aufwand von Wärme
erfordert. Die dadurch frei gewordene Schwefelsäure und die neu entstandene
salpetrige Säure entwickeln aber ihrerseits wieder Wärme durch Auflösung
der kohlensauren Magnesia.
Die Energieverhältnisse würden eine weitere Verschiebung erfahren,
wenn es sich bewahrheitete, daß bei der Oxydation des Ammoniaks ein
Teil des Stickstoffs als solcher entweicht (Godlewski •)). Vielleicht
ist das auf die schon bei gewöhnlicher Temperatur eintretende Umsetzung
N.O, + 2NH, = 3H,0 + 2N, zurückzuführen, bei der viel Wärme frei
A*4rd. Die saure Reaktion, die dazu nötig ist, wird durch die Nitritbildner
herbeigeführt.
über die Art und Weise der Kohlensäureassimilation durch die Sal-
peterbakterien ist nichts bekannt. B o k o r n y hat neuerdings (Pflügers
Archiv) die Baeyer-Löw sehe Theorie, nach der Formaldehyd CHjO
das erste Umwandlungsprodukt der Kohlensäure sein soll, aus der durch
1) Boullanger vind M a s s o 1 (s. u.) arbeiteten mit einem
kräftigeren Nitratbildner.
2) Nach O s t w a 1 d , AUgem. Chem. 2. Bd. 1. Abt. 1893 berechnet,
3) Ref. Kochs Jahresber. 1892. 219.
Wandlungen einfacher Stickstoff körper. 603
Kondensation bzw. Wasserabspaltung Zucker bzw. Stärke entstände,
durch Versuche an Spirogyren zu stützen versucht. Danach sollen diese
CWorophyllpflanzen bei Ernährung mit sehr verdünntem Formaldehyd
oder formeddehydschwefligsaurem Natron aruch bei Lichtabschluß Stärke
bilden. Licht wäre also nur nötig zur Umwandlung der Kohlensäure in
Formaldehyd, nicht zu dessen weiterer Kondensation. Vorläufig kann
man, um einen Einblick in die Energieverhältnisse zu bekommen, die
Äsßimilation der Kohlensaure etwa in folgende 6leichungen fassen. Zu-
nächst entsteht Traubenzucker:
6CO, + 6H,0 = C^ijO, + 0„ (— 695 Kai.).
Die zu dieser Synthese nötige Energie könnte von den Nitritbakterien
durch die Oxydation von 9 Molekülen Ammoniak (s. o.) geliefert werden.
Aus dem Zucker und Anmioniak kann man sich Eiweiß gebildet denken
(vgl. $ 231). Die dabei gebundene Wärme beträgt nur etwa 10 Kai., käme
also gar nicht in Betracht; durch die Oxydation von je 9 Molekülen NH,
könnte daher die Energie geliefert werden, die zur Assimilation von 6 Mole-
külen CO« nötig ist. Auf jedes Gramm Kohlenstoff machte das noch nicht
2 g Ammoniak, während tatsächlich 43 g oxydiert werden. Der Prozeß
verläuft also cmscheinend sehr wenig sparsam (vgl. § 235).
Daß die Nitrifikation auf ein Enzym, eine „Ozydase'* zurück-
zuführen ist, ist zwar wahischeinlicli, aber vorläufig noch nicht be-
wiesen. Omeliansky^) konnte weder mit Kulturfiltraten noch
mit den Bakterienleibem Nitrifikation des Ammoniaks bewirken. Da-
bei sei bemerkt, daß Moliscb^) die Ergebnisse F r i e d e 1 s über
fennentative Wirkungendes Chlorophylls nicht bestätigen konnte.
Wohl Ueß sich mit Hilfe der Leuchtbakterienmethode (§ 238) nach-
weisen, daß völlig getrocknete Blätter, wenn sie zerrieben mid schnell
verwandt wurden, Sauerstoff abschieden.
Außer der Kohlensäure, dem Ammoniak oder Nitrit und den
anorganischen Salzen ist den Nitrifikationsbakterien nur noch der
Sauerstoff nötig, und zwar, wie sich von selbst versteht, in reichlicher
Menge. Mit anderen Stickstoff- oder Kohlenstoffsubstanzen können
sie dagegen nicht ernährt werden: Peptone, Asparagin und selbst die
dem Ammoniak so. nahestehenden Amine (Methyl- und Dimethylamin)
smd dazu unbrauchbar^). Ja, alle organischen Stoffe, die sonst als
vorzügliche Nährmittel bekannt sind, besitzen sogar die Eigenschaft,
die Tätigkeit und das Wachstum dieser merkwürdigen Mikroben selbst
in teilweise recht starken Verdünnimgen noch zu hemmen oder ganz
zu verhindern, sie wirken wie Antiseptika. Winogradsky und
Omeliansky haben dafür folgende Stufenleiter aufgestellt :
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 113, 1902.
2) Bot. Zeitg. 1904.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 5. 329 iind 473.
604 Kap. X, § 196.
Wachstumhemmend oder für das ^^.^ ^t^ , . •
V . j j . 1 xT-x 'xi. 1 X • -Nitrat baktenum
verhindernd wirken .Nitntbaktenum
Glykose 0,025— 0,2% 0,05 — 0,3
Pepton 0,025— 0,2% 0,8 — 1,25
Asparagin 0,05 — 0,3 0,05 — 1,0
Glyzerin 0,2 — ? 0,5—1,0
Harnstoff 0,2 — ? 1,5—1,0
Essigsaures Natrium ... 0,5 — 1,5 1,5 — 3,0
Buttersaures Natrium ... 0,5 — 1,5 0,5 — 1,0
Fleischbrühe 10 —40 10 —60
Ammoniak — 0,0005— 0,015
Besonders auffällig ist hier der Umstand, daß das Nitratbakteriimi
schon durch kleine Spuren von Ammoniak gehemmt wird; man
könnte also glauben, daß es erst die fast vollständige Oxydation des
vorhandenen Ammoniaks abwaiten müßte, ehe es in Tätigkeit treten
könnte. Das wird auch in künstlichen Mischkulturen der Nitrit- und
Nitratmikrobien gewöhnlich beobachtet: zunächst gelangen die ersteren
zur Entwicklung und verwandeln alles Ammoniak in Nitrit, und ihnen
folgen dann erst die Nitratbakterien. Man kann also hier nicht von
einer „Symbiose", sondern nur von einer „Metabiose" sprechen (§ 50).
Doch haben Boullanger und M a s s o 1 ^) gezeigt, daß die
Nitratbakterien, wenn sie einmal in kräftiger Arbeit begriffen sind,
auch durch ziemlich hohe Gaben von Ammoniak nicht mebr geschädigt
werden, sondern daß dann eine wirkliche Symbiose zwischen beiden
Arten von Mikroorganismen zustande kommt, so daß das Zwischen-
produkt der Umwandlung, die salpetrige Säure, nur in Spuren auf-
tritt. In der Natur ist dieses Verhältnis die Regel. Dieselben Autoren^)
haben dann auch nachgewiesen, daß die Hemmung der Nitratbakterien
durch Ammoniaksalze nur in den künstUchen Kulturen eintritt, die
IVoo Natriumkarbonat enthalten, weil dadurch Ammoniak in Frei-
heit gesetzt wird. Nimmt man nur 0,2 Vqq, so hindern selbst 1— 2Voo
Ammonsulfat nicht mehr die Nitrifikation. Ebenso haben sich die
Angaben Winogradskys und Omelianskys über die Schä-
digung der Nitrifikation durch organische Stoffe nicht aufrecht erhalten
lassen. Sie selbst bekamen schon recht ungleiche Ergebnisse (s. o.).
Löhnis^), Wimmer*), Mni n t z und Lain6^), Baza-
1) Annal. Pasteur 1903. 492 und 1904. 181.
2) Compt. rend. ac. sc. 140. 688. 1905.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12, 1903.
4) Zeitschr. f. Hyg. 48, 1904.
5) Compt. rend. ac. sc. 142. 430, 1906.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 605
rewski^), Coleman*), Stevens und Withers^) sahen
dann bei Zusatz von organischen Stoffen, namentlich Humus und
Zucker gute, ja zum Teil kräftigere Natrifikation als ohne diese
Zusätze, zumal wenn sie Boden als Unterlage der Kultur
benutzten, nicht mit einfachen liösungen arbeiteten, wie die russischen
Forscher (vgl. § 183 u. 187). Ebenfalls Verstärkung der Nitrifikation
fand Bierema*) neuerdings, wenn er Eiweiß in Form von Bak-
terien oder Pilzleibern der Erde zusetzte. Dadurch wird die Ansicht
der russischen Forscher, daß Nitrifikation und Denitrifikation (s. u.)
sich ausschlössen, hinfälUg. In der Tat scheinen sie neben-
einander vorkommen zu können, z. B. regelmäßig in den früher (S.571)
besprochenen biologischen Filtern (s. auch bei L ö h n i s).
Die Zusammensetzung der Salzlösung ist für die Nitrifikation
ebenfalls von Belang. Auf die Notwendigkeit des Eisens haben
ßchon Winogradsky und Omeliansky hingewiesen. Nach
D u m o n t und Crochetelle^) würden die Chloride von
Kalium und Kalzium die Nitrifikation im Boden beeinträchtigen, die
Karbonate dieser Metalle, sowie das Kaliumsulfat sie begün-
stigen. Nach Low*) wäre es nicht gleichgültig, in welcher Weise das
.Wmoniak gebunden ist. Ameisensaures Ammoniak würde gar nicht,
oxalfiaures nur sehr schwierig von den nitrifizierenden Bakterien aus-
genutzt. Nach Boullanger und M a s s o 1 verfallen aber alle
Ammoniaksalze der Nitrifikation, auch die der organischen Säuren,
selbst in einer Konzentration von 6 — lOVooJ ^^ ^^® arsenigsauren,
Jodwasserstoff-, zitronen- und Oxalsäuren Ammoniumsalze müssen in
starker Verdünnimg (0,5 — 1 Voo) angewandt werden. Ebensowenig Be-
deutung für die Tätigkeit der Nitratbildner hat es, ob die ihnen ge-
botene salpetrige Säure an dieses oder jenes Metall gebunden ist, so-
lange die Konzentration IVoo Glicht überschreitet; wenn sie stärker
wird, werden die Nitrite der Alkalien und alkalischen Erden vorgezogen.
Losungen, die 30— 50 Voo Ammoniumsulfat oder 20— 25 Voo Kalium-
nitrit enthalten, werden nicht mehr nitrifiziert.
Die günstigste Temperatur für die Nitrifikation ist 37°, und zwar
für beide Arten von Mikroorganismen. Die Nitritbildner sind aber
empfindlicher gegen Erhitzung, sie werden schon durch eine Tempe-
ratur von 45° binnen 5 Minuten, die Nitratbildner erst durch eine solche
von 55° getötet (Boullanger und M a s s o 1).
1) Göttinger phil. Dissert. 1906.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 20, 1908.
3) Ebenda 23, 1909.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 6715, 1909.
5) Compt. rend. ac. sc. 117. 670, 1893; 118. 604, und 119. 92, 1894.
6) Chem. Zentr. 1896. 57.
606 Kap. X, § 196 u. 197.
Über die Bildung möglichst großer Mengen von Nitraten unter
verschiedenen für das Gewerbe in Betracht kommenden Bedingungen
haben M ü n t z und L a i n e ^) umfangreiche Versuche angestellt.
Die Nitrifikation ließ sich in Komposterde bis auf 27 — 33 g Salpeter
im Kilogramm Erde steigern. Durch Auslaugen mit Wasser erhielten
die Verfasser Lösungen mit 90 — 157 Voo Salpeter. Das Eindampfen
solcher Lösungen zur Gewinnung von Salpeter würde sich vielleicht lohnen.
Li der Literatur finden sich verschiedene Angaben, die besagen,
daß auch noch andere Kleinwesen imstande seien, zu nitrifizieren, so
wollte Heraeus^) beim Bac. prodigiosus, typhi, anthracis, 8pir.
Finkler-Prior und Deneke u. a. eine geringe Nitritbildung aus Am-
moniak nachgewiesen haben. Wahrscheinlich sind diese Ergebnisse
irrtümUch und daraus zu erklären, daß den betreffenden Nährböden
Spuren von Nitraten beigemengt waren, die reduziert werden konnten
(§ 197), Auch ist eine Nitritaufnahme aus der Luft nicht unmögUch^).
Die „Umzüchtung" der Salpeterbakterien in andere Bakterien und
Schinmielpilze, die Stutzer, Burri und Hartleb ^) ausgeführt
haben wollten, erwies sich bei der Nachprüfung durch Gärtner*),
C. F r ä n k e 1^) und Winogradsky ebenfalls als trügerisch, sie
war durch unreine Kulturen vorgetäuscht worden. In späteren Ver-
öffentlichungen hat Stutzer Winogradskys Darstellung im
wesentlichen bestätigt*). Auch Wimmer (a. a. 0.) kommt zu
gleichen Besnltaten. Neuerdings wird aber wieder von Heinze
und namentlich D u n b a r die Möglichkeit der Salpeterbildung durch
eiweißersetzende Pilze und Bakterien betont (§ 176).
§ 197. Denitrifikation, Nitritbildung. Der Nitrifikation, die
durch die Salpeterbakterien bewirkt wird, steht die Denitrifikation
oder Stickstoffgärung gegenüber. Sie verläuft in zwei Zeiten, der
Reduktion der Salpetersäure zu salpetriger Säure oder besser der Ni-
trate zu Nitriten und der weiteren iZersetzimg der Nitrite zu Stickstoff.
Unter Umständen geht die Reduktion bloß bis zum Stickoxyd (§ 200),
oder noch weiter bis zum Ammoniak (§ 199). Die Entstehung des Nitrits
aus Nitrat wurde schon 1862 von Goppelsröder') im Erdboden
beobachtet und von M e u a e 1®) auf Bakterien Wirkung zurückgeführt.
Die Entbindung freien Stickstoffe aus Nitraten bei der Fäulnis und im
1) Compt. rend. ac. sc. 141. 861, 1905.
2) Zeitschr. f. Hyg. 1. 193, 1886.
3) Omeliansky, Zentr. Bakt. 2. Abt. 5. 474.
4) Ebenda 1—3, 1895—1897,
5) Ebenda 4. 1898.
6) Ebenda 7, 1901.
7) Poggendorfs Annalen 195, 125.
8) Ber. ehem. Gesellsch. 1875. 1214 und 1653.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 607
Erdboden stellte zuerst Schlösing fest^). Gayon und duPetit^),
sowie D e li e r a i n und Maquenne^) machten dann bestimmte
Mikroorganismen für die Gärmigyerantwortlicli,die letzteren einen streng
anaeioben Buttersäuiebazillus, was übrigens nicht bestätigt worden ist,
die ersteren luftliebende Bakterien, die Bac. „denitrificans a und ß'\
Die Zahl der später isolierten Arten ist eine recht bedeutende (§ 198).
Den meisten Mikroorganismen ist die Fähig-
keit eigen, Nitrat zu Nitrit zu reduzieren. So fand
Maassen^), dem wir wohl die vollständigsten Untersuchungen darüber
verdanken, miter 107 daraufhin untersuchten Bakterien 84, die in
5prozentiger Peptonlösong (mit 0,5% Salpeter) dazu imstande waren.
Manche Hefe- und Schimmelpilze besitzen nach K. W o 1 f f ^) eben-
falls diese Eigenschaft. Sie ist freilich sehr verschieden stark ent-
wickelt, auch bei den Stämmen derselben Art (z. B. Bac. diphtheriae,
cyanogenes) und bei nahe verwandten Arten, z. B. Heubakterien,
fluoreszierenden Bazillen und Kommabazillen. Die Zusammen-
setzung des Nährbodens hat Einfluß auf das Ergebnis.
Einmal gibt es Bakterien, die das Nitrat nicht angreifen, wenn ihnen
andere Stickstoffquellen daneben zu Gebote stehen, z. B. die Bac.
megatherium und mesentericus vulgatus. Dann konmit die Art der
Kohlenstoffnahrung erheblich in Betracht. Meist ist die Nitratreduk-
tion eine sehr viel kräftigere in Nährböden, die neben Pepton noch
Kohlenhydrate, Glyzerin oder organische Säuren enthalten. Anderer-
seits schwächt reichlicher Sauerstoffzutritt die Beduktion, wenn sie
sie auch nicht verhindert. Doch scheinen sich die einzelnen Mikro-
o^anismen verschieden zu verhalten, ebenso wie gegen den Zusatz
von chlorsaurem Kali (0,6 %) ; nach M a a s s e n verhindert
dieser bei vielen Bakterien die Nitritbildung (s. u.), bei dem Bac. pyo-
cyaneus aber nicht, obwohl er das Wachstum nicht henmit. Freilich
ist dieses Bakterium einer der kräftigsten Nitratzerstörer, verwandelt
es doch 0,5% Salpeter binnen 24 Stunden vollständig in salpetrig-
saures Salz. Wichtiger als dieses noch wenig klare Verhältnis ist die
Tatsache, daß manche strengeAerobier unter den n i t r i t •
bildenden Bakterien bei Gegenwart von Salpeter
1) Compt. rend. ac. sc. 66. 237, 1868; 77. 203 u. 353, 1873. Nach
WaringtonmidH. Jensen (Lafars Handb. 3. 186)hätteA. Smith
1867 die Stickstoff entbindung entdeckt. Hier auch andere Lit.
2) Ebenda 95. 644, 1882, und Annal. agronom. 1886. 256.
3) Compt. rend. 95. 691, 732 und 854, 1882.
4) Arb. Gesundheitsamt 18. 1, 1901 mit Literatur.
5) Hyg. Rundschau 1899. 546 nach Laurent (Bull. Ac. Roy.
Belgique 1890) sollen auch PeniciUium glauciim, Mucor racemosus und
^acharomyces reduzieren.
608
Kap. X, § 197 u. 198.
anaerob wachsen (z. B. Pyocyaneus, die fluoreszierenden
Bazillen usw. vgl. S. 610). Sie benutzen offenbar den gebundenen
Sauerstoff der Nitrate an Stelle des freien der Luft^).
In folgender Liste ist das Verhalten der bekannten Mikroorganismen
angegeben :
Nitrat reduzieren binnen 4 Wochen zu Nitrit*):
stark
Bac. aerogenes
coli
enteritidis
typhi
rhinoscleromatis
suipestifer
typhi murium
proteus vulgaris
„ mirabilis
prodigiosus
phosphorescens
pyocyaneus
fluorescens lique-
faciens a
mycoides
mesentericus ruber
mesentericus aus
Milch
Semiclostridium com-
mune
Staphyl. pyog. albus
„ „ aureus
Spirillum Deneke
,, Blankenese
Mucor mucedo
Rosahefe
Orangehefe.
mittelmäßig oder schwach gar nicht
Bac. anthracis Bac.murisepticus
>>
ij
mallei
diphtheriae
pseudotuberculosis
pestis
cholerae gallinarum
suisepticus
pneumoniae
proteus Zenkeri
Zopfii
faecalis alcaUgenes
tuberculoidesMöUer
Petri
Rabi-
nowitsch
fluorescens non li-
quefaciens
indigonaceus
cyanogenes
violaceus
Kiliensis
Microc. candicans
Sarcina mobilis
„ flava 2.
Spirillum cholerae
Massaua
Metschnikoff
Berolinensis
Monilia Candida.
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megatherium
subtilis
mesentericus
vulgatus
fluorescens
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praepollens
Sarcina aurantiaca
flava 1.
Finkler-Prior
Miller
rubrum
rugula
serpens
volutans
Oidium lactis.
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1 ) Über die Energieverhältnisse der Keaktion und deren enzymatische
Natur s. u. § 198.
2) Zum Nachweis dienen außar der Gelbfärbung und Gasentwicklung
durch Säurezusatz entweder Jodkaliumstärkekleister mit Schwefelsäure
oder Sulfanilsäiu-e und Naphtylamin. Über die sog. Nitrosoindolreaktion
vgl. § 170.
Wandlungen einfacher Stickstoff körper. 609
§ 198. Stickstoffgärnng. Die weitere Reduktion des Nitrits
führt zu verschiedenen Vorgängen, zur Bildung von Stickoxyd, freiem
Stickstoff und von Ammoniak. Wir besprechen zunächst die Ent-
bindung von Stickstoff, oder wie man wohl sagen darf, die Stick-
Stoffgärung. Sie wird verursacht durch verschiedene, haupt-
sächlich im Kot der Pflanzenfresser^), Mist, Stroh, in gedüngter und
imgedüngter Erde*), ja selbst im Meere^) lebende Mikroorganismen,
deren Gegenwart man leicht dadurch feststellen kann, daß man die be-
treffenden Stoffe in Salpeterbouillon einträgt und — am besten bei Sauer-
stoffabschluß — in den Brutofen stellt. Schaumbildung zeigt die Gä-
rung an. Von den bisher rein gezüchteten Bakterien mögen die von
B u r r i und Stutzer^) beschriebenen Bac. denitrificans I und II
iBact. Stutzeri^)), das Bact. Hartlebi Jensens®), der Vibrio denitrifi-
cans Severins*^), der Bac. praepollens Maaßens aus Fäzes
(S. 535), die Farbstoffbildner Bac. pyocyaneus®), fluorescens liquefa-
ciens*) und non liquefaciens^**), der Bac. vulpinus^^) genannt sein. Die
meisten sind streng aerobe Bakterien, einige zer-
setzen Eiweiß kräftig, alle sind unfähig, Ko hlenhydrate
zu vergären. Die Mehrzahl wächst auf salpeterhaltigen (0,2 — 1,00)
Nährböden unter Gasbildung und gleichzeitiger Bildung von Nitrit
(§ 197), der Bac. praepollens und denitrificans I gären aber nur auf
solchen, die salpetrige Salze (0,1 — 1,0) enthalten. Die letzten beiden
Bakterien können daher erst Salpeterlösungen vergären, wenn sie zu-
sammen leben mit Mikroorganismen, die Nitrat zu Nitrit reduzieren ^^).
Die Nitrit bild ung und S ti cks t o f f gärung sind also
Prozesse, die häufig nebeneinander vorkommen,
die aber an sich voneinander unabhängig sind. Das
1) H. Jensen, Zentr. Bakt. 2. Abt. 3 und 4.
2) Vgl. Höflich, Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 247 ff. und v a n 1 1 e r -
son ebenda 9, 1903.
3)Baur, Gran, Kochs Jahresber. 1901.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 257 u. 356, 1895, vgl. Weißenberg,
Arck f. Hyg. 30, 1900.
5) Lehmann und N e u m a n n , Bakteriologie.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 449, 1898.
7) Ebenda 1. 162 und 3. 510, 1897; 22. 348, 1909.
8) W e i ß e n b e r g ». a. O.
9) K. Wolf, Hygien. Rundschau 1899. 539.
10) Maaßen a. a. O. (§ 197).
11) van Iterson, Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 106, 1904.
12) Ober die schleimbildenden Semiciostridien (vgl. § 128), die nach
Maaßen wahrscheinlich auch die Schaumgärung in Zuckerfabriken
(Salpetersäuregärung der Melasse) verursachen, vgl. § 200.
Km 86, Mikrobiologie. 39
610 Kap. X, § 198.
entwickelte Gas ist meist reiner Stickstoff (vgl. aber § 200), die da-
neben regelmäßig gebildete Koblensäuxe bleibt gewöhnlich im Nälu-
boden gebunden an die AlkaUen, die durch die Zerlegung der Nitrite
in Freiheit gesetzt werden imd eine stark alkalische Keaktion erzeugen.
Die Gärung beginnt häufig schon am ersten Tage und ist gewöhnlich
bis zum zehnten vollendet.
Die Stickstoffgäxung wird noch mehr als die Reduktion des Nitrats
von der Zusanmiensetzung des Nährbodens und den Arteigenheiten der
Mikroorganismen beeinflußt. Der Bac. praepollens verursacht die
Gärung nur in eiweißhaltigen Nährböden, weil er in anderen überhaupt
nicht zur Entwicklung gelangt; der Bac. pyocyaneus vergärt nach
M a a ß e n Nitrat schon bei gleichzeitiger Anwesenheit von Pepton,
das Bact. Stutzen und Hartlebi nach Salzmann ^) nur, wenn außer
dem Pepton noch Kohlenhydrate, Alkohole und organische Säuren vor-
handen sind. Derartige leicht oxydierbare Stoffe
begünstigen in jedem Falle die Gärung, doch zeigen
sich erhebliche unterschiede bei den einzelnen Bakterienarten. Jen-
sens denitrifizierende Bakterien griffen den Salpeter nicht an, wenn
ihnen als einzige Kohlenstoffquelle Glyzerin und Traubenzucker ge-
boten wurde, die fluoreszierenden Bakterien M a a ß e n s konnten
das dagegen leisten. Das Bact. Hartlebi vergor nach S a 1 z m a n n
den Salpeter, wenn ihm außer dem Pepton noch ein ameisensaures
Salz geboten wurde, das Bact. Stutzeri nicht. Oxalsaures Salz als
Zugabe reichte bei beiden Bakterien nicht aus, der Prozeß blieb viel-
mehr bei der Nitritbildung stehen. Von den Kohlehydraten erwiescD
sich Hexosen und Pentosen, Disaccharide und Gummiarten bald als
brauchbar, bald nicht; Beispiele dafür findet man bei Salzmann
und Lemmermann*) sowie Krüger imd Schneidewind
(S. 396). Über die Bedeutung solcher Nährstoffe für die „indirekte
Denitrifikation" durch Säurebildner vgl. S. 616.
Eine besondere Stellung nehmen die denitrifizierenden Bakterien
ein, die organische Stoffe bei ihrer Ernährung entbehren können und
statt ihrer Schwefel als Kraftquelle benutzen (§ 210). Nach Sto-
klasa (§ 171) lassen die Denitrifikationsbakterien bei gleichzeitigem
Vorhandensein von Eiweiß (Leim) oder Asparagin und Salpeter jene
verwickelten Stickstoffverbindimgen ziemlich unberührt.
Über den Einfluß des Sauerstoffs auf die Stickstoff-
gärung lauten die Angaben der einzelnen Forscher nicht gleich. Bei
1) Chemisch-physiologische Untersuch\ingen usw. Phil, Dißsert.
Königsberg 1902 (vgl. § 29 ff.).
2) Kritische Studien über Denitrifikationsvorgänge. Habilitat. Jena
1900 mit Literatur.
Wandliuigen einfcK^her Stickstoff körper. 611
dem Bac. praepollens soll starke Durchlüftimg nach M a a ß e n
die Gärwirkung nur wenig beeinträchtigen, bei den fluoreszierenden
Bakterien sie jedoch erheblich schwächen. Bei allen Bakterien war sie
nach diesem Autor unter völligem Luftabschluß weniger kräftig als
bei mäßigem Luftzutritt. Zusatz von chlorsaurem Kali
hemmte und verhinderte die Gärung, nicht das Wachstum (vgl. o.
S. 607). Andererseits fanden B u r r i und Stutzer, daß in Kulturen
ihres Bac. denitrificans die Stickstoffentbindung imterblieb, wenn be-
ständig Luft hindurchgesaugt wurde. Ebenso beobachtete Weißen-
berg, daß bei Züchtimg des Bac. pyocyaneus und Stutzeri in
dümien Schichten mit unbeschränktem Luftzutritt die Denitrifikation
nicht bis zur Stickstoffgärung fortschritt, sondern bei der Nitritbildung
stillstand. Vast alle Forscher machten femer die Bemerkung, daß
ihre Bakterien in Nährböden, die kein Nitrat oder Nitrit enthielten,
bei vollständiger Anaerobiose überhaupt nicht wuchsen, in Gegenwart
dieser Körper aber sich gut entwickelten und Gänmg hervorriefen.
Mit anderen Worten : das Leben ohne freien Sauerstoff
wird diesen luftliebenden Mikroorganismen erst
durch die Stickstoffgärung ermöglicht. Die Re-
duktion des Salpeters zu Nitrit hatte, wie wir sahen, denselben Ein-
fluß auf diese Aerobier, beide Prozesse verschieden aufzufassen, liegt
also wohl kein Grund vor : beide liefern Energie, die Ni-
tratreduktion aber weniger als die Stickstoff-
gärung des Nitrits.
Die Reduktion der Salpetersäure zu salpetriger Säure verläuft in
wässeriger Lösung nach der Formel:
1) H^jOe =» HjNjjO* + 20 (— 36,6 Kai.).
Wollen wir daraus die volle Energiegleichung ableiten, so müssen wir
wiseen, was aus dem frei werdenden Sauerstoff wird: Offenbar wird er zur
Oxydation organischer Stoffe verbraucht, z. B. des Traubenzuckers, Gly-
zerins, Alkohols, der Wein- oder Essigsäiire, die den Denitrifikations-
bakterien nebenher geboten werden. Wir werden später (§ 227) sehen,
daß durchschnittlich 50 — 60 Kai. dabei für jedes Sauers toffatom, das
verbraucht wird, entwickelt werden. Nehmen wir die Zahl für den Trauben-
zucker = 56, so haben wir nach Formel 1 einen Überschuß von
X = 112 — 36,6 = 75,4 Kai.
als Wärmewert für die Reduktion der Salpetersäure zu salpetriger Säure und
dieOxydation der Kohlenstoff Verbindung durch den frei werdenden Sauerstoff.
Ahnlich haben wir bei der Vergärung der salpetrigen Säure zu Stickstoff:
2) HjNjO* = N. -f 30 -{- HgO (+ 6,8 Kai.).
Hier können wir wieder für 3 O den durchschnittlichen Wärmewert ein-
setzen, den wir oben für die Oxydation organischer Substanzen durch den
freien Sauerstoff ermittelt haben, so bekommen wir einen tJberschuß von
y = 168 + 6,8 = 174,8 Kai.
89*
612 Kap. X, § 198 u. 199.
als Wärmewert für die Reduktion der salpetrigen Säure zu Stickstoff imd
die Oxydation der kohlenstoffhaltigen Verbindung durch den frei werdenden
Sauerstoff. Nun vergärt freilich nicht die salpetrige Säure, sondern das
Nitrit. Dabei wird das Metall des Nitrits aus seiner Verbindung mit der
salpetrigen Säure wohl in Form des Hydroxyds, z. B. KHO in Freiheit
gesetzt, wodurch eine gewisse Wärmemenge gebunden wird. An das freie
Alkali tritt aber wieder die bei dem Oxydationsprozeß entstandene Kohlen-
säure oder organische Säure (z. B. Oxalsäure, Zitronensäure) und entwickelt
eine entsprechende Wärmemenge. Der Wert für y wird sich also durch
die Korrektur nicht wesentlich verändern. Wir hätten danach:
x : y = 75,4 : 174,8, d. h. die bei der Reduktion der Nitrite ent-
wickelte Energie verhält sich zu der bei der Vergärung des Nitrits zu Stick-
stoff entwickelten wie 3 : 7. Direkte Messungen der R«aktionswänne
liegen noch nicht vor, ebenso fehlt eine Bestimmung der bei der Denitri-
fikation gebildeten Oxydationsprodukte. Daß hauptsächlich Kohlensäure,
gebildet Tidrd , weniger organische Säure, ist aus der alkalischen
Reaktion zu schließen , die regelmäßig so stark ist, daß sie der
Ojärung ein Ziel setzt.
Die Reduktion des Nitrats zu Nitrit beruht wahrscheinlich auf
einem Enzym, das auch bei höheren Organismen, besonders den Sal-
petersäure assimilierenden Pflanzen, weit verbreitet ist (Laurent ^)).
Stepanow*) gelang es, auch mit tierischem Organbrei bei Chloro-
formzusatz, nicht bei Blausäureanwesenheit, Reduktion von Nitraten
nachzuweisen. Versuche mit Bakterien fehlen und die Erfahrungen, die
bei anderen Reduktionen gemacht worden sind, lassen sich nicht ohne
weiteres auf die hier in Frage stehende übertragen (S. 106, 203, § 161.
205, 214 ff.).
Die enzymatische Natur der Stickstoffgärung ist auch noch zu
beweisen. Daß aber die Stickstoffentwicklung aus Nitriten, die
Wroblewski, Buchner und Rapp im Hefepreßsaft
und Grodlewski imd Polszenius^) bei der anaeroben Kultur
keimender Erbsensamen in Salpeterlösung beobachtet haben, ein
enzjmatischer Vorgang wäre, ist zu bezweifeln. Wahrscheinlich ist
es eine einfache chemische Reaktion, bedingt durch das Vorhanden-
sein von Amiden und Säuren im Preßsaft (s. u. S. 617).
§ 199. Reduktion der Salpetersäure zu Ammoniak. Die-
jenigen Mikroorganismen, die keine Stickstoff-
gärung hervorrufen, können dennoch das Nitrit
zerstören, indem sie es zu Ammoniak reduzieren.
Es scheint das der gewöhnliche Weg zu sein, den
1) Annal. Pasteur 1890. 722.
2) Arch. f. exper. Pathologie 47, 411, 1902, vgl. Abele us und
G6rard, Ck)mpt. rend. ac. sc. 129. 56, 1899.
3) Anzeiger Akad. Krakau, Juli 1897.
Wandlungen einfacher . Stickstoff körper. 613
die Mikroben einschlagen, wenn sie den Stick-
Stoff der Nitrate oder Nitrite zur Assimilation
verwenden (vgl. S. 109 ff.). M a a ß e n (a. a. 0. § 197) hat das
für eine größere Zahl von Bakterien festgestellt, indem er sie in Nähr-
lösimgen züchtete, die Nitrat oder Nitrit allein als Stickstoffquelle
enthielten. Dazu eignet sich z. B. die G i 1 1 a y sehe Lösung, die auf
1000 aq. 2 g Salpeter, 5 g Zitronensäure, 2 g schwefelsaures Magnesium,
2 g Monokaliumphosphat, 0,2 g Ghlorkalzium, eine Spur Eisenchlorid
lind 2 g Zucker oder Glyzerin usw. enthält imd natürlich vor der Imp-
fung neutralisiert werden muß. M a a ß e n verwandte eine ähnliche
Lösung, in der die Zitronensäure durch Apfelsäure ersetzt war. Alle
27 Bakterienarten, die in dem Nährboden überhaupt wuchsen, redu-
zierten das Nitrat zu Nitrit und das Nitrit zu Ammoniak.
Manche von diesen Nitratverzehrem — sie sind Aerobier, ver-
flüssigen Gelatine imd bilden teilweise fluoreszierenden Farbstoff —
verdienen nach Ger lach und VogeP) den Namen „Eiweiß-
bakterien", weil sie das ihnen gebotene Nitrat wenigstens bis zu 0,3 %
ohne jeden Verlust in Eiweiß überführen. Nitrit tritt dabei vorüber-
gehend auf, Ammoniak fanden die Autoren nicht, wohl weil es zu
schnell verbraucht wird. Auffallend ist es, daß dieselben Bakterien
Ammonsulfat oder -karbonat, das ihnen statt des Nitrats geboten
wird, nicht so vollständig, sondern nur zu 12 — 48% assimiüeren. Viel-
leicht liegt es daran, daß die Gegenwart größerer Mengen von Ammon-
salzen die Eiweißbildung hemmt, wie M a z 6 *) für höhere Pflanzen
und Winogradsky für Nitratbakterien nachgewiesen haben (S. 604).
Ein besonderes Gewicht möchten \^ir auf die von G e r 1 a c h und
Vogel nicht betonte Tatsache legen, daß diese Bakterien ihr Eiweiß
mit dem geringsten Aufwand von stickstofffreien Nährstoffen auf-
bauen. So genügten 5 g Zucker im Liter der Nährlösimg, um den Stick-
stoff von 3 g Natriimmitrat in Eiweißstickstoff umzuwandeln. Das
ist eine Leistung, die andere Bakterien und selbst Schimmelpilze kaum
fertig bringen (§ 232 ff.)- Wir werden allerdings weiter imten, wenn
TO die Energiebilanz dieser Stoffwechselvorgänge aufstellen, sehen,
daß sich dabei Schwierigkeiten ergeben.
Auch diejenigen Bakterien, die Stickstoffgärung hervorrufen,
bilden nebenher Ammoniak, allerdings nur spurenweise, denn der
Hauptteil des Nitrats verfällt hier der Gärung. Ob dabei ein Teil des
assimilierten Stickstoffs als organische Stickstoffverbindung von den
Bakterien ausgeschieden wird, wie es B u r r i und Stutzer u. a.
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 7. 17/18, 1901.
2) Annal. Pasteur 1900. 26.
614 Kap. X, § 199 u. 200.
wollen, ist nach Maaßen zweifelhaft. Einige Autoren haben den
Versuch gemacht, eine Stickstoffbilanz aufzustellen. So fanden
Pfeiffer und Lemmermann^) bei der Stickstof^ärung ihres
Bac. denitrificans in Giltaj^cher Lösung 89,3% des Salpeteistick-
stoffs in freiem Stickstoff, 11,95% in der Gärflüssigkeit xmd den Bak-
terienleibem wieder. Nach Salzmann (S. 610) assimilierte das
Bact. Hartlebi in einer ähnlichen Lösung etwa 13 % des Salpeterstick-
stoffs, während der Rest als Gas entbunden wurde. In Nährböden,
die außer dem Salpeter noch andere Stickstoffquellen, z. B. Pepton
enthalten, kann der Stickstoff des Salpeters bis zu 100 % in Freiheit
treten. Der Salpeter dient daher in diesem Falle ausschließlich als
Earaftquelle, nicht zur Assimilation.
Ob auch die Ammoniakbildung bei denjenigen
Mikroorganismen, die nicht fähig sind zur Stick-
stoffgärung, eine Kraftquelle darstellen kann,
ist zweifelhaft, da nach M a a ß e n größere Mengen von Am-
moniak in den Kulturen nicht angehäuft werden, sondern anscheinend
immer nur etwa soviel aus dem Nitrat entsteht, wie zur Assimilation
verbraucht wird. Doch haben M a a ß e n und schon vor ihm Low-)
imd Dieudonne^) gefunden, daß auch in eiweißhaltigen Nähr-
lösungen das Nitrit von vielen Bakterien ohne Stickstoffentwicklung
aufgezehrt, also wohl in Ammoniak verwandelt wird. Von 109 ge-
prüften Mikroorganismen ließen 50 in Peptonlösung mit 0,01 % Nitrit
das Nitrit verschwinden, nur 4 unter Stickstoffentwicklung. Die Fähig-
keit, das Nitrit zu reduzieren, war auch einzelnen Bakterien eigen,
die Nitrate nicht reduzieren konnten, z. B. dem Bac. praepoUens, me-
gatherium und mesentericus vulgatus, und umgekehrt reduzierten
41 Arten das Nitrat imd nicht das Nitrit. Da bei dieser Ammoniak-
bildung, in Gegenwart von Eiweißstoffen, eine nachträgliche Assimi-
lation wohl kaum in Betracht kommt, so könnte man von einer ,.Äm-
moniakgärung'' des Nitrats sprechen. MögUch wäre sie deswegen,
weil bei der Reaktion eine beträchtliche Menge Wärme frei würde.
Die Reaktion verläuft vielleicht in folgender Weise:
3) HgNjO* + 2HsO = 2NH, + 60 (— 1Ö8 Kai.) .
Durch die Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Verbindungen, z. B. von
Zucker mittelst der 6 Atome Sauerstoff, würden entwickelt (S. 611) 336 Kai.,
wir gewännen also aus der Vergärung des Nitrits zu Ammoniak:
z = 336 — 158 = 178 Kai.
1) Landwirtsch. Vorsuchsstat. 50. 118, 1898.
2) Ber. ehem. Gesellsch. 1890, 675.
3) Arbeit. Gesimdheitsamt 11. 508, 1895.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 615
AL<w wäre die Ammoniakbildung wirklich eine gute Kraftquelle für die
Mikroorganismen, natürlich nur dadurch, daß der bei der Reduktion frei
werdende Sauerstoff energische Oxydationen vollbringt.
Wenn wir uns die Reduktion entstanden denken durch Einwirkung
freien Wasserstoffs auf das Nitrit, so würde noch mehr Wärme gebildet
werden. Der Prozeß der Wasserstoffbildung führt aber, wie wir bei Ge-
legenheit der Milchsäure- und Buttersäuregärungen gesehen haben, immer
wieder auf die Spaltung des Wassers zurück, die unter Bindung von viel
Wärme verläuft. Es ist also am einfachsten, die Formel 3 zum Ausgangs-
punkt zu nehmen.
Mit Hilfe der Gleichiuig 3 und 1 auf S. 611 können wir auch eine Stoff-
und Kraftbilanz der oben genannten Eiweißbakterien von G e r 1 a c h
und Vogel aufstellen. Wenn 3 g Natriunuiitrat NaNO, 5 g Traubenzucker
entsprechen, kommen auf 85 g Natriumnitrat (= I Grammolekül) 142 g
Zucker. Aus 85 mgr NaNO, werden durch Reduktion 17 g NH,. Dabei
werden 16 g Sauerstoff (1 Atom nach Gleichung 1) für die Reduktion des
Nitrats zu Nitrit und 3 x 16 = 48 g Sauerstoff (3 Atome nach Gleichung 3)
für die des Nitrits zu Ammoniak, im ganzen also 4xl6»64gO frei d. h.
etwa soviel, wie zur vollständigen Verbrennung von 60 g Traubenzucker
(^j Grammolekül) nötig sind. Es bleiben also übrig 82 g Zucker zum
Aufbau des Eiweißes aus 17 g Ammonicik. Diese genügen aber nicht,
sondern es ist nach § 231 erheblich mehr Zucker nötig. Es müßte sich
also entweder um ein abnorm zusammengesetztes, d. h. besonders stick-
i^toffreiches Eiweiß handeln, oder um Fehler in den Berechnungen von
(J e r 1 a c h und Vogel. Den Nachweis, daß wirklich Eiweiß gebildet
und in den Körpern der Bakterien festgelegt war, suchten die Forscher
dadurch zu führen, daß sie die Abwesenheit von Nitraten, Nitriten und
Ammoniak in der ausgewachsenen Kultur feststellten und den Stickstoff
sowohl in der filtrierten als unfiltrierten Kultur durch dEis Kjeldahlsche
Verfahren bestimmten. Das Filter hielt den Stickstoff, der dem des dar-
frebotenen Natriumnitrats entsprach, bis auf Spuren zurück.
Eine Nachprüfung der Versuche von G e r 1 a c h und Vogel wäre
erwünscht.
§ 200. Entwicklung von Stickstoff oxyden. Bedeutung der
Stick Stoff entbindung. Mit den bisher besprochenen drei Fällen de^-
Reduktion des Nitrats zu Nitrit, Stickstoff und Ammoniak, haben wir
noch nicht alle Möglichkeiten der Umwandlung der Oxyde des Stick-
stoffs erschöpft. Schon lange bekannt, wenn auch nicht richtig ge-
deutet, war die sogenannte „Salpetersäuregärung" der Melasse, bei
der sich aus dieser rotbraune Dämpfe von Stickstoffdioxyd
(XOg) entwickeln^), femer sahen schon Schlösing, Deherain
undMaquenne,Gayon und du P e t i t u. a. (S. 607) bei der Zer-
setzung des Salpeters gelegentlich auch die niederen Oxydationsstufen,
das Stickoxyd (NO) und Stickoxydul (NgO) erscheinen.
Maaßen (S. 607) gelang es denn auch, durch viele Reinkulturen
1) Dubrunfaut, Compt. rend. ac.sc. 66. 275, 1868, vgl.Lafar,Tech-
nwche Mykologie S. 279. Erreger sind wohl die „Semiclostridien" (S. 406).
616 Kap. X, § 200.
zwar nicht das letzte Gas, aber Stickoxyd zu erzeugen, wenn er sie
in Peptonlösungen züchtete, die neben 0,2 — 0,5% Salpeter noch 0,5
bis 5% Glyzerin, Mannit oder Zuckerarten enthielten.
Unter 100 Bakterienarten waren 31 imstande, nicht nur Nitrat
zu Nitrit zu reduzieren, sondern auch noch das Nitrit zu Stick-
stoff und Stickoxyd zu vergären. Die Gärung erfolgte im
Gegensatz zu der in § 198 besprochenen Stickstoffgärung langsam,
die Gasbildung begann im Gasröhrchen meist erst am 3. Tage, manch-
mal am 10. Tage und noch später sichtbar zu werden. Stickoxyd wurde
dabei immer nur in geringer Menge gebildet und dadurch nachgewiesen,
daß besonders bei Säurezusatz Gelbfärbung der Flüssigkeit und schwache
Gasentwicklung eintrat. Nach M a a ß e n wäre diese neue Art der
Denitrifikation nicht abhängig von dem Sauerstoff und auch nicht
von dem Vermögen der Bakterien, Glyzerin, Mannit usw. zu vergären,
wie es K. W o 1 f ^) für den Bac. coli, gewisse Heubazillen u. a. m. an-
genommen hatte; doch meint der Autor hiermit nur die Gärung mit
Gasentwicklimg, denn er selbst schreibt ebenso wie Weißenberg ')
der Säurebildung, oder wie man auch sagen kann, der „sauren
Gärung" die Hauptrolle bei dem Prozeß zu. In der Tat gehören lauter
Säurebildner hierher, so der Bac. coli, aerogenes, Typhus,
Paratyphus, der Bac. p r o t e u s vulgaris und mirabilis, der pro-
digiosus, Kiliensis, mesentericuLS und die ihm verwandten Semiclostri-
dien (S. 406). Durch die saure Beaktion unterscheidet sich diese „indi-
rekte Denitrifikation" (Grimbert) von der echten Stickstoffgärung,
die, wie wir gesehen, stets viel Alkali bildet. Die Wirkung der Säure ist
zunächst die, daß die salpetrige Säure aus dem Nitrat
in Freiheit gesetzt wird. Zeigt diese schon von selbst Nei-
gung zum Zerfall in Stickoxyd und Stickstoffdi-
oxyd, so wird eine andere Zersetzung durch die Gegenwart von
Ammoniak verursacht: die salpetrige Säure setzt sich mit ihm —
nach K e r n ^) schon bei gewöhnlicher Temperatur — um in freien
Stickstoff und Wasser nach der Formel:
N203+2NH3=2N,+ 3H20.
Daß die salpetrige Säure Ammoniak in der Nährlösung antrifft, dafür
ist gesorgt, da es sowohl durch Reduktion aus der salpetrigen Säure
selbst gebildet (§199), als aus dem Pepton abgespalten wird (§171u.l74).
Weil die saure Reaktion erst den Vorgang einleitet, kann er durch die
1) Hyg. Rundschau 1899. 23.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 8. 160, 1902.
3) Landwirtschaft!. Versuchsstat. 24. 368, 1880; vgl. auch Di et
Zell, Ber. ehem. Gesellsch. 1882, 551, mit Lit.
Wandlungen einfcMsher Stickstoffkörper. 617
Anwesenheit von reichlichen Mengen von Ealziumkarbonat im Nähr-
boden geschwächt oder unterdrückt werden. Unter Umständen soll
freilich nach M a a ß e n die Stickstoffentwicklung auch bei alkalischer
Reaktion weitergehen. Ein näheres Studium wird vielleicht auch das
aufklären. Jedenfalls läßt sich auf das Freiwerden von salpetriger
Säure noch eine andere Tatsache zurückführen. Grimbert^)
hatte schon vor M a a ß e n gefunden, daß der Bac. coU und typhi,
also zwei der obengenannten Säurebildner in einer Nährlösung, die
nicht nur Salpeter und Pepton, sondern auch amidartige Kör-
per, z. B. aus dem Fleischextrakt, enthielt Stickstoff, imd
zwar mehr entwickelten, als dem zerstörten Salpeter entsprach: die
nähere Untersuchung machte es wahrscheinlich, daß die salpetrige
Säure ihn durch eine ähnUche Reaktion mit den Amiden erzeugt hatte,
wie mit dem Ammoniak. Bekannt ist auch diese Umsetzung den
(hemikem schon seit lange^). Da im Fleischextrakt auch Zucker
vorhanden ist, so ist damit die MögUchkeit einer Säurebildung und Ent-
bindung der salpetrigen Säure aus dem Nitrit gegeben. In solcher
Weise kommt auch vielleicht die Bildung freien Stickstoffs bei der
Fäulnis zustande (vgl. S. 560).
Ähnhch scheint sich die Stickstoffentwicklimg zu erklären, die
nach Wroblewski^), Buchner und R a p p *) salpetrig-
saures Salz im Hefepreßsaft hervorruft. 20 ccm des letzteren
lieferten mit 1 g Natriumnitrat binnen 4 Tagen bei 20° 75 ccm reinen
Stickstoff. Durch die saure Reaktion des Saftes wird dabei NgOj
entbunden, der sich mit den Amiden (Leuzin, Tjnrosin) der Hefe in
Stickstoff amsetzt.
Nach alledem hat man wohl diese indirekte Stickstoffgärmig oder
Denitrifikation als einen rein chemischen Prozeß anzusehen, der mit
der echten Stickstoffgärung als einem rein biologischen, vielleicht
enzymatischen Vorgang, nichts zu tun hat. Die Mikroorganismen,
die sie hervorrufen, können durch eigene Kraft nur das Nitrat zu Nitrit
und allenfalls zu Ammoniak reduzieren; nur wenn sie zufällig neben-
her noch aus anderen Stoffen Säure bilden, kann das Bild der Stick-
stoffgärung vorgetäuscht werden.
Auf die wirtschaftUche Bedeutung, welche die Denitrifikation
haben könnte, hat sich bald die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet.
Liegt es doch anscheinend auf der Hand, daß die denitrifizierenden
1) Annal. Fasteur 1899.
2) Vgl. Anm. 3 auf S. 616.
3) Zentr. Physiol. 1899. 284.
4) Ber. ehem. Ges. 1901. 1563.
618 Kap. X, § 200 u. 201.
Bakterien im gedüngten Erdboden große Stickstoffverluste bedingen
müssen^). Die weitere Bearbeitung*) dieser Frage hat diese Voraus-
setzung nicht recht bestätigt. So große Mengen Mist, wie sie im
Laboratoriumsversuch die Denitrifikation einzuleiten vermögen, werden
eben von der Landwirtschaft kaum angewandt. Daran ändern wohl
auch nichts die neuesten Versuche S e w e r i n s (s. o. S. 609). Eine
Denitrifikation im Mist selbst kommt schon deswegen nicht in Frage,
weil der Mist keinen Salpeter zu enthalten pflegt. Um so bedeutsamer
ist hier der Stickstoffverbrauch durch Ammoniakverdunstung^).
Übrigens ist die früher von Winogradsky aufgestellte Theorie,
nach der das reichliche Einbringen von organischen Stoffen in den
Boden, das für die Entwicklung der Denitrifikation Vorbedingung
ist, die Nitrifikation aufheben müßte, also auch in dieser Beziehung sich
ein Kampfverhältnis zwischen Nitrifikation und Denitrifikation ergebe,
ebenfalls durch die neueren Arbeiten nicht bestätigt worden (s. o.
S. 605). Theoretisch könnten beide Prozesse ganz gut nebeneinander
im Boden bestehen.
§ 201. Bindung freien Stickstoffs. Knöllchenbakterien.
Daß viele Kleinwesen aus den einfachsten Stickstoffverbindungen,
wie aus Anmioniak, salpetriger Säure und Salpetersäure ihi Eiweiß
aufzubauen vermögen, haben wir schon wiederholt (§ 32, 196 u. 199)
gesehen. Ebenso gibt es aber eine Ernährung durch freien
Stickstoff. Hier interessieren uns zunächst die Bedingungen,
die dafür gelten. In Betracht kommen nach unserer kurzen Übersicht
auf S. 113 vor allem die Knöllchenbakterien der Schmetterlingsblütler,
die Wurzelpilze der Bäume (§ 202) und die stickstoffixierenden Erd-
bodenkeime, namentlich das Clostridium Pastorianum und Azotobacter
chroococcum (§ 203). Die Geschichte der ersteren*) ist ebenso alt wie
interessant. Schon bei römischen landwirtschaftlichen Schriftsteilem
findet sich die Bemerkung, daß Lupine und Wicke keines Düngers
zu ihrer Entwicklung bedürften und ihrerseits, grün untergepflügt,
selbst als Dünger dienen könnten. Die praktische Erfahrung hat das
auch immer wieder bestätigt, die Erklärung dafür aber wurde erst in
den letzten Jahrzehnten erbracht. Allerdings hatten schon bald nach
1) Wagner, Deutsch, landwirtseh. Presse 1895, vgl. aber such
Landwirtschaft!. Versuchsstation 48. 267, 1897.
2) S. bei Pfeiffer und Lemmermann, ebenda 50, 1898.
3) Vgl. aber darüber D6h6rain in Kochs Jahresber. 1898
und 1899.
4) Vgl. R e m y , Stickstoffbindung durch Leguminosen. Verh.
Ges. Naturf. u. Ärzte 74. Vers. Carlsbad 1. 200, 1903. Hiltner in
Lafars Handb. 3, 1904.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 619
der Entdeckung des Stickstoffe verschiedene Forscher die Möglich-
keit in Betracht gezogen, daß höherePflanzen den fi*eien Stick-
stoff assimilieren könnten, die Versuche Boussingaults aus dem
Jahre 1838^) hatten auch schon bewiesen, daß Erbsen und Klee „den
Stickstoff fixierten'^ während Getreidearten dazu nicht imstande
wären, dennoch gelangte später unter dem Einfluß Boussingaults
selbst, L i e b i g s u. a. die Lehre wieder zur Alleinherrschaft, daß die
Pflanzen ihren Stickstoffbedarf nur aus Verbindungen wie Ammoniak
oder Salpetersäure decken könnten. Erst die Erfahrungen Schultz '-
Lupitz, eines praktischen Landwirts, lenkten die Aufmerksamkeit
der Forschung wieder auf das Problem, das dann in der Hauptsache
dnrch Hellriegel*) und Wilfarth gelöst wurde. Sie zeigten
in mühevollen Laboratoriumversuchen, daß Erbsen in sterilisierten
stickstoffarmen Boden eingesät und später vor Lifektion bewahrt,
bald an Stickstoffhunger zugrunde gingen, hingegen gut gediehen und
eine stickstoffreiche Ernte brachten, wenn dieselbe Erde vorher mit
einer geringen Menge einer Au&chwemmung von fruchtbarem Boden
geimpft worden war. Daß diese „Impfung" nur durch die lebenden
Mikroo^amsmen, die sie in den Boden hineinbrachte, wirkte, wurde
dadurch bewiesen, daß der Erfolg ausblieb, wenn die Bodenaufschwem-
mung vorher sterilisiert war. Gleichzeitig machten Hellriegel
und Wilfarth die Beobachtung, daß die Wurzeln der gut entwickelten
Erbsenpflänzchen mit knöllchenförmigen Auswüchsen
besetzt waren und daß deren Bildung um so reichlicher war, je mehr
Stickstoff die Pflanzen der Luft entnommen hatten. Diese Wurzel-
knöllchen waren allerdings schon seit dem 17. Jahrhundert als eine
Eigentümlichkeit der Schmetterlingsblütler bekannt und seitdem viel
studiert worden. Ihre Bedeutung war besonders rätselhaft geworden,
seitdem Woronin^) nachgewiesen hatte, daß sie regelmäßig massen-
haft lebende Bakterien enthielten. Gerade zur Zeit, als Hellriegel
und Wilfarth ihre Versuche anstellten, hatte Brunchorst*)
zwar die Bakterieimatur dieser Gebilde wegen ihrer unregelmäßigen,
oft verzweigten Form bestritten und sie als geformte Eiweißkörper
bezeichnet, denen er den Namen der Bakteroiden gab. Das war
natürlich jetzt sehr unwahrscheinlich geworden. Es gelang denn auch
bald danach Beijerinck^) die Knöllchenbakterien, den Bac.
1) Ann. chim. phys. 67. 1 und 69. 353.
2) Tagebl. Naturf. Vers. 1886, Beilageheft zur Zeitschr. f. Rüben-
zuckerindustrie 1888.
3) M^m. ac. imp^r. P^tersbourg 7. s^r. 10, 1866.
4) Ber. botan. Gesellsch. 1885. 241.
5) Bot. Zeitg. 1888, 726.
620 Kap. X, § 201.
radicicola (Rhizobium LeguminoBamm Frank) in Beinkultui zu
züchten, und Prazmowski^), mit solchen Kulturen die KnöU-
chen experimentell hervorzurufen. Trotz mancher Widersprüche in
Einzelheiten wurden die wesentlichen Tatsachen in der Folge allent-
halben bestätigt^) und durch viele neue Beobachtungen, die nament-
lich die Morphologie und Biologie der Enöllchen betrafen, ergänzt.
Über die wichtigste Frage, wie die Bindung des Stickstoffs zustande
käme, ob die Bakterien selbst sie, unabhängig von den Wirtspflanzen,
besorgten, oder ob sie diese dazu anregten, oder sie selbst durch den
Einfluß der Wirte angeregt würden, konnte man nur mehr oder weniger
wahrscheinliche Vermutungen hegen, bis M a z e ^) auch diese Frage
wenigstens anscheinend zur Entscheidung brachte. Während seine
Vorgänger in Reinkulturen der KnöUchenbakterien keinen ganz un-
zweifelhaften Stickstoffgewinn erzielen konnten*), gelangte der franzö-
sische Forscher dazu, indem er sie bei reichlichem Sauerstoffzutritt
(Überleitung eines Luftstroms) in Nährböden züchtete, die außer
2% Rohrzucker und Salzen auch noch geringe Mengen (150 — 300 mg
im Liter) Stickstoff enthielten. Bei völliger Abwesenheit von Stick-
stoffverbindimgen und Sauerstoff wuchsen die Bakterien überhaupt
nicht. Beispielsweise gewann M a z e aus etwa 200 ccm Ägarkultur,
die vor der Entwicklung der Bakterien 62 mg Stickstoff enthielt, nach
Mtägiger Züchtung 103 mg. 41 mg oder 200 mg im Liter waren also
aus dem Stickstoff der Luft fixiert worden. Natürlich war durch Vor-
schaltung von Waschflüssigkeiten dafür Sorge getragen, daß mit der
Luft keine Stickstoffverbindungen, wie Ammoniak und salpetrige Säure
in die Kulturen gelangen konnten. Gleichzeitig war der gesamte Zucker
des Nährbodens verschwunden, und zwar, wie sich in besonderen
Versuchen herausstellte, zum größten Teil zu Kohlensäure und Wasser
verbrannt. Ein kleiner Teil mag wohl in das stattlicheSchleim-
1 a g e r , das die Bakterien gebildet hatten (S. 408) übergegangen sein.
Das Gewicht und die Zusammensetzung dieser Bakteriensubstanz hat
M a z e leider nicht ermittelt, ebensowenig die Form, in der der Stick-
stoff ursprünglich im Nährboden enthalten war; daher kann eine
genaue Stoffwechsel- imd Energierechnung nicht aufgestellt werden.
Er selbst berechnet das Verhältnis des aus der Atmosphäre entnom-
1) Landwirtschaft!. Versiichsatat. 37 und 38, 1890.
2) Beijerinck, Bot. Zeitg. 1890. 837; Frank, Landwirtsch.
Jahrb. 1890; Nobbe, Schmid, Miltner und Hotter. LAnd-
wirtsch. Versuchsstat. 39, 1891: Schlösing und Laurent, Compt.
rend. 111. 750, 1890; Laurent, Annal. Pasteur 1891.
3) Annal. Pasteur 1897 und 1898.
4) Vgl. Beijerinck, Kochs Jahresber. 1892. 205.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 621
menen Stickstoffs zu dem verbrauchten Zucker auf 1 : 100. Wahr-
scheinlich ist diese Zahl zu hoch, immerhin ist nicht zu bezwcifebi,
daß die Assimilation des freien Stickstoffs in diesen Versuchen einen
verhältnismäßig großen Aufwand an Energie erforderte. Da aber das
BÖtige Brennmaterial in Gestalt von Kohlenhydraten in den Wirts-
pflanzen reichlich zur Verfügung steht, könnte der Prozeß der Stick-
stoffixierung in den Eüiöllchen ähnlich verlaufen wie in den Reinkulturen.
Allerdings £ragt es sich noch, ob die Stickstoffmenge, die im großen
durch den Anbau der Leguminosen fixiert wird, d. h. etwa 150 kg
auf den Hektar von den Enöllchenbakterien geliefert werden kann,
wenn wir die von M a z e erhaltenen Zahlen zugrunde legen. Es fielen
danach auf den Quadratdezimeter Bodenoberfläche oder auf 1 — 2 Liter
Boden 150 mg Stickstoff. Die günstigste Zahl von M a z e betrug
200 mg auf den Liter Reinkultur. Da nur ein kleiner Teil des Bodens
von den EjiöUchen eingenommen wird, sowürdenalsodieBak-
terien innerhalb der-Knöllchen eine viel ener-
gischere Tätigkeit entfalten müssen als in den
Kulturen.
Die M a z e sehen Ergebnisse sind später von H i 1 1 n e r ange-
fochten worden, da Verunreinigung mit anderen sicher stickstoff-
bindenden Bakterien (§ 203) vielleicht nicht ausgeschlossen sei imd
die eigenen Versuche von H i 1 1 n e r und Störmer^) keinen Stick-
stoffgewinn ergaben. Es bleiben hier also noch Lücken auszufüllen.
Über das Eindringen von Knöllchenbakterien in die Wirtspflanzen,
die Entstehung der KnöUchen und ihre Verwertung für die Stickstoff-
ernährung der Pflanzen wird in der Infektionslehre ausführlicher zu
sprechen sein^). Hier sei nur vorweggenommen, daß das Eindringen
mit Hilfe eigentümlicher schleimiger Bildungen, die wir schon früher
erwähnt (S. 408 u. 414), der sogenannten ,, Infektionsfäden", erfolgt,
die E^öllchen selbst, wie andere durch Parasiten hervorgerufene Bil-
dungen (z. B. Gallen) zum Teil als Reaktionsprodukte der Pflanzen
anzusehen sind, die Bindung des atmosphärischen Stickstoffs durch die
Bakterien nicht mit der Vermehrung beginnt, sondern wahrscheinlich
eng zusammenhängt mit der Umbildung zu den Bakteroiden (N o b b e
und H i 1 1 n e r ^)). Gerade weil das übrigens so ist, und die Bak-
terienumbildungen auch in Reinkulturen beobachtet werden können
(s. u.), sollte man erwarten, auch hier der Stickstoffbindung zu begegnen
(s. 0.). Allerdings machen H i 1 1 n e r und S t ö r m e r darauf auf-
1) Arbeit, biol. Abt. K. Gesundheitsamts 3. lÖl, 1903.
2) Vgl. aber das unten über Virulenz Gesagte.
3) Landwirtschaft!. Versuchsstat. 51, 1898.
622 Kap. X, § 201.
merksam, daß das wesentliche an der BakteroidenbUdung nicht die
Verzweigungen sind (vgl. S. 9), sondern Änderungen im proto-
plasmatischen Inhalt, die man erst mikrochemisch nach-
weisen kann. Es treten bei reichlicher Gegenwart von stickstofffreier
Nahrung nämlich Vakuolen auf, und das Plasma sondert sich einerseits
in einen Karbolfuchsin stark aufnehmenden und mit Jodtinktur rot-
braun werdenden, lichtbrechenden Teil (Glykogen), andererseits in
einen schwach färbbaren, mit Jod gelb werdenden Bestandteil. Der
chromatische Teil der Bakteroiden, der öfters förmUche Sprossen an
ihnen bildet, soll es nun auch nach H i 1 1 n e r imd S t ö r m e r sein,
der von den Wirtspflanzen resorbiert wird und in irgendeiner bisher
noch dunklen Weise zu der Stickstoffbildung beiträgt.
Über den Chemismus der Stickstoffassimilation ist nichts bekannt.
Nehmen wir als einfachsten Fall an, daß Anmioniak das erste Zwischen-
produkt wäre, so hätten wir die Gleichung
2N, + 3H,0 = 2NH, -f 80 (— 164 Kai.) .
Die drei dabei freiwerdenden Sauerstoffatome würden durch Verbrennung
von Zucker mehr Wärme erzeugen, als bei der Reaktion gebunden wird.
Zum weiteren Aufbau von Eiweiß aus Ammoniak ist, wie wir bei den Eiweiß-
bakterien sahen (S. 615), auch keine erhebliche Menge Zucker nötig. Der
riesige Verbrauch, den M a z ö konstatiert hat, kann sich also nur dadurch
erklären, daß der Prozeß der Stickstofffixierung viel weniger sparsam ver-
läuft, als hier eingenommen. — Wieweit Enzjnne dabei in Betracht
kommen, bleibt noch festzustellen.
Die Reinkultur *) der Knöllchenbakterien gelingt ziemlich
leicht auf Pflcmzenabkochungen, z. B. von Erbsen mit Zuckerzusatz
(0,4%); Aspajragin ist nicht nötig, aber nützlich. Auch sind Nitrate, weniger
gut Ammoniaksalze, als Stickstoffquelle zulässig bzw. nützlich (M a z e).
Saure Reaktion und eine Temperatur von 35* begünstigen nach Stutzer
die Entstehung von Bakteroiden, die übrigens auch schon von B e i j e -
r i n c k auf festen Nährböden gesehen wurden. Die Hauptsache ist aber
wohl, wie H i 1 1 n e r und S t ö r m e r angeben, ein großer Überschuß
an kohlenstoff reichem Nährmaterial, zu dem sich nebenbei alle möglichen
Kohlenhydrate und organischen Säuren eignen*). Am besten werden zur
Aussaat jiuige, noch nicht zerfallene KnöUchen benutzt; man st-erilisiert
sie durch SubUmat, zerquetscht sie nach gründlichem Abspülen und streicht
1) Die Angaben Gonnermanns über den Bac. tuberigenee
(Landwirtsch. Jahrb. 1894) haben vor der Kritik nicht standgehalten.
Neuerdings übt wieder de R o s s i (Zentr. Bakt. 2. Abt. 18. 289, 1907)
an den bisherigen Versuchen Kritik \md will die von ihm gezüchteten
Bakterien als die allein richtigen anerkannt wissen. Insofern hat er wohl
recht, als die bisherigen Beschreibungen keineswegs ein einheitliches
und ganz klares Bild ergeben. Die von R o d e 1 1 a (ebenda 18. 455) als
Knöllchenbakterien beschriebenen Anaeroben sind wohl nur gelegentliche
Verunreinigungen.
2) Vgl. auch N e u m a n n , Landwirtschaf tl. Versuchsstat. 56, 1901.
Wandlungen einfacher Stickstoff köri)er. 623
sie auf Platten aus. Manche Forscher geben an, daß die Bakterien all-
mählich auch an die gewöhnlichen Fleischnährböden gewöhnt werden können,
doch wachsen sie ursprünglich nicht darauf. Die großen Veränderungen
der morphologischen und physiologischen Eigenschaften, die M a z ^ den
Bakterien zuschreibt, sind mit Mißtrauen zu betrachten.
Was die Artenfrage anlangt, so war es durch die gleich zu besprechen-
den Versuche von N o b b e mid H i 1 1 n e r sehr wahrscheinlich geworden,
daß die KnöUchenbakterien der einzelnen Leguminosen nur Anpassungen
einer und derselben Art an verschiedene Wirtspflanzen sind. Indessen
nimmt Hiltner*) auf Grund des verschiedenen Verhaltens zu festen
Nährböden zwei Arten an, das Rhizobium Beijerinckii (von
Lupinen, Serradellen, Sojabohnen), das nur auf Agar, das Rhizobium
radicicola, das auch auf Gelatine wächst.
Zu den Infektionsversuchen an lebenden Pflan-
zen gewinnt man nach Buhlert *) ein reines und doch keimfähiges
Ausgangsmaterial, indem man die Samen der Leguminosen, z. B. Erbsen,
0 Minuten lang mit 0,2prozentigem Sublimat imd einer Bürste behandelt,
dann in Alkohol abwäscht und diesen abbrennt. Die Aussaat erfolgt in
Erde oder Sand, die man in hohen Flaschen sterilisiert und mit Nährsalz-
lösungen (z. B. aq. dest. 1000, Magnesium-, Kalium-, Kalziumsulfat, Kal-
ziumphosphat und Chlomatrium je 0,6, Eisensulfat O.Ol) tränken kann.
Man impft die KnöUchenbakterien entweder in die Nährböden, oder man
benetzt die Samen oder die vorher ausgekeimten Würzelchen mit einer
Aufschwemmung. Das Aiiskeimen bewirkt man in Reagensröhrchen, die
zu »j mit destilliertem Weiser gefüllt und mit zwei Wattepfropfen ver-
schlossen sind. Den unteren, lockeren stößt man in die Flüssigkeit hinunter
und legt auf ihm die Samen aus. Durch zahlreiche solche Impf versuche
ermittelten N o b b e ') und seine Mitarbeiter, namentlich H i 1 1 n e r
zunächst, daß die KnöUchenbakterien, die von einer Pflanzenart ab-
stammten, die günstigsten Ernten erzeugten, wenn sie auf dieselbe Art
\erimpft wurden, bei anderen Arten aber wesentlich schwächer oder gar
nicht wirkten. Allerdings bestehen Unterschiede insofern, als sich einer-
.'^its z. B. die Bakterien der Pisum- und Viciaarten mehr oder weniger
trut gegenseitig vertreten können, andererseits das nicht einmal möglich
i^t zwischen den Bakterien der einzelnen Trifolium- und Lupinusarten.
Die Knöllchenbildung braucht dabei nicht zu fehlen, so erzeugen die Pisum-
bakterien bei Phaseolus stets Knöllchen, fördern ihre Entwicklung aber
nicht, tmd entsprechend verhalten sich die Phaseolusbakterien gegenüber
Pisum. Durch fortgesetzte Kultur gelang es aber gerade mit den Erbsen-
bakterien nicht bloß bei den Bohnen Knöllchen, sondern auch Stickst off-
ansatz zu erzielen. Da gleichzeitig auf Phaseolus überpflanzte Pisum-
bakterien auch ihre Wirksamkeit für die ursprünglichen Mutterj)flanzen
verloren hatten, konnten N o b b e und H i 1 1 n e r mit Recht von w e c h -
igelnden Anpassungen der Pisumbakterien an ihre
Wirtspflanzen sprechen imd mit Wahrscheinlichkeit die beob-
1) Arb. biol. Abt. Gesundheitsamt 1, 1900; vgl. Hiltner und
S t ö r m e r a. a. O.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 234 (mit Lit.).
3) Landwirtsch. Versuchsstat. 39, 1891; 42, 1893; 45, 1894; 51,.
1898; Zentr. Bakt. 6. 449, 1900.
624 Kap, X, § 201 u. 202.
achteten Unterschiede zwischen den einzelnen Knöllchenbakterien^) auf
derartige Anpassungen zurückführen. B u h l e r t (s. o. ) bestätigt diese
Auffassung durch seine Versuche und Hiltner entwickelte dann 19(H),
gestützt auf alte und neue Versuche, zum Teil mit S t ö r m e r (s. o. ) seine
Theorie der wechselnden Virulenz der Knöllchenbak-
t e r i e n. Nach ihm kann man folgende Abstufungen derselben unter-
scheiden :
1. Die Bakterien vermögen überhaupt nicht in die Wurzeln ein-
zudringen (z. B. bei Impfung von Bohnenpflanzen mit Rotkleebakterien).
Nach Hiltner mangelt es den Bakterien dabei an einem enzymatischen
Stoff, welcher der Membran der Wurzelhaeure der Bohnen gallertige Be-
schaffenheit verleihe und dadurch den Bakterien erst das Eindringen
ermögliche. Da Kleebakterien derselben Reinkultur in Kleewurzeln sofort
eindringen, so ergibt sich daraus, daß nicht das Enzym, der „Angriffsstoff '
der Bakterien, an sich fehlt, sondern nur das auf Bohnen wirkende. Das
letztere kann aber durch Anpassung erworben werden.
2. Die Bakterien dringen zwar in die Wurzeln ein und erzeugen kleine
WurzelknöUchen, werden aber sofort resorbiert (Impfiuig von Lupinen
in Wasserkultur mit sehr schwach virulenten Lupinenbakterien).
3. Die Bakterien dringen zwar in die Wimseln ein imd erzeugen aueh
entwickelte Knöllchen; bei ihrer mikroskopischen Untersuchung zeigt sieh
aber, daß sie nur wenige Bakteroiden enthalten und meist aus einem bak-
terienfreien Gewebe bestehen, in dem die Zellkerne eine auffallende Größe
besitzen und sich mit Jod rotbraun färben. Nach Hiltner hat hier unter
Beteiligung der Kerne eine Resorption der Bakterien stattgefunden (Bohnen
mit Erbsenbakterien geimpft s. o.). Solche Knöllchen kommen aber aueh
unter natürlichen Verhältnissen überall vor, wo die Pflanzen an sich schon
im Boden genügende Stickstoffnahrung finden.
4. Die Bakterien erzeugen wirksame, d. h. stickstoffa.8sinülierende, mit
Bakteroiden gefüllte Knöllchen (der gewöhnliche Fall in der Natur imd
in Versuchen mit artgleichen Bakterien).
5 und 6. Die Knöllchenbakterien entwickeln sich zu gut in der
Wirtspflanze, d. h. sie finden verhältnismäßig so reichlichen Nährboden,
daß sie sich nicht in die stickstofffixierenden Bakteroiden verwandeln und
den Pflanzen schaden statt nützen. Hier geht die Symbiose in schädlichen
Parfitöitismus über. Unter natürlichen luid künstlichen Bedingungen in
Pflanzen, die geringe Widerstandskraft zeigen, beobacht<et. Vgl. S. 177.
Ni tragin. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Hellriegel sehe
Entdeckung auch von der Landwirtschaft verwertet wurde. Das ge-
schah zunächst in dem Sinne, daß die Gründüngung mit Leguminosen
immer mehr Eingang fand. Den zweiten Schritt tat Sa Held'),
indem er die Impfung mit Boden, auf dem Leguminosen gut gewachsen
waren, da — z. B. auf Moorböden — einführte, wo diese ursprünglich
1) Ob die Lupinen-, Serradellen- luid Sojabohnenbakterien (?. o.
Rhizobinm Beijerinckii) artidentisch sind mit den übrigen, ist vorläufig
noch zweifelhaft.
2) Deutsch, landwirtsch. Presse 1892 und 1894; Landwirtsch. Jahrb.
27, Ergänzungsband 4, 1898.
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 625
nicht gediehen. N o b b e und H i 1 1 n e r entwickelten seit 1896 die
Methode weiter, indem sie statt der Erde KnöUchenbakterien enthaltende
Reinkulturen, das sogenannte Nitragin, anwandten. Das hatte, wenn
es gelang, den Vorteil, daß man mit weit geringeren Mengen Impf-
material auskam. Die Erfahrungen lauteten in der Tat mehrfach
günstig, doch waren Mißerfolge an der Tagesordnung. H i 1 1 n e r
führte das darauf zurück, daß für die Virulenz der KnöUchenbakterien
nicht genügend gesorgt wurde und bildete 1903 im Verein mit S t ö r -
m e r ein neues Impfverfahren aus, in dem auf die Herkunft und Züch-
tungsmethode der Eeinkulturen besser geachtet wurde^). Andere
Forscher hielten aber vorläufig an der Impfung mit Erde fest^).
§ 202. Wurzelpilze 3). Auch an den Wurzeln anderer Pflanzen
kommen parasitische Bildungen vor, die man mit der Stickstoffassi-
milation in Verbindung gebracht hat. Am meisten den Leguminosen-
knöUchen ähneln die der Alnusarten imd Eleaagnaceen, femer der
Myrica gale, des Melampyrum pratense, Rhinantus major und ver-
schiedener anderer Scrophulariaceen, sowie Labiaten und Cycadeen.
Bei der Erle soll es sich nach der einen Ansicht*) um einen sporangien-
bildenden Pilz der Frankia subtilis handeln, nach der anderen^) um
einen strahlenpilzartigen Organismus, ebenso nach Shibata^) bei
Myrica gale. In den KnöUchen der Cycadeen sind Bakterien, Pilze
und sogar Algen (Nostoc oder Anabaena) gefunden worden®). Die Fähig-
keit zur Stickstoffsanmilung ist nur für die Erle durch H i 1 1 n e r
sicher nachgewiesen worden, eine Bedeutung der KnöUchen für die Er-
üähnmg der Pflanzen aber auch in den übrigen Fällen wahrscheinUch.
Das letztere gilt auch von den lange bekannten „Mykorrhizen" der
Koniferen, Kupuliferen, Orchideen, Ericaceen und anderer Pflanzen*^),
mögen sie nun nach Franks®) Unterscheidung ektotroph sein,
d. h. die Wurzeln mantelartig umgeben, oder endotrophim Inneren
derselben sitzen. Sie werden von zahlreichen Pilzarten, namentüch
aus der FamiUe der Nectriaceen, manchmal auch von M u c o -
1) Vgl. Hiltner, Naturw. Zeitschr. f. Land- und Forstw. 1904.
Bericht über die Ergebnisse usw. mit Nitragin. Stuttgart. Ulmer.
2) V. Feilitzen, Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 374, 1909.
3) Vgl. Hiltner, in Lafars Handb. 3. 66, 1904.
4) H. Möller, Ber. bot. Ges. 1885 und 1890; Brunchorst,
Tübinger Dissert. 1886.
5) Hiltner, Landwirtsch. Versuchsstat. 46, 1895. Forst- u.
naturwiäs. Zeitschr. 1898. S h i b a t a , Jahrb. wiss. Bot. 37, 1902.
6) Brunchorst a. a. O. Schneider, Ber. bot. Gtesellsch.
1894. 11.
7) Stahl, Jahrb. wiss. Bot. 34, 1900.
8) Botan. Zeitg. 1879.
Kruse, Mikrobiologie. 40
626 Kap. X, § 202 u. 203,
rineen gebildet. Ihre Bedeutung für die Ernährung ihrer Wirts-
pflanzen wird freilich verschieden aufgefaßt. Nach Stahl handelt
es sich nur um eine Erleichterung der Nährsalzau&augung aus dem
Boden; indessen ist namentlich für die endotrophen Mykoirlüzen
ein Zusammenhang mit der Stickstoffassimilation wahrscheinhcher^).
Die Ähnlichkeit der Verhältnisse mit denen der Leguminosenknöllcben
erhellt schon daraus, daß auch hier eine Auflösung der parasitischen
Elemente beobachtet wird (vgL S h i b a t a).
§ 203. Stick Stoff bindende Kleinwesen. Abgesehen von den
symbiotisch lebenden Bakterien und Pilzen, die in der einen oder
anderen Weise mit der Stickstoffassimilation ia Verbindimg gebracht
werden, gibt es noch freie Organismen, die Stickstoff assimiUeren
können. Berthelot ^) hatte zuerst 1885 bemerkt, daß eine Stick-
stoffanreicherung auch in imbebautem Boden vor sich gehe und be-
wiesen, daß sie durch MikroorganiBmenwirkung zustande kommen
müsse, denn in sterilisiertem Boden blieb sie aus. Auf ein Kilogramm
Boden betrug die Anreicherung binnen eines Sommers 20 — 50 mg
Stickstoff. Später isolierte derselbe Forscher mit Guignard^)
aus Erde einige übrigens nicht näher beschriebene Bakterienarten mid
Kke (Aspergillus niger), die auch in Remkulturen Stickstoff assimi-
lieren sollten. Schlösing und Laurent*) glaubten für die
Stickstoffixierung grüne Algen und Moose, B. Frank ^) diese
und alle möglichen grünen Pflanzen verantwortHch machen zu können.
Vor der -Kritik von Hellriegel und Wilfarth^), Kosso-
witsch'^), Krüger und S chneid e wi nd®) u. a. ließen sich
diese Behauptungen aber nicht mit Sicherheit aufrecht erhalten; es
schien eher wahrscheinlich, daß in den angezogenen Fällen auch wieder
Bakterien an der Erhöhung der Stickstoffausbeute beteiligt gewesen
und ihrerseits anderen Organismen -den Boden vorbereitet hatten.
Indessen sind die negativen Ergebnisse der letztgenannten Forscher
auch nicht völlig beweisend, seitdem wir wissen, daß die Stickstoff-
bindung selbst bei den sicher dazu befähigten Formen (s. u.) eine
1) Nobbe und Miltner, Landwirtsch. Versuchsstat. 51, 1898:
H i 1 1 n e r , Natiirw. Zeitschr. Land- und Forstw. I. 9, 1903; P. E. Mül-
ler, ebenda 1, 289.
2) Compt. rend. ac. sc. 101. 775, 1885.
3) Ebenda 116. 842, 1893.
4) Ebenda 111. 750 und Annal. Pasteur 1892.
5) Ber. bot. Gesellsch. 1889. 1 und 5; Landwirtsch. Jahrb. 1890.
6) Tagebl. Naturf. Vers. 1890.
7) Botan. Zeitg. 1894.
8) Landwirtsch. Jalirb. 1900. 801.
Wandlungen einfacher Stickstoff körper. 627
wechselnde Eigenschaft ist. So will denn auch Stoklasa^) später
beobachtet haben, daß Gramineen im sterilisierten und steril
gebliebenen Boden Stickstoff binden. Vielleicht machen auch gewisse
Cvanophy ceen, die Beijerinck^) als „oügonitrophile" be-
zeichnet, weil sie sich in Nährböden entwickeln, die nur Spuren von
Stickstoff enthalten (vgl. S. 113), eine Ausnahme und bedienen sich
des Stickstoffe der Atmosphäre. Soviel scheint jedenfalls sicher, daß
es unter den Schimmelpilzen solche gibt, die Stickstoff binden
können. So fanden außer Berthelot auch Puriewitsch^),
Saida, Ternetz*), Fröhlich*) eine Reihe von Pilzen, wie
.Vspe^Uus niger, Penicillium glaucum, Mucor- und Phomaarten wirk-
sam, während freilich G e r 1 a c h und Vogel®) im allgemeinen
keine Ergebnisse hatten, und R e m y ^) höchstens für den Aspergillus
niger geringe Stickstoff assimilation (10 mg Stickstoff im Liter) zugeben
vlW. Winogradsky (s. u.) imd A, Koch®) erhielten freilich
auch bei diesem Pilz keine Stickstoffausbeute. Ebensowenig überein-
stimmend sind die Versuche mit den meisten Bakterienreinkulturen
ausgefallen. So wird den von C a r o n aus Boden isolierten sogenannten
„Alinitbakterien", die sogar Verwendung in der praktischen Land-
wirtschaft gefunden haben, von Jacobitz®) wieder jede Wirksam-
keit abgesprochen. L ö h n i s ^*^) hat aber in mehreren Arbeiten, zum
Teil mit P i 1 1 a i und Westermann gemeinsam, für mehrere
Bakterienarten aus der Gruppe der Mikrokokken, des Bac.
pneumoniae (aerogenes), radiobacter und der Sporen-
b il d n e r Stickstoffassimilation nachgewiesen. Nach B r e d e -
mann^^) ist dazu auch der im Boden weit verbreitete sporen- und
gasbildende fakultativ anaerobe Bac. asterosporus imtsande.
Allgemein günstig lauten aber die Angaben über zwei Arten oder
Gruppen von Bakterien, das Clostridium W^inogradskys,
(las streng anaerob ist, und das aerobe Azotobakter Beije-
r i n c k s.
u.
1) Landwirtschaft!. Jahrb. 1895.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 7. 561, 1901.
3) Ber. bot. Gesellsch. 1895, 342.
4) Jahrb. wisss. Bot. 44, 1907.
5) Ebenda 45, 1908.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 20/21, 1903.
7) Verh. Ges. Naturf. u. Ärzte Carlsbad 1. 221, 1903.
8) Bodenbakterien und Stickstoff frage. Verh. Gesellsch. Naturf.
Ärzte Carlsbad 1. 182, 1903 und Laf ars Handb. 3, 1904.
9) Zeitschr. f. Hyg. 45, 1903, Lit.
10) Zentr. Bakt. 2. Abt. 14. 582, 1905; 19, 87, 1907; 22. 234, 1908.
11) Ebenda 22. 79.
40*
628 Kap. X, § 203.
Sein Clostridium Pasteurianum hat Winograds-
k y ^) regelmäßig in Petersburger Erde gefunden, wenn er 1 g davon
in einer stickstofffreien Nährlösung, die im Liter 1 g sekundäres Kalium-
phosphat, 0,5 g Magnesiumsulfat, je 0,01 — 0,02 g Chlomatrium, Eisen-
und Mangansulfat sowie 20 — 40 g Traubenzucker enthielt, züchtete.
In Erde aus Südrußland fand sich niemals derselbe Mikrobe, wohl aber
ein anderes Clostridium „aus Wolhynien", das ähnliche Eigenschaften
besitzt, aber noch nicht näher studiert werden konnte, weil seine Rein-
kultur nicht gelang. Beide binden Stickstoff, und zwar auf je 1 g Zucker
1 — 3 mg^). Diese Stickstoffassimilation findet nur statt, wenn die
Nährlösung ganz stickstofffrei ist oder höchstens 6 mg gebimdenen Stick-
Stoff auf je 1 g Zucker enthält. Wachstum ist aber auch in den übUchen
Nährböden, in Gegenwart von Ammoniaksalzen, Amiden oder Peptonen
möglich. Die Clostridien rufen Buttersäuregärung hervor^
die sich aber von anderen Arten (§ 113) imterscheiden soll; denn es
werden — in Peptonlösungen — zwar vergoren: Dextrose, Fruktose,
Galaktose, Saccharose, Dextrin und InuUn, aber nicht angegriffen:
Laktose, Arabinose, Gummi, Stärke, Glyzerin, Mannit, Dulzit und Kal-
ziumlaktat. In Kulturen, die Stickstoff in Form von schwefelsaurem
Ammoniak enthalten, ist das Wachstum ein kümmerliches, und es
werden nur Dextrose, Saccharose und Inulin vergoren. Durch die
Gärung werden entwickelt flüchtige Säuren in einer Menge von 42 bis
45 % des vergorenen Zuckers, Spuren von Milchsäure, Äthyl-, Propyl-
und Butylalkohol, der Rest als Gas. Die beiden flüchtigen Säuren,
Essig- und Buttersäure, und die beiden Gase Wasserstoff imd Kohlen-
säure werden in sehr wechselndem Verhältnis erzeugt, Buttersäure
herrscht vor.
Die Clostridien Winogradskys sind beide strenge Anaero-
bier, wachsen aber, wie viele andere Anaerobier, in Begleitung sauerstoff-
zehrender Bakterien der Erde auch in Kulturen gut, die vor dem Zutritt
von Sauerstoff nicht geschützt sind. Da die letzteren ebenfalls Sporen
bilden, z. T. fakultativ anaerob sind und in Gesellschaft der Clostri-
dien, die ihnen offenbar die nötigen Stickstoffverbindungen liefem^
auch in Nährböden wachsen, die man ursprünglich stickstofffrei her-
gestellt hat, sind sie schwer von den Clostridien zu trennen. Es hat
den Anschein, als ob die Stickstofffixierung in solchen Mischkul-
1) Compt. rend. ac. sc. 116. 1385 und 118. 353, 1893 und 1894; Arcli.
biol. Petorsbourg 2, 1895 und Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 43, 1902.
2) Der Stickstoff findet sich zum größten Teil in dem Bakterien-
niederschlag wieder, zum Teil ist er, wie auch die späteren Untersuchungen
gelehrt haben, in der Flüssigkeit gelöst (Bredemanu» Stoklasa
8. u.).
Wandlungen einfacher Stickstoffkörper. 629
t u r e n etwas energischer ist, als in Reinkulturen, obwohl die
Begleitbakterien selbst nicht imstande sind, den freien Stickstoff zu
assimilieren*).
Das Clostridium Pasteurianum hat Winogradsky außer in
Rußland auch in der Pariser Erde gefunden. Daß ähnliche Bak-
terien aber viel weiter verbreitet sind, wurde bald von anderer
Seite festgestellt. So hat v. Freudenreich^) in Bern ein stick-
stoffbildendes Clostridium gefunden, das aber auch denMannit vergärt,
und P r i n g 8 h e i m ^) ein Clostridium americanum isoliert, das außer
Mannit auch Stärke imd Milchzucker angreift. Nach Beijerinck
uiid van Delden*) wären sogar alle „Granulobakterien" imstande,
den Stickstoff zu fixieren, am vollkommensten freilich erst in der Sym-
biose mit Azotobacter (s. u.). Den vollen Beweis dafür lieferten die
gründlichen Untersuchungen Bredemanns^), die wir schon ge-
legentlich der Buttersäuregärung (§ 113) erwähnt haben. Die aus
allen Weltgegenden stammenden, von ihm aus allen möglichen Erden
selbst gezüchteten oder von anderen Forschem überlassenen „beweg-
lichen Buttersäurebazillen*' oder, wie er sie nennt, Bac. amylo-
b a c t e r , zeigten sich imstande, auch in der Winogradsky-
schen Nährlösung zu wachsen imd erhebliche Stickstoff ernten zu liefern.
Freilich war das Bindungsvermögen nicht überall von vornherein
nachweisbar, sondern vielfach erst, nachdem die Kulturen durch
vBodenpassage'^ d. h. Aufenthalt in steriKsiertem Erdboden, „regene-
riert" worden waren. In vielen Fällen genügte sogar schon der Zusatz
großer Mengen keimfreier Erde zu der stickstofffreien Nährlösung, um
den gleichen Erfolg zu erzielen (s. u. Krzemieniewski). Die
Degeneration des Stickstoffbindungsvermögens, die anderen Forschem
ebenfalls schon vorgekommen war, erfolgt nach Bredemann sehr
ungleichmäßig. Manche Stämme neigen anscheinend gar nicht dazu,
wenn man sie in Sporenform in stickstofffreier Lösimg aufhebt oder in
dieser Form regelmäßig in gewöhnlichen Nährböden fortpflanzt. Manche
Stämme verlieren das Bindimgsvermögen schon nach wenigen Genera-
1) Genauere Angaben über die Züchtung der Clostridien s. u. bei
Bredemann. Auch Reinkulturen wachsen, wenn man große Kolben
lind starke Einsaaten benutzt, ohne besondere Vorrichtungen zur Anaero-
biose. Über die Umwandlung der streng anaeroben Clostridien in sporen-
freie aerobe Bakterien, die Bredemann beobachtete, siehe bei der
Buttersäuregärung S. 355.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 514, 1903.
3) Ebenda 16. 300. 1906; 20. 248, 1908.
4) Ebenda 9. 3, 1902.
5) Zentr. Bakt. 23. 385, 1909, Lit.
630 Kap. X, § 203.
tionen, ohne übrigens andere Zeichen der „Entartung" zu bieten.
Die Zahlen, die Bredemann für das Verhältnis zwischen Zucker-
verbrauch und Stickstoffgewinn feststellte, sind ähnliche wie die
Winogradskys. Doch sind die Schwankungen erheblich, und
ihre Ursachen keineswegs genügend erklärt. Zum Teil stehen sie wohl
in Zusammenhang mit den aus dem Zucker bzw. anderen Kohle-
hydraten gebildeten Produkten, die ihrerseits der Buttersäuregärung
entsprechen. Artunterschiede zwischen den einzelnen stickstofffixieren-
den Clostridien bzw. Buttersäurebazillen des Tjrpus Amylobacter, will
Bredemann nicht anerkennen. Bei genügender Einsaatgröße
sollen alle Kohlenhydrate und die verwandten Stoffe ausgenützt werden
können.
Ganz allgemein verbreitet und daher von vielen Autoren wieder-
gefunden ist auch ein aerober, durch seine Größe fast an Hefe er-
innernder Mikroorganismus, das zuerst von Beijerinck^) beschrie-
bene Azotobacterchroococcum. Es ist leicht in Misch-
kulturen zu erhalten, wenn man Gartenerde in eine fast stickstofffreie
Nährlösung bringt, die im Liter Leitungswasser 20 g Mannit oder o g
Kalziumpropionat und 0,5 g Kaliumbiphosphat enthält und in dünner
Schicht bei 23 — ^28° kultiviert. Wenn zuviel Stickstoff geboten wird,
z. B. 10 mg Salpeter im Liter, so entwickelt sich das Azotobacter nicht,
weil er von anderen Bakterien überwuchert wird. Li Reinkulturen,
die man nach Anreicherung der Mischkultur durch fortgesetzte t)ber-
tragung ohne Schwierigkeit auf ähnlich zusanmiengesetzten festen
Nährböden gewinnt, verträgt das Azotobacter Stickstoffverbindungen
gut und läßt sich auf den übHchen stickstoffreichen Nährböden weiter
züchten. Freier Stickstoff wird dabei aber nur fixiert, wenn der Gehalt
an gebundenem Stickstoff ein geringer ist. Gänzliche Befreiung der
Nährlösimg von Stickstoff, wie man sie nur durch sorgfältige Destilla-
tion des zur Lösung verwendeten Wassers und gründlichste Reinigung
der Gefäße erzielen kann, hemmt nach Beijerinck die Entwick-
lung des Azotobacter. So genügen denn auch die Spuren Stickstoff,
die bei der gewöhnlichen Zubereitung der Nährlösungen noch in diesen
vorhanden sind, um ein üppiges Wachst\mi zu gestatten. Als Kohlen-
stoffquelle sind außer dem Mannit auch viele andere kohlenstoffhaltige
Körper geeignet. Diese Angaben Beijerincks sind im wesentlichen
von den späteren Untersuchen! (G e r 1 a c h und Vogel ^) , v. Freu-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 7. 566, 1901; Beijerinck und van
Del den ebenda 9. 1, 1902.
2) Ebenda 8, 1902.
Wandliingen einfc^cher Stickstoffkörper. 631
denreich^), H. Fischer^), Krainski'), Stoklasa*),
Heinze*), Löhnis und Westermaiin®), Krzemie-
n i e w s k i ') u. a.) bestätigt und mehrfack vervollständigt worden.
Auf die morphologischen und Kulturverhältnisse des Azotobacter, die
ZOT Aufstellung neuer Arten geführt haben, gehen wir hier nicht näher
ein (vgl. j? i s c h e r und namentlich Löhnis und Westermann).
Die wichtigste Frage, die nach den Bedingimgen und der Aus-
dehnung der Stickstoffassimilation, ist nicht inmier in gleichem Sinne
beantwortet worden. So kam Beijerinckin seiner späteren Arbeit
mit vanDeldenzu dem Schluß, daß Azotobacter in Reinkulturen
nur wenig oder keinen Stickstoff zu binden vermöge, wohl in Symbiose
mit anderen Bakterien aus der Gruppe des Coli und Aerogenes („Aero-
bakter"), der echten denitrifizierenden Bakterien („Radiobacter"),
der Heu- und Buttersäurebakterien (Granulobacter), von denen aber
nur wieder die letztgenannten (s. o. Clostridien) befähigt seien, allein
für sich den Stickstoff der Luft auszunutzen. Die Verfasser stellen
sich vor, daß dabei nicht das Azotobacter allein Stickstoff binde, son-
dern daß gerade die Begleitbakterien dies merkwürdige Vermögen
bei der Symbiose erlangen und zunächst eine löshche Stickstoffver-
bindung erzeugen, die dann erst das Wachstum des Azotobakter er-
mögliche. Ganz wenige Individuen der Buttersäurebakterien sollen
schon imstande sein, eine üppige Wucherung der Azotobakterien zu
bewirken. Die späteren Forscher haben diese Darstellung nicht be-
stätigt, sondern oft genug mit Reinkulturen des Azotobacter Stickstoff-
bindung erzielt. Allerdings waren die Ergebnisse recht schwankend.
Teilweise mag das darin liegen, daß die benutzten Bakteriehstämme
ungleich wirksam waren. Die größten Schwankungen sind anscheinend
hier wie bei dem Bac. amylobacter (s. o.) an der Tagesordmmg. Da-
neben kommt aber sicher auch die Art der Züchtung in Betracht. Der
offenbar günstige Einfluß des Zusatzes von steriler oder nicht
steriler Erde auf den Erfolg veranlaßte die Untersuchungen K r z e -
mieniewskis, aus denen hervorgeht, daß die Gegenwart von
Humusstoffen auf eine vorläufig noch unerklärte Weise die
Entwicklung und Wirksamkeit des Azotobacter, wie übrigens auch des
Amylobacter (s. o.) anregt. Wahrscheinlich hat dieser Umstand die
1) Zentr. Bakt. 10.
2) Verh. naturw. Vereins Rheinl. und Westf. 1905. 135.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 20.
4) Ber. bot. Ges. 1906, 22; Zentr. Bakt. 2. Abt. 21, 1908.
ö) Landwirtsch. Jahrb. 35, 1907.
6) Zentr. Bal?t. 2. Abt. 22, 1909.
7) Ebenda 23. 161, 1909.
632 Kap. X, § 203 u. 204.
Erfolge mancher Forscher neben anderen noch dunklen Einflüssen
mitbedingt. Was die Erfolge anlangt, so wurden schon .von Ger-
lach und Vogel, unter der Bedingung, daß man für reichlichen
Luftzutritt^) und genügendes organisches Brennmaterial sorgte, sehr
beträchtliche Stickstoffemten erzielt. Am geeignetsten erwies sich
ein Gehalt von 10 — 12 g Traubenzucker auf 1000 g Wasser mit je
0,5 g Kaliumbiphosphat, Chlomatrium und Kalziumkarbonat und einer
Spur Ferrosulfat. Dabei ergab sich eine Zunahme von 91 — 128 g
Stickstoff im Liter, d. h. es wurden aufje lg Zucker etwa 10 mg
Stickstoff assimiliert. Wesentlich bessere Ernten hatte auch
Krzeniemiewski nicht bei Zusatz von Natriumhumat zu seiner
Nährlösung. Es sind das übrigens Zahlen, wie Maze sie auch für KnöU-
chenbakterien (S. 620) imd Krzemieniewski für den Amylo-
bacter (s. o.) erhielt. T e r n e t z (s. o.) erzielte übrigens etwa doppelt
so hohe Verhältniszahlen mit einigen seiner Schimmelpilze.
Der Stoffwechsel des Azotobacter wurde durch K r a i n s k i .
Krzemieniewski und namentlich durch Stoklasa unter-
sucht. Sie bestimmten in Durchlüftungsversuchen mit kohlensäure-
und ammoniakfreier Luft die täglich entwickelten Kohlensäuremengen,
der letztere auch die übrigen Stoffwechselprodukte, den Zuckerver-
brauch sowie mittelst Eisenniederschlägen die Größe der Bakterien-
ernte. Im großen und ganzen entspricht die gefundene Kohlensäure
dem verschwundenen Zucker, und zwar schwankt nach Stoklasa
die zur Bindung von 1 g Stickstoff oder zur Erzeugung von etwa 9 — 10 g
Bakteriensubstanz nötige Traubenzuckermenge von 99» — 240 g und
die in eftiem IStägigen Versuch durchschnittlich von 1 g trockener
Bakterienmasse^) täglich entwickelte Kohlensäuremenge von 0,9 bis
2,2 g. Unter den übrigen Zersetzungsstoffen fanden sich Äthylalkohol
Ameisen-, Essig-, Butter-, Milchsäure, etwas Wasserstoff, wie Stok-
lasa den anders lautenden Angaben von S. und H. Krzemie-
niewski^) gegenüber betont, ferner bei Gegenwart von Salpeter
in der Nährflüssigkeit etwas Ammoniak und viel Nitrit. Auf die Analyse
der Leibessubstanz, die Stoklasa beim Azotobacter vorgenommen
hat, kommen wir hier nicht mehr zurück (Kap. II).
~ ■ ■ ■ <
l)v. Freudenreich fand Kultur auf GipsblÖcken am
günstigsten, Landwirtsch. Jalu*b. 35, 1907.
2) Diese wiu-de nur am Schluß des Versuchs fastgestellt, die Diwch-
schnittsnienge der Bakterien ist also wohl erheblich geringer als 1 g ge-
wesen. Die Höhe der Kohlensäureentwicklung fällt nach Stoklasa
etwa auf den 4. bis 10. Tag.
3) Anzeiger der Akad. Wiss. Ivrakau 1906 und 1907. Auch in seinen
neuesten Arbeiten (s. o.) leugnet Krzemieniewski die Entstehung
von Wasserstoff sowie von Alkohol und orgranischen Säuren.
Wandlungen einfacher Stickatoffkörper. 633
Das Azotobacter ist regelmäßig in allen Kulturboden aufzufinden,
nicht dagegen in nachweisbarer Menge in jungfräulichen Böden, auf
hohen Bergen usw. wie das von dem Amylobacter feststeht. Im
Meerwasser kommt es dagegen vor^), besonders auf Meeresalgen.
§ 204. Bedeutung der Stickstoffbindung im Boden. Die
Bedeutung der stickstoffassimilierenden Bakterien für die Anreicherung
des Bodens mit Stickstoff ist ebensowenig zu leugnen wie die der Wurzel-
bakterien und -Pike (§ 201 u. 202). Anders lassen sich wenigstens
die Erfahrungen, die man in der Land- imd Forstwirtschaft
gemacht hat, kaum erklären. Der im verminderte jährliche Stick-
stoüertrag der Emte^) bzw. der Stickstoffzuwachs des Holzes und der
Blätter im Walde^) auf imgedüngtem Boden sind nämlich weder her-
zuleiten aus dem durch Untergrundwässer zugeführten gebundenen,
noch aus dem im Boden ursprünglich vorhandenen Stickstoff\'orrat.
Wenn man also den Pflanzen keine Assimilation freien Stickstoffs
zuschreiben will, muß man Mikroben dafür verantwortlich machen.
Ob es noch gelingen wird, etwa durch Impfimg mit besonders
kräftigen stickstoffbindenden Bakterien aus der Gruppe des Amylo-
bacter oder Azotobacter oder anderen Formen die Anreicherung des
Bodens mit Stickstoff künstlich zu steigern, steht dahin ; die mit
dem Alinit gemachten schlechten Erfahrungen (s. o. S. 627) brauchen
nicht vom Versuch abzuschrecken. Die richtige Anwendung von Rein-
kulturen wird man allerdings hier, wie bei den KnöUchenbakterien,
^s. 0. S. 625) erst lernen müssen. Immerhin ist vielleicht bei der großen
Verbreitung der stickstoffbindendei^ Arten ein anderer Weg aussichts-
reicher, nämlich Anreicherung dieser Bakterien durch Zuführung
reichlicher Mengen kohlenstoffhaltiger Nahrung*).
l)Beijerinck a. a. O. ; Benecke und K e n t n e r , Ber.
W. Ges. 1903; Be necke ebenda 1907.
2) Kühn (Landwirtschaft!. Zeitg.). Kochs Jahresber. 1901. 366.
3) S. bei Koch in Lafars Handb. 3, 1904.
4) Vgl. Koch lind seine Mitarbeiter im Journ. f. I-andwirtsch.
1907; Engberding, Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 614, 1909. Dort und
bei H. Fischer (ebenda 24. 62) wird auch eine Kritik der b a k -
t^riologißchen Bodenuntersuchung nach Remy-Löh-
Ji i s , die es auf die Feststellung möglichst sämtlicher im Boden wirk-
samen mikrobiologischen Kräfte abgesehen hat, gegeben. Vgl. die Ver-
teidigimg von Löhnis ebenda 24, 183.
Kapitel XL
Wandlungen des Schwefels.
§ 205. Einleitung. Abspaltung des Schwefelwasserstoffs
aus organischen Verbindungen. Der Schwefel kommt mit den
Mikroorganismen nicht ganz so selten in reiner Form in Berührung,
häufiger in anorganischer Bindmig, als Schwefelwasserstoff, Schwefel-
metall, schwefelsaures mid schwefligsaures Salz usw., imd am häufigsten
in organischer Bindung, im Eiweiß imd in dessen Abkömmlingen Zystin,
Taurin, Taurochokäure u. a. Aus dem Eiweiß wird durch die Mikro-
organismen Schwefelwasserstoff und Merkaptan abgespalten;
durch Oxydation des Schwefelwasserstoffs, Schwefels und sauer-
stoffarmer Schwefelverbindungen entstehen insbesondere Schwefel
und Schwefelsäure, durch Reduktion der letzteren wieder Schwefel-
wasserstoff. Die Synthesen der komplizierten Schwefelverbin-
dungen sind hier wie überall dunkel. Da schwefelsaure Salze zum Auf-
bau des Eiweißmoleküls meist genügen, und der Schwefel im Eiweiß
(Zystin) wahrscheinhch in einer Wasserstoff- bzw. Kohlenstoffbindung
enthalten ist, so wird man als Vorbedingung der Synthese eine Re-
duktion anzunehmen haben.
Längst bekannt ist, daß bei der Fäulnis der Eiweißkörper, des
Harns usw. Schwefelwasserstoff entwickelt wird. Es wurde denn
auch von verschiedenen Forschem beobachtet, daß Reinkulturen von
Bakterien Schwefelwasserstoff bilden könnten, so besonders die anae-
roben Bazillen des malignen Ödems, Rauschbrands usw. (N e n c k i
S. 504), aber auch die Proteusarten (Holschewnikoff^), die
Choleraspirillen (B u c h n e r^)) u. a. m. Umfangreiche Feststellungen
über die Schwefelwasserstoffbildung verdanken wir dann P e t r i und
M a a ß e n ^) , sowie R u b n e r *) und seinen Schülern Stagnitta-
1) Fortschritte der Medizin 1889. 201.
2) Pibenda angeführt.
3) Arbeit. Gesundheitsamts 8. 338 und 490, 1893.
4) Arch. f. Hyg. 16. 53 und 78, 1893.
Wandlungen dee Schwefels. 635
Balistieri^), Niemann und M o r r i s 2). Darin stimmen
diese Forscher überein, daß sehr viele Mikroorganismen die Fähigkeit
besitzen, Schwefelwasserstoff zu entwickeln, und zwar in besonders
hohem Grade die Bac. typhi, coli, enteritidis, pro-
teus, mallei, murisepticus und rhusiopathiae
suis, samtliche Vibrionen, der Staphyloc. pyog. aureus,
wozu dann noch die strengen Anaerobier kommen. Doch fanden
P e t r i und M a a ß e n, daß auch alle übrigen von ihnen untersuchten
Organismen unter günstigen Umständen imstande seien, mehr oder
weniger Schwefelwasserstoff zu bilden, während nach Morris unter
denselben Yersuchsbedingungen die Bac. anthracis, diphtheriae, sub-
tiUs, mycoides, femer Hefe und Schinmielpilze versagten. Unleugbar
bleibt die Tatsache, daß großeUnterschiedeinder Quan-
tität des produzierten Schwefelwasserstoffs be-
stehen. WahrscheinHch erklären sich die Widersprüche zum Teil
daraus, daß das Vermögen der einzelnen Spezies, H2S aus Eiweiß
abzuspalten, ein ebenso veränderliches ist, wie etwa ihre Fähigkeit,
es zu peptonisieren.
Sicher fällt das Ergebnis sehr verschieden aus, je nach den Nähr-
lösungen, die man den Mikroorganismen zur Verfügung stellt, und
nach dem Maße, in dem man dem Sauerstoff zu den Kulturen zuzutreten
gestattet.
Wenig geeignet ist die peptonfreie gewöhnhche Fleischbouillon;
auf ihr bilden auch nach P e t r i und Maßen nicht alle Bakterien
Schwefelwasserstoff. Noch weniger günstig wirken aber reine Eiweiß-
lösungen, vor allem flüssige Blutseren. Eier^) verhalten sich recht
ungleich. Der günstigste Nährboden ist 5 — lOprozentige Peptonbouillon.
Sowohl reduzierende Körper wie Zucker, als oxydierende Stoffe
wie Salpeter, indigoschwefelsaures Natron hemmen nach P e t r i
und M a a ß e n die Schwefelwasserstoffbildung, ebenso reichliche
Durchleitimg der Luft. So bildete der Bac. proteus vulgaris nach
R u b n e r aus einem Liter Bouillon (ohne Pepton) bei gleich gutem
Wachstum ohne Lüftung 33 mg HgS, mit Lüftung nur 4 — 5 mg.
In vielen Fällen bildet sich Schwefelwasserstoff öchon sehr früli,
z. B. am ersten Tage und selbst in den ersten Stunden der Entwicklung,
1) Arch. f. Hyg.
2) Ebenda 30, 1897.
3) Die Schwefelwasserstoffbildung der Cholera Vibrionen in Eiern ist
von Scholl und H ü p p e behauptet, von Zenthöfer (Zeitschr.
^- Hyg. 16), D ö n i t z (ebenda 18), Abel und D r ä e r (ebenda 20) aber
im wesentlichen auf Verunreinigungen mit fäulniserregenden Anaeroben
Zurückgeführt worden.
636 Kap. XI. § 205.
in anderen erst spät. Manchmal, z. B. beim Bazillus der blauen Milch, ver-
hindert das nebenher reichlich erzeugte Anunoniak die freiwillige Entbinduni;
des HoS, man kann sie dann durch Säureziisatz hervorrufen.
In manchen Fällen entscheidet schon der bekannte Geruch über
die Anwesenheit von HjS. Genauer und sehr einfach prüft man auf Schwefel-
wasserstoff, indem man in das Kulturröhrchen einen Streifen von Blei-
zuckerpapier einhängt. Tritt eine hellgelbe Färbung und später eine Bräu-
nung ein, so muß man allerdings auch an Merkaptan denken (s. u.). In
Stichkulturen auf Agar hat sich auch ein Zusatz von Eisentartrat oder
Eisensacchajpat (3%), noch besser nach Morris ein solcher von Bleizuoker
(P/oo) bewährt. Quantitativ kann der freigewordene Schwefelwasserstoff
dadurch bestimmt werden, daß man den Schwefelgehalt des Nährbodens
vor luid nach der Züchtung vergleicht. Man kann auch die Gase, die sich
aus der Kultur entwickeln, in Jodlösung auffangen \md durch Titrieruns
bestimmen, oder sie diu-ch eine Losung von Quecksilberz^'anid streichen
Ictösen, die dabei entstehende Fällung ( Quecksilbermerkaptid und Schwefel-
queckstlber) zuerst durch verdünnte (3%) Salzsäure und dann durch stärkere
Säure zerlegen, und die Gase in Bleilösung auffangen. Dculurch gewinnt
man zunächst das Bleimericaptid als gelben, dann das Bleisulfid eJs schweu^en
Niederschlag (R u b n e r).
Die gewöhnliche Fleischbouillon enthält im Lit^r etwa 30 — 70 mg
Gesamtschwefel, darunter nur 2 — 12 mg in Sulfaten, den Rest in organischer
Bindimg. Echte Eiweißsubstanzen, diu'ch essigsaures Eisen fällbar, be-
finden sich darunter nur in geringer Menge; wieviel aber auf Pepton, wie-
viel auf die übrigen einfachen Stoffe kommt, ist unbekannt. In Iprozentiger
Peptonbouillon sind enthalten 213 mg, in 1 prozentigem Peptonbouillon-
agar 304, in Peptonbouillongelatine 705 mg Schwefel, davon entfallen
auf den Fleischoxtrakt 70, auf das Pepton 143, auf den Agar 90 und auf
die Gelatine 492 mg. Im Blutserum ist der Schwefelgehalt ebenfalls sehr
hoch (512 mg); natürlich beruht er hier und im Pepton im wesentlichen
auf dem Eiweißschwefel (1 — 2%), während Agar luid Gelatine wohl den
größten Teil des Schwefels in mineralischer Form enthalten. Genauere
Untersuchungen fehlen.
Bevor wir die Frage behandeln, wie man sich die Bildung des
Schwefelwasserstoffs zu denken hat, ist die Vorfrage zu entscheiden,
aufKosten welcher Stoffe er entsteht. Schon aus der
Tatsache, daß die Bouillonkulturen um so mehr Schwefelwasserstoff
entwickeln, je größer ihr Gehalt an Peptonen (Albumosen) war, ist auf
die vorwiegende Beteiligung der eiweißartigen Stoffe zu schüeßen.
Doch wäre damit noch nicht gesagt, daß nicht auch die anorganischen
Verbindungen, also in erster Linie die schwefelsauren Salze, angegriffen
würden. Nur in wenigen Fällen hat man bisher durch unmittelbare
Untersuchung der schwefelwasserstoffliefemden Kulturen sichere Unter-
lagen zu gewinnen gesucht. R u b n e r hat dabei folgendes festgestellt:
die Sulfate können aus der (peptonfreien) Bouillon ausgefällt werden,
ohne daß die Schwefelwasserstofferzeugung z. B. durch den Bac. pro-
teus, typhi usw. dadurch beeinträchtigt wird. Bleiben die Sulfate aber
Wandlxingen des Schwefels. 637
in der Kulturflüssigkeit, so zeigte sich in einigen länger dauern-
den Versuchen eine starke Abnahme der Sulfate, allerdings trat
dieselbe auch ein bei dem Wurzelbazillus, der überhaupt keinen HgS
bildete. Andererseits erschien der Schwefelsäuregehalt unverändert
in j u n g e n Kulturen. Ja, er stieg sogar in Kulturen, die Schwefel-
wasserstoff büdeten, besonders wenn sie stark gelüftet wurden. Man
muß einerseits daraus schließen, daß auch die Sulfate selbst
bei Gegenwart organischer Substanzen ange-
griffen werden. Vielleicht dienen sie auch hier zum Aufbau
von Bakterieneiweiß, wie sie ja nachweislich von vielen Mikroorganis-
men in einfachen Nährsalzlösungen assimiliert werden (§ 30). Diese
Assimilation der Sulfate ist, wie schon oben bemerkt, kaum anders
zu deuten, denn als Reduktion; ob dabei Schwefelwasserstoff als
Zwischenprodukt erscheint, ist unbekannt, aber imwahrscheinlich ist
es nicht. Jedenfalls wird er dann nur in kleinen Mengen erzeugt und
sofort gebunden, so daß er nicht als freies Gas austritt (Wurzelbazillus).
Ebenso sicher ist andererseits die Tatsache, daß der organisch
gebundene Schwefel unter dem Einfluß der Luft
durch die Bakterien zu Schwefelsäure oxydiert
w^erden kann^). Wahrscheinlich stellt auch hier der Schwefel-
wasserstoff das Zwischenstadium dar, das um so weniger deutlich in
die Erscheinung tritt, je reichlicher freier Sauerstoff auf ihn einwirken
kann. Auf die Oxydation des Schwefels kommen wir später zurück
(§ 201 ff.).
Im ganzen hat sich bei den Versuchen R u b n e r s aber gezeigt,
daß die Veränderungen, die der Schwefelsäuregehalt der Bouillon
durch das Wachstum der Bakterien erfährt, ihrem Umfange nach nicht
in Betracht kommen, gegenüber den Wandlungen der organischen
Schwefelverbindungen. Diese sind es in erster Linie, die
den Schwefelwasserstoff und gleichzeitig den
Schwefel zum Aufbau des Protoplasmas liefern.
So enthielt z. B. in einem Versuch mit Proteusbazillen 1 Liter Bouillon
vor dem nach dem
Versuch Versuch
Unterschied
Sulfatschwefel 6,1 mg 1,5 mg — 4,6 mg
Organischen Schwefel. . . . 52,8 „ 28,1 „ —24,7
S durch Eisen fällbar^) . . . 1,2 „ 25,3 „ +24,1
Im ganzen: 60,1 mg 54,9 mg — 6,2 mg
1) Vgl. Ven^-esung § 176 u. 183.
2) Durch essigsaures Eisen werden neben Spuren von gelöstem Eiweiß
alle Bakterien leicht gefällt.
638 Kap. XI, § 206.
Der Verlust von 6,2 mg ist hier durch das Entweichen von Schwefel-
wasserstoff bedingt, ihm steht die Zunahme von 24,1 mg in dem assimi-
lierten Schwefel gegenüber. Die Kosten tragen wesentlich die organischen
Schwefelverbindungen. Über deren Natur ist leider sehr wenig bekannt,
es könnten Peptone imd Spuren von freiem Zystin und Taurin sein.
Entsprechende Schwefelbilanzen für starker eiweißhaltige Kul-
turen liegen nicht vor, wohl aber für Harn. Nicht selten verfällt
dieser bald nach seiner Entleerung aus dem Körper einer Zersetzung,
bei der ein starker (Jeruch nach Schwefelwasserstoff und Merkaptan
auftritt. F. Müller, Rosenstein und Gutzmann, Sal-
k o w 8 k i und zuletzt Karplus ^) haben diese Veränderung auf
bestimmte Bakterien zurückgeführt und näher studiert. Der Mikro-
organismus von K a r p 1 u s , eine Art von Bac. coli, bildete sehr wenig
HgS in Bouillon, anderen Fleischnährböden und Eiern, sehr viel in
eiweißfreiem Harn. Die Analyse ergab, daß die vorgebildete und die
Äther- Schwefelsäure nicht angegriffen, der übrige organisch gebundene
Schwefel aber stark vermindert war. Leider ist man über die Zusammen-
setzung dieses „Neutralschwefels'* des Harns sehr wenig unterrichtet.
Man wird wohl in erster linie an Zystin, bzw. Taurin zu denken haben.
Haben wir sonach ein Recht, anzunehmen, daß es die organischen
Schwefelverbindungen sind, die unter dem Einflüsse der Kleinwesen
den Schwefelwasserstoff liefern, so müssen wir jetzt der Frage näher
treten, wie dieser Stoff aus ihnen frei werden kann. Es ist bekannt,
daß schon anscheinend leichte Eingriffe, z. B. die Koagulation durch
Hitze beim Eiereiweiß, die Entwicklung des Gases veranlassen. Bei
Schmelzen oder Kochen mit Alkali geschieht das in höherem Maße.
Nach den neueren Anschauimgen über den Bau der Eiweißstoffe*)
scheint der Schwefel vor allem in dem Zystin- bzw. Zysteinkem ent-
halten zu sein. Diese Körper verhalten sich gegenüber den Alkalien
ähnlich wie das Eiweiß. Aus ihren Strukturformeln:
CH2 — S — S — C'H2 CH2 . SH
CH . NH2 CH . NH2 CH . NH2
I I I
COOH COOH COOH
Zystin ß-Zjstein
ersieht man, daß der Schwefel in ihnen nicht in der Sulfo-, sondern
in der Thiogruppe enthalten ist. Die leichte Abspaltbarkeit von HjS
1) Virchows Arch. 131 (mit Literatur).
2) Vgl. Lit. S. 483, femer E. Friedmann, Kreislauf des Schwefels
in den Ergebnissen der Physiologie von Asher und Spiro, 1. 15, 1002.
Wandlungen des Schwefels. 639
wird dadurcli etwas verständlicher. Wie sie erfolgt, ist freilich damit
noch nicht entschieden. Man hat zunächst hier, wie sonst, versucht,
die bakteriellen Umsetzungen durch einfache chemische Prozesse zu
erklären. In diesem Falle sollte es wieder Wasserstoff in statu nas-
cendi sein, der den Schwefelwasserstoff frei machte (P e t r i und
Maaßen). Zunächst würde man dadurch offenbar nur an Stelle
einer Unbekannten eine zweite setzen, denn wodurch wird das Auf-
treten des Wasserstoffe bedingt ? Beijerinck^) hat femer mit
Recht dagegen eingewandt, daß man weder den freien Wasserstoff
nachgewiesen habe, noch mit solchem auf experimentellem Wege aus
Eiweißkörpem Schwefelwasserstoff entbinden könne. Diejenigen Bak-
terien, die besonders leicht eine Wasserstoffgärung erzeugen, wie z. B.
der Bac. coli, sind auch durchaus nicht stärkere Sulfidbildner, als die
übrigen (Bac. typhi), oft kann man sogar das Gegenteil beobachten.
Wenn man weiterhin versucht hat, die Schwefelwasserstoffbildung
mit anderen Beduktionswirkungen, mit der Bildung von Nitrit aus
Nitrat, der Verwandlung des Schwefels in Schwefelwasserstoff (§ 211)
zu ve^leichen, so ist dabei zu beachten, daß diese Vorgänge durchaus
nicht einander parallel gehen, also nicht gleich erklärt werden können.
Es bleibt wohl nichts übrig, als die Erzeugung von Schwefel-
wasserstoff aus Eiweißkörpern und ihren Abkömmlingen als eine
spezifische Wirkung der Mikroorganismen aufzufassen, die sich ver-
gleichen läßt der Bildung von Ammoniak imd anderen Reduktions-
produkten (§ 167 ff.) aus Eiweiß. Alles sind Prozesse, die das Eiweiß-
molekül angreifen, indem sie Umsetzungen der Atome gegeneinander
und Spaltungen bewirken. Die Beteiligung von Wasser ist dabei nicht
ausgeschlossen, im Gegenteil läßt sich die Entstehung des HgS aus dem
Zystein am einfachsten auf eine solche hydrolytische Spaltung zurück-
führen. So wurden denn auch, wie bei allen fermentativen Prozessen,
eigentümliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mikroorganismen
beobachtet. Die einen sind nur imstande, Peptone oder die einfachsten
schwefelhaltigen Verbindungen zu zersetzen, andere feste und flüssige
Eiweißkörper. Merkwürdig ist z. B. das Verhalten des Wurzelbazillus:
nach P e t r i imd Maaßen ist er fast der einzige Mikroorganismus,
der auf flüssigem Blutserum Schwefelwasserstoff bildet, auf geronnenem
Blutserum teilt er diese Eigenschaft mit vielen verflüssigenden Bak-
terien, in den Peptonnährböden steht er dagegen hinter den meisten
anderen Mikroorgamsmen zurück. Wahrscheinlich werden sich noch
manche andere bemerkenswerte Verschiedenheiten ergeben, wenn man
die einzelnen Eiweißkörper und ihre schwefelhaltigen Abkömmlinge
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 7, 1895.
640 Kap. XI, § 205—207.
gegenüber den Mikrobien prüfen wird. Diese Probe fehlt sogar noch
bei den wichtigsten dieser Körper, dem Zj^tein und Zystin. Man darf
sich außerdem nicht verhehlen, daß Klarheit in diesen Verhältnissen
überhaupt nicht erreicht werden wird, ehe die Art und Weise, wie der
Schwefel im Eiweiß gebunden ist, vollständig sichergestellt worden
ist. Daß viel daran noch fehlt, werden wir bei der Besprechimg der
Merkaptanbildung sehen. Unter den Abbaustoffen wird sich das Taurin
vermutlich anders verhalten als das Zystin, da es eine Sulfoverbindung
(Aminoäthansulfosäure) ist (vgl. S. 589).
Ein wichtiger Fortschritt wurde bedingt durch M a a ß e n ^)
selbst, der sich dadurch zu einer Änderung seines früheren Standpunktes
veranlaßt sah. Er fand nämlich, daß zwar nicht der Preßsaft
des Petrischen Butterbazillus, aber mit Sand
zerriebene A z e t o nd auer p r äp ar at e von Proteus
mirabilis und Vibrio phosphorescens aus Pepton
innerhalb von 1 — 2 Stunden bei 45® Schwefel-
wasserstoff in deutlich nachweisbaren Spuren
entwickeln. Bei Pilzen, namentlich bei der Hefe, erwies sich
auch der Preßsaft wirksam. Weit kräftiger und daneben wider-
standsfähiger waren ähnliche Präparate aus Pflanzen- und Tierzellen
(Leber). Durch Chloroform, Toluol und Benzol wurden sie ebensowenig
geschädigt, wie durch Blausäure, was nebenbei bemerkt für eine
Verschiedenheit der nitratreduzierenden Stoffe (S. 612) spricht. Merk-
würdigerweise wurden sie auch durch die Siedehitze erst zerstört, wenn
sie länger als 10 Minuten einwirkte. Sie ähneln dadurch gewissen Oxyda-
tionsfermenten (S. 468). Ob sie aber selbst Fermente sind imd
inwieweit sie mit anderen reduzierenden Stoffen übereinstimmen,
muß vorläufig unentschieden bleiben (vgl. § 211).
Die Beeinflussung der Schwefelwasserstoffbildung durch die
Gegenwart von Zucker im Nährboden erklärt sich wohl in ähnlicher
Weise wie die der Indolbildung (§ 174) und der Eiweißzersetzung
(§ 186) überhaupt: nicht nur wirkt die Säure, die bei der Zuckerspaltung
entsteht, der trjrptischen Verdauung entgegen, sondern die Anwesen-
heit eines guten Nährstoffes, wie der Zucker einer ist, schützt das
Eiweiß vor der Zersetzung.
Einen unmittelbar hemmenden Einfluß auf den Prozeß der Schwefel-
wasserstoffbildung werden Oxydationsmittel wie salpetersaure
Salze haben müssen, sie werden sich aber auch wie der freie Sauerstoff
selbst nicht gleichgültig verhalten gegenüber dem fertig gebildeten
Schwefelwasserstoff. Daneben darf man auch hier biologische Wir-
1) Arbeit, Gesundheitsamts 21. 3, 1904.
Wandlungen des Schwefels. 641
küngen, d. h. in diesem Falle oxydierende Kräfte der Zellen, nicht
ausschlieBen. Nachgewiesen sind solche, wie wir gleich sehen werden,
z. B. im Preßsaft der Hefe (§ 207).
§ 206. Merkaptanbildnng. Neben dem Schwefelwasserstoff
entsteht bei der Fäulnis^) der Eiweißstoffe nicht selten Merkaptan,
und zwar gewöhnlich Methylmerkaptan CH3 . HS. In Reinkulturen
von Anaerobiem fanden es N e n c k i und seine Mitarbeiter (S. 504),
beim Bac. proteus imd tetani R u b n e r^), beim Bac. proteus, mycoi-
(les, praepollens and esterificans P e t r i und M a a ß e n ^) , bei Heu-
bazillen König imd Spieckermann*). Aus Eiweißkörpem
erhält man es wie das Äthylmerkaptan und den Schwefelwasserstoff
durch Schmelzen mit Alkalien und bei der Trockendestillation {R u b -
n e r). Unbekannt ist, in welcher Form es im Eiweißmolekül vorgebildet
ist. Auch bei der bakteriellen Zersetzung von schwefelhaltigen Ab-
bauprodukten des Eiweißes (z. B. dem „Neutralschwefel" des Harns)
kommt aber der Körper vor (vgl. Karplus S. 638). Für die Mög-
lichkeit einer synthetischen Entstehung spricht die Tatsache, daß
durch die alkoholische Vergärung des Zuckers mit Hefe bei Gegen-
wart von elementarem Schwefel neben viel Schwefelwasserstoff (§211)
auch kleine Mengen Äthylmerkaptan gebildet werden (R u b n e r).
Petri und Maaßen möchten die Merkaptanbildnng beim Bac.
esterificans ebenfalls durch eine Synthese aus H2S und Alkohol er-
klären.
Gewöhnlich wird so wenig Merkaptan von den Mikroorganismen
tTzeugt, daß seine quantitative Bestimmung nicht möglich ist. Für seine
Erkennung genügt meistens der widrige knoblauchartige Geruch. Charak-
t'»ristisch ist femer die D e n i g d s sehe Reaktion : die aus der Kultur sich
• nt^A-ickelnden Gase werden in einem Kugelapparat aufgefangen, der eine
•>.5prozentige Lösung von Isatin in konzentrierter Schwefelsäure enthält,
l^ie rötlichgelbe Farbe verwandelt sich durch Merkaptan in eine grüne.
Aus 100 — 1000 ccm Bouillonkultur vermochte freilich Morris (Arch.
f. Hyg. 30) auf diese Weise nur beim Proteus vulgaris Merkaptan nach-
zuweisen. Über die Trennung des Merkaptans vom Schwefelwasserstoff
». o. S. 636. Die Bleiproben sind nur mit Vorsicht zu benutzen. Eisen-
salznährböden reagieren nicht auf Merkaptan.
§ 207. Oxydation des Schwefels und seiner Verbindungen.
Während das schwefelhaltige Endprodukt der anaeroben Eiweiß-
zeisetzong, der sogenannten Fäulnis, der Schwefelwasserstoff ist, tritt
1) £. und H. Salkowski, Ber. ehem. Gesellsch. 1879, 648.
2) Arch. f. Hyg. 19. 184, 1893.
3) Arbeit. Gesundheitsamt. 8. 498, 1893, vgl. Maaßen, eb. 15.
VX), 1901.
4) Zentr. Bakt. 2. Abt. 10. 535, 1903.
Kr ose, Mikrobiologie. 41
642 Kap. XI, § 207 u. 208.
dieser Körper bei der Verwesung, die unter kräftiger Mitwirkung des
Luftsauerstoffs verläuft, nicht in größeren Mengen auf, sondern statt
dessen Schwefelsäure (§ 176). Zum Beispiel verläuft die Verwesung
im Boden mit einer starken Zunahme des Schwefelsäuregehalts, wie
zahlreiche Untersuchungen des Grundwassers in stark mit „Stadt-
jauche" verunreinigtem oder Leichen enthaltendem Boden und des Ab-
laufes von biologischen Filtern (§ 183) ergeben haben. Welche Mikro-
organismen dabei vorwiegend ins Spiel treten, ist noch nicht genügend
studiert worden. Immerhin wissen wir, daß zur Oxydation der Schwefel-
verbindungen sicher viele Mikroben imstande sind. In bescheidenem
Maße haben wir diese Eigenschaft bei Bakterien entwickelt gefunden,
die aus Eiweiß Schwefelwasserstoff abspalten (S. 637). Marchai
(S. 527) gibt femer an, daß der Bac. mycoides nicht nur den Kohlen-
stoff des Eiweißes zu Kohlensäure, seinen Wasserstoff zu Wasser,
sondern ebenso seinen Schwefel zu Schwefelsäure oxydiere. Analytische
Belege fehlen freilich. Andere aerobe Mikroorganismen, die unter
kräftiger Oxydation Eiweiß zersetzen, vor allem die Schimmelpilze
(S.531), werden voraussichtlich auch zur Oxydation des Eiweißschwefels
imstande sein. Unmittelbare Beweise dafür sind aber noch zu liefern.
Ob dabei Schwefelwasserstoff als Zwischenstufe auftritt, ist ebenfalls
unbekannt. Jedenfalls tritt er bei den Schimmelpilzen niemals in
größeren Mengen in Freiheit.
Daß auch Lebewesen, in deren Ernährung die Schwefelverbindungen
eine so bescheidene Rolle spielen, wie die Hefepilze^), besondere Ein-
richtungen haben, um diese in ihrem Stoffwechsel zu verwerten, und
zwar zu oxydieren, haben Hahn und Ger et*) in ihren Versuchen
mit dem zellfreien Hefepreßsaft wahrscheinlich gemacht. Sie fanden
während der Selbstverdauimg dieses Saftes eine Vermehrung des Schwefel-
säuregehalts von 0,033% auf 0,060%. Mit der Zymase scheint also,
da man vorläufig eine Abspaltung von Schwefelsäure etwa aus Sulfo-
säuren nicht anzunehmen berechtigt ist, eine Art von Schwefel-
oxyd a s e vergesellschaftet zu sein. Das schließt, wie wir spater
sehen werden, die Gegenwart eines Schwefelsäure reduzierenden Fer-
ments (Philothion) in dem Hefepreßsaft nicht aus (§ 211). Ähnliche
Untersuchungen bei anderen Mikroorganismen liegen noch nicht vor.
Auf der anderen Seite wissen wir, daß der durch die Fäulnis oder
auf andere Weise (§ 205, 211, 212) gebildete Schwefelwasserstoff durch
eine Reihe merkwürdiger, namentlich im Wasser lebender Kleinwesen,
die geradezu auf diesen Stoff angewiesen sind,
1) Ad. Mayer, Gärungschemie 5. Aufl. 1902. 149.
2) Vgl. ZjTnasegärung (B u c h n e r und Hahn 1903) S. 307.
Wandlimgen des Schwefels. 643
zu Schwefel und Schwefelsäuie ozjdiert weiden kann. Es sind das
die farblosen Schwefelbakterien, die ihren Namen
davon haben, daß sie Schwefelkömer in ihrem Leibe aufspeichern,
femer ein Teil der Purpurbakterien, deren Körper außer
Schwefel noch roten Farbstoff enthält, schließlich farblose Bakterien,
die zwar nicht in ihren Leibern Schwefel aufspeichern, aber in ihrer
Umgebung solchen ausscheiden und daneben die vorgenannte Schwefel-
säure oder andere Oxydationsprodukte des Schwefels erzeugen. Man
hat ein Recht, alle diese Mikroorganismen als Erreger der
Schwefelsäuregärung zusammenzufassen (§ 208 — ^210).
§ 208. Farblose Schwefelbakterien. Diese Sumpfwasser
bewohnenden stattlichen Mikroorganismen sind schon lange unter dem
Xamen der Beggiatoafäden bekannt. Daß die sie auszeich-
nenden, stark lichtbrechenden Lihaltskömer aus Schwefel be-
stehen, zeigte zuerst Gramer^). F. C o h n ^) stellte dann die Theorie
auf, daß die Beggiatoen imd die Purpurbakterien, von denen wir später
sprechen werden {§ 209), den Schwefelwasserstoff durch Reduktion
aus schwefelsauren Salzen erzeugten. Nach Winogradskys^)
Arbeiten verhält sich die Sache umgekehrt so, daß der Schwefelwasser-
stoff durch andere sulfatreduzierende Mikroorganismen u. dgl. geliefert
und von den Beggiatoen zu Schwefel und Schwefelsäure oxydiert
wird. Dieser Prozeß ist ihnen zu ihrem Leben so nötig, daß sie in
einem Wasser, das frei ist von Schwefelwasserstoff, nicht zu existieren
vermögen. Wird ihnen das Gas entzogen, so zehren sie eine 2feitlang
noch von dem Schwefel, den sie in in ihrem Körper aufgespeichert
haben; wenn er verbraucht ist, sterben sie ab. Allzu hoch darf der
Schwefelwasserstoffgehalt freilich nicht steigen; ist das Wasser damit
gesättigt, so gehen sie ebenfalls zugrunde. Die Menge des Gases, das
die Beggiatoen verbrauchen, ist recht erheblich, sie beträgt täglich
etwa das Doppelte bis Vierfache ihres eigenen Gewichtes. Andere
Nährstoffe werden dafür um so weniger gebraucht; es sollen wohl
solche einfachster Form, wie z. B. ameisensaure und Propionsäure,
genügen, doch wären genauere Untersuchungen darüber nötig, die
freilich die Herstellung von Reinkulturen zur Voraussetzimg hätten.
Jedenfalls ist sicher, daß, wenn das Wasser nur Spuren von organischer
Substanz und Salpetersäure neben genügendem Schwefelwasserstoff
1) Bei Chr. Müller, Chem.-phys. Besclireibung der Thermen
von Baden in der Schweiz, 1870.
2) Beitr. z. Biol. d. Pflanzen 1. 3, 1875.
3) Botan. Zeitg. 1887. 31—37 und Beitr. z. Morphol. u. Physiol.
d. Bakterien, Leipzig 1888.
41*
644 Kap. XI, § 208.
enthält, wie es bei vielen Scliwefelwässem der Fall ist, diese merk-
würdigen Organismen darin fortkommen können, während die Gegen-
wart reichlicher und besserer Nährstoffe, wie Zucker, Pepton und der-
gleichen, nur das Aufkommen anderer Mikroben begünstigt und schon
dadurch die Schwefelbakterien schädigt. Sie verhalten- sich also ähn-
lich den Nitrifikationsbakterien (§ 196), nur scheinen sie mit Kohlen-
säure als einziger C- Quelle doch nicht auskommen zu können. Wie
dort die Oxydation des Ammoniaks und der salpetrigen Säure, 6o liefert
hier die Verbrennung des Schwefelwasserstoffe und Schwefels die zum
Leben nötige Energie. In beiden Fällen scheint die Natur übrigens
nicht sehr sparsam zu wirtschaften. So werden, wie wir sahen
(S. 603), verhältnismäßig große Energiemengen für den Aufbau der
organischen Substanz durch die Nitrobakterien verbraucht. Genaue
Bestimmimgen des Schwefelbedarfe und des ganzen Stoffwechsels
fehlen allerdings, man hat aber einige Anhaltspimkte in gewissen
Beobachtungen Winogradskys. Verschwinden doch, wenn man
den Zutritt von Schwefelwasserstoff von einer Beggiatoenkultur ab-
sperrt, binnen 24 Stunden die den Körper prall erfüllenden Schwefel-
tröpfchen vollständig durch Oxydation zu Schwefelsäure, während
in der gleichen Zeit die Masse des Spaltpilzes höchstens um das Doppelte
zunimmt. Man darf daher wohl annehmen, daß zur Assimilation von
je 1 g Kohlenstoff etwa 8 — 19 g Schwefel verbraucht werden. Lassen
wir auch die stark endotherme Beaktion
HgS + 0 = H^O + (S + 65 Kai.)
beiseite und stellen bloß die Oxydation des Schwefels zu Schwefel-
säure in Rechnung:
S + 30 + HgO = H2SO4 + (142,5 Kai.) ,
so kann man nach anderwärts ausgeführten Berechnungen (S. 611)
leicht überschlagen, daß schon die Verbrennung eines Atoms Schwefels
mehr als hinreichende Energie liefern könnte, ' um den Aufbau
von 3 Atomen, d. h. etwa des gleichen Gewichts der Propionsäure
und einem Atom Stickstoff (der Salpetersäure) zu Aminopropionsäure
zu bewerkstelligen. Der Aufbau anderer Aminosäuren und damit auch
des Eiweißes erfordert noch weniger Energie (§ 231). Die tatsächlich
entwickelte Wärmemenge ist also ein Vielfaches der theoretisch erforder-
lichen. Die bei der Verbrennung des Schwefels nachweislich gebildete
Schwefelsäure soll nach Winogradsky durch den gleichzeitig
im Wasser vorkommenden kohlensauren Kalk abgesättigt werden.
Eine saure Reaktion entsteht jedenfalls nicht in den Wasserkulturen
der Schwefelbakterien.
Wandlimgen des Schwefels. 645
Zu den reichlichen Verbrennungen, die sie verursachen, brauchen
die Mikroorganismen natürlich viel Sauerstoff, den sie gewöhn-
lich der Atmosphäre entnehmen. Sie siedeln sich deshalb niemals auf
dem Boden tieferer Grewässer an, sondern finden sich gewöhnlich in
Tiefen bis zu 1 m. Nur in Gregenwart grüner Grewächse, die selbst
«Sauerstoff ausatmen, können die Schwefelbakterien auch in größeren
Tiefen fortkommen. Da sie andererseits auf den Schwefelwasserstoff
angewiesen sind, und dieser an der Oberfläche der Gewässer schon
durch den atmosphärischen Sauerstoff schnell oxydiert wird, bilden
sie auf ihnen keine Decken (Kahmhäute), sondern halten sich immer
in einiger Entfernung davon an den Wänden des Grefäßes. Dieselbe
Erscheinimg zeigt sich auch bei der Untersuchung in hängenden Tropfen :
der äußerste Rand wird freigelassen, dann kommt eine Zone, in der
sich die Beggiatoen anhäufen (vgl. S- 100). Bei anderen farblosen,
aber lebhafter beweglichen Schwefelbakterien, die J e g u n o w ^)
beschrieben hat, kann man in größeren Grefäßen freischwebende eigen-
tümUche Ansanmilungen beobachten, die sich in ähnlicher Weise aus
dem Widerstreit des Sauerstoff- imd Schwefelwasserstoffbedürfnisses
erklären: es erscheinen in einiger Entfernung unter der Wasseroberfläche
Schwärme von Mikroorganismen, teils in Form dünner Platten, teils
in größerer Vielgestaltigkeit. Die nähere Untersuchung lehrt, daß
ein mit Eisenoxydhydrat getränkter „Reaktions^'-Faden in die Flüssig-
keit eingesenkt sich nur imterhalb dieser „Bakterienplatten" durch
•Sulfidbildung schwärzt. Die Bakteriengesellschaften fangen offenbar
den aus der Tiefe aufsteigenden Schwefelwasserstoff und den von der
Oberfläche her eindringenden Sauerstoff an der passendsten Stelle
ab (vgl. auch S. 185 u. 186).
Die Reinkultur der farblosen Schwefelbakterien ist bisher nicht
ceglückt. Man muß sich damit begnügen, sie mit Winogradsky
entweder im kleinen — am besten einfach auf dem Objektträger unter
dem Deckglas, nicht in hängenden Tropfen — oder im großen in Gefäßen
mit fließendem Wasser zu züchten. Als Kulturmittel eignet sich besonders
daa Wasser von Schwefelquellen, in denen die Beggiatoen ja auch unter
natürlichen Bedingungen vortrefflich fortkonunen, aber auch jedes andere
Wasser, wenn man ihm etwas Schwefelwasserstoff zusetzt. Hat man
keine natürlichen Pilzrasen zur Verfügung, so kann man als Ausgangs-
inaterial frische Wurzelstücke einer Sximpfpflanze, z. B. der Wassei*viole
'Butomus), benutzen. Man legt sie in ein tiefes Gefäß mit Brunnenwasser,
(lom man etwas Gips beimischt, und läßt es einige Wochen im Dunkeln
stehen, bis sich Schwefelwasserstoff und damit allmählich auch eine Wuche-
rung der Beggiatoen in weißen Rasen entwickelt.
Der Schwefel ist in Tropfenform in den Zellen enthalten
und löst sich zum größten Teil in Schwefelkohlenstoff auf, wenn man den
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 2, 1896.
646 Kap. XI, § 208 u. 209.
getrockneten Rasen damit auszieht. Erwärmt man schwefelreiche Fäden
in einem Tropfen Wasser vorsichtig auf 70 ^ so fließen die kleinen Tropfen
zu großen zusammen. Aus abgetöteten Fäden kristallisiert der
Schwefel in langen durchsichtigen, monoklinen Prismen oder in kurzen
schwarzen rhombischen Oktaedern aus. Erwähnt sei noch die diesen an-
scheinend gesicherten Befunden widersprechende Ansicht von Wille^),
die vermeintlichen Schwef elkömchen seien Gasvakuolen, die bei
Temperaturen weit \inter dem Schmelzpunkt des Schwefels verschwinden
und in Alkohol leicht löslich sein sollen. Auch Gasperini bezweifelt
auf Grund der leichten Löslichkeit der intrazellulären Tröpfchen in Essig-
säure deren Schwefelnatur. Corsini*) bestätigte zwar die Beobachtung,
daß die Schwefeltropfen durch Essigsäure aus den Fäden entfernt werden,
fand sie aber in Form von Schwefelkristallen außerhalb der Zellen wieder.
Die bei der Oxydation des Schwefels gebildete Schwefelsäure läßt
sich durch Fällung mit stark verdünntem Bariiunchlorid auch in den
mikroskopischen Kulturen nachweisen.
Winogradsky unterschied neben der schon von Trevisan
aufgestellten freischwinunenden Gattung Beggiatoa die gewöhnlich
festsitzende, aber eines Schwimmzustandes fähige, ebenfalls fadenförmige
Thiothrix. Die Riesen unter den Beggiatoen imd überhaupt die
größten Formen unter allen Bakterien, die Begg. mirabilis, be-
schrieb Hinze') genauer. Die Fadendicke erreicht 45 /«. Außer faden-
förmigen gibt es auch rundliche Schwefelbakterien, näm-
lich Warmings Monas MüUeri und fallax, Jegunows2 Arten (s. o.).,
die mächtige Thiophysa volutans, die H i n z e ^) im Sande einer sub-
marinen Schwefelquelle fand, femer auch schwefelhaltige Spi-
rillen (Omeliansky ^)). Es scheint also die Form der farblosen
Schwefelbakterien ebenso mannigfach zu sein, wie die der Pvurpurbakterien.
§ 209. Pnrpnrbakterien. Von den farblosen Schwefelbakterien.
die wir eben besprochen, imteischeiden sich die Purpurbakterien, von
ihrer gewöhnlich anderen (Jestalt abgesehen, durch den Besitz eines
roten, rotvioletten oder braunroten Pigments (Bakteriopurpurin),
das ihre Körper ziemlich gleichmäßig, aber in sehr verschiedener Stärke
färbt. Alle Purpurbakterien besitzen neben dem roten auch ein grünes
Pigment, das Bakteriochlorin. (Genaueres über diese Farbstoffe s. §253.)
Die Biologie der Purpurbakterien ist von Ray-Lankaster^),
Warming'^), Engelmann®) imd Winogradsky*) und
1) Biol. Zentralbl. 1902. 257.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 14, 1905.
3) Her. bot. Gesellsch. 1901. 369.
4) Ebenda 1903. 309.
5) L a f a r s Handb. 3. 231, 1905.
6) Quarterl. Journ. micr. sc. 13, 1873 und 16, 1876.
7) Nach Winogradsky.
8) Pflügers Arch. 30, 1883, und 42, 1888; Botan. Zeitg. 1888. 661.
9) Beitr. z. Morphol. u. Phys. d. Bakterien I. Leipzig 1888.
Wandlungen des Schwefels. 647
neuerdings von Molisch ^) genauer studiert worden (s. u.). Über die
Bedeutung der Farbstoffe war man lange Zeit im Unklaren. Engel-
mann hatte ursprüngUch bei seinem „Bact. photometricum'' Aus-
scheidmig von Sauerstoff im licht nicht beobachtet, glaubte sie aber
in spateren Versuchen ebenso bestimmt nachweisen zu können. Sein
Verfahren bestand darin, daß er luftbedürftige Bakterien, wie Spirillen
und Infusorien, zu einer Kultur von Purpurbakterien brachte und
sie unter dem Deckglas mit Yaselin gegen die Luft abschloß. Wenn
der im Wasser gelöste Sauerstoff verbraucht ist, kommen nach seiner
Beobachtung die beweglichen Aerobier im Dunklen schnell zur Buhe,
werden aber sofort beweglich und streben der Kolonie der Purpur-
bakterien zu, sobald diese belichtet werden. Grüne chlorophyllhaltige
O^anismen scheinen zunächst ganz ähnlich zu wirken, doch zeige sich
ein Unterschied, wenn man den Einfluß der einzelnen Teile des Spek-
trums untersuche: während das Chlorophyll nur in rotem Lichte aus
der Kohlensäure Sauerstoff abspaltet, sei das Bakteriopurpurin nur
dazu imstande, wenn es von ultraroten, den sogenannten dunklen
Wärmestrahlen getroffen werde. Nach Engelmann hätten wir
es also bei den Purpurbakterien mit Organismen zu tun, die wie die
grünen Pflanzen die Kohlensäure assimilieren, dies aber nicht mit Hilfe
des Chlorophylls, sondern des Bakterienpurpurs leisten können. W i n o -
g r a d 8 k y hat zwar die Versuche Engelmanns nicht wiederholt,
hielt aber auf Grund der Widersprüche zwischen Engelmanns
früheren und späteren Ergebnissen die Frage noch nicht für endgültig
entschieden. Auch nach seinen Beobachtungen würden zwar die Pur-
purbakterien durch das Licht beeinflußt — siedeln sie sich doch stets
an der nach dem Licht zu gelegenen Seite der Kulturgefäße an — , die
Ursache soll aber nicht ihr eigener Farbstoff sein, sondern das chloro-
phyllartige Pigment von „grünen Bakterien", die sich immer in Gesell-
schaft der roten Bakterien befinden (§ 253). Künstliche Einführung
solcher grünen Bakterien begünstige die Entwicklimg der roten Organis-
men erheblich.
Winogradsky glaubt weiter mit Hilfe seiner Mischkulturen
nachweisen zu können, daß die Emährungsbedingungen ähnliche seien
wie die der farblosen Schwefelbakterien. Geringste Spuren organischer
Nährstoffe, z. B. buttersauren Kalks, scheinen zu genügen, wenn
daneben Schwefelwasserstoff geboten wird. Von dem letzteren ver-
tragen die roten Bakterien größere Mengen als die Beggiatoen, denn
selbst in konzentrierten Lösungen von HgS gedeihen sie noch gut.
Auch sie lagern Schwefeltröpfchen ab und oxydieren sie zu Schwefel-
1) Purpurbakterien, Jena 1907.
648 Kap. XI, § 209 n. 210.
säure. Eisen- und Mangansalze begünstigen ihre Entwicklung, viel-
leicht, weil sie zur Bildung des Farbstoffes nötig sind.
Durch die Arbeit Molischs, dem es gelang, einige Arten rein
zu züchten, ist die Frage nach der Bedeutung des Farbstoffs
für die Purpurbakterien anscheinend endgültig in dem Sinne beant-
wortet worden, daß er sie nicht befähigt, die Kohlen-
säure unter Sauerstoffabspaltung zu assimilieren,
daß die Bakterien vielmehr am besten in konzentrierten organischen
Nährböden gedeihen, wobei Licht und Farbstoff allerdings hier gegen-
über den organischen Nährstoffen eine ähnliche Rolle zu spielen
scheinen, wie bei der Assimilation der Kohlensäure durch die grünen
Pflanzen. Dabei stellte sich gl^chzeitig heraus, daß ein großer
Teil der Purpurbakterien, wie es schon N a d s o n ^)
gefunden, des Schwefelwasserstoffes gar nicht zur
Ernährung bedarf, und auch kein.en Schwefel
ablagert, daß femer die meisten Purpurbakterien mehr oder weniger
luftscheu, einige sogar strenge Anaerobier sind (S. 101). Mo-
lisch teilt danach die Purpur- oder Rhodobakterien in zwei Gruppen,
die Thiorhodaceen imd Athiorhodaceen. Leider ist es auch M o 1 i s c h
noch nicht gelungen, die ersteren rein zu züchten. So bleibt die Fri^
nach der Bedeutung des Schwefels für die Purpurbakterien, die nach
Molischs Erfahrungen mindestens in einem anderen lichte er-
scheint als früher, vorläufig noch offen.
Die Purpurbakterien finden sich nicht selten in Schwefelquellen,
jedoch lange nicht so häufig wie die Beggiatoen; in manchen Sumpf wässern
sind sie so zahlreich, daß sie auffallende Trübungen hervorrufen. Am sicher-
sten erhält maxi sie nach M o 1 i s c h , wenn man tierische oder pflanz-
liche Abfälle, Leichen u. dgl. in schmalen hohen Standzy lindem mit Fluß-
oder Meerwasser wochen- oder monatelang dem Sonnenlicht aussetzt.
Um Reinkulturen zu erhalten, benutzt man am besten Schüttelkultiu*en
in hohen Reagensgläsern, die man lajige beobachten muß, weil die Kolonien
langsam zu wachsen pflegen. Als Nährboden eignet sich Agar (oder Gela-
tine) mit Mineralsalzen, 0,5 — 1% Pepton und Glyzerin oder Dextrin; aber
auch die sonst üblichen Nährböden, z. B. Kartoffeln, gestatten das Waclis-
tum. Die Gruppe der Purpurbakterien ist — wie die
der Schwefel-und Chlorophyllbakterien — sehrviel-
gestaltig und wiederholt sämtliche sonst bekann-
ten Bakterienformen. Vgl. Systematik bei Winogradsky,
M i g u 1 a (System der Bakterien 2. Bd., 1900) imd M o 1 i s c h, ferner
unser Bakteriensystem § 359.
§ 210. Andere Erreger der Schwefelsfturegärung. Im
großen und ganzen wie die Schwefel- und Purpurbakterien verhalten sich
1) Botan. Zentr. 1896. 90, 1904.
Wandlungen des Schwefels. 649
manche andere Bakterien, die aber deswegen lange der allgemeinen
Aufmerksamkeit entgangen sind, weil sie weder prächtige Farbstoffe
bilden, noch Schwefel in ihrem Leibe aufspeichern. Ihr Studium durch
Nathanson und Beijerinck hat die wichtige Tatsache fest-
gestellt, daß es außer den Salpeterbakterien noch
andere Kleinwesen gibt, die ohne Beihilfe des
Lichts Kohlensäure assimilieren (vgl. S. 121).
Nathanson^) sah solche Bakterien sich entwickeln, als er
Seewasser, mit einem Zusatz von Schwefelkalium versehen, mit etwas
3Iaterial impfte, das echte Schwefelbakterien (§ 208 ff.) enthielt (Meeres-
schlamm?). Statt der letzteren traten regelmäßig dicht unter der
Oberfläche der Lösung kleine lebhaft bewegliche, farblose Bazillen auf.
iSie ließen sich weiter züchten in Seewasser, das höchstens 1% imter-
schwefligsanres Natrium (Natriumthiosulfat Na^SsOg), aber keine
organischen Stoffe enthielt. Auf ähnlich zusanomengesetztem Agar
konnten verschiedene Arten in Beinkultur isoliert werden. Ebenso
günstig erwies sich eine künstliche Lösung, die 3% NaCl, 0,25% MgCl^,
0,1% KNO3, 0,05% Na5^P04, 0,2—1% NagSgOg und etwas MgCOg
in Substanz erhielt. Wurde das Karbonat weggelassen, aber der Zutritt
kohlensäurehaltiger Luft nicht gehindert, so erfolgte Entwicklung,
wenn auch bedeutend langsamer. Karbonat allein ermöglichte ein
ebenso gutes Wachstum, ob man die Luft vorher von ihrem Kohlen-
säuregehalt befreite oder nicht. Wurde gar keine Kohlensäure in der
einen oder anderen Form verabreicht, so blieb die Entwicklung voll-
ständig aus. Zusätze von Nährstoffen wie Zucker, Glyzerin, Tartrat,
Fonniat, Oxalat, Harnstoff änderten an diesen Verhältnissen nichts.
Sie waren imschädlich für die Bakterien, wurden aber offenbar von
ihnen nicht angegriffen. Die Assimilation der Kohlen-
säure war dadurch bewiesen. Schwieriger war es, die Ver-
änderungen des Schwefels im Stoffwechsel dieser Bakterien festzu-
stellen. Man konnte zunächst daran denken, daß aus der Oxydation
des Thiosulfats teils freie, teils gebundene Schwefelsäure hervorginge
nach der Formel:
NajSA + HgO + 4 0 = Na2S04 + H2SO4 .
Doch sprach dagegen, daß die schwache Alkalinität der Nährlösung,
die keinen Karbonatzusatz erhalten hatte, unverändert blieb. Na-
thanson kam deswegen auf die Vermutung, daß die Oxydation
nicht bis zur Schwefelsäure, sondern nur bis zur Di- oder Tri- oder
Tetrathionsäure fortschreite. Li der Tat erwies sich, wie eine Analyse
1) Mitteil. d. zool. Stat. Neapel 15. 665, 1902.
650 Kap. XI, § 210.
des gesamten Schwefelamsatzes ergab, die letztere Vermutung als
richtig^): die Oxydation verläuft nach der Formel:
SNaaSjOj + 50 = 2Na2S04 + T^B^ßße^
Während der Prozeß innerhalb der Bakterienzellen vor sich geht und
dabei kein freier Schwefel abgelagert wird, scheidet sich außerhalb
der Zelle um die Bakterienkolonien und auf der Oberfläche der Nähr-
lösungen eine große Menge freien Schwefels ab, und zwar
nach Nathansons Ansicht auf Grund einer nicht näher studierten
Umsetzimg des tetrathionsauren Natriums mit dem Natriumthio-
Sulfat. Merkwürdigerweise schied sich aber der Schwefel nicht un-
mittelbar um die Kolonie aus, sondern ließ einen schmalen Hof frei.
Man konnte daher an eine extrazelluläre Oxydations-
Wirkung denken. Nathanson hat eine solche auch in den Fil-
traten der Kulturen gefunden. Zyaninlösimg wurde augenblicklicli
entfärbt, Tetramethylparaphenylendiamin gebläut, ohne daß eine
Reaktion auf salpetrige Säure hätte erzielt werden können. Guajak-
tinktur und Indigokarmin blieben dagegen imverändert. Aufkochen
störte die Beaktion nicht. Es könnte sich vielleicht um ein perschwefel-
saures Salz handeln.
Beijerinck*) glaubte die Ergebnisse Nathansons durch
seine Untersuchungen in gewisser Beziehung abändern zu müssen.
Nach ihm sind ähnliche Bakterien („Thiobazillen") nicht nur im Salz-
wasser, sondern auch im Süßwasser weit verbreitet und lassen sich
z. B. aus Grabenschlamm in einer Lösung, die 0,5% NagSgOg, 0,PÖ
NaHCOg, 0,02% K2HPO4, 0,01% NH4CI, 0,01% Mgba enthält, leicht
heranzüchten und daim auf Agar isolieren.
Nach Beijerinck verläuft die Schwefelumsetzung einfacher,
nämlich nach der Gleichung:
Na^SgOg + 0 = Na2S04 + S.
Dadurch wäre die reichlich erfolgende Schwefelausscheidimg und das
Ausbleiben der sauren Reaktion gleichzeitig erklärt. Nathanson
(s. o.) hatte geglaubt, diese Beaktion schon deshalb ablehnen zu müssen,
weil sie außerhalb der Zellen erfolge, also nicht der Assimilation dienst-
bar gemacht werden könne. Da Beijerinck kene Analyse, die
seine Auffassung bestätigt, mitteilt, wird man weiteres abwarten
müssen.
1) Die Bestimmungsmethode der Schwefelverbmdungen s. in der
Arbeit; vgl. auch § 212.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11. 593, 1904.
Wandlungen des Schwefels. 651
In ähnliclier Weise soll auch Schwefelwasserstoff oder Kalzium-
sulfid und Tetrathionat, nicht aber Dithionat oxydiert werden:
HjS + 0 = H^O + S
NajS^Oe + Na^COg + 0 = 2Na2S04 + CO^ + Sg.
Mindestens würde danach ebensoviel Schwefel frei werden, wie zu
Schwefelsaure oxydiert würde. Das widerspricht den Ergebnissen
Nathansons, der nur den vierten Teil des Schwefels sich ab-
scheiden sah.
Das Ammonsalz kann durch Salpeter, das Bikarbonat durch Soda
ersetzt werden, doch wirkt die locker gebundene Kohlensäure günstiger.
Auch Beijerinck findet Harnstoff, Ameisensäure, Oxalsäure usw.
unbrauchbar zur Ernährung seiner Bakterien.
Eine genaue Stoffwechselrechnung hat auch Beijerinck
nicht angestellt. Die Menge der von diesen Mikro-
organismen neugebildeten Substanz ist aber
jedenfalls recht gering im Verhältnis zu der Menge
der zersetzten Schwefelverbindungen.
Der Schwefel dient weiter als Energiequelle nicht nur bei der Assimi-
lation der Kohlensäure, sondern auch bei der Reduktion der Nitrate,
oder besser gesagt, der Sauerstoff, der den Schwefel zu dieser Leistimg
befähigt, kann sowohl der Atmosphäre als der Salpetersäure (§ 198)
entnommen werden. Beijerinck hat Mikroorganismen, die gleich-
zeitig Schwefelsäure- und Stickstoffgärung verursachen (Thiobacillus
denitrificans) aus Grabenwasser gezüchtet, dem er 10% Schwefel
und 2% CaCOg als Pulver, und 0,05% KNO3, 0,02% NagCOg, 0,02%
K2HPO4, 0,01% MgClg in Lösung beigegeben. Wird diese Mischung
in bis oben gefüllten gut verschlossenen Flaschen gehalten, so entwickelt
sich bald ein Stickstoffstrom, der Salpeter verschwindet, ein Teil des
Schwefels und des kohlensauren Kalks geht dabei in Lösung. Neuer
Zusatz von Salpeter unterhält den Prozeß. Durch Übertragung auf
Nährlösungen, die ebenso wie oben, aber mit reinem Wasser angefertigt
sind, reinigt man die Erreger von Beimengungen und kann sie schließ-
lich auf Agamährböden, denen man Thiosulfat statt des Schwefels
beigegeben, isolieren. Dieses Salz wird, unter geringer Schwefel-
abscheidung, oxydiert, während die Thiobazillen, die wir früher kennen
gelernt, dabei reichlich Schwefel ablagern. Auch in Fleisch-
wassemährböden läßt sich dieser Thiobazillus züchten, wenn man sie
mit Wasser verdünnt und ihnen Thiosulfat zusetzt. Hier wird aber
viel Schwefel abgeschieden, wohl weil die Oxydation nicht eine so
kräftige ist. Es verdiente genau festgestellt zu
652 Kap. XI, § 210 u. 211.
werden, wie si c h die Bakterien zu den Kohlen-
stoff Verbindungen verhalten, ob sie im Gegen-
satz zu den übrigen Mikroorganismen, die Koh-
lensäure assimilieren, auch organische Stoffe
ausnutzen können.
Nach Beijerinck verläuft die Reduktion des Nitrats und
Oxydation des Schwefels in folgender Weise :
6KNO3 + 5S + 2CaS03 = 3K2SO4 + 2CaS04 + 200^ + SN^.
Sie ist sehr energisch, denn in einer Flasche mit 210 ccm Lösung wurden
binnen 12 Tagen 900 mg Salpeter, die allmählich zugesetzt waren,
zum Verschwinden gebracht. Die dazu rechnungsmäßig nötige Schwefel-
säuremenge von 0,4325 g (als Bariumsalz) fand Beijerinck
allerdings nicht wieder, sondern nur 0,283 g. Möglicherweise haben
andere Mikroorganismen, die in der Mischkultur vorhanden waren,
die Erscheinungen verwickelt.
Auch die Rhodanate (thiozyansauren Salze wie CNSK),
die in der Natur in kleinen Mengen, z. B. im Speichel des Menschen
vorkommen, und denen man eine antiseptische Wirkung auf Bak-
terien zuschreibt (s. Infektionslehre), werden nach Beijerinck
unter reichUcher Abscheidung von Schwefel zersetzt. Genaue An-
gaben fehlen.
Auffallenderweise soll nach van Delden^) auch das Spir.
desulfuricans (s. u. § 212), das Sulfate sehr kräftig zu Schwefelwasser-
stoff reduziert und streng anaerob wäohst, in seinen Kolonien in Gelatine
Schwefel abscheiden. Van Delden betrachtet als Ursache eine
Oxydation des HgS, vielleicht ist es aber nur eine unvoUkonmiene
Reduktion der Schwefelsäure.
§211. Redaktion des Schwefels und seiner VerbindimgeD.
Den mannigfachen Oxydationsprozessen, denen der Schwefel und seine
Verbindungen unterliegen (§ 207 — ^210), stehen Reduktionen gegen-
über. Daß der Schwefelwasserstoff aus organischen Verbindungen,
vor allem aus Eiweiß nicht durch eigentliche Reduktion, wie man
wohl angenommen hat, sondern wohl durch intramolekulare Spaltung
entsteht, haben wir schon S. 639 gesehen. Wohl unterliegt aber der
Schwefel einer wirklichen Reduktion, wenn er
mit lebendem Eiweiß in Berührung kommt. So
lehrten schon ältere Erfahrungen, daß gärende Hefe gepulverten
Schwefel zxmi Teil in Schwefelwasserstoff verwandelt *), daß Schimmel-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11. 90, 1903.
2) Dumas, Ann. chim. phys. 5. s^r. 3. 92, 1874.
Wandlungen des Schwefels. 653
pilze^) Schwefel tind Schwefelantimon, anaerobe Bakterien^) Schwefel
in reinem Zustande und in vulkanisiertem Kautschuk ebenfalls
zu Schwefelwasserstoff reduzieren. Eine Hefeaufschwemmung und alle
möglichen Bakterien- und Schimmelkulturen leisten nach R u b n e r ^)
dasselbe. Wie Schwefel verhält sich nach P e t r i und M a a ß e n ^)
unterschwefligsaures Natrium (Thiosulfat Na2S203),
nach Beijerinck*) auch schwefligsaures ^), tetra-
thionsaures und pentathionsaures Natrium. Die
H^S-Menge ist dabei viel großer, als diejenige, welche die Mikroorganis-
men durch ihre Tätigkeit aus Eiweißstoffen abspalten. .
Nicht nur Mikroorganismen reduzieren den Schwefel, sondern
ebenso die Gewebe höherer Pflanzen, insbesondere in den Vegetations-
punkten'), femer alle tierischen Säfte und Organe, Eiweiß, Eidotter
(de Rey-Pailhade®), Bösin g*)). Die künstliche Koagula-
tion der Eiweißkörper, das Aufkochen der Kulturen hebt ihre Wirkung
auf. R ö 8 i n g hat sich diese Wirkung so erklärt, daß er dem natür-
lichen Eiweiß die Fähigkeit zuschrieb, bei Gegenwart des Schwefels
das Wasser zu spalten: der Wasserstoff gehe dabei an den Schwefel,
das Hydroxyl oxydiere das Eiweiß. Eine gewisse Stütze erhält diese
Anschauung dadurch, daß durch vorherige Einwirkung schwach oxy-
dierender Stoffe (Ferrizyankalium, Kaliumpermanganat, Jod) dem
natürUchen Eiweiß die reduzierende Wirkimg genommen werden kann
und koaguUertes Eiweiß durch diese Mittel nicht mehr oxydiert wird.
Die einfache chemische Auffassung R ö s i n g s fand keine durch-
gehende Bestätigung in anderen Reaktionen. So bUeb Schwefelwasser-
stoff aus, wenn man Schwefel mit Rohrzucker und Invertase oder mit
Amygdalin und Emulsin zusammenbrachte, obwohl bei diesem Prozeß
auch eine Spaltung des Wassermoleküls eintritt, man also hätte an«
nehmen können, daß der Schwefel daran sich beteiligen würde. Ebenso-
wenig gelang es beim Zusammenbringen von anderen reduktionsfähigen
Elementen, wie Selen, Arsen und Antimon mit Eiweiß die entsprechen-
den Wasserstoffverbindungen nachzuweisen (vgl. § 214, 215). Schließlich
1) Selmi, Ber. ehem. Ges. 1874, 1642.
2) M i q u e 1 , ebenda 1879. 2152 (nach P e t r i und M a a ß e n
fi. u.).
3) Areh. f. Hyg. 16. 68, 1893.
4) Arbeit. Gesundheitsamt 8. 348, 1893.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 1. 5, 1895 und 6. 193, 1900.
6) Vgl. aber S a 1 1 e t ebenda 6. 702.
7) P o 1 a c e i , Ber. ehem. Ges. 1876. 841.
8) Bull. ßoc. chim. Paris 1890. 171 und Compt. rend. ac. sc. 106.
1683, 1888; 118. 1201, 1894.
9) Dissertation Rostock 1891.
654 Kap. XI, { 211 u. 212.
läßt das wechselnde Verhalten einiger eiweißhaltiger Stoffe, wie z. B. der
Milch, daran denken, daß die reduzierende Fähigkeit weniger den Ei weiß-
körpem selbst anhaftet, als bedingt wird durch die Beimischung
eines die Reaktion vermittelnden fermentarti-
gen Körpers^). In der Tat hat de Rey-Pailhade gezeigt,
daß man aus Hefekulturen einen schwefelreduzierenden Stoff aus-
ziehen kann, indem man 100 g frischgepreßte Bierhefe in 55 g glykose-
haltigem Wasser verteilt, nach und nach 45 g 90prozentigen Alkohols
zusetzt, das Gemisch in verschlossener Flasche bei 0^ aufbewahrt,
durch Porzellan filtriert und das Filtrat mit der Luftpumpe von Kohlen-
säure befreit. Die so gewonnene Flüssigkeit bildet aus Schwefelpulver
HgS, absorbiert außerdem Sauerstoff und produziert bei Luftabschluß
Kohlensäiire. Den reduzierenden Bestandteil hat der französische
Verfasser Philothion genannt. Auch in tierischen Organen hat
er ihn gefunden, ihn daraus aber nicht mit Hilfe der Alkoholbehand-
lung ausziehen können. Das Philothion wird schon durch den Sauer-
stoff der Luft in einigen Tagen, bei 70** in 2 Stunden, durch Chlor.
Brom und Jod sofort zerstört, kann also vielleicht als ein Enzym,
eine „Reduktase" aufgefaßt werden. M. H a h n 2) hat wie
Wroblewski*) nachgewiesen, daß der zellfreie Preßsaft der Hefe
— mit oder ohne Luftzutritt — dieselbe reduzierende Wirkung auf
Schwefel und besonders auf Thiosulfat entfaltet, sie auch in abge-
lagertem Zustande lange behält und erst bei 55® zimi Teil, bei 65°
im wesentlichen einbüßt. Mit der Gärkraft, der Zymasewirkung (§ 89)
hat sie also nichts zu tun, ist auch verschieden von dem reduzierenden
Vermögen, das der Preßsaft gegenüber Farbstoffen wie Methylenblau
entfaltet (§ 161). Offenbar hat Hahn das Philothion de Rey-
Pailhades in kräftigerem Zustand in Händen gehabt. Auch die
Preßsäfte des Tuberkelbazillus und Vibrio phosphorecens entwickelten
HgS mit Thiosulfat, nicht die der Choleraspirillen, der roten Sarzine
imd des Typhusbazillus. M a a ß e n ^) fand ebenfalls den Preßsaft
des P e t r i sehen Butterbazillus und zerriebene Azetondauerpräparate
des Bac. proteus mirabilis und Vibrio phospohrescens fähig, aus freiem
Schwefel (und zum Teil auch aus Witteschem Pepton S. 640) bei 45°
innerhalb einiger Stunden nachweisbare Schwefelwasserstoffmengen
zu entwickeln. Die Preßsäfte von Schinmielpilzen und Hefe, nament-
1) Neuerdinga will Heff ter (Hofmeisters Beitr. 5. 232, 1904)
in dem Gehalt des Eiereiweißes an Merkaptanen die Quelle der H,S-Bildung
sehen.
2) Zymasegärung (Buchner und Hahn 1903. S. 341).
3) Ber. ehem. Gesellsch. 1898. 3218.
4) Arbeit. Gesundheitsamt 21. 3» 1904,
Wandlungen des Schwefels. 655
lieh aber die zerriebenen Organe von Pflanzen und Tieren waren viel
wirksamer. Die reduzierenden Stoffe der letzteren besaßen übrigens
auch eine größere Widerstandsfähigkeit, waren z. B. in einem gewissen
Grade kochfest (S. 640). Der Hauptsache nach haften sie den un-
gelösten Bestandteilen des Protoplasmas an.
Der Eindruck, daß es sich auch bei diesem Prozeß um ferment-
artige Wirkungen, nicht um einfache chemische Reaktionen handelt,
wird durch diese Tatsachen nur verstärkt.
§ 212. Sulf atrednktion. Schwef elwasserstof fgärnng. Nach-
dem wir im vorstehenden die Reduktion der übrigen Schwefelverbin-
dmigen kennen gelernt, haben wir uns jetzt mit der der Sulfate zu be-
schäftigen. Daß schwefelsaure Salze von Mikroorganismen — ebenso
wie von höheren Pflanzen — zu ihrer Ernährung verwendet werden,
haben wir schon S. 93 gesehen. Das geschieht sogar nach R u b n e r
selbst dann, wenn andere (organische) Schwefelverbindungen in der
Nährflüssigkeit vorhanden sind (S. 634). Daß H^S dabei, wenn auch
nur vorübergehend, entsteht, ist bisher allgemein nicht nachgewiesen,
aber doch wohl anzunehmen. In bestimmten Fällen ist übrigens der
Beweis geliefert, daß die Schwefelsäure reduziert wird. So haben
Stockvis und S a 1 1 e t ^) aus Grabenwasser einen Bac. desul-
furicans gezüchtet, der die Sulfate teilweise zu weniger stark oxy-
dierenden Körpern, vielleicht zu schwefliger Säure, reduzieren kann^).
Viel energischer werden die Sulfate von dem Spirillum (Microspira)
desulfuricans Beijerincks^) und dem Spir. aestuarii van D e 1 -
dens^) angegriffen und dabei der Hauptsache nach zu Schwefel-
wasserstoff reduziert. Das erstere Bakterium findet sich im Schlamme
des Süßwassers und ziemlich überall in der Erde, das letztere im Sande
des Meeresufers und im Meerwasser selbst; ihre Wachstumsbedingungen
sind, wenn man von dem verschiedenen Chlomatriumbedürfnis ab-
sieht, ähnliche. Nach van Delden erhält man Rohkulturen des
Spir. desulfuricans, wenn man etwas Schlamm aus sehr stark verunreinig-
ten Gräben in einer Lösung von 0,5% Natriumlaktat, 0,1% Asparagin,
0,1% Magnesiumsulfat oder Gips, 0,05% Kaliumbiphosphat und einer
Spur Ferrosulfat unter Sauerstoffabschluß (in einer geschlossenen
Flasche) züchtet. Die Flüssigkeit trübt sich allmählich imd zeigt durch
die Schwarzfärbung (Schwefeleisen) die Bildung von Schwefelwasser-
stoff an. Zuviel organische Substanz hemmt die Schwefelwasserstoff-
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 6. 697, 1900.
2) Vgl. aber Beijerinck, ebenda 844.
3) Ebenda 1. 1, 1895; 6. 193. 1900.
4) Ebenda 11. 81, 1903.
656 Kap. XI, § 212 u. 213.
gärung, weil ihre Erreger dann durch andere Bakterien überwuchert
werden. Aus angereicherten Kulturen gelingt es, in hohen Schichten
eines ähnlich zusammengesetzten Grelatinenahrbodens die Spirillen
herauszuzüchten. Außer den milchsauren sind auch äpfelsaure und
bemsteinsaure Salze und von Stickstoffverbindungen außer Asparagin
auch Pepton und Ammoniaksalze zur Ernährung der SpiriUen geeignet;
Salpeter (0,02%) wird ebenfalls assimiliert, hindert aber zunächst
bis er zu Ammoniak reduziert ist, die Schwefelwasserstof^ärung.
Diese verläuft, wie van Delden durch Messung der HgS- und COg-
Produktion festgestellt hat, ziemlich genau nach der Gleichung^):
2C3H503Na + 3MgS04 = 3MgC03+ Na2C03+ 2H2O + 2CO2+3HJS.
Der Sauerstoff des Sulfats oxydiert also den Koh-
lenstoff der Milchsäure vollständig zu Kohlen-
säure. Wieviel Bakteriensubstanz dabei gebildet wird, wissen wir
vorläufig nicht. Schwefelwasserstoff wird in'^sehr erheblicher Menge
entwickelt, bis zu 246 mg H2S im Liter beim Spir. desulfuricans und
sogar bis zu 952 mg beim Spir. aestuarii. Die Bakterien vertragen an-
scheinend diese starke Konzentration des sonst giftigen Gases recht gut.
Die Kolonien der Spirillen auf festen Nährböden zeichnen sich
wie die der sulfatbildenden Mikroorganismen dadurch aus, daß sich
in ihnen zwischen den Bakterien Schwefel ablagert. Da sie streng
anaerob wachsen, kann es sich um keine Oxydation von Schwefel-
wasserstoff handeln, sondern nur um eine beschränkte Keduktion
der Schwefelsäure, die auf halbem Wege Halt macht. In länger fort-
gezüchteten Kulturen des Spir. desulfuricans soll diese Fähigkeit
der Schwefelbildung verloren gehen.
Die Bedeutimg der Beijerinckschen Spirillen für den
Kreislauf des Schwefels in der Natur liegt auf der Hand. Sie bewirken
im größten Maßstabe den Übergang der schwefelsauren Salze teils in
Sulfide, vor allem das Eisensulfid, das die schwarze Farbe
des Schlammes in Gräben, Seen \md manchen Meeren (schwarzes Meer)
verursacht und in freien Schwefelwasserstoff, auf dem der faule Geruch
der stehenden Wässer wesentlich beruht^). Die Fäulnisbakterien, die
1) Dabei werden etwa 277 Kai. entwickelt, wenn man die Energie
gleiehung für die freien Säuren aufstellt, aber die Löslichkeit der Kohlen-
säure berücksichtigt. Der Wärmewert der Reaktion ist viel geringer,
als wenn dieselbe Kohlenstoffverbindung durch freien Sauerstoff verbrannt
wird, weil die Reduktion der Schwefelsäure einen großen Aufwand von
Energie erfordert. Ist doch H^SO* = H,S + O« (— 135,2 Kai.). Vgl
§ 225.
2) Ob die „Verderbnis** des Talsperrenwassers im Sommer (S. 680)
sich ebenso erklärt, steht dahin.
Wandlungen des Schwefels. 657
ans organischen Stoffen denselben Stoff entwickeln, finden für ihre
Wirksamkeit ein verhältnismäßig beschränkteres Feld (vgl. § 168 ff.
u. 205).
Der Schwefelwasserstoff (s. auch S. 636) wird «un einfachsten durch
Titration mit Jodlösung bestimmt. Diese Methode ergibt aber wechselnde
Resultate. Manchmal stinunt, wie die Tabellen van Deldens beweisen,
die Menge des gefundenen H^S mit der der verschwundenen SOg zusammen,
häufig bleibt aber ein mehr oder weniger großer Verlust, der bis zur Hälfte
der Schwefelsäure betragen kann. Man könnte ihn sich entstanden denken
durch die Bildung unvollkommener Reduktionsprodukte, z. B. Sulfite,
Thiosulfate oder Tetrathionate und reinen Schwefels. Der letztere scheidet
sich schon bei Luftzutritt aus der H^S ab, entsteht durch die Einwirkung
der Eisensalze, die als Indikator dienen, wird aber auch bei Luftabschluß
von den Bakterien selbst ausgeschieden (s. o.). Sulfite werden dadurch
zur Fehlerquelle, daß sie bei saurer Reaktion, bei der die Titrierung statt*
findet, schweflige Säure abspalten, die unter Schwefelabscheidung sich
mit dem H^S umsetzt. Thiosulfat wird durch Jod in Jodmetall und Tetra-
thionat verwandelt; wenn man es als Schwefelwasserstoff berechnet, erhält
man also viel zu wenig Schwefel. Tetrathionat seinerseits reagiert gar nicht
auf Jod, verursacht also, wenn es in reichlicher Menge gebildet wird, einen
großen Verlust. Eine Bestimmungsmethode, die allen Möglichkeiten ge-
recht wird, muß noch gefunden werden. Nathanson (S. 649) gelangte
bei seinen Schwef elbestimmungen aus dem zufäUigen Grunde zu gut über-
einstimmenden Resultaten, weil seine schwefeloxydierenden Bakterien
kein anderes Zwischenprodukt bildeten, als Tetrathionat. Er fand die
Menge des letzteren, indem er die durch Bariumchlorid unmittelbar er-
haltene Sulfatmenge von derjenigen abzog, die nach Oxydation der Flüssig-
keit mit Brom gewonnen wurde.
Krasc, Mikrobiologie. i2
Kapitel XII.
Wandlungen anderer anorganischer Stoffe.
§213. Einleitung. Wandinngen des Phosphors. Anßerden
in den vorhergelienden Absclmitten besprochenen Stickstoff- und
Schwefelverbindimgen (Kap. X u. XI), dem freien Stickstoff (§ 201 ff.),
Schwefel (§ 207 u.211) und der Kohlensäure (§ 196 u. 210) werden auch
andere anorganische Stoffe^) von den Mikroorganismen in ihren Stoff-
wechsel gezogen. KaUum-, Natrium-, Magnesixmi-, Kalziiun- und
Eisensalze der Chlorwasserstoff-, Schwefel-, Salpeter-, Phosphor- und
Kohlensäure werden in verschiedener Weise benutzt (§ 30). In welcher
Form es geschieht, welchen Wandlungen sie dabei unterUegen, ist nur
wenig bekannt. Daß sie bei dem Aufbau der Körpersubstanzen, und
zwar in erster Linie des Eiweißes, eine gewisse Rolle spielen, ist aus
den Analysen der Mikroorganismen selbst (Kap. II) wie aus den Er-
fahrungen, die man sonst über die Zusanmiensetzung des Protoplasmas
gemacht hat, zu schließen. Nur haben wir gesehen, daß manche Bak-
terien und Pilze wenigere Ansprüche an die anorganische Nahrung
erheben, als die höheren Wesen. Mehr als die übrigen anoi^aniscben
Stoffe interessiert uns die Phosphorsäure, nicht nur wegen
ihrer UnentbehrUchkeit, sondern auch weil wir von der Phosphor-
saure annehmen können, daß sie bei der Synthese desEiweiß-
moleküls teilweise mit diesem in engere Verbindung tritt (Phos-
phorproteide § 25). Eine Rolle spielt die Phosphorsäure weiter im
Lezithin (§ 26). Die Phosphorsäure wird wieder als solche
frei bei der Zersetzung der Eiweißstoffe, z. B. der
Nukleinsäure und des Lezithins (§ 189), durch die Mikroben
der Fäulnis und Verwesung. Diese Spaltungen sind wahrscheinlich
enzymatischer Natur, wie wir aus den Befunden von Hahn und
G e r e t bei der Verdauung des Hefepreßsaftes wissen (S. 495). Anderer-
seits hat aber Iwanoff 2) gezeigt, daß durch tote Hefe, die aber noch
1) Vom Sauerstoff wird in Kap. XIII die Rede sein.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 60. 281. Zentr. Bakt. 2. Abt. 24, 1909.
Wandhingen anorganischer Stoffe. 659
ganingsfahig ist bzw. im Hefepreßsaft (S. 263), Phosphate auch in
omanische Bindung übei^eführt werden können. Das wiiide für die Um-
kehrbarkeit des enzymatischen Vorgangs sprechen. Einfacherer Art,
d. h. wohl auf bloße Lösung durch Säurebildung zurückzuführen sind
die Veränderungen, die die Phosphate des Knochenmehls und Bodens
durch Mikrobien erfahren. Nach Stoklasa, Duchacek und
Pitra^) sollen ammoniakbildende Bakterien wie der Bac. mycoides
(S. 528) am meisten (bis zu 23%) Enochenphosphat lösen, und
zwar durch die Kohlensäure, die sie nebenbei entwickeln. Allerdings
fand Stalström^), daß die gemischte Kohlensäure- Ammoniak-
gärung, die sich in Bouillon, Torfstreuimg und Torf entwickelt, reines
Tiikalziumphosphat nur wenig, die Milch- und Buttersäuregärung,
die Milch oder Milchzuckerlösungen eingehen, hingegen sehr kräftig
löst. A. Koch und K r ö b e r ^) sahen ebenfalls die Phosphorsäure
des Knochen- und Phosphatmehles durch die Gärung in zuckerhaltigen
Flüssigkeiten in Lösung gehen.
Auch andere Salze, z. B. kohlensaurer Kalk, können natürlich
durch Kohlensäure oder organische Säuren, die im Stoffwechsel der
Mikroorganismen entstehen, gelöst, und umgekehrt lösliche Salze,
z. B. des Kalzixuns und Magnesiums, durch Bildung alkalischer Produkte
(kohlensaures Ammoniak), die des Eisens und Bleis durch Schwefel-
wasserstoffentwicklung gefällt werden.
Einige Metalle verdienen deswegen eine gesonderte Betrachtung,
weil von ihnen oder ihren Verbindungen eigentümliche Veränderungen
bekannt sind, so das Selen und Tellur aus der Schwefelgruppe, das
Antimon und Arsen aus der Stickstof^ruppe, femer das Eisen und
schließlich Chlor-, Brom-, Jodsauerstoffverbindungen. Eine wesent-
liche Bedeutung im Stoffwechsel der Kleinwesen selbst haben diese
Prozesse wohl nur ausnahmsweise.
§ 214. Reduktion der selenigen and tellorigen Säure.
Nach Scheurlen*) und Klett^) reduzieren fast alle daraufhin geprüften
Mikroorganismen — darunter 27 Bakterien und verschiedene Schimmel-
pilze — die selenige und tellurige Säure zu Selen und Tellur. Die Ee-
aktion wird in der Weise angestellt, daß zu den Nährböden von einer
2prozentigen sterilisierten Lösung des Natriumsalzes der selenigen
Säure 2 — 10 Tropfen, der tellurigen Säure höchstens 1 Tropfen auf je
1) Hofmeisters Beitr. 3, 1902.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11, 1904.
3) Landwirtech. Zeitg. 1906.
4) Zeitachr. f. Hyg. 33, 1900.
5) Ebenda.
42*
660 Kap. Xn, § 214 u. 215.
10 ccm zugesetzt werden. Die darauf gesäten Mikroorganismen er-
zeugen, wenn sie sich überhaupt entwickeln, früher oder später Kolo-
nien, die durch die Ausscheidung der Metalle rot oder schwärzlich-
grau^) gefärbt sind. Der Aktinomyces wächst zwar nicht auf diesen
Nährböden, seine fertigen Rasen zeigen aber gleichfalls die Reduktion.
Die Wirkung ist bei den einzelnen Mikroben eine verschiedene. Teil-
weise hängt sie, wie sich von selbst versteht, von der Stärke des Wachs-
tums ab, die bei vielen Arten ungünstig beeinflußt wird. Das erschwert
natürlich die Beurteilung des Prozesses und seine Vergleichung mit
anderen Reduktionen, die von den Verfassern übrigens nicht versucht
wird. Von den bekannten Arten reduzieren Bac. typhi, prodigiosus,
coli und aerogenes, anthracis und Staphyl. pyogenes kräftig, der Fluores-
cens liquefaciens schwach. Traubenzuckerhaltige Nährböden redu-
zieren schon ungeimpft bei 37°, sie sind also nur bei niedriger Tem-
peratur zu verwenden. 6 1 o g e r ^) findet Übereinstimmung zwischen
der Schwefelwasserstoffbildimg und Reduktion der tellurigen Säure.
Tuberkelbazillen, Pseudotuberkelbazillen, Diphtherie- und Pseudo-
diphtherie, Bac. acidi lactici (?) sollen nicht reduzieren.
Nach den Verfassern erhalten strenge Aerobier durch Beigabe
der Metallsalze nicht die Fähigkeit, bei Sauerstoffabschluß zu wachsen;
Anaerobier reduzieren anscheinend gar nicht, werden freilich auch schon
durch kleinste Mengen in ihrer Entwicklung gehenmit, während das
schwefligsaure Salz ihr Wachstum begünstigt.
Selensaure Salze werden durch Mikroorganismen nicht verändert,
stören auch das Wachstum nicht.
Neuerdings hat M a a ß e n ^) nachgewiesen, daß die Zellen nicht
lebendig zu sein brauchen, um die Metallreduktion zu bewirken. So
reduzierte auch der zellfreie Preßsaft des P e t r i sehen Butterbazillus,
des Penicillium brevicaule, und die Azetondauerpräparate des Proteus
mirabilis und Vibrio phosphorescens, femer zerriebene Organe von
Pflanzen imd Tieren tellurigsaures Natron. Es sind das nach M a a ß e n
dieselben Stoffe, die auch Schwefelwasserstoff aus Schwefel (S. 654)
entwickebi, Nitrat zu Nitrit (S. 612) und Methylenblau (S. 476) redu-
zieren. Genauere Vergleiche täten aber not.
1) Gosio (Rendiconti Accad. Lincei 13, 1904) sah bei der Zer-
setzung des tellurigsauren Kaliums neben braunen bis schwarzen aucli
violette Töne (Polytelluride?). Nach ihm handelt es sich um eine Reak-
tion, die intrazellulär auftritt und eine Lebenserscheinung ist, die benutzt
werden kann, um das Vorhandensein von Venmreinigungen in Flüssigkeiten,
die keimfrei sein sollten, nachzuweisen. Vgl. auch Zeitschr. f. Hyg. 51,
1905 und Gloger, Zentr. Bakt. 40. 4.
2) Arbeit. Gesundheitsamt 21. 3, 1904.
Wandlungen anorganischer Stoffe. 661
§ 215. Reduktion des Arsens durch Schimmelpilze. Die
Entstehung flüchtiger Arsenverbindungen aus festen war schon lange
dorch Erfahrungen sichergestellt, die man gelegentlich von Y e r -
giftungendurcharsenhaltigeTapeten gemacht hatte.
Daß Mikroorganismen, und zwar in erster Linie Schimmelpilze dabei
im Spiele wären, wurde auch schon in den siebziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts von S e 1 m i ^) u. a. vermutet. G o s i o *) lieferte durch
Reinkulturen den sicheren Beweis dafür, daß verschiedene Schimmel-
pilze imstande sind, Arsenverbindungen zu verflüchtigen. Fast von
allen Seiten wurde das denn auch bestätigt. Mißerfolge von £ m m e r -
ling^ müssen auf ungeeignete Yersuchsbedingungen zurückgeführt
werden.
Abel und Buttenberg ^) fanden von 40 Schimmelpilzstämmen
verschiedenen Ursprungs 10, die mit der erwähnten Eigenschaft aus-
gestattet waren, darunter das Penicillium brevicaule, Aspergillus
glaucus, niger, virescens und Mucor mucedo. Weder Hefen noch Favus-
pilze, Aktinomyceten oder irgendein Bakterium besaßen die Fähigkeit;
gerade die letztgenannten Mikroorganismen wurden vielmehr zum
großen Teil schon durch die geringste Menge von Arsenik am Wachs-
tum gehindert. Von den Schimmelpilzen waren einige wie der Mucor
nur imstande, die Sauerstoffverbindungen des Arseniks
unter Bildung riechender Gase zu verflüchtigen, während andere, in
erster Linie das Penicillium brevicaule, auch die Schwefelver-
bindungen und das metallische Arsen kräftig angriffen.
Die im Wasser unlösUchen oder schwer lösUchen Arsenpräparate können
in unbegrenzten Mengen in den Nährböden vorhanden sein, ohne das
Gedeihen der Pilze zu beeinträchtigen, die lösüchen Verbindungen
eben&ills, wenn eine Unterlage, wie etwa Brotbrei benutzt wird, der
sich nicht gleichmäßig mit der Lösung durchtränkt. Aber auch in
Nährlösungen, die 3 — 4 Voo ars^inge Säure enthalten, wächst das Peni-
cillium unter lebhafter Knoblauchsgeru ch entwicklung. Die
geringste Arsenmenge, die noch durch den Geruch in solchen Kulturen
nachgewiesen werden konnten, war bei Abel und Butten-
berg je nach der Verbindimg 0,1 — 0,01 mg.
Die durch die Pilzwirkung entstandenen riechenden Stoffe be-
stehen zum kleinen Teil vielleicht aus Arsenwasserstoff,
zum größeren aus organischen Verbindungen, die noch
1) Ber. ehem. Gesellsch. 1874. 1642, vgl. vollst. Lit. bei Abel und
Buttenberg, Zeitechr. f. Hyg. 32, 1899.
2) Archiv ital. de biol. 1892. 253; Hyg. Rundschau 1897. 1217; Ber.
ehem. Ges. 1897. 1024.
3) Ber. ehem. Ges. 1896. 2728 und 1897. 1024.
662 Kap. XII, § 215 u. 216.
unvollständig bekannt sind. Die Menge der Gase ist nach dem Gerucb
nicht zu beurteilen, sie ist im allgemeinen eine recht geringe trotz
intensiven Gestankes^).
Nach Abel und Buttenberg entwickeln Antimon-,
Wismut- und Phosphor Verbindungen mit Schimmelpilzen k^e
knoblauchartigen Gase, doch hat schon S e 1 m i behauptet, daß unter
ähnlichen Bedingungen auch Antimonwasserstoff entstehe. Nach
R ö s i n g (S. 653) haben Selen, Arsen und Antimon nicht vrie der
Schwefel die Eigenschaft, mit Eiweiß zusammengebracht die Wasser-
stoffverbindung zu bilden. E 1 e 1 1 ^) sah das phosphorige Natrium
ohne Einwirkung auf Bakterien und anscheinend selbst unbeeinflußt
von ihnen. Auch bei der Fäulnis entsteht aus den Eiweißstoffen oder
Phosphaten kein Phosphorwasserstoff (S. 560).
Außer durch den Geruch läßt sich die Anwesenheit von arsenhaltigen
Gasen nach G o s i o dadurch nachweisen, daß man sie durch eine 50 — 60^
warme, mit Schwefelsäure versetzte Lösung von KaliumpermanganAt
durehleitet und das Filtrat im Marsh sehen Apparat prüft.
Die Fähigkeit der Schimmelpilze, atis Arsenverbindungen riechende
Gase zu bilden, hat man nach dem Vorschlage von G o s i o benutzt, um
darauf eine biologische Methode des Arsennachweises
zu gründen'). Das zu prüfende Material wird, wenn es eine feste Substanz
ist, fein gepulvert oder zerschnitten in einen Kolben von mindestens 100 ecin
Inhalt gebracht, dazu einige Tage altes Graubrot in Krüraelform und
etwas Wfitsser gesetzt, der Kolben mit Watte verschlossen und 10 — 3(»
Minuten im Drucktopf auf 120® erhitzt. Wenn man nach dem Abkühlen
mit Penicillium brevicaule reichlich impft und den Kolben mit Gummi-
kappe verschlossen einige Tage bei Zimmertemperatur oder besser bei
37® hält, gelingt es, beim öffnen der Kulturgefäße den charakteristischen
Geruch wahrzunehmen.
Für den Nachweis des Arsens in B i e r ist die biologische Methode
nach Morgan *) nicht geeignet.
Wenn es auch durch die neuesten Untersuchungen Bertrand:*
bekannt geworden ist, daß Arsen ein normaler Bestandteil vieler organischer
1) Nach Hausmann (Hofirieisters Beitr. 5. 397, 1904) sind auch
grüne Meeresalgen, die mit Aktinien zusammen leben, imstande, Arsen-
verbindungen zu zerlegen. Bekannt ist durch Binz, Heffteru. a.
die Fähigkeit tierischer Gewebe, Arsenverbindungen zu reduzieren. Darauf
beruht wahrscheinlich die Wirkung dos Atoxyls usw. (S. 189) auf Trypano-
somen und Spirochäten. Die Reduktion schreitet hier nicht bis zuni
Arsen Wasserstoff vor und ist auch wohl nicht enzymatischer Natur (H e f f -
t e r S. 654), sondern das Werk bestinmiter Verbindungen, wie z. B. der
Thioglykolsäure (vgl. Friedberger, Verh. Naturf . Gesellsch. Cöln,
II, 2. 567, 1909).
2) Zeitsclu«. f. Hyg. 38. 156, 1900.
3) Vgl. auch Maaßen, Arb. Gesundheitsamt 18, 1902.
4) Lancet 1903. II. 22.
Wandlungen anorganischer Stoffe. 663
Stoffe ist^), so kann das im allgemeinen den Wert des biologischen Ver-
falirens nicht herabsetzen, da dadurch doch höchstens Mengen von 0,01 mg
entdeckt werden können, während Bertrand z. B. in Eigelb nur einige
Tausendstel Milligramm Arsen fand.
§ 216. Eisenbakterien. Ob das Eisen für alle Mikroorganismen
ein unentbehrliches Nahrungsmittel ist, ist zweifelhaft (S. 95), nützlich
sind jedenfalls kleine Mengen davon manchen Bakterien und Pilzen.
Mittelbar wirken die Mikroorganismen besonders der Fäuhiis dadurch
auf Eisenverbindungen ein, daß ihre Produkte die Oxyde zu Oxydul-
verbindnngen reduzieren oder wenigstens reduzieren helfen (und wenn
Schwefelwasserstoff von ihnen gebildet wird, sie in Schwefeleisen
verwandeln S. 655). Nähere Untersuchungen darüber fehlen freilich,
doch spricht das Vorkommen von Oxydul Verbindungen in tieferen Boden-
schichten und im Grundwasser für diesen Prozeß. Umgekehrt gibt es
aber, wie man schon seit Kühn und F. Cohn^) weiß, unter den
sogenannten höheren algenartigen Spaltpilzen (Algenbakterien § 359)
einige, welche zu der Umwandlung des Eisenoxyduls in Oxyd in Be-
ziehung stehen. Man findet die Grenothrix polyspora,
Leptothrix ochracea usw. in größeren Lagern in eisenhaltigen
Wässern, und zwar meist in Sümpfen, aber auch in Grundwasserlei-
tungen, die sie durch ihre Wucherungen geradezu verstopfen können. Die
mikroskopische Untersuchung zeigt, daß die Spaltpilzfäden in dicken
gelben Scheiden hegen, die die Reaktion des Eisenoxydhydrats geben.
Die Ansichten über die Bildimg dieses Stoffes sind noch geteilt. Nach
der einen schon von C o h n angedeuteten, dann besonders von W i n o -
gradsky^ näher entwickelten Auffassung soll die Eisenab-
scheidung eine Lebenserscheinung sein. Das kohlen-
saure Eisenoxydul würde aus dem Wasser aufgenommen, innerhalb der
Zellen ein lösliches Oxydsalz gebildet und in der Scheide daraus das
Eisen oxydhydrat frei. Bei der großen Ausdehnung des Prozesses könnte
diese Oxydation als wichtigste Kraftquelle für
die Eisenbakterien gelten, ebenso wie für die Schwefelbak-
terien die Oxydation des Schwefelwasserstoffs. Schon Zopf*) hielt
dagegen die Eisenablagerung für einen Vorgang, der mit dem Leben
der Zelle nichts zu tun habe, weil auch leere farblose Scheiden sich
in Eisenwässem färbten. Molisch ^) hat noch eingehender die
1) Annal. Pasteur 1903.
2) Beitr. z. Biol. d. Pflanzen 1. 1, 1870.
3) Bot. Zeitg. 1888. 261.
4) Zur Morphol. d. Spaltpflanzen Leipzig 1882 und Spaltpilze 3. Aufl.
1884.
6) Die Pflanzen in ihren Beziehungen zum Eisen. Jena 1892.
664 Kap. XII, § 216.
Ansicht Winogradskys zu widerlegen gesucht. Er stellte fest,
daß die Leptothiix ochracea auch ohne eine Spur von Eisen zu züchten
ist, also die Eisenablagerung für sie eine ähnlich
geringe Bedeutung hat, wie die Kieselsäure-
ablagerung in den Gräsern. Das Eisensalz sei überhaupt
niemals in den Zellen selbst mikrochemisch nachzuweisen, der Oxyda-
tionsprozeß könne also für deren Leben keine Bedeutung haben, wenn
sie überhaupt erst innerhalb der Scheiden und nicht schon vorher in
der umgebenden Flüssigkeit erfolge. Zu ähnlichen Schlüssen kamen
Schorler ^) imd E 1 1 i s ^) bei ihren Untersuchungen über Eisen-
bakterien.
Wenn wir nach diesen und auch nach eigenen Beobachtungen
die ausschlaggebende Wichtigkeit des Eisens für das Leben der Eisen-
bakterien verneinen müssen, so haben wir deswegen noch kein Recht,
jede Beziehung der Eisenoxydation und -ablagerung zum Lebens-
prozeß dieser Mikroorganismen abzulehnen. Sie könnten sehr wohl
den Vorgang, der imter dem einfachen chemischen Einfluß des atmo-
sphärischen Sauerstoffs nur langsam verläuft, beschleunigen. Dafür
sprechen auch die Erfahrungen, die neuerdings Adler') über die
Haltbarkeit eisenhaltiger Mineralwässer gemacht hat. Wird solches
Wasser ohne weitere Vorsichtsmaßregebi in Flaschen aufbewahrt,
so nimmt der Gehalt an gelöstem Eisen albnähUch ab, und es scheidet
sich als Oxydhydrat ab. Zusätze antiseptischer Stoffe oder vorherige
Sterilisation des Wassers bei 60° und Aufbewahren bei niedriger Tem-
peratur heben diese Zersetzung auf. Es sind außer den längst bakannten
fädigen Eisenbakterien auch Bazillen, femer Strahlen-
pilze, echte Pilze und ein gestieltes Geißelinfusorium, A n t o -
physa vegetans, an dieser Eiesenspeicherung beteiligt. Die
größte Verbreitung hat aber nach A d 1 e r in natürlichen Eisenwässem
die schon Ehrenberg bekannte Gallionella ferruginea,
ein schraubenartig gewundener Faden, der auch als Spirulina oder
Spirochaete bezeichnet worden ist*). Nach Adler besitzt sie keine
Scheide, sondern schlägt das Eisenoxydhydrat teils auf seinem Körper,
teils frei nieder. Allen diesen Mikroorganismen wird man wohl einen
Einfluß auf die Bildung des sogenannten Baseneisen-
steins nicht absprechen dürfen, wenn sie auch bei unmittelbarer
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 681, 1904,
2) eb. 19. 502, 1907.
3) Deutsch, med. Woch. 1901. 26 und 62: Zentr. Bakt. 2. Abt. 11.
6—9, 1903.
4) Migula, Ber. bot. Gesellsch. 1897. 321 und System der Bak-
terien 1. 350, 1897.
Wandlungen anorganischer Stoffe. 665
Unteisnchiing dieses Minerals gewöhnlich nicht nachzuweisen sind
(M o 1 i 8 c h).
Wie der Prozeß der Eisenabscheidung verläuft, ist keineswegs
klar. Der Eohlensäureverlust allein ist es jedenfalls nicht, der sie
bewirkt^). Auch bei vollständigem Fehlen von Mikroorganismen findet
sie statt, aber sehr viel langsamer; die letzteren wirken wohl als Sauer-
stoffiibertrager, vielleicht durch eine Oxydase. Es läßt sich keine
Grenze für den Eisengehalt des Wassers angeben, der das Wachstum
der Eisenbakterien gestattet. Schon sehr geringe Mengen genügen,
üppige Wucherxmgen finden sich freilich nur bei reichlichem Eisen-
gehalt. Auch das Vorhandensein organischer Stoffe ist von Bedeutung.
Schon Molisch fand, daß auch Mangansalze durch die
Eisenbakterien derselben Veränderung unterliegen, wie Eisensalze,
Die Abscheidimg ist, wie Adler für die Stiele der Antophysa und
Schorler für die Crenothrix bestätigte, eine noch massenhaftere.
Nach Beijerinck und K r a f t 2) wäre sogar der Mangangehalt
des Wassers notwendig für eine Entwicklung der Crenothrix
(vgl. S. 95).
Die Reinzüchtung der Eisenbakterien, und zwar der Clfiwiothrix dicho-
toina, ist bisher nur Bürger*) in Fleischextraktgelatine und einmal
E 1 1 i 8 in einer Wasserkultur für eine neue Art, das Spirophyllum f erru-
gineum, gelungen. Grewöhnlich wachsen sie nur in mehr oder weniger ge-
mischten Kulturen in Wasser mit wenig organischen Substanzen, nach
CJasperini *) am besten in fließendem. Ein gutes Verfahren ist von
W i n o g r a d s k y angegeben worden. In 60 cm hohe Glaszylinder bringt
man eine Handvoll Heu, das mazeriert und in viel Wasser aiisgekocht
ist, etwas frisch gefälltes Eisenoxydhydrat und füllt dieses mit Brunnen-
wasser auf. Hierin entwickelt sich fast regelmäßig Leptothrix ocliracea,
liäufig Clfiidothrix dichotoma, selten Crenothrix. Die Existenz dieser letz-
teren, wegen ihrer morphologischen Verhältnisse interessanten Form, wird
von Gasperini bestritten, ist aber nach Adler und Schorler
als gesichert zu betrachten. Allerdings war sie nach dem ersten Forscher
in der Frager Wasserleitung fast niemals deutlich mit Eisenoxydhydrat
inkrustiert, sondern blaß und ergab nur eine schwache Eisenreaktion.
Zum Wachstum war sie nicht zu bringen, auch nicht mittelst des sonst
von A dl e r sehr empfohlenen Eisenammonzitrats, das in Leitungswasser
zu 0,05% gelöst, in Hyazinthengläser gefüllt und mit einer Glasplatte
bedeckt Leptothrix, Cladothrix und Antophysa mit Ausschluß fast aller
anderen Organismen zur Entwicklung kommen läßt. GalHonella wächst
bloß in den natürlichen Eisenwässern.
Bei E 1 1 i s siehe näheres über die Fortpflanzung durch Sproßzellen
(Konidien) und über die Klassifikation der Eisenbakterien.
1) B i n z , Deutsch, med. Woch. 1901, 14.
2) Zeitschr. f. Untersuchg. v. Nahrungsmitteln 7. 215, 1904.
3) Ber. bot. GeseUsch. 1894. 147.
4) Annali d'igine sperim. 1899. 1.
666 Kap. XII, § 216 u. 217 ii. Kap. XIH, 218.
Auch zum mikroakopischen Nctchweis des Eisenoxydhydrats oder
Eisenoxyduls dient die Blaufärbung, die bei Zusatz von Salzsäure und
Ferro- oder Ferrizyankaliuni eintritt. Die Manganablagerungen sind
schwarzbraun. Sie geben mit einer Perle aus salpetersaurem Kali oder
Soda in der nicht leuchtenden Flamme eines Bunsenbrenners eine pracht-
volle blaugrüne Färbung.
§ 217. Veränderungen der Chlor-, Brom- and Jodmetalle.
Nach M ü n t z ' ^) Versuchen erklärt sich die Anwesenheit von Bio-
maten und Jodaten in Chili- (Peru-)Salpeter aus der oxydierenden
Wirkung der Nitrifikationsbakterien (§ 196) auf die Brom- und Jod-
metalle. Umgekehrt soll sich im Boden bei Abwesenheit von Sauer-
stoff eine Reduktion der Chlorate, Bromate und Jodate vollziehen.
Andere Mitteilungen darüber liegen anscheinend nicht vor. Aber
Raciborski^) hat kürzlich einen Pilz (Aspergillus niger?) ge-
züchtet, der imstande sei, Jod aus Jodkalium (1% in Stärkeagar) frei-
zumachen. Die dabei zutage tretende Bläumig in der Umgebung
verschwand nach einiger Zeit wieder, was Verfasser aus einer späteren
Reduktion des Jods erklärt. Die Jodkaliom spaltende „Oxydase"
gibt keine anderen Oxydasereaktionen (§ 159). Über den Einfluß
von Chloraten auf die Denitrifikation vgl. § 197 u. 198.
1) Annal. chim. phys. 6. s^r. 11. 118, 1887.
2) Kochs Jahresber. 1905. 5. 2.
Kapitel XIII.
Die Wege des Sauerstoffs und die Beziehungen des
Stoff- und Kraftwechsels.
§ 218. Einleitimg. Das ungleiche Sauerstoffbedürfnis der Mikro-
organismen haben wir schon in § 31 und die Beteiligung des Sauer-
stoffe an den einzelnen Stoffwechselvorgängen in Kap. V und den
folgenden Kapiteln besprochen. Hier wird es unsere Aufgabe sein,
das Sauerstoffbedürfnis wenn möglich der Größe nach zu bestimmen,
im Zusammenhange die Wege, die der Sauerstoff im Stoffwechsel
der Klein wesen durchläuft, und im Anschluß daran den Kraftwechsel
derselben in seiner Beziehimg zum Stoffwechsel zu betrachten.
Grundlegende Unterschiede ergeben sich zunächst daraus, daß die
einen Mikroben, die Aerobier, ihr Sauerstoffbedürfnis aus der Luft
decken, die anderen, die Anaerobier, ohne freien oder gebundenen
Sauerstoff bestehen, imd schließlich auch solche vorkommen, die den
Sauerstoff besonders sauerstoffreichen Yerbindimgen wie Salpeter-
und Schwefelsäure entnehmen, nicht der Luft. Hierzu muß freilich
bemerkt werden, daß alle Mikroorganismen sich wahrscheinlich in
der Beziehung gleichen, daß sie als Quelle für den Sauerstoff, den
sie unmittelbar zum Aufbau ihres Körpers nötig haben, sauerstoff-
haltige Verbindungen organischer oder imorganischer Natur,
wie sie ihnen in der Nahrung fast regelmäßig geboten werden, be-
nutzen können. Ausreichend versorgt sind sie im allgemeinen damit:
die folgende kleine Zusammenstellung der auf gleichen Kohlenstoff-
gehalt gebrachten empirischen Formeln zeigt, daß der Gehalt der un-
mittelbar assimilationsfähigen Nährstoffe an Sauerstoff im Verhältnis
zum Wasserstoff meist größer ist als der des Protoplasmas (Eiweißes).
Eiweiß CieHi^Oe + 4 NH3 = CieH^eN^ (ungefähr)
Hexosen
Pentosen
Essigsäure
Milchsäure
CiftHjvoO
16-^^32^16
668 Kap. XIII, § 218 u. 219.
Weinsäure C^^^ß24
GlykokoU C,eHieOie + 8 NH« = CieH.oNsO.e
Alanin CjeHaoOio + 5 NHg = CieHaßOioNj (ungefähr)
Aßparagin CieH^Oig + 8 NH3 = Ci^Hj^gOia
Glyzerin CigH420ig (ungefähr)
Buttersäiire Ci^HggOg
Leuzin CieH^gOs + 3 NH3 = C.^R^^fis (ungefähr)
Alkohol CieH4808
Palmitinsäure C^^sfi^.
Im allgemeinen ist also, namentUch wenn wir bedenken,
daß nicht immer Ammoniak oder dem gleichwertige Stoffe, sondern
oft Salpetersäure als Stickstoff quelle geboten ist, die Synthese
des Protoplasmas kein Oxydations- sondern ein
Reduktionsvorgang (vgl. § 231). Anders wird die Sache,
wenn die Bestandteile der Fette (Glyzerin, Butter- und höhere Fett-
säuren) der Alkohol und die höheren Aminosäuren (Leuzin) als Nahrung
dienen. Sie müßten erst oxydiert werden, wenn sie allein zxmi Aufbau
des Protoplasmas dienen sollten. Es hegt daher nahe, anzunehmen,
daß solche Nährstoffe nur von Aerobiem verwertet werden können.
In der Tat bestätigt das die Erfahrung: Fettzehrer sind vor allem
die luftliebenden Schimmelpilze usw. (§ 149). Am meisten Glyzerin
verbrauchen die TuberkelbazUlen (S. 115). Wenn die Mehrzahl aller
Mikroorganismen auch bei jeder anderen Nahrung ein gevrisses Luft-
bedürfnis hat, so liegt das allein daran, daß sie des Sauerstoäs auch
zum Betriebe benötigen (§ 35) : mit anderen Worten, daß die Sauer-
stoffatmung im wesentlichen Kraftzwecken dient.
§ 219. Atmung der Aerobier. Atmangsquotient. Dadurch
sind im allgemeinen die Wege vorgeschrieben, die der freie Sauerstoff
im Stoffwechsel der Mikroorganismen geht: er oxydiert die ihm ge-
botenen Nährstoffe in der Weise, wie wir es in den vorhergehenden
Kapiteln beschrieben haben. Je nachdem die „Verbrennung" eine
vollständige ist oder nicht, sind ihre Produkte verschieden: in ersterem
Falle entstehen — mit einigen Ausnahmen, auf die wir unten zurückkom-
men werden — Kohlensäure imd Wasser, oder, wenn wir es mit stickstoff-
oder schwefelhaltigen Stoffen zu tun haben, daneben auch noch Ammo-
niak (seltener Salpetersäure) und Schwefelsäure. Aus der unvollständigen
Verbrennung gehen gewöhnlich Stoffe hervor, die höheren Sauerstoff-
gehalt haben, wie die Ausgangsstoffe. Diese Verhältnisse werden am
besten beleuchtet durch Beispiele. Wir wählen dazu die Oxydationen
des Zuckers, weil sie zahlreiche Abstufungen zeigen (vgl. § 119 ff.)-
Je nach der Menge des verbrauchten Sauerstoffe entstehen nämlich
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftweehsel. 669
aus dem Zucker Glykonsäure, Glykuronsäure, Zitronensäure, Gly-
zerose, Oxalsäure, Eolilensäure und Wasser:
1) CeH^jOe + 0 = C^^fi^ (+ ? Kai.)
Glykonsäure
2) CeH^Oe + 20 = CeH^oO^ + H^O (+ ? Kai. )
Glykuronsäure
3) CeHjaOe + 30 = CeH^ + 2H2O (+ 199 Kai.)
Zitronensäure
4) C^HijOe + 60 = C^Ufi^ + 300^ + SH^O (4- ? KaJ.)
Glyzerose
5) CeHijOe +90 = 30^04 + 3H2O (+ 493 Kai.)
Oxalsäure
G) CJffiaOe + 120 = 6CO2 + 6H2O (+ 674 Kai.).
Alle diese Prozesse — mit Ausnahme von Nr. 4 — kommen für sich vor,
es wird daher möglich, aus der Menge des verbrauchten Zuckers imd
Sauerstoffe auf die Beschaffenheit der Yerbrennungsprodukte zu
schließen. Nicht dagegen ist das möglich, wenn man nur die Menge
des verbrauchten Sauerstoffs und der gebildeten Kohlensäure oder
gar nur das Verhältnis beider Gase, den sogenannten Atmungsquotienten
CO2 : O2 kennt. Denn wie man sieht, ist dieser Quotient gleich Null
bei den meisten der obigen Oxydationen, trotzdem die dabei ver-
brauchte Sauerstoffmenge um das Neunfache schwankt, und die Pro-
dukte der Oxydation völlig verschieden sind. Treten bei der Zuckcr-
eroährung Quotienten auf, die niedriger sind als 1, so wird man zu-
nächst nur annehmen können, daß die Verbrennung zum Teil eine
unvollständige ist. Abgesehen von der Beschaffenheit der Oxydations-
produkte hängt der Atmimgsquotient natürlich auch ab von der Zu-
sanmiensetzung der verbrauchten Nahrung. Bei der vollständigen
Oxydation des Zuckers und aller ähnlich den Kohlehydraten zusammen-
gesetzten Körper (Formaldehyd, Essigsäure, Milchsäure) ist das Ver-
hältnis CO2 : Og zwar gleich 1, bei der der Weinsäure aber 4 : 2,5 = 1,6;
denn
7) Cja^Oe + 50 = 4CO2 + 3H2O (+ 262 Kai.)
und bei der Palmitinsäure 16 : 23 = 0,7
8) CieHgaO^ + 46 0 = 16 COg + 16 Bfi {+ 236 Kai.) .
Wird Alkohol zu Essigsäure verbrannt (§ 135), haben wir COg : Og
= 0, weil
^J) C^O + 20= C^H A + HgO (+ 112 Kai.) ,
670 Kap. Xin, I 219 u. 220.
wird die Oxydation aber zu Ende geführt (§ 134), so ist COg : Oj = 0,67,
weil
10) CJHfi + 6 0 = 2 COg + 3 HgO (+ 326 Kai.).
Für stickstoffhaltige Stoffe ergeben sich ebenfalls Quotienten, die bald
größer, bald kleiner sind als 1, so ist bei der Verbrennung des Glyko-
kolls CO2 : 02= 1,33; denn
11) C2H5NO2 + 3 0 = 2 COg + HgO + NH3 (+ 152 Kal.i)),
bei der Verbrennung des Asparagins COg : Og = 0,75; denn
12) C4H8N2O3 + 6 0 = 4 CO2 + HgO + 2 NH3 {+ 339 Kal.i)),
bei der Verbrennung des Leuzins COg : Og = 0,8; denn
13) CeHigNOg + 15 0 = 6 COg + 5 HgO + NH3 (+ 775 KaL^)).
Da Eiweiß eine in der Mitte stehende Zusammensetzung hat, so ist der
Atmungsquotient bei seiner vollständigen Oxydation annähernd gleich
1, steht aber bedeutend unter 1, wenn die Oxydation unvollständig
ist und kann sogar 0 erreichen, wenn die Verbrennung bei der Oxal-
säure stillsteht (§ 172). Doch wird das kaum jemals in ganzem Um-
fange geschehen.
Bei allen diesen Bestimmungen des Atmungsquotienten wäre na-
türlich die bei der Verbrennimg entstehende, in den Nährböden gebunden
oder gelöst bleibende Kohlensäure (s. u. § 221) zu berücksichtigen.
In manchen Fällen wird der von den Mikroorganismen aufgenom-
mene freie Sauerstoff nicht zur Oxydation von Kohlenstoff-, sondern
von Stickstoff- und Schwefelverbindungen verwendet, erscheint daher
nicht als Kohlensäure, sondern als Salpeter- und Schwefelsäure wieder.
Der Atmungsquotient ist dann also ebenfalls gleich 0. So oxydieren
die Salpeterbakterien das Ammoniak zu salpetriger Säure und die
salpetrige Säure zu Salpetersäure (§ 196) nach folgenden Gleichungen:
14) NH3 +30 = HNOg + HgO (+ 79 Kai.)
15) HNOg + 0 = HNO3 (+ 18 Kai.).
Die Schwefelbakterien verbrennen den Schwefelwasserstoff in ähn-
licher Weise zu Schwefelsäure nach der Formel (§ 208 — ^210):
16) HgS +04 = HgSO^ (+ 207 Kai.),
als Zwischenerzeugnis entsteht dabei vielfach reiner Schwefel:
17) HgS + 0 = HgO + S (+ 65 Kai.).
1) Diese Verbrennungswärmen unterscheiden sich von den gewöhn-
lichen dadurch, daß von ihnen die Verbrennungswärme des Ammoniaks
in Abzug gebracht ist.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 671
Hanchmal schieitet die Oxydation nicht bis zur Schwefelsäure, sondern
nur bis zur Tetrathionsäure und anderen sauerstoffärmeren Verbin-
dungen fort, es wird also weniger Sauerstoff verbraucht.
§ 220. Ergebnisse von Atmungsversuchen. Daß alle hier ge-
nannten Oxydationsprozesse durch Mkroorganismen verursacht wer-
den, ist sicher, trotzdem kommen wir in Verlegenheit, wenn wir irgend-
einen Prozeß angeben sollen, der so genau studiert wäre, daß man
auf der einen Seite die Menge des verbrauchten Sauerstoffe, auf der
anderen Seite die der sämtlichen Oxydationsprodukte nach Maß und
Gewicht festgestellt hätte. Im allgemeinen hat man sich nachzu-
weisen begnügt, daß ein bestimmter Mikroorganismus zu seinem Leben
den freien Sauerstoff nötig hat — es ist das nicht schwer, da sich jede
Beschränkung der Sauerstoffzufuhr, z. B. die Kultur in höheren Nähr-
bödenschichten, durch eine sichtbare Verzögerung, und umgekehrt
jede Erleichterung des Sauerstoffzutritts, z. B. die Vergrößerung der
Kulturoberfläche, durch eine Beschleunigung des Wachstums bemerkbar
macht. Daß unter den Oxydationsprodiücten die Kohlensäure und
das Wasser eine erste Rolle spielen, nahm man ohne weiteres an auf
Grund der Erfahrungen, die man bei höheren Pflanzen und Tieren
gemacht hatte. Durch genaue Analysen bestimmte man gewöhnlich
nur die übrigen Stoffe, die aus der Verbrennung hervorgehen, z. B. die
Zitronen-, Oxal-, Essig-, Salpeter- und Schwefelsäure, imd, soweit
das möglich war, den VerbrauchderNährstoffe, z. B. des
Zuckers und Alkohols, die als Ausgangsmaterial gedient hatten. Sel-
tener sind die Fälle, in denen man außerdem noch oder statt dessen
allein die Kohlensäureentwicklung der Aerobier fest-
stellte. Wir haben sie schon bei den Zersetzungen der Eiweißkörper
(M a r c h a 1 S. 527, Riemer S. 521), der Kohlenhydrate usw. bzw.
bei der Stickstoffassimilation (Stoklasa, Krainski S. 632)
erwähnt. Teilweise sind diese Bestimmungen unvollkommen, indem
bloß die frei entweichende Kohlensäure, nicht die im Nährboden (z. B.
durch Ammoniak usw.) gebundene gemessen wurde. Dahin gehört auch
die Scheuerlen sehe Arbeit^), in welcher nur der Nachweis ge-
führt wurde, daß alle — daraufhin geprüften — Bakterien Kohlen-
säure entwickeln. Doch liegen auch einige vollständige Gas-
analysen schon aus älterer Zeit vor. So stellte schon Pasteur^)
fest, daß luftliebende Mikroorganismen, wie Essigbakterien, Schimmel-
pilze und Hefen in geschlossenen Gefäßen den Sauerstoff vollständig
verbrauchen und Kohlensäure dafür erzeugen. In einer dieser Ana-
1) Festschrift* für Leyden 2. 203, 1907.
2) Vgl. Etudes sur la biere 1876, S. 89, 243, 249, 261 usw.
672 Kap. XIII, § 220.
lysen fand er, daß auf 35 mg Hefetrockensubstanz binnen 15 Stunden
14 — 15 ccm Sauerstoff verschwunden und 19 — ^20 com Koklensäuie
entstanden waren. Der hohe Atmungsquotient CO2 : 02= 1,3 trotz
Ernährung mit Zucker (vgl. S. 669) weöst darauf hin, daß ein Teil
der Kohlensäure durch Gärung, nicht durch Oxydation aus dem Zucker
der Nährlösung hervorgegangen war. Sehen wir davon ab, so würden
für die aerobe Entwicklung von einem Milligramm Hefe in Zucker-
lösimg 0,4 ccm oder 0,5 — 0,6 mg Sauerstoff verbraucht werden. Wahr-
scheinlich ist diese Zahl aber zu klein. Duclaux^) hat für eine
andere Hefe, die sich durch ihre geringe Gärkraft mehr den Sdiinmiel-
pilzen nähert, aus dem Gewicht der produzierten Kohlensäure auf
einen Sauerstoffverbrauch von etwas mehr als dem Eigen-
gewicht der Hefe geschlossen.
Auf den Gaswechsel der Hefe bei beschränktem Sauerstoffzutritt,
d. h. bei Ermöglichung bzw. Beförderung der Gärung, kommen wir
später zurück (§ 223 u. 233).
Über die Atmung der Schimmelpilze hegen einige Ang^aben von
Diakonow,. Gerber, Puriewitsch, Maze und K 0 •
stytschew vor, doch beschränken sie sich im wesentlichen auf
die Bestimmung des Atmungsquotienten. Nur M a z e ^) gibt einige
Zahlen, die den gesamten Gaswechsel der Eurotiopsis Gayoni bei Er-
nährung mit Invertzucker und Alkohol festlegen. Es betrug nämhch
bei Ernährung
mit Zucker mit Alkohol
das Pilzgewicht 211 mg 96,2 mg
in der Zeit von 4 Tagen 6,4 Tagen
der Nährstoffverbrauch 630 mg ?
die Kohlensäureentwicklung .... 495 „ 184,7 mg
der Sauerstoffverbrauch . . . . . 305 „ 164,4 „
der gefundene Atmungsquotient . . 1,17 „ 0,51 „
der berechnete Atmimgsquotient^) . 1,00 „ 0,66 „
Gegen diese Resultate ist allerdings der Einwand zu erheben, daß
sie mit Kulturen gewonnen worden sind, die im geschlossenen Raum
gehalten wurden. Es stellte sich zum Schluß Sauerstoffmangel ein, der
bei der Emähnmg mit Zucker wohl teilweise zu intramolekularer
Spaltung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure (§ 223) und so zur
Erhöhung des Atmungsquotienten, bei der Ernährung mit Alkohol
1) Aiinal. Pasteur 1889.
2) Ebenda 1902. 358.
3) Vgl. über die berechneten Atmungsquotienten S. 669.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 673
vielleicht zu unvollkommener Verbrennung des Alkohols und daher
zur Erniedrigung des Quotienten führte. Doch sind die daraus ent-
stehenden Fehler nicht groß. Man sieht jedenfalls, daß der Pilz
bei der Ernährung mit Zucker fast das Andert-
halbfache, bei der Ernährung mit Alkohol mehr
als das Anderthalbfache seines Eigengewichts
an Sauerstoff verbraucht hat. Ähnliche Gasanalvsen
stellten M a z e und P e r r i n ^) bei der Zitronensäuregänmg durch
Citromyces an. Sie bestätigen die Voraussetzung, daß hierbei viel
mehr Sauerstoff aufgenommen, als Kohlensäure abgeschieden wird
(§ 121). Die Arbeiten der übrigen Forscher geben kaum ein voll-
ständiges Bild des Gaswechsels der Pilze. Inamerhin kann man aus
den Zahlen, die Diakonow^) mitteilt, entnehmen, daß Fenicillium
glaucum bei 15 — 25^ in guten Nährlösungen auf jedes Gramm seiner
Trockensubstanz stündlich 30 — 50 mg COg , also täglich etwa 720 bis
1200 mg COg bildet und wahrscheinlich dabei 540 — ^900 mg Sauer-
stoff aufnimmt. Da es aber jedenfalls mehr als 24 Stunden dauerte
biß der Pilz zu diesen Atmungsgrößen herangewachsen war, muß die
Gesamtmenge des beim Wachstum verbrauchten Sauerstoffs nicht
unerheblich großer gewesen sein. Man wird also auch
wohl für die strengen Aerobier die Menge des
Sauerstoffbedarfes mindestens deren Eigen-
gewicht gleichsetzen müssen. Was den Atmimgs-
quotienten anlangt, so stellt Diakonow^) das bei der Atmung
der Pilze gefundene Verhältnis von COg : Og mit demjenigen
zusammen, das sich bei der vollständigen (chemischen) Verbrennung
ergeben würde:
„ .., bei der Atmung von bei chemischer
fimanruns^ a i.* i -i \t \.
® Schimmelpilzen Verbrennung
mit Glykose CJtl^fi^ 1,30 1,00
„ Chinasäure C^HigOe 1,22 1,00
„ Weinsäure C4H60e 2,90 1,60
„ Äthylamin NHgCj^s 0,67 0,61
Nach Gerber*) ergeben sich für die Atmung des Aspergillus
niger folgende Zahlen:
1) Annal. Pasteur 1904, 653.
2) Ber. bot. Gesellsch. 1886. 3.
3) Ebenda 1887. 115.
4) Compt. rend. ac. sc. 124, 162, 1897.
Kr ose, Mikrobiologie. 43
674 Kap. XITI, § 220.
— ... t . 1 A. bei chemischer
Emahrune bei der Atmung -rr i^
® ^ Verbremiung
mit Zitronensäure C^HgO, 1,68 1,33
„ Äpfelsäure €411^05 1,76 1,33
„ Weinsäure Cfifi^ 2,47 1,60
Puriewitsch^) fand schließlich bei demselben Pilz :
T^ .., 1 . 1 A^ bei chenuscher
Emahrunff bei der Atmung ^r i^
® ^ Verbrennung
mit Glykose CeHiaOe 0,95 1,00
Glyzerin CJäfi^ 0,75 0,85
Mannit CJEl^ße 0,65 0,92
Müchsäure Cfifi^ 0,85 1,00
Weinsäure Cß^fi^ 1,62 0,60
9>
Offenbar stimmen diese letzteren Veisuchsergebnisse am besten mit
denen der Rechnung überein; wahrscheinlich liegt das daran, daß die
Versuchsanordnung Puriewitschs einwandfreier war, weil sie
eine normale Atmung gewährleistete. Die Abweichungen,
die sich hier noch zeigen, deuten sämtlich dar-
auf hin, daß der physiologische Verbrennungs-
prozeß bei den Pilzen anders verläuft, nicht so
vollständig ist, als der chemische. Es werden wohl
stets einige Zwischenprodukte, wie z. B. Oxalsäure, gebildet,
die den Atmungsquotienten herabdrücken, und zwar nach Purie-
witsch besonders, wenn die Konzentrationen der oxydierten Stoffe
entweder sehr niedrig oder sehr hoch sind. Die starken Abweichungen
nach der anderen Seite, die Diakonow und Gerber erhielten,
erklären sich am einfachsten dadurch, daß die Pilze durch die Be-
schränkung des freien Sauerstoffzutritts zu intramolekularer Atmung,
d. h. Gärung, gezwungen wurden (§ 223). Dabei steigt die Kohlen-
säureabgabe unverhältnismäßig. Eine andere Möglichkeit für die Er-
höhung des Quotienten ist bei der Reifung der Pflanzensamen be-
obachtet worden^), nämlich die Umwandlung von Kohlehydraten zu
Fetten. Sie konmit bei der kurzen Dauer der hier besprochenen Ver-
suche aber kaum in Betracht. Auf die Versuche an Pilzen, welche die
Atmung bei Sauerstoffzutritt und -abschluß miteinander vergleichen,
kommen wir weiter unten zurück (§ 223).
Für Bakterien liegen nur wenig brauchbare Untersuchungen
vor. Sie ergeben durchweg einen weit höheren Sauerstoffverbrauch
^-
1) Jahrb. wiss. Bot. 35. 597.
2) Jahrb. wiss. Bot. 13. 540, 1882.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 675
als bei Pilzen. Bis zum SOOfachen ihres Eörpergewiclits steigt der
Sauerstoffverbraach nach Pasteurs Versuchen bei den Essigbak-
terien (vgl. S. 430). Wieviel Kohlensäure neben der Essigsäure als
Verbrennungsprodukt auftritt, wurde nicht festgestellt, jedenfalls wird
der Atmungsquotient sehr niedrig sein (S. 669). Ähnliches gilt für
die Salpeterbakterien, deren hoher Sauerstoffverbrauch nicht un-
mittelbar bestimmt, sondern aus der Menge der gebildeten salpetrigen
and Salpetersäure geschätzt werden kann (S. 602). Auch die Stick-
stoff bindenden Azotobacterien müssen, nach der Eohlensäureentwick-
lung zu urteilen (S.632), gewaltige Mengen Sauerstoff verbrauchen. Be-
deutend größere Mengen von Sauerstoff als Hefen und Pilze verbraucht
nach A r n a u d imd Charrin^) auch der Pyocyaneus in
Äsparaginlösung, nämlich etwa das Fünffache seines Eigen-
gewichtes imd verbrennt dabei 72,5% des ursprünglichen Kohlen-
stoffes, oder 84% des nicht in den Bakterienkörpem festgelegten Kohlen-
stoffs zu Kohlensäure, den Rest zu Verbindungen, die nicht näher
bestimmt wurden. Rechnet man auf Grund dieser Angaben den At*
mungsquotienten heraus, so erhält man etwa 1,3 statt 0,75, wie bei
vollständiger Verbrennung des Asparagins zu erwarten wäre. Da die
Verbrennung aber keine vollständige ist, würde man einen noch kleineren
Quotienten zu erwarten haben. Es wird also wohl irgendwo ein Fehler
stecken (vgl. S. 526).
Eine Reihe von Gasanalysen verdanken wir ferner H e s s e '^).
Durch tägliche üntersuchimg der Luft in geschlossenen Kulturgefäßen
stellte er zunächst fest, daß, wie zu erwarten, in der ersten Zeit, d. h.
solange sie sichtbar wachsen, die Aerobier den ihnen gebotenen Sauer-
stoff schnell verzehren und dabei Kohlensäure produzieren. Später
verlangsamt sich der Prozeß, bleibt aber noch wochenlang und
selbst monatelang in gewissem Umfange bestehen. Bei langsam
wachsenden Mikroorganismen wie den Tuberkelbazillen ist er von vorn-
herein weniger ausgesprochen. Leider hat Hesse es versäumt, mit
dem Gaswechsel das Gewicht der Bakterienemte zu bestimmen. Außer-
dem hat er die Menge der im Nährboden gebundenen Kohlensäure
nicht berücksichtigt, so daß der Atmungsquotient bei ihm stets wohl
zu niedrige Werte hat. Auch sonst ist die Methode nicht sehr genau,
wie wohl die imregelmäßigen Schwankungen der Gas wechselkurve be-
weisen^). Einige Versuche, in denen die Menge des verbrauchten Sauer-
stoffs und der erzeugten Kohlensäure zusammen bestimmt wurden,
1) Compt. rend. ac. sc. 112. 755 und 1157, 1891.
2) Zeitschr. f. Hyg. 15. 17 und 189, 1893; ebenda 25, 480, 1897.
3) Immerhin finden wir ähnliche Schwankungen auch bei den Kohlen-
saurekurven B i e m e r s (S. 521). VgL auch S. 132.
43*
676 Kap. Xin. ! 220—222.
hatten folgende Ergebnisse : Das CholeTaspirillum verbrauchte
binnen 25 Tagen bei zehnmaliger Erneuerung der Luft im Eultur-
gefäß \md üppigem Wachstum auf einer schrägen Schicht von 25 com
Nähragar 106,5 ccm Sauerstoff imd erzeugte 68,1 ccm Kohlensäure
(CO2 : O2 = 0,64) ; der Pestbazillus binnen 39 Tagen 51,6 ccm Sauer-
stoff bzw. 39,2 ccm Kohlensäure (COg : Og = 0,76). Nimmt man an,
daß die Bakterienernte etwa 50 — 100 mg im feuchten Znstande oder
10 — ^20 mg im trockenen betragen hätte, was mit anderen Erfahrungen
übereinstimmen würde (§ 234), so hätte das Choleraspirillum das 5- bis
10 fache, der Pestbazillus das 2^2 — 5 fache seines Grewichts an Sauerstoff
verbraucht.
Schittenhelm und Schröter^) haben mit einer eben-
falls nicht sehr genauen Methode^) die Atmung des B. coli in nuklein-
saurem Natron mit und ohne Glyzerin, femer in Asparagin und Milch-
säure (Uschinsky- Lösung) bestimmt und fanden einen At-
mungsquotienten von 0,71 — 0,78, wenn das (anaerob vergärbare)
Glyzerin fehlte, im anderen Falle wie zu erwarten, einen höheren (1,87).
Der Sauerstoffverbrauch von Bakterien in mit AbfaUstoffen
verunreinigtem Wasser, maßen S p i 1 1 a ^) und B r e •
z i n a *) durch die „Sauerstoff zehrung", d. h. durch die Abnahme
des im Wasser gelösten Sauerstoffs während des Stehens. Nach unserer
Auffassung^) ist es zweifelhaft, ob man es hier mit einer eigentUchen
Xiebens-(Wachstums-)Erscheinung und nicht vielmehr mit einer Art
Selbstverbrennung der Bakterien zu tun hat (S. 573 u. § 226).
Ein Bedürfnis für weitere Gasanalysen, die in der angegebenen
Weise zu ergänzen wären, liegt entschieden vor.
§ 221. Verfahren zur Gasuntersachnng . Fasteur stellte seine
Gasanalysen in der Weise an, daß er die ausgezogene Spitze seiner geschlos$<>*
nen Kulturgefäße unter Quecksilber abbrach, Proben des austretenden
Gases im Eudiometer auffing und durch Absorption mit Kalilauge und
Pyrogallussäure Kohlensäure und Sauerstoff bestimmte.
Viel angewandt worden ist später auch von anderen Forschern wegen
ihrer Einfachheit die Kultur imabgeschlossenen Luftraum,
dessen Atmosphäre man am Schlüsse analysiert. Dabei besteht aber die
Gefahr, daß der zunächst in genügender Menge zur Verfügung stehendt»
Sauerstoff früher oder später verbraucht wird, und dadurch anaerobo
Bedingungen geschaffen werden. Nach Hesse bedient man sich am
bequemsten breiter Reagensgläser von 50 — 100 ccm Inhalt, die mit 25 ccm
Agar beschickt sind, ziu* Kultur. Der eingeschliffene Glaspfropfen ist
1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 40 u. Zentr. Bakt. 36, 1904.
2) Vgl. dfkrüber Oppenheimer, Zeitschr. f. physiol. Chem. 41.
3) Arch. f. Hyg. 38. 246.
4) Zeitschrift f. Hyg. 63. 495.
5) Kruse ebenda 67, 69, 1908.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Krckftwechsel. 677
von zwei Glaskapillaren durchbohrt, die zum Einbringen von Watte eine
Erweiterung tragen und mit Glashähnen verschlossen sind. Die eine Öff-
nung kann mit einem Manometer verbimden werden. Die andere Kapillare
verbindet man mit einer H e m p e 1 sehen Gasbürette, die mit Temperatur-
imd Barometerkorrektion versehen ist, und kann auf diese Weise beliebig
oft Proben zur Analyse des Gasinhalts der Kulturen vornehmen. Bei der
Berechnung sind die Druckveränderungen im Kulturgefäß zu berück-
sichtigen. Nach jeder Probenahme ist es mit frischer Luft zu füllen. In
der ersten Zeit muß die Entnahme und Neufüllung mindestens täglich
l>ewerkat«lligt werden, wenn man die Mikroorganismen genügend mit Sauer-
^toff versorgen will. Für Anaerobier kann man diese Versuchsanordnung
dahin abändern, daß man das Kulturgefäß mit einem nicht angreifbaren
Oase (Wasserstoff, Stickstoff) füllt oder es luftleer macht*). Die Fehler-
quelle, die durch Absorption von Kohlensäure in dem Nährboden ent-
stellt, kann man dadurch ausschließen, daß man am Schlüsse des Ver-
Huchs das gebundene Gas durch Ansäuerung und Erhitzen des Nährbodens
austreibt und gesondert bestimmt. Eine andere Fehlerquelle ergibt sich
nach Hesse daraus, daß besonders stark alkalische Nährboden, auch
ohne daß sie mit Mikroorganismen besät sind, in der ersten Zeit Sauer-
stoff absorbieren. Bei den gewöhnlichen neutralen Nährböden ist das
nicht der Fall. Kontroll versuche würden jedenfalls vor Irrtümern schützen.
Andere brauchbcure Apparate zur Bestimmung der vollständigen
Atmung haben Godlewski und Puriewitsch, einen sehr schönen,
aber auch teuren M a z 6 imd P e r r i n angegeben.
Während man zur gleichzeitigen Bestimmung des verbrauchten Sauer-
st4)ffs und der entwickelten Gase die voliunetrische Methode benutzen muß,
kann man die Kohlensäure allein gewichtsanalytisch bestimmen, indem
man kohlensäurefreie Luft von Zeit zu Zeit oder in gleichmäßigem Strom
durch das Kulturgefäß und nach Trocknung durch eine Pettenkofersche
Höhre oder dergleichen hindurchsaugt.
Wie man die Zusammensetzung der bei Wasserstoffgärungen ent-
wickelten Gase in einfachster, aber freilich nur vorläufiger Weise fest-
stellen kann, haben wir S. 347 besprochen.
Die Aufnahme freien Stickstoffs durch Mikroorganismen (§ 201 ff.)
wird gewöhnlich dadurch bestimmt, daß man die Stickstoffzunahme in
der Kultur ermittelt. Man könnt-e aber auch die obige Hesse sehe Ver-
suchsanordnung benutzen. Die Entbindung von Stickstoff durch denitri-
fizierende Bakterien weist man in derselben Weise nach, wie die anderer
Oariingsgase').
§ 222. Sauerstoff fibertragende Enzyme. Oxydasen^). Die
einzehien Oxydationsprozesse haben wir bei den Stoffen, die oxydiert
werden, schon besprochen. Sie sind, wie wir gesehen haben, zum großen
Teil s p e z i f i s c h , d. h. sie werden durch besondere Kräfte
1) Einen ziemlich einfeu^hen Kulturapparat zur Gasanalyse für
Anaeroben beschreibt Salus (Arch. f. Hyg. 51, 1904).
2) Die Einzelheiten einer genauen Gasanalyse vgl. bei H e m p e 1 ,
Oa8anal3rtische Methoden.
3) Über die angeblich Sauerstoff übertragenden Körner (Fett) in
Bakterien s. S. 48. Über oxydierende Filtrate, vgl. S. 650.
678 Kap. Xin, § 222.
vermittelt, die wir vermutungsweise den En-
zymen gleichstellen können. Man darf also nicht im all-
gemeinen von einer Oxydationskraft der Mikroorganismen sprechen,
sondern von dem Vermögen, bestimmte Stoffe zuoxy-
dieren. Das gilt z. B. bei den Ammoniak, salpetrige Säure,
Schwefelwasserstoff oxydierenden Bakterien. Andere Mikroben haben
einen weiteren Spielraum. So sind die Essigbakterien zwar besonders
befähigt, Alkohol in Essigsäure, die Zitronensäurepilze den Zucker
in Zitronensäure zu verwandeln. Das schließt aber nicht aus, daß
diese selben Mikroorganismen auch unter Umständen ihre Oxyda-
tionsprodukte weiter oxydieren, so z. B. die Essigsäure und Zitronen-
säure vollständig zu Kohlensäure und Wasser zu verbrennen \md auch
manche anderen Stoffe zu oxydieren vermögen. Es bleibt hier zunächst
unbestimmt, ob ein und dasselbe Ferment diese verschiedenen Leistun-
gen vollzieht, oder ob mehrere daran beteiligt sind. Wir möchten letz-
teres annehmen.
Die Isolierung eines Oxydationsenzyms (Alkoholoxydase, Alkoho-
läse, Azetolase) ist anscheinend bei den Essigbakterien gelungen (S. 429),
ferner haben wir schon die Oenoxydase, die Laktase, Tyrosinase und
ähnlichen Oxydasen oder Peroxydasen (§ 159), schließlich die schwefel-
säurebildende Oxydase im Hefepreßsaft (S. 642) kennen gelernt. An
die Katalase, die allerdings eine besondere Stellung zwischen oxy-
dierenden und reduzierenden Enzymen einnimmt, sei hier ebenfalls
erinnert (§160). Offenbar können aber alle diese Enzyme, mit Ausnahme
der Alkoholoxydase, nur eine geringe Bedeutung im Stoffwechsel be-
anspruchen, weil die meist aromatischen Körper, die sie oxydieren,
kaum zu den Nahnmgsmitteln gehören, und die Oxydation wegen ihrer
geringen Ausdehnung keine Kraftquelle darstellt. Viel wichtiger
wäre es, wenn wir wüßten, wie die Oxydation z. B. des Zuckers, der
Fettsäuren und des Fettes vermittelt wird, wenn wir also eigentUche
Atmungsenzyme kannten. In dieser Beziehung lagen bis vor kurzem nur
einige unsichere Beobachtungen, die an tierischen Säften gemacht sind,
vor^). Doch sind neuerdings einige Fortschritte erzielt worden. So er-
schloß zuerst Telesnin^) aus der Untersuchung des Gaswechsels von
durch Azeton abgetöteter Hefe (Zymin) in Wasser und verschiedenen
teils vergärbaren, teils nicht vergärbaren Nährböden (mit Gelatine)
die Anwesenheit einer Oxydase, die er allerdings noch mit den B e r -
trandschen Oxydasen (§ 159) identifizierte. Fast immer war die
1) Vgl. Oppenheimer, Fermente, 1903 \md C o h n h e i ro ,
Zeitschr. physiol. Chem. 47, 1906.
2) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12, 205, 1904.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 679
Kohlensäuieabgabe weit größer als die Sauerstoffaufnahme, der At«
mongsquotient (wegen der Oärung bzw. Selbstvergärung der Hefe»
vgl. § 223) also viel höher als 1 und die Sauerstoffaufnahme an sich
geling. Älmliche Versuche stellte ziemlich gleichzeitig Warschaws-
ky^) an, aber mit Azetonpräparaten, die aus Kulturen gärfähiger
Hefen auf nicht vergärbaren Nährböden (Glyzerin, Mannit) oder
einer nicht gärfähigen Kahmhefe (Sacch. membranaefaciens) gewonnen
waren. Stets wurde die Prüfung in verschlossenen Gläschen von 20 ccm
Inhalt mit 2 ccm starker Zuckerlösung, etwas Gelatine und 0,2 — 0,3 g
der Trockenhefe vorgenommen. Wenn gleich Gärung eintrat, war das
Verhältnis COg : O2 sehr hoch (bis zu 30) und die Sauerstoffaufnahme
gering. In den zunächst nicht gärenden Proben kehrte sich aber das
Atmungsverhältnis um, und die Sauerstoffaufnahme stieg. So ergab
z. 6. die Gasanal3rse in emem Versuch mit S. membranaefaciens nach
117 Stunden: 3,68% CO2, 14,1% 0^ und^82,2% Njj. Ein anderer Ver-
such mit Zymin aus einer Mannitkultur^der Bierhefe verlief bis zum
5. Tage ähnlich, es fanden sich nämlich nach 95 Stimden 5,9% COg,
13,3% Og, 80,8% Ng; dann begann plötzlich eine reichliche Kohlen-
saoreentwicklung und gleichzeitig auch erheblich kräftigere Sauerstoff-
aufnahme, so daß nach 168 Stimden die Gase bestanden aus 58,3%
CO2, 0,12% O2, 41,6% Ng. Der plötzliche Umschwung legt dem Ver-
fasser selbst den Verdacht nahe, daß eine Infektion von außen ein-
getreten sei. Jedenfalls gewinnen wir aus diesen Versuchen Anhalts-
punkte für das Vorhandensein kräftiger, nicht bloß sauerstoffbindender,
sondern auch Kohlensäure erzeugender Oxydasen. In einem anderen
Versuche fehlte allerdings trotz reichlicher Sauerstoffaufnahme die
COg-Bildung fast völlig.
Kostytschew^) stellte sich ebenfalls durch Behandlung mit
Azeton und Verreiben aus dem Myzel des Aspergillus niger
ein trockenes Pulver her, das in der Menge von 0,3—1 g zu 10 — 30 ccm
Zuckerlösung gesetzt, binnen 15 — ^20 Stunden einige ccm Kohlensäure
entwickelte und bei reichlichem Luftzutritt Sauerstoff absorbierte.
Auch bei Sauerstoffabwesenheit wurde Kohlensäure entwickelt. Doch
verlor das Trockenpräparat die Fähigkeit der „anaeroben Atmung**
durch Erhitzen auf 100®, während die aerobe Atmung dadurch
zwar etwas geschädigt, aber nicht xmterdrückt wurde. Verfasser nimmt
daher zwei verschiedene „Atmungsenzyme" an. Das anaerobe Enzym
ist der Zymase nur ähnlich, nicht gleich. Beide Enzyme verlieren schnell
ihre Wirksamkeit. Maximow^) kam zu ähnlichen Ergebnissen,
1) Zentr. Bakt. 405.
2) Ber. bot. Gesellsch. 1904. 207.
3) Ebenda 225.
680 Kap. Xiri, § 222—223,
wenn er denselben Pilz mit Sand fein zerrieb, den Saft durch Papier
filtrierte und mit 40% Glykose oder mit 25prozenti^er Glykoselösung
und Toluol vermischte. Aach dieser Forscher schloß auf das Vorhanden-
sein zweier voneinander imabhängiger Enzyme, weil er den Atmungs-
quotienten -ZT -, der zunächst 1 — i betrug, im Laufe der Versuche all-
mählich kleiner wie 1 werden sah: die Oxydase wäre danach wider-
standsfähiger, als das Kohlensäure entwickelnde Ferment. Letzteres
arbeitet gleich kräftig an der Luft und in Wasserstoff.
Auch mit Azetonpräparaten von M u c o r arten arbeitete K o s t y t -
s c h e w ^) und verglich sie mit dem käuflichen Zymin (aus Bier-
hefe) bei Luftzutritt und -abschluß. Ein Versuch mit 1 g des letzteren
und 15 ccm 20prozentiger Traubenzuckerlösung ergab beispielsweise
I. Luftzutritt (61/2 Std.) . 14 ccm COg', 3,7 ccm O^; COg : 0^ = 3,8
IL Luftabschluß (61/2 Std.) 13,8 „ COg; 0 „ 02;C02:02=oc
V. Luftzutritt (211/2 St.) 35 „ COg;* „ Og; CO2: 02 = 8,8
VI. Luftabschluß (211/2 St.) 15,1 „ CO2; 0 „ 0^\ COg : Og = oc
Erhitzen des Trockenpräparats setzte den Gasaustausch etwa um die
Hälfte herab, änderte aber nichts an dem Atmimgsquotienten. Ein
Azetonpräparat des Mucor stolonifer ergab:
I. bei Luftzutritt (17 Std.) 2,7 ccm COg; 2,7 ccm 0^; COg : 0^ = 1,0
II. bei Luftabschluß (16 Std.) 1,3 „ COg; 0 „ Og; CO2: 02= oc
Erhitzimg des Präparats auf 100^ bewirkte wie bei Aspergillus niger
eine Herabsetzung des Atemquotienten bei Luftzutritt auf 0,2—0,7
und das Ausbleiben der Kohlensäureentwicklung bei Luftabschluß.
Das aus Mucor racemosus hergestellte Azetonpräparat verhielt sich
ähnlich dem Zymin, nur war es weniger kräftig.
Eine etwas reichlichere Oxydation haben neuerdings Herzog
und Meier*) mit Penicilliummyzel, das durch Azeton oder Methyl-
alkohol abgetötet, getrocknet und gepulvert war, erhalten. Sie ließen
es auf Lösungen von verdünnter Bierwürze mit und ohne milchsaures
Ammon (vgl. S. 447) wirken und erhielten dabei im letzteren Fall,
wo eine Gärwirkung wohl ausgeschlossen war, mit 18 — ^23 g Pilzsub-
stanz für 0,8 — ^3 g Milchsäure eine Zuwachsentwicklung von 0,04 bis
0,07 g Kohlensäure, die in 36 Stunden aufhörte. Anscheinend wird die
verschwindende Milchsäure nicht vollständig oxydiert.
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 13. 583, 1904.
2) Zeitflchr. f. physiol. Qiem. 67, 1908.
Wege des Sauecstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 681
Die bisher also recht dürftige Ausbeute an oxydierenden Enzjrmen
hat viele Forscher zu dem Schluß geführt, daß die Oxydation im all-
gemeinen nicht durch isolierbare Enzyme, sondern durch das „lebende
Protoplasma'^ selbst vermittelt werde. Das ändert aber an der oben
betonten Spezifität des Vorgangs nichts und verschiebt die Erklänmg
eigentlich nur auf spätere Zeiten, die uns über die Natur der lebenden
Substanz aufklären sollen. Vorläufig sind wir eher geneigt, auch die
Oxydation durch Mikrobien auf Enzyme, die aber empfindlicher sind,
als andere, zurückzuführen (vgl. auch Selbstverbrennung § 226).
§ 222 a. Sauerstoff speicherang. Manche Bakterien scheinen
Stoffe (fettartige Pigmente) zu erzeugen, die imstande sind, Sauerstoff
zu speichern (S. 104 u. § 253). Ob gerade diese Stoffe eine größere bio-
logische Bedeutung besitzen, die etwa mit der des Hämoglobins der Tiere
auf eine Stufe zu stellen wäre, ist zweifelhaft. Dagegen ist die von P a -
steur nachgewiesene Sauerstoffspeicherung der Hefe (S. 103) wohl
für diese von Nutzen. Ihr Mechanismus ist noch unklar.
§ 223. Intramolekulare Atmung und Gärung i). Nachdem
man die Erfahrung gemacht hatte, daß es Mikroorganismen gibt, die
ohne freien Sauerstoff leben können, glaubte man ganz allgemein ihnen
als Ersatz der äußeren Atmung eine innere (intramolekulare) Atmung
zuschreiben zu müssen. Selbst der Entdecker der Anaerobier, Pasteur ,
äußert in seinen ersten Abhandlungen^) die Vorstellung, diese Mikro-
organismen entzögen sauerstoffhaltigen Verbin-
dungen den Sauerstoff, den sie der Atmosphäre
nichtentnehmenkönnten. Es steht das in einem gewissen
Widerspruch zu dem Satz, den Pasteur selbst ja von vornherein
verfochten, daß nämlich die Gärung, also ein Spaltungs-
prozeß, der Ersatz der Atmung sei. Eine klare Äußerung
über diese Verhältnisse vermißt man übrigens bei Pasteur ebenso
wie bei seinen Nachfolgern^); in seinen späteren Arbeiten*) spricht er
überhaupt nicht mehr von dieser inneren Oxydation. Eine Stütze
erhielt die letztere Lehre durch die Beobachtung P f 1 ü g e r s u. a.,
daß die Eohlensäureausatmung und die Lebenserscheinungen auch bei
den höheren Organismen fortbestehen, wenn der Sauerstoff voll-
ständig abgeschlossen ist. Man sah darin eine Fortsetzung der At-
mungsprozesse, obwohl P f 1 ü g e r selbst die Kohlensäurebildung als
eine „Dissoziation", eine Spaltung auffaßt. Da auch bei den Anaero-
1) Vgl. § 61 u. 62.
2) Compt. rend. ac. sc. 52. 1263, 1861.
3) Vgl. z. B. B r e f e 1 d , Landwirtsch. Jahrb. 1 876.
4) Ck)mpt. rend. 75. 785» 1872. Etudes sur la bidre 1876.
682 Kap. XIII, § 223.
biern gewöhnlich Kohlensäure gebildet wiid (vgl. z. B. bei Hesse
S. 675), schien auch hier die Lehre von der inneren Atmung eine Be-
stätigung zu finden. Das regelmäßige Vorkommen von Redaktions-
prozessen bei allen Arten von Lebewesen war ein weiterer Beweis für
den „Sauerstoffhimger"^) des Protoplasmas (vgl. S. 477). Die redu-
zierten Stoffe lieferten eben mittel- oder unmittelbar den zum Leben
nötigen Sauerstoff.
Den klarsten, aber auch übertriebensten Ausdruck hat die Lehre
bei W o r t m a n n *) gefunden. Bei ihm ist, wie bei P f 1 ü g e r , die
Zersetzung des Protoplasmas, die Abspaltung oder Dissoziation von
Kohlensäure eine ursprüngliche Eigenschaft der lebenden Zelle. Die
Sauerstoff atmung soll wie die .Nahrung bloß dazu dienen, die redu-
zierten Bestandteile des Protoplasmas wieder zu ergänzen. So würde
der durch Reduktion des Zuckers entstandene Alkohol durch den Sauer-
stoff der Luft reoxydiert zu Zucker. Auch wo der Sauerstoff der Luft
fehle, verlaufe die Kohlensäureabscheidung, die innere Verbrennung
in derselben Weise und in demselben Maßstabe. Ist diese Theorie denn
aber berechtigt ? Im Gegenteil, sie ist schon widerlegt durch Versuche
von Diakonow^) und Pfeffer*). Diese Forscher fanden, daß
eine Kultur des Penicillium glaucum und anderer Schinmielpilze, die,
mit CJhinasäure oder anderen nicht zuckerartigen Stoffen und Pepton
ernährt, bei Luftzutritt kräftig atmete, sofort aufhörte, Kohlensäure
zu bilden, sobald man die Luft abschnitt, und in kürzester Zeit ab-
starb. Es war also hier von intramolekularer Atmung nicht die Rede.
Sobald dagegen Glykose mit Pepton geboten wurde, bildete Peni-
cillium wenig, Aspergillus niger etwas mehr und Mucor stolonifer
reichlich Kohlensäure. Das entspricht dem Grade ihrer
Fähigkeit, denZucker zu vergären. Mit anderen Worten:
die Gärung ersetzt hier die Atmung, und ohne Gä-
rung besteht keine innere Atmung. Die Sauerstoffent-
ziehung hatte hier nicht etwa das Protoplasma geschädigt, denn die
Pilze begannen wieder ebenso kräftig zu atmen, sobald ihnen Luft
zugeführt war.
Durch die neuesten lehrreichen Versuche von Kostytschew*)
wird die Beweiskraft der Diakonow sehen Feststellungen nicht
geschmälert, sondern im Gegenteil gestützt. Seine erste Arbeit be-
1) Vgl. Ehrlich, Sauerstoff bedürfnis des Organismus, 1885.
2) Arbeit, d. bot. Inst. Würzburg 2. 500, 1880, vgl. auch Detmer,
Jalirb. wiBS. Bot. 12. 276, 1881.
3) Ber. bot. Ges. 1886. 2 und 411.
4) Arb. bot. Inst. Tübingen 1. 659, 1885.
5) Jahrb. wiss. Bot. 40 und Zentr. Bakt. 2. Abt. 13, 1904.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel.
683
statigte zunächst, daß der Aspergillus niger bei Ernährung mit kohle-
hydratfreien Stoffen (Pepton, Chinasäure, Weinsäure und Raulinscher
Salzlösung) einige Stunden lang keine Kohlensäure bildet, wenn ihm
der Sauerstoff entzogen wird, d. h. in reiner Stickstoffatmosphäre.
Allerdings tritt dann bei Fortsetzimg der Sauerstoffabsperrung zeit-
weise doch wieder eine Kohlensäureentwicklimg ein, kommt aber
bald wieder zum Stillstand. Eine fünftägige sporenbildende Kultur
ergab z. B. bei 18® in den verschiedenen Perioden folgenden Gaswechsel
(auf je 10 Stunden berechnet):
I. Luftzutritt (IStd.) .
IL Luftabschluß (2 Std.)
III. „ (16 Std.)
IV. „ (8 Std.)
V. Luftzutritt (2 Std.) .
VL „ (6 Std.) .
Durch welche Zersetzimgen die Kohlensäure hier geliefert wird, ist noch
nicht festgestellt, vielleicht bilden die Zellen selbst sich Kohlehydrate,
die dann durch alkoholische Gärung zerfallen. Interessant ist dabei
auch noch die Veränderung, die der Gaswechsel erleidet bei Wieder-
aufnahme der Luftatmung (V). Zunächst wird Sauerstoff aufgenommen
und wenig Kohlensäure gebildet; erst später erreicht der Atmimgs-
quotient wieder den gewöhnlichen Stand. Die Sauerstoff aufnähme
ist also in gewissem Umfange unabhängig von der Kohlensäureabschei-
dung. In seiner zweiten Arbeit beschäftigt sich Kostytschew
mit der Atmung der Mucorarten. Diese verhalten sich verschieden.
Ein Versuch mit einer frischen Kultur des Muc. stolonifer ergab z. B.
eS.GccmCOj;
, 37,1 ccm O2; CO2 : 0^ — 1,85
0 „ CO2
; 0 „ 0^; CO^rOj -
1,0 „ COj;
, 0 „ Oj; COjiOa- oc
Spur COji
0 „ Oj; COj-.O^- -
3,7 „ CO^;
; 7,9 „ O3; CO2:Oj-0,47
3,1 „ CO2;
; 2,2 „ O2; CO^: 0^-1,43
I. Luftzutritt (2 Std.) . 9,5 ccm CO
ü. Luftabschluß (2 V4 Std.) 6,6
m. „ (18 Std.) 14,5
IV. „ (25 „ ) 19,3
V. „ (22 „ ) 21,4
VI. „ (24 „ ) 12,0
VII. Luftzutritt ( 1 Va Std.) 2,3
VIII. „ (2V, „ ) 6,8
99
>>
>>
99
>)
>>
J>
CO
CO
CO
CO
GOs
CO,
co'
10
0
0
0
0
0
0,4
7
ccm 0
0
0
0
0
0
0
O
>>
>>
>>
>>
>>
J>
99
02 = 0,95
oc
oc
0^=
C02
C02
C02
C02
CO,
CO2
C02:Oj=6,6
CO, : 0„ = 0,96
0^=
0^=
OC
Kostytschew möchte aus dem niedrigen Atmungsquotienten
bei Luftzutritt schließen, daß Mucor stolonifer kein Gärungserreger
sei und erklärt die Kohlensäureausscheidung bei Luftabschluß als
„intramolekulare Atmung", die mit der Gänmg „nicht ganz identisch"
sei. Wir möchten bis auf weiteres auch bei diesem Pilz die intramole-
684
Kap. Xm, § 223 ii. 224.
kulare Atmung als Gärung betrachten, die freilich Besonderheiten hat.
Sicher ist das Bestehen einer alkoholischen Gärung bei dem Hucor
mucedo und namentlich bei dem Mucor racemosus. Folgendes Beispiel
zeigt den Verlauf der Atmung bei dem letzteren Pilz:
C7
I.
Luftzutritt (IV2 Std.)
. 7,5 <
ccm COj;
2,8
ccmO,; C02:Oj-2,7
II. Luftabschluß (P/j Std.
) ?
>»
?
)}
-
III.
>>
(IV4 ..
) 7,4
}9
COj;
0
>>
Og; COj : Oj- 3c
IV.
>J
(20 „
) ?
ff
?
>>
V.
>>
(2V4 ., 1
1 11,3
J»
CO2;
0
>9
Oj; CO2 : Oj= X
VI.
»>
(27 .. 1
) 1
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VII.
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) 11.5
»
COj;
0
>>
Oj; COjj : Oj- ac
VIII.
99
(16 „ ]
1 ?
ff
9
•
91
IX.
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(2% „ 1
1 8,8
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COj;
0
>>
O2; COj : Oj= 5c
X.
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(24 „ ]
1 ?
»»
9
•
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XI.
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6,8
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0
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XII. Luftzutritt (40 Min.) .
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XIII.
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>}
Oj;COj:0,=4,4
XIV.
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(15%» )
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>>
?
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XV.
>>
(IV4 .. )
. 7,3
>»
COj;
2,3
>)
Oj; CO,:Ois=.3,2
Hier besteht offenbar die Gärung, gleichgültig ob bei Sauerstoffzutritt
oder -abschluß, ziemlich unverändert fort. Die Versuche mit den
Azetondauerpräparaten derselben Pilze bestätigten im wesentlichen
diese Eigenschaften (s. o. S. 679 ff.). Leider wurde niemals auf Alkohol
gefahndet.
Versuche, die mit Hefepilzen angestellt worden sind, haben
ähnliche Ergebnisse gehabt. Zunächst zeigte sich ganz allgemein,
daß bei Verringerung der Luftzufuhr die Kohlensäureerzeugung in
zuckerhaltigen Kulturen zwar nicht absolut, aber im Verhältnis zur
Hefeernte zimahm, und, wie die gleichzeitigen Bestimmimgen der
Alkoholmengen ergaben, um so mehr der Vergärung des Zuckers ihren
Ursprung verdankten, je schwieriger die Oxydation dieses Nährstoffes
wurde. Wir sind auf diese Untersuchungen, bei denen nur die aus-
geschiedene Kohlensäure gemessen wurde, an anderer Stelle ausführ-
lich eingegangen (§ 233). Allerdings fehlt auch bei reichlicher Sauer-
stoff zufuhr die Gärung nicht vollständig, wie ja schon aus den Pa •
steu rschen Gasbestimmungen zu erschließen war. Die unter P a 1 1 a -
d i n s Leitung angestellten Versuche von Kollegorsky und
Zassouchine^) vervollständigten diese Feststellungen, indem die
Atmung der Hefe nicht nur in vergärbaren, sondern auch in nicht
1) Zontr. Bakt. 11, 95. 1903.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 685
vergäxbaren Nährböden untersucht wurde. Da die Zersetzung in
kleinen verschlossenen, reichlich beimpften Gefäßen (Rollkulturen in
Röhrclien), und eine Lüftung entweder gar nicht oder nur periodisch (bei
der Gasentnahme) vorgenommen wurde, war der Luftzutritt nur be-
schränkt. Es zeigte sich nun, daß überall, wo vergärbare Stoffe vor-
handen waren, der Atmungsquotient mehr oder weniger erheblich über
1 hinau&tieg (bis 9,6), im entgegengesetzten Fall unter 1 hinunterging
(bis 0,59). Daß es sich im ersten Falle um eine Gärung handelt, sieht
man aus dem oben besprochenen Versuch mit der Azetonhefe (S. 679),
in dem offenbar wesentlich die Zymasewirkung zum Vorschein kommt.
§ 224. Fortsetzung. Befriedigung des Energiehungers
durch die Gärung. Wenn sonach von einem „Lufthunger" des Proto-
plasmas im allgemeinen nicht gesprochen werden darf, so darf man ihm
um so mehr einen Energiehunger zuschreiben. Befriedigt wird er bei
Saueistoffabschluß auf die verschiedenste Weise, wie wir im einzelnen
bei den Spaltungsgärungen dargelegt haben. Die chemischen Vorgänge
sind zwar noch keineswegs überall klargestellt^). Immer handelt es sich
aber wohl um WanderungenvonSauerstoff-undWas-
serstoffatomen im Molekül der Kohlenstoffver-
bindungen, die zum größten Teil oder immer unter Beteiligung
d^ Wassers erfolgen. Meist entstehen dabei auf der einen Seite wasser-
stoffreiche, auf der anderen Seite sauerstoffreiche Körper, die Gärung
besteht also gewissermaßen in nebeneinander verlaufen-
den Oxydations- und Reduktionsvorgängen. In
jedem Falle ergeben sich Spaltungen, die mit erheblicherWärme-
entwicklung verlaufen. Und diese letztere, also der
Energi e gewinn , könne als wesentlicher Zweck
der Gärungen bezeichnet werden^). Es ist kaum nötig,
das noch durch Beispiele zu belegen. In vielen Fällen ist das höher
oxydierte Spaltungsprodukt Kohlensäure, wie bei den vollständigen
Oxydationen, das Reduktionsprodukt ein anderes Gas, wie Wasser-
stoff oder Sumpfgas oder ein verhältnismäßig sauerstoffarmer
Körper. So spaltet sich bei der alkoholischen Gärung der Zucker in
Kohlensäure und den sauerstoffarmen Alkohol (§ 84):
C^Hj^Oe = 2C2HeO + 200^ (+ 22 Kai.),
bei der Buttersäuregärung in Kohlensäure, Buttersäure und Wasser-
stoff (§ 114):
CeHj^Oe = Cfifi^ + 200^ + 2H2 (+ 14 Kai.),
1) Vgl. § 61, S. 251, 294 usw.
2) Ausnahmen bzw. eine Beschränkxing dieser Definition der Gäruiig
s. TL S. 688.
686 Kap. XIII, f 224.
bei der Butylalkoholgärung in Kohlensäure und Batylalkohol
(S. 368):
CeHiaOe = C4H10O + 2 CO^ + H^O (+ 37 Kai. ?) .
Bei den anaeroben Gärungen der höheren Alkohole (§ 131), Fettsäuren
(§ 139 ff.) sehen wir ähnliches eintreten. So entsteht z. B. aus der
Essigsäure einerseits Sumpfgas, andererseits Kohlensäure:
Ca (C2H302)3 + H2O = 2CH4 + CO2 + CaCOg (+ 3 Kai.).
Es ist das, nebenbei bemerkt, eine Gänmg mit besonders spärlicher
Wärmebildimg.
Bei der Milchsäure- und anaeroben Essigsäuregärung des Zuckers
entstehen zwar keine höher und niedriger oxydierten Produkte und
auch weder Kohlensäure noch Wasserstoff oder überhaupt ein Gas;
der Sauerstoff wandert aber auch hier und häuft sich auf der einen
Seite des Moleküls in der Karbozylgruppe an, während die andere
zur Methylgruppe reduziert wird, und das Ergebnis ist eine Spaltung,
die unter starker Wärmebildung verläuft:
COH . (CH0H)4 . CH2OH = 2CH3CHOH . COOH (+ 15 Kai.)
Traubenzucker Milchsäure
COH . (CH0H)4 . CHgOH = 3CH3 . COOH (+ 34 Kai.)
Traubenzucker Essigsäure.
Einige Gärungen, in erster Linie die von uns sog. Wasserstoff-
gärung der Kohlenhydrate (§ 105):
C6H12O6 + 6H2O = 6CO2 + 12 H2 (— 147 Kai.),
machen insofern vor allen übrigen eine Ausnahme, als sie keine Wärme
entwickeln, sondern binden. Trotzdem haben wir allen Grund, sie als
einen in gewissen Grenzen selbständigen Vorgang anzusehen, der
freilich auf die Dauer nicht denkbar ist, ohne andere Wärme Hefemde,
die dann auch regelmäßig nebenher gefunden werden. Wie wir uns
vom teleologischen Standpunkte die Entstehung dieser Gärung denken
sollen, steht dahin.
Durch diese und andere „Mischgärungen" (vgl. z. B. § 98, lU
u. 115) werden die energetischen Verhältnisse vielfach recht undurch-
sichtig. Noch mehr gilt das aber für die tieferen Spaltungen der Eiweiß-
körper, die zur „Fäulnis" und zum Teil auch zur „Verwesung" in Be-
ziehung stehen (§ 167 ff.). Die Umsetzimgsgleichungen, die wir dafür
angeben können, sind zum größten Teil noch hypothetisch, und auch
ihr Wärmewert wäre noch im einzelnen festzustellen (vgl. S. 704).
Außer dem Sauerstoff xmd Wasserstoff der betreffenden Kohlen-
stoffverbindungen beteiligt sich an diesen Veränderungen vielfach,
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 687
wie oben bemerkt, der Sauerstoff (und Wasserstoff) des Wassers. Manche
Autoren nehmen sogar nach dem Vorgang von B a e 7 e r auch bei
denjenigen Gärungen, die nach unseren Formebi als einfache Spaltungen
eischeinen, wie die Alkohol- und Milchsäuregärung, eine vorüber-
gehende Beteiligung, einen Ein- und Austritt von Wassermolekülen
an. Soviel steht aber fest, daß der SauerstoffderLuftnicht
in diese Gärungsprozesse unmittelbar eingreift.
In denjenigen Fällen, in denen nachweislich die Gärung möglich ist
oder sogar bei Zutritt von Sauerstoff bis zu einem gewissen Grade
begünstigt wird, z. B. bei der alkoholischen Vergärung des Zuckers
durch Hefe (§ 91), wirkt der Sauerstoff nur mittelbar, indem er das
Wachstum der Mikroorganismen und vielleicht die Bildung des Gärungs-
enzyms befördert^). Die Analyse des Gaswechsels ergibt dann zwar
\iel höhere Werte^) des Atmimgsquotienten COg : Og als bei den echten
nicht gärungsfähigen Aerobiem (§ 219 u. 220), beweist aber immerhin
durch seine endliche Größe die mehr oder weniger kräftige Aufnahme
von Luftsauerstoff. Derartige Fälle lehren ims, daß Luftatmung und
Gärung oder wie man sie auch genannt hat, „intramolekulare Atmung''
nebeneinander bestehen können, also sich nicht unter allen Umständen
ausschließen, wie z. B. Pfeffer das ursprünglich angenommen hatte.
Insofern ist also der alte P a s t e u r sehe Satz, daß GärungLeben
ohne Sauerstoffsei, zu beschränken. Bichtig bleibt er jedoch
in folgender Form: Leben ohne freien Sauerstoff wird
erst ermöglicht durch die Gärung. Wenn dagegen
immer noch Widersprüche laut werden, so beruht das auf dem Um-
stand, daß man die Gärungen mit Spaltungen, die unter Gasbildung
verlaufen, identifiziert hat. Davon kann ja keine Rede sein, wie schon
das Beispiel der Milchsäuregärung beweist. Es ist bisher in keinem Falle
nachgewiesen, daß in Abwesenheit gärungsfähiger Körper ein anaerobes
Wachstum möglich ist. Selbstverständlich macht die Erkenntnis,
daß in den Gärungen der Zelle kraftliefernde Prozesse zur Verfügung
stehen, die von neueren Biologen (z. B. V e r w o r n ^) , R e i n k e ^))
vertretene Annahme, nach der in dem „beständigen Zerfall des Proto-
plasmas" eine notwendige Kraftquelle gegeben sei, überflüssig. Sie
fällt freilich mit unserer Auffassung zusammen, wenn man die Fermente
1) Wahrscheinlich ist es ähnlich bestellt mit den Gärleistungen anderer
Aerobier, z. B. dem Eiweißspaltungsvermögen der die Verwesung bewirken-
der Bakterien und Pilze (§ 171 u. 172, 176).
2) Näheres über die Abhängigkeit des Wachstums und der Gärung
vom Sauerstoffzutritt bei der Hefe im § 233.
3) Allgem. Physiologie.
4) Theoretische Biologie.
688 Kap. XIII, § 224—226.
als Seitenketten des Protoplasmas betrachtet und die vergärbaren
Nährstoffe durch die letzteren in (vorübergehende) Verbindung mit
dem Protoplasma treten läßt (§ 67 u. 68).
Vergleicht man den Wärmewert der Spaltungsgärungen mit dem
der Oxydationen (§ 227), so bemerkt man einen großen Unterschied zu-
ungunsten der ersteren. Ausgeglichen wird dieser Unterschied aber
dadurch, daß die Gärungen im allgemeinen verhältnismäßig viel größere
Stoffmengen zersetzen, als die Oxydationen (vgl. § 232 — ^236). Man
hat daher in dem größeren Umfang der Zersetzungen geradezu ein
wesentliches Merkmal der Gärungen sehen wollen. Wenn das der
Regel entspricht, so hat sie doch Ausnahmen. Erstens wird man
Zersetzungen, die im übrigen durchaus echten Gärungen entsprechen
— z. B. die Entstehung von Alkohol und Kohlensäure aus Zucker — ,
nicht bloß deswegen, weil sie bei den betreffenden Eleinwesen (z. B.
Milchsäurebakterien) in geringerem Umfange vorkommen als bei den
Haupterregem der Gärung (Hefepilzen), als andersartige Erscheinungen
betrachten und sie etwa als „Stoff Wechselvorgänge*' von den Gärungen
trennen dürfen. Vielmehr sind diese sehr häufigen Fälle unseres Er-
achtens nur Zeugnisse dafür, daß die Anlage zu diesem oder jenem
Gärvermögen viel weiter verbreitet vorkonmit, als dessen höchste Aus-
bildung. Wenn man bedenkt, daß die Gärungen, wie alle anderen
Leistungen von Zellen, sich im Laufe der Stammesgeschichte allmäh-
lich entwickelt haben müssen, kann es ja auch gar nicht anders sein
(vgl. § 359).
Außerdem gibt es aber noch Zersetzungen, die den Spaltungs-
gärungen ihrer chemischen Natur nach ähneln, aber sich von ihnen da-
durch unterscheiden, daß die Spaltungsprodukte nicht für den weiteren
Stoffwechsel verloren sind, d. h. bloß der Eraftlieferung dienen, sondern
zum Teil — oder auch vollständig? — zum Aufbau der Zellsuhstanz
verwandt werden. Dahin gehört nach F. Ehrlich die Zerspaltung
der Aminosäuren in Alkohole (Fuselöl) und Ammoniak (§ 173). Es
ist sehr wohl möglich, daß derartige Vorgänge sehr häufig, ja regel-
mäßig vorkommen, daß also kurz gesagt die Assimilation
der Kohlenhydrate, Eiweißstoffe usw. ganz gewöhn-
lich auf dem Umwege überdiese oderjene Gärung
erfolgt (§229—231).
§ 224 a. Gärungsenzyme. Gärungsenzjmie sind bisher dargestellt
für die Alkoholgärung der Hefe und Pilze (§ 89), die Milchsäuregärung
einzelner Bakterien (§ 101) und manche Spaltungen der Aminosäuren
(§ 166, 169). Wenn man will, kann man wegen ihrer starken Wärme-
entwicklung die Harnstoffgärung (§ 195) auch hierherziehen, obwohl
sie eine gewisse Verwandtschaft mit den hydrolytischen Spaltungen
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 6S9
hat. Wahrscheinlich wird uns die Zukunft noch viel mehr solcher
Enzvme bescheeren. Selbst wenn das aber nicht der Fall sein sollte,
80 würden wir dadurch noch nicht an dem Vorhandensein derselben
in allen Fällen von Gärung zu zweifeln berechtigt sein. Unsere Dar-
stellxmgsmethoden sind eben unvollkommen (vgl. § 67 u. 240).
§ 225. Atmnng durch sauerstoffreiche Verbindungen. Ne-
ben der Atmung durch den freien Sauerstoff der Luft und der intramo-
lekularen Atmimg, die wir als Gärung erkannt haben, gibt es noch eine
solche, die erfolgt auf Kosten sauerstoffhaltiger Verbindungen, und
zwar, soweit bisher bekannt, bloß anorganischer, nämlich der Salpeter-
säure und salpetrigen Säure, der Schwefelsäure und vielleicht auch
der Kohlensäure. Auch sie bezeichnet der Sprachgebrauch zwar zum
Teil als Gärungen, weil eine reichliche Gasentwicklung dabei statt-
finden kann, doch sind es Gärungen anderer Art als die bisher von
uns betrachteten Spaltungsgärungen: es handelt sich um Reduk-
tion der Sauerstoffverbindungen und gleich-
zeitig um Oxydation anderer Stoffe. Die letztere
schafft die nötige Energie für die erstere.
Die (salpetrige imd) Salpetersäure dient, wie wir § 198 (u. 197)
gesehen haben, den Denitrifikationsbakterien als Sauer-
stoffquelle, imd zwar verbrauchen die Erreger. der echten „Stickstoff-
gärung" den gesamten Sauerstoff des ihnen gebotenen Salpeters und
verbrennen damit kohlenstoffhaltige Nahrungsmittel wie Zucker,
Glyzerin, organische Säuren vollständig zu Kohlensäure und Wasser,
während Stickstoff frei wird. Es ist wohl kein Zufall und beruht viel-
leicht auf einer Verwandtschaft von eigentlichen
Oxydations- und denitrifizierenden Fermenten,
daß die Denitrifikationsbakterien gerade Mikrobien sind, die sonst den
Luftsauerstoff dringend nötig haben und die Verbrennungen mit seiner
Hilfe ebenso bewerkstelligen, wie mittelst des Sauerstoffe dejr Salpeter-
säure. Je nach der Art der Mikrobien ziehen sie bald die eine, bald
die andere Sauerstoffquelle vor. Der Prozeß verläuft, wenn wir z. B.
Weinsäure als Brennmaterial haben, nach folgender Gleichung:
CJIfis + 2HNO2 == 4CO3 + 4H2O + N2 (+ 247 Kal.i)) .
WeLiufture Salpetersäure.
Wenn wir die hierbei erzeugte Energie mit derjenigen vergleichen,
die bei der Verbrennung der Weinsäure durch Luftsauerstoff frei wird
1) Die Lösungswärme der Kohlensäure in Wetöser ist hier berück-
sichtigt, weil die alkalische Lösiing die Entbindung gasförmiger Kohlen-
säure bei der Denitrifikation verhindert. Um die Energiegleichung für die
l'msetzungen der entsprechenden Salze aufzustellen, müßte sie etwas
umgeformt werden; doch kann die Abweichung nur gering sein.
KrusG, Mikrobiologie. 44
690 Kap. XIII, § 225 u. 226.
(Gleichung 7 auf S. 669), so sehen wir, daß der Unterschied nicht sehr
erhebUchist, daß also die Beduktion der Salpetersäure
zu Stickstoff an sich keinen großen Energieauf-
wand erfordert^).
Etwas anders liegt die Sache bei den sulfatreduiderenden Bak-
terien, den Erregem der „ Schwefelwasserstoff gärung" (S. 655). Auch
hier wird zwar der dabei gewonnene Sauerstoff zur vollständigen Oxy-
dation organischer Nährstoffe benutzt, die Beduktion der
Schwefelsäure zu Sauerstoff verbraucht aber
den größten Teil der dabei entwickelten Energie,
denn es ist
H2SO4 = HgS + O4 (— 135 Kai.) .
Die Verbrennung von 2 Molekülen Milchsäure durch 3 Moleküle Schwefel-
säure, die nach der Gleichung vor sich geht:
2 CgHeOg + 3 H2SO4 = 6 CO2 + 6 HjO + 3 HjjS (+ 277 Kai.) ,
erzeugt daher nur etwa 40% der Wärme, die bei der vollständigen
Oxydation der Milchsäure durch den Sauerstoff entbunden wird:
2CsHe03 + 120 = eCOj + eH^O (+ 659 Kai.).
Bemerkenswert ist ferner, daß die Schwefel-
säure, soweit bekannt, nur strengen Änaerobeü
als Atmungs quelle dient, die Luftatmung hier
also nicht in Wettbewerb treten kann.
Anaerob sind auch die Purpurbakterien, die nach Engel-
m a n n (S. 647) die Eigenschaft besitzen sollen, unter dem Einflufi
des Lichtes aus der Kohlensäure Sauerstoff abzuspalten und diesen
Sauerstoff wenn auch nur zum Teil zu demselben Zwecke verwenden,
wie die farblosen Schwefelbakterien den Luftsauerstoff, nämhch um
den Schwefelwasserstoff ihrer Nahrung zu Schwefelsäure zu oxydieren.
Nehmen wir selbst diesen von Molisch u. a. bestrittenen Tatbestand
an, so verbleiben doch viele Unklarheiten, namentlich über die Energie-
verhältnisse des Prozesses. Leisten die Lichtstrahlen die gesamte
Beduktionsarbeit, die sich durch die folgende Gleichung wieder-
geben läßt?
6CO2 = 60 + 6O2 (— 590 Kai.).
Und sind sie etwa auch beteiligt bei dem Aufbau der organischen Stoffe
(Kohlenhydrate?) aus dem Kohlenstoff?
1) Vgl. S. 611. Die Reduktion der Salpetersäure zu Ammoniak,
die nicht bloß für die Assimilation derselben in Frage kommt, erfordert
erheblich mehr Energie (S. 614). Insofern ähnelt also die „Ammoniak-
gärving" der Schwefelwasserstoff gärung (s. u. im Text).
Wege des Saneretoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 691
6(C + HjO) = CeHj^Oe (— 106 Kai.).
Wahrscheinlich wird ein mehr oder weniger großer Teil dieser 590 + 106
= 696 Kai. gedeckt durch die Oxydationsleistiing des abgespaltenen
Sauerstoffs. Die Möglichkeit dazu besteht sehr wohl, denn wir haben
ja (8. 644)
SH^S + 6O2 = 3H2SO4 (+ 621 Kai.).
Auch der bei der Reduktion der Kohlensäure durch Aerobier, die
bei der sogenannten Nitrifikation (§ 196) und bei der Schwefelsäure-
ganmg Nathansons und Beijerincks (§ 210) ohne Mit-
wirkung des Lichtes erfolgt, freiwerdende Sauerstoff kann natürlich
ebenso gut (oder vielleicht besser) wie der atmosphärische Sauerstoff
zur Oxydation der Nahrungsstoffe — im ersteren Falle Ammoniak
und Nitrit, im letzteren Schwefelwasserstoff oder Thiosulfat — ver-
wandt werden, genügt aber offenbar nicht allein zur Leistung der
nötigen Arbeit, weswegen eben der Luftsauerstoff herangezogen werden
muß. Es geschieht das sogar in weit größerem Maße, als rechnerisch
nötig wäre (a. a. 0.).
Enzyme sind für alle diese Vorgänge noch nicht gefunden worden.
Wohl ist das der Fall bei den für das Leben der Mikroben freilich kaum
wesentlichen Oxydationen aromatischer Stoffe, sie werden auf Kosten
von Peroxyden (z. B. HgO^) durch sog. Peroxydasen vermittelt.
§ 226. Atmnng im Hungerzustande. Selbstverbrennung,
Auch bei den Mikroorganismen geht, wie bei den höheren Lebewesen,
der Stoffwechsel im Hungerzustande eine Zeitlang weiter. Bei Be-
sprechung der intrazellularen Verdauungsenzyme (§ 166) und der
Gärung der Hefe (§ 91) haben wir schon die Selbst verdauung
und Selbstvergärung erwähnt. Sie erklären sich dadurch,
daß nicht nur die im Zellkörper au^espeicherten Nahrungsstoffe
(Reservestoffe), sondern schUeßlich auch das Protoplasma selbst der
Wirkung seiner Enzyme verfällt. Praktisch kaum, aber wohl begriff-
lich davon zu trennen ist die Luftatmung im Hxmgerzustande, die
Selbstverbrennung.
Für Schimmelpilze (Aspergillus niger) ist diese genauer studiert
worden von Puriewitsch^) und Kosinski^). Wie zu er-
warten, konmien beide Forscher zu dem Ergebnis, daß Entziehung
der Nahrung — z. B. durch Auswaschen der Pilzrasen mit physio-
logischer Kochsalzlösimg und Ersatz der Nährlösung durch diese —
die Atmungsgröße stark, und zwar schon in kürzester Zeit, herabsetzt.
1) Jahrb. wiss. Bot. 35, 1900.
2) Ebenda 37, 1902.
44*
692
Kap. Xin, § 226.
z. B. die Menge des stündlich aufgenommenen Sauerstoffs von 10 bis
12 auf 4 — 5 com vermindert. Bemerkenswerterweise sinkt dabei die
Kohlensäureproduktion mehr^) als die Sauerstoff aufnähme : der At<
mungsquotient fällt also, z. IB. von 1 — 1,3 auf 0,8 — 0,9. P u r i e -
witsch schiebt das darauf, daß statt des vorher gebotenen Zuckers
Eiweißstoffe, Kosinski, daß statt dessen Fett oder organische
Säuren verbraucht werden^). Da genauere Bestimmungen der ge-
lösten Stoffwechselprodukte fehlen, wäre vorläufig die Annahme
ebenso berechtigt, daß die etwa vorhandenen kohlenhydratartigen
Reservestoffe (Glykogen?) im Hungerzustande nicht vollständig zu
Kohlensäure und Wasser, sondern zu einer Zwischenstufe wie Oxal-
säure oxydiert würden.
Eine andere Form der Selbstverbrennimg haben G r e h a n t
und Q u i n q u a u d ^) bei Hefe gefunden, die in destilliertem Wasser
aufgeschwemmt war. Die für verschiedene Temperaturen festgestellten
Atmungsgrößen sind interessant genug, um hier abgekürzt wieder-
gegeben zu werden:
lg
frische Hefe in Wasser
bei den
nahm stündlich
gab stündlich
CO,:CX),
Temperaturen von
Sauerstoff auf
Kohlensäure ab
0«
0,48 ccm
0,42 ccm
0,87
13,8»
0,97 „
1,04 „
1,06
21»
1,52 „
2,40 „
1,50
26«
1,86 „
3,48 „
1,90
36«
1,59 „
2,84 „
3,40
46«
1,97 „
8,92 „
4,50
Trotz einiger Unregelmäßigkeiten läßt sich aus diesen Ergebnissen
schließen, daß die Sauerstoff auf nähme bei verschiedenen Tempera-
turen anderen Gesetzen folgt, als die Kohlensäureabgabe. Der At-
mungsquotient steigt beständig mit der Temperatur, und zwar von
0,87 — 4,5, d. h. schließlich zu einer Höhe, die bei keiner Oxydation
1) Auch die Vergiftung mit Blausäure lähmt nach H. Schröder
(ebenda 44, 1907) die Kohlensäureproduktion des Aspergillus, dagegtm
nicht völlig die Säuerst off auf nähme.
2) Die Verbrennung der Fette im Hunger zustande der Eurotiopsi?
Gayoni ist von M a z ^ allerdings nachgewiesen worden (S. 61). Der dabei
stattfindende Zuwachs an Kohlehydraten (auf Kosten des Eiweißes?)
ven^-ickelt aber den Prozeß.
3) Annal. sc. natiu*. botanique 1889 S. 269.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 693
erreicht wird (S. 669 ff.). Wir werden also annehmen müssen, daß die
hungernde Hefezelle bei niedrigen Temperaturen im wesentlichen nur
Bestandteile ihres Körpers mit Hilfe des Luftsauerstoffs oxydiert,
bei höherer Temperatur sie aber auch durch intramolekulare Atmung
zersetzt. Am nächsten ist es, dabei an die alkoholische Ver-
gärung des Glykogens zu denken; aber auch die Selbstverdauung
der Eiweißstoffe wird vielleicht einen Teil der überschüssigen Kohlen-
säure liefern. Bei Temperaturen über 50® verminderte sich die At-
mongstätigkeit und der Atmungsquotient sank allmählich wieder
unter 1, bei 60** hörte die Atmung ganz auf, ein Zeichen dafür, daß wir
es hier mit einer echten Lebenserscheinimg — natürlich imter Beteiligung
von Fermenten — , nicht mit einem rein chemischen Vorgang zu tun
hahen^).
Bei mittleren Temperaturen nimmt die hungernde Hefe nach
G T e h a n t und Quinquaud auf 1 g frischen Gewichts binnen
24 Stunden etwa 50 mg Sauerstoff auf, auf 1 g Trockengewicht also
250 mg, eine Zahl, die mit der von Schützenberger^) schon
früher erhaltenen Größe gut übereinstimmt. Wenn wir sie vergleichen
mit der Sauerstoffmenge, welche Hefe in guten Nährlösungen ver-
braucht (S. 672), so finden wir ein Verhältnis von 1 : 2 — 4, wie es nach
Kosinski (s. o.) auch für Schimmelpilze besteht. Bei höheren
Tieren und dem Menschen ist die Abnahme der Sauerstoff atmung im
Hunger eine viel geringere.
Für Bakterien besitzen wir ähnliche Untersuchungen zwar nicht,
aber die Ergebnisse, die H e s s e (S. 675) mit Kulturen, die über Wochen
und Monate, d. h. bis zum Absterben gezüchtet wurden, gehabt hat,
lassen erwarten, daß auch hier die Selbstverbrennimg ähnlich ver-
läuft, wie bei den Pilzen. Die bekannte Laboratoriumserfahrung, daß
die Lebensfähigkeit von beliebigen bakterienhaltigen Stoffen wie
Kulturen und dergleichen im allgemeinen viel länger erhalten bleibt,
wenn für niedere Temperatur imd Sauerstoffabschluß gesorgt ist, spricht
in demselben Sinne^).
Wird das Hungern zu lange fortgesetzt, so erfolgt auch bei den
Mikroorganismen schließlich der Tod (vgl. § 36 u. 37). Wieweit ihr
1) Nicht immer ist das aber wohl der Fall. So sah R u b n o r auch
bei 60* noch Kohlensäiire entweichen (Arch. f. Hyg. 55). Das erinnert
daran, daß nach Reinke (1881) selbst im trockenen Zustand eine Zer-
s<*tzung des Protoplasmas — Ammoniakabgabe — möglich ist.
2) Les fermentations, 1875 (nach D u c 1 a u x , Microbiologie 3.
228).
3) Über die Bedeutung, die die Selbstverbrennung wahrscheinlich
für die Selbstreinigung des Wassers hat s. o. S. 673 u. 676.
694
Kap. XIII, § 226 u. 227.
Körpergewicht dabei heruntergehen kann, ohne daß das Leben er-
lischt, ist nicht bekannt.
Teilweises Hungern, d. h. der Mangel des einen oder anderen
notwendigen Nährstoffes, wirkt natürlich nicht so eingreifend. Eisetzt
man z. B. nach Eosinski die gewöhnliche Nährflüssigkeit durch
einfache Zuckerlösung, so vermindert sich die Atmungsgröße viel
weniger und langsamer.
§ 227. Berechnung der Wärmeentwicklung bei der At-
mung und Gärung. Den auf den vorhergehenden Seiten (S. 669 ff.)
und in den früheren Kapiteln wiedergegebenen Formeln haben wir
überall, soweit mögHch, die Kalorienzahl beigefügt, die dem betreffenden
chemischen Prozeß entsprechen^). Wir können uns daher jetzt ein
zahlenmäßig genaues Bild machen von der bei den Atmungs- und
Gärungsprozessen entwickelten Energie und dem dabei stattfinden-
den Stoffverbrauch. Zunächst sehen wir (§ 219), daß die durch die
Oxydation entstehenden Energiemengen ziem-
lich ungleich sind, sie schwanken zwischen 18 Eal.
bei der Oxydation der salpetrigen Säure zu Sal-
petersäure und 86 Kai. bei der Verbrennung des
Traubenzuckers zu Zitronensäure, bewegen sich
allerdings gewöhnlich zwischen 50 — 60 (kleinen)
Kalorien fürjedes Milligrammatom Sauerstoff,
das gebunden wird*).
Größere Unterschiede ergeben sich, wenn man berechnet, wie-
viel Nährstoff verbraucht wird durch die Oxy-
dation mit gleichen Teilen Sauerstoff.
Tafel I. Ein Milligramm Sauerstoff verbraucht:
5,6 mg Oxalsäure zu Kohlensäure und erzeugt dabei 3,7 Eal.
3,9
2,9
1,9
1,4
1,4
1,2
0,9
97
,,
,,
,,
,J
,,
,,
Traubenzucker zu Zitronensäure
salpetrige Säure zu Salpetersäure
Weinsäure zu Kohlensäure
Alkohol zu Essigsäiire
Asparagin zu Kohlensäure
Traubenzucker zu Oxalsäure
Traubenzucker zu Kohlensäure
,,
,,
,,
,,
,,
,,
,,
5,4
1,1
3,3
3,5
3,5
3,4
3,4
»»
11
Ji
,,
IJ
,,
,»
1) Nach Ostwalds Handb. berechnet und teilweise nacli Her-
zog (Zeitschr. physiol. Chem. 37) wiedergegeben. Die unmittelbar (kalori-
metrisch) bestimmten Wärmewerte der Gärungen usw., die zum Teil nicht
mit den berechneten übereinstimmen, werden in § 237 besprochen.
2) Hier und im folgenden sehen wir ab von der Verbrennung des
Wassserstoffs, des Kohlenoxyds, des Sumpfgases usw., die auch von Mikro-
organismen geleistet werden kann (vgl. S. 116).
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 695
3,4
0,9 mg Milchsäure zu Kohlensaure und erzeugt dabei 3,4 Kai.
0,9 „ Glykokoll zu Kohlensäure „ „ ,, 3,2 „
OJ— 0,8 mg Eiweiß (Pepton) zu Kohlensäure „
0,55 mg Lenzin zu Kohlensäure „
0,5 „ Alkohol zu Kohlensäure „
0,5 „ Schwefelwasserstoff zu Schwefel-
säure
0,35 „ Ammoniak zu salpetriger Säure
0,35 „ Palmitinsäure zu Kohlensäure
3.3
3.4
» 3,2 „
Bei weitem die größten Mengen Brennstoff im Verhältnis zum
verbrauchten Sauerstoff sind also nötig bei der Verbrennung der Oxal-
säure zu Kohlensäure, des Traubenzuckers zu Zitronensäure und der
salpetrigen Säure zu Salpetersäure, umgekehrt sind sehr geringe Mengen
Brennstoff nötig bei der Verbrennung der Palmitinsäure imd anderer
höherer Fettsäuren, sowie der entsprechenden Aminosäuren imd des
Alkohols zu Kohlensäure (bzw. Kohlensäure und Ammoniak), des Ammo-
niaks zu salpetriger Säure, des Schwefelwasserstoffs zu Schwefelsäure.
Eine etwas andere Reiheiifolge und noch größere Unterschiede
erhalten wir, wenn, wir die Energiemengen vergleichen, die
gleiche Stoffmengen bei ihrer Verbrennung entwickeln.
Tafel IL
Ein Milligranmi der Nahrungsstoffe entwickelt Kalorien^):
Salpetrige Säure (Salpetersäure) 0,4 Kai.
Oxalsäure 0,7 „
Traubenzucker (Zitronensäure) 1,4 „
Weinsäure 1,7
Alkohol (Essigsäure) 2,5
Asparagin 2,5
Traubenzucker (Oxalsäure) 2,8
GlykokoU 3,5 „
^lilchsäure 3,6
Traubenzucker 3,7
Eiweiß 4,5—5,0
Ammoniak (salpetrige Säure) 4,6
Leuzm 6,0 „
Schwefelwasserstoff (Schwefelsäure) 6,4
Alkohol 7,1
Pahnitinsäure 9,2
99
1) Das Verbrennungsprodiikt ist, soweit es nicht Kohlensäiiro ist,
i^ Klammem beigefügt.
696 Kap. XllI, § 227— 228 a.
Auch hier stehen am Anfang der Reihe die drei „Oxydationßgäningen"^),
vor allem die Salpetersäure- und Oxalsäure-, dann die Zitronensäure-
gärung. Am anderen Ende finden wir ebenso wieder die vollständigen
Verbrennimgen der wasserstoffreichen und sauerstoffarmen Körper,
der Palmitinsäure, des Alkohols, Schwefelwasserstoffe, Leuzins und
Ammoniaks, die der Sprachgebrauch übrigens auch teilweise als
„Gärungen" bezeichnet.
Diesen Oxydationen durch freien Sauerstoff reihen sich, wie wir
gesehen, unmittelbar an die Verbrennungen, die bei Ab-
schluß des Luftsauerstoffs durch sauerstoff-
haltige Verbindungen erfolgen (§ 225). Auch in ihren
Energieverhältnissen ähnebi sie ihnen sehr, denn wir finden, daß
1 mg Sauerstoff
der Salpetersäure 1,9 mg Weinsäure verbraucht und 3,1 Kai. entwickelt,
„ Schwefelsäure 1,4 „ „ „ „ 1,4 „ „
Und ebenso entwickelt
1 mg Weinsäure imter dem Einfluß der denitrifizierenden
Bakterien 1,6 Kai.
1 mg Milchsäure unter dem Einfluß des Spirillum des-
ulfuricans 1,0 Kai.
Viel geringere Energiemengen liefern die
eigentlichen oder S p al t un gs gär ungen , welche
die sogenannte intramolekulare Atmung dar-
stellen (§ 223). Unter der freilich höchstens annähernd zutreffenden
Voraussetzimg, daß die früher für diese Reaktionen mitgeteilten Wärme-
werte richtig seien, können wir folgende kleine Liste^) aufetellen:
Tafel III. Ein Milligramm liefert bei der Gärung Kalorien:
Harnstoff bei der ammoniakalischen Gärung 0,23 Kai.
Traubenzucker bei der Butylalkoholgärimg 0,21 „
„ „ „ Essigsäuregärung (anaerob) .... 0,19 .,
,, „ „ Alkoholgänmg 0,12 ,,
„ „ „ Buttersäuregärung 0,08 ,,
,, „ „ Milchsäuregärung 0,08 „
Essigsäure bei der Methangärung 0,05 „
1) Vorher würden wohl kommen die Glykon- und Glykiironsäiire-
gärung des Traubenzuckers, für die \uis die Zahlen fehlen.
2) Die Reaktionswärmen einiger anderer Gärungen, z. B. der Fäulnis,
lassen wir hier beiseite, weil sie gar zu unsicher sind (vgl. § 237).
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 697
Die Zahlen bleiben sämtlicli weit hinter den niedrigsten der Tafel II
zurück. Um gleiche Energiemengen zu erzeugen,
verbraucht also die intramolekulare Atmung un-
verhältnismäßig größere N ähr st o ff mengen als
die Sauer 8-toffatmung. Damit haben wir bis zu einem ge-
wissen Grade eine Erklärung für die großen Unterschiede, die wir
bei dem Studium des Stoffverbrauches durch die Mikroorganismen
finden, je nachdem sie Gärung erregen oder nicht (vgl. § 232 — ^234).
§ 228. Yerf Ifissigungs- and Verdauungsvorgänge. Hydro-
lysen^). Während die bisher betrachteten Stoffumwandlungen im
wesentlichen innerhalb der Zellen verlaufen und daher notwendiger-
weise für den Kraftwechsel der Mikroorganismen von Bedeutung sind,
trifft das weniger zu für die mehr der Vorbereitung (Verdauung) des
Nährbodens dienenden und daher häufig extrazellular bewirkten
Hvdratations- imd Verflüssigungsvorgänge, d.h. die Lösung und ober-
flächUche Spaltung der Di- und Polysaccharide (§ 69 — 83a), Glykoside
(§ 153—156, 158 u. 158a), Eiweißkörper (§ 165 u. 166), Fette (§ 137
u. 138) usw. Sie scheinen übrigens auch sämtlich einen sehr ge-
ringen Energie wert ^) zu haben. Daß diese Vorgänge durch
Enzyme vermittelt werden, haben wir in den einzelnen Abschnitten
gesehen. Sie hier noch anzuführen, erübrigt sich wohl. In vielen Fällen
von Vergärung der zusammengesetzten Kohlenhydrate durch Bak-
terien (s. Milchsäure-, Buttersäure-, Sumpfgasgärung) kennen wir
bisher keine hydrolytischen Enzyme, die die eigentliche Gärung vor-
bereiten, vielleicht wird ihre Anwesenheit auch mit Unrecht voraus-
gesetzt, da es ja nicht sicher ist, daß eine hydrolytische der tieferen
Spaltung notwendig vorhergehen muß. Immerhin bestände zum Teil
die Möglichkeit, daß die bisherigen Mißerfolge nur auf den Schwierig-
keiten der Darstellung bzw. auf der geringen Widerstandsfähigkeit
der Enzyme beruhen (§ 240). Sicher ist jedenfalls, daß manche hydro-
Ijlischen Enzyme nur mit Mühe aus den Zellen befreit werden können.
Gerade von ihnen könnte man am ehesten erwarten, daß sie doch etwas
zur Eraftlieferung beitrügen.
§ 228a. Reduktionen^). Die mit Oxydation anderer Stoffe
einhergehenden Reduktionen (der Nitrate, Nitrite, der Schwefelsäure,
Kohlensäure), die zwar große Energiemengen verbrauchen, aber noch
größere erzeugen, haben wir schon eben besprochen (§ 225 u. S. 696).
Andere durch das Leben der Mikroorganismen bewerkstelligte Reduk-
1) Vgl. S 60.
2) Vgl. z. B. § 127. Über die „Harnstoffgärung" vgl. voricre S. u. S. 597.
3) Vgl. § 63.
698 Kap. XIII. § 228a^229.
tionen haben wir bei der Mannitgärung des Zuckers (§ 124 — 126),
den Veränderungen der Farbstoffe, des Schwefels, der tellurigen und
selenigen Säure, des Arsens usw. behandelt. Wahrscheinlich verbrauchen
sie ebenso wenig Wärme, wie die entsprechenden durch die sogenannten
Oxydasen bewirkten Oxydationen der aromatischen Körper (S. 466)
Wärme bilden. Es liegt das vor allem daran, daß sie einen zu geringen
Umfang haben. Nur die Mannitgärung macht eine Ausnahme und
sie erzeugt bemerkenswerterweise Wärme, verbraucht keine.
Reduktionsenzyme haben wir bei den Reduktionen der Farb-
stoffe (§ 161), Nitrate (§ 197), der Bildung von Schwefelwasserstoff
aus Eiweiß (§ 205) und Schwefel (§211) erwähnt. Ihr Vorhandensein
ist aber wohl nicht immer anzunehmen.
§228b. Anhydridbildnng und Kondensationen. Gerinnung^).
Größer ist dagegen offenbar wieder die biologische Bedeutung der
erstgenannten Vorgänge, vor allem die Kondensation des Zuckers
zu Stärke, Glykogen, Zellulose oder Schleim, die, wie wir sahen, sogar
oft in solcher Ausdehnung erfolgt, daß man von einer schleimigen
„Gärung" usw. sprechen darf {§ 127 — 130). Trotzdem ist der Energie-
wert dieser Vorgänge ebenso wie der der Verflüssigung und Verdauung,
deren Umkehrung sie darstellen, ein geringer, ob sie nun, wie gewöhn-
lich, Wärme binden, oder, wie bei der Dextrangärung (S. 403), Wärme
bilden. Wahrscheinlich gilt das gleiche für die Kondensation des Eiweißes
aus Pepton (Polypeptiden) und Aminosäuren^) imd die Bildung der
Fette aus Glyzerin imd Fettsäuren (§ 152).
Über die biologische Bedeutung der Gerinnungsvorgänge, ins-
besondere der bisher allein leidlich bekannten Labgerinnung, wissen wir
fast nichts (§ 177). Ihr Wärmewert scheint ganz gering zu sein. Bei
der Gerinnung der Milch durch Lab sah R u b n e r *) weder Wärme
verschwinden noch entstehen, wohl eine gewisse Wärmebildung bei der
Koagulation anderer Eiweißkörper*).
Wahrscheinlich werden alle diese Vorgänge durch Enzyme ver-
mittelt, und zwar vielleicht durch dieselben, die Verflüssigung und
Hydrolyse verursachen. Jedenfalls ist es gelungen, mit Hilfe der
Maltase (§ 79), Laktase (§ 82), des Hefeemulsins (§ 154), des Hefe-
preßsaftes (§ 90) Di- und PoljTsaccharide sowie phosphorhaltige orga-
nische Verbindungen aus ihren Bestandteilen aufzubauen. Vgl. die
Umkehrbarkeit der enzymatischen Vorgänge (§ 251).
1) Vgl. § 64 u. 65.
2) Vgl. Herzog, Zeitschr. physiol. Cliem. 37. 390, 1903.
3) Arch. f. Hyg. 57. 254, 1906.
4) Ebenda 55. 266.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 699
§ 229. Stoffaufbaui). Bildung der Kohlenhydrate. Wenn
wir auch aus den eben erwähnten Tatsachen entnehmen können, daß
Synthesen einfachster Art ebenso wie Spaltungen, Oxydationen usw.
durch Enzyme vermittelt werden, und wenn wir daraus die Vermutung
schöpfen, das ähnliches gilt für die verwickelten Synthesen, so wissen
wir nichts Sicheres zu sagen über die Wege, auf denen der Aufbau
des Zellprotoplasmas und der übrigen Zellbestandteile aus den einfachen
Bausteinen der Nahrung vor sich geht. Mit anderen Worten, die „Assi-
milation^* der Nahrung ist uns immer noch ein Buch mit sieben Siegeln,
so groB in den letzten Jahrzehnten die Fortschritte unserer Kenntnisse
von den dem Kraftbetrieb dienenden Zersetzungsvorgängen, der „Dissi-
milation", gewesen sind. Immerhin dürfen wir uns begründete Vor-
stellungen machen über den Energieaufwand, der zum Aufbau der
Zellsubstanzen nötig ist, und können auch gewisse Möglichkeiten der
Synthesen ins Auge fassen.
Die Kohlenhydrate kommen in der Zellmembran, den
„Reservestoffen" (Glykogen, Stärke usw. § 27), in geringer Menge
auch im Eiweißmolekül vor. Sie können fast aus jedem kohlenstoff-
haltigen Nahrungsstoffe gebildet werden.
Der Aufbau der Kohlenhydrate aus der Kohlensäure, der
bei den Pflanzen die Regel bildet, findet nur bei wenigen allerdings
weit verbreiteten Mikroorganismen statt, den Salpeter- (§ 196) imd
Schwefelsäurebakterien (§ 210), wahrscheinlich aber nicht bei den Pur-
purbakterien (§ 209). Was man darüber weiß, haben wir schon früher
mitgeteilt. Der Vorgang der Assimilation selbst ist dunkel wie der
der Eohlensäureassimilation durch die grünen Pflanzen. Man hat
höchstens das Recht, als wahrscheinliches Endprodukt eine Hexose
CjHjjO^ zu betrachten. Ob als erstes Zwischenprodukt Kohlenoxyd CO,
weiter Formaldehyd CHgO und aus diesem durch Polymerisierung
oder Kondensation der Zucker hervorgeht, wie schon B a e y e r ver-
mutete, oder Ameisen-, Oxal-, Weinsäure imd dergleichen, ist unbekannt.
Da es für die Energieleistung gleichgültig ist, auf welchem Wege sie
erfolgt, wird sie in jedem Falle ausgedrückt durch die Gleichung:
6CO2 + 6H2O == CeHijOe + 6O2 (— 696 Kai.).
Der Prozeß ist also eine Reduktion, die einen großen Energieaufwand
erfordert. Bei den grünen Pflanzen leistet ihn bekanntlich mindestens
zum Teil das Licht unter Beihilfe des Chlorophylls, Sauerstoff wird
dabei in derselben Menge frei, wie Kohlensäure verschwindet. Bei
den Mikroorganismen fehlt die Beteiligung des Lichtes, und die ge-
1) Vgl. § 66.
700 Kap. XIII, § 229 u. 230.
samte Energie wird durch Verbrennung des Ammoniaks, der salpetrigen
Säure oder des Schwefelwasserstoffe bzw. Thiosulfats aufgebracht.
Wahrscheinlich beteiligt sich daran der aus der Kohlensäure frei-
werdende Sauerstoff (§ 225), aber in viel höheren Grade noch der freie
Luftsauerstoff, so daß die gesamte durch die Oxydation aufbrachte
Energie die zum Stoffaufbau erforderliche um ein Vielfaches übertrifft.
Mit weit geringerem Kraftaufwand bauen die Mikroorganismen
natürlich den Zucker aus organischen Verbindungen auf. So könnte
man sich allenfalls vorstellen, daß er aus der Essig- und Milch-
säure durch einfache Umkehrung der Reaktion entstände,
die wir bei der anaeroben Essig- und Milchsäuregärung kennen gelernt
haben (§ 103 u. 99):
SC^HA = CeHi,Oe (- 34 Kai.)
2C3He03 = CeHi^Oe (- 15 Kai.)
Aerobe Mikroorganismen werden diese ganze Wärmemenge leicht ge-
winnen können durch Oxydationsprozesse, anaerobe, die ebenfalls
gelegentlich mit diesen Säuren als einzigen Kohlenstoffquellen auszu-
kommen scheinen (§ 141 u. 142), müssen schon erheblichere Stoffmengen
vergären, um die Assimilation zu ermöglichen. Wenn sich die Ansicht
M o 1 i s c h s bestätigt, daß die Furpurbakterien ihren Kohlenstoff-
bedarf nicht der Kohlensäure, sondern organischen Stoffen entnehmen
und zu ihrer Assimilation wenigstens unter natürlichen Bedingungen
des Lichtes bedürfen, so würde hier das licht die Kräftezufuhr durch
Oxydationen oder Gärungen zum Teil überflüssig machen.
Etwas verwickelter scheinen von vornherein die Verhältnisse,
wenn der Aufbau des Zuckers aus sauerstoffreichen Säuren, wie Oxal-
säure, Äpfelsäure, Weinsäure, Zitronensäure
geleistet werden soll, wie es bei den meisten bei Gegenwart von Luft-
sauerstoff, bei einigen auch bei Sauerstoff abschluß geschieht; Reduk-
tionen sind dazu nötig, die man natürlich sehr billig durch nasrieren-
den Wasserstoff erfolgen lassen könnte. Nur vereinzelt ist aber selbst
bei den anaeroben Vergärungen der genannten Säuren die Entbindung
von Wasserstoff nachgewiesen (S. 415). Man wird also an andere Wege
denken müssen. Diese bieten sich insofern dar, als zu den Spaltungs-
produkten dieser Gärungen gewöhnlich Essigsäure gehört, von der aus
der Aufbau des Zuckers leicht verständlich ist (s. o.). Selbst da aber,
wo sich freier Sauerstoff beteiligt, wäre ein ähnlicher Umweg über
die Essigsäure nicht ausgeschlossen. Das gleiche gilt für den Aufbau
des Zuckers aus Äthylalkohol, der ja nur Aerobiem möglich zu sein
scheint. Die bekannte aerobe Essigsäuregärung (§ 135) wäre sonach
ein Vorgang, der zu Zwecken der Synthese öfter in Frage käme,
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 701
als wir zunächst nach seiner bescliränkten Verbreitung als „Gärung'*
annehmen dürften.
Für die Bildung der Zucker aus Glyzerin, Mannit und anderen
höheren Alkoholen könnte man, soweit sie ohne freien Sauerstoff
verlaufen, Umkehrungen der früher besprochenen Gärungsprozesse
(§ 106 u. 124) heranziehen, wenn man nicht auch hier wieder die Bil-
dung aus der Essig- oder Milchsäure, die beide oft genug aus der
anaeroben SiCrspaltung der höheren Alkohole hervorgehen (§ 131), bevor-
zugen will. Durch einfache Oxydation werden wohl nur bestimmte
Zuckerarten aus den Alkoholen entstehen (vgl. Sorbosegärung § 132).
Die Bildung von Polysacchariden aus Hexosen (und Pentosen)
haben wir schon im § 228 b besprochen. Sie erfordert die geringsten
Energieleistungen.
Daß Zucker von Kleinwesen auch aus Fetten und Eiweiß-
k ö r p e r n ^) aufgebaut werden können, ist nach zahlreichen Er-
nährungsversuchen (§ 33 und 149) nicht zu bezweifeln. Die ersteren
werden dabei vielleicht sogar wieder zu Essig- oder Milchsäure oxydiert,
die letzteren — wohl in der bekannten Weise ebenfalls zu niederen
Fettsäuren — gespalten werden müssen. Im ersteren Fall
wird Wärme entwickelt (§ 230), im letzteren ge-
bunden (§ 231). Gerade weil das so ist, wird man die Ansicht Mazes
(S. 61), nach der bei der Selbstverdauung bzw. Selbstverbrennung
der Eurotiopsis Gayoni Kohlenhydrate aus Eiweiß, nicht aus Fetten
entstehen sollen, mit Mißtrauen betrachten müssen.
§ 230. Bildung der Fette. Die Fette sind überall auch bei
)Iikroorganismen nachgewiesen (§ 26), sie stellen wohl teils Vorrats-
stoffe, teils Hüll- oder Schutzstoffe dar. Entstehen können sie aus
allen möglichen organischen Stoffen, einschließlich der Kohlenhydrate
und des Eiweißes, wie die erfolgreichen Versuche, Mikroorganismen
mit solchen Stoffen zu ernähren (§ 33), gezeigt haben. Über die Art
und Weise, wie das geschieht, ist freilich fast nichts bekannt. Der
Vorgang muß im allgemeinen der einer kräftigen Reduktion
sein, da die Fette viel wasserstoffreicher und sauerstoffärmer als alle
übrigen Nährstoffe sind. Die dafür aufgestellten Formeln sind sämt-
lich hypothetisch und weichen sehr voneinander ab^). Im allgemeinen
1) Über die Art der Bildung wissen wir auch bei Tieren nichts sicheres,
(irube (Pflügers Archiv 122. 451) fand neuerdings in Durchblutungs-
versuchen an der Leber der Schildkröte die Tlieorien, nach denen Zucker
^(Jlykogen) im Tier aus Leuzin oder Alanin oder Gly kokoll entstehen soll,
nicht bestätigt.
2) Vgl. Rosenfeld, Fettbildung in Asher-Spiro Er-
gebnisse der Physiologie 2. 89, 1903.
702 Kap. XIII, § 230 u. 231..
setzen sie Kohlenhydrate als Ausgangsstoffe voraus. Die Er-
fahrungen, sie mit der Ernährung des Tuberkelbazillus, dieses be-
sonders fettreichen Mikroorganismus, gemacht worden sind, haben aber
ergeben, daß Glyzerin ein für ihn fast geradezu unentbehrUcher
Nahrungsstoff ist, ja sogar durch Fette selbst oder Lezithin nicht
vollständig ersetzt werden kann. Der Gehalt des Tuberkelbazillen-
fetts an Glyzerin ist daran wohl allein nicht schuld, da er verhältnis-
mäßig unbedeutend ist. Auffallend ist, daß alle fettreichen Organismen
sehr luftbedürftig sind, ja ohne Sauerstoff überhaupt nicht leben können.
Man darf aber annehmen, daß das bei dem geringen Sauerstoffgehalt
des Fettes mit der Fettbildung unmittelbar nichts zu tun hat, während
umgekehrt die Entstehung anderer Eörperbe-
standteile aus Fett kaum ohne die Beteiligung
freien Sauerstoffs gedacht werden kann. Das lehrt
schon die Zusammenstellung der empirischen Formeki, die wir auf
S. 668 gegeben haben, und die Tatsache, daß die Mikroorganismen,
die mit Fett als einziger Eohlenstoffquelle auskommen, die luftUeben-
den Schimmelpilze sind. Zum großen Teil erklärt sich der Lufthunger
des Tuberkelbazillus daraus, daß die Reduktion der Kohlen-
hydrate oder des Glyzerins zu Fetten einen star-
ken Energieaufwand erfordert, der nur durch nebenher-
laufende energische Oxydationen geleistet werden kann. In der Tat
erfolgt z. B. die Bildung des Fettes nach der H a n r i o t sehen Gleichung:
118'^ 33 2
C18H35O2+23CO2+26H3O
unter starker Wärmebildung (gegen 600 Kai.). Da der Tuberkelbazillus
bis zu 30 und mehr Prozent Fett enthält, stellt seine Bildung eine sehr
erhebliche Arbeitsleistung dar. An dem Energiebedarf wird selbst-
verständlich weiter nichts geändert, wenn wir uns vorstellen, daß die
Bildung der Fette auch aus dem Zucker erst auf dem Umwege über
niedere Fettsäuren erfolgt.
Aus dem in § 231 Gesagten ist ebenfalls die Folgerung abzuleiten,
daß, wenn aus Eiweiß Fett entstehen soll, das nur
mit einem beträchtlichen Energieaufwand mög-
lich ist. Von vielen Seiten wurde früher namentlich für patho-
logische Zustände höherer Tiere die MögUchkeit dieser Stoff-
wandlung behauptet; neuerdings wird sie gerade hier mit guten Gründen
bestritten^). Allerdings hat es auch bei Bakterien und Schimmelpiken
1) Rosenfold, Asher- Spiro Ergebnisse der Physiologie 1 und
2, 1902 und 1903.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 703
öfter den Anscliein, als ob die Entstehung des Fettes in
alternden Zellen gewissennaßen mit Händen zu greifen wäre
(§ 22), man sieht es wenigstens reichlich in Tropfenform in Zellen er-
scheinen, die vorher frei davon schienen^). Genauere Analysen haben
aber bei den „fettig degenerierten" Organen höherer Tiere ergeben,
daB der Schein trügt, daß das Fett schon vorher, nur nicht in Form
von Tropfen, in den Zellen vorhanden ist. So könnte es wohl auch bei
den Mikroorganismen sein. Man sieht von vornherein auch nicht ein,
wie und zu welchem Zwecke ein Vorgang, der soviel Arbeit erfordert,
gerade in absterbenden Zellen eintreten sollte. In der Tat fand denn
auch Maze, wie wir früher sahen (S. 61), bei der Analyse von Kulturen
eines Schimmels, der Eurotiopsis Gayoni, bei Luftzutritt, je älter sie
wurden, sogar um so weniger Fett. Dem steht freilich die Angabe
D u c 1 a u x' (S. 59) gegenüber, nach der in alter Hefe der Fettgehalt
sich erheblich vermehrt haben soll. Vielleicht erklärt sich der Wider-
sprach aber daraus, daß das Fett beim Fortschreiten der Selbstverdau-
ung nur einen relativ größeren Bestandteil in den Hefezellen aus-
macht, absolut aber nicht an Masse zunimmt. Wie dem auch sei,
80 ist doch, wie oben schon bemerkt, unbestreitbar, daß die Kleinwesen
auch bei reiner Ernährung mit Eiweißstoffen, Fett und Lezithin in
gewissen Mengen in ihrem Körper bilden, also unter physiologischen
Bedingungen, d. h. beim Wachstum, ein unmittelbarer oder mittel-
barer Übergang des Eiweißes in Fett möglich ist, offenbar weil
die Kraftquellen dabei reichlich fließen.
§ 231. Bildung der Eiweißkörper. Der wichtigste Bestand-
teil der Zelle, das Eiweiß, entsteht entweder aus stickstofffreien Kohlen-
stoffverbindungen und Ammoniak oder aus stickstoffhaltigen Ver-
bindungen allein (§ 32 u. 33). Auf diese Fälle lassen sich wenigstens
alle übrigen zurückführen. Allerdings genügt vielen Mikroorganismen
auch ein salpetersaures Salz zur Stickstoffernährung, aber aller Wahr-
scheinlichkeit nach muß die Salpetersäure die Umwand-
lung in Ammoniak erfahren, ehe sie assimiliert
wird (§ 199). Ebenso wird die Kohlensäure wohl erst in einfache
organische Substanzen (S. 699) übergeführt werden müssen, bevor sie
zum Aufbau des Eiweißes weiter verwandt wird.
Mit diesen Sätzen hört aber auch fast unser
ganzes Wissen über die Eiweißsynthese auf. Wir
1) Die Fettbildung in Milzbrandbazillen, die auf Glyzerinnährböden
gezüchtet werden (S. 48), erfolgt so schnell, daß man kaum von einer
nachträglichen Umwandlung des Eiweißes in Fett sprechen darf.
Wahrscheinlich wird hier schon beim Wachstum auf Kosten des Glyzerins
Fett gebildet. Analysen fehlen.
704 Kap. Xni, § 231.
kennen zwar ein anscheinend notwendiges Zwischenstadiam, das de
Aminosäuren, und könnten uns vorstellen, daß diese aus den ent-
sprechenden Säuren (Essig-, Propion-, Butter-, Baldrian-, Kapron-
säure, Bernstein- und Glutarsäure, Phenyl- und Oxyphenylpropion-
säure, Indolpropionsäure usw.) hervorgingen, in dem sie mit Ammoniak
zusammenträten, z. B. nach der Gleichung:
CgHeO^ + NH3 = C^H^NO^ + H^ .
Propionsäure Alanin
Die Propionsäure selbst könnte femer auf dem Wege über die Milch-
säure aus dem Traubenzucker entstehen, der Aufbau des Alanins aus
Zucker und Ammoniak sich also ausdrücken lassen durch die Gleichung:
1) CeHiA + 2 NH3 = 2 CgH^NO^ + 2 H^O (+ 63 Kal.i)) .
In ähnlicher Weise würde man sich auch die Bildung der übrigen
Aminosäuren aus dem Zucker vorstellen können, z. B. GlykokoU her-
leiten aus der Gleichung:
2) CeHi^Oe + 3 NH3 = 3 CgH^NO^ + 3 H^ (+ H Kai.) ,
Leuzin aus der Gleichung:
3) CeHiA + NH3 = CeHigNOg + H^O -f 3 0 (- 101 Kai.),
Tyrosin aus der Gleichung:
4) 3C6H12O6+ 2NH3 = 2C9H11NO3+ IOH2O+ 20 (+ 44 Kai.)
Asparagin aus der Gleichung:
5) 2CeHi20e + 3NH3 = 3C4H7NO4 + öHg (+ 31 Kai.).
So einfach vielleicht diese Umsetzungen in den Formeln erscheinen,
so fraglich ist es, ob sie tatsächliche Vorgänge ausdrücken, und so
verwickelt sind sie in ihrer Gesamtheit, weil aus einemunddem-
selben Stoff, also z. B. dem Zucker, der Essig- oder Milchsäure,
dem Glyzerin, der Weinsäure, gleichzeitig alle diese verschiedenen
Aminosäuren, und zwar wohl in ziemlich bestimmten Mengenver-
hältnissen (s. u.), entstehen sollen.
Auch wenn wir statt von stickstofffreien Körpern und Ammo-
niak von stickstoffhaltigen Nahrungsstoffen, z. B. den A m i n o -
1) Diese Zahl ist etwas zu hoch, da das Ammoniak nicht frei zur
Verfügung steht, sondern erst aus seiner Verbindung mit einer Säure ab-
gespalten werden muß. Dazu sind etwa 25 Kai. nötig. Die freiwerdende
Säure wird sich dann freilich eine andere Bindung suchen und dadurch
wieder Wärme erzeugen. Genaue Angaben sind nicht möglich, aber für
unseren Zweck auch nicht nötig, da wir nur einen ungefähren Anhalt geben
wollen.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 705
säuren selbst ausgehen, wird die Sache nicht durchsichtiger. Viele
Erfahrungen, insbesondere die C z a p e k s (S. 119), beweisen, daß eine
einzige Aminosäure, z. B. das Leuzin und Alanin oder das Amid eines
solchen (Asparagin), als einzige Kohlen- und Stickstoff quelle
genügt, um das Eiweiß der Mikroorganismen aufzubauen. Man schließt
im allgemeinen daraus, daß aus einer Aminosäure die Gesamtheit
allerübrigen, die wir Eiweiß nennen, hervorgehen kann. Streng
genommen ist der Beweis freilich noch nicht geführt, weil bisher noch
in keinem Falle das bei solcher Ernährung ge-
erntete Eiweiß in seiner Zusammensetzung geprüft worden ist.
Diese Lücke wäre auszufüllen. Vielleicht ergeben sich da doch noch
interessante Aufschlüsse über die Entstehung der einzelnen Amino-
säuren. Greben wir aber einmal die verwickelte Zusammensetzung des
bei einfacher Ernährung entstandenen Eiweißes der Kleinwesen zu,
so müssen wir wieder nach den Wegen fragen, auf denen aus den ein-
zeben Aminosäuren alle übrigen sich bilden. Findet dabei nur immer
eine in ihrer Ausdehnung möglichst beschränte Umwandlung der nähren-
den Aminosäure statt, oder wird diese regelmäßig erst tief gespalten
— z. B. nach den Gleichungen, die wir in § 168 — 174 kennen gelernt —
um dann in ihren Bruchstücken dem Aufbau zu dienen ? Wir können
darauf vorläufig keine Antwort geben, wenn auch vielleicht die Er-
fahrungen, die F. Ehrlich jüngst bei der Ernährung der Hefe durch
.Vminosäuren gemacht hat (§ 173), für den zweiten Bildungsweg sprechen.
Sind die Aminosäuren erst gebildet, so erfolgt nach der neueren,
insbesondere durch E. Fischers Arbeiten begründeten Auffassmig
ihre weitere Zusammensetzung einfach in der Weise, daß sie sich paar-
weise mit ihren Karboxyl- und Amidogruppen unter Austritt von Wasser
verkuppeln, — eine Umkehrung des Hydratisierungsprozesses, den wir
unter dem Namen der Peptonisierung kennen (S. 698). Die dazu
nötige Energie scheint keine erhebliche, die
Hauptarbeit vielmehr schon mit der Bildung
derAminosäuren selbst geleistet zu sein. Versuchen
wir diese letztere zu berechnen, so erhalten wir auf den ersten Blick
^in merkwürdiges Ergebnis. Wie unsere Gleichungen 1 — 5 zeigen,
verläuft die Bildung der Aminosäuren aus Zucker und Ammoniak
meist unter Entwicklung von Wärme und nur die des Leuzins
unter Bindung von solcher. Das Schlußergebnis würde also davon
abhängen, in welchem Mengenverhältnis die Aminosäuren in das Eiweiß-
molekul eintreten. Wenn man so folgern wollte, würde man aber einen
Fehler begehen: so wie sie sind, geben uns die Formeln überhaupt
kein völlig zutreffendes Bild über die energetischen Verhältnisse der
Aminosäurenbildung, weil hier die Entwicklung von Wasserstoff
KroBc, Mikrobiolo^e. 45
706 Kap. Xm, § 231.
vorausgesetzt wird, die in Wirkliclikeit bei der Assimilation nicht
zu beobachten ist. Um eine richtige Vorstellung zu bekommen, gehen
wir daher besser von einer der empirischen Eiweißformeln aus nnd
suchen uns die Bildung des Eiweißes aus Zucker und Ammoniak in
ähnlicher Weise zurechtzulegen, wie es in unseren obigen Gleichungen
geschehen ist. Wir sehen dann, daß wir einen Reduktionsvorgang vor
uns haben, der, wie zu erwarten, unter Wärmebindung verläuft.
Er ist nämlich^):
6) 8 CeHigOe + 12 NH3 = 6 C^JSfi^ + 27 HgO + 3 0 (— 250 Kai.) .
Um ein Milligramm-Molekül (180 mg) Zucker in Eiweiß (139 mg) zu
verwandeln, bedarf es also 25,5 mg Ammoniak und einer Energie von
ca. 31 Kai., oder um 1 Milligramm Eiweiß zu erzeugen, sind
nötig 1,3 mg Zucker, 0,18 mg Ammoniak und 0,22 Eal.,
d. h. eine Wärmemenge, die rechnungsmäßig durch
vollständige Oxydation von etwa 0,07 g Zucker
oder durch alkoholische Vergärung von noch
nicht 2g Zucker erzeugt wird (vgl. § 227). Die Ausnützungs-
versuche, die wir später ausführlich besprechen werden (§ 232 ff.),
zeigen, daß tatsächlich selbst im günstigsten Falle von den Kleinwesen
sehr viel mehr Nährstoff verbraucht bzw. Energie erzeugt wird, als zum
Aufbau ihrer Körpersubstanz nötig wäre.
Ähnliche Zahlen, wie wir hier für die Ernährung mit Zucker aus-
gerechnet haben, ließen sich feststellen für die übrigen Arten der Er-
nährung, z. B. mit leichter Mühe für die Essig- und Milchsäure, da sie
dieselbe Zusammensetzung wie der Traubenzucker haben und durch
bekannte Umsetzimgen aus ihm hervorgehen.
Wir wollen als besonders interessant hier nur den Fall heraus-
greifen, daß als einzige Kohlenstoff quelle Fette zur Verfügung
stehen. Die Bildung von Eiweiß scheint mögUch auf Grund folgender
Gleichimg^) :
7) Cs^iosO« + I4NH3 + 430 = TCgHigNjOj + 28H2O.
Triolein Eiweiß.
Zum Unterschied von imserer Gleichung 6 sieht man bei dieser Syn-
these den Sauerstoff eingreifen. Der Aufbau des Eiweißes aus
1 ) Wir haben die einfachste Eiweißformel und den Stohmann-
schen Wert für die Verbrennungswärme des Eiweißes (6711) gewählt.
Auch wenn man die verwickelte Stohmannsche Durchschnittsformel
benutzt, erhält man nicht wesentlich andere Zahlen.
2) Die Formel des Trioleins lautet eigentlich C^J^i^ß^, wir halx*n
sie der leicliteren Rechnung wegen etwas verändert.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechael. 707
Fett ist also keine Reduktion, sondern eine Oxy-
dation; wir beobachten sie in der Tat nur bei strengen Aerobiern,
z- B. Schimmelpilzen. Daraus folgt schon, daß sie keinen Energieauf-
wand erfordert, sondern selbst Wärme, imd zwar in nicht un-
erheblicher Menge, entbindet. Führen wir die Rechnung aus, so
finden wir, daß zum Aufbau von 1mg Eiweiß etwa
0,67 mg Fett (Triolein), 0,18 mg Ammoniak und
0,53 mg Sauerstoff erforderlich ist, wobei 1,3 Kai.
frei werden. Auch hier werden wir sehen (§ 232), daß die
Mikroorganismen tatsächlich sehr viel mehr Substanz verbrauchen
und Energie erzeugen.
Die im vorstehenden gegebene Darstellung der Energieverhältni8se_
bei der Eiweißbildung bleibt gültig, obwohl -vrrr nicfits näheres über
den Weg wissen, der dabei eingeschlagen wird. Die Rätsel, die da noch
zu lösen sind, erscheinen verständlicherweise immer größer, je mehr
wir versuchen, in den Aufbau des eigentlichen Proto-
plasmas einzudringen. Wenn wir uns selbst das Eiweißmolekül
aus seinen zahlreichen Kernen, den Aminosäuren, aufgebaut denken,
so haben wir damit ja noch nicht das „lebende'* oder „natürliche**
Eiweiß in Händen. Die frühere Anschauung, die namentlich Pflüger^)
vertrat, daß dieses lebende Eiweiß in seiner Konstitution vollständig
abweiche von dem toten, das wir allein der Analyse unterwerfen, ist
freilich nach unseren heutigen Kenntnissen nicht mehr berechtigt.
An die wesentliche Rolle, die die labile Zyangruppe in dem lebenden
Eiweiß spielen sollte, kann man jetzt kaum mehr glauben, wo wir
wissen, daß der Harnstoff durchaus kein notwendiges und ursprüng-
liches Produkt des Stoffwechsels ist. Fehlt er doch bei den Mikro-
organismen anscheinend ganz, und entsteht er doch auch bei den höheren
Tieren erst durch Synthese aus dem kohlensauren Ammoniak. Auf
der anderen Seite hat uns die fortschreitende Forschung, insbesondere
das Studium der Gärungs- und Imimitätserscheinungen, mit so vielen
merkwürdigen Eigenschaften des lebenden Eiweißes bekannt gemacht,
daß wir daraus auf eine überaus verwickelte Struktur schließen müssen^).
Mit den Aminosäuren ist es allein sicher nicht getan, sie bilden wohl
nur das Gerüst, an das sich die übrigen besonders lebenswichtigen
„Seitenketten" angliedern. Das Schlimme ist aber, daß wir gerade
von der chemischen Natur imd Bildungsweise derselben, zu denen En-
zyme (Kap. XIV) und andere „Hilfsstoffe" (Kap. XVI u.XVII) gehören,
nichts wissen.
1) Pflügers Archiv 10, 1875.
2) Vgl. dazu § 67 u. 68.
45*
708 Kap. XIII, § 231 u. 232.
Aus dieser Erkenntnis folgt, daß auch die fertigen Eiweißstoffe,
seien sie nun „natürlich" oder „denaturiert", wenn sie den Organismen
in der Nahrung dargeboten werden, erst assimiliert, d. h. in bestimmt«
Weise umgewandelt werden müssen, ehe sie in dem Protoplasma auf-
gehen^). Vielleicht besteht diese Veränderung in einer Synthese der
oben erwähnten eigenen Seitenketten mit dem (denaturierten) Eiweiß-
skelett der Nahrung.
Daß große Energieleistimgen mit dem Übergang des Eiweißes
aus dem „tot^n" in das „lebende" Eiweiß verbunden sein sollten,
dafür haben wir keine Unterlage. Diejenigen, für die das Leben eine
besondere Kraft, z. B. ein eigentümlicher Schwingungszustand der
Atome ist, könnten es natürlich annehmen.
§ 252. Stoff- und Kraf twcchselrechnang. Ausnutzung und
Verbrauch der Nahrung bei Schimmelpilzen. Kennt man die
sämtlichen Stoffwechselvorgänge im Leben der Kleinwesen nach
ihrer Beschaffenheit und Größe, so ist es ein leichtes, auch eine Eech-
nung über den Stoffansatz imd den Stoffverbraucb im Verhältnis zu
den dargebotenen Nahrungsmengen, eine sogenannte Bilanz des Stoff-
wechsels aufzustellen. Daraus ist dann auch der Kraftwechsel zu be-
rechnen, wenn man nicht vorzieht, ihn unmittelbar auf thermischem
Wege zu bestimmen. Bisher ist man nur in wenigen Fällen diesem
Ziele einigermaßen näher gekommen. Indessen haben wir doch auch
ohne genaue Kenntnis der Einzelheiten des Stoffwechsels die Möglich-
keit, uns ein ungefähres Bild von seinen Endergebnissen auf verhältnis-
mäßig einfache Weise zu verschaffen, indem wir in der auf dem Nähr-
boden entstandenen „Ernte" der Kleinwesen, dem Nährbodenrest und
dem unbenutzten Nährboden das Trockengewicht oder die wesent-
lichen Elemente, wie z. B. den Stickstoff, oder besonders wichtige oder
leicht bestimmbare unverbrauchte Bestandteile der Nahrung, wie z. B.
den Zucker, imd deren Zersetzungsprodukte, z. B. die Milchsäure und
den Alkohol, oder aber den gesamten Verbrennungswert feststellen
xmd zur Ergänzung schon während der Züchtung den Gaswechsel, z. B.
die Sauerstoff aufnähme imd Kohlensäureentwicklung (§ 220 u. 221)
und die Wärmeabgabe (§ 237) verfolgen.
Die auf dem einen oder anderen Wege erhaltenen Stoffwechsel-
bilanzen sollen im folgenden besprochen werden. Wenn wir die in
dem ursprünglichen „Nährboden" enthaltenen Stoffe oder Spann-
kräfte mit n, die in der Mikrooiganismenemte — dem „Ansatz" —
1) Wir sehen hier von der noch nieht für alle Fälle entschiedenen
Streitfrage ab, ob das Nahningseiweiß vor der Assimilation erst in die
Eiweißkerne (Aminosäuren) gespalten werden muß, oder ob es als solches
aufgenommen wird.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel.
709
enthaltenen mit a, die außerdem im Stoffwechsel verbrauchten
— den „Verbrauch" im engeren Sinne — mit v und die Summe von
Ansatz und Verbrauch, den „Umsatz" (oder Gesamtverbrauch) mit u be-
a
zeichnen, ergibt uns das Verhältnis - den „Ausnützungskoeffizienten"
a
(kurz Ausnützimg oder Ausbeute), das Verhältnis - den „Verbrauchs* '-
oder „ökonomischen Koeffizienten" (Pfeffer) und der Quotient
u
von beiden — den „Umsatzkoeffizienten'^
n
Grundlegende Experimente über Ausnützung des Nährbodens
durch Schimmelpilze verdanken wir R a u 1 i n (S. 89) : er konnte auf
seiner Nährlösung im günstigsten Falle etwa 33% der Nährstoffe im
Trockengewicht des Aspergillus niger wiedererhalten. Wenn die Nähr-
fähigkeit der Lösung durch Weglassen irgendeines Bestandteiles herab-
gesetzt wurde, sank auch die Ernte, wie wir gesehen haben, teilweise
auf ein geringstes Maß. Sobald die Dichte des Hauptnährstoffes, des
Zuckers, geändert wurde, konnte allerdings innerhalb gewisser
Grenzen eine bedeutende Steigerung des absoluten Emtegewichts
l)ewirkt werden, die Ausnützung fiel aber dabei um ein bedeutendes.
So betrug die Ernte in einem Versuch mit 2750 g Wasser und 8 g Nähr-
salzen^) bei verschiedenem Zuckergehalt:
0 g Zucker und 8 g Nährsalze ergaben 0,27 Trockengewicht des Pilzes
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Hier war also schon bei 40 g (1,4%) Zuckergehalt die höchste Aus-
13
nützong mit - = 27,2% erreicht oder, wenn man die Ernte nur in Be-
48
1) Einschließlich etwas freier Weinsäui'e (3,5 Ammonnitrat, 3,0
Weinsäure, 0,6 Ammonphosphat und Kaliumkarbonat, 0,5 Magnesium-
karbonat, 0,3 Ammonsulfat, je 0,1 Eisenzitrat und Zinksulfat).
710 Kap. Xin, § 232.
13
Ziehung setzt zum Zucker, mit ^ = 32,5%. Bei geringerer oder stärkerer
Dichte des Zuckers sank die Ausnützung ziemlich schnell, betrug z. B.
nur noch 20% bei 10 g (0,4%) und 120 g (4%) Zucker und 9% bei 320 g
(10%) Zucker. Eine wesentlich höhere Ausbeute zu erzielen glückte
weder R a u 1 i n noch späteren Untersuchem, insbesondere auch nicht
Czapek (vgl. S. 91), der ähnliche Versuche mit demselben Pilze und
Hunderten verschiedener organischer Stoffe anstellte. Im Gegenteil
erreichte dieser Forscher im besten Falle nur eine Ausnutzung von
ca. 30%, und zwar mit Nährlösungen, die in 1000 g Wasser 0,5 Magne-
siumsulfat, 1,0 Kaliumbiphosphat, 0,5 Kaliumchlorid, 0,01 Ferro-
sulfat, 30,0 Zucker, 10,0 Alanin enthielten. Das Alanin konnte fast
mit gleichem Erfolg durch äpfelsaures, weinsaures oder milch-
saures Ammon oder Asparagin ersetzt werden. Wurde Zucker durch
eine andere Kohlenstoffverbindung ersetzt, so wurden die Ergebnisse
nicht besser. Nur in wenigen Fällen stellte B a u 1 i n die Menge der
verbrauchten Substanz durch Untersuchung der Nährlösung
fest. So fand er in 9 Versuchen, daß (nach dem Ergebnis der Reduk-
tion von Fehlingscher Lösung) 2 — ^2,5 Teile Zucker auf je 1 Teil neu-
gebildeter Pilzsubstanz verschwunden waren. Das gibt einen Ver-
brauchskoeffizienten von 50 — 40%, oder wenn man die übrigen
Nährstoffe noch mit Vg des Zuckergewichts hinzurechnet, einen solchen
von 41 — 33%. Mit anderen Worten, das Leben der Schim-
melpilze verbraucht — unter günstigen Be-
dingungen— anderthalb biszweimal sovielNähr-
stoffe, als zum Aufbau der Zellen allein nötigist.
Wir werden im Laufe dieser Erörterungen sehen, daß das eine sehr
wirtschaftliche Art der St o f f ausn üt z ung dar-
stellt, die sonst nur selten erreicht wird. Wie man durch Division der
beiden Quotienten erfährt, erschöpft auch der Umsatz der Klze fast
den gesamten Nährstoff-(Zucker-)Vorrat, allerdings sehr wahrschein-
lich nur imter den hier vorliegenden günstigen Bedingungen, nicht
bei stärkerer oder schwächerer Dichte des Zuckers.
Ein besonderes Interesse bieten auch die Erfahrungen Weh-
m e r s (S. 91) am Aspergillus niger. In den günstigsten Zuckemähr-
böden (3% Zucker mit Salmiak und Salzen) gezüchtet, ergab dieser
Pilz eine Ausbeute von 28% des Zuckers. Wurde das salzsaure Ammon
durch das salpetersaure ersetzt, so fiel die Ernte auf 20%. In dem ersten
Fall wurde wahrscheinlich der Zucker vollständig zu Wasser und
Kohlensäure oxydiert, im zweiten Fall zum größten Teil zu Oxalsäure.
Die bei diesen Verbren n un gen e nt wickelte Wärme-
menge steht etwa im Verhältnis der Ausbeute
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel.
711
(vgl. S. 393). Wenn die Oxydation des Zuckers nur bis zur Zitronen-
säure oder gar zur Glykonsäure fortgeschritten wäre, würde man ent-
sprechend geringere Emtegewichte erzielt haben (vgl. § 120 und 121).
Außer Zuckemährböden prüfte W e h m e r auch einige andere, deren
Ausbeute wir auf unserer Tafel S. 391 wiedergegeben haben. Man sieht
daraus, daß Olivenöl und Glyzerin (mit salpetersaurem Ammon als
Stickstoffquelle) noch größere Ernten ergeben können als Zucker.
Die Ausnützung beträgt beim Olivenöl mehr als
die Hälfte, ein Resultat, was ganz ungewöhnlich ist.
Wenn man auch hier wieder den Wärmewert, den gleiche Teile der
Nährstoffe bei ihrer Verbrennung ergeben, mit den Emtemengen ver-
gleicht, so erhält man folgende Zahlen:
Verbrennungswärme
von 1»5 g Substanz
Pilzemte
Weinsäure . .
Zitronensäure
Glykose . . .
Glyzerin . .
Pepton . . .
Olivenöl . . .
2618 Kai.
3717
5614
6468
6750
13992
0,155 g
0,240 g
0,278 g
0,475 g
0,162 g
0,810 g
Es wächst also die Ernte ziemlich regelmäßig
mit der Verb rennungs war m e der zur Nahrung
dienenden Verbindungen. NatürHch gilt das nur unter
der Voraussetzimg, daß die Verbrennung der Nährstoffe eine voll-
ständige ist, was hier einigermaßen erfüllt zu sein scheint. Nur das
Pepton macht eine auffällige Ausnahme und fällt durch die geringe
Ausbeute, die es Hefert, aus der Beihe der übrigen Stoffe heraus. Von
der Glykose sollte man eine etwas höhere Pilzemte erwarten. Dieselbe
erklärt sich wenigstens teilweise daraus, daß Zucker bei den hier ver-
fügbaren Stickstoffquellen nur unvollkommen verbraucht wird.
Die Tatsachen, die L a b o r d e ^) bei Emährungsversuchen mit
einem anderen Schimmelpilz, der Eurotiopsis Gayoni, festgestellt,
sprechen in demselben Sinne. Sie zeigen gleichzeitig, daß zwischen
der Schnelligkeit der Entwicklung und dem Grade
der Ausnutzung der Nährstoffe keine bestimmte
Beziehung zu bestehen braucht. In der folgenden, von
uns etwas abgekürzten Tafel ist für eine Anzahl von stickstofffreien
1) Annal. Pasteur 1897. 23.
712
Kap. XIII, § 232.
Nahrungsstoffen, die dem Pilze in einer Menge von 10 g und einer
Dichte von 5% neben den gleichen Salzen bei reichlichem Sauerstoff-
zutritt dargeboten wurden, die gesamte und die (durchßchmttliche)
tägliche Ausbeute an Trockensubstanz zusammengestellt:
gesamte
Pilzausbeute in % des
Nährstoffs :
tägliche I>ie größte
Ausbeute
wird
erreicht in
44%
3,7%
' 12 Tagen
31%
1.5%
20 „
30%
5,0%
I 6 „
30%
3,3%
9 „
29%
4,8%
6 „
29%
4,8%
6 „
26%
2,2%
12 „
25%
2.1%
1 12 „
25%
1,2%
20 „
Alkohol . . .
Glyzerin . . .
Fruktose . . .
Maltose . . .
Glykose . . .
Mannit ....
Milchsäure . .
Bernsteinsäure
Stärke ....
Hier ist, wie in den W e h m e r sehen Versuchen, die Ausnützung der
Nährstoffe am größten (M%) bei dem Stoff, der die größte Verbren-
nimgswärme hat, dem Alkohol (7068 Kai. im g), eine mittlere (ca. 30%)
bei den Zuckerarten Mannit und Glyzerin (3743 und 3959 Kai.) und am
kleinsten (25%) bei der Bernsteinsäure (3006 Kai.). Daß die Ausbeute
bei Ernährung mit Stärke nicht höher ist, liegt wohl an ihrer schwieri-
geren Verdauung.
Den von L a b o r d e gefundenen Unterschied in der Ausnützung
des Alkohols und des Zuckers durch die Eurotiopsis Gayoni
hat M a z e ^) bestätigt. Seine Untersuchungen lehren auch, daß d i e
Pilzausbeute im Verhältnis zum Nahrungsum-
satz in den früheren Entwicklungsstufen eine
größere ist als in den späteren. So betrug der Verbrauchs-
koeffizient einer zweitägigen Kultur mit Zucker 38%, in einer viertägigen
32%, in einer sechstägigen 27%, der in einer fünftägigen Kultur mit
Alkohol 80%, in einer siebentägigen 53%^).
Die Versuche Nikolskis^), in denen nicht nur das Trocken-
gewicht des Pilzes (A m y 1 o m y c e s ß) bei verschiedener Ernährung,
sondern auch dessen Stickstoffgehalt (vgl. S. 60), femer der Umsatz,
1) Amial. Pasteur 1902. 364.
2) Von den Veränderungen in der Zusammensetzung des M>Tels
haben wir S. 61 gesprochen.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 558, 1904.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel.
713
und zwar in allen Stadien der Entwicklung bestimmt wurde, sind
allerdings gerade im entgegengesetzten Sinne ausgefallen.
Wir geben im folgenden einen Versuch mit Glykose (6 g in 100 g Raulin-
sclier Flüssigkeit) etwas abgekürzt wieder:
1
2
3
4
6
"Pl 1 1 ftTTl f'Ä
Pilzstick-
Zucker-
Pilz-
Verhältnis')
X Al^Ol IX \n3
atoff
iimnatz
zuwachs
V. Spalte 3 : 1
2. Tag
0,011
0,002
0,544
0,011
50,3
*■ „
0,170
0,013
1,056
0,159
6,2
6- „
0,365
0,034
2,897
0,195
8,0
8. „
0,762
0,059
3,403
0,397
4,4
10. „
1,240
0,103
4,012
0,478
3,2
12. „
1,716
0,084
5,705
0,476
3,3
14. „
1,842
0,075
5,957
0,126
3,2
Deutlich, ist hier das beständige, aber in den einzelnen Perioden un-
gleichmäßige Wachstum des Pilzes imd der vorzeitige Stillstand des
Stickstoffzuwachses. Die Ausnützung beträgt am Schluß des Versuchs,
wenn man nur den Zucker berücksichtigt, 31%, ebenso groß ist der
ökonomische Koeffizient, da fast sämtUcher Zucker umgesetzt ist.
In den früheren Entwicklungsstadien ist der letztere aber kleiner, zu
Anfang sogar nur 2%. Auch bei der Ernährung 'mit Maltose, Saccha-
rose und Fruktose zeigte sich dieselbe Erscheinung, die wir wohl da-
durch erklären müssen, daß dieser Pilz zimächst den ihm dargebotenen
Zucker nicht vollständig verbrennt. Bei den sehr großen Unterschieden
lohnte es sich wohl, näher auf die Zersetzimgsprodukte einzugehen.
Im übrigen hatten die Versuche Nikolskis das wichtige Ergebnis,
daß der Amylomyces nur die drei erstgenannten Zuckerarten und das
Inulin vollständig verbrauchte und entsprechende Ernten darauf ent-
wickelte, die Fruktose, Galaktose, Raffinose, das Dextrin und die
Laktose aber nur zu kleinen Teilen zersetzte und namentUch auf dem
letztgenannten Zucker unverhältnismäßig kleine Ernten (also einen
sehr niedrigen Verbrauchskoeffizienten) ergab. Man wird auch hier
wieder annehmen dürfen, daß die Verbrennung der Kohlenhydrate in
diesen Fällen weit unvollkommener war, als in den ersten. Hand in
Hand ging damit ein höherer Stickstoffgehalt. Wir haben das schon
früher erörtert (S. 60).
Der Kraftwechsel wurde in allen diesen Ernährungsversuchen
mit Schinmielpilzen nicht unmittelbar bestimmt, wir körmen ihn aber
1) Durch Umkehrung erhält man unseren Verbrauchskoeffizienten.
714 Kap. XIII, I 232 u. 233.
in seinen Grimdztigen durch Rechnung feststellen. Nehmen wir an,
daß in den günstigsten Versuchen der genannten Forscher die Ver-
brennung der verbrauchten Nährstoffe eine vollständige war, so daß
die Verbrennungswärme der Pilze mit der von R u b n e r^) gefundenen
des sporenhaltigen Penicillium glaucum (5393) annähernd übereinstimmte,
so hätten wir nach R a u 1 i n , wenn wir von den übrigen Nährstoffen
außer dem Zucker absehen, einen thermischen Gresamtumsata von
2—2,5x3700 Kai. oder 7400—9250 Kai. auf einen Ansatz von
5339 Kai., oder, wenn wir, um diesen Fehler auszugleichen, die
größere Zahl wählen, einen thermischen Verbrauchskoeffizienten
von 5359 : 9250 = etwa 58 %. Auch der Ausnützungskoeffizient
ist ähnlich hoch. Aus den Versuchen W e h m e r s und L a b o r d e s
können wir nur den letzteren Koeffizienten einigermaßen sicher
bestimmen, da wir nicht wissen, wieviel von den Nährstoffen
beim Wachstum der Pilze verbraucht worden ist. Die thermische
Ausnützung beträgt
Glykose (Weh m er) 26%
Glyzerin ( „ ) 39%
OHvenöl ( „ ) 31%
Alkohol (Laborde) 33%
Da die Verbrauchskoeffizienten mindestens ebenso hoch sein müssen,
sieht man, daß wir uns der obigen aus den R a u 1 i n sehen Versuchen
erhaltenen Zahl mehr oder weniger nähern. Das gilt auch von den Ver-
suchen Nikolskis mit Trauben-, Rohr-, Malzzucker und Dextiin.
Die aus den R u b n e r sehen Versuchen mit Hefe (§ 233) gewonnenen
Erfahrungen sprechen ebenfalls dafür, daß der thermische Verbrauchs-
koeffizient bei dem rein aeroben Wachstum der Pilze sehr hoch ist,
diese Lebewesen also auch, was den Energieverbrauch angeht, verhält-
nismäßig haushälterisch mit ihrer Nahrung imigehen. Auch die Be-
stimmungen des von den Pilzen aufgenommenen Sauerstoff- und der
abgegebenen Kohlensäuremengen, namentlich die sorgfältige Analyse
Mazes, auf die wir besonders verweisen wollen (§ 220), stimmen
damit durchaus überein. Weim die Pilze ebensoviel oder andert-
halbmal soviel Sauerstoff zu verbrauchen pflegen, wie sie in
trockenem Zustande wiegen, so ist daraus unter Zuhilfenahme
unserer Tabelle auf S. 694 und unter Berücksichtigimg der Tat-
sache, daß die Nährstoffe selbst im großen und ganzen den
zum Aufbau des Leibes nötigen Sauerstoff liefern, zu schlie-
1) Arch. f. Hyg. 48. 268.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 715
Ben, daß die Pilze annähernd ebensoviel Kalorien
nach außen abgeben, wie sie in ihrem Leibe
aufspeichern.
WahischeinUch gilt diese Regel übrigens nur für die gün-
stigsten Ernährungsbedingungen. Wenn sie un-
günstiger" werden, sinkt wohl nicht nur die Ausbeute, sondern steigt
auch verhältnismäßig der Verbrauch von Nährstoffen und Energie.
Beispiele für das erstere Verhältnis haben wir namentlich bei der Oxal-
saitregäning (§ 122) kennen gelernt; Angaben in letzterer Beziehung
fehlen aber für die Schimmelpilze, während sie für die Hefe
geliefert sind. Daß ein Verbrauch von Stoffen durch Pilze auch
ohne Wachstum möglich ist, lehrten die Zitronensäuregärung
(S. 388) und die Sauerstoffaufnahme und Eohlensäurebildung
im (teilweisen) Hungerzustande (§ 226). Es geht dabei aber nicht
ohne Schädigung der Körpersubstanz ab (Selbstverbrennung, Selbst-
vergärung und Selbstverdauung).
§ 233. Stoff- und Kraftwechsel bei Hefepilzen. Um den
Verbrauch der Nahrung durch Hefepilze kennen zu lernen, haben
wir uns zunächst an die Arbeiten von Pasteur^) zu halten. Sie
ergaben das wichtige Resultat, daß je nachdem der Hefe Sauer-
stoff mehr oder weniger reichlich zur Verfügung
steht, das Verhältnis der erzeugten zur umge-
setzten Substanz ein sehr verschiedenes ist. So
fand Pasteur in 200 ccm einer Nährsalz-Rohrzuckerlösung, die er
in einer ganz dünnen Schicht von 2 — 3 mm Dicke in offener Schale
ausgebreitet imd mit einer Spur Hefe besät hatte, nach einem Tage
24 mg trockene Hefe auf 98 mg zersetzten Zuckers. Das ergibt einen
Verbrauchskoeffizienten von 1:4= 25%, immerhin also einen wesent-
lich niedrigeren Wert als denjenigen, den R a u 1 i n und Czapek
(§ 232) für die in gleicher Weise aerob gewachsenen Schimmelpilze
gefunden hatten. In einem zweiten Versuch, der ähnlich angeordnet,
aber erst nach 2 Tagen unterbrochen wurde, kamen auf 127 mg Hefe-
gewicht 1040 mg verschwundenen Zuckers. Hier beträgt also der Ver-
brauch 1:8= 12,5%. Pasteur erklärt das dadurch, daß der
Sauerstoff zutritt hier nicht mehr so unbeschränkt war, weil die einmal
gebildete Hefe als Deckschicht wirkte. Noch ungünstiger wurde das
Verhältnis, wenn die Nährlösung nicht in offener Schale, sondern in
einem großen, aber fast völlig geschlossenen Kolben — übrigens auch
noch in dünner Schicht, aufgestellt wurde. Auf 10 g verbrauchten
Zuckers wuchsen 0,44 g Hefe, entsprechend einer Ausnützung von
1) Etudes Bur la bidre, 1876.
716 Kap. Xni, § 233.
4,4%. Offenbar ist hier der Luftzutritt schon stark^^beschränkt ge-
wesen, weil die durch die Hefe gebildete Kohlensäure sich über der
Flüssigkeit anhäufe, ähnUch wie wir es in einem Gärkeller sehen. Wurde
jetzt die Höhe der Nährschicht gesteigert, so fiel der Verbrauchs-
koeffizient auf 1 : 75 = 1,3%. Erfüllte die Zuckerlösung den Kolben
vollständig, wurde also der Luftzutritt so gut wie ganz aufgehoben, so
sank der Koeffizient auf 1 : 150 = 0,67% und das Wachstum der
Hefe war dabei so verlangsamt, daß 12 Tage nötig waren, um aus 3 Lit^T
Zuckerlösung eine Ernte von 2,25 g trockener Hefe zu erhalten. Wenn
man die Sorgfalt, die man auf den Sauerstoffabschluß verwendet,
weiter steigert, so wird die Entwicklung der Hefe noch langsamer,
und die Ernte beträgt nach 3 Monaten nur 0,255 g auf 45 g verbrauchten
Zuckers, der Verbrauchskoeffizient also 1 : 176 = 0,57%. Eine weitere
Steigerung der anaeroben Bedingungen glückte C o c h i n ^). Das
Wachstum der Hefe hörte dann aber überhaupt auf und damit aach
der Zuckerverbrauch.
Diese Paste urschen Versuche sind im großen und ganzen vollstän-
dig bestätigt worden durch die neueren von H. Buchner und Rapp*^).
Wir geben zum Beweis Tabelle XV ihrer Arbeit in etwas ver-
änderter Zusammenstellung und mit abgekürzten Zahlen hier wieder.
Es wurde die Hofe zunächst, um dem Sauerstoff möglichst reichliclic
Gelegenlieit zum Eingreifen zu geben, auf der Oberfläche von Bierwürz-
gelatine mit 10% Traubenzucker gezüchtet, und zwar in großen zylin-
drischen Flaschen von 5 Litern Inhalt, auf deren Wänden der Nährboden
in dimner Schicht verteilt war. In dem Hals der Flasche steckte ein Kaut-
schukpfropfen, durch dessen Bohrungen eine längere und eine kürzere
Glasröhre geführt war. Die Flaschen wurden nach Beschickung mit Hefe
im Wärmeschrank bei 24^ aufgestellt und Luft, die von Kohlensäure be-
freit und mit W^asser gesättigt war, mittelst eines Gasometers beständig
hindurchgeleitet. Hinter dem Kolben wurde ein Trocken- und ein Kohlen-
säureabsorptionsapparat eingeschaltet zur Messung der Kohlensäure-
produktion. Eine zweite ganz gleich behandelte Kulturflasche war zum
Auffangen des verdunsteten Alkohols mit Wasservorlagen versehen. Bei
Beendigung des Versuchs — nach 5 Tagen — wurden die Kulturen ver-
flüssigt und der darin vorhandene Alkohol mit Wasserdampf auf dem
Sandbade überdestilliert. Die Fltusche, die zur Kohlensäureabsorption
diente, wurde auch zur Bestimmimg des Hefegewiehts benutzt. Diese
Anordnung gestattete also eine genaue Feststellung der Kohlensäure, de;?
Alkohols und der Hefemenge. Zum Vergleich der Wachstumsverhältnissc».
die bei beschränktem Sauerstoffzutritt bestehen, wurden Erlenmeyerkolben
mit der gleichen Menge lOprozentiger Traubenzuckerbierwürze (ohne Gela-
tine) und der gleichen Aussaat versehen, während der Versuchszeit ge-
schlossen gehalten; die in ihnen gebildete Kohlensäure wurde nachher
durch trockene Luft verdrängt und gewogen.
1) Annal. chim. et phys. 1880.
2) Zeitschr. f. Biol. 37.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel.
717
Das Ergebnis der Versuche war folgendes:
Tafel A.
Kohlen-
säure
in g
Alkohol
in g
Hefe-
gewicht
in g
Verhältnis
d. Hefe zum
vergorenen
ZuckerM
Luft wird be-
50 g Gelatine
4,9
2,0
0,61
1 : 6,6
ständig durch- '
geleitet
100g „
l200g
7,8
16,9
4,4
10,0
0,87
1,40
1 : 10,0
1 : 14,3
Kolben bleibt
c^chlossen,
Luftzutrittbe-
seliränkt
[ 200 g Flüssigkeit
100 g
l 50g
14,4
7,7
3,9
12,4
6,7
3,7
0,75
0,32
0,09
1 : 38,5
1 : 42,6
1 : 80
Da in vorstehender Tabelle verschiedene Mengen von Nährböden an-
iTHwandt sind, so sind die absoluten Zahlen nicht unmittelbitr vergleich-
bar, sie werden es, wenn sie mit 4 (Zeile 1 und 6) bzw. mit 2 (Zeile 2 und 5)
multipliziert werden (Taf. B). Außerdem haben wir in Taf. B noch zwei
neue Spalten hinzugefügt, die das Verhältnis der Hefenernte zu dem ver-
schwundenen und zu dem lu^prünglich vorhandenen Nährstoff, also den
Verbrauchs- und Ausnützungskoeffizienten, angeben*). Wir erhalten dann:
Tafel B.
Kohlen-
säure
in g
1.
3.
4.
0.
6.
19,6
15,6
16,9
14,4
15,4
15,6
Alkohol
in g
Hefe-
gewicht
in g
Verhältnis der Hefe
zum ver-
gorenen
Zucker
zum ver-
brauchten
Nähr-
material
zum vor-
handenen
Nähr-
material
8,0
8,8
10,0
12,4
13,4
14,8
2,44
1,74
1,40
0,75
0,64
0,36
1
1
1
1
1
1
: 7 1 :
: 11
1 : 20
: 10 1 :
14
1 : 29
: 14 1 :
19
1 : 36
: 39 1 :
40
1 : 67
: 43 1 :
46
1 : 78
: 80 1 :
81
1 : 138
1) Der vergorene Zucker wou'do aus dem Alkoholgewicht berechnet.
2) Leider geben B u c h n e r und R a p p diese Zahlen nicht. Ich
hal>e den Verbrauchskoeffizienten berechnet, indem ich zunächst von der
8<*saniten Kohlensäuremenge (Spalte 1) diejenigen abgezogen habe, die
^»ei der Gärung neben dem Alkohol entsteht (Alkohol : Kohlensäm-e
= 46,4 : 48,3 nach Fasteurs Bestimmung). Wenn man annimmt,
daß sie der vollständigen Verbrennung des Zuckers entstammt, so würde
man aus ihr die Menge dieses Zuckers erhalten, indem man mit */, multi-
pliziert. In diese Zahl wurde dann noch die Menge der Hefe hineinge-
rechnet. Das Verhältnis der Hefemenge zu der Simime aus vergorenem,
oxydiertem Zucker und Hefe wurde dann als Umsatz betrachtet. Die
Hechnung wurde abgekürzt, weil ja an Genauigkeit überhaupt nicht zu
718 Kap. Xni, § 233.
Das Gesetz, das sich aus diesen Zahlen ergibt, ist nicht zu ver-
kennen : die Alkoholmenge steigt langsam auf fast
das Doppelte, während das Hefegewicht schnell
auf den siebenten Teil sinkt. Daß daran die fort-
schreitende Anaerobiose schuld ist, kann kaum
zweifelhaft bleiben. Der Gegensatz zwischen den Ergeb-
nissen in Versuch 1 — 3, die bei Luftdurchleitung, und 4 — 6, die in
geschlossenen Lufträumen vorgenommen wurden, hegt auf der Hand.
Aber auch der Unterschied zwischen Versuch 1, 2 und 3 erklärt sich
leicht, wenn man bedenkt, daß in Nr. 3 die Nährbodenschicht, die von
dem Luftstrom bestrichen wurde, am dicksten, in Nr. 1 am dünnsten
war, im letzteren die Sauerstoffwirkung also auch am größten sein
mußte. Die Unterschiede zwischen Nr. 4 — 6 werden sich wesentlich
auf ähnhche Weise erklären. Leider ist die Größe der für den Versuch
benutzten geschlossenen Kölbchen nicht von den Verfassern angegeben
worden, wir wissen also nicht, wie groß in jedem Einzelversuch die
anfangs der Hefe zur Verfügung stehende Luftmenge gewesen ist.
Jedenfalls entspricht der Verbrauch des Nährbodens durch die Hefe,
der nach diesen Beobachtungen von B u c h n e r und Kapp zwischen
1 : 11 und 1 : 81 schwankt, je nachdem der Sauerstoff reichUchen
oder beschränkten Zutritt hatte, ziemUch gut den älteren P a s t e u r -
sehen Angaben. Er bestätigt aber auch im wesentüchen die Theorie,
die P a s t e u r zur Erklärung dieses Verhaltens aufgestellt. Nach
P a s t e u r wächst die Hefe bei Sauerstoffzutritt üppig wie die Schim-
melpilze auf Kosten des Traubenzuckers, durch dessen vollständige
Oxydation sie auch die nötige Energie gewinnt; bei Sauerstoff-
mangel istdasWachstumein langsames und die
zum Leben nötige Energie kann nicht durch Oxy-
dation erzielt werden, sondern nur durch Spal-
tung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure,
mit einem Worte, durch die Gärung. Da bei der Oxy-
dation verhältnismäßig viel, bei der Gärung wenig Wärme erzeugt
wird, muß bei aerober Entwicklung wenig, bei anaerober viel Zucker
verbraucht werden. Das bestätigt Tafel B. Nur lehrt sie allerdings,
daß entgegen der Ansicht Pasteurs auch bei aerobem
Wachstum der Hefe die Gärung nicht völligfehlt.
denken ist. Den Ausnützungskoeffizienten erhielt ich, indem ich die Hefe-
menge der Taf. B dividierte durch die Summe des vermutlichen Nähr-
stoffgehalts der Bierwürze (15%) + 10% Traubenzucker — für 200 ccm
Nährlösung also 30 + 20 = 50 g. Dabei ließ ich des Vergleichs wegen
die Gelatine, die ja von der Hefe wenig angegriffen wird und wesentlich
nur als Unterlage dient, unberücksichtigt.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 719
Daher haben B u c h n e r und K a p p so hohe Verbrauchskoeffizienten
wie Pasteur nie erzielt. Vielleiclit hätten sie das auch noch mög-
lieh gemacht, wenn sie die Hefeknlturen frühzeitiger untersucht hätten.
Man muß ja Pasteur darin recht geben, daß schon durch eine
dimne Kulturschicht der Zutritt von Sauerstoff erschwert wird^).
Die Ausnützung des Nährbodens durch die Hefe im Brauerei*
gewerbe(§94) läßt sich etwa folgendermaßen berechnen. Es werden
auf 100 Liter Würze etwa 2,5 Liter breiiger Hefe gewonnen. Nehmen
wir einen Trockengehalt der Würze von 15% und der Hefe von 10%
an, so wird die Ausnutzung 1 : 60 betragen. Da bei der Gärung aber
etwa Vj der Nährstoffe der Würze verbraucht werden, wird der Ver-
brauchskoeffizient gleich 1 : 40. Im Großbetriebe ähneln also die Er-
nährungsverhältnisse der Hefe denen im Versuch 4 obiger Tafel A
und B.
In wünßchenswerter Weise ergänzt werden diese Erfahrungen
durch die kalorimetrischen Untersuchimgen Rubners^)
an Hefe (vgl. § 237). In einem seiner Versuche vermehrte sich die offen-
bar unter beschränktem Sauerstoffzutritt in^ Bierwürze wachsende
Hefe von einem Anfangs-N- Gewicht von 2 mg binnen 4 Tagen bis zu
einem Endgewicht von 42 mg, vergor dabei 25,7 g Maltose und er-
zeugte 3787 Kai. Man wird keinen großen Fehler begehen, wenn man
die Emte^) auf 420 mg trockene Hefe, den stofflichen Verbrauchs-
koeffizienten auf 0,42 : 25,7 == 1 : 61 und, da der Verbrennungswert
der Hefe 2370 Kai. beträgt, den Wärme verbrauchskoeffizienten auf
2370 : 3787 + 2370 = 1 : 2,6j (38%) berechnet. Vier ganz ähnlich
gestaltete Versuche Bubners an wachsender Hefe, die sich nur
dadurch unterschieden, daß das Wachstum wegen des ungleichen
Gehalts der Nährlösungen an Bierwürze mehr oder weniger reichlich
war, hatten entsprechende Ergebnisse. In dem ersten, in dem das
1) Buchner und Kapp haben auffälligerweiso auf denjenigen
ilirer Versuche, der hier besprochen wurde, wenig Wert gelegt, obwohl er
ihnen doch hätte nahelegen müssen, daß die Resultate Faste urs gerade
durch ihn eine entschiedene Bestätigung erfahren. In anderen Versuchen
erhielten sie mittlere Resultate, die etwa denen der obigen Nr. 3 luid 4
entsprachen. Andere Autoren wie Pedersen und Hansen (Compt.
rend. des Carlsberg Laboratoriums Kopenhagen I. Bd. 1878 imd 1879),
van Laer (Kochs Jahresber. 1893. 137), G i 1 1 e y und A b o r s o n
(ebenda 1894, 119), Beijerinck (Zentr. Bakt. 11. 73, 1892) bestätigen
übrigens im wesentlichen die Pasteur sehe Theorie (vgl. scheinbar
entgegenstehende Resultate in § 91).
2) Arch. f. Hyg. 49. 393, 1904.
3) Die Ausnützimg auf den Stickstoffgehalt des Nälirbodons be-
rechnet betrug 28%.
720 Kap. XIII, ! 233 u. 234.
Wachstum ein üppiges war (172 mg N im Trockengewicht), betrug der
Verbrauchskoeffizient an Stoffen 1 : 54, der an Wärme 1 : 23 (= 43%),
in dem letzteren, wo nur 13 mg N an Hefe gewachsen waren, fiel der
Verbrauchskoeffizient an Stoffen auf 1 : 141, der an Wärme auf
1 : 4,5 (= 22%). Das bedeutet also zunächst, daß der große
Stoffverbrauch bei der Alkoholgärung mit einem
verhältnismäßig weit kleineren Energiever-
brauch einhergeht. Insofern war das ja vorherzusehen,
als der Zucker durch die Gärung nicht völlig verbraucht, sondern nur
in Bestandteile von zum Teil hoher Verbrennungswärme gespalten
wird. Zweitens ergibt sich, daß der Stoff- und Wärme ver-
brauch bei der Alkoholgärung verhältnismäßig
um so höher steigt, je geringer das Hefewachs-
tum, je stärker die Gärung ist. Ein genauer Ver-
gleich des Energieverbrauchs bei dem aeroben Wacjistum der Hefe-
und Schimmelpilze ist leider nicht möglich, die Zahlen werden
aber wohl in demselben Siime sich bewegen (vgl. S. 714), da dem
geringeren Stoffverbrauch bei den letzteren eine um so reichlichere
Wärmeentbindung durch die vollständige Verbrennung der Nähr-
stoffe entspricht.
Andere kalorimetrische Versuche R u b n e r s sind deswegen be-
merkenswert, weil hier die Hefe in großen Mengen auf reine Zucker-
lösung ausgesät wurde, weswegen sie überhaupt nicht zum Wachstum
kam, sondern im Gegenteil an Masse ( Stickstoff gehalt) um 15 — 50^o
imd an Zahl lebensfähiger Individuen bis auf wenige Prozente abnahm
(S. 265 u. 266). Trotzdem wurde starke Gärung imd Wärmeentwick-
lung erhalten ralsoauchdienichtwachsendeHefever-
braucht große Stoffmengen. Man wird das ihrem (Jehalt
an fertiger Zymase zuschreiben müssen. Es ist sehr wohl möglich,
daß ähnliche Verhältnisse auch in Hefekulturen eintreten, sobald
das Wachstum der Hefe zum Stillstand kommt. Dadurch wird natür-
lich der Stoffverbrauch und die Wärmeentwicklung erhöht ohne Zu-
nahme der Ernte. Aus R u b n e r s Versuchen ist zu ersehen, daß von
der Hefe zu reiner Zuckerlösung etwa dreimal mehr, als in zucker-
haltiger Bierwürze in seinem ersten Versuch gewachsen war^),
von Anfang an zugesetzt werden mußte, um ebenso viel Gärungs-
wärme zu erzeugen, denn es wurden hier auf 1 g ursprüngliches Hefe-
trockengewicht etwa 2700 Kai., dort auf 1 g des Trockengewichts der
Ernte etwa 9000 Kalorien entbunden.
1) Unter der Annahme, daß 6 g frischer Hefe 1,25 g trockener ent-
sprechen.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Krftftwechsel. 721
§ 234. Stoff- und Eraf twechsel aerober Bakterien. D i e
Ausnutzung der Nährstoffe durch Bakterien
erreicht selten einen so hohen Grad, wie die
durch Schimmelpilze (§ 232). Wahrscheinlich liegt das zum
Teil daran, daß von ihnen gewöhnlich Stoffwechselprodukte gebildet
werden, die ihnen selbst schädlich sind und ihr Wachstimi frühzeitig
zum Stehen bringen (§ 47). Schon der Augenschein lehrt das Über-
gewicht, das die Pilze in dieser Beziehung haben. Andererseits kommt
häufig in Betracht das Gärvermögen vieler Bakterien, das auf die Zer-
setzung der Nährstoffe einen ähnlichen Einfluß ausübt, wie wir ihn
bei den Hefepilzen (§ 233) kennen gelernt haben. Am größten
ist noch die Ernte, die wir bei reinen Aerobiern
erhalten ; ausnahmsweise groß soll sie bei den „Eiweißbakterien"
Gerlachs und Vogels^) sein. Ihnen genügten z. B. 0,5 g Zucker,
um den Stickstoff von 0,3 g Natriumnitrat in unlöslichen „Eiweiß-
stickstoff"*) umzuwandeln. Nehmen wir an, daß sie dabei auch den
sämtUchen Zucker verbrauchten und daß ihr Körper im wesentlichen
aus Eiweiß bestand so hätten wir eine Bakterienernte von
ca. 0,3 g, also einen Verbrauchs- und Ausnutzungskoeffizienten von
0,3: 0,5 + 0,3 = ca. 40Vo> d. h. sogar eine bessere Ausnutzung als wir
sie gewöhnlich bei den Schimmelpilzen sehen. Die Energieberechnung
zeigt aber, daß hier ein Fehler vorliegen muß, da der wenige nicht zum
Aufbau des Eiweißes unmittelbar verbrauchte Zucker bei seiner Ver-
brennung nicht genügende Wärme entwickelt, um die chemische Arbeit,
die bei dem Aufbau des Eiweißes und bei der Reduktion des Nitrats
geleistet wird, aufzubringen. Weit geringere Zahlen erhält man in der
Tat bei anderen aeroben Bakterien. So bestimmte Kappes^) die Aus-
nutzung seines Nährbodens, der einschließlich l,5yo Agar 4yQ Trocken-
substanz enthielt, bei Bac. xerosis imd Bac. prodigiosus und gleichzeitig
bei dem Soorpilze (einer Hefeart) zu 0,33 ^/^ also, wenn wir den Agar
selbst als unangreifbar unberücksichtigt lassen, zu etwa 10 — 14:^0 der
trockenen Nährstoffe. Gramer*) fand dagegen für den Bazillus derPncu-
1) Vgl. unsere &itik S. 615.
2) Bestimmt durch Vergleich des Stickstoffgehalts der Kultur vor
und nach dem Filtrieren durch ein Porzellanfilter.
3) Analyse der Massenkulturon einiger Spaltpilze usw. Dissertation
Leipzig 1890.
4) Arch. f. Hyg. 16. 170. Gramer macht keine ausdrücklichen
Angaben. Aber aus der Tabelle VIII auf S. 188 seiner Arbeit ersieht man,
daß er auf 90 ccm Bouillon 17 — 36 mg Stickstoff in der Bakteriensubstanz
fand. Da der N- Gehalt der Cholera vi brionen ca. 10% beträgt imd die
Trockensubstanz der Sodabouillon auf ca. 3% angenommen werden kann,
80 erhält man die Zahlen im Text. Andere Angaben C r a m e r s scheinen
Kruse, Mikrobiologie. 46
722
Kap. Xin, § 234.
monie, des ßhinoskleroms, den Pfeifferschen Eapselbazillus und ein
Wasserbakterium, sämtlich üppig wachsende Mikroorganismen, auf der
Oberfläche von Nähragar, der 3 — S^q Trockensubstanz enthielt, eine
Ausnützimg von nur 4,4 — 7,^^/q, für den Choleravibrio in Bouillon
mit SYq Trockengehalt zwar eine solche von 6 — 12Vq^), aber auf der
Uschinskylösimg (mit 6^0 Trockensubstanz) sogar nur IVoo*)-
Eigene Versuche mit Ruhr- und anderen Bazillen zeigten mir, daB
sich auf Agarplatten mit 50 ccm Nähragar höchstens 4 — 500 mg Leibes-,
d. h. 80 — 100 g trockene Substanz bilden. Die Ausnutzung beschränkt
sich auf etwa 4°/o- B^i freiem Sauerstoffzutritt zu Bouillonkulturen (in
ganz flachen Schichten) ergaben sich ähnliche Zahlen, bei mangel-
haftem (in ßöhrchen) zehnmal weniger (vgl. S. 132).
Um die Bakterien aus dem flüssigen Nährboden zu gewinnen,
wurden teils die auf ihrer Oberfläche befindlichen Häutchen benutzt,
teils das Zentrifugensediment, teils der Niederschlag, der durch essig-
saures Eisen (B u b n e r ^)) oder Kochen mit Essigsäure erzeugt war.
Mit Hilfe der Eisenfällung, an die er dann aber Stickstoff- und
Schwefelbestimmungen anschloß, untersuchte auch R u b n e r *) die
Ausnützung der Nährböden durch ein in Fleischextrakt besonders
gut wachsendes Bakterium (Proteus). Nach 8 tägiger Kultur bei 36°
fand er die Ausnützung (in Prozenten):
Bei
Bei
Bei
Bei
lOOf acher
60 f acher
25 f acher
12,5 fach.
Konzen-
Konzen-
Konzen-
Konzen-
tration
38,95
tration
28,95
tration
tration
des Schwefels
29,28
10,80
lOOfache Konz.
des Stickstoffs
15,29
12,07
8,00
5,60
- 6% Fleisch-
eztrakt.
Daraus wäre zu schließen, daß die Ausbeute nicht bloß ab-
solut, sondern auch relativ mit der Konzentra-
tion der Nährlösung stiege. FreiUch erweckt die Bestim-
ihnen zu widersprechen, so führt die Berechnung der Zahlen aus Tab. III
zu einer A\isnutziing von 20 — 25%. Hier muß ein Druckfehler vorliegen
oder Verstellung des Kommas. Auch die Bemerkung auf S. 188, daß fast
aller N des Nährmaterials als Eiweißstickstoff in den Bakterien sich finde.
ist nicht verständlich, da die Ausnutzung des N durch die Bf^terien nach
der Tab. III nur 10—25% beträgt.
1) Arch. f. Hyg. 22. 180, 1895.
2) 600 — 700 mg Bakterientrockensubstanz auf 10 Liter Nährlösung.
3) Arch. f. Hyg. 48, 1904.
4) Ebenda 57^ 161, 1906.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel.
723
mungsmetliode der Ernte, namentliclL was den Stickstoffgehalt angeht,
erhebliche Zweifel. Es werden nämlich außer den Bakterien auch noch
andere stickstoffhaltige Bestandteile der Lösung gefällt. B u b n e r
sieht sich deswegen genötigt, an den unmittelbar bestimmten Werten
Korrekturen von 20 — ^70% anzubringen.^ Man wird das Ergebnis um
so vorsichtiger benutzen, als R a u 1 i n bei Schimmelpilzen durchaus
abweichende Ergebnisse erhielt (S. 709).
Derselben Methode der Eisenfällung bediente sich Nawiasky^),
um die Ernte einer Keihe von aeroben (und anaeroben) Bakterien in
Peptonbouillon zu ermitteln, während er deren Zersetzung bzw. Verbrauch
durch Bestimmung des Ammoniaks, der Aminosäuren, des Rest-Stick-
Stoffs, der Albumosen und Peptone festzustellen suchte (vgl. S. 514). Ver-
braucht*) wurden auf 1mg mittlerer Ernte an Nahrimgsstickstoff in mg:
Vibrio
B. alca-
B. mesen-
Bac.
Finkler
li genes
tericus
protena
in den ersten 10 Tagen
0,62
1,99
8,64
21,98
in den zweiten 10 Tagen .
0,53
1,41
1,29
5,61
in den dritten 10 Tagen .
0
3,06
Geemtet wurden in mg
Stickstoff
der Baktei
rienleiber:
in der ersten Periode . .
112
20
57
23
in der zweiten Periode
187
30
101
36
in der dritten Periode . .
132
30
40
38
Gesamtstickstoff der Nahnmg
793
507
793
793
Man sieht daraus, daß der Vibrio Finkler, der die größte Ernte gibt
(24% Stickstoff ausnützung!), verhältnismäßig weitaus am wenigsten
stickstoffhaltigen Materials verbraucht, der Proteus, der fast die ge-
ringste Ernte gibt (4,8%), die größte Menge davon verbraucht. Wahr-
scheinlich entnimmt der Vibrio die zum Leben nötige Energie der
Oxydation von meist stickstoffarmen Nahrungsstoffen, der Proteus
der Gärung des Eiweißes. Daß in der Tat durch Vergärung von
Aminosäuren viel Wärme frei wird, hat Nawiasky an anderem
Orte gezeigt (§ 237).
Eine Bilanz für den Stoffwechsel des Staphylococcus
pyogenes suchte Riemer^) neuerdings dadurch zu geben.
1) Arch. f. Hyg. 64, 1908.
2) Die Berechnung des Verbrauchs ist nicht klar.
3) Arch. f. Hyg. 71, 1909. Vgl. S. 621.
46*
724 Kap. Xin, § 234.
daß er die Ernte mit der Kohlensäure- und zum Teil mit der
Ammoniakbildung verglich. Als Nährboden diente Pepton-
bouillon in großen Kolben. Die Ernte wurde ähnlich wie in den Ver-
suchen von A r n a u d und C h a r r i n (s. u.) durch Bestimmung
des Stickstoffgehaltes der Kultur vor und nach der Filtration ermittelt,
leider aber nur am Schluß der viele Wochen dauernden Züchtuiig.
Ebenso wurde nur am Schluß das Ammoniak durch Destillation be-
stimmt, die Kohlensäure dagegen durch fortlaufende (tägliche) Unter-
suchung des kräftigen Luftstroms, der durch die Kultur
strich. In dem einen, am besten studierten Versuch, der 74 Tage dauerte,
wurden 185 mg Stickstoff in 8,25 g frischer Bakterienmasse geemt^t
oder etwa 18% des in dem Pepton geUeferten Stickstoffs bzw. Eiweißes.
Außerdem wurden wiedergefunden als neugebildetes Ammoniak 537 mg
oder 39,5% des Peptonstickstoffs und 6718 mg Kohlensäure oder 47,6%
des Peptonkohlenstoffs. Dieser Überschuß der Kohlensäure über das
Ammoniak beweist wohl, daß andere stickstoffärmere Körper außer
dem Pepton noch zur Verfügung gestanden haben. Bemerkens-
wert sind die Veränderungen der täglichen
Kohlensäureausscheidung, die die Verfasser in Form
von Kurven niederlegten. Im allgemeinen stiegen diese schnell an,
blieben dann eine kurze Zeit auf der Höhe, um langsam wieder abzu-
fallen. Dabei kamen aber im einzelnen große Schwankungen vor, für
die auch die sehr unregelmäßigen Ergebnisse der hin und wieder vor-
genommenen Keimzählungen keine Erklänmg bieten. Zu bedauern ist
auch, daß nicht öfter Ernte- und Ammoniakbestimmungen vorgenommen
worden sind. Im großen und ganzen bekommt man den Eindruck, als ob
Wachstums- und Absterbungsvorgänge mehrfach abgewechselt hätten^).
Nicht nur die Ausnützung der Nährböden nach der Seite des Stick-
und Kohlenstoffs, sondern den ganzen Stoffwechsel bestimmten Al-
na u d und Charrin^) schon vor längerer Zeit für den B a c.
pyocyaneus in einer Nährlösung, die außer Salzen 5 V^q Asparagin
als einzige Stickstoff- und Kohlenstoffquelle enthielt. Die Bakterien-
emte, die allerdings nur aus dem Trockengehalt der Kultur vor und
nach der Filtration durch ein Chamberlandfilter bestimmt wurde^),
1) S. auch die Ammoniakkiu*ven und Zählungen, die Berghaus
(Arch. f. Hyp. 64, vgl. auch S. 514) für einige andere Bakterien gibt, und
über periodisches Wachstum § 36.
2) Compt. rend. ac. sc. 112. 755 und 1157, 1891. Vgl. S. 526 u. 675.
3) Die Methode scheint für diesen Nährboden einigermaßen einwand-
frei, wenn das Filter gut ausgewaschen wird. Doch geht dabei vielleicht
auch ein Teil der Bakterien Substanz in Lösung. Der Wert der Arbeit von
A r n a u d und Charrin wird leider dadurch herabgesetzt, daß sie
unzulängliche Angaben über ihre Methodik machen.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 725
betrug auf den Liter 410 — 670 mg, das ergibt also eine Ausnutzung
des Nährbodens von ca. 8 — 13%. Sämtliches Asparagin wurde binnen
U Tagen verbraucht, der Verbrauchskoeffizient stimmt daher mit dem
Ausnützungskoeffizienten überein. Eine nähere Untersuchung ergab,
daß von dem Kohlenstoffe des Asparagins 13,8% sich in den
Bakterien wiederfanden, während 72,5% als Kohlensäure abgeschieden
und 13,5% in nicht flüchtigen Produkten des Stoffwechsels — aus der
Differenz bestimmt — festgelegt waren. Von dem Stickstoff
des Asparagins gingen 4,66% in den Zellkörper der Bakterien über,
^M% in nicht flüchtige Stoff Wechselprodukte imd 91% in Ammoniak-
Verbindungen und zwar teils direkt (50%), teils auf dem Umwege über
die Asparaginsäure (41%). Die gesamte Sauerstoffaufnahme, die
dabei seitens der Kultur stattfand, schätzen die Forscher auf P/2 — 2 Liter.
Das wären also 2 — ^2,8 g oder etwa das Fünffache des Bakterien-
gewichts. Man ersieht daraus, daß nicht nur die Ausnutzung beträchtlich
geringer, sondern auch der Stoffverbrauch bei diesen aeroben Bakterien
ein erheblich größerer ist als bei den Schimmelpilzen unter günstigsten
Umständen (S. 714). Der Wärmewert der verbrauchten Stoffe läßt sich
zwar nicht genau angeben, aber schätzen. Nehmen wir an, daß auf ein
Liter 500 mg Bakterien geerntet und 75 % des Asparagins völlig ver-
braucht seien, so beträgt der Gesamtumsatz in Kai. ausgerechnet etwa
9375^) + 2250^) = 11625 Kai. und der thermische Verbrauchskoeffizient
ungefähr 19%. Auch dieser Wert bleibt erheblich unter demjenigen,
den wir bei aeroben Pilzen fanden.
Eine so genaue Stoffwechselbilanz wie für den Pyocyaneus
besitzen wir mit Ausnahme des stickstoffbindenden Azotobacters (§ 235)
kaum von anderen aeroben Bakterien. Die Gasanalysen H e s s e s
(S. 675) scheinen freilich darauf zu deuten, daß der Gesamtverbrauch
im allgemeinen im ähnlichen Verhältnis zur Ernte steht. BemerkenE-
wert sind aber die in einem Gegensatz zueinander stehenden Ergebnisse,
die Tangl und Rubner bei ihren Bestimmungen der Verbren-
nungswärmenerhielten.Tangl^) fand bei drei in l%Peptonbouillon ge-
züchteten Bakterienarten in der kalorimetrischen Bombe f olgendeVerluste
(Verbrauch) an Energie in % der im Nährboden ursprünglich enthaltenen :
nach 7 Tagen nach 14 Tagen nach 27 Tagen
Bac. anthracis . . . 6,1% 8,5% 29,8%
suipestifer . . . 9,1% 10,2% 25,9%
subtilis .... 16,2% 19,9% 23,7%
1) Vgl. die Zahlen auf S. 695.
2) Rubner (Arch. f. Hyg. 48, 268) bestimmte die Verbrennungs-
wärme von 1 g trockener Bakterien auf durchschnittlich 4500 Kai.
3) Pflügers Archiv 98, 1903.
726 Kap. Xni, § 234.
Leider fehlt hier eine Bestimmung der Ernte. Diese wurden in einer
anderen Versuchsreihe zugleich mit einer Feststellung des Trocken-
substanzverlustes nachgeholt. Es fanden sich nach 20 tagiger
Kultur im ganzen:
Trockensubstanzverlust Energieverlust
Bac. anthracis ........ 5,6% 8,3%
„ suipestifer 24,0% 21,8%
„ subtilis 25,1% 19,9%.
Nach Durchgang von 100 ccm durch Kieselgurfilter wurden im Filtrat
erhalten^) :
Trockensubstanzverlust Energieverlust
Bac. anthracis 13,9% 16,2%
„ suipestifer 27,4% 31,1%
„ subtiüs 31,2% 31,6%
Wenn wir das auf und im Filter Zurückgebliebene als Bakterienemte
betrachten, berechnen wir daraus für die stofflichen und thermischen
Ausnützimgs- und Verbrauchskoeffizienten:
Bac. anthracis .
suipestifer .
>>
>>
subtiUs
Ausnützung
der
Trocken-
substanz
8,3%
3.4%
6.1%
der
Energie
Verbrauch
an
Trocken-
substanz
7,9%
9.3%
11.7%
59,7%
12,40/0
19,6o/o
an
Energie
Verbren-
nungH-
wänne
von 1 g
Bakterien
48,4%
29,90/^
37,00/^
4250 Kai
4040 „
i4650 „
Ein anderer Versuch muß fehlerhaft gewesen sein, denn er führte zu
unmöglichen Verbrennungswärmen der Bakterienleiber.
R u b n e r 2) bestimmte in einer zweiten Arbeit wieder unter
Benützung seiner Eisenfällungsmethode außer dem Stickstoffgehalt
auch die Verbrennungswärme in der Ernte und den Besten der Kultur-
flüssigkeit und erhielt dabei an einer (anderen) Art von Proteus
nach Züchtung bei 36° in 500 ccm 6% Fleischextraktlösung folgende
Werte:
1) Aus den absoluten Zahlen von mir berechnet.
2) Arch. f. Hyg. 57. 193, 1906.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel.
727
N-Emte
Kalorien-
Thermische
Verbrauch*)
Thernuscher
Tage
(absolut)
emte
Aus-
nutzung^)
in Kai.
Verbrauchs-
koeffizient
10
124 mg
3,01 Kai.»)
3,440/0
12,32 Kal.^
19,6%
16
95 „
2,62 „
2,99%
16,51 „
15,8%
23
106 „
3,28 „
3,75%
22,81 „
12,5%
31
85 „
3,18 „
3,63%
22,16 „
12,6%
33
111 „
4,21 „
4,81%
23,22 „
15,40/0
Man kann daraus vielleicht entnehmen, daß das Bakterienwachs-
tum schon nach 10 Tagen seinen Höhepunkt er-
reicht hat, der Verbrauch an Stoffen aber noch
bis zum 23. Tage anhielt, um dann erst zum Stillstand zu
kommen. Daß ähnliche Verhältnisse für die Versuche T a n g 1 s gälten,
wäre möglich. Und die Gasanalysen H e s s e s (s. o.) sprechen auch
dafür, ebenso die Befunde K a y s e r s bei der Milchsäuregärung
(§ 235). Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß in der späteren
Zeit trotz Absterbe- und Auflösungsvorgängen noch ein gewisses
Wachstum besteht (§ 36). Leider gibt ßubner keine Zahlen für
die in jeder Periode lebenden Bakterien.
In einigen ähnlichen Versuchen, die bei 14,5® ausgeführt wurden,
hielten Wachstum und Verbrauch bis zu 37 Tagen an, blieben aber
auch zum Schluß noch erheblich hinter den vorigen zurück. Der Ver-
brauchskoeffizient schwankte unregelmäßig von 19,9 — ^25,9, war also
nur wenig höher. Dagegen war zwar die Ausnützung
sehr niedrig, aber der K alorien verbrauch ver-
hältnismäßig hoch, wenn das Wachstum durch
stärkere Alkalisierung verschlechtert wurde.
Entsprechende Versuche mit anderen Bakterienarten in demselben
Nährboden ergaben für den Pyocyaneus, ein thermophiles
Bakterium (bei 56**), den B. coli, von denen namentlich der
erstere gut wuchs, Verbrauchskoeffizienten von 25 — 30%, für Cho-
lera, Typhus, Diphtherie, die schlechter gediehen, solche
von 12 — 17%. Es scheint also wirklich, wie wir es auch an den Schimmel-
und Hefepilzen sahen, die Regel zu gelten, daß der Verbrauch
1) Von mir nach den absoluten Zahlen berechnet. Die Ausnützung
des Trockensubstanzgehalts berechnet sich auf 4 — 5% (vgl. oben bei
T a n g 1) , die des Stickstoffs auf etwas weniger.
2) Der Stickstoff verbrauch betrug (durch reichliche Ammoniak-
bildung) mehr als 33%.
3) Große Kalorien.
728 Kap. XIII, § 234 u. 235.
an Stoffen und Energie verhältnismäßig um so
größer wird, je mangelhafter das Wachstum ist.
So würden wir es auch verstehen, daß die Zahlen T a n g 1 s für den-
selben Koeffizienten bei dem Bac. anthracis viel höher waren; in
der Tat gab er erhebliche größere Einten. Die Koeffizienten für den
Wärmeverbrauch erreichten dabei Werte, wie wir sie oben für Schimmel-
und Sprossenpilze gefimden haben. Die Ausnutzung bleibt allerdings
auch bei den Bakterien immer noch viel niedriger als bei den Pilzen.
Es müssen sich also, wie schon oben bemerkt, bei den ersteren während
des Wachstums stärkere Hemmungen entwickeln.
R u b n e r hat versucht, den Energieumsatz der Bak-
terien auf den Tag und je lg der mittleren X-
E r n t e ^) zu berechnen und kommt dabei zu Zahlen, die von 15 — 60
(großen) Kalorien schwanken und für die pathogenen am größten sind.
Daß letzteres aber nur ein Zufall ist und sich nur durch das künunerliche
Wachstum in dem von ihm benutzten Nährboden erklärt, folgt auch
aus den Zahlen, die R u b n e r selbst aus den T a n g 1 sehen Ver-
suchen berechnet. Hiernach ständen die pathogenen Keime der Milz-
brandbazillen mit 4 Kai. am untersten Ende der Reihe, dann folgte
der Subtilis mit 6,9 imd der Schweinepestbazillus mit 8,4 Kai. Wir
kommen damit schon den Werten nahe, die R u b n e r für den kind-
lichen Organismus ermittelt hat (3 Kai.). Beim Erwachsenen sinkt er auf
1 Kai. und bei Kaltblütern sogar auf die Hälfte davon, während er bei
kleinen Warmblütern (Mäusen imd Sperlingen) umgekehrt auf 15 — l7Kal.
steigt, also sich dem der R üb ner sehen Bakterien wieder nähert.
§ 235. Stoff- und Kraftwechsel bei gärungerregendeii
Bakterien. Auch für die Gärungserreger unter den Bakterien hegen
einige Stoffwechselbilanzen vor.
K a y s e r ^) hat auf verschiedene Weise versucht, die Bakterien-
ernte bei der Milchsäuregärimg zu bestimmen. Zunächst dadurch, daß
er nach Beendigung der Gärung die Kulturen (in peptonisierter Milch)
durch ein kleines Chamberlandfilter schickte imd den Bakterienabsatz
nach gründlicher Entfettung mit der Menge der erzeugten Säure ver-
glich. Es fand sich, daß
1 g des Bakteriums 1 27,5 g Säure,
lg» „ P 18,5 g
erzeugt hatten. Die Säure bestand im wesentüchen aus Milchsäure,
ihre Menge entspricht also wohl annähernd dem vergorenen Zucker.
1) d. h. der durchschnittlich während der Emahrungsversuche vor-
handenen Bakteriensubstanz.
2) Annal. Fast. 1894. 763 ff.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 729
In einem zweiten Versuch, in dem Bakterien verwandt wurden, die
schon durch Filtrierpapier zurückgehalten wurden, ergaben sich für
1 g des Bakteriums n 16,5 g Säure,
lg» » o 15,9 g „
Ganz abweichend fiel dagegen ein dritter Versuch aus, in dem nicht
nur die erzeugte Säure, sondern auch der Zuckerverbrauch direkt be-
stimmt, und der bei Sauerstoffzutritt und -abschluß ausgeführt wurde.
Es fanden sich im ersten Fall auf
1 g des Bakteriums n 4,6 g Säure und 6,4 g Zuckerverbrauch,
bei Sauerstoff abschluß auf:
1 g desselben Bakteriums 3,5 g Säure und 5,2 g Zuckerverbrauch.
Das sind so niedrige Zahlen, daß man geneigt ist, an Druck- oder
Rechenfehler zu denken. Ein letzter Versuch K a y s e r s gibt Auf-
schluß über den Einfluß des Alters der Kultur auf
die Bakterienernte und die Intensität der Gärung. Es fanden
sich in gleichen Teilen (250 — 300 ccm) der durch Bakterium m ver-
gorenen Bierwürze
nach 3 Tagen ein Bakteriengewicht von 0,342 g xmd 3,674 Säure,
„ 12 „ „ „ „ 0,303 g „ 6,316 „
„ 45 „ „ „ „ 0,322 g „ 7,576 „
Die Vergärung ging hier beständig weiter, wäh-
rend das Bakteriengewicht schon nach 3 Tagen
seinen Höhepunkt erreicht hatte und von da an
ziemlich gleich blieb. Der Verbrauchskoeffizient (aus Milch-
säure + Ernte bestimmt) sank also mit dem Alter der Kultur sehr erheb-
lich, nämlich von 1: 11,8 auf 1: 24,5. Man kann sich das wieder (vgl.
S. 727) entweder so erklären, daß das gärende Prinzip in den Zellen
nach Abschluß des Wachstums erst allmähUch zur Geltung kam, oder
daß der Stillstand des Wachstums nur ein scheinbarer war, xmd in
Wirklichkeit ebenso viel alte Zellen zugiunde gingen, als neue gebildet
wurden. Gleichzeitig stieg übrigens, wie wir schon auf S. 60 berichtet,
der Stickstoffgehalt der Milchsäurebakterien von 9,4 auf 11,8 und 11,5.
Der Eraftwechsel der Milchsäurebakterien Heße sich ungefähr
bestimmen, wenn man die Milchsäuregärung ak die wesentliche Energie-
quelle ansehen dürfte. Das scheint aber nach den B u b n e r sehen
Feststellungen (§ 237), die er freihch auf einem etwas anderen Nähr-
boden (Milch) erhielt, nicht berechtigt zu sein. Vielmehr würde kaum
die Hälfte des kalorimetrisch ermittelten Wärmeverlusts durch die Gä-
rung gedeckt werden. Verdoppeln wir daher die Gärungswärme des
Milchzuckers (130 Eal. nach Berthelot) und rechnen durchschnittUch
730 I^p. XIII, § 235.
20 g Milchsäure auf 1 g Bakterien, so hätten wir einen Umsatz von
4500 + 2 X 130 X 20 = 9700 Kai. und einen thermischen Verbrauchs-
koeffizienten von 4500: 9700= 46,4%, d. h. auch wieder wie bei der
Alkoholgärung einen verhältnismäßig geringenEner-
gieverbrauch auf einen hohen S t off ve r brauch^).
X)ber die Ausnutzung des Nährbodens durch den Bazillus der
Mannitgärung machten G a y o n und D u b o u r g (vgl. S. 398)
eine kurze Angabe. Sie fanden auf 100 g verbrauchter Glykose 2,3 g
Bakterientrockensubstanz. Die Ernte verhielt sich also zum Yerbraach
wie 1 : 44, ähnlich wie wir es bei der Hefe unter mittleren Belüftungs-
bedingungen gefunden haben (§ 233). Die Ausnützung des Nährbodens
ist hier wie bei der Milchsäuregärung recht gering.
Aus einem liter Würze von 11 Saccharimetergraden erhielt B e i j e-
r i n c k (vgl. S. 352 u. 371) 6 g trockene Substanz seines anaeroben
Granulobacter butylicum. Allerdings wird nicht gesagt, ob die gesamte
Zuckermenge verbraucht worden war. Nehmen wir das an, so hätten
wir eine Ausnützung von 1 : 18, wie sie bei der Hefe nur unter kräftigerer
Lüftung zu erzielen wäre. Dabei macht Beijerinck allerdings die
Bemerkung, daß die Nährlösung durch die Bakterien stark schleimig
geworden war imd der Stickstoffgehalt des Bakterienleibes nur 4%
betrug, ein Zeichen, daß ein großer Teil des Zuckers zu Bakterienschleim
umgewandelt, also nicht der Butylalkoholgärung verfallen war.
Über den Stoffaufbau und Verbrauch durch die Nitritbak-
terien teilt Winogradsky einiges mit (S. 602). Sie sollen auf
je 1 mg Kohlenstoff^) neugebildeter Leibessubstanz 43 mg Ammoniak
zu salpetriger Säure oxydieren. Nehmen wir den Kohlenstoffgehalt
ihres Körpers auf 50% an, so hätten wir, da noch einige Milligramm für
die assimilierte Kohlensäure hinzukommen, einen Koeffizienten für
den Stoffverbrauch von 1 : 23 = 4,4%. Noch viel niedriger scheint er
bei den Nitratbakterien zu sein. In beiden Fällen ist auch der
Energieverbrauch sehr erhebUch; so kommen bei den Nitritbakterien
auf jedes Gramm Bakterien 43 x 4,6 große Kalorien. Der Verbrauchs-
quotient ist also 4,5 : 197,8 + 4,5 = 2,2%. Man sieht also, daß d i e
Bakterien, die ihren Kohlenstoff aus der Koh-
lensäure aufbauen, dazu unverhältnismäßig viel
Energie aufwenden, d. h. Wärme entwickeln
müssen. Das absolut genommene spärliche Wachstum hindert aber
den unmittelbaren Nachweis der entbundenen Wärme.
1) Über ähnliche Untersuchungen bei einem anderen Milchsäure-
bakterium (B. aerogenes) s. u. S. 732, bei H a a c k e.
2) Bestimmt nach dem Verfahren von Wolff, Degener und
Herzfeld durch Verbrennung mit Schwefelsäure und Kaliumbichromat.
Wege des Sauerstoffs. Stoffr und Kraftwechsel.
731
Ganz gewaltig ist der Stoff- und Energieverbrauch bei den H a r n -
Stoffbakterien. Nach Miquel (§ 195) setzt 1 Gewichtsteil
des Urobacillus Duclauxii 4000 Gewichtsteile Harnstoff um. Die
außerdem noch verbrauchten Stoffe kommen daneben natürhch nicht
in Betracht. Der Verbrauch an Energie berechnet sich danach auf
4000 X 0,23 große Kalorien und der Quotient auf 4,5 : 920 + 4,5 =
0,5^^ Die Wärmemessung im R u b n e r sehen Kalorimeter hat
freilich für faulenden Harn eine ziemlich geringe Wärmebildung ergeben
(§ 237). Man könnte das wieder durch die geringe Ausnützung, die
absolut sehr kleine Ernte (s. u.) erklären. Außerdem gibt es aber auch
Hamstoffbakterien von geringerer Gärkraft.
Für die Harnstoffbakterien besitzen wir außerdem einige leider
jichwer zu verwertende Angaben von Burchard *). Der Verfasser
findet, daß 1000 Individuen seines Micrococcus ureae liquefaclens in Harn
gezüchtet innerhalb der ersten drei Tage durchschnittlich 0,00003 — 0,0002 mg
in der Stunde zerlegen und schätzt daneu;h auf Grundlage der Angabe
von N ä g e 1 i , daß 30 Billionen trockene luid 6 Billionen feuchte Spalt-
pilze auf 1 g entfallen, das Zersetzungsvermögen von 1 g des Mikrokokkus
im feuchten Zustande auf 180 — 1200 g Harnstoff. Mir scheint diese Rech-
nung, wenn sie auch ziifällig mit den oben erwähnten Zahlen M i q u e 1 s
übereinstimmt, nicht genügend gegründet. Wenn Burchard wirklich
den Microc. ureae liquefaciens in Händen hatte, so kommen von ihm,
da er fast 2 ji im Durchmesser mißt, nur etwa Ve Billionen auf 1 g, also
36 mal weniger als der Autor anninunt, oder, auf das Trockengewicht be-
reehnet, 6 mal weniger. Wir hätten also ca. eineBillion trockener
Bakterien im Gramm mit einem Z e r s e t z un g s v e r -
mögen von 30 — 200 g Harnstoff stündlich. Dabei hat
Burchard die nicht sicher begründete Voraussetzimg gemacht, daß
die Bakterien sich in geometrischer Progression vermehren. Für kleinere
Zeiträume mag das zutreffen, sehr fraglich ist es aber, ob es für längere,
wie z. B. für 3 Tage gilt ( § 36). Wir ziehen für unsere Zwecke eine andere
Berechnung vor. In zwei Versuchen Burchards, die übrigens recht
ungleich ausfielen, fanden sich folgende Verhältnisse:
Anzahl der Keime
in ccm*)
nach
zu Beginn
72 Stunden
Harnstoff
zersetzt bin-
nen 72 Stun-
den in ccm
Bemerkungen
Versuch I .
V'ereuch II
15 531
59 613
42 720 720
2 072 971
1,78 mg
5,0
tf
Unverdünnter Harn
mit 1,345% Harn-
stoff
Ebensoich. m. 2,149%
Harnstoff u. etwas
phosphorsaiu-er Ma-
gnesia.
1) Arch. f. Hyg. 36.
2) Leider fehlen Zählungen der Keime in der Zwischenzeit von 0 bis
72 Stunden.
732
Kap. XIII, § 236.
Stimmt die Voraussetzung, die wir oben bezüglich der Größe des Mikro-
kokkus gemacht haben, so haben wir nach Ablauf von 3 Tagen:
Trockengewi cht
der Bakterien
im ccm
Zersetzte Harn-
stoffmenge
Verbrauchs-
Koeffizient
Ausnützungs-
Koeffizient
I.
II.
0,043 mg
0,002 „
1,78 mg
5,0
»>
1 : 41
1 : 2500
1 : 320
1 : 11000
Mit anderen Worten, die in 3 Tagen zu 1 g herange-
wachsene trockene Bakteriensubstanz des Mikro-
kokkus hat 41 — 2500 g Harnstoff zerlegt. Wahrscheinlich
ist die letztere Zahl zu h o c h und nur dadurch verursacht, daß die Kultur
in Versuch II schon längst den Höhepunkt ihrer Entwicklung hinter sicli
hatte. Der Zersetzungsprozeß schreitet andererseits hier wie sonst oft genug
auch nach dem Zugrundegehen der Bakterien lebhaft weiter, so daß in
Versuch I die Menge des zerlegten Harnstoffs nach einigen Tagen die
doppelte, in Versuch II sogar die 2 ^ fache Höhe erreichte, wälirend die
Zählplatten überhaupt steril blieben. Obige Ziffern erscheinen dadurch
um ebensoviel zu niedrig.
H a a c k e ^) kommt auf ähnlichem Wege wie Burchard zu dem
Schluß, daß 1000 Keime des Bac. aerogenes*) innerhalb der ersten 3 Tage
stündlich 0,00001 — 0,00838 mg Milchzucker zersetzen. Schon diese ge-
waltigen Unterschiede, die in der Versuchsanordnung keine Begründung
finden, zeigen aber die Unwalirscheinlichkeit der Voraussetzungen, auf die
die Rechnung gegründet ist. Einige Versuche stimmen besser miteinander
überein und führen zu den mittleren Zahlen 0,0001 — 0,00022 mg. H a a c k e
hat auch den Versuch gemacht, die Bakterienmenge, die auf 1 g kommt,
durch direkte Zählimg festzustellen. Er fand nur ca. 18 Milliarden im Gramm
feuchter Substanz. Das ist selbst, wenn man annimmt, daß reichliche
Mengen von Schleim in den Bakterien gebildet worden seien, sehr wenig.
Der Größe der Bakterien und unseren eigenen Erfahrungen nach wären
20 — 50 mal melir zu erwarten. Gesetzt es wären aber nur 180 Milliarden,
so hätten wir in 1 g trockener Substanz ca. 1 Billion Bakterien, die imstande
wären, stündlich 100 — 220 g Milchzucker zu zersetzen. Auch hier ziehen
wir eine andere Rechnung vor. H a a c k e stellte fest:
Anzahl der Keime
in ccm
nach
zu Beginn
72 Stunden
Milchzucker
zersetzt
nach 72 Std.
in ccm
Bemerkungen
Versuch III
Versuch IV
10 010
10 010
300 600 300
40 080 040
12,40 mg
9,98
ff
Molke mit 3,4%Milch-
Zucker tuid Pe-
pton
1) Arch. f. Hyg. 42.
2) Die vom Autor angeführten Eigenschaften stimmen mit der
üblichen Beschreibung überein, nur soll die Gramfärbung positiv aus-
gefallen sein. Das spricht für eine Verunreinigung mit Strept. lacticus
(s. § 97).
Wege des Sauerstoffs. Stoff- iind Kraftwechsel.
733
Wir haben dann nach unserer Annahme:
Trockengewi cht
der Bakterien
izQ CCtQ
III.
IV.
0,3 mg
0,04
j>
Zersetzter Milch-
zucker im ccm
Verbrauchs-
Koeffizient
Ausnützungs-
Koeffizient
12,4 mg
10,0
)»
1 : 41
1 : 250
1 : 147
1 : 1100
Mit anderen Worten: die in 3 Tagen zu 1 g (trocken)
herangewachsene Bakteriensubstanz des Bac. aero-
genes hat 41 — 250 g Milchzucker zerlegt. Nimmt man einen
späteren Zeitpunkt zum Ausgang der Berechnimg, so ändert sich der Ver-
brauchskoeffizient im Versuch III sehr wenig, denn einer 3 fachen Zunahme
des Milchzuckerverbrauches entspricht bis zum 12. Tage ein ähnlich ge-
steigertes Wachstum der Bakterien (a. a. O. S. 30). Im Versuch IV wächst
in derselben Zeit der Verbrauch an Milchzucker auch auf das Dreifache,
gleichzeitig steigert sich aber die Bakterienzahl auf d€is 50 fache. Der Ver-
brauchskoeffizient nähert sich daher hier demjenigen des Versuchs III.
Selbstverständlich steigt dabei auch die Ausnützung erheblich, so daß
die Koeffizienten für Verbrauch imd Ausnützung am Ende des Versuchs
fast gleich werden. Die Zahl 1:40 dürfte also unter den
Voraussetzungen, diewirfür das Bakteriengewicht
gemacht haben, den Verbrauch des Nährbodens
durch den Bac. aerogenes am besten wiedergeben^).
Auch die den freien Stickstoff assimilierenden Bakterien ver-
brattchen unverhältnismäßig viel Stoff und Kraft dabei. Nach S t o -
k 1 a s a 8 ausführliclier Arbeit (S. 632) verschwinden wenigstens in den
Kulturen des Azotobacter chrooeoccum auf jedes Gramm
neugebildeten Stickstoffs, d. h. imgefähr auf je 10 g der durch Eisen-
fällung bestimmten Leibessubstanz 99 — 224 g Traubenzucker. Wenn
nun auch ein Teil des Zuckers zu Zwischenprodukten (Essigsäure,
Buttersäure, Ameisensäure, Milchsäure, Alkohol) zerfällt, so wird doch
der größte Teil volltsändig zu Kohlensäure und Wasser verbrannt.
Damit stimmten auch die direkt durch Lüftungsversuche festge-
stellten Kohlensäuremengen Stoklasas und ebenso die K r a i n s -
kis ungefähr überein (a. a. 0.). Der zur Verbrennung nötige Sauer-
stoff ist natürlich sehr bedeutend, wurde aber nicht unmittelbar be-
stimmt.
Für eine andere aerobe Gärung, die der Essigbakterien,
gilt das Gesagte in noch höherem Grade. Duclaux (S. 430) gibt
dafür folgende Rechnung, die sich auf Versuchsergebnisse Pasteurs
1) Vgl. die Milchsäurebakterien K a y s e r s S. 728. Nähme man
mit Haacke eine 10 fach größere Zahl für das Bakteriengewicht an,
w stiegen die Koeffizienten auf 1 : 4, eine für Bakterien und namentlich
^äixingserreger ganz ungewöhnliche Höhe.
734 Kap. Xni, S 235 u. 236.
stützt: die Essigbakterien bilden nämlich auf einem Quadratmeter
Oberflächenknltur nur etwa 0,5 g Leibessubstanz, verbrauchen aber
gleichzeitig 165 mal soviel Luftsauerstoff und verbrennen damit 240mal
soviel Alkohol zu Essigsäure. Das ergibt, weil die Verbrennung des
Alkohols zu Essigsäure 2,5 große Kalorien entwickelt, einen Wärme-
verbrauch von 600 Kalorien auf jedes Gramm Bakterien, also einen
Quotienten von 4,5 : 604,5 = 0,75%. In der Essigfabrikation wird
die Wärmeentbindung in der Tat sehr fühlbar.
Für die Schwefel- und schwefelwasserstoffoxydierenden Mikrobien
(§ 208 ff.) liegen keine Emtebestimmungen vor. Wahrscheinlich ist
aber der Stoff- und Kraftverbrauch ein ähnlicher. — Genaue quantitative
Untersuchungen über den Verbrauch der Nährstoffe durch Mikroorga-
nismen, die peptonisierende ebenso wie diastatische
und andere hydroljrtische Enzyme bilden, haben wir leider nicht. Wahr-
scheinlich würde man recht hohe Zahlen finden, da ja diese Enzyme
sehr bedeutende Stoffmengen umwandeln können. Ein ungefähres
Bild davon kann man sich machen, wenn man bedenkt, wie schnell
manche Bakterien ein (Jelatineröhrchen, das etwa 1 g Leim enthält,
verflüssigen. Wenige, höchstens Dutzende von Milligrammen mögen
dazu genügen. Das gleiche gilt von dem Vermögen, Eiweißstoffe ge-
rinnen zu machen. Energetisch betrachtet spielen beide Arten von
Vorgängen, die verflüssigenden wie die koagulierenden, keine erhebUche
Rolle (§ 228 u. 228 b). Man kann freihch auch bei ihnen kaum von
einem „Verbrauch" der Nährstoffe sprechen. Im Gegenteil werden sie ja
durch die „Verdauungsenzyme" zur Emähnmg brauchbarer.
Anders wird das erst, wenn tiefere Spaltungen der
Nährstoffe eintreten. Beispiele für die der Kohlenhydrate haben wir
schon bei den Milchsäurebakterien erwähnt (s. o. S. 728), solche für die
Eiweißstoffe im § 234, als wir von dem Stoff- und Kraftwechsel des
Proteus sprachen. In der Tat handelt es sich auch bei diesen Bak-
terien, wie die ähnlichen Ergebnisse zeigen, wesentlich um Gärungen,
nicht um die gewöhnlichen Oxydationen von Aerobiern.
Im vorstehenden haben wir es bald mit der Zersetzung stickstoff-
haltiger, bald mit der Stickstoff loser Nahrungsmittel zu tun gehabt.
Grundsätzliche Unterschiede bestehen nicht in dem Verbrauch der
einen wie der anderen, solange sie den wesentlichen Teil der Nahrung
bilden, also gleichzeitig Bau- und Betriebsstoffe zu liefern haben.
Anders dagegen, wenn neben der Stickstoffsubstanz gleichzeitig große
Mengen leicht zersetzlicher, stickstoffreier Nahrung zur Verfügung
stehen, dann wird von der ersteren gewöhnlich nur soviel verbraucht,
wie zum Aufbau des Körpers und zum Ersatz der unbedeutenden Stick-
stoffausgaben für die sog. Hilfsstoffe der Zellen (Fermente, Gifte,
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 735
Farbstoffe § 68), die teilweise als Sekrete nach außen verloren
gehen, erforderlich ist, während der größte Teil des Stoffverbrauchs
auf die stickstoffreie Nahrung fällt. Weitere Angaben über die
gegenseitige Vertretung der Nährstoffe und ihre Auswahl durch die
Mikroorganismen haben wir in § 58 gemacht.
Zur Ausnützung der Mineralstoffe des Nährbodens durch
die Mikroorganismen haben wir auf S. 88 einiges beigebracht.
§ 236. Zusammenfassendes über die Stoff- and Kraft-
wechselbilanz der Kleinwesen. Aus den Erörterungen der § 232 —
235 e^bt sich, daß die stoffliche Ausnützung des Nährbodens, wie sie
den Schimmelpilzen eigen ist, nur von wenigen anderen Mikroorganis-
men erreicht wird, daß nach ihnen viele aerob wachsende Bakterien
und an letzter Stelle die Gärungserreger unter den Bakterien und
Piken kommen. Da das Leben bei Sauerstoffabschluß die Gärfähigkeit
\ieler Organismen bedingt oder wenigstens steigert, so ist die Aus-
nutzung der Nährböden größer und geringer, je nachdem sie unter
aeroben oder anaeroben Bedingungen leben. Die Menge der zur
Verfügung stehenden Nahrung, d. h. die Dichte der Nährstoffe steigert
nur bis zu einer gewissen Grenze die Ausnützung. Wir können in dieser
wie in anderen Beziehungen von einer für die Ausnützung günstigsten
Beschaffenheit des Nährbodens sprechen. Unter solchen
günstigsten Bedingungen, aber wie gesagt, wohl nur bei Schimmel-
piken, scheint der Ausnützungskoeffizient bei Ernährung mit Fett
oder Alkohol 50%, bei anderer 30% kaum zu überschreiten. Bei Bak-
terien werden solche Zahlen aber nicht im entferntesten erreicht; 10%
ist hier schon sehr viel.
Der Verbrauch an Stoffen zu andern Zwecken
als zum Zellenaufbau steht im allgemeinen im
umgekehrten Verhältnis zu der Ausnutzung, oder
anders ausgedrückt, der ökonomische oder Verbrauchskoeffizient (S.709)
geht mit dem Ausnützungskoeffizienten ziemlich parallel. Während
die Schimmelpilze im besten Falle nur 1—2 mal mehr Nahrungsstoffe
zu ihremLeben bedürfen, als in ihremKörper enthalten sind, verbrauchen
schon aerobe Bakterien etwa 10 mal, Gärungserreger 100 und selbst
lOOOmal mehr.
Die Erklärung dieser Erscheinungen liegt zum Teil offenbar in
den Energieverhältnissen. Bei Aerobier.n wächst die Aus-
beute ziemlich regelmäßig mit dem Verbrennungs-
wert der Nahrungsstoffe, die Anaerobier bzw.
die Gärungserreger verbrauchen weit mehr
Nahrung, weil durch die Gärung viel weniger
736 Kap. XIII, § 236 u. 237.
Energie gewonnen wird als durch (vollständige)
Oxydation der Nährstoffe. Ein anderer Teil der Unter-
schiede liegt aber in der Eigenart der Kleinwesen • der
Stoffwechselprozesse, die sie erzeugen, begründet.
Schimmelpilze, aerob wachsende Hefe und Milzbrandbazillen speichern
in ihrem Körper etwa 50% der im ganzen umgesetzten Energie auf,
die Bakterien der Milchsäuregärung etwa ebensoviel, gärende Hefe und
Bac. subtilis 37 — 38%, der streng aerobe Bac. pyocyaneus und der
fakultativ anaerobe Bac. proteus 19 — ^20%, die Harnstoff-, Essig- und
Nitritbakterien aber nur 0,5 — 2%\ Eine Erklärung dafür zu geben,
sind wir vorläufig außerstande. Jedenfalls fällt der zum Aufbau der
Zellsubstanz nötige Energiebedarf, wie wir in § 229 — 231 sahen, rein
rechnerisch betrachtet, unter keinen Umständen irgendwie ins Ge-
wicht gegenüber dem tatsächlich gefundenen Energieverbrauch, und
es ist wohl noch sehr zweifelhaft, ob der mehrfach in unsem Erörte-
rungen festgestellte Umstand, daß der Stoff- und Kraftver-
brauch verhältnismäßig um so größer wird, je
spärlicher das Wachstum der Kleinwesen ist*),
uns eine zumedenstellende Lösung des Rätsels bietet. Wir müssen uns
zunächst mit der Tatsache zufrieden geben, daß die zum Betrieb nötige
(§ 35) Energie der Klein wesen gegenüber der zum Aufbau nötigen
sehr schwankende Werte besitzt und die letztere stets erheblich übertrifft.
§ 237. Kraftleistungen der Kleinwesen. Wärmeentwick-
lung 2). Der Stoffwechsel befähigt die kleinsten wie' andere Lebewesen
zu Kraftleistungen. Über eine andere Quelle von solchen, wie etwa die
grünen Pflanzen sie im Sonnenlichte besitzen, verfügen sie nicht,
vielleicht mit Ausnahme der Purpur- und „grünen" Bakterien (§ 200
und 253). Die im Stoffwechsel zur Geltung kommende chemische
Energie muß also nicht nur die Kosten der chemischen Ver-
änderungen, seien sie nun zersetzender oder aufbauender Art,
tragen, sondern sich auch in andere Formen von Energie ver^'andeln.
Zu den mechanischen Kraftleistungen gehören die Eigen- und
Wachstumsbewegungen ^), Erscheinungen der Stoff-
1 ) Es erinnert das an die Beziehungen, die zwischen Wärmeerzeugung
und Oberflächenausdehnung bei höheren Tieren bestehen. Hierbei ist die
Wärmeabgabe nach außen entscheidend. Selbstverständlich ist auch die
Wärmeabgabe bei den weniger sparsam arbeitenden Bakterien größer
als bei den übrigen Kleinw^esen ( § 237), aber das kann doch bei diesen poikilo-
thermen Wesen kaum die Ursache der mangelnden Sparsamkeit sein.
2) Vgl. hierzu Pfeffer, Studien zur Energetik, 1892; Pflanzen-
physiologie 2. Aufl. 2. Bd. Kap. 15 u. 16, 1904; Ostwald, Grundr.
allgem. Chem. 3. Aufl. 247, 1899.
3) Vgl. § 36, 46 u. 56.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 737
aufnähme in die, und der Stoffausscheidung aus den
Zellen, der durch Gasentwicklung gelieferte, unter Um-
ständen recht beträchtliche Druck, der sich bei Gärungen in ge-
schlossenen Gefäßen z. B. in deren Zertrümmerung äußern kann, zu
den nicht mechanischen außer der chemischen Arbeit die Licht-
entwicklung (§ 238) und Wärmeabgabe. Bisher fehlt es
an einer genaueren Abschätzung dieser energetischen Faktoren,
wahrscheinlich stehen aber alle übrigen hinter
der Wärme erheblich zurück. Dies Verhältnis gilt
bekanntlich nicht nur bei unseren künstlichen, durch Ver-
brennung betriebenen Maschinen, sondern auch im Leben der
Tiere, während es bei den grünen Pflanzen nur für einzelne Fälle
g^ichert ist.
Die Kraftleistungen der Krankheitserreger gehen nur
scheinbar über die der übrigen hinaus. Allerdings sind die mechanischen
Wirkungen, die durch wenige Wundstarrkrampf bazillen,
die thermischen, die durch alle fiebererregenden Keime her-
vorgerufen werden, im Verhältnis zu den Massen der Erreger, ganz
gewaltige. L^nd noch großartiger stellt sich jede Epidemie nament-
lich durch ihre zerstörenden Leistungen unserem Auge dar.
Werden doch durch sie nicht bloß an Tausenden imd Abertausenden
von Kranken ähnUche E^aftäußerungen bewirkt, sondern auch ebenso
viele lebendige Kraftmtischinen zeitweise oder auf die Dauer zum teil-
weisen oder völligen Stillstand gebracht. Es handelt sich aber hier,
wie man leicht einsieht, nicht um unmittelbare Kraftwirkungen der
Mikroorganismen, die durch ihren Stoffwechsel im lebenden Nährboden
verursacht wären, sondern um Auslösungserscheinungen
an eben diesen lebendigen Maschinen, die wir auf mehr oder weniger
in die Feme wirkende „Gifte" (Kap. XVI) „Angriffs-" und „Reizstoffe"
(Kap. XVII) zurückführen (vgl. § 51 u. 68). j
Daß große Wärmemengen durch Mikrobentätigkeit entvrickelt
werden können, ist aus der Gärungsindustrie (Alkoholgärung § 94 — 96,
Kssiggärung § 135) längst bekannt. Auch die „Selbsterhitzimg" des
Tabaks, Heus, Mistes usw. auf Temperaturen bis zu 70®, und deren
Selbstentzündung hat man in ähnlicher Weise erklären wollen (§ 157),
aber nicht inuner mit Recht, da hier ebenso wie in der keimenden
Gerste und in den Blütenkolben von Arum die Wärme durch Enzyme
der Pflanzenzellen selbst erzeugt werden könnte.
Während der Nachweis der Temperaturerhöhung in diesen Bei-
spielen durch die massenhafte Anhäufung der mikrobienhaltigen Stoffe
begünstigt wird, kann man ihn bei Verwendung der üblichen Kultur-
mengen durch besonders feine Thermometer oder durch Mittel, die
Krose, Mikrobiologie. 47
738 Kap. XIII, § 237.
die Wärmeabgabe nach außen herabsetzen, ermöglichen. E r i k s o n M
ging so vor, daß er die Kugel eines Thermometers mit Filtrierpapier
umwickelte, das mit Nährlösung getränkt und mit Hefe beimpft war.
Es zeigte sich, daß in einer Wasserstoffatmosphäre, wo das Wachstum
der Hefe nur gering ist, die Temperatur um 0,2®, bei Luftzutritt aber
um 1,2 oder gar 3,9° stieg, je nachdem genügender Zucker zersetzt war
oder nicht. R u b n e r s Kalorimeter*) besteht aus einem langhalsigen
Glaskolben von 300 ccm Inhalt, der durch zwei luftleer gemachte
Hüllen von Glas isoUert ist, und dessen Temperaturen an einem sehr
empfindlichen, den Stopfen des Gefäßes durchbohrenden Thermometer
abgelesen werden. Das Instrument läßt sich eichen und zur genauen
Messung der von beliebigen Mikroorganismen entwickelten Wärme
benutzen'). R u b n e r *) hat mit seiner Hilfe einige vorläufige Unter-
suchungen von Faulflüssigkeiten angestellt. Die Temperaturkurven
in einem mit faulendem Harn geimpften frischen Menschen-
ham zeigten z. B. nach einer Inkubationszeit von einem halben Tage
einen Anstieg von etwas mehr als 0,P und dann einen allmählichen
Abfall bis zum Ende des dritten Tages, im ganzen also nur eine im
Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Hamstoffbakterien (S. 731)
geringe Wärmeentwicklung. Pferdeharn, Dünger, Jauche
erwärmten sich dagegen sehr schnell um 1,2^, kühlten sich ebenso schnell
wieder auf 0,2^ ab und hatten nach einer weiteren vorübergehenden
Erwärmung erst am 8. Tage wieder die normale Temperatur. Ira
faulenden Fleischsaft stieg die Temperatur bis zum 2. Tage
um 0,2** und sank dann bis zum 8. Tage. Kotaufschwemmungen
(1:3) brauchten meist 1 — 2 Tage, um sich merklich zu erwärmen,
erreichten daim Temperaturen von 0,2 — ^0,4**, die sie längere Zeit fest-
hielten. Offenbar bestehen hier zunächst Wachstumshemmungen
(S. 136), die dann aber verwickelten Zersetzungen Platz machen. Leider
gab R u b n e r in dieser Arbeit keine ähnlichen Versuche mit Bein-
kulturen wieder, sondern begnügte sich, die Wärmeentwicklung von
Bakterien, die in großen Massen in Nährlösungen aufgeschwenunt
waren, festzustellen, weil er so schnellere Anstiege im Kalorimeter
erhielt. Das hat den Nachteil, daß man im Unklaren bleibt, ob die
Wärme überhaupt beim Wachstum der Bakterien, die unter solchen
Bedingungen fast aufgehoben zu sein scheint (S. 136) und nicht viel-
mehr bloß durch ihre Gärtätigkeit im Nährboden und die
Selbstzer8etzung(§ 166) im eigenen Leibe gebildet wird. Meist '
1) Untersuchg. bot. Inst. Tübingen (Pfeffer) 1. 105. 1881.
2) Arch. f. Hyg. 48, 1904.
3) Einzelheiten s. bei R u b n e r.
4) Arch. f. Hyg. 57. 228, 1906.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 739
stieg die Temperatur in Aufschwemmungen von 0,5 — 5 g frischer
Prodigiosus- und Colibazillen nach einer Inkubation von |^ — 1 Tage
um 0,2 — 0,4® tmd sank nach 2 — 3 Tagen plötzlich, aber nicht voll-
standig ab. 0,5 g Froteusbazillen steigerten sogar in einem kleinen
Kalorimeter (60ccm 6% Fleischextrakt) die Temperatur ohne Inku-
bation und tagelang um durchschnittlich 0,4 — 0,8^ und bis zu einer
Maximalhöhe von 1®. Bubner berechnete daraus für 4 Tage eine
Wärmeabgabe von 2800 Kai., d. h. 15% der im Nährboden ursprünglich
enthaltenen Kalorienmenge. Das entspricht — vielleicht nur zufällig —
ziemlich genau den beim Wachstum dieser selben Bakterien in dem
gleichen Nährboden verbrauchten Wärmemengen (S. 727) . Zum Ver-
gleich diene die ebenfalls von B u b n e r mittelst seines Kalorimeters
f ^tgestellte , bei der Autolyse von licberpreßsaft entwickelte Wärme:
sie betrug auf 1 kg Leber nur durchschnittlich 715 Kai. (in 24 Stunden^)),
und, da die Wärmebildung nur 3 Tage dauerte, im ganzen nicht mehr
als die der 2000 mal kleineren Bakterienmasse. Nawiasky^) hat
spater im Laboratorium B u b n e r s diese Versuche vervollständigt,
indem er teils lebende Proteusbakterien, teils abgetötete, getrocknete
und mit Glaspulver zerriebene (Azetondauerpräparate) in großen
Mengen in 250 — 300 g 5%iger Asparaginsalzlösung einbrachte und die
Wärmeentwicklung im Kalorimeter beobachtete. Die Temperatur-
steigerung betrug 0,49^^,0,62®, bzw. 1,04° und wurde nach 18, 12 bzw.
H Stunden erreicht, je nachdem 2, 4 oder 8 g lebender Froteusbazillen
angewandt wurden. Nach 28 Stimden, wo die Versuche abgebrochen
wurden, obwohl die Temperatur noch um 0,4 — 0,2° erhöht war, be-
rechnete sich die Wärmeerzeugung auf 592, 820 und 1266 Kalorien^).
In einem weiteren Versuch mit 2,55 g Dauerpräparat (aus 8 g frischen
Bazillen) stieg die Temperatur nach 9 Stunden um 0,44°, sank nach
24 Stunden auf 0, um dann noch einige Hundertstel Grade weiter zu
fallen. Die Wärme betrug hier 569 Kai. Die Quelle der Wärme
liegt, obwohl ja autolytische Vorgänge nicht ausgeschlossen sind, im
wesentlichen wohl in der Zersetzung des Asparagins zu asparagin«
saurem Ammoniak (durch Hydrolyse) und dem weiteren Zerfall des
letzteren in Bemsteinsäure, essigsaures und kohlensaures Ammoniak
(vgl. Näheres § 169). Da aber die Verbrennungswärme des bemstein-
sauren Ammoniaks sogar höher angegeben wird als die des Asparagins,
wird die Energie wahrscheinUch nur durch die Zersetzung zu Essig-
und Kohlensäure geliefert. Entsprechende Untersuchungen über die
1) Temperaturausschlag bis 0,3° in einem Kalorimeter von 250 ccm.
2) Arch. f. Hyg. 66. 1908.
3) Auf 1 g Stickstoffsubstanz des Proteusbazillus berechnet sich
daraus die Energielieferung auf 19,4 kg Kai. für 24 Stunden.
47*
740 Kap. Xni, § 237.
Wärmebildung bei den Zersetzungen anderer Aminosäuren
wären sehr erwünscht, um ein Bild zu bekommen von den energetischen
Verhältnissen bei der Eiweißzersetzimg und Fäulnis (vgl. S. 686 u. 704).
Mit Hilfe seines Kalorimeters versuchte R u b n e r femer, die
bei der Alkohol- und Milchsäuregärung entwickelte
Wärme zu finden. Bei Einsaat von großen und kl^en Hefemengen^)
stieg die Temperaturkurve im Kalorimeter mehr oder weniger steil
um 1 — 2^, um dann allmählich abzufallen. Daraus und aus der Menge
des verschwundenen Zuckers berechnete B u b n e r die Gärungs-
wärme von 1 g Rohrzucker für Kohlensäure als Gas auf 149,5 Kai.*),
für Kohlensäure in Lösung auf 211,7 Kai. Die Inversions-
wärme des Rohrzuckers wurde ebenfalls im Kalorimeter auf
9,6 Kai. für das Gramm oder auf 3,3 Kai. für das Grammolekül
bestimmt ®). Die Gärungswärme des Traubenzuckers
betrüge also nach Rubner im Grammolekül
25,6 (große) Kai. Nach den freiUch wenig vollkommenen Bestimmungen
Dubrunfauts*), Bouffards^) imd Browns*) wären die
gleichen Werte erheblich niedriger (21,4 — ^23,7 Kai.) imd ebenso nach
der Berechnung aus den Verbrennungswärmen des Traubenzuckers und
Alkohols (22,3 Kai.). NamentUch dieser letzte Unterschied, der etwa
12% ausmacht, wäre noch aufzuklären. Man könnte daran denken,
daß in Rubners Versuchen, in denen allermeist große Hefemengen
in reiner Zuckerlösung eingesät wurden, und dabei keine Vermehrung,
sondern Verminderung ihrer Substanz eintrat, außer der Alkoholgärung
noch besondere Eiweißzersetzungen mitspielten, indessen konnte es sich
dabei nur um anaerobe Vorgänge handehi, durch die vermutlich nicht
erhebliche Wärmemengen entwickelt wurden. In der Tat hat Rubner
beim Aufschwemmen von großen Mengen Hefe in Wasser nur geringe
Temperatursteigerungen') in seinem Kalorimeter beobachtet und be-
zieht diese ausschließlich auf die Selbstgärung, d. h. diie Vergärung des
Hefeglykogens (§ 91). Übrigens ergaben auch die Versuche, in denen
Rubner die Wärmebildung wachsender Hefe untersuchte, keine
1) Arch. f. Hyg. 49. 1904.
2) Für das Molekül 51,1 und 72,4 Kalorien.
3) Aus den Verbrennungswärmen von Stohmann berechnet
3,1 Kai. (vgl. § 127).
4) Compt. rend. ac. sc. 1856, S. 945.
5) Ebenda 1895, S. 357.
6) Zeitschr. f. Brauwesen 24. 273.
7) Höchstens 0,25® und eine Wärmemenge, die auf 100 g Hefe einer
Vergärung von 2,6 g Zucker entspricht. Die Bestimmung der Verbrennungs-
wärme ergab einen 1 Omal größeren Wärmeverlust, wahrscheinlich aber mir
wegen der Verflüchtigung von Stoffen beim Trocknen.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 741
wesentlich kleineren Werte, und die geringen Unterschiede (höchstens
8%) könnten sich noch daraus erklären, daß der Verfasser wohl nicht
zutreffenderweise den ganzen Zuckerverlust auf [die Gärung und nicht
zum Teil auch auf den .insatz bezog. Die hohen Zahlen B u b n e r s
können auch kaum darauf beruhen, daß die Hefegärung keine rein
alkoholische ist, denn bei der Bildung der Nebenerzeugnisse (Glyzerin,
Bemsteinsaure § 90) werden wohl nicht größere Wärmemengen frei
als bei der des Alkohols.
Auffällig ist, daß R u b n e r ^) auch bei der kalorimetrischen
Untersuchung der Milcbsäuregärung weit größere Wärme-
mengen entstehen sah, als nach der thermochemischen Berechnung
sich ergeben müßte. Die Temperaturkurve stieg bei der freiwilligen
Säuerung der Milch im Laufe der ersten 3 — 4 Tage fast ohne Inkubation
und ziemlich gleichmäßig bis auf 1 — 1,6° und hielt sich dann noch
längere Zeit fast auf gleicher Höhe. Sieht man nun auch von der letzteren
Eischeinimg, die vielleicht durch unkontrollierbare Nachgärungen her-
vorgerufen wird, ab und berücksichtigt nur die erste Zeit der Gärung,
so erzeugt die Vergärung des Zuckers zu Milchsäure
— nach der Ver b r ennun gs war m e berechnet —
kaum die Hälfte der von Rubner wirklich ge-
fundenen Wärme. Welche Wärmequellen sonst zur Verfügung
stehen, ist dunkel. Die Gerinnung an sich verläuft nach Rubner
ohne Wärmeentwicklung, mid bei der Umsetzung der Phosphate durch
die Milchsäure entsteht auch nur wenig W^ärme. Man könnte an andere
Zersetzungen des Milchzuckers, z. B. die (anaerobe) Essigsäuregänmg
oder an Spaltungen des Kaseins usw. denken. Daß solche mit der Milch-
säuregärung einhergehen, ist sicher^), aber bisher glaubte man, daß sie
nur eine nebensächliche Bedeutimg hätten. Vielleicht traf das jedoch in
den Versuchen R u b n e r s deswegen nicht zu, weil sie nicht wie
gewöhnlich bei Zimmertemperatur, sondern bei
37® angestellt wurden. Das begünstigt entschieden abnorme
Gärungen. Grenauere Analysen der Gärungserzeugnisse wurden zwar
nicht vorgenommen, jedoch einmal gleichzeitig die Verbrennungs-
wärme der Milch vor und nach der Gärung bestimmt. Dabei zeigte
sich ein Verlust an Trockensubstanz von 7% und gleichzeitig eine Zu-
nahme der spezifischen Verbrennimgswärme. Das spricht für eine
reichliche Bildung flüchtiger Produkte, und zwar aus Zucker oder
Eiweiß. Nimmt man an, daß das der Hauptsache nach anaerob aus
1) Arch. f. Hyg. 6. 244, 1906.
2) Vgl. bei der Essigsäuregäning (§ 103) und der Bernsteinsäuro-
ßarung (§ 107). Wichtige Einzelheiten namentlich bei Kozai, Zeitaclir.
Hyg. 38.
742 Kap. XIII, § 237 u. 238.
dem Milchzucker entstandene Essigsäure gewesen sei, so scheint
zunächst der Mehrverlust an Wärme in gewisser Ausdehnung erklärt,
da diese Gärung mehr als doppelt soviel Wärme entbindet, wie die
Milchsäuregärung^). Indessen würde das wieder nicht mit der Ver-
brennungswärme stimmen. Denn deren Gesamtmenge war in dem
Versuch um 1114 Kai. gesunken, während der Trockensubstanzverlust
von 1,15 g auch nur zum kleineren Teil als Essigsäure berechnet, mehr
als diesen Wert ergeben würde. Bei der Unkenntnis dieses Faktors
kann man natürlich auch die Tatsache, daß der durch die Verbrennung
bestimmte Wärmeverlust nicht allzu verschieden war von dem kalori-
metrisch bestimmten, nicht mit R ii b n e r als Bestätigung seiner
kalorimetrischen Messungen ansehen. Wie man also die Dinge auch
betrachtet, überall geben sie uns Rätsel auf. Jedenfalls ist eine Nach-
prüfung der R u b n e r sehen Untersuchungen namentlich auch mit
Reinkulturen und einfachen Zuckerlösungen dringend erwünscht.
Mehrfach wurde schon von der Bestimmung der Wärmeverluste
durch die Feststellung der Verbrennungswärme des Nährbodens vor
und nach der Züchtung der Mikroorganismen gesprochen. An sich
muß man zugeben, daß diese mittelbare Methode ebenso geeignet ist.
uns über die von den Keimen entwickelte Energie zu unterrichten als
die unmittelbare Bestimmung der während der Kultur der Mikroorga-
nismen entwickelten Wärme. Daß beide Verfahren Schwierigkeiten
bieten, folgt aber aus den gegebenen Beispielen. R u b n e r und gleich-
zeitig mit ihm T a n g 1 haben die Verbrennungsmethode noch in einer
ganzen Anzahl von Fällen zur Messung der Energie von Bakterien
benutzt. Wir besprachen die Ergebnisse schon im § 234. Eine Haupt-
fehlerquelle, die dabei durch Nichtberücksichtigung der während der
Kultur und beim Eintrocknen entstehenden flüchtigen Stoffe entsteht,
haben beide Forscher teils durch geeignete Wahl der Keime, teils durch
Anbringung von Korrekturen zu verstopfen gesucht. Wie weit das
gelungen ist, steht dahin. Andere Fehlerquellen sind zwar auch noch
vorhanden, fallen demgegenüber aber wohl weniger in Betracht.
Eine dritte Methode besteht darin, aus den einzelnen chemischen
Umwandlungserzeugnissen, welche die Keime im Nährboden hervor-
rufen, seien es n\m exotherme (Zersetzungen) oder endotherme (z. B.
S3aithesen), nach den Grundsätzen der Thermochemie die Wärmebil-
dung zu berechnen. Wir haben die Grundlagen dafür in allen voran-
gehenden Kapiteln und im § 219 — 231 gegeben. Die Schwierigkeiten
sind hier doppelter Natur: erstens kennen wir die einzelnen Vorgange
nach Art und Ausdehnung nur unvollkommen; zweitens sind ihre
1) Nach § 98 nämlich 33 Kai. gegen 15 auf da« Molekül Traubenzucker.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraft Wechsel. 743
ReaktionswärmeD vielfach noch nicht sicher genug festgestellt. So
haben vfir an dem Beispiel der doch verhältnismäßig besonders gut
bekannten Alkohol- und Milchsäuregärung gesehen, daß die Berechnung
und die unmittelbare Bestimmung der Wärmeentwicklung recht ver-
schiedene Ergebnisse liefern. Trotzdem bleibt uns bisher in vielen
Fällen nichts besseres übrig, als diese Verfahren anzuwenden, um uns
von den Energieverhältnissen der Mikroorganismen ein Bild zu machen.
(Vgl. § 232—236.)
§ 238. Lichtentwicklung 1). Wie viele höhere und niedere, auch
einzellige Tiere, einige Algen (Peridinien) und holzzerstörende Hutpilze
(.\garicus melleus u. a.^)), so können auch Bakterien Licht entwickeln.
Daß tote Fische und andere Seetiere, seltener Fleisch im Dunklen
leuchten, ist eine alte Erfahrung, daß daran „Pilze'', die von ihm soge-
nannten „Sarcina noctiluca", schuld seien, hat aber erst .1. F. H e 1 1 e r ^)
festgestellt. Nach ihm machte P f 1 ü g e r *) die gleiche Entdeckung
noch einmal. Ihm gelang es, die Leuchtbakterien durch ungeleimtes
Druckpapier aus dem in 3%iger Seesalzlösung verteilten leuchtenden
Schleim der Oberfläche toter Schellfische so abzufiltern, daß die Flüssig-
keit nicht mehr leuchtete. Femer glückten P f 1 ü g e r schon Über-
tragungen auf Süßwasserfische, Pferdefleisch usw. unter der Bedingung,
daß diese in Salzlösung eingelegt wurden. F. Cohn, Fr. Ludwig,
Lassar, Nüesch, B. Fischer^), Beijerinck, Du-
bois,Katz u.a. beschreiben dann die von ihnen auf Fleisch, in Meer-
wasser usw. gefundenen und schheßlich auch in Reinkulturen gezüchteten
leuchtenden Bakterien unter verschiedenen Namen. Nach den Zusam-
menstellungen von Migula®) imd Molisch') wären jetzt schon
mehr als zwei Dutzend „Arten" bekannt. Viele sind aber ungenügend
beschrieben, einige Arten, so der „Micr. Pflügen" wohl zu streichen,
denn die gut bekannten gehören alle entweder zu den Stäbchen oder
Kommabazillen (Microspira Mig.). Die Leuchtbakterien mit Beije-
rinck®) unter eine Gattung „Pbotobakterium" zu bringen, geht
1) Über die Aiissendung anderer als leuchtender Strahlen durch
Mikrobien ist bisher nichts bekannt. Bei der Wirkung von Pepsin und
Trypein auf Fibrin sollen nach Lambert n- Strahlen entstehen (Compt.
rend. ac. sc. 138. 196, 1904).
2) Aufgezählt bei Zopf, Pilze, 1890, S. 195.
3) Arch. phys. imd path. Chem. und Micr. Wien., N. F. 1853 und
1S54, Bd. 6 (nach M o 1 i s c h).
4) Sein Archiv 10 und 11, 1875.
5) Zeitßchr. f. Hyg. 2. 54, 1887; Zentr. Bakt. 3, 4 und 15, 660.
6) System der Bakterien 2. Bd., 1900.
7) L a f a r 8 Handb. 1. 625, vgl. auch „Leuchtende Pflanzen", 1904
und Sitzungsber. Akad. Wiss. Wien 1902—1904.
8) Ref. Zentr. Bakt. 7. 338 (auch Kochs Jahresber. 1890. 180).
744 Kap. XIII, § 238.
aus demselben Grunde nicht an, zumal da auch die Stäbchenformen
bald dem unbewegUchen Aerogenestypus (Bacterium Mig.), bald dem
peritrichen Bacillus Mig. oder der lophotrichen Pseudomonas Mig.
zugehören. Wie verbreitet die Leuchtbakterien sind, hat M o 1 i s c h
gezeigt, indem er beliebige, vom Schlächter bezogene Fleischstücke,
in eine 3%ige Kochsalzlösung halb untergetaucht, bei 9 — 12® unter
Glocken stehen ließ. Nach 1 — 3 Tagen waren 89% der Rindfleisch-
und 66% der Pferdefleischproben durch das Bact. phosphoreum leuch-
tend geworden.
Schon aus P f 1 ü g e r s Filtrierversuchen folgt, daß die Lichtent-
wicklung an den Bakterienzellen haftet, Fischer, K. B. Leh-
man n ^) und fast alle anderen Forscher haben das nur bestätigen
können. Die von Ludwig^) verfochtene Ansicht, das Leucht«!!
werde durch Ausscheidung eines Leuchtstoffes
bewirkt, der wie andere organische Körper (Traubenzucker, äthe-
rische öle, manche Fette, aromatische Kohlenwasserstoffe) mit Alkalien
und Sauerstoff, bei gewöhnlicher oder höherer Temperatur geschüttelt,
phosphoresziere (ßadziszewsky^)), schwebt bisher in der Luft.
Die Photogramme der Leuchtbakterien, die mit ihrem eigenen Licht
aufgenommen sind, geben nach M o 1 i s c h , entgegen der Behauptung
Ludwigs, nur Bilder der Kolonien, keine Ausstrahlung in die Um-
gebung. Auch D u b o i s *) nimmt einen Leuchtstoff (Luziferin) bei
den Bakterien, wie bei der Bohrmuschel, an, glaubt aber, daß er durch
ein Enzym (Luziferase) oder durch oxydierende Chemikalien (Per-
manganat) erst zum Leuchten gebracht werde. Wenn man sich vor-
stellt, daß das im Inneren der Zelle geschähe, so wäre an sich nicht«
dagegen einzuwenden. Beweise dafür, die nach Art des Zymaseversuchs
anzustellen wären, fehlen aber. Im Gegenteil fanden B e r n a r d und
Macfadyen ^), daß das Leuchtvermögen ihrer Bakterien zwar die
Temperatur der flüssigen Luft aushielt, aber verloren ging, sobald die
Leiber bei dieser Temperatur zerquetscht wurden. Man wird also wohl
die von Beijerinck und anderen ausgesprochene Ansicht, das
Leuchten beruhe auf einem Vermögen, das nur dem lebenden Proto-
plasma zukomme, mindestens insofern annehmen dürfen, als die An-
regung zum Leuchten nicht immer von einem isolierbaren
1) Zcntr. Bakt. 5. 24.
2) Zentr. Bakt. 2. 372.
3) Ber. deutsch, ehem. Gesellsch. 77. 70 und L i e b i g s Annal. 203,
1880.
4) Compt. rend. ac. sc. 107. 502, 1888; Le9on9 de physiol. 2. Bd.
1898; Soc. biol. 1905. 1043.
5) Ann. of botany (Kochs Jahresber. 1902).
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraft Wechsel. 745
Enzym auszugehen braucht. Vielleicht sind aber andere als die von
den englischen Forschem benutzten Bakterien geeigneter zur Dar-
stellimg etwaiger „Oxydasen^^ (N a d s o n ^)); die Bildung bestimmter
licachtstoffe, die Beijerinck ebenfalls leugnet, ist auch durch
B e r n a r d imd Macfadyen nicht widerlegt.
Die Beschaffenheit des von den Leuchtbakterien ausgestrahlten
lichtes hat man spektroskopisch untersucht und dabei ziemlich über-
einistimmend gefunden, daß das Spektrum kontinuierUch ist und einer-
seite bis in das Violett, andererseits aber nur bis höchstens in das Gelb
hineinreicht (L u d w i g ^) , Bernard und Macfadyen, Gor-
ham'), Molisch). Schon deswegen ist es wenig wahrscheinUcb,
daB das Bakterienlicht Chlorophyll zur Assimilation befähigt. I s s a t -
schenko^) hält allerdings seine in dieser Beziehung gewonnenen
positiven Ergebnisse gegenüber M o 1 i s c h aufrecht. Photo-
graphische Wirkungen des Bakterienlichts sind aber all-
seitig anerkannt, und neuerdings auch phototaktische auf Pflanzen-
keimHnge nachgewiesen worden.
Die Farbe des Bakterienlichtes ist weißlich, mit einer Beimischung
von gelb, grün oder blau. Das Licht ist ein gleichmäßiges und wird nicht
wie das vieler Tiere durch Reizung nur für kurze, sondern meist für
längere Zeit erregt.
Die Grundbedingung der Lichtentwicklung ist Sauerstoff-
zutritt. Es gibt zwar fakultative Anaerobier unter den Leuchtbak-
terien, aber sie leuchten nur da, wo ihnen freier Sauerstoff zu Gebote
steht. Unter Wasserstoff oder Kohlensäure hören daher die leuchtenden
Rasen oder Flüssigkeiten bald zu leuchten auf und ebenso, wenn die
Fäulnis in ihnen überhand nimmt. Umgekehrt befördert Schütteln mit
Luft das Leuchten oder ruft es augenblicklich hervor. Spuren von
Sauerstoff, wie sie z. B. von Algen im Licht ausgeschieden werden,
genügen allerdings zur Lichtentwicklung, so daß Beijerinck und
H o 1 i s c h ^) neuerdings die Leuchtbakterien als feinstes
Reagens auf Sauerstoffentwicklung anwenden.
Ein brennendes Streichholz genügt z. B., um das Leuchten von Bak-
terien in einer oberflächUch filtrierten Aufschwemmung von zerriebenen
Blättern hervorzurufen. Danach kann es sich nur um so geringe Sauer-
stoffmengen handeln, daß es nicht möglich ist, die dabei anzunehmende
Oxydation durch ihre Produkte (Kohlensäure) nachzuweisen.
1) Vgl. Kochs Jahresber. 1903. 127.
2) Zeitschr. wiasenschaftl. Mikr. 1, 1884.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 13. 327, 1904.
4) Ebenda 10. 497.
5) Botanische Zeitung 1904. 1.
746 Kap. XIII, § 238.
Man könnte denken, daß hohe Temperatur einen befördern-
den und niedere einen hemmenden Einfluß auf das Leuchten aus-
übe. Das ist auch innerhalb der Wachstumsgrenzen der Leucht-
bakterien der Fall, weshalb meist Temperaturen von 20 — 30® am
günstigsten für das Leuchten zu sein pflegen. Jenseits der Wachstums-
grenzen, die gerade bei Leuchtbakterien manchmal bis auf 0® hinunter-
gehen sollen, wirken aber höhere Temperaturen viel schädlicher, als
niedere (s. u.). So hatte schon Heller gefunden, daß seine Sarcina noc-
tiluca selbst im Eise bei — 14® R. weiter leuchtete. Nicht alle Leucht-
bakterien sind aber so widerstandsfähig gegen niedere Temperatuien
(Pflüger, Fischer). Die Temperatur der flüssigen Luft hebt
zwar bei längerer Einwirkung die Lichtentwicklung immer auf, nach
dem Auftauen beginnt sie aber sehr schnell wieder (B e r n a r d und
Macfadyen s. o.).
Die Art der Ernährung ist von wesentlicher Bedeutung für
die Leuchtbakterien und ihre Tätigkeit. Am wichtigsten ist für die
allermeisten von ihnen ein hoher Salzgehalt, daher sie oder
Fischer auch „Hahbakterien*' genannt werden. Die besten Nähr-
böden für Leuchtbakterien enthalten als Grundlage Meerwasser oder
3% ige Kochsalzlösung. Wie Molisch feststellte, ist für das Bact.
phosphoreum Kochsalz nicht unentbehrUch, sondern ebenso gut oder
besser brauchbar sind die Chloride des Kaliums, Magnesiums, Kalziums,
femer JodkaUum, Kaliumnitrat und -sulfat. Magnesiumsulfat und
Dikaliumphosphat sind am wenigsten oder gar nicht geeignet, obwohl
sie reichüches Wachstum zulassen. Andere Arten verhalten sich ver-
schieden, imd einige von Kutscher^) aus Eibwasser oder Kot
gezüchtete leuchtende Vibrionen bedürfen keines besonderen Salz-
zusatzes. Die von Beijerinck untersuchten Arten brauchen
entweder wenigstens Pepton oder außer diesem noch eine andere
Kohlenstoff quelle zum Wachstum und Leuchten. G o r h a m fand aber
auch solche, die in einfacher Asparaginlösung wuchsen imd durch Zu-
satz von organischen Säuren, Natrium- und Magnesiumsalzen zum
Leuchten gebracht wurden. Außerdem wissen wir, daß viele Leucht-
bakterien schon im Meerwasser fortkommen. Die Wirkung det einzetaen
Stoffe prüfte Beijerinck mit Hilfe seiner „auxanographischen*'
Methode, d. h. indem er sie auf einen mit Leuchtbakterien besäten, aber
zu deren Gedeihen ungenügenden Nährboden brachte imd nun das
Eintreten der Phosphoreszenz oder des Wachstums in dem Diffusions-
feld abwartete. Die erstere erscheint oft schon unmittelbar nach dem
Aufbringen einer Spur des Lichtnährmittels auf die Platte, ist also,
1) Zentr. Bakt. 18. 424, 1895.
Wege des Sauerstoffs. Stoff- und Kraftwechsel. 747
wie wir schon wiederholt sahen, unabhängig von dem Wachstum. Die
einzahlen Leuchtbakterien reagieren in ungleicher Weise auf die Nähr-
stoffe, indem z. B. der Bac. phosphorescens Maltose gebrauchen
kann, der Bac. Pflügen nicht. Eine Stärke enthaltende Gelatineplatte,
die mit dem ersteren beschickt ist, leuchtet daher an Stellen auf, die
mit Diastase in Berührung kommen. Man kann in solcher Weise die
auxanographische Methode zum Nachweis von
Enzymen benutzen. Schimmelpilze zerstören nach Fried-
berger und Döpner^) die Leuchtkraft phosphoreszierender
Bakterien. Ob die Änderung der Reaktion oder andere Einflüsse
dafür die Ursache abgeben, ist nicht bekannt.
Physikalische Einwirkungen scheinen die Lichtentwicklimg der
Bakterien weit weniger leicht anzuregen. So leugnet P f 1 ü g e r den
Einfluß der mechanischen Erschütterung^), F i s c he r auch den der
Belichtung. Mittlere Temperaturen (s. o.) befördern dagegen die Phos-
phoreszenz, so z. B. schon die Erwärmung der Kulturen in der Hand.
Wie es Lichtreize gibt, so kennen wir auch Lichtgifte.
Dahin gehören, wie schon P f 1 ü g e r fand, starke Säuren imd AlkaUen,
konzentrierte Salze und umgekehrt destilliertes oder Leitungswasser,
Mineralsäuren, Karbolsäure imd Chinin. Der schnell verdunstende Äther
und Ammoniak lähmen nach Fischer nur vorübergehend die Licht-
entwicklung. Nach Tarchan off *) vernichten die Anästhetika Chloro-
forai, Äther, Alkohol, ebenso wie Zyankalium und Chinin die Leucht-
kraft augenblickUch, nicht dagegen Strychnin und Kurare. Die letzteren
Alkaloide scheinen ja überhaupt für Bakterien unscbädUch zu sein.
Die schon erwähnte hemmende W^irkung niederer imd höherer Tem-
peraturen tritt ziemlich schnell ein, so hatten in Fischers Ver-
suchen schon Temperaturen von 37 — 40" einen deutUchen Einfluß,
wenn sie einige Minuten gewirkt hatten, und nach der ebenso kurz-
dauernden Erwärmung auf 42® brauchte die Kultur 24 Stunden, um
wieder einigermaßen zu leuchten. Es lohnte sich, zu untersuchen, ob
hier nur eine „Wärmestarre" vorliegt oder eine Abtötung. Im elek-
trischen Strom sammeln sich die Bakterien am negativen Pol, wo ihr
Leuchten nach einiger Zeit erlischt, um nach Aufhören des Stroms
nieder zu erscheinen (T a r c h a n o f f).
Die Bedeutimg der Phosphoreszenz für die Leuchtbakterien selbst
ist unbekannt. Ihre Verwendbarkeit als Lichtquelle ist bewiesen durch
ältere Versuche, in denen es gelang, die Kulturen in ihrem eigenen
Lichte und auch fremde Gegenstände darin zu photogiaphieren, vor
1) Zentr. Bakt. 43, 1907.
2) Vgl. aber Tarchanoff, Compt. rond. ao. sc. 1 33. 246 (K o c li s
Jahrcftber. 1901. 113).
748 Kap. XIII, § 238 u. Kap. XIV, § 239.
allem durch die größeren Erfolge von D u b o i s ^) und H o 1 i s c h.
Ein großer Glasballon, dessen innere Oberfläche mit Gelatine aus-
gegossen und mit Bact. phosphoreum beimpft war, diente ihnen als
genügende ,, Nachtlampe'', deren Leuchtkraft in einem kühlen Räume
etwa 14 Tage anhielt. Aussichten für eine technische Verwendung der-
selben sind wohl kaum vorhanden, auch wenn man sich starker leuch-
tender Bakterien bedient als L o d e ^), der ausrechnete, daß zur Er-
zielung der Lichtstärke von einer Normalkerze 2000 qm Koloniefläche
nötig wäre. Auf die Benutzung des Bakterienlichtes nach B e i j e -
r i n c k wurde schon hingewiesen.
Eine gewisse Bedeutung haben die Leuchtbakterien durch ihre
Fähigkeit, sich auf Nahrungsmitteln wie Fischen, Hummern,
Austern, Fleisch, Kartoffeln, Sooleiem anzusiedeln. Schädlich ist das
leuchtende Fleisch usw. zwar nicht, aber sicher nicht appetithch.
Lebende Tiere werden im allgemeinen von den Leuchtbakterien
verschont, immerhin haben schon G i a r d und B i 1 1 e t ') eine auf
Taütnis parasitierende Art beschrieben. Es gelang, mit den
Reinkulturen diese und andere Krustentiere so zu infizieren, daß sie
über den ganzen Körper grünUch phosphoreszierten und durch All-
gemeinerkrankung zugrunde gingen. Auch andere Leuchtbakterien
sollen durch Züchtung auf Fischfleisch gleiche Eigenschaften annehmen,
doch kann das nur ausnahmsweise geschehen, da sonst die Infektionen
häufiger beobachtet werden müßten. Mit der Phosphoreszenz hat diese
infektiöse Wirksamkeit offenbar nichts zu tun, denn die erstere kann
verschwinden, während die letztere fortbesteht.
Interesse haben die leuchtenden Vibrionen des Flußwassers, die
wir namentlich durch D u n b a r ^) kennen gelernt haben, dadurch
gewonnen, daß sie den Cholerabakterien zum Teil außerordentlich
ähnlich sind imd in denselben Monaten, in denen die Choleraepidemien
aufzutreten pflegen, im Wasser auftreten.
1) Die Umschau 1901, 221 und bei Molisch.
2) Zentr. Bakt. 36.
3) Soc. biol. 1889 und 1890.
4) Arb. Gesundheitsamt 9 u. Zeitschr. f. Hyg. 21, 1895.
Kapitel XIV.
Fermente (Umsatzstoffe).
§ 239. Einleitung^). Fermente nennt man solche Bestand-
teile lebender Zellen, die bestimmte chemische Reaktionen hervor-
rufen (bzw. nur beschleunigen, 0 s t w a 1 d), ohne selbst (dauernd)
in die Reaktionsprodukte überzugehen. Darauf beruht die Eigen-
schaft der Fermente, durch kleine Mengen große
Mengen Stoff umzuwandeln. Enzyme 2) oder „unge-
foraite" Fermente (Kühne) sind diejenigen, die sich von den leben-
den Zellen trennen lassen. Der Unterschied gegenüber den „geformten"
oder „organisierten" Fermenten, bei denen das nicht möghch ist, die
man daher auch als „Protoplasma-" oder „Gärkräfte" bezeichnet hat,
ist kein wesentlicher, wie wir schon oft betont haben (Kap. IV ff.). Die
Entdeckung der Zymase hat uns klar genug vor Äugen geführt,
daß die Grenze von heute auf morgen mit den Fortschritten unserer
Untersuchungsmethoden leicht verschoben werden kann. Mit den
anorganischen „Kontaktsubstanzen" oder „Katalysatoren" haben die
Fermente viel gemeinsam, so daß man sieorganischeKataly-
s a 1 0 r e n oder letztere anorganische Fermente nennen
könnte. Doch ist es besser, diese unzweifelhafte Analogien zwar im
Auge zu behalten, aber die Verschiedenheiten, vor allem einerseits
die Spezifizität und andererseits die größere Leistungsfähigkeit der
1) Vgl. D u c 1 a u X, Mikrobiol. 2. Bd. (1899); Oppenheimer:
IHe Fermente, 2. Aufl. 1903; B r e d i g: Elemente der chemischen Kinetik
niit besonderer Berücksichtigung der Katalyse und der Fermentwirkung in
Asher-Spiro, Ergebnisse der Physiologie 1. 1. (1902). Dort auch
^e Geschichte und die noch ganz dunkle Theorie der Fermentwirkiing.
toer Enzyme der Mikroben s. auch H. Fischer in Lafars Handb. 1.
255(1904) und Fuhrmann: Vorl. über Bakterienenzyme (1907).
2) Ein deutscher Name für die Enz3nfne oder Fermente fehlt uns.
Man könnte sie „UuLsatzstoffe**, die hydrolytischen oder Verdauungs-
pnzyme „Vorbereitungsstoffe", die Gärtingsfermento ,, Gärstoffe" nennen.
Oewöhnt man sich an diese Bezeichnungen, so sind Verwechslungen nicht
7.\i befürchten. Über die Benennung der einzelnen Enzyme vgl. S. 198.
750 Kap. XIV, § 239 u. 240.
Fermente auch nicht zu übersehen, und nicht die Gesetze, die für jene
gefunden worden sind, ohne weiteres auf diese zu übertragen.
Über das Verhältnis der Fermente zu den Giften, den Toxinen
und namentlich den Hämolysinen werden wir später zu sprechen haben
(Kap. XVI, § 256 u. 314). Zunächst ergibt sich die Notwendigkeit
einer Trennung beider Begriffe schon daraus, daß wir die Art der
chemischen Reaktionen, die von den Toxinen hervorgerufen werden,
nur sehr unvollständig oder gar nicht kennen.
Es ist übUch, die Fermente nach dem Fund- bzw. Wirkimgsort
in intrazellulare und extrazellulare, nach ihrer Widerstandsfähigkeit
in beständige (stabile) und unbeständige (labile), und nach ihrer Be-
deutung für das Zelleben in verdauende, kraftliefemde (dissimi-
lierende) und aufbauende (assimilierende, synthetische) zu scheiden,
doch haben diese Unterscheidungen in vielen Beziehungen keine ge-
nügende Berechtigung.
Die verschiedenen chemischen Leistungen, zu
denen die Fermente befähigt sind — Verflüssigung, oberflächliche
hydrolytische Spaltung, tiefe Spaltung oder Gärung im engeren Sinne,
Oxydation, Reduktion, Anhydridbildmig, Kondensation, Synthese —
haben wir schon in den vorhergehenden Kapiteln im einzelnen gewür-
digt und im Zusammenhang im Kap. IV behandelt, femer die Oxy-
dationsenzyme in § 222, die Gänmgsenzyme § 224a, die übrigen § 228
bis 228b aufgezählt. Hier sollen nur die gemeinsamen Eigenschaften
der Ferment« und namentlich der Enzyme, ihre Darstellung und
chemische Natur, der zeitliche Verlauf ihrer Wirkungen, deren Ab-
hängigkeit von den Mengenverhältnissen, von der Temperatur und
anderen physikalischen und chemischen Einflüssen u. a. m. besprochen
werden.
§ 240. Ausscheidung, Darstellung und chemische Natur
der Enzyme. Wenn wir von der „Darstellung" der Enzyme — die
geformten Fermente lassen aich überhaupt nicht darstellen — sprechen,
so müssen wir gleich vorausschicken, daß diese bisher in keinem einzigen
Falle im strengen Sinne des Wortes geglückt ist. Es gelingt nur, Stoffe
von der lebenden Zelle zu trennen, die fermentierende Eigenschaften
besitzen. Diese Stoffe sind aber immer mehr oder weniger verwickelte
Gemenge, keine chemischen Individuen, wie die anorganischen
Katalysatoren (Platinmohr, Schwefelsäure usw.).
Es ist Brauch, die Enzyme danach einzuteilen, ob sie von den
Leibern der Zellen nach außen abgegeben — abgesondert, sezemiert —
werden, um dort zu wirken, oder an den Zellen haften; mit anderen
Worten: ob sie extrazelluläre oder Ektoenzyme, „Sekrete" oder intra-
zelluläre, Endoenzyme, Leibesbestandteile, sind. Uns scheint, daß
Ferment« (Umsatzatoffe). 751
die Unterscheidung, selbst wenn man sie in jedem Fall treffen könnte,
keinen erheblichen wissenschaftlichen Wert besitzt, sondern nur einen
praktischen, weil sie eigentlich nur auf der verschiedenen Darstellungs-
methode der Enzyme beruht. In erster Beziehung ist zu bedenken,
daß wir fast niemals sicher sagen können, ob die
Enzyme, die wir außerhalb der Mikroben finden,
von ihnen in lebendem oder totem Zustande aus-
geschieden worden sind. Stirbt doch anscheinend regel-
mäßig ein mehr oder weniger großer Teil der Mikroben schon während
des Wachstums ab, und hört doch in vielen Fällen das Wachstum schon
sehr früh in den Kulturen auf, um einem bald schnelleren, bald lang-
sameren Absterben Platz zu machen (§ 36 u. 37). Wir hätten also viel-
leicht ein Becht, sämtliche, auch die gewöhnhch als Sekrete
bezeichneten Enzyme als Erzeugnisse der Zellauflösung aufzufassen,
um so mehr, da auch bei der Sekretion der Drüsen höherer Organismen
Vorgänge, bei denen Zellen ganz oder teilweise absterben, eine Rolle
spielen. Man könnte, wenn irgendwo, gerade in diesen Fällen den mit
Enzymausscheidung verbundenen Zelltod für eine „Anpassungs-
erscheinung'' erklären, indem bei dem engen Zusammenleben der Klein-
wesen miteinander der Tod des einen Teils der Individuen dem anderen
Teil zugute kommt. Beiläufig wird dieser Gesichtspunkt auch zu be-
achten sein, wo es sich nicht um Freiwerden von Enzymen, sondern
von Giften (XVI) und namenthch von Angriffsstoffen (XVII) in
lebenden Tierkörpem und von giftwidrigen Stoffen in toten Nähr-
böden (§ 57) handelt.
Hierzu kommt, daß zwischen der Absonderung lebenskräftiger
Zellen und ihrer vollständigen Auflösung beim Tode sich Übergänge
denken lassen, indem der Anstoß zu einer Abgabe von Körpersub-
stanzen, also zu einer teilweisen Auflösimg z. B. schon durch irgendwie
ungünstige Lebensbedingungen gegeben werden könnte, und der Tod
der Zelle noch nicht die sofortige Folge zu sein brauchte.
Aber auch wenn wir nicht so weit gehen und die Absonderungen
vollkräftiger Zellen nicht ganz ausschheßen wollen, müssen wir zugeben,
daß in nicht wenigen Fällen von den Ekto- und Endoenzymen die glei-
chen Aufgaben, z.B. die der hydrolytischen Zucker- oder Eiweißspaltung,
erfüllt werden. Die durch sie bewirkte „Verdauung", d. h. die Vor-
bereitung der Nahrung zu tiefen kraftliefernden Spaltungen oder zur
Assimilation, kann eben nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb
der Zellen erfolgen. Soviel scheint freiUch durch die Erfahrung ge-
sichert zu sein, daß die eigentlichen Kraftleistungen stets durch Endo-
enzyme vermittelt werden, natürüch deswegen, weil die erzeugte
Kraft sonst für die Zellen kaum nutzbar gemacht werden kann. Auf
752 Kap. XIV, § 240.
der anderen Seite ist aber ebenso zweifellos, daß die Ektoenzyme nur
innerhalb der 2iellen gebildet und oft von ihnen in so großer Menge
aufgespeichert werden, daß man sie, wie es ja übrigens bei den En-
zymen höherer Zellen auch oft geschieht, aus den Zellen selbst, wie die
Endoenzyme, darstellen kann.
Betrachten wir zunächst diese letztere Art des Vorgehens zur
Gewinnung von Enzymen.
Eine viel benutzte, aber rohe Art der Darstellung von Enzymen
besteht darin, daß man die Zellen tötetunddanneinfach
ihre toten Leiber so wie sie sind, oder zerrieben
mit den zersetzbaren Stoffen zusammenbringt.
Dieses Verfahren kann man fast überall verwen-
den; es ist s*ogar vielleicht das wirksamste. Doch
muß man die richtigen Mittel zur Abtötung der Zellen wählen, weil
große Unterschiede in dem Verhalten der Enzyme gegenüber ihnen
bestehen. Das zeigt sich schon gegenüber der Temperatur (§ 244).
Ausnahmsweise nur vertragen sie (im feuchten Zustande) die Siedehitze,
gewöhnUch widerstehen sie ^ — 1 Stunde Temperaturen von 55
bis 60°. Das Hamstoffenzym wird sogar schon durch eine nie-
drigere Temperatur geschädigt. Im trockenen Zustande, der allein nur
ausnahmsweise eine sichere Abtötung der Zellen gewährleistet, ver-
tragen die Enzyme hohe Temperaturen viel besser. In manchen Fallen,
z. B. bei der „Dauerhefe" (Zymin S. 255), dem Milchsäure- (S. 305)
imd Essigenzym (S. 429) hat es sich nützUch erwiesen, die Zellen durch
vorheriges scharfes Trocknen und nachfolgendes Erhitzen auf 100*
oder durch oberflächliches Trocknen und schnelle Behandlung mit
flüchtigen antiseptischen Stoffen, Alkohol, Äther, Azeton, Chloroform,
Toluol, ätherischen ölen, die man nachher durch Verdunstung entfernt,
abzutöten. Die Benutzung von nicht flüchtigen antiseptischen Mittehi
hat den Nachteil, daß sie sich schwerer vollständig entfernen lassen
und darum durch ihre Nachwirkung die Enzyme schädigen. Indessen
zeigen diese sich auch gegenüber ihnen wie überhaupt chemischen Stoffen
sehr ungleich empfindlich (§ 248), so daß man von allgemeinen Regeln
höchstens die aufetellen kann, daß manmöglichst vorsichtig
mit dem Zusatz von ihnen verfahren muß, um
nicht die Enzyme zu zerstören.
Ein noch einfacheres und auf den ersten Blick schonenderes
Verfahren besteht darin, daß man die Lebenstätigkeit bzw. Wachs-
tumsfähigkeit der Zellen z. B. durch Einbringen in Lösungen, denen
wichtige Nährstoffe fehlen, oder durch allerkleinste antiseptische Zu-
sätze zu den gewöhnlichen Nährböden oder durch Temperaturen von
50 — 55*^ ausschaltet. Schließlich handelt es sieb dabei aber nur besten-
Fermente (Umsatzstoffe). 753
falls um eine langsamere Art der Abtötong, die in mehrfacher Be-
ziehung noch dazu nicht einwandfrei ist. Zunächst wiid die „Proto-
plasmawirkung" nicht sicher genug ausgeschaltet, dann machen sich in
solchen langsam absterbenden Zellen zwar manche Enzymwirkungen,
z. B. in Form der bekannten SelbstverdauuDg (§ 266) und „Selbst-
verbrennung" (§ 226), unzweifelhaft bemerkbar, schädigen aber auch
oft die übrigen Enzyme (z. B. die Zymase S. 255). Dieselben Bedenken
betreffen die Benutzung alter, freiwillig absterbender oder schon
ganz abgestorbener Kulturen. Besser ist es, man tötet ganze, aber
frische Kulturen bzw. Aufschwemmungen von Kulturrasen durch
Zusatz von 0,5% Karbolsäure, Chloroform, Toluol, Senföl sicher
ab. Oft genug gehngt es so, sich von ihren enzymatischen (z. B. diasta-
tischen § 69) oder proteol}üschen (§ 165 u. 166) Leistungen zu über-
zeugen.
Die enzymatische Wirkung der toten Leiber der Mikroorganismen
kann entweder in der Weise erfolgen, daß die zersetzten Stoffe in die
Zellkörper hinein diffundieren \md dort zersetzt werden, oder daß
umgekehrt die Enz3rme von den toten Zellen nach außen abgegeben
werden. Beides kommt vor, das eine braucht das andere aber nicht
auszuschließen. In jedem Falle wird man kräftigere
Enzy m wi r k ungen erwarten dürfen, wenn man
denZusammenhangderZellezerreißt, siez. B. durch
Verreiben mit Glaspulver, Sand und Kieselerde zerquetscht, weil man
dadurch die wirksamen Stoffe in innigere Berührung mit dem zersetz-
baren Material bringt. Da aber gleichzeitig die mechanische Zerreißung
der Zelle diese auch tötet, bedarf man eigentlich kaum noch eines
besonderen Abtötungsverfahrens mehr und wendet solche nur noch
der größeren Sicherheit wegen an. Man sieht ferner auf diesem Wege
die Möglichkeit vor sich, durch AusspülenoderAuspressen
unter hohem Druck, Ausschleudern oder Filtrie-
ren des Saftes aus den zerrissenen Zellen ihre ge-
lösten Bestandteile von den ungelösten zu tren-
nen und dadurch die Enzyme wirklich von den
Zellen zu isolieren. Wir haben (S. 254) gesehen, daß auf
diese Weise E. Buchner das Alkoholgärungsenzym, die Zymase,
dargestellt hat. Es liegt nahe, in diesem Verfahren die beste Methode
zu sehen, um alle intrazellulären Enzyme zu iso-
lieren. Daß wir auf dem Wege vorwärts kommen werden, lehren
ja auch die Erfahrungen über das Milchsäure- und Essigsäureenzym
(s. 0.). Gerade sie haben übrigens gelehrt, daß nicht
immer der dabei gewonnene klare Preßsaft,
sondern der unlösliche Rückstand die Enzyme
Kruse, Mikrobiologie. 48
754 Kap. XIV, § 240.
enthält. Man darf außerdem zwei Punkte nicht außer acht lassen.
Erstens ist die B u c h n e r sehe Methode vielleicht für manche
Enzyme zu eingreifend. Schon die Wanne, die bei der Zerreibung ent-
wickelt wird, könnte, um von der rein mechanischen Wirkung ab-
zusehen, die Enzyme schädigen. Möglicherweise ergibt deswegen die
von Macfadyen und B o w 1 a n d vorgeschlagene imd für die
Gewinnung von Giften (§ 272) erprobte Abänderung, nach der die Zer-
reibung bei der Temperatur der flüssigen Luft er-
folgen soll, in dem einen oder anderen Falle günstigere Resultate^).
Zweitens köimten gleichzeitig mit den gesuchten Enzymen durch
die Zerquetschung der Zellen auch Stoffe freigemacht werden, die deren
Wirkung hemmen bzw. die sie zerstören^). Sei dem, wie ihm wolle,
sicher ist, daß weder die Herstellung von Preßsäften nach Art derZymase
noch die von Trockenpräparaten nach Art des Zymins (s. o.) uns bisher
in allen Fällen, wo wir das Vorhandensein von Enzymen in den Klein-
wesen vermuten durften^), zum Ziel geführt haben. Hier wie früher
(S. 206 — ^208) machen wir aber kein Hehl daraus, daß uns diese
teilweisen Mißerfolge keineswegs dazu berech-
tigen, unsere Vermutung, daß alle Stoffwechsel-
vorgänge der Kleinwesen, wie der Zellen über-
haupt, e n z y m ati s ch e r Natur seien, fallen zu las-
sen. Nur die Schwierigkeiten der Enzymdarstellung,
die hoffentlich nicht auf die Dauer unüberwind-
lich sein werden, scheint uns dadurch bewiesen.
Schon vor Buchner hatten E. Fischer imd Lindner die Yer-
reibung der Zellen mit Erfolg angewandt, um ein Bohrzucker inver-
tierendes Enzym aus der Monilia Candida zu gewinnen (S. 235). Sie
erhielten aber auch die Invertase in Lösung, schon wenn sie die ge-
nannte Hefe durch scharfes Trocknen töteten und dann mit Toluol-
zusatz auf Rohrzucker wirken Ueßen, während die Zymase der Dauer-
hefe nicht aus dieser nach außen diffundiert«. Ähnlich der Invertase
der Monil. Candida verhält sich die Maltase (§ 79) vieler Pilze und an-
scheinend auch das Harnstoff enzym (§ 195), femer die Endotryptase
(§ 166); sie sind sämtlich nur aus toten Zellen auszu-
ziehen, also als intrazelluläre Enzyme zu be-
zeichnen, obwohl sie zu den hydroljrtischen oder Verdauungs-
enzymen gehören.
1) Ist bisher nicht dor Fall gewesen bei den Versuchen, das licht -
erzeugende Ferment der phosphoreszierenden Bakterien zu gewinnen( § 23!^).
2) Vgl. auch § 242 über die Empfindlichkeit der Fermente.
3) Vgl. z. B. die Versuche F. Ehrlich s und Pringsheims,
das Amylalkohol enzym zu gewinnen (S. 535).
Fermente (Umsatzstoffe). 755
Viele andere derartige Enzyme werden umgekehrt mehr oder
weniger wahrscheinUch (s. o. S. 751) schon von den lebenden
Zellen nach außen abgeschieden, lassen sich jeden-
falls in den von diesen befreiten Kulturen ohne weitere
Schwierigkeiten nachweisen, so die Diastase und Inver-
tase, die proteolytischen und Labfermente der meisten Mikroorganis-
men. Man beseitigt die Zellen, wenn man sie nicht durch Antiseptika
tötet, durch Absetzenlassen oder Ausschleudern oder durch Filtra-
tion mittelst eines Bakterienfilters (Porzellan oder Kieselgur). Von
einigen Enzymen wird allerdings die Angabe gemacht, daß sie durch
solche Filter, ja sogar durch Papier nicht hindurchgehen, so z. B. von
Hamstoffenzymen (S. 597). Doch hat M i q u e 1 gefunden, daß auch
dieses wenig widerstandsfähige Enz}rm filtriert werden kann, wenn
man für Sauerstoffabschluß sorgt. Auch die Zymase des Preßsaftes
geht durch Kieselgurfilter, wenn auch nur teilweise, hindurch, ebenso
das Labenzym der Mikroorganismen, während das Lab der Pflanzen
und Tiere im Filter zurückgehalten werden soll. Wahrschein-
lich handelt es sich überall nur um quantitative
Differenzen, die weniger auf ungleiche Grciße der Enzymmole-
küle, als auf einer eigentümlichen Oberflächenanziehung der filtrieren-
den Stoffe zu beruhen scheinen^).
Eine scharfe Grenze zwischen intrazellulären und extrazellulären
Enzymen besteht wie gesagt nicht. Vielfach kann man sie ja sowohl
außerhalb als innerhalb der Zellen nachweisen. Die gefundenen Unter-
schiede lassen sich eher dahin deuten, daß die einen Enzyme
fester als die anderen den Zellen anhaften. Bei
manchen intrazellulären ist die Bindung, wie wir oben an der Inver-
t£töe und Maltase von Pilzen sahen, so locker, daß man sie durch Ein-
bringen der Pilzrasen in destilliertes Wasser, und zwar verhältnismäßig
unvermißcht mit anderen Zellbestandteilen, gewinnen kann.
Die Enzyme mögen erhalten sein, wie sie wollen, um sie zu Ver-
suchen zu verwenden, bedarf es fast regelmäßig eines geringen Zusatzes
antiseptificher Mittel, um Störungen der Fermentierung durch nach-
1) Merkwürdiger Art sind die Verhältnisse, die Levy (Joum. of
infect. diseases 1905, ref. Bull. Past. 1905, 265) bei verschiedenen Enzymen
aufgedeckt hat: unter Druck lassen sie sich durch eine Kollodimnmembran
nicht filtrieren, dialysieren aber allmählich hindurch. Manche Enzyme
iPtyalin) verlieren ihre Wirksamkeit schon beim Filtrieren durch Papier,
das 8ie fixiere und zwar an Glyzerin, aber nicht an Wasser abgebe. Lab
werde durch Kieselgurfilter zurückgehalten, Trypsin fast vollständig,
Pepsin teilweise, Ptyalin oder Takadiastase gar nicht. — Weiteres über die
„Abaorptionsanalyse" von Fermenten s. bei Michaelis und Ehren-
reich: Biol. Zeitschr. 10 (1908).
48*
756 Kap. XIV, § 240.
trägliche Entwicklung von eignen oder fremden Keimen zu vermeideo.
Dafür'^hat sich je nach dem einzekien Fall bald das Chloroform, bald
Toluol, Thymol oder Senföl bewährt.
Man hat natürlich versucht, die in Lösung befindlichen
Enzyme weiter zu r e i n i g e n. Es gelingt das auch fast überall
bis zu einem gewissen Grade durch Fällung mit großen Mengen Alkohol
oder Äther- Alkohol und andere Eiweißfällungsmittel, Wiederauflösen
des Niederschlags, neue Fällung usw. Doch ist die Widerstandsfähig-
keit der einzelnen Enzyme gegen diese Fällungsmittel verschieden,
die Maltase ist z. B. viel empfindlicher gegen Alkohol als die Invertase.
Eine Trennung der einzelnen Enzyme, die von
denselben Mikroorganismen gebildet werden, ist nur in wenigen Fällen
möghch. So kann man zwar die Invertase von der Maltase trennen,
weil die letztere durch Alkohol bald zerstört wird, aber nicht um-
gekehrt die Maltase von der Invertase. Manchmal gelingt es durch
Anwendung verschiedener Temperaturen, durch Filtrieren oder Dialyse
das Ziel zu erreichen. Doch lassen sich allgemeine Regeln dafür nicht
aufstellen. Der Erfolg ist wohl auch nur ein relativer (s. Invertase
§ 78 und Lab § 177). Die auf die eine oder andere Weise gewonnenen
Enzyme können bei mäßiger Temperatur imter der Luftpumpe ge-
trocknet werden, und sind dann nicht nur gegen Erhitzen wie be-
merkt viel widerstandsfähiger, sondern behalten auch in diesem Zu-
stande ihre Wirksamkeit viel länger als im feuchten.
Selbstverständlich bleiben alle möglichen anderen Stoffe bei
solcher Darstellung der Enzyme mit diesen vergesellschaftet; be-
sonders schwer lassen sich Eiweißkörper und
die den Enzymen in ihren Eigenschaften recht
nahe stehenden anderen Hilfsstoffe (§ 68), Eigen-
gifte, Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe (Kap. XVI
und XVII) von ihnen trennen. So ist es denn selten ge-
lungen, eine Enzymlösung zu erhalten, die keine Eiweißreaktion ge-
geben hätte. Immerhin sind einige solche Fälle beschrieben worden.
So behandelte 0 s b o r n e ^) die Hefe zunächst mit Alkohol, dann
nach dem Trocknen sechs Tage lang mit Chloroform, zog sie mit Wasser
aus, fällte die Rohinvertase mit Alkohol, reinigte sie durch Dialyse
unter Chloroformzusatz und fällte sie von neuem mit Alkohol. Das
Präparat enthielt neben 1,8% Asche 44,5% C, 6,5% H und 6,1% N,
entsprach also in seiner Zusammensetzung am nächsten dem Chitin,
gab auch bei Hydrolyse mit Salzsäure einen reduzierenden Körper.
Nach Salkowski^) würde sich das erklären durch Beimischung
1) Zoit^chr. physiol. Ch. 28. (1899).
2) Ebenda 31 (1900).
Fermente (Umsatzstoffe). 757
gammiähnliclier Stoffe; er selbst stellte aus Hefe ebenfalls Invertase
her, die keine Eiweißreaktionen gab, aber neben Gummi noch 10 — 17%
Stickstoff enthielt. Man würde daraus also den Schluß ziehen können,
daß die reinen Enzyme diese Zusammensetzung
hätten, die nicht viel von der der Eiweißkörper
abwiche^), wenn man sicher wäre, daß nicht die Gegenwart
anderer noch unbekannter Körper diese Zusanmiensetzung bedingte.
Davon sind wir aber weit entfernt. Im Gegenteil lehren manche Er-
fahrungen, daß man trotz anscheinend gleicher Zusanmiensetzung
ganz ungleichwertige Enzjnnpräparate erhalten kann^).
Daß es sich bei den Enzymen stets um große Moleküle
handeln muß, kann man aus ihrer sehr geringen Dialysierbarkeit
folgern. Diese ist für die Invertase und die proteolytischen Fermente
der Mikroorganismen u. a. von F e r m i ^) festgestellt worden.
Auch die Empfindlichkeit der Enzyme, besonders gegen Hitze,
könnte man als einen Beweis ihrer eiweißartigen Natur betrachten,
wenn nicht in dieser Beziehung sehr wesentliche Unterschiede be-
stünden (s. Labenzym) und wenn nicht einwandfrei festgestellt wäre,
daß auch anorganische Katalysatoren im koUoidalen Zustande die
gleiche Eigenschaft haben (s. u.).
Die mineralischen Bestandteile der Enzyme, die man früher
nur als Verunreinigungen aufzufassen pflegte, haben wohl für sie eine
ähnliche Bedeutung, wie die Salze für die Eiweißkörper. So beein-
flussen sie anscheinend die Löslichkeit der Zymase. In einzelnen Fällen
scheinen sie sogar für die Enzymwirkung ausschlaggebend zu sein.
So fand Bertrand*) in dem oxydierenden Enzym vieler Pflanzen,
der Lakkase (vgl. § 159), einen Mangangehalt, dessen Höhe
ziemlich parallel ging seiner Wirkungsfähigkeit. Das Ferment soll
eine Verbindung des Manganoxyduls mit einer Proteinsubstanz sein
und auf der Eigenschaft des MnO, sich zu MnOg zu oxydieren und den
aufgenommenen Sauerstoff weiter zu übertragen, seine oxydierende
Wirkung gründen. Das erinnert an eine ähnliche Leistung, die
Spitzer^) den Nukleoproteiden der Zellen schon früher zugesprochen
hat. Sie sollten durch ihren Eisengehalt befähigt werden, Sauerstoff
1) Andere Analysen von Enzymen s. bei Duclaux, Microbiol.
2. 109. Der Stickstoff gehalt schwankt von 4 — 17%. Wo er gering ist,
handelt ee sich wohl stets um Beinüschung von Kohlenhydraten. Nach
Hef ner (Zeitschr. physiol. Ch. 42, 1904) widersteht die Stickstoffsubstanz
des Enzyms wochenlanger Trjrpsinverdauung.
2) Vgl. Zymase § 89.
3) Arch. f. Hyg. 14 (1892), vgl. Zeitschr. f. Hyg. 18, 110 (1894).
4) Compt. rend. 124. 1032 und 13ö5. 1897.
5) Pflügers Archiv 67. 615.
758 Kap. XIV, § 240—242.
zu übertragen. Wir hätten hier also Zwischenzustande zwischen anorga-
nischen Katalysatoren und Enz3nnen, wenn es sich nicht etwa bloß
um eine Analogie mit der Hämoglobinwirkung handelt (s. u. Kofer-
mente § 247).
§ 241. Zeitlicher Verlauf der Fermentwirknng. Ab-
hängigkeit von der Dichte der zu verändernden Stoffe. Die
Geschwindigkeit, mit der Rohrzucker durch verdünnte Säure unter
Wasseraufnahme in Glykose und Fruktose verwandelt oder „invertiert"
wird, steht, wie schon Wilhelmy 1850 gefunden hatte, bei sonst gleichen
Bedingungen (Säuremenge und Temperatur) im geraden Ver-
hältnis zu der jeweilig vorhandenen Dichte des
Rohrzuckers; so ist z. B. die in der Zwischenzeit invertierte
Zuckermenge halb so groß in einer Zuckerlösung, die schon zur Hälfte
invertiert ist. Man drückt das analjrtisch aas durch die Formel:
dC
^) ^Tt-^*^-^'
wo C die Dichte (Konzentration) des Zuckers, d C die Veränderung der
Dichte in der imendlich kleinen Zeit d t, und K eine konstante
Zahl, die Geschwindigkeitskonstante, bezeichnet. Durch Integration
der Gleichung erhält man die folgende:
b) — log. nat. C = K. t + Konstante.
Sie sagt aus, daß sich die In versionsgesch windigkeit der Rohrzucker-
lösung mit fortschreitender Inversion durch verdünnte Säure wie der
Logarithmus der Dichte ändert. O'Sullivan und T o m p s o n -)
glaubten nachweisen zu können, daß sich auch die Umwandlung des
Rohrzuckers durch Invertase ähnlich vollzöge, wie die durch anorga-
nische Katalysatoren, d. h. die Inversionsgeschwindigkeit hätte, wenn
man die Zeit als Abszisse und die Dichte als Ordinate auftrüge, die
Form einer logarithmischen Kurve. Duclaux*)
kam dagegen zu dem Ergebnis, daß innerhalb gewisser
Grenzen die Geschwindigkeit der Zuckerinver-
sion durch die Invertase sich gleich bleibe, also
unabhängig sei von der jeweiligen Dichte des
noch unzersetcten Rohrzuckers. So war die absolate
Menge des durch die gleiche Inverta^emenge in einigen Stunden um-
gewandelten Zuckers annähernd gleich, ob man von einer 10-, 20- oder
40prozentigen Zuckerlösmig ausging. Die Untersuchungen von Tarn-
1) Joum. ehem. See. Transact. 1890.
2) Traitö de microbiol. 2. 136.
Fermente (Umsatzstoffe). 759
mann und namentlich von H e n r i ^) haben dann gelehrt, daß die
Verschiedenheit des zeitlichen Verlaufs der Zuckerinversion durch
Säure und Enz3ane darauf beruht, daß die Inversionsgeschivindigkeit
bei der Enzyminversion zwar auch der jeweilig vorhandenen
Rohrzii c kerdi ch t e proportional ist, daneben
aber die Geschwindigkeitskonstante K im Ver-
hältnis der umgewandelten Zuckermenge zu-
nimmt. Die Enzymwirkung wird also stark be-
einflußt durch die gebildeten Produkte*).
Es scheint, daß sich auch andere Enzyme, wie die Diastase, das
Trypsin, der Lab, die Zymase ähnUch verhalten, wie die Invertase,
nur daß die Geschwindigkeitskonstante zum Teil mit dem Portschreiten
des Prozesses sinkt, nicht steigt. Jedenfalls verlaufen die
enzy m a ti s chen Prozesse stets nach verwickei-
teren Gesetzen als die katalytischen^). Daraus darf
man natürlich noch nicht den Schluß ziehen, daß sie grundsätzlich
verschieden zu beurteilen seien.
Auf die Grenzen, die der Fermentierungsprozeß schließlich findet
durch Anhäufung der gebildeten Produkte, konmien wir weiter unten
zurück (§ 251).
§ 242. Abhängigkeit der Wirkung von der Ferment-
menge. Verbranch der Fermente. Im allgemeinen gilt für die
Permentwirkungen wie für die katalytischen der Satz, daß sie zunehmen
mit steigender Menge des Fermentes bzw. der Kontaktsubstanz, und zwar
erfolgt die Zunahme in vielen Fällen proportional
der letzteren, so z. B. bei der Inversion durch Hefeinvertase,
Lab, Diastase. Doch finden sich bei Enzymen und Katalysatoren auch
gelegentlich andere Beziehungen. So soll die Menge der peptischen
Produkte proportional den Quadratwurzeln der Pepsin mengen zu-
nehmen*).
Das wirkliche Mengenverhältnis zwischen Ferment und zersetzter
Substanz ist gänzlich unbekannt, da wir das Ferment nicht rein dar-
stellen und wiegen können. Doch lehrt schon der Vergleich zwischen
dem Gewicht unserer unreinen Enzympräparate, daß gewöhnlich
1) Zeitöchr. physikal. Chem. 39, 1901.
2) Vgl. dazu außer den obengenannten Darstellungen L. Michae-
lis, Biochem. Zentr. 7. 17, 1908.
3) Vgl. Herzog, Zeitschr. phyaiol. Chem. 41, 1904 ; E u 1 e r , ebenda
*^4. 1, 1905. Auf die mathematiBche Behandlung der Frage können wir
hier nicht näher eingehen, wir verweisen dafür namentlich auf B r e d i g
a. a. O. imd O s t w a 1 d s Allgem. Chemie 2. Bd. 2. T.
4) J. Schütz, Zeitßchr. physiol. Cliera. 30, 1900.
760 Kap. XIV, § 242 u. 243.
sehr kleine Mengen des Ferments große Wirkun-
genhervorbringen. So soll ein Teil Labenzym oder Invertase
mindestens hmiderttausend Teile Kasein oder Rohrzucker verwandeln.
Andere Enzyme zersetzen scheinbar viel geringere Stoffmengen, der
HefepreOsaft, die Zymase z. B. nicht viel mehr als sein Eigengewicht
(auf Trockensubstanz berechnet) an Zucker. Doch ist im Hefepreß-
saft das Enzym offenbar nur in verschwindend kleinen Spuren vor-
handen (§ 89), so daß die Stoffmengen, die es zersetzt, in Wirklichkeit
vielleicht verhältnismäßig ebenso bedeutend sind, als diejenigen, die
das Labenzym umwandelt. Ähnliche Betrachtungen gelten wahr-
scheinUch auch für die sogenannten geformten Fermente, die wir vor-
läufig bloß in den lebenden Zellen zu fassen bekonmien. Manche
Forscher*) wollen umgekehrt aus dem Umstände, daß gewisse Sub-
stanzen im Stoffwechsel der Mikroorganismen nur in absolut und
relativ kleinen Mengen entstehen, schließen, daß sie nicht durch fer-
mentative Vorgänge entstanden sein könnten, sondern als „ Stoff -
Wechselprodukte" aufzufassen seien. Wir erkennen, wie wir schon öfter
betont, nicht die Berechtigung dieser begrifflichen Trennung an, werden
vielmehr den Alkohol, die Milchsäure, Essigsäure, den Gunmii, das
Ammoniak, den Wasserstoff und die Kohlensäure, ob sie nun in großen
oder kleinen Mengen nachweisbar sind, auf einen der bekannten
Fermentprozesse, mögen es nun Spaltungen oder Synthesen, Reduk-
tionen oder Oxydationen sein, beziehen. Alle Stoffwechsel-
vorgänge sind für uns eben Fermentierungen.
Daß wir dazu wirklich ein Recht haben, sehen wir auf Schritt und Tritt.
Die Fähigkeit, Alkohol oder Milchsäure zu erzeugen, ist z. B. eine
Eigenschaft sehr vieler Pilze imd Bakterien, ja vielleicht aller Organis-
men überhaupt; in solchem Grade entwickelt, daß man sie als Gärung
bezeichnet und technisch verwerten kann, finden wir sie aber nur
bei wenigen Arten; eine scharfe Grenze läßt sich aber nicht ziehen
zwischen solchen, die Gärung erregen imd solchen, die es nicht tun,
vielmehr ist der Übergang ein ganz allmählicher, wahrscheinlich wesent-
lich nur dadurch bedingt, daß verschieden große Mengen der ent-
sprechenden Enzyme gebildet werden. Die zersetzte Stoffmenge
mag noch so gering sein, stets wird man voraussetzen dürfen, daß die
zugehörige Enzymmenge um ein Vielfaches hinter ihr zurücksteht.
Das Mengenverhältnis selbst ist uns im einzelnen unbekannt, wir haben
aber keinen Grund anzunehmen, daß es gerade ein feststehendes sein
muß. Auch in dieser Beziehung besteht kein wesentlicher Unterschied
zwischen den Katalysatoren und den organischen Fermenten. Da-
1 ) Vgl. z. B. G o t s c h 1 i c h in F 1 ü g g e s Mikroorganism. 3. Auf).
1. Bd., 1896 lind in K o 1 1 e - W a s s e rm » n n , Handb. 1, 1903,
Fermente (Umsatzstoffe). 761
gegen könnte ein solcher darin gefunden werden, daß dieletzteren
im allge m einen leichter verbraucht werden, als
die ersteren, daher immer wieder von neuem durch die lebenden
Zellen erzeugt werden müssen. Dieser Verbrauch der Fer-
mente ist eine Erscheinung, die nicht geleugnet
werden kann, die aber verständlich wird, wenn
wir die geringe Widerstandsfähigkeit dieser
Stoffe gegen schädliche Einflüsse aller Art be-
denken. In den lebenden Zellen sowohl wie in unseren Fermentie-
rungsversuchen werden wir außer anderen Schädlichkeiten (Säuren,
AlkaUen, Giften) namentlich einen Umstand berücksichtigen müssen:
die gegenseitige Schädigung der Permente. Durch
die Zymaseforschungen bekannt geworden ist besonders die Ver-
nichtung der Zymase durch die Endotryptase (§ 89). Auch Oxydasen
könnten vielleicht eine ähnlich schädliche Rolle spielen^). Stellt man
sich diese verschiedenen Einflüsse vor, so ist man wohl nicht genötigt,
von der bei der Definition der Fermente ausgesprochenen Annahme
abzuweichen, daß die Fermente selbst nicht in den chemischen Pro-
dukten, die sie erzeugen, mehr als vorübergehend (s. u. § 249) auf-
gehen. Im übrigen fehlt ein strenger Beweis gegen die Möglichkeit,
daß die Fermente sich auch allmählich nicht nur während ihrer
Wirksamkeit, sondern durch ihre Leistungen selbst verbrauchen*).
§ 243. Untersnehungsverfahren. Die Feststellung der in den vorher
gehenden Abschnitten besprochenen quantitativen Beziehungen zwischen
Fermentmenge, Dichte des zersetzbaren Stoffes, Menge des zersetzten
Stoffes und des zeitlichen Verlaufs der Fermentierung unterliegt vielen
Schwierigkeiten. Am größten sind sie natürlich bei den geformten Fer-
menten, d. h. den lebenden Mikroorganismen, da wir hier zwei außerhalb
der Sache selbst liegende Einflüsse mitberücksichtigen müssen, die Er-
nährung und das Wachstum. Wollten wir nämlich beides oder auch
nur das Wachstum ausschließen, so erhielten wir gewöhnlich ganz unregel-
mäßige Verhältnisse durch die Entartungs- und Absterbeerscheinungen,
die sich dabei zeigen würden. Es bleibt daher nichts übrig, als Ernährung
und Wachstum mit zu berücksichtigen inid die fermentativen
Zellei s tun gen geradezu in Beziehung zu setzen zu
der neugebildeten Zellsubstanz. In den Abschnitten über
die Ausnützung und den Verbrauch der Nahrung (§ 232 — 236) und über
die Größe der äußeren und inneren Atmung ( § 220 ff. ) haben wir die bisher
ermittelten Zahlen beigebracht. Sie sagen uns über die Fragen, die ims
hier beschäftigen, recht wenig. Man könnte die Versuche aber wohl so
1) Wir möchten auf derartige Wirkungen auch die Schwierigkeiten
zurückführen, die sich der Deurstellung mancher Enzyme entgegenstellen
(vgl. S. 754).
2) Vgl, über die Abnahme der Wirksamkeit des Ferments bei der
Labung R e i c h e 1 imd Spiro, Hofmeisters Beitr. 6, 1 905.
762 Kap. XIV, § 243 u. 244.
einrichten, daß wir etwas mehr erführen. Besonders verdiente die Atmurur
unter verschiedenen Bedingungen, z. B. bei verschiedener Konzentration
des Atmungsmaterials, näher studiert zu werden, um so mehr, da es hier
am ehesten möglich ist, den Einfluß des Waclistums auszuschalten*). Die
Ergebnisse Puriewitschs*)an Schimmelpilzen (S. 674) scheinen zunäclist
dafür zu sprechen, daß die Atmungsgröße bei Schimmel-
pilzen in hohem Grade unabhängig sei von der Kon-
zentration der Zuckorlösung, in der sie leben. Das
würde übereinstimmen mit der Beobachtung Duclauxs (S. 758) über
die Wirkimg der Invertase. Die Schwierigkeiten der Untersuchung sind
geringer, wenn wir mit isolierbaren Enzymen arbeiten können, doch wirken
hier die mcissenhaften Beimischungen fremder Stoffe, z. B. der Glykogpn-
und Eiweißgehalt des Hefepreßsafts und die Veränderlichkeit der Enzyme
recht störend. Dafür haben wir gerade bei der Zymasewirkung den Vor-
teil, durch Wägung der Kohlensäure sehr exakt die Menge der zersetzten
Substanz bestimmen zu können, was bei anderen Enzymwirkungen, z. H.
den die»tatischen und namentlich den tryptischen, schwieriger ist.
Uni die enzymatischen Vorgänge nüteinander quantitativ zu ver-
gleichen, ist es am besten, zum Ausgangspunkt zu nehmen die Zeiten,
die nötig sind, um gleiche Wirkungen zu erzielen:
z. B. stellten O'Sullivan und Tompson (S. 758) für verschiedene
Mengen von Invertase die Zeit fest, die erforderlich war, lun eine gegebene
Rolirzuckerlösung soweit zu invertieren, daß sie im Polarisationsapparat
keine Drehung venirsachte'). Sie fanden dabei, daß die Minutenzahl,
multipliziert mit der Enzynunenge, bei gleicher Temperatur immer dieselbe
Zahl ergab, mit anderen Worten, daß die Inversionsgeschwindigkeit pro-
portional war der Menge der Invertase. Dasselbe Gesetz findet man, wenn
incm die Zeiten vergleicht, die zur Gerinnung einer Kaseinlösung (Milcht
nötig sind bei verschiedenen Labzusätzen. Auf die Wahl des richtigen
Zeitpunktes der Reaktion konmit viel an; im eJlgemeinen soll man nicht
abwarten, bis die Enzymleistimg zum Stillstemd gekonmien ist, z. B. der
Rohrzucker vollständig invertiert, die Stärke so weit wie möglich ver-
zuckert ist, weil sich in den letzten Stadien der Umwandlung störende
Einflüsse kräftiger bemerkbar machen (s. u. § 251).
§ 244. Einfluß der Temperatur anf Fermente and Fer-
mentwirkung. Die Fermentwirkungen sind in ihrer Stärke abhängig
von der Temperatur, imd zwar zeigt jedes Ferment besondere Ver-
hältnisse. Durch niedrige Temperatur werden die Wirkungen ganz
aufgehoben, nehmen dann bis zu einem gewissen Pimkte zu und gehen
bei höherer Temperatur wieder zurück. Die höchsten imd niedrigsten
Temperaturen unterscheiden sich aber dadurch, daß die ersteren das
1) Umgekehrt würden wir gerade durch Bestimmung der WscKs-
tunisgcschwindigkeit die Wirksamkeit der Wachstums- und synthetischen
Enzyme feststellen können. Vgl. über die Wachstumsgesetze der Bakterien
und namentlich der Schimmelpilze § 36.
2) Jahrb. wissensch. Botan. 35, 1900.
3) Das entspricht einer Inversion von 74% des Rohrzuckere, da
diese bei + 66,5 beginnt, bei — 21,4 beendet ist und proportional der
Drehung verlauft.
Fermente (Umsatzstoffe). 763
Ferment allmählich zerstören, während die letzteren es bewahren
helfen. Bei den geformten (lebenden) Permenten
fällt die günstigste Wirksamkeit gewöhnlich zu-
sammen mit dem besten Wachstum, bei den En-
zymen liegt sie dagegen im allgemeinen höher,
so daß man durch Anwendung hoher Temperaturen in vielen Fällen
geradezu die Möglichkeit hat, das Wachstum auszuschalten, ohne die
fermentative Leistung zu vernichten (s. o. S. 753). Vondenmeisten
anorganischen Katalysatoren (z. B. den Säuren)
unterscheiden sich aber die Enzyme dadurch,
daß sie nicht unbegrenzt mit steigender Tem-
peratur ihre Wirkung vermehren, sondern diese von
einer gewissen Grenze an veningem und schließlich aufgeben, weil
sie nicht widerstandsfähig genug gegen Hitze sind. Nur die kolloidalen
Metalle B r e d i g s erweisen sich auch empfindlich gegen Tempera-
turen, die sich 100® C nähern. Zahlenmäßig festgestellt haben O'S u 1 1 i -
van und Tompson (S. 758) die Leistungsfähigkeit der Hefeinver-
tase bei verschiedenen Temperaturen. Sie fanden, daß zur Inversion
einer Zuckerlösimg^) nötig waren
bei 0® C 1440 Minuten, bei 55« C 51,8 Minuten
„ 15,5<> C 398 „ „ 600 c 80,4
29,5<> C 155,5 „ „ 700 q j^eine Inversion.
99
45« C 73,8
Die kräftigste Inversion findet bei der Invertase zwischen 52 und
530 C statt. Labenzym — allerdings tierisches — hat nach Fleisch-
m a n n 2) bei 15« keine Wirkung, koaguliert
bei 20» in 32 Minuten, bei 40« in 6 Minuten,
„ 250 „ 14 „ „ 450 „ 6,7 „
„ 30 „ 8,5 „ „ 50 „ 12 ,,
„ 35 ',, 7 „
Die Labwirkung ist also am stärksten bei einer verhältnismäßig niedrigen
Temperatur, etwa bei- 41°. Für die Urease bestimmte sie Miquel
(S. .598) auf 49—500.
Die genaue Feststellung des Einflusses der Temperatur auf die
Enzyme stößt insofern auf Schwierigkeiten, als die Wirkung
der Temperatur eine verschiedene ist, je nach
derLösung, in der sich das Enzym befindet, und
1) Bis zum 0-Piinkt des Polarisationsinstrumentg.
2) Das Molkereiwesen (nach D u cl a u x). Vgl. aucli dio Zahlen
bei Fleischmann, Milchwirtschaft, 1908, S. 280.
764 Kap. XIV, § 244 u. 245.
als die Temperatur auch die umzusetzenden Stoffe
selbst beeinflußt. So leitet z. B. schon gelinde Erhitzung
an sich die Zersetzimg des Harnstoffe ein, und ebenso wird dadurch
die Gerinnbarkeit der Milch erhöht. Durch Kontrollen, die nament-
lich bei dem Studium der Harnstoffvergärung nötig sind, schützt
man sich am besten gegen Fehler, die hieraus entstehen. Bedeutsamer
sind unter Umständen die Verändenmgen, die Säuren oder Alkalien
bei höherer Temperatur in dem zersetzbaren Material hervorrufen.
Selbst bei 37° sah z. B. K a 1 i s c h e r ^) eine Einwirkung des von
Bakterien aus Kasein abgespaltenen Ammoniaks auf Milchzucker.
Für die Verzuckerung der Stärke, die Inversion der Disaccharide kom-
men namentlich die Säuren in Betracht, wenn auch zugegeben werden
kann, daß die organischen Säuren in den Temperaturgrenzen, die in
diesen Versuchen innegehalten wurden, wenig leisten können. Bei
weitem wichtiger ist die Tatsache, daß die Enzyme in
reinen Lösungen viel weniger widerstandsfähig
gegen erhöhte Temperaturen sind, als wenn sie
in Wirksamkeit sind, d. h. zersetzbare Stoffe zu
ihrer Verfügung haben. So fanden O'S u 1 1 i v a n und
T o m p s o n , daß die Hef einvertase in zuckerfreier Lösung schon durch
Temperaturen über 30° beginnt, an Wirksamkeit einzubüßen und
bei 50 — 55° völUg zerstört wird, während sie mit Zucker erhitzt zwischen
15 und 60° ziemüch unverändert bleibt und erst bei 75° vernichtet
wird (vgl. S. 236). Ebenso ist die Urease in reinem Zustande (d. h.
im Kulturfiltrat) 2 Stunden lang erhitzt schon empfindlich geschädigt
durch eine Temperatur von 50°, die bei Gegenwart von Harnstoff für ihre
Leistimg am günstigsten ist. 10 Minuten lange Erhitzung auf 70—75®
vernichtet sie vollständig.
Die Widerstandsfähigkeit der Enzyme wird auch herabgesetzt
durch Verdünnung seiner Lösimg; so wird nach Biernacki-)
unfiltrierte Speicheldiastase zerstört erst bei 75°, filtrierte bei 70^
10 mal mit Wasser verdünnte bei 60°. Durch Zufügung von
Salzen oder Pepton kann man die Vemichtungstemperatiir
wieder auf 65 — 70° erhöhen^). Es folgt daraus, daß man aus der
ungleichen Widerstandsfähigkeit von Enzymen
gegen hohe Temperaturen nicht ohne weiteres
den Schluß ziehen darf, daß man verschiedene
Enzyme vor sich hat. Immerhin haben wir in den vorher-
gehenden Kapiteln dieses Werkes zahlreiche Beispiele dafür gehabt,
1) Arch. f. Hyg. 37. 36, 1900.
2) Zeitschr. f. Biol. 28.
3) Andere Beispiele s. bei B u c h n e r , Arch. f. Hyg. 17, 138, 1893.
Fermente (Umöatzstoffe). 765
daß wirklich derartige Unterschiede zväschen Enzjrmen bestehen,
die in ihren Wirkimgen nahe miteinander verwandt sind.
Während im allgemeinen die „tödhche" Temperatur für die
Enzyme in der Nähe von 60 — 70^ hegt, gibt es solche, die weit davon
abweichen. Besonders empfindHch ist die Zymase, die schon bei Zimmer-
temperatur in einigen Tagen unwirksam wird, allerdings vielleicht mir
deswegen, weil sie dem schädUchen Einfluß des neben ihr im Hefe-
preÜsaft enthaltenen verdauenden Enz3rms erliegt (§ 89). Das Gegen-
stück dazu ist das Labenzym des Bac. prodigiosus, das
nach G o r i n i (S. 547) erst durch halbstündige Er-
hitzung auf 100® zerstört wird. Bemerkenswert ist auch
das Verhalten der Invertase, die wir S. 236 besprachen : solange
das Enzym in den Zellen steckt, widersteht es der
Kochhitze, wenn es aus ihnen ausgezogen ist,
nicht! Vielleicht^) erklärt sich diese letztgenannte Tatsache daraus,
daß die Enzyme, wenn sie wasserarm sind, gegen Erhitzung
viderst^ndsfähiger sind. Im gutgetrockneten Zustande hält die Zymase
ja Temperaturen von 85*^ stundenlang aus. Für die meisten trockenen
Enzyme werden sogar Temperaturen von 100 — 150® als imschädUch
angesehen. Eiweißstoffe verhalten sich bekannthch ähnhch, sie werden
in wasserarmem Zustande nicht so leicht „denaturiert", wie im feuchten.
AuchsonstistdasTrocknen derEnzymedasbeste
Mittel, ihre Wirksamkeit zu konservieren. Nur
muß man natürlich die Vorsicht gebrauchen,
das Trocknen bei Temperaturen vorzunehmen,
die für das Enzym unschädlich sind. Am besten geUngt
das unter der Luftpumpe bei 20 — 40°.
Im Gregensatz zu den hohen Temperaturen sollen auch die nie-
drigsten Temperaturen der flüssigen Luft die Enzyme nicht schädigen^).
Darauf beruht die Berechtigung der Darstellungsmethode M a c -
fadyens imd Rowlands (S. 754). Ausnahmen sind aber auch
hier wohl nicht ausgeschlossen.
§ 245. Einfluß des Lichts und der Elektrizität. Schon
D 0 w n e 8 und B 1 u n t ') haben erkannt, daß Invertinlösungen
durch das Sonnenlicht allmähUch ihre Wirksamkeit einbüßen. Trypsin
und Pepsin verhalten sich nicht anders, imd die proteolytischen Enzyme
der Bakterien schheßen sich ihnen an (F e r m i und Pernossi *)).
1) Vgl. übrigens das § 250 über Zjmnogene Gesagte.
2) d'Arsonval, Compt. rend. biol. 1892, 808; Pozersky,
ebenda 1900, 714.
3) Proceed. roy. See. 26 und 28, 1877 vind 1878.
4) Zeitflchr. f. Hyg. 18, 1894.
766 Kap. XIV, § 245-247.
D u c 1 a u X ^) fand weiter, daß dieser schädliche Einfluß auf eine Oxy-
dation zurückzuführen ist, denn er fehlte im luftleeren Baum. Daram
ist er auch in verschlossenen Flaschen im allgemeinen recht gering
(Emmerling ^)). Green®) wies dann weiter durch Veisuche
mit Speicheldiastase nach, daß die violetten und ultra-
violetten Strahlen des Spektrums es sind, denen die Schädigung
zuzuschreiben ist (vgl. S. 153). Merkwürdigerweise haben andere Teile
des Spektrums, namentUch die roten Lichtstrahlen, eine entgegen-
gesetzte Wirkimg: sie erhöhen die Fermentleistimg. Green will
das damit erklären, daß der Speichel eine Vorstufe der Diastase ent-
halte, ein Zymogen, das durch die roten Strahlen in das Enzym über-
geführt werde (s. u. § 250).
In den letzten Jahren ist namentUch durch Tappeiner eine
Reihe von Tatsachen bekannt geworden, die beweisen, daß gewisse
fluoreszierende Farbstoffe eine „sensibilisierende" Wirkung ausüben,
indem sie den Lichteinfluß steigern. Wir haben diese Beziehungen,
die auch, aber in weniger ausgesprochenem Maße für die lebejiden
Mikroorganismen gelten, schon im § 45 erwähnt. Dort sind auch die
Wirkungen der Elektrizität auf die Bakterien und ihre Produkte be-
sprochen.
§ 246. Einfluß von Säuren und Alkalien. In den voran-
gehenden Kapiteln dieses Werkes haben wir beständig auf die Be-
deutimg hinweisen müssen, die die Reaktion der Nährflüssigkeit auf die
Wirkung der Fermente ausübt. Für jedes Ferment oder Enzym gibt
es eine günstigste Reaktion. Bei der Diastase, Invertase,
Endotryptase und dem Lab ist es eine gewisse Menge Säure, bei den
tryptischen Enzymen und merkwürdigerweise auch bei der Zymase
(S. 270) ist es das Alkah, das die Fermentierung begünstigt. Letztere
Tatsache steht in Widerspruch mit der Beobachtung, daß lebende
Hefe besser gärt bei saurer als bei alkalischer Reaktion. E. B u c h -
n e r fand allerdings, daß das Endergebnis bei der zellfreien Gärung
doch ein ebenso gutes war, wenn er Säure, als wenn er Alkah zusetzte.
Was die Wirkung der einzelnen Säuren anlangt, so ist sie von
F e r n b a c h ■*) bei der Aspergillus-Invertase genau studiert worden.
Er fand folgende Zahlen für die günstigste Dichte der Säuren bei
gleichzeitiger Wirkimg von Säure und Enzym und für die Menge des
dadurch invertierten Zuckers:
1) Microbiologio 1883.
2) Ber. ehem. Gesellsch. 1901. 3811.
3) Philos. Transact. Roy. See. 1897.
4) Annal. Pasteur 1889. 473 und 531. Vgl. § 78.
Fermente (Umsatzstoffe).
767
Art der Säure
Günstigste Dichte
der Säure in
V
00
mg Mol.
Zuckermengen in mg,
invertiert diwch
Säure u. | Säure Enz3rm
Enzym i allein I allein
Schwefelsaure .
Oxalsäure . .
Weinsäure . . .
Bemsteinsäure .
Milchsäure . .
0,050
0,25
313
7
0,066
0,72
300
0
1,000
6,7
400
86
2,000
17,0
342
37
5,000
55,0
415
122 ;
10,000
166,0
379
72 !
305
300
314
305
293
307
Bei Gegenwart von Milchsäure und Weinsäure erhält man also die
kräftigste Inversion durch das Enzym.
Die vorletzte Spalte der Tafel gibt die Zuckermenge an, die dur h
die angegebene Säuremenge, wenn sie allein wirkt, invertiert wird. Eine
strenge Regel, etwa eine Beziehung zu dem Grade der Dissoziation der
Säure, läßt sich daraus nicht ableiten, wenn auch die stärker disso-
ziierten Säuren in geringen Mengen am wirksamsten sind. Die letzte
Spalte ist berechnet aus den Zahlen der vorletzten und drittletzten
Spalte durch Subtraktion, sie lehrt, daß die Wirkung, die dem
Enzym allein zuzuschreiben ist, ungefähr die-
selbe ist, ob man diese oder jeneSäure benutzt.
Die obigen Zahlen gelten übrigens nur für ein bestimmtes Inver-
tasepräparat, für andere können sie, wie Fernbach gefunden, sehr
erheblich abweichen. Auch steigen nach 0 ' S u 1 1 i v a n und
T 0 m p s o n (S. 758) die nötigen Säuremengen, wenn größere Mengen
des Enzyms zur Verwendung gelangen, oder wenn die Temperatur der
Reaktion herabgesetzt wird. So braucht man z. B. fünfmal mehr
Schwefelsäure bei 15° als bei 56°, der Temperatur der Fernbach-
schen Versuche.
Die Bedeutung des genannten „Säureoptimums" ist keine große,
weil die Menge des invertierten Zuckers durch die Verschiedenheit der
Säuremengen in keinem Fall erheblich beeinflußt ist; erst wenn die
Reaktion eine alkalische wird, werden die Ergebnisse der Inversion
verhältnismäßig viel schlechter, sinken z. B. auf die Hälfte und bei
höheren Graden auf den zehnten Teil.
Die Widerstandsfähigkeit der reinen Enzymlösungen gegenüber
Säuren und Alkalien bewegt sich nach derselben Richtung : die Invertase
wird bei alkalischer Reaktion schneller zerstört, bei neutraler langsam
und bei saurer nur wenig.
§ 247. Einfluß von Salzen, Metalloxyden und anderen
Bestandteilen des Nährbodens. Kofermente. Am größten ist
76S Kap. XIV, § 247 u. 248.
^ie wir S. 557 gesehen haben, der Einfluß von Salzen auf die Wirkiuij
des Labenzyms. Beim Fehlen von Kalk oder anderen alka
lischen Erdsalzen tritt wenigstens die sichtbare Gerinnung des Kasein.*
nicht ein. Umgekehrt verzögert die Anwesenheit von Salzen odei
Alkalien oder größerer Mengen der Erdalkalien di<
Gerinnung^). Die Wirkung derselben Salze auf andere Enzyme kann
eine entgegengesetzte sein^). Allgemeine Regeln lassen sich dafüj
nicht aufstellen.
Manche oxydativen Vorgänge werden durch Gegenwart von
Metallen (Eisen, Mangan) oder Metallverbindungen, wie wir schon
S. 757 sahen, begünstigt, die mancher Oxydasen vielleicht sogar da-
durch erst vermittelt (S. 466). In vielen Fällen sind die Bestandteile,
die die Oxydation (z. B. die Zuckerverbrennung) begünstigen, noch
nicht genau bekannt, sondern man weiß nur, daß sie in der Asche alier
mögHchen organischen Stoffe, z. B. im Blut, Eiter, Samen, Blättern
(Zigarren) u. dgl. vorhanden sind (Schade ®)). In den Versuchen
P i t o f f s *) war die Spur fremder Beimengungen, die gewöhnliches
destilliertes Wasser enthält, genügend, um die Oxydation des Sulfits
zum Sulfat gegenüber der Reaktion im allerreinsten destillierten Wa.sser
hundertmal zu beschleunigen. Es ist wohl möglich, daß in ähnheher
Weise auch die fermentativen Vorgänge beeinflußt werden. So hat
man neuerdings gefunden, daß gewisse Stoffe im Hefepreßsaft die
Alkoholgärung befördern (S. 257 und 258). Teils handelt es sich um
bekannte Stoffe, wie Lezithin und sekundäres Natriumphosphat, teils
um unbekannte. Der von Bertrand ursprünglich für die Oxydasen
eingeführte Name „Kofermente" (Koenzyme) oder auch „Zymo-
exzitatoren" wäre wohl zur Bezeichnung geeignet. Vorläufig ist es
gut, sie nicht mit den ,,Zwischenkörpem" (§ 249) zusanmienzuwerfen.
Von einer die Fermentwirkung steigernden Leistung ver-
dünnter Gifte (§ 248) ist bisher nichts bekannt geworden. Es
scheint also keine ähnliche „Reiz Wirkung** derselben, wie wir sie in § 55
bezüglich der lebenden Keime erörtert haben, zu bestehen. Immerhin
bedarf die Frage wohl noch einer genaueren Behandlung. Es könnte sich
auch hier mehr um quantitative Unterschiede handeln, als um einen
grundlegenden Gegensatz. Über den scheinbaren Ausnahmefall einer
ßeizwirkung, der das Chinin betrifft, s. u. § 248.
Durch die Gegenwart gallertiger oder schleimiger I
Stoffe (Gelatine, Agar, Kieselsäure) sollen chemische Reaktionen und
1) Vgl. eine genaue Tafel bei D u cl au x 2, 306.
2) Duclaux 2, 375, vgl. Moraczewfiki, Pflügors Arch. 69, 1897.
3) Münchn. med. Woch. 1905, 36.
4) Zeitschr. f. physikal. Chemie 45.
Fermente (Umsatzstoffe). 769
Enzyniwirkimgen nicht behindert werden, wie man früher wohl ange-
aommen hat^). Doch hemmen nach M. Hahn Zucker oder Glyzerin
in höherer Dichte (50%) das proteolytische Enzym im Hefepreßsaft
(§ 166). Eindicken des Saftes auf den dritten Teil seines Volumens
hat den gleichen Erfolg. Auch Bräuning^) findet, daß „indiffe-
rente**, in Wasser lösliche Stoffe die Ferraentierung verlangsamen oder
aufheben, so z. B. Glyzerin oder Harnstoff die Wirkung der Invertase
und Zymase, des Emulsins, Pepsins und Trypsins, Traubenzucker
und Rohrzucker die des Pepsins, während Milchzucker die Inversion
nur wenig hindert. Wahrscheinlich wird in jedem Falle die Wider-
standsfähigkeit der Enzyme, z. B. gegen Hitze, durch alle der-
artigen Stoffe, wenn sie in irgend erheblicher Menge vorhanden sind,
beeinflußt. Umgekehrt erklärt sich dadurch vielleicht die g ü n s t i g e
Wirkung von Glyzerin oder Eiweißzusätzen auf die Gärkraft ver-
dünnten Preßsaftes (B u c h n e r und Meisenheimer S. 270).
§ 248. Einfloß von Giften. Zymoparalysatoren. Wir haben
im § 240 gesehen, daß keimwidrige Stoffe dazu benutzt werden, um
in Kulturen oder Aufschwemmungen die Lebenstätigkeit der Milcro-
organismen auszuschalten, ihre Enzym Wirkungen aber zu erhalten;
femer um Enzymlösungen, die auf irgendeine Weise hergestellt sind,
vor dem nachträglichen Eindringen und tJbervvuchem fremder Keime
zu schützen. Sind die antiseptischen Stoffe zu stark konzentriert, so
schädigen sie regelmäßig allerdings auch die Enzyme. Es besteht also
nur ein quantitativer Unterschied in dem Verhalten des lebenden
Protoplasmas und der Enzyme gegenüber den Giftstoffen, immerhin ist
das erstere empfindlicher als die letzteren. Doch
ist das wohl kein allgemeingültiges Gesetz. Wir können uns ganz gut
vorstellen, daß gewisse fermentative Leistungen nur deswegen noch
nicht haben isoliert werden können, weil das Ferment, das sie vermittelt.
Giften ebenso schnell erliegt, als die Lebens- und Wachstumsfähigkeit
des Protoplasmas. Durch diese Annahme würde der wesentliche Unter-
schied zwischen geformten und ungeformten Fermenten, d. h. Enzymen,
aus dem Wege geräumt sein. Daß dem wirklich so ist, dafür spricht auch
die Erfahrung, daß die einzelnen Enzyme selbst sich gegen die Anti-
septika einschließlich der Fällungsmittel, wie Alkohol, oft recht ver-
schieden verhalten^). Überall zutreffende Regeln über
die Wirkung der einzelnen Gifte auf die Fer-
1) Vgl. Reformatsky, Zeitschr. phys. Chera. 7, 1891; Levi.
riiem. Zentralbl. 1900. 2. 658.
2) Zeitschr. physiol. Chem. 42, 1904.
^) Vgl. über die z. T. entgegengesetzte Beeinflussung der Zymase
lind Endotiyptase S. 269, 270 u. 496 und weiter unten im Text.
Kruse, Mikrobiologie. 49
770 Ivap. XIV, § 248.
mente lassen sich nicht geben: im ganzen bewähren
sich schwache und flüchtige Antiseptika wie Chloroform, Benzol, To-
luol, Thymol, Äther, auch ätherische öle, z. B. Senföl, am besten. Sie
werden auch deswegen am meisten angewandt, weil es durch einfaches
Abdunsten gelingt, sie aus den Kulturen der Enzymlöeungen nötigen-
falls zu entfernen und dadurch ihre Einwirkungszeit abzukürzen, Nach-
wirkimgen immöglich zu machen. Das viel benutzte Chloroform hat
aber einige Eigentümlichkeiten, es ist z. B., wie wir S. 239 gesehei],
bei der Darstellung der Hefemaltase nicht zu gebrauchen, wohl bei der
der Aspergillusmaltase. Der Einfluß des Chloroforms bei der sogenannten
Autolyse, der Selbstverdauung von Organen und Bakterien, ist nach
Malfitano^) verschieden, je nachdem gleichzeitig Sauerstoff
zutreten kann oder nicht: nur im ersteren Falle läßt es das oder die
autolytischen Permente zur Wirkimg gelangen, im geschlossenen Ge-
fäße hemmt es dagegen die Autolyse. Bei Xylol, Toluol, Phenol, Thy-
mol, schwachem Alkohol und Zyankalium ist der unterschied nicht
zu merken, sie stören die Autolyse nicht; Sublimat, Fluomatrium und
Formaldehyd hemmen sie mit oder ohne Luftzutritt. Bemerkenswert
ist in diesem Zusammenhange, daß nach M. Hahn Sauerstoffzutiitt
die Wirkung der Hefe-Endotryptase, die den autolytischen Fermenten
nahesteht, eher zu fördern scheint. Die Erklärung für diese Verschie-
denheiten ist vielleicht in dem Umstände zu suchen, daß verschiedene,
auch oxydierende Fermente (vgl. Selbstverbrennung § 226) an der
Autolyse beteiligt sind, die durch die einzelnen Gifte ungleich beein-
flußt werden.
Manche Antiseptika, wie die Metallsalze (Sublimat) und Karbol-
säure, sind weniger geeignet, zur Darstellung und Konservierung der
Enzyme zu dienen, weil sie in eiweißreichen liösungen (Zymase) Nieder-
schläge erzeugen und so das Enzym mit zu Boden reißen. In dünnen
Lösungen ist aber namentlich Karbolsäure auch hier anwendbar. Man
darf sagen, daß es kein Antiseptikum gibt, das nicht
unter Umständen sich brauchbar erwiese. Das
gilt auch, wie wir S. 496 gesehen, von dem Formaldehyd, dem man aus
theoretischen Gründen^) eine fermentzerstörende Eigenschaft zuge-
schrieben hat. So wird z. B. die Hefeendotryptase erst durch 0,5%
Formaldehyd nachteiUg beeinflußt. Auch in stärkeren Verdünnungen
kaim freilich das Formaldehyd die Fermentwirkung beeinflussen, wenn
es Gelegenheit gehabt hat, längere Zeit vorher auf die zersetzbaren
1) Annal. Pasteur 1902. Vgl. § 166.
2) Low, Science 1899. 955 (nach Oppenheim er, Fermente
S. 27).
Fennente (Umsatzstoffe). 77 l
Stoffe, insbesondere die Eiweißstoffe, einzuwirken*). Aber wir be-
merkten ja schon, daß andere Antiseptika sich unter Umständen ähn-
lich verhalten, ja, daß sie alle in gewisser Dichte die Ferraentwirkung
ungünstig beeinflussen.
Die für höhere Tiere besonders giftigen Stoffe^) verhalten sich gegen-
über den Enzymen sehr verschieden. Die Blausäure z. B. hebt in
l%iger Losung die Wirkung der Zymase völlig auf, doch nur vor-
übergehend, denn wenn sie durch Luftüberleitung verjagt wird, zeigt
sich das Enzym noch gärkräftig. Ähnliche Konzentrationen des Gases
beeinflussen andere Enzyme, z. B. die Hefeendotryptase, nicht oder
wenig.
Sehr interessant ist, daß auch anorganische Katalysatoren, die
kolloiden Metalle Bredigs, nicht nur durch Blausäure, sondern
auch durch Schwefelwasserstoff, Sublimat und andere „Protoplasma-
gift«" in ihrer Tätigkeit gehemmt werden.
Auch der Alkohol, der ja bei der Darstellung der Enzyme eine
große Rolle spielt, wirkt auf viele derselben auf die Dauer zerstörend
ein, namentlich auf die Maltase (S. 238). Daraus ist die Regel abzu-
leiten, bei der Darstellung seine Wirkungszeit möglichst abzukürzen.
In schwächerer Konzentration hemmt er gewöhnlich die enzymatischen
Leistungen, z. B. die der Endotryptase, schon von 5% an. Die Zymase
verursacht noch bei Zusatz von 15% Alkohol Gärung, wenn auch in
stark verlangsamten Zeitmaß, während bekamitlich die lebende Hefe
schon bei 10 — 14® zu gären aufhört.
Eine besondere Stellung nimmt das Wasserstoffsuperoxyd ein. Es
wirkt antiseptisch auf lebende Mikroorganismen, Enzymlösungen zersetzen
ihn dagegen mehr oder weniger kräftig zu Wasser und Sauerstoff. Man
hat diese Fähigkeit früher als eine den Enzymen selbst innewohnende
betrachtet, neuerdings ist es aber wahrscheinUch geworden, daß man
es hier mit der Wirkung eines besonderen, häufig beigemengten, aber
trennbaren Ferments zu tun hat, das man mit L ö w ^) Katalase nennt
( § 160). Sie zeichnet sich durch eine besondere Empfindlichkeit gegen
Blausäure aus.
Die Enzyme werden außer durch Gifte natürlich auch durch andere
chemische Mittel zerstört. Dahin gehören Alkalien und Säuren (§ 21:6)
namentlich in stärkerer Dichte, unter Umständen aber auch andere
Enzyme. Das bekannteste Beispiel dafür hegt im Hefepreßsaft vor:
die Endotry3>tase schädigt besonders bei höheren Temperaturen das
1) Vgl. Löwenstein, Zeitschr. f. Kyg. 48. 239, 1904.
2) Über Alkaloide vgl. Nasse, Pflügers Archiv 11, 1875;
Sohultzenstein , Zeitschr. physiol. Chem. 18, 1894.
3) Kochs Jahresber. 1900. 361.
49*
772 Kap. XIV, § 248 u. 249.
eigentliche Alkoholenzym, die Zymase, sehr stark. Durch gewisse
Antiseptika, wie z. B. Chininchlorhydrat (0,5 — 1%), und auch schon
durch Alkohol gelingt es, die Endotryptasewirkung herabzusetzen,
ohne die Zymase zu schädigen^). So erklärt sich die Erscheinung, daß
mit der Steigerung des Zusatzes dieses Anti-
septikums die Gärleistung des Hef e pr e B s a f t es
erhöht wird.
Von einer „Reizwirkung" kleiner Mengen von Giften auf die
Fermentwirkungen ist nichts bekannt (s. o. S. 768).
§ 249. Spezifische Wirkung und Bindung der Fermente.
Gegenkörper und Zwischenkörper der Enzyme. Die Enzyme
wirken spezifisch, d. h. nur auf chemisch ganz bestimmt gekenn-
zeichnete Körper in ganz bestimmter Weise. Diesen Satz haben wir
allenthalben bestätigt gefunden. Die Spezifizität geht soweit, dafi
isomere Stoffe, wie die einzelnen Poly- und Disaccharide, Hexosen und
Pentosen sich demselben Enzym gegenüber ungleich verhalten, und
zum großen Teil jeder sein besonderes Enzym besitzt, daß femer ein
und derselbe Stoff, wie z. B. der Traubenzucker, von einem Enzvni
in alkohoUsche, einem zweiten in milchsaure, einem dritten in butter-
saure u. a. m. Gärung versetzt wird. Allerdings ist öfters die Beob-
achtung gemacht worden (vgl. S. 249, 399, 456), daß ein und dasselbe
Enzym auch verschiedene Stoffe angreift, es handelt sich aber dann
bemerkenswerterweise um solche Körper, die ähnliche Kon-
figuration besitzen. E. Fischer hat, um dies Verhalten zu
verdeutlichen, den Vergleich gebraucht: die Enzyme verhielten sich
zu den durch sie zersetzten Stoffen, wie der passende Schlüssel zuni
Schloß. Diese Vorstellung schließt in sich ein den Gedanken, daß der
Fermentierung eine Bindung des Ferments an den zu
zersetzenden Körper vorhergehe, freilich nur eine
solche, die sich nach der Zersetzung wieder löse. So ist schon früher
die Wirkung der anorganischen „KontaktsubstÄUzen", z. B. der Schwe-
felsäure, bei der Ätherbildung aufgefaßt worden. Während man
freilich hier eine chemisch ganz bestimmte Bindungsweise im Auge
hat, ist bei den Fermenten davon nicht die Rede. Man kennt vielmehr
die chemische Natur ihrer „Bindegruppen" gar nicht. Das brauchte
ims aber noch nicht davon abzuhalten, ihr Vorhandensein voraus-
zusetzen, namentlich wenn sich sonst Stützpunkte für diese Auffassung
ergäben. Man könnte in der Tat durch diese Verbindung zwischen
Enzym und zersetzbarem Stoff die oben besprochene Tatsache erklären.
n Grigoriew, Zeitschr. physiol. Chem. 42. 323, 1904; Buch
ncr und Antoni ebenda 44. 223, 1905.
Fermente (ümsatzstoffe). 773
daß bei Gegenwart des letzteren die Enzyme gegenüber schädigenden
Einflüssen anders reagieren, sich widerstandsfähiger zeigen, als wenn
sie isoliert ihnen ausgesetzt werden (s. S. 764). Als immittelbaren Be-
weis hat man femer den Umstand angeführt, daß in der Tat manche
verdauHche Körper, wie z. B. das Fibrin, die Fähigkeit besitzen, Ver-
daaungsfermente zu binden^). Indessen fragt es sich, ob es sich
hier und in andern Fällen nicht um eine ph}rsikalisch-chemisohe
Bindung, um einfache ,, Absorptionsvorgänge" handelt, bindet doch die
Seide auch Pepsin und das Fibrin auch Diastase und andere Enzyme,
von denen es nicht angegriffen wird. Weiter hat man an die Ente-
rokinase erinnert, die nach Pawlow, Delezenne u. a.
durch eine doppelte Bindung nach Art eines „Ambozeptors" an das
Substrat einerseits und das Trjrpsinferment andererseits die Ferment-
wirkung erst vermitteln soll, übrigens auch von Delezenne und
Breton bei Bakterien gefunden worden ist (S. 494). Da man der-
artige Ambozeptoren bekanntUch auch für die bakteriolj'tische Wirkung
d^ Blutserums verantwortlich gemacht hat, und eine gewisse äußere
Ähnlichkeit zwischen bakteriolytischen und Verdauungs Vorgängen (§11)
imd überhauptvon toxischen und fermentierenden Wirkungen (S. 798 ff.),
von Toxinen und andern Hilfsstoffen und Enzymen (s. o. S. 750) nicht
zu verkennen ist, ist man noch einen Schritt weiter gegangen und hat
auch die bindenden („haptophoren") Gruppen der Toxine usw. mit
denen der Fermente auf eine Stufe stellen wollen (0 p p e n h e i m e r).
Um so mehr ist man dazu geneigt gewesen, als sich gezeigt hat, daß
die Enzyme auch eine andere Eigenschaft mit den Toxinen, Lysinen
usw. gemein haben, die nach Ehrlichs Seitenkettentheorie (s. § 279,
327, 333 ff.) für die Existenz haptophorer Gnippen spricht, nämhch die
Fähigkeit, Tiere gegen die Enzyme zu immuni-
sieren*). Spritzt man Kefir-Laktase^), Urease*), proteolytische
Enzyme von Staphylokokken oder Vibrionen^), Zymase**) Tieren ein,
so bilden sich ganz ähnlich, wie bei der Behandlung mit Immun-
1) Literatur bei Szumowski, Arch. de physiol. 1898. Vgl. auch
Anin. 1. auf S. 765. In eigenen Versuchen haben wir eine gewisse Bindunga-
fähigkeit der Bakterien und ihrer Extrakte für Trypsin bestätigt gefunden
(5 10).
2) Vgl. auch im Handbuch von Kraus und L e v a d i t i über
Ferir^nte im allgemeinen.
3) Schütze, Zeitschr. f. Hyg. 48, 1904.
4) M o 1 1 , Hofmeisters Beitr. 2, 1902; vgl. aber Schütze, D.
med. Wochenschr. 1904, 9.
5)v, Dungern, Münchn. med. Woch. 1898 ; M o r e s c h i ,
Giom. Soc. ital. d'ig. 1903; Hata, Zentr. Bakt. Ref. 34, 1904.
6) Jacobsohn, Mimchn. med. Woch. 1903, vgl. aber Schütze,
D. med. Woch. 1904. 9.
774 Kap. XIV, § 249—251.
toxinen (Kap. XVI) und anderen Impfstoffen (Kap. XVII) im Körper,
vor allem im Blutserum der Tiere, Stoffe — Antienzyme, -fermente
— die, zu den Enzymen im Reagensglas zugesetzt,
deren Wirkung aufheben. Alle diese „Antikörper" haben
nach der Ehrlich sehen Seitenkettentheorie das gemein, daß sie
sich mit haptophoren Gruppen ihres „Impfstoffs" oder „Antigens"
vereinigen, ebenfalls wieder, „wie der Schlüssel ins Schloß dringt" und
werden nach derselben Tlieorie nur von den Tieren gebildet, die
schon normalerweise, weim auch in weit geringerer Menge,
immer in gewissen Zellen, oft aber auch in der Blutflüssigkeit Anti-
körper bzw. „Rezeptoren", mit dem sich der Impfstoff verketten kann,
enthalten. In der Tat hat man Antienzyme auch im nor-
malen Blutserum mehrfach gefunden (s. in den genannten
Arbeiten).
So beachtenswert alle diese Beobachtungen auch sind, weil sie
auf einen in dieser Beziehung ähnlichen Bau der
Enzyme und übrigen Impfstoffe schließen lassen, und aach
deswegen, weil sie spezifische Unterschiede zwischen
scheinbar gleichartigen Enzymen erkennen
lassen (v. Dungern imd Moreschi^), Morgenroth und
P r e t i 2)) , so wenig lassen sie eine klare Deutung zu, denn selbst wenn
man die Identität der immunkörperbindenden und immunisierenden
Atomgruppen zugibt, ist damit noch nicht bewiesen, daß
die immunisierenden Fermente ihre Ferment -
Wirkung durch diese selben Bindegruppen aus-
üben, d. h. sich mit den fermentierbaren Stoffen verketten- Daneben
bestehen noch manche Zweifel über den Mechanismus der antifermen-
tativen Wirkungen. GewöhnUch sind z. B. letztere nicht entfernt so
kräftig und spezifisch, wie Antitoxine. Nimmt man aber trotzdem den
Beweis als geUefert an, so fragt man sich, wo denn die haptophoren
Gruppen der fermentierbaren Körper, in welche die Binde.gruppen oder
Fermente eingreifen, und die mit den spezifischen Gruppen der Antifer-
mente identisch sein müssen, sitzen sollten. Wir kennen doch die che-
mische Zusammensetzung der fermentierbaren Körper meist recht voll-
ständig imd wissen nicht, wo da für spezifische „Seitenketten" Platz
bleibt. Wir kommen also auf diesem Wege nicht zu klaren Vorstellungen
imd schließen daraus, daß die antigene Natur der Enzyme wirklich
mit der Bindekraft für die Stoffe, die sie umwandeln, nichts zu tun
haben kann. Diese Bindekraft selbst abzulehnen, sind wir freilich auch
1) a. a. O. {Antikörper für bakterielle Proteasen).
2) Bloch. Zeitsohr. 4, 1907. (Antiköri^er für nichtbaktorielles Lab und
Diastase).
Fermente (XJmsatzstoffe). 775
nicht in der Lage, wissen aber über ihre Natur ebensowenig auszusagen,
als über den chemischen Bau der Fermente überhaupt und den Mecha-
nismus, durch den sie wirken. DaB letzterer dem der Toxine ähnlich sei,
dafür haben wir übrigens auch keine genügenden Anhaltspunkte (§ 256).
§ 250. Bildung der Fermente. Zymogene. Die Bildung der
Fermente ist bis zu gewissem 3rade eine veränderliche Eigenschaft
der Zelle^). Nicht in jedem Augenblick werden gleiche Mengen gebildet,
sondern je nach den Umständen bald mehr, bald weniger. In vielen
Fällen entwickeln die ZeUen die Fermente nur, wenn das Bedürfnis zu
ihrer Benutzimg vorhanden ist, so die Diastase, wenn stärkehaltige
Nahrung, die Zymase, wenn vergärbarer Zucker, Tr3rpsin, wenn
Eiweiß zur Verfügung steht. Doch haben wir im besonderen Teil schon
zahlreiche Beispiele kennen gelernt, wo diese Regel nicht gilt, die-
selben Enzyme vielmehr auch dann abgeschie-
den werden, wenn sie keinen Angriffspunkt für
ihre Wirkung finden. Es besteht aber auch dann wohl eine
Anpassung der 2ielle an ihre Nahrung insofern, als die Menge der
gebildeten Enzyme durch sie beeinflußt wird. Umgekehrt genügt
übrigens manchmal selbst die Gegenwart der zersetzbaren Stoffe, z. B.
des Eiweißes, nicht als Reiz für die Sekretion des Verdauungsenzyms,
wenn noch andere leichter angreifbare Stoffe, z. B. Kohlenhydrate, vor-
handen sind ; die Zellen besitzen vielmehr in gewissem Grade die Fähig-
keit des Wahl Vermögens (§ 58).
Manche Erfahrungen der Tier- und Pflanzenphysiologie sprechen
dafür, daß die Enzyme häufig nicht als solche in den Zellen enthalten
sind, sondern gewissermaßen in einem unwirksamen (inaktiven) Zu-
stand, als Zymogene oder Profermente. Erst auf bestinamte
Reize hin, z. B. bei Berührung mit ,,zymoplastischen" Substanzen, wie
verdünnten Säuren, gehen sie in die Enzyme über. Vielleicht findet sich
ähnUches auch bei den Mikroorganismen. Es würde das möglicherweise
eine Erklärung abgeben für den mehrfach erwähnten Umstand, daß
ein Enzym, wie z. B. die Invertase der Hefe- und Schimmelpilze, so
lange es noch innerhalb der Zellen sitzt, hohe Temparaturen, ja die
Siedehitze verträgt, wenn es aus ihnen ausgeschieden ist, aber schon
niedrigen Temperaturen erhegt (§ 244).
§251. Grenzen der Fermentierung. Umkehrbarkeit ihrer
Wirkung. Synthetische Fermente. Jede Fermentierung kommt
früher oder später zum Stillstand. Zimächst hängt dieses, weil ja stets
ein gewisser Verbrauch von Ferment stattfindet (s. o. S. 761), natur-
gemäß zusanmien mit dem Aufhören der Fermentbildung, d. h. dem
Stillstand der Zellentwicklung (§ 36 u. 37), der seinerseits auf dem
1) Über vorprblieho Verändorungen l)zw. Anpassiingon vgl. § 353.
776 Kap. XIV, § 251.
Mangel an Nährstoffen und dem Auf treten hemmender Einflüsse, giftiger
Stoffwechselprodukte beruht. Die enzymatischen Vorgänge werden
femer auch dann ihr natürliches Ende finden, wenn alles umwandel-
bare Material wirklich umgewandelt ist, wenn also z. B. das sämtliche
Kasein der Milch niedergeschlagen, die Gelatine des Nährbodens ver-
flüssigt, der Zucker zu Alkohol und Kohlensäure vergoren ist. Daß
wirklich oft genug damit die Grenze der Fermentwirkung gegeben ist.
wird durch viele Beispiele beleuchtet. In anderen Fällen tritt der Still-
stand aber schon früher ein, bevor die Zersetzung beendigt ist. Ohne
weiteres verständlich ist das in dem Fall, wenn die vorhandene Enzym-
menge zu klein ist, erklärlich aber auch, wenn die Erzeugnisse der Zer-
setzung, sobald sie sich in gewisser Menge angesammelt haben, schädlich
auf das Enz3nn selbst wirken. Dahin gehört scheinbar die Anhäufung
von Alkohol, Säuren und Ammoniak bei der alkoholischen, sauren
und Ammoniakgärung des Zuchers, Eiweißes, Harnstoffs usw., auch die
Bildung von aromatischen Giften (Benzaldehyd, Salizylsäure, Hydro-
chinon) bei der hydrolytischen Spaltung der Glykoside. All das führt
nachweislich zum Stillstand der Fermentierung. So lange man mit
lebenden Kulturen arbeitet, läßt sich allerdings kaum sicher entscheiden,
ob die Schädigimg der Fermentbildung oder des Fer-
mentes selbst daran schuld ist. Erst der Versuch mit freien
Enzymen, der freilich nicht überall möglich ist, würde die richtige
Antwort geben. Er hat z. B. gelehrt, daß der Stillstand der Alkohol-
gärung früher eintritt, wenn lebende, als wenn Zymase oder Zymin
im Spiel ist. Die Benachteiligung der Enzym b i 1 d u n g scheint in diesem
Falle also maßgebend zu sein. Andere Fälle sind noch nicht genau
genug untersucht. Sind hiermit aber alle Möglichkeiten erschöpft?
Keineswegs. Warum kommt, um ein gut studiertes Beispiel aus der
Pflanzenphysiologie zu erwähnen, die diastatische Wirkung zum Still-
stand, wenn nur etwa zwei Drittel der Stärke zu Maltose verzuckert
sind, und der Rest in Dextrin verwandelt ist? Ist die Maltose, die dabei
entsteht, etwa imstande, das Enzym zu zerstören? Davon kann nicht
die Rede sein, denn die Verzuckerung geht weiter, wenn man neue
Stärke hinzufügt oder die Maltose z. B. durch Vergärung mit Hefe
entfernt, oder die Temperatur des Prozesses herabsetzt. Höchstens
kann man eine gewisse Schwächung des Enzyms zugeben. Man könnte
auch daran denken, daß das übrig bleibende Dextrin besonders schwer
angreifbar wäre; in der Tat wird es, durch Alkohol niedergeschlagen,
neu gelöst und, mit Diastase vermischt, viel schlechter verzuckert^).
Ganz klar ist die Sache also hier nicht.
1) Vgl. D u c l a u X , Microbiol. 2. 452.
Fermente (ümsatzstoffe). 777
Durchsichtiger ist die Ursache des Stillstandes der Maltasewirkung.
Hill (S. 238) stellte zunächst fest, daß die Umwandlung des Malz-
zuckers in Traubenzucker durch die Hefemaltase bei geringer Dichte
der Zuckerlösung fast vollständig erfolgt, bei stärkerer aber unvollständig.
So wurden in einer 2 — 4%igen Maltoselösung 98 — ^99%, in einer 40%igen
nur 84% des Malzzuckers hydrolysiert, 16% blieben als solche erhalten.
Brachte man jetzt eine 40%ige Traubenzuckerlösung mit derselben
Maltase zusammen, so trat darin allmählich (binnen 70 Tagen) die
entgegengesetzte Wirkung ein, es bildete sich aus dem Traubenzucker
bis zu 15% Maltose. Wir haben es hier also mit einem umkehrbaren,
..reversiblen" Prozeß zu tun, wie er für katalytische und andere che-
mische Reaktionen vielfach nachgewiesen ist^). Der Punkt, an dem die
Enzymwirkung zum Stillstand kommt, entspricht dem Gleich-
gewicht zwischen den beiden reagierenden Stoffen (Malz- und
Traubenzucker). In einer 2%igen Lösung wird das Gleichgewicht
erreicht, wenn auf 99 Teile Traubenzucker 1% Malzzucker kommt,
es ist daher nicht leicht, für so dünne Lösimgen die Umkehrbarkeit
der Reaktion nachzuweisen, während es in konzentrierten Lösungen
wohl gelingt. Vielleicht haben wir in ähnlichen Verhältnissen den Grund
dafür zu sehen, daß die Zahl der Fermentprozesse, die als umkehrbar
erkannt sind, vorläufig noch klein ist*).
Die Bedeutung der umkehrbaren Fermentwirkungen für die
Erklärung der Synthesen des lebenden Protoplasmas ist
klar. Es fragt sich nur, ob man alle Synthesen auf ähnlichem Wege
zu erklären hat. Wir haben uns in § 66, 127, 130 usw. für diese An-
nahme ausgesprochen, da man auf diese Weise die sämtlichen Stoff-
wechselvorgänge, ob sie nun Stoffe dissimilieren oder assimilieren, auf
den einheitlichen Mechanismus der Fermentwirkung zurückführen
kann. Sogenannte theoretische Einwände dagegen, die auf Analogien
mit katalytischen Reaktionen bzw. auf einer zu engen Definition des
Fermentbegriffes beruhen, können wir nicht gelten lassen.
1) Der Umstand, daß E m m e r 1 i n g statt der Maltose Isomaltose
(S. 239) und Fischer und Armstrong bei der Umkehnmg der
Laktoseinversion Isolaktose fanden (S. 241), könnte allerdings dahin ge-
deutet werden, daß keine eigentliclie Umkehrung der Fermentwirkung
eintritt, sondern ein besonderes synthetisches Ferment im Spiele sei.
2) Bekannt ist außer den im § 228b genannten Beispielen aus der
Mikrobiologie die Umkehrbarkeit der Lipasereaktion z. B. im Lebersaft
gegenüber Äthylbutyrat (Kastle und Löwenhart), femer die
Kondensation des Stärkekleisters durch Amylokoagulase (S. 417).
Kapitel XV.
Farbstoffe der Kleinwesen,
§ 252. Vorkommen und Lagerung. Die Fähigkeit zur Färb-
Btoffbildung ist im Reiche der Mikroorganismen sehr verbreitet, nur
die parasitischen Protozoen machen eine Ausnahme insofern, als sie
niemals gefärbt sind. Alle reinen Farbentöne mid alle Mischfarben
sind vertreten^). Unter den zahlreichen roten Bazillen ist der berühni-
teste der Bac. prodigiosxis, das „Wunderbakterium" (s. m, § 255), femer
gehören hierher die Rosasarzine, das Spirillum rubrum, die sogenannten
Purpurbakteiien, die Rosahefe, rote Strahlen- und Schimmelpilze. Gelb
ist ebenfalls sehr häufig, so zeichnet ein schönes Goldgelb den ge-
meinen Eiterstaphylokokkus, ein Zitronengelb den Staphyl. pyogenes
citreus aus. Zahllos sind die gelbgrün, tiefgrün oder bläuUch fluores-
zierenden Bazillen, die auch durch die Art ihrer Begeißelung eine
natürliche Gruppe (Pseudomonas M i g u 1 a vgl. § 359) aoiszumachen
sclieinen. Ein blauer Farbstoff mischt sich dem fluoreszierenden beim
Bac. des blauen Eiters (Pyocyaneus) und der blauen Milch (Cyanogenes)
bei. Rein blau bis violett sind der Bac. violaceus, janthinus, coeruleus,
amethystinus, iridigonaceus u. a. m. Die Indigo- und Orseillegärung
sind ebenfalls durch Bakterien beeinflußbar, wenn nicht hervorgerufen
(§ 156). Zahlreich vertreten sind die bräunUchen. grauen und schwärz-
lichen Mischimgen bei Bakterien, Sproß- und Fadenpilzen, die auch
zum Teil wenigstens die dunkle Färbung der Humusstoffe, des fau-
lenden Obstes, Holzes usw. bedingen (§ 153 ff.).
Geht man dem Ursprung der Färbungen in den einzelnen Fällen
nach, so findet man die Farbstoffe entweder innerhalb der Zellen
oder in den Membranen und Scheiden, oder außerhalb.
Zu der ersten Klasse, den von Beijerinck*) sogenannten „chro-
niophoren" Mikroorganismen, gehören vor allem die sog. Purpurbak-
1 ) Zusammenstellungen von Farbstoffbakterien s. z. B. bei K r u s o
in Flügges Mikroorg. 3. Aufl. 1. 289 und 300 ff. imd im 2. Bande von
M i g II 1 a s Syst-em der Bakterien 1 900.
2) l^ot. Zoitg. 1«91.
Farbstoffe der Kleinwesen. 779
terien (§ 209), die gleiclimäßig^), aber mehr oder weniger dicht, von
braunem, rotem bis violettem Farbstoff durchtränkt sind, femer die
You M o 1 i s c h wohl nicht mit Recht für Algen erklärten „grünen
Bakterien" Winogradskys*), nämlich van Tieghems
Bacterium viride und Bac. virens, Engelmanns ^) Bact. chlorinum,
E w a r t s *) Strept. varians und grünen Spirillen, außerdem noch die
grünlich schillernden Sporen des Sumpf bazillus K 1 e i n s und M i -
g u I a 8 ^) , des Eaulquappenbazillus Frenzeis*) und die rötlichen
des Bac. erythrosporus'^), manche nicht verflüssigende Pigment-
bakterien, die nach der Ansicht anderer Forscher allerdings auch den
Farbstoff im wesenthchen nach außen abscheiden sollen^). Die weiße
Färbung der reinen Schwefelbakterien (Beggiatoa usw.) rührt von
den im Zellkörper abgeschiedenen, mikroskopisch dunkel glänzend
erscheinenden Schwefelteilchen her (vgl. § 208).
Viel häufiger sind intrazellulare Farbstoffe bei den Faden-
p i 1 z e n , insbesondere in den Sporen. Zum Teil beschränkt sich
fieilich die Färbung hier auf die Membran oder Hülle. „Para-
chromophore" Bakterien in diesem Beijerinck sehen Sinne sind
z. B. Bac. janthinus und violaceus. Auch die Braimfärbimg der Eisen-
bakterien (§ 216) beruht wesentlich auf einer Ablagei-ung von Eisen-
oxydhydrat in der Scheide, nach M o 1 i s c h tritt aber brauner
Farbstoff hinzu. Als echte oder „chromopare" Pigmentbakterien
bezeichnet Beijerinck die viel zahlreicheren, die den Farbstoff
nach außen als „Sekret'' abscheiden. Der lebende Bak-
terienkörper erscheint hier anfangs farblos, aber die toten Zellen der-
selben oder anderer Spezies können sich mit ihm oder seinen Umwand-
lungsprodukten färben. So färben sich z. B. die von Beijerinck
beschriebenen Leiber des Bac. cyaneofuscus schließhch schwarz. Sonst
wird die Farbe der chromoparen Bakterien teils körnig abgesetzt,
wie 2. B. beim Prodigiosus, teils ist sie in den Nährböden gelöst,
wie bei den fluoreszierenden Bazillen.
Auch bei den chromoparen Mikroorganismen wird der Farbstoff
wie bei den chromophoren, wohl stets innerhalb der Zelle erzeugt,
1) Die von Bütschli (Bau der Bakterien, 1890) behauptete Bo-
Hchränkung des Farbstoffs auf eine Randzone wird von M ol i s e h ( Plir-
purbakterien, 1907) geleugnet.
2) Beitr. z. Morph, u. Physiol. der Bakterien, Leipzig 1888.
3) Bot. Zeitg. 1882.
4) Annal. of bot. 1897.
5) System der Bakterien 1. 94, 1897.
6) Zeitschr. f. Hyg. 11.
7) Cohns Beitr. Biol. Pfl. 3. 128.
8) Vgl. Mignla, a. a. O. 284.
780 Kap. XV, § 252 u. 253.
aber nur schnell ausgeschieden. Das geschieht teilweise — z. B. beim
Pyocyaneus (s. u.) — in der Form eines „Leukoprodukts", das seiner-
seits erst durch den Sauerstoff der Luft gefärbt wird. Diese nachträg-
liche Färbung findet auch statt bei der Orseille- und Indigogärong und
wenigstens zum Teil bei der Bildung der rotbraunen und ßchwarzen
Stoffe, die durch Bakterienwirkung aus Tyrosin und anderen aroma-
tischen Substanzen entstehen (s. o.). Die farbstofflief emde Substanz
selbst wird gerade in diesen Fällen entweder außerhalb der Zellen von
einem durch die Mikroorganismen ausgeschiedenen Enzym (Indoxylase.
Tjrrosinase) oder innerhalb dei Zellen durch ein Endoenz)mi (oder durch
Protoplasma Wirkung?) aus einem von dem Nährboden gelieferten Be-
standteil durch einfache Spaltung oder Oxydation erzeugt.
§ 253. Chemische Znsammensetzung der Farbstoffe. Über
die chemische Natur der Farbstoffe^) sind wir bisher nur unvollkommen
unterrichtet. Die mineralischen Bestandteile der Schwefel- und Eisen-
bakterien wurden schon erwähnt. Die grüne Farbe gewisser Bakterien
(s. o.) wird von ihren Entdeckern mit dem Chlorophyll identifi-
ziert. Die Beobachtung van Tieghems, daß sie erst im Licht
ergrünen, und die Engelmanns imd Ewarts, daß sie im
Licht Sauerstoff ausscheiden, scheint allerdings dafür zu sprechen,
doch fehlen noch abschließende Untersuchungen darüber und über
ihre Beziehungen zu dem Bakteriochlorin Molischs (s. u.). Der
rote Farbstoff der Purpurbakterien, das von Lankaster so genannte
Bakteriopurpurin, ist seitdem oft studiert worden, so von
Warming, Engelmann, Winogradsky, Molisch ^).
Die Angaben stimmen nicht in allen Einzelheiten überein. Nach M o -
lisch ist der Farbstoff, der aus den mit Alkohol (s. u.) vorbehandelten
Kulturen durch Schwefelkohlenstoff oder Chloroform erhalten wird, nicht
in Wasser und Glyzerin, schwer in absolutem Alkohol, leichter in Äther,
Chloroform und Schwefelkohlenstoff löslich und scheidet sich aus der
alkohoUschen Ijösung in Kristallen aus. Durch Oxydationsmittel wird
er zerstört, durch heißes Wasser, Chloroform, Salzsäure, Essigsäure,
Alkalien mehr oder weniger schnell in seinem Farbton verändert, durch
konzentrierte Schwefelsäure in tiefes Blau verwandelt. Nach dem
spektroskopischen Verhalten des Bakteriopurpurins unterscheidet M o -
lisch zwei Abarten des reinen Farbstoffs und erklärt die abweichen-
den Spektren der lebenden Kulturen durch die oben erwähnte
Beimischung eines grünen schon von B ü t s c h 1 i gelegentlich
1) Über Farbstoffe bei Pilzen s. Zopf, Pilze, 1890, S. 143.
2) S. Lit. § 209 und namentlich M o 1 i s c h , Die Purpurbakterien,
Jona 1907.
Farbstoffe der Kleinwesen. 781
gesehenen Farbstoffs. Dieser wird durch mehrmaliges einige
Stunden dauerndes Ausziehen von Massenkulturen mit wenig Alkohol
und Ausschütteln der alkoholischen Lösimg mit Benzin, Olivenöl,
Terpentinöl oder Chloroform gewonnen. Er kristallisiert nicht, sondern
scheidet sieht in Tropfenform aus. Vom Chlorophyll ist er durch
Spektrum und Reaktion deutlich verschieden, befähigt die Purpur-
bakterien auch nach M o 1 i s c h ebenso wenig wie das Bakteriopurpurin
zur Assimilation der Kohlensäure, sondern begünstigt anscheinend nur
die Ernährung mit organischen Stoffen (s. u.). Nach B ü t s c h 1 i wäre
das Bakteriopurpurin mit dem roten Farbstoff der Flagellate Euglena
\'iridis identisch.
Durch die Schwefelsäurereaktion ist das Bakteriopurpurin mit den
im Pflanzen- und Tierreich weit verbreiteten, in Fetten imd Fett-
lösungsmitteln löslichen, kristallisierbaren ,,Lipochromen" oder „Karo-
linen" verwandt. Z o p f ^) imd K o h 1 2) unterscheiden sie in die
Karotinine, die Kohlenwasserstoffe und gelb sind, und die
Eukarotine, die außerdem noch Sauerstoff enthalten und dunkler,
bzw. rot sind. Auch in den Bakterien und Pilzen scheinen sie vor-
zukommen, so bei den von Z o p f ^) beschriebenen Pigmentkokken und
Bazillen, der Sarcina aurantiaca Schrötters*) u. a. Analysen
liegen aber nicht vor.
Die Schwefelsäurereaktion gibt eine große Reihe anderer Bakterien-
farbstoffe nicht, obwohl sie sich ebenfalls in Alkohol, Äther, Chloroform,
Benzol und Schwefelkohlenstoff lösen, so z. B. der des Bac. pro-
digiosus, ruber, kiliensis, Staphyloc. pyogenes aureus (Schneider^),
M i g u 1 a •)). Nach Griffith') entspräche die Zusammensetzung
des Prodigiosuspigmeuts der Formel CggHggNOg . Kraft®) fand
zwar einen höheren Stickstoffgehalt (3,9%), betrachtet aber ebenfalls
diesen Farbstoff, obwohl er ihn nicht kristallisiert erhalten konnte,
als einen einheitlichen Körper. Der früher angenommene Zusammen-
hang des Prodigiosins mit Anilinfarbstoffen ist unbewiesen. Nur in
Alkohol löslich ist das Pigment des Bac. violaceus. In keinem der üb-
1) Pflügers Archiv 42, 1888.
2) Untersuchungen über das Karotin, 1902.
3) Bot. Zeitg. 1889; Ber. D. bot. Ges. 1891. 22; Beitr. z. Morpli.
u. Physiol. nied. Organism. H. 2 und 3, 1892 — 1893; vgl. auch Schnei-
der, Anm. 5.
4) Zentr. Bakt. 18, 1895.
5) Bedeutung der Bakterienfarbstoffe für die Unterscheidung der
Arten, in Arb. d. bakt. Inst. Karlsruhe 1. Bd. 201, 1895.
6) Sjrstem der Bakterien 1. 288.
7) Compt. rend. ac. sc. 115. 321.
8) Dissertation Würzburg 1902.
7S2 Kap. XV, § 253.
liehen Mittel löslich sind nach Schneider nur wenige Bakterien-
farbstoffe, wie das des Micr. cereus flavus und Bac. indigonaceus, durch
Alkalien oder Säuren lassen sie sich aber in eine freilich nur unbeständige
Lösung bringen.
Im Anschluß an die wasserunlöslichen Pigmente ist
noch der Indigo (Indigotin) zu nennen, der einzige unter Hithilfe
von Bakterien oder Pilzen zu gewinnende Stoff, dessen Konstitution
bekannt und dessen Synthese geglückt ist. Die Beteiligung der >Ii-
kroben an seiner Bildung beschränkt sich allerdings, wie wir schon
S. 460 sahen, auf die Spaltung eines in der Nahrung dargebotenen
Glykosids.
Sehr groß ist die Zahl der in Wasser löslichen und
daher auch in den Nährböden diffundierenden Bakt<erienfarb8toffe.
Am längsten und besten bekannt davon ist das von F o r d o s ^) 1859
durch Ausschütteln der Kultur mit CMoroform und Verdunsten der
blauen Lösimg in Nadeln und Rhomben erhaltene Pyozyanin.
Nach Gessard^) und L e d d e r h o s e ^) ist es eine durch Alkaloid-
reagentien fällbare Base, deren Verbindungen mit Säuren gelbrot
gefärbt und viel beständiger sind, aber nicht kristallisieren und nur in
Wasser und Alkohol, nicht in Chloroform löslich sind. Nach der Analvse
des pikrinsauren Salzes gab Ledderhose ihm die empirische
Formel C14H14N2O.
Bei manchen Bässen des Pyocyaneus fehlt dieser Farbstoff, meist ist
er mit einem fluoreszierenden (s. u.) verbimden (Kunz und auch
T h u m m). In den Kulturen selbst scheint er als Leukoprodukt vorhanden
zu sein, denn durch Schütteln läßt sich die Farbe hervorrufen oder ver-
stärken*) und durch Sauerstoffabschluß in einer lebenden oder Sauerstoff-
entziehung in einer toten Kultur zum Verschwinden bringen. In alten
Kulturen und durch Berührung des Farbstoffs mit der Luft bildet sich
aus dem Pyozyanin ein gelblich roter Körper, die ebenfalls in Chloroform
und Wasser lösliche Pyoxanthose, (Gessard, Boland^)
u. a.). Daneben können aber vom Bac. pyocyaneus noch andere blaue
(B a b e s •)) und — von einer „melanogenen" Rasse — braune bis
schwarze Pigmente (C assin, Gessard')) gebildet werden. Das
letztere ist wohl identisch mit dem durch Tyrosinase aus dem Tyrosin
1) Compt. rend. 51. 215 und 56. 1128.
2) These de Paris, 1882 Nr. 248; Annal. Pasteur 1890—92.
3) Deutsche Zeitschr. f. Chir. 28, 1888.
4) Vgl. Christomanos, Zeitschr. f. Hyg. 36 mit Lit.
5) Zentr. Bakt. 25.
6) Soc. biol. 1889.
7) Annal. Pastour 1901 und 1902.
Farbstoffe der Klein weseii. 7^3
entwickelten Farbstoff, dessen chemische Natui übrigens noch nicht
genau festgestellt ist (S. 469). Wahrscheinlich ist der braune bis braun-
schwarze Farbstoff, den die Kulturen der Streptothrix chromogenes
(3. 0.), der Bacillus pneumoniae Friedländers, der Dysenterie-
bazillus Kruses u. a. in älteren peptonhaltigen Nährböden zeigen,
diesem „Melanin" gleich.
Auch der Bazillus der blauen Milch entwickelt wie der Pyo-
cyaneus neben einem fluoreszierenden (s. u.) einen andern Farbstoff^),
der aber wegen seiner Vergänglichkeit noch nicht hat isoüert werden
können. Bei deutlich saurer Reaktion, z. B. in Milch selbst, ist er
himmelblau, durch allmähliche Alkalisierung wird er erst b 1 a u -
schwarz, dann schwarz und schließlich braunschwarz. Auch
Rosafärbungen (durch Ammoniak Wirkung ?) werden in jüngeren
Kulturen beobachtet.
Andere weniger gut bekannte wasserlösliche Farbstoffe einzelner
Bakterien übergehen wir hier und besprechen nur noch die in zahl-
reichen Formen*) verbreiteten fluoreszierenden Bakterien. Sie sollen
nach T h u m m ') ihre Farbe einem einzigen nur in Wasser und ver-
dünntem Alkohol löshchen*) nicht kristallisierbaren Stoffe verdanken,
der in konzentrierter Lösmig dunkelorange bis rotbraun ist und im
auffallenden Lichte eine rein blaue Fluoreszenz zeigt. Bei Verdünnung
wird die Farbe gelb und verschwindet zuletzt, während die blaue Fluo-
reszenz noch deutlich bleibt. Durch Alkalien einschließhch Ammoniak
und alkalische Erden geht die blaue in grüne Fluoreszenz über. Ver-
dünnte Säuren machen die Fluoreszenz verschwinden, ohne die Farbe
zu verändern. Die chemischen Analysen und Reaktionen stellen das
Pigment in die Nähe der Eiweißkörper, doch kann von Rcin-
darstellung keine Rede sein. Aus der Säurebildung erklärt sich der
Mangel an Fluoreszenz in zuckerhaltigen Kulturen, aus der Ammoniak-
bildimg die grüne Fluoreszenz in alten Kulturen.
Die Farbstoffe der einzelnen Mikroorganismen, abgesehen von den
fluoreszierenden, zeigen auch, wenn sie in ihren Lösungsverhältnissen
übereinstimmen, gegenüber den Reagentien \md im Spektroskop gioße
Verschiedenheiten, so daß Schneider und M i g u 1 a diese zur
Artunterscheidung benutzten. Vorsicht ist da freilich vonnöten wegen
1) Neelsen, Cohns Beitr. z. Biol. d. Pflanz. 3, 1883; Hüppe»
Mitteil. Gesundheitsamt 2, 1884; Gesssrd, Annal. Pasteur 91. 12
und T h u m m s. u.
2) Jordan, J. of exper. Med. 1899. 633 zählt 52 „Arten** auf.
3) Arbeit, bakteriol. Inst. Karlsruhe 1895. 1. 291 Lit.
4) Dargestellt wird er durch Fällung der Lösungen mit starkem
Alkohol, Filtrieren und Niedersclilagon mit abaolutem Alkohol.
784 Kap. XV, § 253 ii. 254.
der Möglichkeit, daß die Farbstoffe selbst, wie die Fähigkeit, sie zu
bilden, veränderlich sind.
§254. Bedingungen der Färbstoff bildung. Daß in der Tat die
Farbstoffbildung keine unveränderliche Eigenschaft ist, hat die Be-
schäftigung mit den Pigmentbazillen bald gelehrt. Von den ver-
schiedenen „Rassen" des Pyocyaneus sprachen ¥rir schon eben, durrh
künstliche Eingriffe sind bei ihm, bei dem ProdigiosuB u. a. mehr
oder weniger leicht farblose Abarten zu erzielen, und schon die Herkunft
von diesem oder jenem Nährboden, das Alter der Individuen beeinflußt
die Fähigkeit, Farbstoff zu bilden. Wir kommen im Kap. XVIII auf
diese Verhältnisse zurück. Nicht zu verwechseln mit der ungleichen
Anlage zur Farbstoffbildung, die den Bakterien selbst eigen ist. ist die
Abhängigkeit der Pigmentierimg von den äußeren Wachstums-
bedingungeii.
Am leichtesten nachweisbar ist der Einfluß des Sauerstoffs
und der Temperatur. Zur Entwicklung des Pigments scheint fast
regelmäßig Sauerstoffzutritt nötig zu sein. Daher sieht man in Stich-
kulturen in festen durchsichtigen Nährböden und sogar in Platten nur
die oberflächlichen Kolonien gefärbt. Manchmal, wie beim Pyocyaneus
(s.o.), liegt das bloß daran, daß das von den Bakterien auch ohne Sauer-
stoffzutritt gebildete Vorstadium der Farbe, das Leukoprodukt, erst
durch den Sauerstoff der liuft zu Farbe oxydiert wird. Andere Male mag
nur die kümmerliche Entwicklung der betreffenden luftliebenden Bak-
terien bei Sauerstoffabschluß den Pigmentmangel verursachen. Aus-
nahmen von der Regel bilden sämtliche Purpurbakterien, wozu nach
M o 1 i s c h auch das Spirillum rubrum v. Esmarchs gehört, der
Bac. rubellus 0 g a t a s , der Diplococcus pyogenes Pasquales*).
und einige andere von Pa penhausen*) studierte Bakterien. Hier
fehlt sogar gewöhnlich der Farbstoff an der Oberfläche, während er
in der Tiefe entwickelt ist. Zum Teil erklärt sich das möglicherweise
daraus, daß der Luftsauerstoff hier die Farbe zer-
stört. Nach Papenhausen*) spielt vielleicht auch der Druck
als Reiz für die Farbstoffbildung eine Rolle (§ 44).
Bei den meisten Purpurbakterien ist ihre anaerobe oder mikroaerophile
Natur (S. 100) maßgebend. Nur beim Spirillum rubrum zeigt sich die
Erscheinung, daß die Farbstoffbildung, aber nicht das Wachstum auf
eine bestimmte (die günstigste?) Sauerstoffapannung eingestellt ist.
Daß die Temperatur einen bedeutenden Einfluß auf die
Farbstoffbildung besitzt, kann man vielfach beobachten. So wächst
1) Zieglers Beitr. 12.
2) Arbeit, bakt. Tnst. Karlsrulie 3. 76, 1903.
Farbstoffe der Kleinwesen. 785
der ProdigioBus bei Brattemperatur farblos. Auch hier ist die höhere
Temperatur an sich ungünstig für das Wachstum, durch allmähliche
Gewöhnung an sie lassen sich die Prodigiosusbakterien daher auch bei
37** gefärbt erhalten (Dieudonn6 § 354). Umgekehrt bilden die-
jenigen Farbstoffbakterien, die bei höherer Temperatur besser wachsen
dort auch reichlicheres Pigment.
Licht scheint nur für die Entwicklung des Pigments der „grünen"
und Purpurbakterien nötig oder wenigstens nützlich zu sein (s. o. S. 780),
ebenso für das des Micr. ochroleucus (P r o v e ^)). Sonst färben sich
die Bakterienkulturen gerade im Dunkeln am schönsten, wie sie sich
ja auch hier am besten entwickeln. Starke Beleuchtung schädigt die
Farbstoffbildung wie die Keime (§ 45), aber auch die Farbe selbst. So
wird nach P a n s i n i ^) fertig entwickelte Prodigiosuskultur auf Agar
durch die Sonne entfärbt, und Kartoffelkulturen nehmen einen schwärz-
lichen Ton an. In trockenem Zustand ist dagegen das Prodigiosin recht
haltbar (K r a f t). Ungünstig auf die Färbung wirken auch alle übrigen
wachstumsschädigenden Einflüsse, z. B. Antiseptika (Kap. XVIII).
Die Bedeutung der Ernährungsweise für die Farbstoff -
bildung folgt schon aus der imgleichen Färbung der Kulturen auf
verschiedenen Nährböden. Was zunächst die Reaktion anlangt,
so hat sie, wie das Beispiel des Bac. cyanbgenes und der fluoreszierenden
Bakterien (S. 783) zeigt, großen Einfluß auf den Ton der Farbe. Ein
gewisser leichter Säuregrad scheint im allgemeinen günstiger
auf die Farbstoffbildimg zu wirken, als deutlich alkalische Reaktion
(vgl. Papenhausen, s.o., Kuntze, s.u.). Vielfach hat man
versucht, die Nährstoffe, die zur Erzeugung der Farbe nötig sind, durch
Züchtung in künstUch zusammengesetzten Lösungen festzustellen,
(j e 8 s a r d (S. 782) kam dabei zu dem Schluß, daß seine ,,melanogene"
Varietät des Pyocyaneus das Pyozyanin schon bildet bei Gegenwart
von bemsteinsaurem Ammoniak als Stickstoff- nnd Kohlenstoffquelle,
Magnesiumsulfat und Kalziumchlorid als Salzen; den fluoreszierenden
Farbstoff aber erst entwickelt bei Zufügung von Natrium- und Kalium-
phosphat und das Melanogen nach Tjnrosinbeigabe. Es fragt sich,
ob diese Regel ganz allgemein gilt. Wenn es der Fall wäre, sollte man
denken, daß in der doch schon verwickelt genug zusammengesetzten
Fleischbouillon (ohne Pepton) wenigstens die beiden ersteren Stoffe
von Rassen, die überhaupt dazu imstande sind, gebildet würden; das
ist aber nach G e s s a r d selbst nicht so ; es gibt zwar Rassen, die
darin beide Farbstoffe bilden, aber auch andere, die in Bouillon bloß
1) Cohns Beitr. Biol. Pfl. 4. 409, 1887.
2) SocietÄ di Naturalist! in Napoli 1890.
Kruse, Mikrobiologie. 50
7 so Kap. XV, § 254 u. 255.
Pyozyanin oder bloß Fluoreszin oder keins von beiden bilden, die aber
bei Zusatz von Pepton zur Bouillon sämtlich Pyozyanin und (die
melanogenen) auch Melanogen entwickeln. Man sieht daraus, wieviel
auch hier auf die Anlage der Keime ankommt.
Im übrigen haben auch andere Forscher die Wichtigkeit der
Salze für die Farbstoffbildimg bestätigt, so T h u m m urd
K u n t z e ^) die der Phosphate für die fluoreszierenden Bak-
terien bzw. für den Prodigiosus. Von den übrigen Mineralstoffen kann
Chlorkalzium anscheinend weggelassen werden, sobald Magnesium-
sulfat vorhanden ist, nicht aber umgekehrt. Vielmehr ist Magne-
siumsulfat nach Thumm, Nösscke^), Kuntze und S a m-
k o w ^) für die Farbstoffbildung bei diesen Bakterien unersetzlich
und zwar, wie Nösscke zuerst nachwies, durch seine beiden Be-
standteile, das Metall und die Schwefelsäure, die denn auch mit dem-
selben Erfolg in anderer Form dargeboten werden können. Nach
S a m k o w geht die Magnesia nicht in das Prodigiosuspigment selbst
über, sie ermöglicht also auf andere Weise seine Bildung. Auch hier
liegt wieder die Deutung nahe, daß die genannten Salze deshalb die
Pigmentienmg begünstigen, weil sie das Wachstum begünstigen, das
Ausbleiben der Pigmentierung also für eine Hemmungserscheinung
zu halten. Bis zu einem gewissen Grade ist das auch der Fall, insofern
z. B. Spuren von Magnesia und Phosphaten für die Entwicklung über-
haupt nötig sind (§ 30). Indessen glaubt Euntze ^) diesen und andere
Einwände gegen die besondere Bedeutung des Magnesiumsulfats für
die Färbst offbildung durch neue Versuche zurückweisen zu können.
Auch die Beschaffenheit der Kohlenstoff- und Stickstoff-
quell e ist auf die Farbstoffentwicklung von Einfluß. Nach Thumm
unterscheiden sich z. B. die einzelnen fluoreszierenden Bazillen durch
die Vorliebe für diesen oder jenen Nährstoff. Nach 6 e s s a r d bildet
der Pyocyaneus sein fluoreszierendes Pigment auf Eiweiß am
schönsten. Notwendig für die Farbstoffbildung der Bakterien ist die
eiweißartige Nahrung im allgemeinen aber nicht. Eine Ausnahme
machen die melanogenen Bakterien, insofern sie entweder Tyrosin
oder Protein, aus denen sie dieses abspalten können, verlangen. Koh-
lenhydrate, insbesondere Stärke (Reis, Kartoffeln) begünstigen
meistens die Pigmentbildung (Papenhausenu. a.). Glyzerin
im Nährboden schwächt nach unserer Erfahrung die Bildung des
Prodigiosins.
1) Zeitschr. f. Hyg. 34, 1900.
2) Bcitr. z. klin. Chir. 18, 1897, und Arch. f. Chir. 61.
3) Zentr. Bakt. 2. Abt. 11.
4) Ebenda 1. Abt. 44. 299, 1907.
Farljstoffe der Klein wesen. 787
Die Art und Weise, wie die Bildung der Pigmente oder ihrer
Leukopiodukte vor sich geht, ist im allgemeinen noch völlig dunkel.
Es wäre aber möglich, daß dabei regelmäßig fermentative
Vorgänge eine Rolle spielten. Nachweislich sind ja Enzyme be-
teiligt bei der Indikanspaltimg durch die indigoliefernden Mikro-
organismen (S. 460) und bei der Oxydation des Tyrosins durch die
melanogenen Arten (S. 268). Eine eigentümliche Eontaktwirkung
der Pyocyaneusbazillen auf ein von ihnen geliefertes Pigment (Pyoxan-
those ?) beschreibt de Seixas Palma ^). Die gelbe Farbe wurde
in eine grüne verwandelt.
§ 255. Bedeutung der Farbstoffe. Nach B e i j e r i n c k
besäße der Farbstoff nur für die Ernährimg der chromophoren
Mikroorganismen eine Bedeutimg, während er bei den chromoparen
und parachromophoren eine nutzlose Absonderung wäre. Es fragt sich
aber, ob wir das heute schon sagen dürfen. Nachgewiesen oder wenig-
stens wahrscheinlich ist bisher die Bedeutung der Färbung nur für die
grünen und Purpurbakterien. Sie ersetzt mehr oder weniger die Leistimg
des Chlorophylls bei der Assimilation. Nur bei ersteren geschieht das
freilich in dem Sinne, daß der Farbstoff die Assimilation des Kohlen-
stoffe aus der Kohlensäure imter gleichzeitiger Abspaltung von Sauer-
stoff ermöglicht (s. o. S. 780). Engelmann glaubte zwar einen
ähnUchen Vorgang auch bei den Purpurbakterien beobachtet zu haben.
Molisch leugnet aber entschieden jede Sauerstoff entbindung bei
diesen und hat auch die Assimilation der Kohlensäure, die ja auch auf
anderen Wegen stattfinden könnte, dadurch imwahrscheinlich ge-
macht, daß er nachwies, wie groß das Bedürfnis vieler Purpurbak-
terien nach einer reichlichen organischen Nahrung ist. Gedeihen sie
doch am besten in Pepton-Zuckerlösangen und überhaupt nicht in einer
rein mineralischen oder an organischen Stoffen armen Lösung^). Trotz-
dem stehen aber Wachstum, Farbstoffbildimg sowie die Bewegungen
^§ 46) der Purpurbakterien in deutlicher Abhängigkeit vom Licht ^).
M 0 1 i s c h glaubt daher, daß das Licht und die Farbstoffe bei der
Assimilation organischer Stoffe durch die Purpur-
1) Zentr. Bakt. 43. 417.
2) Das widerspricht allerdings Winogradskys Aiipjabe, ebenso
die von N a d s o n und M o ] i s c h festgestellte Unabhängigkeit vieler
Purpiirbakterien vom Schwefelwasserstoff (vgl. § 209). Ob Artunter-
schiede dafür entscheidend sind?
3) Ausnahmen kommen allerdings vor, indem manche Purpurbak-
terien auch im Dtmkeln lebhaft schwärmen (W inogradsky) luid in
Reinkulturen auf festen Nährböden schönen Farbstoff bilden und reichlich
wachsen (M o 1 i s c h). Damit wäre der Übergang zu anderen Pigment-
bakterien gegeben.
50*
788 Kap. XV, § 255.
bakterien eine ähnliche Bolle spielen, wie Licht und Chlorophyll bei
der Assimilation der Kohlensäure durch grüne Pflanzen, und daß
außerdem die Purpurbakterien im Lichte aus der organischen Nahrung
„einen Stoff bilden, der ihnen die Bewegung ge-
stattet, und dessenVorrat ihnen noch in der Dunkel-
heit einige Zeit die Bewegung ermöglicht." Bei
allen anderen Bakterien ist die Funktion der Farbe zweifelhaft. Immer-
hin wissen wir, daß manche Farbstoffe (Lipochrome) im Dunkeln
oder im Licht die Eigenschaft besitzen, den Sauerstoff aufzuspeichern
(Pfeffer und E w a r t S. 104) und dadurch den Bakterien eine
Zeitlang vielleicht Leben ohne Sauerstoffzutritt ermöglichen oder
ihnen in anderer Weise nützlich sind. Daß die fluoreszierenden Farb-
stoffe (allerdings nicht bakteriellen Ursprungs) unter der Einwirkung
des Lichtes imd Sauerstoffs lebende Zellen, Enz3ane und Gifte beein-
flussen, wissen wir durch Raab, Tappeiner u. a. (S. 154). Wenn
auch bisher nur schädliche Wirkungen bekannt sind, wäre es doch
denkbar, daß in schwächerer Konzentration auch nützHche hervortreten
könnten, oder daß die schädlichen Wirkungen nur gegenüber anderen
Kleinwesen, die mit den fluoreszierenden Bakterien zusammen leben,
sich bemerkbar machten \md dadurch den letzteren den Wettbewerb
mit jenen erleichterten. Vor allen Dingen bleibt dann aber noch die
Möglichkeit, daß die Farbstoffe den Kleinwesen in ähnlicher Weise
biologisch („ökologisch") von Nutzen sind, wie den Pflanzen imd
Tieren. Man könnte sie z. B. als Lockmittel für Insekten, die ihre Ver-
breitung bewirken sollen, betrachten. Damit stimmt die Tatsache
zusammen, daß gerade in der Luft gefärbte Keime außerordentUch
verbreitet sind. Wenn man diesen Gesichtspunkt auf die Spitze treiben
wollte, könnte man sogar sagen, daß die Fähigkeit, Farben zu erzeugen,
auch zur Verbreitung der betreffenden Keime diuch den Menschen
Veranlassung gäbe : haben sie doch nicht nur die Bakteriologen von jeher
besonders angezogen, sondern schon lange die Aufmerksamkeit der
Menschen erweckt. Man soll nicht einwenden, daß abnorme Färbungen
auf Nahrungsmitteln und dergleichen zur Vemichtimg der sie hervor-
rufenden Keime Anlaß geben, denn diese Gefahr liegt wohl nur von
Seiten des hygienisch geschulten Kalturmenschen vor, beim Natur-
menschen und beim Tiere werden dergleichen Färbungen wohl eher
abschreckend wirken, also zur Erhaltung der Keime beitragen.
Das leitet uns über zu einer Würdigung der farbstoffbildenden
Kleinwesen in ihrer Bedeutung für die Außenwelt und
den Menschen. Nützlich wird die Streptothrix chromogenes nach
Beijerinck durch den wesentlichen Anteil, den sie
an der Humusbildung nimmt (S. 381). Für den Menschen
Farbstoffe der Kleinwesen. 789
and die höheren Tiere spielen die abnormen Färbungen eine ähn-
liche Bolle wie die schlechten Gerüche der Fäul-
niserreger, sie machen auf die Verderbnis von
Nahrungsmitteln aufmerksam.
Hin und wieder hat man wohl daran gedacht, die Farbstoffbildung
technisch zu verwerten. Aber die verhältnismäßig geringe Färbe-
kraft, die meist geringe Haltbarkeit und die Kostspieligkeit der Bak-
teriennährböden machen das im allgemeinen unmöglich. Die Mithilfe
von Bakterien bei der Indigo-, Orseille- und Lakmusgewinnung, die
man eine Zeitlang angenommen hatte, ist neuerdings sehr zweifelhaft
geworden (§ 156). Im übrigen hat bekanntlich der künstlich dar-
gestellte Indigo schon den natürlichen fast völlig verdrängt.
Die schädlichen Wirkimgen der Farbstoffbildungen überwiegen
bei weitem. Wir erinnern zunächst daran, daß unter ihnen eine ganze
Reihe Erreger von Krankheiten bei Menschen und Tieren sind, so
meistens die Eiterstaphylokokken, säurefesten Bakterien, Strahlen-
pilze, der Bac. pyocyaneus, viel seltener pigmentbildende Strepto-
kokken u. a. m. Auf lebenden Pflanzen schmarotzen namentlich ge-
färbte Pilze (Zopf S. 780). Weit größer ist die Schar der gefärbten
Saprophyten, die Nahrungsmittel, Holz^) usw. verderben. Man darf
aber wohl sagen, daß die Farbstoffbildung als solche weder zur Krank-
heitserregung^) noch zur Zersetzung wesentlich beiträgt, daß sogar
durchschnittlich die gefärbten Mikroorganismen in beiden Beziehungen
weniger leistungsfähig sind als die imgefärbten. Eine Ausnahmestellung
gebührt eigentlich nur drei Mikroorganismen : dem Bazillus des
blauen Eiters, weil er meist zwar nur unbedeutende Krankheits-
erscheinungen, aber doch recht unangenehme Störungen im chirur-
gischen Betriebe*) verursacht; dem blutroten „Wunderbakterium"
(Bac. prodigiosus), weil er früher als Ansiedler auf geweihtem
und ungeweihtem Brot und anderen Speisen zu unheilvollen Ver-
wechslungen Anlaß gegeben hat*), ihm und namentlich dem B a -
ziUus der blauen Milch, weil sie beide durch Veränderimg
der Milch förmliche Stallepidemien*) hervorrufen.
1) Färbungen durch holzzerstörende Pilze s. bei Tubeuf in La-
f a r s Handb. 3. 299 ff.
2) Das Pyozyanin ist z. B. iingiftig.
3) über blau, rot und rosa gefärbten Schweiß s. Infektionslehro.
4) Geschichtliche Angaben bei Scheiierlen, Arch. f. Hyg. 26.
5) Neelsen, Cohns Beitr. z. Biol. d. Pflanz. 3, 1880; H ü p p e ,
Mitteil. d. Gesundheitsamts 2, 1884; gelegentliche Beobaclitungen über
andere blaue, rote und gelbo Verfärbungen der Milch s. bei W e i g m a n n
in L a f a r 8 Handb. 2. 206; Färbungen dos Käses ebenda 230, des Brotes 259.
Kapitel XVI.
Gifte der Kleinwesen.
§ 256. Einleitung. Beschaffenheit und Wirkungsweise.
Als Gifte (Toxine) bezeichnen wir im weitesten Sinne des Wortes solche
Erzeugnisse der Kleinwesen, die lebende Zellen
anderer oder auch derselben Art zu schädigen
geeignet sind. Betrifft die Schädigung die Zellen derselben Art.
so spricht man auch von Selbstvergiftung (Autointoxikation) und
Selbstgiften („Autotoxinen", § 47). Infektionsgifte
sind (im strengen Sinne) nur die von echten Infektionserregern im
Körper ihrer Wirte gebildeten Gifte, im weiteren versteht man darunter
allerdings auch solche, die nur in der Außenwelt gebildet werden, aber
den Infektionsgiften durch ihre übrigen Eigenschaften nahestehen
(z. B. das Wurstgift).
Gifte sind sehr verschiedene Stoffe. In erster Linie kommen die-
jenigen, deren chemische Natur genau bekannt ist, wie
die Säuren und Alkohole, das Ammoniak und die organischen Basen.
die aromatischen Produkte, der Schwefelwasserstoff, -die Kohlensäure,
salpetrige Säure u. a. m. Sie sind am besten als Stoffwechsel-
gifte (§ 258 — 260) zu bezeichnen, weil sie bei den gewöhnlichen
Stoffwechselvorgängen (namentlich Gärungen), die wir in den vorher-
gehenden Kapiteln beschrieben haben, als Haupt- oder Nebenerzeug-
nisse entstehen. W^enn auch ihre Bedeutung von vornherein nicht
unterschätzt werden darf, so hat doch der Erfolg gelehrt, daß sie in
größerem Umfange nur von den freilebenden Mikrobien gebildet und
von diesen im Kampfe ums Dasein mit anderen Kleinwesen aus-
genützt werden (§ 48). Allenfalls kommen sie dann noch bei den
Pflanzenparasiten als eigentliche Infektionsgifte in Betracht. Einige
von ihnen, z. B. der Alkohol, werden — allerdings nur in größeren
Mengen einverleibt — Tieren und Menschen gefährlich. Verhältnismäßig
harmlos sind dagegen meist die organischen Basen oder Ptomaine.
die man früher als wesentliche Ursache der infektiösen Vergiftungen
im Verdacht hatte (§ 259).
Gifte der Kleinwesen. 791
Viel wichtiger ist in dieser Beziehung eine zweite Klasse von Giften,
die wii deshalb als eigentliche oder Eigengifte (spezifische Gifte)
bezeichnen wollen. Ihre chemische Beschaffenheit ist bisher so gut
wie gar nicht bekannt, wahrscheinUch besitzen sie aber einen ver-
wickelten Bau und sind dadurch wie in anderen Eigenschaften
den Enzymen ähnlich. Eine Zeitlang hat man an ihre eiweißartige
Natur geglaubt und sie als „Toxalbumine", „Bakterienproteine" usw.
bezeichnet, doch haben spätere Erfahrungen diese Ansicht erhebUch
erschüttert (§ 273, 280). Als eine wesenthche Eigenschaft dieser Gifte
betrachtet man gewöhnlich ihre Empfindlichkeit gegen che-
mische und physikaUsche Einflüsse, insbesondere Erhitzung, die so-
genannte „Labilität" ihrer Moleküle; für viele Fälle trifft das auch zu,
doch gibt es genug Eigengifte der Bakterien, die sich dieser Regel nicht
fügen, ebenso wie es z. B. kochfeste Pflanzen-, Tiergifte und sogar
Enzyme gibt (§ 274). Umgekehrt kennen wir übrigens auch Stoff-
wechselgifte, die sehr empfindUch und deshalb schwierig darzustellen
sind, z. B. das Sepsin (§ 259). Je nachdem die Gifte von den Mikro-
organismen nach außen abgesondert oder in ihren Zellkörpern ab-
gelagert und durch deren Zerstörung frei werden, kann man sie als
Sekretgifte (Ektotoxine) oder Leibesgifte (Endotoxine)
unterscheiden. Zu den ersten rechnet man z. B. die Gifte der Diph-
therie, des Tetanus und Botulismus, die man leicht durch Filtration
der betreffenden Bakterienkulturen gewinnt, zu den letzteren die der
Tuberkel- imd Cholerabazillen, die man nur mit mehr oder weniger
Mühe aus den Bakterienleibern ausziehen kann. In den genannten,
wie in manchen anderen Fällen hat diese Trennung einen Wert, weil
sie uns lehrt, die Gifte zu gewinnen. Doch werden wir sehen, daß sie
sich nicht scharf durchführen läßt (§ 272). Im Grunde haben wir es
hier, wie bei den Enz)anen (§ 240), nur mit der Tatsache zu tun, daß
sich die wirksamen Stoffe mehr oder weniger
leichtvon den Zellen, die sie erzeugen, trennen,
bzw. trennen lassen. Wie es für den Stoffwechsel der Mikro-
organismen verhältnismäßig geringe Bedeutung hat, ob der Rohr-
oder Malzzucker der Nahrung außerhalb oder innerhalb ihrer Leiber
invertiert wird, so ist es für die Giftwirkung nicht von wesentlichem
Belang, ob die Gifte gewissermaßen freiwillig oder unfreiwillig ab-
gegeben werden, die Hauptsache bleibt, daß das überhaupt geschieht,
und dafür sorgen die Parasiten bzw. die Mikroorganismen schon selbst.
Sehen wir doch z. B., daß die Vergiftung durch die Cholerabazillen
im Tier unter ganz ähnhchen Erscheinungen auftritt, ob sie von lebenden
oder toten Bazillen ausgeht. Hier möchten wir nur noch, um Miß-
verständnisse zu verhüten, hervorheben, daß die Ausdrücke Sekret-
792 Kap. XVI. § 256.
oder Leibesgifte keinesfalls so aufgefaßt werden dürfen, daß die einen
als Produkte des abbauenden Stoffwechsels — wie unsere Stoffwechsel-
gifte (s. o.) — , die anderen als Bestandteile des Protoplasmas, also syn-
thetisch entstanden zu denken wären. Im (xegenteil können wir sie
sämtlich vielleicht als Protoplasmabestandteile (Seitenketten) betrachten.
Über die Entstehung der Eigengifte wissen wir
übrigens ebenso wenig als über die der Enzyme
(§ 68). Wir wissen nur, daß sie wie diese in sehr verschiedener Menge,
unter Umständen auch gar nicht erzeugt werden, daß Emährung
und andere Einflüsse der Umgebung auf ihre Bildung einwirken (§ 271).
Von einem Teil der Eigengifte der Mikroorganismen ist es be-
kannt, daß sie imstande sind, Tiere bei richtiger Behand-
lung allmählich gegen eine nochmalige Einwirkung derselben Gifte
zu schützen, zu immunisieren. Diese Giftimmunität kann so
hoch steigen, daß selbst die größten Gaben der Gifte unschädlich
ertragen werden. Gewöhnlich, wenn auch nicht regelmäßig, gelingt es
dabei, nachzuweisen, daß im Blut bzw. Blutserum der immunisierten
Tiere spezifische Gegengifte („Antitoxine") vorhanden sind,
d. h. Stoffe, durch welche die Gifte, und zwar nur diejenigen, mit
denen immunisiert worden ist, unschädlich gemacht werden. Diese
,, Neutralisierung" erfolgt proportional der Menge der Gifte und Gegen-
gifte, so daß es nahe hegt, sie durch eine chemische Bindung zu erklären.
Man ist wohl zu weit gegangen, wenn man die Immunität ausschließUch
auf die Gegenwart von Antitoxinen im Blut zurückführt (vgl. Im-
munitätslehre), daß sie aber für die Giftfestigkeit große Bedeutung
haben, folgt schon daraus, daß man durch Übertragung anti-
toxischen Serums auf neue Tiere diesen sofort
Immunität gegen das betreffende Gift — und zwar
nur gegen dieses — verleihen kann. Unter solchen Um-
ständen erscheint es berechtigt, von immunisierenden, die Bildung
von Antitoxinen anregenden Eigengiften, Immuntoxinen oder Impf-
giften^) zu sprechen. Gerade die kräftigsten Bakteriengifte, wie die
des Tetanus, der Diphtherie, des Botulismus, Rauschbrands und der
Dysenterie gehören zu ihnen. Bei anderen Giften hat man Gegengifte
nicht nachweisen können, obwohl man von ihnen weiß, daß auch an
sie sich die Tiere so ,, gewöhnen" können, daß sie unbeschadet größere
Mengen vertragen können. Von den Eigengiften haben das Tuberkulin
1) O p p e n h e i m c r u. a. wollen den Ausdruck „Toxine' aus-
schließlich für die Iinmuntoxine vorbehalten. Bei dem wechselnden Sprach-
gebrauch dieses Wortes, das schließlich doch nichts weiter bedeutet ak
CJifte, empfiehlt sich das aber nicht. Falsch ist jedenfalls dife Identifizierung
dieser „Toxine" mit den Ektotoxinen oder Sekretgiften (§ 275).
Gifte der Kleinwesen. 793
und viele andere Leibesgifte, von den Stoffwechselgiften der Alkohol,
das Neiirin u. a. die genannte Eigenschaft. Der Begriff der Giftgewöh-
nimg ist lange nicht so geklärt, wie derjenige der Giftimmunität. Eine
scharfe Scheidung zwischen beiden, wie sie vielfach beliebt wird, ist
schon deswegen nicht möglich, weil, wie oben bemerkt, bei manchen
Tieren, die mit Immungift behandelt oder giftfest sind, die Antitoxine
im Blute zeitweise oder überhaupt fehlen bzw. nicht in der dem Grade
der Immunität entsprechenden Menge vorhanden sind. Man könnte
geneigt sein, eine dritte Gruppe von Giften aufzustellen, die sich dadurch
auszeichnen, daß sie weder Immunität noch Gewöhnung bedingen,
sondern umgekehrt ihre Wirkung mit jeder neuen Gabe
steigern. Gewisse langsam wirkende Leibesgifte sind hierher
zu rechnen. Jedoch hat man die Beobachtung gemacht, daß auch
andere, ja vielleicht alle zu den ersten beiden Gruppen gehörenden Gifte,
wie Diphtherie-, Choleragift, TuberkuUn unter Umständen „Uber-
empfindlichkeit" hervorrufen und in überempfindUch gewordenen Tieren
durch Gaben Schaden stiften können, die bei neuen Tieren ganz im-
schädlich sind. Die Krankheitszeichen pflegen dabei allerdings ganz
bestimmter Art zu sein, so daß man von einem Symptomenbild der
Cberempfindlichkeit oder „Anaphylaxie" spricht. Auch die Über-
empfindUchkeit ist gewöhnüch durch das Blutserum der betreöenden
Tiere auf andere übertragbar und spezifisch, d. h. gilt nur gegenüber
Stoffen derselben Herkunft, also ist wohl die Bildung von spezifischen
,,Anaphylaxinen" im Blute anzunehmen. Das Studium dieser eigen-
tümUchen Erscheinung weist noch manche Lücken auf, aber es macht
vorläufig den Eindruck, als ob sie bedingt wäre durch andere in den
Giftlösungen vorhandene Stoffe, als die eigentUchen Gifte selbst.
Wissen wir doch, daß auch so harmlose Substanzen, wie Blutserum,
Milch, Eiweiß usw. durch eine zweite Einspritzimg im Tier Zeichen
der überempfindlichkeit, ja den Tod bewirken können. Und finden
wir doch gelegentüch, daß selbst eine kräftige Antitoxinbildung in
überempfindlichen Tieren nicht auszubleiben braucht, Anaphylaxine
und Antitoxine also nebeneinander gebildet werden können^).
So außerordentUch, wie es zunächst scheint, ist dieses Vorkommen
nicht, wir müssen uns vielmehr von vornherein
daran gewöhnen, in unseren Giftpräparaten
Stof f mi s c hunge n der ve r wi c k e 1 1 s t en Art zu
sehen. Ist es doch ganz gewöhnlich, daß man durch Behandlung
von Tieren mit ihnen, z. B. auch mit Dysenteriegiftlösungen, im Blut-
serum außer Antitoxinen und Anaphylaxinen auch spezifische Bak-
l) Vgl. über Anaphylaxie und das anaphylaktische Gift § 344.
794 Kap. XVI, § 256.
teriolysine und Tropine, Agglutinine, Präzipitine und „Reagine"' zu
sehen bekommt. Und nicht genug damit, es ist sogar durch neuere
Forschungen wahrscheinUch geworden, daß mehrere verschie-
dene Antitoxine — gegen das „Kaninchen-" und „Meer-
schweinchengift" des Ruhrbazillus § 289 — im Serum von ruhrim-
munen Tieren vorhanden sind.
Diese „immunisierenden" Vorgänge im Tierkörper werden wir in
der Fortsetzung dieses Werkes, der „Immimitätslehre", gründlicher zu be-
handeln haben, hier interessieren sie uns nur insofern, als sie ein Licht
werfen auf die chemische Natur der Giftstoffe oder wenigstens der
Immimgifte. Offenbar gehören diese eben durch ihre Fähigkeit, die
Bildung von Gegenkörpem („Antikörpern") im lebenden Tier zu er-
zeugen, in eine Klasse mit den anderen „Impfstoffen", „Gegenstoffen''
oder „Antigenen" (Lysino-, Tropino-, Agglutino-, Präzipitino-, Reagino-
Anaphylaxogenen s. u. § 333 — ^344) des Bakterienleibes und anderer
Zellbestandteile oder Interzellularflüssigkeiten oder Sekrete von Pflanzen
und Tieren. Die Enzyme sind ja, wie wir schon sahen, größtenteils
auch hierher zu rechnen (§ 249). P. Ehrlich verdanken wir eine
anschauUche Vorstellung über die Bildungsweise der Gegenkörper,
die sogenannt-e Seitenkettentheorie. Sie beruht auf der Annahme,
daß die Antigene in ihrem Molekül stets eine (oder mehrere) bin-
dende Atomgruppen („haptophore" Gruppen oder „»Seiten-
ketten") enthalten, mittelst deren sie sich an entsprechend gebaute
Seitenketten („Rezeptoren") der tierischen Zellen anlegen und diese
gewissermaßen dadurch ausschalten, wodurch dann die Zellen zu
überreichlicher Neubildimg von Rezeptoren und zu ihrer Abstoßung
ins Blut angeregt werden. Diese ,, freien Rezeptoren" wären nichts
weiter als eben die gesuchten „Antikörper". Über die Berechtigimg
dieser Seitenkettentheorie und die damit zusammenhängenden An-
schauungen werden wir uns später auszusprechen haben (§ 279, 327 ff.).
In der Hauptsache stimmen wir mit Ehrlich überein, nämlich darin,
daß die Bindung der Immuntoxine wie die der Antigene
überhaupt, als eine chemische, durch eine besondere „haptophore'*
Gruppe der Moleküle bewirkte Bindung anzusehen sei, halten es auch
nach den ausführlichen Arbeiten Ehrlichs u. a. über den Bau
des Diphtheriegifts und der übrigen Impfgifte (§ 262 ff. u. § 275)
für wahrscheinUch, daß die eigentliche Giftwirkung der Toxine einer
anderen ,,toxophoren" Gruppe zu verdanken ist. Dadurch, daß diese
in ihrer Leistungsfähigkeit geschwächt wird, entstehen schwach oder
gar nicht giftige, aber doch noch mit dem Immunserum reagierende
Stoffe, Ehrlichs Toxoide. Auf weitere Verwicklungen, die durch
die veränderliche Bindekraft der haptophoren Seitenketten entstehen
G ifte der Kleinwesen. 795
und die Ehrlich zur Annahme von Proto-, Deutero-, Tritotoxoiden
geführt haben, kommen wir später zurück, ebenso auf die „Toxone",
eine Abart der Gifte, die sich durch die Eigenart ihrer toxophoren
Gruppe, d. h. die Beschaffenheit der Giftwirkimg imterscheiden sollen.
Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß alle diese Vorstellungen,
zu denen die Ehrlich sehe Giftanaljrse geführt hat, nur einen vor-
läufigen, hypothetischen Charakter tragen und im Grunde nur unsere
vollständige Unkenntnis über die chemische Natur der Impfgifte
wie der übrigen Impfstoffe kennzeichnen. Fast wunderbar erscheint
uns namentlich die Tatsache, daß jedem der unzähUgen Antigene ein
spe2dfischer (Jegenkörper entspricht. Wie soll man sich solche Mannig-
faltigkeit der bindenden Gruppen chemisch vorstellen? Vgl. § 266.
Wissen wir recht wenig über die chemische Natur der wichtigsten
Infektionsgifte, so fehlt uns fast jede Kenntnis über die
chemischen Reaktionen, die ihre krankheit-
erregende Wirkung bedingen. Auch nur wenige der Stoff-
wechselgifte machen allenfalls eine Ausnahme davon: es sind das zu-
nächst die Säuren und Alkalien, die durch Änderung der Reaktion
des Protoplasmas, also etwa durch Beeinflussung der Enzyme, schäd-
lich wirken, femer die Oxalsäure und ihre Salze, die nach L o e w ^)
dadurch schaden sollen, daß sie die Kalziumverbindungen des Zell-
kerns (Nukleins) ausfällen, die salpetrige Säure und ihre Salze, die bei
saurer Reaktion die Amidogruppe des Protoplasmas angreifen könn-
ten*^). Dagegen ist uns schon die Wirkung des Alkohols unverständlich,
obwohl wir vielleicht nach den bekannten Theorien Overtons^)
und H. Meyers*) annehmen können, die Voraussetzung seiner Wir-
kung, wie derjenigen anderer Narkotika, sei seine Fähigkeit, sich in
Lipoiden zu lösen und dadurch in die empfindlichen Zellen einzudringen.
Was man von der Wirkung der übrigen weiß, beschränkt sich darauf, daß
man Krankheitserscheinungen an den vergifteten Organismen, d. h.
morphologische und funktionelle Störungen an
ihnen beobachtet und in manchen Fällen durch Experimente die
Angriffepunkte der Gifte zu kennen glaubt. Die Krankheitserschei-
nungen selbst werden ims erst in der Fortsetzimg dieses Werkes (In-
fektionslehre) näher beschäftigen, hier sei nur erwähnt, daß man sie
unter Umständen auch im Reagensglas imd unmittelbar unter dem
Mikroskop beobachten kann, so in erster Linie bei den h ä m o 1 y -
1) Low, Natürliches System der Giftwirknngen 1893. 119; vgl.
auch Flora 1892. 376 und 385.
2) Derselbe, Natürliches System usw. S. 61. Vgl. S. 617.
3) Studien über die Narkose 1901.
4) Arch. exper. Path. 1899—1901.
796 Kap. XVI. § 256.
tischen Giften, die die Ausscheidung des Hämoglobins aus den
roten Blutkörperchen veranlassen. Gerade hier zeigen sich aber so
recht die Schwierigkeiten, die dem Chemiker erwachsen, wenn er die
Wirkiuigen von Stoffen auf organisierte Gebilde auf ihre Ursache
zurückführen soll. Obwohl nicht nur Stoffe unbekannter Zusammen-
setzung (Eigengifte) Hämolyse bewirken, sondern auch chemisch gut
charakterisierte Körper, wie z. B. Alkalien und fettlösende Mittel,
und obschon die chemische Beschaffenheit gerade der roten Blut-
körperchen verhältnismäßig gut bekannt ist, gelangt man doch nicht
dazu, den Vorgang der Hämolyse zu entschleiern, sondern höchstens
gewisse physikalisch-chemische Tatsachen, wie z. B. den Einfluß der
Giftkonzentration und Temperatur auf die Reaktionsgeschwindigkeit
der Hämolyse, festzustellen (§ 314).
Die Hämolyse ist auch eine von denjenigen Giftwirkungen, deren
Angriffspunkt man zu kennen glaubt, aber man weiß doch auch hier
nur, daß es die rote Blutkörperchenzelle bzw. deren Stroma ist, die
von den Giften angegriffen wird, nicht welcher Bestandteil des un-
geheuren Molekülkomplexes der Zelle. Den Hämol}^inen an die Seite
zu stellen sind die Leukozidine (§ 317) und vielleicht noch einige Oigan-
gifte (§ 318). Ein anderes Beispiel von Organvergiftungen bietet die
durch Tetanus-, Wurst- und Ruhrgift (bei Kaninchen). Hier sind es
offenbar die Zellen des zentralen Nervensystems, auf die das Gift
wirkt. Man schließt auf diese LokaUsation in erster Linie aus den
Erscheinungen, die das Bild der Vergiftung ausmachen, in zweiter Linie
aus Veränderungen in dem Gewebsbau, will aber außerdem noch aus
sog. Absorptionsversuchen schließen, daß das Gift sich in ähnlicher
Weise an die Nervensubstanz bindet, wie die Hämolysine an die roten
Blutkörperchen. Wir werden später (§ 274) und namentlich in der
Infektionslehre sehen, daß die letztere Behauptung sich kaum mit
Sicherheit beweisen läßt. Bei den meisten anderen Vergiftungen ist
man nicht so glückUch gewesen, die Verhältnisse auch nur soweit auf-
zuklären. Die Tatsache, daß das Gift an irgendwelche Körperzellen
gebunden wird, belehrt lihs auch noch nicht über die Art der Bindung,
geschweige denn über die Natur der Wirkung. Ehrlich^) hat
großen Wert darauf gelegt, daß diese Bindung bei den immunisierenden
Giften eine andere, innigere sei, als bei den übrigen: er gründet ja auch
darauf seine Aufstellung der „Haptine" (= Antigene), die durch ihre
haptophore Gruppe und die der Zelle in den Verband des Protoplasmas
einträten. Bei den anderen, z. B. den chemisch gut gekannten Giften,
1) Beziehungen von chemischer Konstitution, Verteilung und phai
makologischer Wirkung, Gesammelte Arbeiten 1904. 572.
Gifte der Kleinweeen. 797
soll nach ihm ein solcher synthetischer Vorgang nicht eintreten, die
Vorliebe mancher von ihnen für bestimmte Organe viehnehr meistens
auf einen „Ausschüttelungsvorgang", d. h. auf Unterschiede
der Löslichkeit zurückzuführen sei. Daß derartige Dinge eine
gewisse Rolle spielen, ist von Hans Meyer und 0 v e r t o n ja
auch für die Narkotika (s. o.) wahrscheinlich gemacht worden. Sie
sollen in die Nervensubstanz eindringen, weil sie in deren fettartigen
Bestandteilen besonders löslich sind. Bei vielen Farbstoffen, die sich
an feste Gewebsstoffe binden, nimmt man ebenfalls seit Witt an,
daß dies in Form der „festen Lösimg" geschehe. Für andere Gifte
und Farbstoffe genügt diese Erklärung aber nicht, sondern man muß,
um ihre Bindung zu deuten, chemische Reaktionen zu Hilfe nehmen,
z. B. die Bildung von Salzen. Damit nähern wir uns aber doch schon
sehr den synthetischen Vorgängen. Wer will hier unterscheiden, ob
diese Verbindungen stattfinden mit protoplasmatischen oder „para-
plasmatischen'' Säure- oder Alkaligruppen? Li manchen Fällen, z. B.
wo sich Gerbsäure in Pflanzenzellen mit Methylenblau paart, wird
letzteres zutreffen. Ist aber die Nukleinsäure, die alkaüsche Farbstoffe
an den Kern fixiert, als ganz losgelöst vom Protoplasma zu betrachten ?
Dazu komimt, daß wir auch von manchen Giften, die anscheinend
keine immunisierenden sind, annehmen müssen, daß sie doch sehr
energisch gebunden werden^). Dahin gehören von bakteriellen Giften
gewisse Hämolysine imd die langsam wirkenden Leibesgifte, die man
als kachexieerzeugende bezeichnen könnte (§ 280). Auch manche
chemisch wohlbekannte Gifte besitzen die Eigentümlichkeit, sehr lange
im Organismus festgehalten zu werden, werden also an irgendeiner
Stelle gebunden sein^). Wie man sieht, sind die Unterlagen für die
Ehrlichsche Auffassung ziemlich unsicher. Er selbst scheint sie
übrigens in neuester Zeit fallen gelassen zu haben, namentlich auf
Grund von chemotherapeutischen Studien an Trypanosomen, und spricht
jetzt von „Chemorezeptoren", die nicht zur Antikörperbildung be-
fähigt sein sollen im Gegensatz zu den „Nutrirezeptoren", die sie leisten
können (S. 211).
Mag man sich die Bindimg der Gifte im Organismus in dieser
oder jener Weise vorstellen, eine eigentliche Erklärung für
ihre Wirkung wird dadurch nicht im entferntesten geliefert.
Warum wirkt der Alkohol berauschend, das Tetanusgift krampf-
erzeugend, das Botulinus- imd Ruhrgift lähmend, die „Bakterien-
proteine" entzündimgs- und fiebererregend? Wir können darauf
keine Antwort geben aus dem einfachen Grunde, weil wir die chemischen
1) Vgl. auch S. Fränkel, Arzneimittolsynthese 2. Aufl. 1906.
798 Kap. XVI, § 256.
Reaktionen, die diesen Lebenserscheinungen zugrunde liegen, nicht
kennen. Immerhin können wir bei manchen bekannten Giften aus
dem Umstände, daß sie ihrer Natur nach nicht zu kräftigen chemischen
Leistungen befähigt sind, und aus der Tatsache, daß sie den lebenden
Organismus in unverändertem Zustand wieder verlassen, vielleicht
den Schluß ziehen, daß sie sich nicht unmittelbar oder wenigstens
nicht dauernd an den stattfindenden Reaktionen beteiligen, nicht in
ihnen aufgehen, sondern nur durch ihre Gegenwart wirken. Low
nennt sie daher „katalytische Gifte", ohne die Art der Reaktionen,
zu denen sie in Beziehung stehen, näher zu bezeichnen. Unseres Er-
achtens sind sie am ehesten an die Seite zu stellen denjenigen Stoffen,
die Fermentprozesse beschleunigen oder hemmen, den sogenannten
Zymoexzitatoren und -paralysatoren^). Finden wir doch unter den Stoff-
wechselgiften dieselben Körper wieder, die im Reagensglas die Fermen-
tierung beeinflussen. So kommen wir auf einem Umwege zu der Vor-
stellung, daß die Gift Wirkung in diesen Fällen hinaus-
läuft auf eine Steigerung oder eine Hemmung
der normalen F er men t vor gänge , auf denen ja
nach unserer Anschauung das ganze Zelleben
wesentlich beruht. Die tatsächlichen Grundlagen, auf denen
wir diese Hypothese weiter ausbauen könnten, sind freilich noch recht
mangelhaft. Je nachdem die Gifte allgemein oder nur an einzelnen
Stellen im Körper, z. B. im Nervensystem, gebunden werden, je nach-
dem dieser oder jener Fermentierungs Vorgang beeinflußt wird, müssen
die Erscheinungen der Vergiftung verschieden sein. Wir begnügen
uns hier mit dem Hinweis, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Vielleicht kann diese Erklärung der Giftwirkung auch Anwendung
finden auf manche Eigengifte der Mikroorganismen; wir denken dabei
namentlich an diejenigen Leibesgifte, die örtliche Reizimgen und
Störungen des allgemeinen Stoffwechsels (Fieber) erzeugen (§ 280).
Indessen legen verschiedene Umstände gerade für die eigentlichen
Gifte der Bakterien eine andere Auffassung nahe : wie wir oben gesehen,
ähneln sie ihrer Zusammensetzung und Darstellimgsweisejnach den
Enzymen, verhalten sich auch schädigenden Eingriffen gegenüber wie
diese. Dazu kommt dann noch, daß sie schon in kleinen Mengen
bedeutende Leistungen entwickeln (§268). So tötet
das Tetanusgift nach K n o r r und Behring Meerschweinchen und
Pferde schon in einer Gabe, die den himdert- bis zweihundertmilUonsten
Teil ihres Körpergewichts kaum erreicht, ist also etwa hundertmal
1) § 247 u. 248. Vgl. auch L. Liebermann, D. med. Woch.
1905. 33.
Gifte der Klein werfen. 799
giftiger als Strychnin (§ 281). Das Wurstgift wirkt fast ebenso kräftig
• § 282). Man darf sich durch diese kleinen Zahlen allerdings nicht
täuschen lassen: die genannten geringen Mengen Gift enthielten immer
noch Billionen von Molekülen, wenn diese so groß wären wie die des
Eiweißes; eine wirkUche Analogie zwischen Enzymen und Giften
würde erst bewiesen sein, wenn man die Gewißheit hätte, daß die
Stoff menge, die mit den Giften reagiert, ein Viel-
faches der Giftmenge ausmacht. Für eine derartige
Schätzung haben wir aber gar keinen Anhalt, da wir die betreffenden
Stoffe nicht kennen^). Wirkimgen auf das Riechvermögen werden
bekanntlich durch noch viel geringere Stoffmengen erreicht, ohne daß
man bisher daran gedacht hätte, sie auf fermentative Kräfte zurück-
zuführen^). Doch ist das natürlich auch kein Gegenbeweis gegen die
Fennentnatur der Gifte. Wichtiger scheint der Einwand zu sein, daß
die Gifte ungleich den Enzymen nicht nur an bestimmte Stellen des Or-
ganismus gebunden werden müssen, wenn sie Vergiftimg hervor-
rufen sollen, sondern dort dauernd gebunden bleiben. Nach
Ehrlich wäre die Bindung sogar eine so feste, daß an einen auch
nur geringsten Ortswechsel des Giftes oder an eine periodische Lösung
von den angegriffenen Molekülen nicht zu denken wäre. Und doch
müssen wir das eine oder andere annehmen, wenn wir eine fermentative
Wirksamkeit voraussetzen sollen. Diese Schwierigkeit ließe sich frei-
lich umgehen, wenn man das Gift selbst nicht als das Ferment betrach-
tete, sondern als ^nen „Zwischenkörper", der eine bestimmte Fer-
mentgruppe des Protoplasmas erst leistungsfähig macht, etwa in der
Weise, wie die Enterokinase das Fankreasferment oder wie der Immun-
körper das Alexin „aktiviert". Mit einer solchen Erklärung kämen
wir auf ein ähnliches Verhältnis zurück, wie wir es oben für die Stoff-
wechselgifte aufgestellt haben : die Gifte wirken nur mittelbar,
dadurch daß sie die normalen (enzymatischen) Verrichtungen befördern
oder hemmen.
Wenn wir die Analogie zwischen Enzymen und Eigengiften weiter
verfolgen, erscheint die Beantwortung zweier Fragen bedeutungsvoll:
lassen sich mit Giften Fermentwirkungen erzielen und rufen Enzyme
auch Vergiftungen hervor? Im toten Nährboden erweisen sich die
1) Kassowitz (Metabolismus und Immunität, 1907) gründet
allerdings seine Theorie der Toxine und Antitoxine auf die Vorstellung,
daß das Toxinmolekül nacheinander auf zahlreiche Protoj^lasmamoleküle
wirke, sie zum Zerfall bringe und dadurch die haptophoren CJruppen der-
s<*lben als Antitoxine in Freiheit setze.
2) Berthelot findet z. B., daß ein Hundertmillionstel Jodoform
noch gerochen wird (Annal. chim. phys. 7. s6r. 22. 460, 1901, imd Compt.
rend. 138. 1250.)
800 Kap. XVI, § 256 u. 257.
Gifte völlig unwirksam, im lebenden bestellt unzweifelhaft eine Ähn-
lichkeit zwischen manchen Gift- und Fermentleistungen, sie ist aber
doch eine recht äußerliche. 6a mal ei a^) geht viel zu weit, wenn er
die Bakteriengifte ganz allgemein der Gruppe der Gerinnungsferment^
einreiht. Das ist weiter nichts als eine unbeweisbare Behauptung,
die zudem wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat. Selbst bei den-
jenigen Giften, die am ehesten hierher gerechnet werden könnten
(Diphtherie, Tuberkulose) ist es noch nicht ausgemacht, ob die Ge-
rinnung der Gewebsbestandt^ile unmittelbar durch die Bakterien-
gifte oder nachträglich durch die Gewebsenzyme (durch „Koagulations-
nekrose") herbeigeführt wird, nachdem die Gifte ihre Wirkung getan,
d. h. die Zellen getötet haben. Wir selbst neigen viel mehr zu
der letzteren Auffassung, müssen aber dahingestellt sein lassen,
ob der Tod der Zellen selbst dadurch veranlaßt wird, daß die
Bakteriengifte hemmend in lebenswichtige Fermentierungen, z. B.
Oxydationen oder dgl. eingreifen, oder sie über das zuträgUche
Maß steigern.
Daß Enzyme in höheren Tieren ihrerseits auch giftige Wirkimgen
entfalten können, scheinen Erfahrungen zu beweisen, die von Hilde-
brandt^), Kionka^) u. a. gemacht sind. Doch darf man dabei
nicht vergessen, daß die Darstellung der Fermente dieselbe ist wie
die der Gifte, man also keine genügende Gewähr für die Reinheit der
ersteren hat. Das gilt natürUch um so mehr für Enzyme wie die Zymase,
die im Hefepreßsaft in einer Unmasse der allerverschiedensten Zell-
stoffe versteckt ist. örtliche und allgemeine Reizungserscheinungen
gehen ja auch von einfachen körperfremden Eiweißstoffen aus, wenn
man sie in größeren Mengen Tieren einverleibt. Jedenfalls ist von
einer spezifischen Giftwirkung der Enzyme nichts bekannt: lebende
Zellen höherer wie niederer Organismen werden sogar von den Ver-
dauungsfermenten so wenig angegriffen, daß man eine Erklärung
dafür gesucht hat in der Annahme von Antienzymen, die die lebende
Zelle erzeugen soll. Doch kommt es zimächst wohl darauf an, ob die
betreffenden Enzyme überhaupt in den lebenden Zellkörper aufge-
nommen werden, was sehr zweifelhaft ist.
Nach dem Gesagten ist die Entscheidung darüber, ob die Eigen-
gifte der Mikroorganismen Fermentnatur besitzen, vorläufig nicht
zu liefern. Wir selbst neigen, wie gesagt, mehr zu der Auffassung,
daß sie nur mittelbar die fermentativen Lebensprozesse beeinflussen.
1) Elemente der allgem. Bakteriologie 1900. 104.
2) Virchows Archiv 121, 122 und 131, 1890—1893.
3) Deutsche med. Woch. 1896. 38 und 51.
Gifte der Kleinweeen. 801
§ 257. Bedeutung der Gifte für ihre Erzeuger. Eine andere
Frage verdient schließlich in dieser einleitenden Betrachtung der
Gifte noch Erwähnung, nämlich die nach der Bedeutung der Gifte
für das Leben ihrer Erzeuger. Von vornherein könnte man glauben,
daß die für andere Mikro- oder Makroorganismen schädlichen Erzeug-
nisse der Mikrobien den letzteren als Schutzmittel dienten. Diese
zweckmäßige Bedeutung der Gifte ist allerdings in vielen Fällen un-
verkennbar, so die schützende Rolle der Stoffwechselprodukte im
saprophytischen Leben (§ 48). Gerade aber bei den vom ärztlichen
Standpunkte in erster Linie wichtigen Krankheitsgiften liegt die Sache
keineswegs so klar. Wie wir schon an anderer Stelle (§51) ausgeführt,
fragen wir uns vergebens, was z. 6. den Tetanus- und Botulinusbazillen
im Menschen und den Diphtheriebazillen mindestens im Tier ihr Gift
nützt, da sie doch hier kaum zum Wachstimi gelangen, sondern, soweit
sie überhaupt in die Gewebe eindringen, früher oder später darin elend
zugrunde gehen? Nur in einigen besonderen Fällen sind sie ihren
Erzeugern nützlich, nämlich erstens, wenn sie aggressive Eigenschaften
besitzen, d. h. das Wachstum ihrer Erzeuger im Tierkörper begünstigen.
Das wäre vielleicht bei den sog. Endotoxinen der Fall, wenn wir an-
nehmen könnten, daß sie mit dem Aggressinen identisch wären. Wir
haben aber Grund, daran zu zweifeln (§ 321). Zweitens könnten die
Gifte den Mikroben dadurch von Vorteil sein, daß sie ihre reichliche
Abscheidung aus dem lebenden Körper herbeiführen. In der Tat
gibt es anscheinend solche Gifte, z. B. diejenigen der hämorrhagischen
Infektionen (Rinderpest, Milzbrand, Variola) oder die gewebezerstören-
den und eiterungerregenden Stoffe von Bakterien imd Pilzen, oder
diejenigen des Typhus und Paratyphus, die es den Bakterien ermög-
lichen, leichter als andere Infektionserreger das Drüsengewebe der
Nieren und Leber zu durchwandern. Die Voraussetzimg dafiir, daß
sie zur Wirkung gelangen, ist aber immer wieder ihre reichliche Ver-
mehrung im Körper, d. h. das Vorhandensein aggressiver Kräfte.
Wir sehen auch, daß die Fähigkeit, Blutungen zu erzeugen, keineswegs
eine regelmäßige Eigentümlichkeit der betreffenden Erreger ist.
Außerdem wissen wir, daß die gewebezerstörenden Vorgänge,
die den Kleinwesen den Weg in die Außenwelt eröffnen, nämlich
die Eiterung imd der Zerfall der Granulationsgeschwülste, gerade
die stärkste keimvemichtende Wirkung besitzen. So kommt es
z. B., daß die Pestbazillen der Bubonen, wenn letztere vereitert sind
und aufbrechen, allermeist abgestorben sind. Also ziehen die Bak-
terien aus ihrer eitererregenden Fähigkeit keinen Vorteil.'fSo kommen
wir zu dem Ergebnis,^ daß die sog. Entzündungs- (und Fieber-) Gifte,
die allen Mikroben eigen sind (§ 280), obwohl ihre Wirkungen einen
Kruse, Mikrobiologie. 51
802 Kap. XVI. § 257 u. 258.
wesentlichen Teil des sog. Krankheitsbildes bei Infektionen ausmacheu.
eigentlich den Namen Gifte gar nicht verdienen, weil sie für den an-
gegriffenen Tierkörper im allgemeinen günstige Gegenwirkungen
— „Reaktionen" — gegen die Infektion auslösen. Wir werden daher
diesen Stoffen noch einmal begegnen, wenn wir von den Reiz-
stoffen handeln (§ 331). Da wir durch große Gaben dieser Stoffe
aber auch echte Giftwirkungen erzielen können, sollen sie in der Gift-
lehre einen Platz behalten.
Die Typhus- und Faratyphusbazillen ziehen femer zwar einen
bedeutenden Nutzen aus ihrer Fähigkeit, in den Urin und die Galle
überzugehen. Das hat aber kaum mit ihren Giften etwas zu tun, son-
dern wesentlich nur mit ihrem Vermögen, sich in diesen Sekreten
massenhaft zu vermehren.
Ebensowenig kann man schließlich den Einwand erheben, daß
die Gifte dadurch ihren Erzeugern von Vorteil seien, daß sie unter
Umständen den Tod der Wirtstiere herbeiführen. Denn damit ver-
bessern sich keineswegs regelmäßig die Aussichten der Giftbakterien
auf Fortdauer ihres eigenen Lebens.
Wir müssen daher dieGiftigkeitderMikrobenstoffc
vielfach als eine mehr zufällige, für ihr Leben
unwesentliche Eigenschaft betrachten, finden
übrigens ähnliche Verhältnisse auch bei vielen
anderen Giften, z. B. des Pflanzenreichs.
§ 258. Stoffwechselgifte. Als Stoffwechselgifte haben wir(S. TiKi)
diejenigen Gift« der Kleinwesen bezeichnet, die bei den gewöhnlichen
Stoff Wechselvorgängen, z. B. den sog. Gärungen, als Haupt- oder NeWn-
erzeugnisse entstehen. Der Ausdruck „chemisch bekannte" Gifte
besagt dasselbe. Sie haben, soviel man bisher weiß, die negative Eigent-
schaft gemein, im vergifteten Tier keine Gegengift« zu erzeugen, manche
rufen aber bei wiederholter Anwendung Gewöhnimg hervor, l^r die
Art und W^eise, wie sie ihre Giftwirkung entfalten, wissen wir wenig
(S. 795). Im allgemeinen darf man wohl sagen, daß ihre praktische
Bedeutung als Infektionsgifte eine geringe ist, schon aus dem Grimde.
weil sie meist in zu kleiner Menge hervorgebracht werden; nur die
salpetrige Säure soll nach Emmerichs wenig wahrschein-
licher Vermutung eine Ausnahme machen, indem sie das Choleragift
darstelle. Bei den Pflanzenkrankheiten wird ihre Bedeutung schon
deswegen eine größere sein, weil in den Pflanzen die Kohlenhydrate,
die hauptsächliche Quelle von Stoffwechselprodukten, reichlich vor-
kommen, und auch die Pflanzenparasiten gewöhnlich energische Zer-
setzungserreger sind. Namentlich die Oxalsäure wird hier als
Gift angeschuldigt. Alle giftigen Zersetzungsstoffe kommen dagegen
Gifte der Kleinwesen. 8()3
bei der saprophjrtischen I^ebensweise der Mikrobien so sehr in Be-
tracht, daß manche Forscher die Gärung, die sie erzeugt,
geradezu als Schutzmittel der G är ungs e rr e ge r
im Wettbewerb mit anderen Mikrobien betrach-
te n (S. 162). Insofern ist dieses Schutzmittel allerdings zweischneidiger
Art, als sich die Gifte bei stärkerer AnhäudEung auch gegen die eigenen
Erreger kehren können (Selbstgifte § 47). Ein doppeltes Gesicht zeigt
auch der Alkohol, das Erzeugnis der Hefe: in kleinen Gaben genossen,
ist er ein Reiz- und Genußmittel allerersten Ranges, eine Quelle der
Stärkung und Freude für die Menschheit, in großen Mengen wird er
zum allergefährlichsten Gift, zu einer der wichtigsten Ursachen von
Krankheit, Entartung und Tod. Viel weniger Bedeutung haben andere
fertig gebildete Gifte, die wir mit der Nahrung oder Atemluft einführen.
Fast alle hierher gehörigen Stoffe haben wir schon bei Besprechung
der einzelnen Stoffwechselvorgänge erwähnt. Wir besprechen zuerst
die anorganischen Gifte (meist Gase), organischen Säuren, Alkohole usw.
der Fettsäurereihe und aromatischen Stoffe. Dazu kommen dann in
§ 259 die organischen Basen, die man als P t o m a i n e be-
zeichnet und früher sehr überschätzt hat, und schließlich in § 260
eigentümliche Gifte, die man als Fette betrachten kann.
Salpetrige Säure vdrd von vielen Mikroorganismen aus
Salpetersäure gebildet (§ 197). Auf die Mikroorganismen selbst scheint
sie in der Form, in der sie gewöhnlich auftritt, d.h. als Salz, nicht schäd-
lieh zu wirken. Werden doch salpetrige Salze zum Teil als Stickstoff-
quelle ausgenutzt (S. 110) oder wenigstens meist noch bis zu 0,1%
gut vertragen (M a a ß e n § 198). Die freie Säure wird dagegen nicht
assimiliert, sondern ist für Hefepilze und Bakterien giftig. Doch tritt
diese Giftigkeit wohl selten hervor, schon aus dem Grunde,
weil die salpetrige Säure mit dem gleichzeitig durch den Stoffwechsel
entwickelten Anmioniak oder mit Amiden sich zu Stickstoff und Wasser
umsetzt (S. 616).
Im Tierkörper sind zwar auch die Nitrite in gewissen Gaben giftig,
doch rufen Gaben von einigen Dezigrammen beim Menschen noch
kaum Erkrankung oder mindestens keine choleraähnlichen Erschei-
nungen hervor^). Bei Tieren ist es ähnlich. In Versuchen, die B ü r -
gers jüngst in meinem Laboratorium angestellt, erwiesen sich erst Gaben
von 0,15 g auf das Balo Grewicht bei Meerschweinchen und Hunden vom
Magen oder vom Duodenum aus binnen höchstens einer Stimde tödlich,
etwas kleinere wurden aber vertragen, selbst wenn sie mehrmals am Tage
wiederholt wurden. Deutliche Veränderungen am Darme wurden dabei
1) S. K u n k e 1 , Toxikologie, 1901, S. 308 ff.
51*
804 Kap. XVI, § 258.
vermißt. Die Brechbewegungen und Durchfälle scheinen wesentlich
nervösen Ursprungs zu sein. Daß schädliche Nitritmengen selbst bei
Einführung von großen Mengen von salpetersauren Salzen im Darm-
kanal durch Bakterienwirkung entstehen könnten, ist von vornherein
wenig wahrscheinlich. Vergiftungen an Haustieren durch Nitrate
kommen zwar vor und lassen sich auch an Versuchstieren hervorrufen,
beruhen aber, wie wir bestätigen können, nicht auf Nitritvergiftung.
In den seltenen Fällen sogenannter enterogener Zyanose,
die von H y m a n s imd Grutterink^) beschrieben worden sind,
mag trotzdem dieser Zusammenhang vielleicht möglich sein. Wenn
Emmerich im Verein mit T s u b o i ^) und G e m ü n d *) und
neuerdings wieder E m meri ch allein*) nun aber auch die Cholera
asiatica als Nitritvergiftung aufgefaßt wissen wolle, so erscheint das
mehr als gewagt. Emmerich stützt sich hauptsächlich auf zwei
Gründe: erstens soll der Cholerakollaps einer Vergiftung durch sal-
petriger Säure täuschend ähnlich sein, und zweitens in dem Erbrochenen
sowie teilweise auch in den Stühlen der Cholerakranken diese Säure
regelmäßig in reichlichen Mengen nachweisbar sein. Was den ersten
Pimkt anlangt, so besteht ja aber doch die Cholera nicht allein in diesem
Kollaps, sondern ganz wesentlich in den Erscheinungen von Seiten des
Darmes, und gerade diese lassen sich mit Vergiftimgen durch salpetrige
Säure nicht vergleichen. Wo finden wir jemals bei letzteren die ge-
waltigen Exsudationen in dem Darme, die bezeichnend sind für die
Cholera? Der Nachweis von salpetriger Säure namentlich im Er-
brochenen von Cholerakranken, den Emmerich neuerdings ge-
liefert und den auch Stühlern ^) bestätigt hat, scheint zunächst
allerdings eine gewichtige Stütze zu sein. Im anderen Lichte erschemt
er aber, wenn wir von Stühlern hören, daß er auch bei anderen
Erkrankimgen des Magens, die nichts Choleraähnliches an sich haben,
z. B. bei Hyperazidität, oft in ähnlicher Stärke gelingt, und wenn,
wie es Emmerich selbst nicht leugnet, die salpetrige Säure (durch
die Methämoglobinreaktion bzw. das G r i e s sehe Beagens) im B 1 u t e
der Cholerakranken nur ausnahmsweise bzw. nur in Spuren auffindbar
ist®). Es ist recht willkürlich, mit Emmerich anzunehmen, daß
eine tödliche Vergiftung eben schon durch solche verhältnismäßig
1) Berl. klin. Woch. 1906. 1, vgl. auch die Fälle von Hyperazidität
im Magen, die Stühlern erwähnt (a. u.)
2) Münch. med. Woch. 1893, 25, 26 und 32.
3) Ebenda 1904. 26.
4) Ebenda 1909. 3S imd 40.
5) Medizin. Klin. 1909, 50. Verh. Naturf. u. Ärzte 1910, Abt. 28.
6) Vgl. Hymans imd Grutterink, Berl. klin. Woch. 1909.
45 und Emmerich, ebenda 1910, 28.
Gifte der Klein wesen. 805
•
kleine Mengen salpetriger Säure — begleitet von Stickoxyd — ver-
uisacht werde. In Bürgers^) Versuchen am Meerschweinchen und
Hunde war, wenn überhaupt der Tod durch Zufuhr von Nitrit erfolgt
war, dieselbe stets mit Leichtigkeit im Blute nachweisbar, ebenso
auch bei den Fällen von enterogener Zyanose des Menschen (s. o.).
Es wäre außerdem sehr verkehrt, bloß aus der Anwesenheit der sal-
petrigen Säure im Magendarminhalt — wir setzen dabei voraus, daß
es sich um genügendgroßeMengen davon handelt, was bisher
nicht ausreichend bewiesen ist — zu schließen, daß sie auch dem Körper
gefahrlich werden müsse. Das wäre nur der Fall, wenn es sich um
einen gesunden bzw. in normalem Grade resorptionsfähigen Verdauungs-
kanal handelte. Gerade davon kann aber bei der Cholera gar keine
Rede sein. Hier besteht vielmehr ein mächtiger Flüssigkeitsstrom von
der Darmwand nach dem Darminnem, also überhaupt keine Resorp-
tionsmöglichkeit in dem gewöhnlichen Sinne. Nur durch Diffusion
könnte ein Teil des im Magendarminhalt gebildeten Giftes in den Kreis-
lauf gelangen. Wieviel das aber ist, läßt sich vorläufig nicht sagen.
Wenn sonach die Emmerichsche Beweisführimg nichts weniger
wie überzeugend ist, so konmien noch andere Bedenken hinzu. Wo
kommen die Nitrate her, deren Umwandlung zu Nitriten die Cholera
der nur mit Mutter- oder Kuhmilch genährten Säuglinge verursachen ?
Wie erklärt es sich, daß Schidorsky^) und Bürgers in meinem
Ijaboratorium bei der experimentellen Darmcholera des Meerschwein-
chens die salpetrige Säure im Darminhalte, der von Cholerabazillcn
winmielte, ebenso vermißten wie im Blute? Ist es überhaupt sicher,
daß es die Cholerabazillen sind, die die Nitritreaktionen beim cholera-
kranken Menschen hervorrufen? Müssen wir nicht vielleicht nach
anderen Ursachen als bakteriellen dafür suchen, wenn wir ähnliche
Reaktionen z. B. bei überreichlicher Sekretion von Salzsäure im Magen
(s. 0.) auftreten sehen?
Die Erörterung über die Emmerichsche Gifttheorie der Cholera
würde überflüssig sein, wenn es bisher in unwiderleglicher Weise ge-
lungen wäre, eine andere Lehre zu beweisen. Wir werden später (§ 284)
sehen, daß zwar manche Tatsachen für die Auffassung sprechen, daß
die Leiber der Cholerabazillen — ihr Endotoxin — für die Cholera-
vergiftung verantwortlich zu machen sind, leider ist ihre Wirkung
von der Darmschleimhaut aus aber nicht so überzeugend darzulegen,
wie es wünschenswert wäre.
Schwefelwasserstoff ist zwar ein häufiges ßakterieu-
erzeugnis (Kap. XI), entsteht aber nur in Ausnahmefällen so reichlich,
1) Verh. Gesellsch. Naturf. u. Arzte in Könicrshorg 1910. Abt. 28.
806 Kap. XVI, § 258.
daß er giftig wirken kann. Eine gewiss*; Menge wird bekanntlich regel-
mäßig durch die Mikroorganismen im Darm entwickelt, gelegentUch
steigt sie aber so, daß eine Autointoxikation eintritt^). Auch im Blut-
serum von an Rotlauf gestorbenen Schweinen haben P e t r i
und M a a ß e n ^) zuweilen das Schwefelmethämoglobin nach-
weisen können. Wenn sie auch andere Gifte der Rotlauibazillen nicht
darzustellen vermochten, so beweist das natürUch noch nichts für die
Bedeutung des Schwefelwasserstoffs als Infektionsgift.. Akute und
chronische Vergiftungen durch Schwefelwasserstoff, der in Abortgruben
durch Bakterien gebildet wird, sind nicht selten beobachtet worden.
Der Gehalt der Grubenluft an Gas steigt allerdings bis zu 8%.
Arsenwasserstoff oder andere flüchtige Arsenverbindungen
entwickeln manche Schimmelpilze aus arsenhaltigen Nährböden (§ 215).
Sie sind am knoblauchartigen Geruch zu erkennen. Man schiebt ihnen
wohl mit Recht die Schuld an den Arsenvergiftungen zu, die früher
nicht selten in Wohnräumen mit arsenhaltigen Anstrichfarben oder
Tapeten beobachtet worden sind.
Ammoniak entsteht bei der Eiweißzersetzung durch Mikro-
organismen regelmäßig in teilweise bedeutenden Mengen (§ 171 u. 172).
Die alkalische Reaktion, die davon gewöhnlich die Folge ist, pllegt
schließlich das Wachstum zu hemmen. Hier wirkt also das Ammoniak
als Selbstgift (§ 47), in Mischkulturen als Fremdgift (§ 48). Besonders
kräftige Ammoniakentwickler sind die Harnstoffbakterien, sie er-
drücken jede andere Flora neben sich. Im tierischen Körper kommt es
wohl niemals zur Ammoniakvergiftung durch Bakterien. Höchstens
übt die Harnstoffgärung, wenn sie in der Harnblase erfolgt (Bac. prc-
teus), einen Reiz auf die Schleimhaut aus. Im Reagensglas kann man
in stark alkalischen Kulturen Hämolyse beobachten (§ 312).
Das Sumpfgas, das bei vielen Zersetzimgen entsteht, hat wohl
nur durch seine Explosionsfähigkeit eine Bedeutung. Auch sie kommt
aber kaum anders als in Kohlengruben zur Geltung, wo seine Bildung
durch Mikrobientätigkeit noch nicht sicher feststeht (§ 118).
Auch der Kuhlensäure kann man, wenn sie bei der
alkoholischen und anderen Gärungen in Masse erzeugt wird, einen
schädlichen Einfluß vor allem auf luftliebende Organismen zuschreiben.
Ihr Werk ist bekanntlich auch oft genug die Vergiftung von Menschen
in Gärkellern, tiefen Brunnen usw.
1) Senator, Berl. klin. Woch. 1868, 24; Pohl, Arch. exi>or.
Path. 14. 135, 1887; vgl. auch die Fälle von Sulfhämoglobinämie bei Hy-
mans und Grutterink, Be^rl. klin. Woch. 1906, 1.
2) Arbeit. Kai.s. Gesundheitsamt 8, 1893.
Gifte der Klein wesen. 807
Organische Säuren entstehen bei den verschiedenen
Arten der sauren Gärung (§ 97 — 110, JJ3 — 115 usw.), es sind, um nur
die wichtigsten zu nennen, Milchsäure, Essigsäure, Buttersäure und
Oxalsäure. Auf die Mikroorganismen, die sie erzeugen, wirken sie
srbließlich wachstumshemmend, noch stärker meist auf fremde. Bis
zu einem gewissen Grade kann man hier von einem spezifischen Ein-
fluß sprechen, die Essigbakterien vertragen die Essigsäure, die Milch-
saurebakterien die Milchsäure am besten. Für Tiere kommt als schädi-
gendes Moment nur die Säurebildung im Darmkanal
in Betracht, imd auch wohl nur bei empfindlichen Individuen, vor allem
beim menschlichen Säugling. Während eine geringe Menge von Säure
für die Verdauung günstig zu sein scheint, insofern sie den notwendigen
Reiz für die Darmperistaltik abgibt, wirken größere Mengen vielleicht
schädlich. C z e r n y und Keller^) führen sogar die wichtigsten
Ernährungsstörungen der Säuglinge, ihre „alimentären Toxikosen",
auf saure Zersetzungen der Nahrung zurück. Sie sollen teils außer-
halb des Körpers — namentUch unter dem Einfluß der Sommertem-
peratur — , teils innerhalb des Darmes, und zwar bald durch Spaltung
der Kohlenhydrate, bald durch solche der Fette, erfolgen. Der Mecha-
nismus wäre im wesentlichen der, daß zunächst die Magendarmschleim-
haut durch die Säuren zur überreichlichen Absonderung von Flüssig-
keiten, zu Brechen und Durchfall gereizt wird. Der daraus sich ergebende
Wasserverlust und die gleichzeitig erfolgende Überschwemmung des
Körpers mit Säure (Säurevergiftung, A^idose^)) wirken beide schäd-
lich und erklären im wesentUchen Krankheitserscheinungen und Tod.
Die Beweise für diese Theorie sind vorläufig noch recht dürftig. Haupt-
sachlich beruhen sie auf den Versuchen B o k a y s ^) , welche die
schädliche Wirkimg der Säuren, namentlich der Butter-, Ameisen-,
Propion-, Essig-, Kapron- und Kaprylsäure für die Darm-
schleimhaut darlegen. Der schädliche Überschuß von Säure ist bisher
nur ausnahmsweise in der aufgenommenen oder verdauten Nahrung
gefunden worden. Eine Stütze für die Theorie kann man freilich auch
hier wieder (vgl. oben S. 805) darin erblicken, daß wir die gewöhnliche
Ansicht, nach der nicht die bekannten Stoffwechselprodukte der
Bakterien, sondern deren chemisch schlecht bekannten Eigengifte
die Ursache dieser „Sommerdiarrhöe" oder „Cholera nostras" der Säug-
1) Des Kindes Ernährung usw. 7. Abt.. S. 134 ff. 1909.
2) Nicht zu verwechseln mit der Säurevergiftung, die nach Keller
und Steinitz die sog. Atrophie der Säuglinge erklären, aber nicht durch
bakterielle Zersetzungen der Nahrung bedingt sein soll (vgl. C z e r n y
u. Keller a. a. O. 6. Abt., S. 11 ff.).
3) Arch. experim. Path. 24.
808 Kap. XVI. § 258 u. 259.
linge sind, vorläufig kaum besser beweisen können (vgl. Streptokokken
§ 295, Colibazillen § 288 und Heubazillen § 301). Jedenfalls sind spe^
zifische Erreger nur für einzelne Fälle nachgewiesen (vgl. Dysenterie un(^
Pseudodysenterie § 289), und wird u. E. die Bedeutung der eigenen
Darmbakterien für dieErkrankungunterschätzt (vgl. Infektionslehre},
Die Oxalsäure, die von vielen Schimmelpilzen, aber auch
vonjBakterien gebildet wird (§ 122 u. 172),- nimmt eine besondere
Stellung unter den Säuren ein, weil sie für pflanzliche und tierische
Protoplasmen stark giftig ist. Manche Erreger von Pflanzenkrank-
heiten, z. B. die Pseudomonas destructans Potters ^), scheinen
durch Oxalsäurebildung schädlich zu werden. Daneben konmieii
freilich noch Eigengifte in Betracht.
Alkohole. In größeren Mengen produziert werden von den
Mikroorganismen Äthyl-, Butyl- imd Amylalkohol, nur der erstere
aber wohl in so großen, daß er Schaden stiften kann. Auch hier wieder
zeigt sich, daß die Hefepilze, die den Alkohol durch Gärung erzeugen,
gegen ihn weniger empfindlich sind, als die übrigen Lebewesen, doch
steht die Gärung, wie wir S. 269 gesehen, still, wenn ein gewisser Gehalt
an Alkohol erreicht ist. Nebenhergehende Wucherungen von anderen
Organismen werden aber viel früher unterdrückt. Auf die bekannten
Wirkungen des Alkohols beim Menschen haben wir schon oben (S. 803)
hingewiesen. Die Giftigkeit des Amylalkohols, eines Nebenprodukts
der Gärung, das aus Eiweiß (Aminosäuren), nicht wie der Äthylalkohol
aus Kohlenhydraten entsteht (§ 173), ist früher stark übertrieben worden.
Aldehyde werden von Mikroorganismen nur in Spuren gebildet.
Einen Ausnahmebefund stellt der eines aldehydartigen giftigen Körpers
von der Formel CgHiß04 dar, den Kerry und F r ä n k e 1 (vgl. S. 506)
in Kulturen des malignen Ödems beobachteten.
AromatischeStoffe. Beim Abbau der Eiweißkörper durch
Mikroorganismen entstehen, wie wir § 168 ff. gesehen, sehr häufig
giftige aromatische Stoffe aus den aromatischen Aminosäuren, so
Phenol, Indol, Skatol usw. Wir haben diese Stoffe, weil sie vielleicht
in gewissem Grade an der Wirkung der Stoffwechselprodukte auf die
eigenen und fremden Keime beteiligt sind, schon im § 47 u. 48 erwähnt.
Die bei der Autolyse der tierischen Organe sich bildenden bakteriziden
Körper gehören wohl auch hierher^). Auch im Darm der Tiere ent-
stehen diese aromatischen Stoffe neben den normalen Verdauungs-
produkten, werden in den Körper aufgenommen imd durch den Urin
— gewöhnlich mit Schwefelsäure oder Glykuronsäure gepaart. —
wieder ausgeschieden. In den gewöhnlichen Mengen werden sie nicht
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 7. 354.
2) Conradi, Hofmeisters Beitr. 1. 204, 1902.
Gifte der Kleinwesen. S09
giftig wirken, vielleicht aber, wenn sie z. B. bei Stuhlverstopfung, Kot-
verschluB und anderen Darmstörungen reichlicher gebildet werden.
Doch sind diese Selbstvergiftungen vom Darm her noch nicht genügend
aufgeklärt (s. o. Nitrit- und Schwefelwasserstoffvergiftungen). Näheres
in der Infektionslehre. Hier wie bei anderen Fäulnisprozessen im
lebenden Körper (Gangrän) werden vielleicht auch die basischen Ab-
kömmlinge des Eiweißes eine größere Rolle spielen (§ 259). tTber die
(t 0 s i o sehe Theorie, nach der aromatische Stoffe die Pellagra
verursachen sollen, s. u. § 307.
§ 259. Organische Basen. Ptomaine. Daß in faulenden Stof-
fen, z. 6. in Leichnamen Gifte gebildet werden, weiß man schon seit den
Tierversuchen Albrecht von Hallers und namentUch G a s -
pards^), Magendies^), Stichs') u. a.^). Obwohl man
damals naturgemäß noch nicht schaff genug die Wirkungen der im
„putriden Gift" und „Leichengift" enthaltenen chemischen Schäd-
lichkeiten und der lebenden Krankheitserreger auseinanderhalten koimte,
anterliegt es wegen der Schnelligkeit ihres Auftretens keinem Zweifel,
daß die Haupterscheinungen, die die genannten Forscher bei Tieren
(Hunden, Kaninchen, Pferden), denen sie Faulflüssigkeiten der ver-
schiedensten Art einspritzten, beobachteten, als Giftwirkungen be-
trachtet werden müssen. Am stärksten waren sie bei Einführung in
die Venen, am schwächsten, aber immerhin oft noch deutlich, bei Ein-
führung in den Magen (Stich). Neben nervösen Stömugen machte
sich vor allem beim Hunde eine hämorrhagische Entzün-
dungderDarmschleimhaut, die in erster Linie den ober-
sten und untersten Darmabschnitt betraf, geltend.
Gaspard zeigte schon durch besondere Versuche, daß die Giftig-
keit der Faulflüssigkeiten nicht auf die bei der Fäulnis gebildeten
flüchtigen Stoffe, wie Kohlensäure, Schwefelwasserstoff oder Ammo-
niak, zurückgeführt werden könnte. Das putride Gift ,, extraktförmig"
darzustellen, gelang aber erst P a n u m^). Er gewann es in der Weise,
daß er faulende Aufgüsse von Hundefleisch, Hirn, Bindegewebe usw.
oder Aufechwenmiimgen von Dickdarminhalt und Stuhlentleerungen
durch doppelte Lagen von Filtrierpapier \mter negativem Druck bis
zur vollständigen — auch mikroskopisch bestätigten — Klarheit fil-
1) Journ. de physiol. 2 und 4, 1822 und 1824.
2) Ebenda 3, 1823.
3) Annal. der Charit<^krank. 3, 1853.
4) Vgl. Lit. bei H i 11 e r, Lehre von der Fäulnis, 1879, und G u s -
aenbauer in Deutsche Chirurgie 5. 1882.
5) Bibliothek for Läger 1856; vgl. auch Schmidts Jahrbuch.
:^9. 213 und V i r c h o w s Archiv 50. 301, 1874.
810 Kap. XVI, § 259.
trierte, dann mehrere Stunden kochte, im Wasserbade trocknet-e, mit
kaltem und kochendem Akohol auszog, in kochendem Wasser löste
und heiß filtrierte. 32 ccm der so gewonnenen Flüssigkeit, die 12 mg
feste Stoffe enthielt, genügten in einem Beispiel, um bei einem kleinen
Hund binnen wenigen Stunden Brechbewegungen, Stuhlzwang, Sehnen-
krämpfe, Sträuben der Haare, Schwäche bis zum Kollaps hervorzu-
rufen. Der Magen und Darm des nach 23 Stimden getöteten Tieres
zeigte Rötung und Schwellung. Im ganzen entsprach das Vergiftung?-
bild demjenigen der putriden Intoxikation, die durch unmittelbare
Einspritzung von Faulflüssigkeit hervorgerufen wurde. Zum Beispiel
töteten 24 ccm der oben benutzten Faulfüssigkeit, die aber nur klar
filtriert und nicht weiter behandelt worden war imd 71 mg Trocken-
substanz enthielt, einen kleinen Hund in 6 Stunden. Auch hier kann
natürlich nicht von der Wirkung lebender Bakterien, sondern nur
von Vergiftung die Rede sein. In einem Falle war selbst elfstündiges
Kochen nicht imstande, die Giftigkeit der (filtrierten) Faulflüssigkeit
aufzuheben, wenn es sie auch stark abschwächte. P a n u m machte
dabei die Beobachtung, daß auch die durch das Kochen
abgeschiedene eiweißartige Substanz in der
Größe einer Erbse eine ähnliche Vergiftung be-
wirkte wie 32 ccm der davon abfiltrierten Lösung.
Er erklärt das aus einer Kondensation des Giftes an dem ausgefallenen
Eiweiß. Die beim Kochen überdestillierten Stoffe waren ungiftig.
Über die Natur seines putriden Giftes läßt sich P a n u m nicht aus.
0. Weber^), Hemmer^), Schweninger'') und nament-
lich E. Bergmann*) bestätigten insofern die P a n u m sehen
Befunde, als sie mit gekochter Faulflüssigkeit ähnliche Wirkungen
am Tier erzielten. Die Versuche Bergmanns , die zur Entdeckung
eines chemisch gut charakterisierten Giftes, des Sepsins, fährten,
sind methodologisch auch jetzt noch so wichtig, daß über sie hier kurz
berichtet werden soll.
Bergmann ging aus vom Studium des faulen Blutes,
das die Erscheinimgen der putriden Intoxikation hervorruft. Während (^
vom Magen aus keine Ivrankheitserseheinungen bewirkt, die Einspritzunü
in das Unterhau tfettge webe weniger das Bild der allgemeinen Vergiftung &\>
örtliehe Veränderungen hervortreten läßt, tötet die Einspritzung in dio
Venen in I^fengen von 6 — 20 ccm Htuide im Laufe weniger bis höchstens
24 Stunden und verursacht auch in kleinen Gaben derartige Störungin.
1) Canstatts Jahresber. 1 864 II 83.
2) V i r c h o w - H i r s c h , Jahresber. 1866. I. 194.
3) V i r c h o w - H i r s c h , Jahresber. 1866. I. 194.
4) Das putride Gift und die p\itride Intoxikation. Dorpat ISOS.
und Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1, 1872.
Gifte der Kleinwesen. Sil
(laß man an der Vergiftung nicht zweifeln kann. Das Tier ist nach der
Kinspritzung filtrierten Bhits gewöhnlich wie betäubt oder doch sehr
-chwach, die Pupillen sind erweitert, e.s erfolgt Erbrechen, Ent-
leerung von Kot oder starkes Drängen, später flüssige, bluthalt ige
Entleerungen. Die Haut ibt gallig gefärbt. Die Temperatur ist, wenn der
Tod nicht zu früh erfolgt, erhöht. Bei dem Tode findet man regelmäßig
Blutungen an verschiedenen Stellen des Magendarmkanals, besonders
im Magen und Dickdarm, in den inneren Organen namentlich im Endokard
lies Unken Herzens. Die Milz ist gewöhnlich geschwollen und mit Blutimgen
durchsetzt. Das Blut bleibt in den großen Gefäßen flüssig. Die Versuche,
da«« Gift aus dem faulen Blut zu gewinnen, waren wenig erfolgreich. Das
bloße Aufkochen setzt die Giftwirkung auf weit weniger als den vierten Teil
der ursprünglichen herab; Neutralisieren oder Ansäuern auf die Hälfte.
Wird die auf diese Weise von der Hauptmasse des Eiweißes befreite Flüssig-
k»*it eingedampft, so verringert sich die Giftigkeit weiter sehr erh.eblich,
auch wenn es im luftleeren Raum bei 40® geschieht. Durch Alkohol
wird der größte Teil der wirksamen Substanz gefällt, ein Teil geht aber
All eh in den Alkohol über. Das Dialysat des Alkohol niederschlags ist giftig,
aber ebenso der im Dialysator gebliebene Rest. Bei diesem Verfahren
\\-ie bei der Anwendung anderer Fällungsmittel gelang keine vollständige
Trennung des Giftes und alle schwächten es erheblich. Die Versuche hatten
aber wenigstens ergeben, daß das Gift diffusionsfähig und alkohollöslich
war, es lag nahe, die Schwierigkeit seiner Darstelhmg in dem hohen Eiweiß-
Ct'halt d€^ Blutes zu suchen. Da aber nicht bloß stark eiweißhaltige Flüssig-
keiten wie Hühnereiweiß, Fibrin, Leim, Käse, Serum, Eiter, Fleisehwasser,
sondern auch die eiweißarmen Heu- und Pflanzenaufgüsse, Hefe und sogar
di*^ ganz eiweißfreie P a s t e u r sehe Nährlösung im Zustand der Fäulnis
das Bild der putriden Intoxikation erzeugten, so konnte man hoffen, aus
dt»n letzteren das Gift leichter darstellen zu können. Die Erwartung er-
füllte sich aber nur beim Arbeiten mit fauler Hefe. Merkwürdiger-
weise enthält diese, obwohl sie stark sauer reagiert, das putride Gift in
ähnlicher Stärke wie das stark alkalische faule Blut. Zunächst gelingt
OS, aus der faulen Hefe durch Dialyse und Abdiuisten im luftleeren Raum
Hne fast eiweißfreie kräftig wirkende Lösung zu erhalten. Diese enthielt
aber noch sehr viel fremde Bestandteile. Erst durch ein im Verein mit
Schmiedeberg ausgearbeitetes Verfahren erhielt Bergmann
das anscheinend reine Gift. D€is alkalisch gemachte Dialysat der faulen
Hefe wurde mit Sublimatlösung niedergeschlagen, der Niederschlag durch
Schwefelwasserstoff zersetzt, die von Schwefelquecksilber abfiltrierte Flüssig-
keit durch kohlensaures Silber von der Salzsäure befreit, das überschüssige
Silber durch Schwefelwasserstoff entfernt, und die alkalisch reagierende
Flüssigkeit im Vakuum zum Trocknen eingedam])ft. Der Rückstand
wurde jetzt in Alkohol gelöst und die alkalische Lösung mit schwefelsäiu*e-
haltigem Alkohol versetzt, wobei feinste Kristallnadeln, des schwefel-
sauren Sepsins", die sich durch Umkristallisieren reinigen ließen, nieder-
fielen. 0,01 g davon genügte, um die Erscheinuntren der putriden Intoxi-
kation beim Hunde hervorziu^ifen. Die Aufgabe schien damit gelöst, in-
dessen macht Bergmann selbst darauf aufmerksam, daß die Wirkung
d< s reinen Giftes doch eine andere war, als die der Faulflüssigkeiten selbst.
Sie ging schneller vorüber und die blutige Darmerkrankung fehlte zwar
nicht, war aber luibedeutender. Außerdem war die Ausbeute an Gift nicht
812 Kap. XVI, § 259.
nur eine verachwindend geringe, sondern auch sehr unbeständig. Oft waren
die erhaltenen Kristalle ohne jede Wirkung.
Die leichte Zersetzlichkeit des Giftes ist der Grund, daß seine
Kenntnis sehr wenig weitere Fortschritte gemacht hat. Erst in jüngster
Zeit ist es F aus t (s. u.) gelungen, den chemischen Bau des Sepsin«;
aufzudecken. Eine be&iedigende Darstellungsmethode ist aber auch
jetzt noch nicht gefunden. Das ist sehr bedauerlich, denn unter allen
Bakteriengiften, deren chemische Zusammensetzung man kemit
scheint gerade dieses durch seine weite Verbreitung in Fatdflüfisigkeiten
und seine kräftige und charakteristische Wirkung verhältnismäßig
die größte Bedeutung zu besitzen. Das hindert nicht, daß die Fäulnb
neben dem Sepsin noch zahlreiche andere Gifte erzeugt. Eine weitere
Möglichkeit ist freilich nicht aus dem Auge zu lassen: die Haupt-
erscheinimgen der Fäulnisvergiftung könnten auch durch Stoffe anderen,
verwickeiteren Baues erzeugt werden. Darauf deuten außer P a n u m s
Mitteilungen schon Beobachtungen Bergmanns. Bergmann
fand nämlich, daß das putride Gift in Pasteur scher Nähr-
lösung (Zucker- Weinsäure- Salzlösung) zum größten Teil an
den Bakterienzellen haftete. Nicht nur verlor es sehr
an Wirkung, wenn es durch Kohle oder Tonzellen hindurchgegangen
war, sondern auch, wenn man die Bakterien daraus durch Absetzen
(nach Gefrieren oder Auftauen der Lösung) entfernte, während der
Bodensatz hochgiftig war. Das macht den Eindruck, als ob Berg-
mann, es hier wie z.T. auch Panum, mit den später zu besprechen-
den (ziemlich hitzebeständigen) Bestandteilen der Bak-
terienleiber zu tun hatte. Wir werden später sehen, daß unsere
eigenen Untersuchungen das vollständig bestätigt haben. Mit den
Leibern oder den Auszügen aus Ruhr-, Typhus-, Cholera-, Prodigiosus-
bazillen u. a. m. kann man das echte Bild der putriden Intoxikation
hervorrufen (§ 280). Es bleibt also noch fraglich, ob das Sepsin
ein Stoff ist, der ursprüngliche Bedeutung hat
oder nur ein wirksamer Abkömmling der Bak-
terienproteine ist.
Ein anderes alkaloidartiges, in seiner Wirkung aber mehr dem
A t r o p i n ähnliches Gift stellten Z ü 1 z e r und Sonnenschein^)
aus faulendem Fleisch und der Mazerationsflüssigkeit von Leichen-
teilen dar. Bald folgten weitere Entdeckungen auf diesem Gebiete.
Namentlich S e 1 m i 2) war es, der die Lehre von den Fäulnis- und
Kadaveralkaloiden oder, wie er sie naimte, von den Ptomainen
1) Berl. klin. Woch. 1869. 12.
2) Sülle ptomaine. Bologna 1875; vgl. Ber. ehem. Gesellsch. 1873—80.
Gifte der Klein weeen. 813
durch zahlreiche neue Funde förderte. N e n c k i ^) ermittelte dann
zum erstenmal die chemische Zusammensetzung und den Bau eines
solchen Ptomains (s. u. Eollidin). Ihm folgten Gautier und
£ t a r d ') mit der Darstellimg des Parvolins und HydrokoUidins,
Guareschi und M o r r o ^) mit der des Coridins u. a. m. Aber
erat Brieger*) gelang es, durch gründliche Untersuchung von
Fäulnisgemischen und Reinkulturen aller möglichen Bakterien nachzu-
weisen, daß solche Ptomaine in großer Zahl gebildet werden, und daß
sich auch starke Gifte, oder wie er sie nannte, „Toxine'' darunter be-
finden. Allerdings erfüllte sich die ursprünglich gehegte Hoffnung,
daß mit diesen Toxinen nun die echten Bakteriengifte gefunden wären,
in keiner Weise. Nur die Giftigkeit faulender Stoffe
scheint häufig durch Ptomaine mitbedingt zu
sein, bei Vergiftungen durch Nahrungsmittel
wirdman mindestens also an sie zu denkenhaben,
aber auch, wie wir schon bemerkt, nicht einmal
in erster Linie. Brieger selbst wies später nach, daß die
eigentlichen Bakteriengifte einen verwickeiteren Bau haben, der mehr
dem der Eiweißkörper ähnelt. Dazu gehören auch die stärksten Nah-
nmggmittelgifte, die wir kennen, die des Bac. botulinus (§ 282) und
enteritidiß (§ 287), das „Wurst-" und „Fleischgift".
Die Darstellimg der Ptomaine erfolgt am besten nicht nach dem
alteren Stas-Dragendorff sehen Verfahren für die Pflanzen -
alkaloide, sondern nach Brieger (Ptomaine III. 18) folgendermaßen:
Die zu verarbeitenden Massen werden fein zerkleinert mit salzsäurehaltigem
Wasser einige Minuten lang ausgekocht. Man filtriert dann das Unlös-
liche ab, dämpft zur Sirupdicke ein, nimmt mehrmals mit 96 prozentigem
Alkohol auf und versetzt das Filtrat mit warmer alkoholischer Bleiazetat-
löaung. Das Filtrat davon wird wieder eingedampft und mit Alkohol er-
schöpft. Nach Verjagen des Alkohols löst man in Wasser, entfernt das
Blei durch Schwefelwasserstoff und engt nach Zusatz von etwas Salz-
säure zum Sirup ein. Dann wird wieder mit Alkohol ausgezogen, und das
Filtrat mit alkoholischer Quecksilber- Sublimatlösung gefällt. Der Queck-
nlbemiederschlag wird mit Wasser ausgekocht. wodm*ch schon eine Anzahl
von Ptomainen als Quecksilberdoppelsalze in Lösung übergeführt werden.
Das Quecksilberfiltrat befreit man durch Schwefelwasserstoff vom Queck-
silber, dampft nach fast vollständiger Neutralisierung ein, erschöpft wieder-
holt mit Alkohol, verdampft den Alkohol, löst in Wasser, bindet den Rest
1) Über Zersetzimg der Gelatine imd des Eiweißes. Bern 1876.
2) Compt. rend. ac sc. 94.
3) Archives italiennes de biolog. 1883.
4) Untersuchungen über Ptomaine I— III (1885—1886); Berl. klin.
Woch. 1886. 281; 1887. 311 und 817; Deutach. med. Woch. 1887. 22;
Ziisammenstellung in Virchows Archiv ] 889 ; vgl. auch Husemann
„Ptomaine" in Eulenburga Realenzyklopädie 1898.
814 Kap. XVI, § 259.
der Salzsäure durch Soda, säuert mit Salpetersäure an und versetzt mit
Phosphormolybdänsäure. Die abfiltrierte Phosphormolybdänsäuredoppel-
verbindung \i^rd durch kurzes Erhitzen mit neutralem Bleiazetat zerlegt,
deis Blei durch HgS entfernt, zum Sirup eingedampft. Daraus stellt man mit
Goldchlorid, Platinchlorid oder Pikrinsäure die D o j) -
pelsalze der Ptomaine dar. Selten sind auch in dem ersten Blei-
niederachlag und in den Phosphormolybdänsäurefiltraten Spuren vcnij
Ptomain zu finden. Die verschiedene Löslichkeit der Doppelsalze ermög-
licht ihre Trennung. Ihre Charakterisierung erfolgt weiter durch Bestim-
mung der Kristallformen, der Schmelzpunkte imd der chemischen Zu-
sammensetzung. Die salzsauren Salze der Basen gewinnt man aus den
Doppelsalzen dadurch, daß man die Metalle (Quecksilber, Gold. Platin)
durch H2S beseitigt, aus den Pikraten dadurch, daß man nach Ansäuern
mit Salzsäure durch wiederholtes Ausschütteln mit Äther die Pikrinsäun^
wegschafft. In manchen Fällen führen erst weitere Modifikationen dt-r
Methode zum Ziel. Einige Ptomaine vertragen das Erhitzen schlecht,
deis Einengen ihrer Lösungen muß deshalb bei niedriger Tem-
peratur erfolgen ; Faust hat dafür einen Apparat angegeben (s. u.
Sepsin). Viele Einzelheiten s. bei B r i e g e r.
Wir geben zunächst eine Aufzählung der bisher bekannt gewordenen
Ptomaine, und zwar behandehi wir nacheinander die Amine, Diamine.
Triamine, Ammoniumbasen, dann die Basen unbekannten Baues.
Bezüglich ihrer Bildungsweise können wir zum Teil auf § 170 verweisen;
in den meisten Fällen ist sie aber bisher unbekannt.
Zu den Aminen gehören:
Methylamin CHgNHg, entdeckt von Tollens in der Härings-
lake, auch später oft in Fäulnisgemischen und Keinkulturen ge-
funden. Das flüchtige Gift des Bac. pyocyaneus enthält
nach C h a r r i n *) Methylamin. Vielleicht entsteht es durch
Abspaltung von Kohlensäure aus Aminoessigsäure (GlykokoU).
ebenso wie das Äthylamin, Phenyläthylamin, Oxyphenyläthrl-
amin, Putreszin und Kadaverin aus anderen Aminosäuren (§ 170).
Dimethylamin (CH3)2NH Brieger 1885, Bocklisch 1880,
Ehrenberg 1887 (faule Hefe, Leim, Wurst).
Trimethylamin (CH3)3N, längst bekannt aus der Häringslake,
später vielfach in Fäulnisgemischen und Reinkulturen (bei Strepto-
kokken, Prodigiosusbazillen) gefunden.
Äthylamin (C2H,)NH2, Diäthylamin (CaH5)2NH, Tri-
äthylamin (C2Hß)3N — Brieger, Bocklisch,
Ehrenberg — aus faulen Fischen imd Wurst; vielleicht ent-
steht das erste durch Kohlensäureabspaltimg aus dem Alanin
(§ 170).
1) Cempt. rend. ac. sc. 138. 433, 1904.
Gifte der Kleinwesen. 815
Propylamin (C3H7)NH2 — B r i e g e r 1887 — aus faulem Leim.
Tetanotoxin CjHi^N — Brieger 1886 — aus unreinen Kul-
turen des Tetanusbazillus.
Hexylamin (CgHi3)NH2 — Hesse 1857 — aus fauler Hefe.
K 0 1 1 i d i n oder Isophenyläthylamin ( ?) C^jHg . C2H4 . NHg —
N e n c k i 1876 — nach Spiro wahrscheinlich aus dem Phenyl-
alanin durch Kohlensäureabspaltung entstanden — aus faulem
Leim und Ochsenpankreas.
Oxyphenyläthylamin, in reifendem Käse gefimden —
wohl ebenso aus Tyrosin entstanden.
Hydrokollidin CgHi^N (?) — Gautier und Etard 1881 —
aus faulen Fischen und Makrelen.
Parvolin (?) CgH^jN — G a u t i e r und Etard — aus faulem
Fleisch.
K 0 r i d i n CiqHijN — Guareschi und M o r r o 1883, d e C o -
n i n c k 1887 — aus faulem Fibrin imd Seepolypen.
Hydrokor idin Ci(yHi-N — G r i f f i t h i) — aus Reinkultur
des Bact. allii.
Die letzten Körper gehören ihrer Zusammensetzung nach vielleicht
der P y r i d i n g r u p p e an, von der sich auch Pflanzenalkaloide
(Koniin, Nikotin, Pilokarpin) ableiten.
Diamine sind:
Äthylidendiamin (?) CgHgN.^ — Brieger 1885 — aus faulen
Dorschen.
Unbenannt ist ein giftiger Körper C3H8N2(?), den Brieger
1887 in Cholerakulturen fand.
Tetramethylendiamin oder Putresziii NH, . C4H8 . NH^
— Brieger 1885 — vielfach in faulenden Körpern und auch in
Cholerakulturen gefunden, nach Ellinger wahrscheinlich aus
dem Ornithin (Arginin) durch Kohlensäureabspaltung entstanden
(§ 170), wirkt nach Scheurlen nur örtlich reizend.
Pen tarne thylendiamin oder Kadaverin NH2.C5Hjo.NH2
— Brieger 1885, B o c k 1 i s c h 1887 — aus Faulflüssigkeiten,
Cholera- und Finkler-Prior-Kulturen isoliert, nach Ellinger
wahrscheinlich durch C02-Abspaltung aiLS dem Lysin (Diamino-
kapronsäure § 170) entstanden. Putreszin und Kadaverin wurden
auch im Kot, Harn imd Auswurf der Menschen gefunden. Kada-
1) Compt. rend ac. sc. 110, 1890.
816 Kap. XVI, § 259.
verin wirkt örtlich kräftiger reizend wie das Putreszin und wurü
daher früher mit der Eiterung in Verbindung gebracht (vg
aber § 280).
Ungiftig sind die isomeren Stoffe:
Neuridin und S a p r i n C5H14N2 — B r i e g e r 1883 und 18K";
Ehrenberg 1887 — a\is faulem Gehirn, Eiweiß, Wurst, mensch
liehen Leichen. Ungiftig ist auch das
S p e r m i n CgHjgNg. Seine phosphorsauren Sjistalle sind schoj
von C h a r c o t und B o b i n 1853 in leukämischer Mik, voi
Böttcher im Sperma, von Zenker und L e y d e i
1872 im Auswurf bei Asthma gefunden. Nach Scheurlen«
(1878) Analjnse hat es die Formel CgHgN, nach PohU) die obip
Kurz*) isolierte es 1888 aus Choleralnilturen. Wenn man nack
dem charakteristischen Spermageruch urteilte, würde es noch in
manchen anderen Bakterienkulturen, vor allem vom Ruhrbazillus,
gebildet. Von Pohl wurde es zu Heilzwecken empfohlen (vgl.
Infektions- und Immunitätslehre).
Hexamethylendiamin(?) CgH^^Ng — Garcia') —aus
faulem Pferdefleisch, imgiftig.
Vielleicht gehört hierher als Dioxykadaverin das von F a u 8 1 *)
dargestellte
S e p 8 i n C5H14N2O2. Es scheint mit dem Sepsin von Berg-
mann und Schmiedeberg (s. o. S. 810), das andere Forscher
vergebens wieder zu erhalten suchten, zusammenzufallen. Über die
schwierige Darstellungsmethode ist die Eigenarbeit nachzusehen.
Aus 5 kg Hefe wurde durchschnittlich nur 0,03 g schwefelsaures Sepsin
gewonnen. 0,02 g töten einen Hund von 4 kg von der Blutbahn aus
in 4 Stunden mit Erbrechen und blutigen Durchfällen, 20 ccm des ur-
sprünglichen HefeaufguBses haben filtriert dieselben Folgen. Es geht
also der allergrößte Teil des wirksamen Stoffes verloren. Das Gift
ist sehr empfindlich gegen Hitze imd verliert auch im luftleeren Raum
trocken aufbewahrt binnen einigen Monaten seine Wirkung. Die Hunde
lassen sich ziemlich leicht an das Gift gewöhnen. Schon früher hatte
E. L e V y *») aus Reinkulturen des Bac. proteus vulgaris durch Fällung
mit Alkohol oder • Chlorkalzium eine eiweißartige Substanz gewonnen,
1) Ber. ehem. Gesellscli. 1891. 359.
2) Monatsschr. f. Chem. 1888.
3) Zoitschr. phisiol. Chem. 17.
4) Arch. exper. Path. 51, 1904.
5) Ebenda 34, 1894.
Gifte det* Kleiiiwesen. S17
die das ,,SepBin'' einschließen sollte. Wahrscheinlich handelt es sich
aber hier gar nicht um die Wirkung eines Ptomains, sondern eines
Eigengiftes des Proteus, das den Bakterienproteinen bzw. Endotoxincn
mzuiechnen ist (§ 280).
Der Guanidingruppe gehört an:
Methylguanidin NH. NH(CH3) . NHg .C — Brieger 1886,
B o c k 1 i 8 c h 1887. H o f f a ^) — aus gefaultem Pferdefleisch,
Kulturen des Spir. Finkler-Prior und Organen bei Kaninchen-
septikämie. Vielleicht entsteht es aus dem Arginin (S. 522).
Aus der Cholingruppe (Ammoniumbasen) sind zu nennen:
C h o 1 i n oder Trimethyloxäthylammoniumhydroxyd (CHg)3 . CgHgO .
N . OH, schwach giftig, entsteht bei der Fäulnis des Lezithins —
Brieger 1885, Ehrenberg 1887 (vgl. S. 588). Aus dem
Cholin bildet sich durch Bakterien (ebenda) unter Wasserabspaltung
das 20mal giftigere
Neurin oder Trimethylvinylammoniumhydroxyd (0113)3. CgHg.N. OH.
Brieger fand es 1883 in faulem Fleisch, Ehrenberg 1887
in giftiger Leberwurst. Es ist für Katzen schon tödlich in einer
Menge von 5 mg auf das kg. Durch Neurineinspritzungen wollten
F o a und B o n o m e (vgl. Immunitätslehre) Kaninchen gegen
Proteuskulturen schützen. Wahrscheinlich liegt hier aber keine
echte Immunität vor.
LTngiftig ist das
Oxyneurin oder B e t a i n (Trimethylglykokoll) C5H13NO3, das
Brieger aus giftigen Miesmuscheln dargestellt hat (vgl. auch
E mm erlin g S. 510 u. 526).
Muskarin CgHjgNOg, einen dem Fliegenpilzgift völlig entsprechenden
Körper, fand Brieger 1885 in faulen Dorschen. Auch in ver-
dorbenen Würst.en scheint es vorzukommen (v. S o b b e ^)). Es
kaim ab Oxydationsprodukt des Cholins aufgefaßt werden.
Ihrem Bau nach unbekannt sind:
Mydatotoxin CgH^jNOg und die unbenannte Base C7H17NO2,
wurden von Brieger 1886 aus faulem Fleisch isoliert, sie sind
weniger giftig als das Muskarin.
M y t i 1 0 1 o X i n C^HjjNOg fand Brieger 1885^) in giftigen Mies-
muscheln, die zwar frisch, aber in schmutzigem Wasser gehalten
waren. 5 mg töten ein Kaninchen unter Erscheinungen der Kurare-
1) Arch. f. Chir. 39. 273, 1889.
2) Berl. klin. Woch. 1889. 7.
3) Ptomaine 111 65 und Deutsch, med. Woch. 1885. 53.
Kruse, Mikrobiologie. 52
818 Kap. XVI, § 259.
Vergiftung. Der Genuß der Miesmuscheln erzeugte beim Menschen
eine Vergiftung, die 4 von 38 Personen in wenigen Stunden tötete^).
Einsetzen der Muscheln in frisches Wasser bracht« das Gift all-
mählich zum Schwinden, ebenso Kochen mit Soda. Ob der von
Lustig^) aus der Leber des Mytilus edulis gezüchtete Bazillus
mit der Giftbildimg etwas zu tun hat, ist mehr als zweifelhaft;
daß ein Mikroorganismus irgendwie beteiligt ist, aber wahr-
scheinlich.
G a d i n i n C7Hj7N02 — B r i e g e r 1885 — aus faulen Dorschen
und Leim, nicht identisch mit
Typhotoxin C-H^-NOg — B r i e g e r 1885 — aus Kulturen des
Typhusbazillus auf Fleischbrei ; tötet Meerschweinchen mit Diarrhöe,
Speichelfluß, Pupillenerweiterung usw. Die Giftausbeute war
übrigens sehr unbeständig und manchmal gleich Null, über die
eigentlichen Typhusgifte vgl. § 286.
Tetanin C14N30N2O4 — von Brieger 1886 neben dem Tetano-
toxin (s. o.) und der ungiftigen Base CgHjgNOg aus unreinen Teta-
nuskulturen und dem abgesetzten Gliede eines TetÄnikers isoliert.
K i t a s a t o und W e y 1 *) fanden das Tetanin auch in Rein-
kulturen des Tetanusbazillus wieder (s. u. Spasmotoxin).
Ihrer Zusammensetzung nach unbekannt, aber kristallinische
Körper, die Alkaloidreaktionen geben, sind:
Spasmotoxin und eine andere unbenannte giftige Base, von
Brieger 1887 aus unreinen Tetanuskulturen dargestellt. Diese
Giftstoffe erzeugen zwar auch Krämpfe, doch können sie, ab-
gesehen von ihrem Ursprung aus unreinen Kolonien, schon deswegen
nicht als die richtigen Gifte des Tetanusbazillus angesehen werden,
weil sie sofort, d. h. ohne Wartezeit wirken.
Mydalein — Brieger 1885 — aus menschlichen Leichen.
Tyrotoxikon — Vaughan*) — in giftigen Nahrungsmitteln
(namentlich Käse, Vanilleeis, Eiscreme, Milch, Austern, Mies-
muscheln) gefimden, wurde auch durch Buttersäurebazillen künst-
lich aus Milch gewonnen. Für Katzen ungiftig. Die Reaktionen
des durch Behandeln des alkalischen wässerigen Auszugs mit
Äther dargestellten Körpers stimmen mit denen des D i a z 0 -
1) Vgl. auch V i r c h o w , Berl. klin. Woch. 1880,48; Salkowsky.
Virchows Archiv 1902 und M. Wolf f , ebenda 103, 1885.
2) Archivio delle scienze medicho 1888.
3) ZeitRchr. f. Hyg. 8. 405.
4) Zeitschr. y)hysiol. Chem. 10. 1886 und Arch. f. Hyg. 7, 1887.
Gifte der Kleinwesen. 819
b e n z 0 1 8 (Nitrat = C^^^ . Ng . ONO^) überein, doch weichen
nach Kobert^) die Erscheinungen, die im lebenden Organis-
mus dadurch hervorgerufen werden, von den bei Käsevergiftung
(Erbrechen, Durchfall, Trockenheit im Halse) beobachteten ab.
Bei anderen Käsevergiftungen sind auch noch Schwindel, Krämpfe,
Blutbrechen, Pupillenerweiterung und Doppelsehen beobachtet
worden. Es handelt sich also nicht immer um ein und dasselbe
Gift und wahrscheinlich meist um echte Infektionsgifte, die dem
Wurst- und Fleischgifte entsprechen (§ 282 u. 287).
Hier anzuschließen wäre vielleicht das S o 1 a n i n (C42H-5NOJ5?),
das giftige glykosidische AJkaloid, das nach R. W e i 1 2) von einigen
die Kartoffelschale bewohnenden Bazillen (Bac. solaniferum colora-
bile und non colorabile) aus der Kartoffelsubstanz gebildet wird. Aus
6 Liter Kartoffelkultur (kalter wässeriger Auszug der geschälten rohen
Kartoffeln) wurden 50 — ^70 mg Solanin erhalten. Ob Solanin ein Bak-
terienprodukt ist, steht allerdings noch dahin (vgl. W i n t g e n und
Morgenstern S. 481). Schmiedeberg und Meyer^),
Pfuhl*) u. a. beobachteten Solaninvergiftungsepidemien unter dem
llilitär nach dem Genuß keimender oder nicht ausgereifter Kartoffeln.
Peptotoxin wurde von B r i e g e r ^) gelegentlich bei der Ver-
dauung des Fibrins durch Pepsin erhalten und ist manchmal auch
in käuflichen „Peptonen" nachweisbar, deren Giftigkeit es ver-
ursacht, verdankt wohl bakteriellen Verunreinigungen sein Dasein.
Auch aus faulenden Eiweißkörpem hat Brieger es darstellen
können, nicht aus frischen oder unverdauten. Es tötet Frösche
und Kaninchen mit Lähmungserscheinungen.
Susotoxin stellte N o v y ®) aus Schweineseucheknlturen, ein nur
schwach giftiges „Sucholotoxin" v. Schweinitz') aus Schweine-
pestkulturen dar.
Ein giftiges Milzbrandptomain fand Hof f a®) in Fleisch-
breikulturen des Bac. anthracis mittelst des alten Stas-Otto-
1) Intoxikationen 721, 1893.
2) Arch. f. Hyg. 38, 1900.
3) Arch. f. exper. Path. 36, 1895.
4) Deutsch, med. Woch. 1899. 46.
0) Ptomaine 1. 14; vgl. auch Salkowsky, Virchows Arch. 124
und die Erörterung zwischen Brieger und Salkowsky, D. med.
Woch. 1891. 26—31.
6) Ref. Zentr. Bakt. 9. 25.
7) Ebenda 9. 24.
8) Natur des Milzbrandgifts. Wiesbaden 1886 und Arch. f. Chir.
•^9, 1889.
52*
820 Kap. XVI, § 259 u. 260.
sehen Verfahrens. Das B r i e g e r sehe Verfahren versagte. Obwohl
Kontrollversuche zu zeigen scheinen, daß das Gift ein eigentümliches
Erzeugnis der Milzbrandbazillen ist, so fehlt doch noch viel an dem
Beweise, daß der Milzbrand gerade durch dieses Gift wirkt. Die Ver-
giftung mit dem Ptomain verlief bei Meerschweinchen und Kaninchen
nach Einspritzung von 0,01 — 0,02 g im Laufe einer halben Stunde
unter Dyspnoe und Sopor und manchmal mit blutigen Stühlen zum
Tode. Später hat H o f f a auch aus Milzbrandkadavem ein giftiges
Anthrazin dargestellt. Martin^) fand neben einer ähnlich wirken-
den „Albumose'^ in den Milzbrandbazillen auf Alkalialbuminat ein
Alkaloid, das erst in den großen Gaben von 0,1 — 0,5 g Mäuse mit
ödem an der Impfstelle tötete. Vielleicht ist die Albumose nur eine
Vorstufe des Alkaloids. da sie sich hauptsächlich in jungen Kulturen
fipidet. Auch aus dem Tierkörper glückte die Isolierung derselben
Stoffe. Wenig wirksam waren auch die basischen Extrakte, die Heim
und G e y g e r ^) aus Milzbrandkulturen in Hühnereiern erhielten.
Gegenüber der von C o n r a d i ^) unternommenen Nachprüfung büßen
alle diese Ergebnia<^e völlig an Beweiskraft ein; es gelang diesem For-
scher nicht, mit keimfrei filtrierten Exsudaten oder Organauszügen
von Milzbrandtieren irgendwelche Krankheitserscheinimgen auszulösen
(vgl. § 292).
Das Phlogosin, das Leber*) aus Kulturen des Staphylo-
coccus aureus isolierte, soll stickstofffrei sei, würde danach also nicht
zu den Ptomainen zu rechnen sein. Es bewirkt Eiterung und Nekrose
wie Kadaverin (s. o.) und die Leibesgifte der Bakterien (§ 280).
Ptomaine sind von vielen Forschem auch in Cholerakul-
turen gesucht und gefunden worden, doch hat B r i e g e r ^) außer
den gewöhnlichen Fäulnisptomainen Putreszin, Methylguanidin, Cholin
und namentlich Kadaverin nur Spuren von zwei anderen gefunden,
von denen das eine Krämpfe und Muskelzittem, das andere lähmungs-
artige Zustände, teilweise mit blutigem Stuhlgang hervorrief. Scholl*)
konnte in seinen Eikulturen des Cholerabazillus überhaupt keine Pto-
maine nachweisen. Neuerdings berichtet Verdereau') über ein
giftiges ,,Virgulin" aus Cholerabazillenextrakten.
Von den drei „neuen" aus Fäulnisgemischen dargestellten Basen
1) Baumgartens Jahresber. 1890, 150; vgl. auch C o n r a d i untt^r '^.
2) Heims Lehrb. d. bakt. Unt. u. Diagnost. 1894.
3) Zeitsclir. f. Hyg. 31, 1899.
4) Entstehung der Entzündung 154, 1891.
5) Berl. klin. Woch. 1887. 44.
6) Scholl, Arch. f. Hyg. 15, 1892 mit Literatur.
7) Soc. biol. 9. 5, 1908. '
Gifte der Kleinwesen. 821
Marzidin. Patrin und Putridin hat Ackermann^) das letzte zurück-
ziehen müssen, weil es mit der tf-Aminovaleriansäme übereinstimmt^e.
Wie diese sich übrigens bildet, bleibt dunkel. Jedenfalls entsteht sie
nicht, wie man annehmen könnte, aus dem Arginin.
Aus dem Harn von kranken Menschen sind gelegentlieh
giftige Ptomaine isoliert worden, so von Griffith und L o d e 1 1 ') bei
Influenza die Bchse C^9N04 imd andere bei Pneumonie, Diphtherie, Masern,
Scharlach, Keuchhusten und Röteln. Aus frischen Typhusleichen stellte
Manns *) eine neues Ptomain dar, aus Tieren, die an Kaninchensepti-
kämie gestorben waren, Hoffa (S. 820) das Methylguanidin (s. o.). Wenn
auch Stadthagen*), von Udranszky imd Baumann*)
Ptomaine in normalem Harn und normalen Fäzes nicht oder nur ausnahms-
weise (Kadaverin und Putreszin bei Zystinurie) nachweisen konnten, so
liegen doch von Jones und Duprö (s. o.) und von Gautier*),
und Bouchard') entgegengesetzte Beobachtungen vor. Man wird also
mit den Schlüssen aus solchen Befunden vorsichtig sein müssen. Es-
liegt nicht nur die Möglichkeit vor, daß aus dem durch Bakterien zer-
netzten Darminhalt basische Körper resorbiert werden, sondern nach
G a u t i e r produziert vielleicht der tierische Organismus selbst, wie der
pflanzUche, solche „Leukomaine".
Man kann zusammenfassend sagen, daß aus der großen Zahl der
hier aufgeführten basischen Stoffe, die wohl alle bei der Zersetzung
der Eiweißkörper als Nebenprodukte gebildet werden, nur wenige als
wirksame Gifte in Betracht kommen, so das Mytilotoxin, das
Tyrotoxikon und vielleicht das N e u r i n imd S e p s i n. Die
übrigen haben als Stoffwechselprodukte wohl nur ein chemisch-physio-
logisches Interesse.
§ 260. Giftige Fette. Den chemisch gut bekannten „Stoff-
wechselgiften" könnten wir hier noch eine Reihe von Körpern an-
schließen, die sich von den eigentlichen Giften der Mikroorganismen
dadurch unterscheiden, daß sie löslich sind in Fettextraktionsmitteln
wie Äther, Alkohol, Chloroform. Dahin gehören die von Auclair®)
aus Diphtherie-, Tuberkel- imd anderen Bakterien, von C e n i und
Besta aus Schimmelpilzen (s. u. § 307) gewonnenen Gifte. Die
ersteien sind in Wasser unlöslich, die letzteren löslich. Da wir aber
1) Zeitschr. physiol. Chem. 54, 1907 und 56, 1908.
2) Compt. rend. ac. sc. 113, 114 luid 117.
3) Baumgartens Jahresb. 1888. 451.
4) Zeitschr. f. klin. Med. 15.
5) Zeitschr. physiol. Chem. 13.
6) a. a. O.
7) Les autointoxications 1887; vgl. Albu, Deutsch, med. Woch.
1894. 1.
8) Arch. m6d. exp6r. 1903. 725 s. u. § 261 u. 304.
822 Kap. XVI, § 260 u. 261.
nicht wissen, ob es sich hier wirklich um Fette handelt oder um
giftige Beimischungen von solchen^), und diese Stoffe den Zellen sehr
fest anzuhaften pflegen, so werden wir sie bei den Eigengiften behandeln.
Eine Ausnahme soll zunächst machen ein krystallinisches Gilt, das
de Schweinitz und D o r s e t ^) aus Kulturen der Tuberkel-
bazillen auf Asparaginlösung gewonnen haben. Seine Zusammen-
setzung entspricht der Formel der Terakonsäure C-H10O4, einer
zweibasischen ungesättigten Fettsäure, die in Wasser, Alkohol und
Äther gleich gut löslich ist. Es erzeugt, Meerschweinchen unter die
Haut eingespritzt, Temperaturemiedrigung und seröse Exsudate, in
der Leber Nekrosen. Bei tuberkulösen Tieren soll es in kleinsten Gaben
(2 mg) heilkräftig wirken, d. h. das Leben einige Wochen verlängern.
Auch im Tuberkulin ist das Gift vorhanden, aber es ist schwer daraus
darzustellen, weil es sich mit den stickstoffhaltigen Bestandteilen ver-
bindet. Vielleicht ist es nur ein Zersetzungsprodukt des ursprünglichen
Gifts. Femer ist hier noch zu erwähnen das N a s t i n , das D e y c k e
und R e s c h a d aus einem säurefesten Strahlenpilz und später auch
aus Tuberkelbazillen (Tuberkulo-Nastin) gewonnen haben (S. 77). Es soll
ein neutrales Fett vom Schmelzpunkt 48 — 5P sein und neben reizenden
hervorragend heilkräftige Eigenschaften besitzen (vgl. Immunitäts-
lehre).
Die Lipoide des Pyocyaneus und anderer Bakterien, die nach
Ruß und Raubitschek die bakterizide Wirkung der Bak-
terienextrakte erklären, haben wir schon bei der Pyozyanase (S. 16)
erwähnt. Bei den Hämoljrsinen kommen wir auf sie zurück (§ 312).
§ 261. Geschichte und Darstellung des Diphtheriegif te^.
Wir beginnen die Darstellung der Eigengifte der Bakterien mit dem des
Diphtheriebazillus, nicht nur, weil es das am besten bekannte, sondern
auch das zuerst entdeckte ist, und an seinem Beispiele sich die Eigen-
schaften dieser Gruppe von Körpern am schönsten darlegen lassen.
Im § 259 sahen wir, daß in der ersten Entwicklungsperiode der
Bakteriologie die Neigimg vorherrschte, die giftigen Wirkungen der
Mikroorganismen auf die Bildung von alkaloidartigen Stoffen, von
Ptomainen zurückzuführen. Indessen trotzdem die Ausbeute daran,
rein zahlenmäßig betrachtet, wirklich nicht gering war, wollte es doch
bei weitem nicht in allen Fällen gelingen, in den Kulturen von patho-
genen Bakterien, wo man sie hätte voraussetzen können, derartige
Körper zu entdecken. Auch entsprach die Wirkung der aus Rein-
1) Man muß beachten, daß in die Lösungsmittel zunächst alle mög-
lichen Stoffe hineingehen, die in reinem Zustande in ihnen unlöslich sind.
2) Zentr. Bakt. 22. 209. 1897.
Gifte der Klein wesen. 823
kulturen dargestellten Ptomaine häufig nicht den Krankheitserschei-
nimgen, die durch die lebenden Bakterien bedingt waren. Es lag daher
nahe, nach anderen giftigen Stoffen zu suchen. Bezeichnend ist der erste
Versuch, der von L ö f f 1 e r ^) 1887 unternommen, aber erst 1890
veröffentlicht wurde. Die von diesem Forscher entdeckten Diphtherie-
bazillen töten Tiere, ohne sich doch in irgend erheblicher Weise in
ihnen zu vermehren oder zu verbreiten. Sehr empfänglich sind Meer-
schweinchen, weniger Kaninchen, Himde und Tauben, fast gar nicht
Mäuse und Ratten. Die Impfstelle unter der Haut von Meerschweinchen
zeigt, wenn das Tier in einigen Tagen stirbt, ein ödem, das häufig
mit Blutimgen durchsetzt ist, femer eine Ansammlung klarer Flüssig-
keit im Brust-, selten im Bauchraum, fleckige Verdichtungen in der
Lunge und eine starke Anschoppimg der Nebennieren. Sterben die
Tiere später, so findet man an der Impfstelle ein speckiges Exsudat,
die Haut darüber wird nekrotisch und verschwärt; die inneren Organe
zeigen, abgesehen von starker Abmagerung, meist nur Verfettung
der Leber. Da die Diphtheriebazillen gewöhnlich nur an den Impf-
stellen nachgewiesen sind imd auch da oft nur in spärlichen Mengen,
kann man sich ihre Wirlomg nur erklären, wenn man annimmt, daß
sie ein starkes Gift bilden.
Dennoch schlug der Versuch Löfflers, aus ihren Kulturen
giftige Ptomaine zu gewinnen, fehl: ein Kolben mit einer dreitägigen
Kultur der Bazillen in Traubenzuckerbouillon wurde auf dem Wasser-
bad bis zu 100 ccm eingedampft, ein zweiter wiederholt mit Äther aus-
geschüttelt. Sowohl der Ätherauszug als der Bouillonrückstand erwiesen
sich ab ungiftig. L ö f f 1 e r schlug, in der Vermutung, daß es sich
vielleicht um ein giftiges Enzym handeln könne, das auf die angegebene
Weise nicht zu erhalten sei, einen anderen Weg ein. Er züchtete die
Diphtheriebazillen auf Fleischbrei, zog diesen nach 4 — 5 Tagen mit
Glyzerin aus, versetzte den Extrakt mit absolutem Alkohol, löste den
getrockneten Niederschlag in Wasser, fällte wieder mit Alkohol, trock-
nete und erhielt so einen in Wasser löslichen Köq^er, der unter der
Haut von Meerschweinchen in der Gabe von 0,1 — 0,2 g derbe Knoten
mit Hämorrhagien und ödem in der Umgebung hervorrief. Es ent-
wickelte sich ein Geschwür, die Tiere kamen aber mit dem Leben
davon. R o u x und Y e r s i n 2) hatten sich schon vor der Veröffent-
lichung liöfflers mit derselben Frage beschäftigt und weit über-
zeugendere Ergebnisse erzielt. Um die giftigen Produkte des Diph-
theriebazillus zu erhalten, entfernten sie die Bakterien, in denen sie die
1) Deutsch, med. Woch. 1890, 5/6.
2) Annal. Pasteur 1888 ii. 1900.
824 Kap. XVI, § 261.
Bouillonkiilturen durch Chamberlandsche Porzellanfilter hindurch-
gehen ließen. Die Filtrate erwiesen sich als giftig; wenn die Kulturen
jung waren, führten sie allerdings erst in sehr großen Gaben, wenn sie
4 — 6 Wochen alt waren, aber schon in Mengen von 0,2 — 2 com den
Tod der Versuchstiere herbei, und zwar unter denselben Erscheinungen
wie die lebenden Bakterien. Nachdem R o u x und Y e r s i n so das
Vorhandensein des Diphtheriegiftes in künstlichen Kulturen erwiesen
hatten, gingen sie daran, es näher zu kennzeichnen. Zunächst stellte
es sich heraus, daß schon längere Erhitzung auf 58^ das Gift stark
schädigt, Kochen es fast völlig zerstört. Doch pflegen Tiere, die große
Mengen des 20 Minuten auf 100® erhitzten Filtrats erhalten haben,
nach einigen Wochen abzumagern und später unter Lähmungen zu
sterben. Säure schädigt das Gift sehr erheblich: solange die Kultur
sauer ist, sind ihre Filtrate wenig giftig, und die Giftigkeit alkalischer
Filtrate wird durch Ansäuenmg stark abgeschwächt, kehrt zurück,
wenn man bald wieder neutralisiert, wird aber durch längere Einwir-
kung der Säure dauernd herabgesetzt (vgl. § 267). Aus den bei 25®
eingeengten Filtraten läßt sich das Gift durch Alkohol fällen, das
niedergeschlagene Gift löst sich im Wasser und kaim durch Dialyse
gereinigt werden, weil es nur schlecht diffundiert. Das so
gereinigte Gift tötete Meerschweinchen in der Gabe von 0,1 mg
Trockensubstanz, w^ährend von dem Filtrat 0,25 com dazu
nötig gewesen waren. Aus dem Filtrat wird das Gift auch durch
andere künstlich erzeugte umfangreiche Niederschläge zu Boden ge-
rissen, so nach Hinzufügung von (^lorkalzium durch das dabei ent-
stehende Kalziumphosphat. Im trockenen Zustand verträgt es Er-
hitzung auf 100®. Seiner Darstellung nach ähnelt das
Di{)htheriegift offenbar den Enzymen und wird
auch von E o u x und Y e r s i n als solches bezeichnet und den übrigen
Absonderungen der Bakterien an die Seite gest/ellt.
B r i e g e r und C. F r ä u k e P) bestätigten im wesentlichen diese
Ergebnisse. Ihre chemischen Untersuchungen führten sie aber weiter-
hin zu dem Schlüsse, daß das Diphtheriegift nicht ein Enzym, sondern
ein „Toxalbumin*', d. h. ein giftiger Körper von der Zusammensetzung
und mit allen Reaktionen der Eiweißkörper sei, und
zwar den Serumalbuminen am nächsten stände. Aus dem
Filtrat Nvurde es durch t'bereättigen mit Ammonsulfat, nicht mit
Magnesiumsulfat, Chlornatrium und Natriumsulfat niedergeschlagen.
Am einfachsten gelang die Darstellung, wenn das Filtrat bei 30® im
luftleeren Raum auf den dritten Teil eingeengt und in die zehnfache
l) Rerl. klin. Woch. 1890. 11/12.
Gift« der Kleinwesen. 825
Menge absoluten Alkohols übertragen wurde. Einige Tropfen Essig-
säure beförderten die Aiisfällung des Niederschlags, der durch wieder-
holtes Lösen in Wasser, Filtrieren und Fällen mit Alkohol und schließ-
lieh durch die Dial3^e weiter gereinigt wurde. Das Toxalbumin würde
nach B r i e g e r und F r ä n k e 1 von den Bazillen abgespalten aus
dem Gewebseiweiß oder aufgebaut aus den Peptonen des Nährbodens.
Alle Bemühungen, nebenher noch andere Gifte (Ptomaine, flüchtige
Stoffe) aufzufinden, schlugen fehl. Wassermann und P r o s -
kau er*) veränderten diese Darstellungsmethode des Toxalbumins,
weil sie fanden, daß das Gift dabei mit einem ungiftigen Eiweißst/off
verunreinigt ist, der sich dadurch von ihm unterscheidet, daß er nicht
wie das Gift schon durch verdünnten Alkohol, sondern erst durch
konzentrierten gefällt wird. Sie engten zunächst das Filtrat im luft-
leeren Raum ein, dialysierten den Bückstand bei niederer Temperatur
gegen destilliertes Wasser, um Peptone und Globuline zu entfernen,
filtrierten und fällten nach Ansäuerung mit 60 — ^TOprozentigem Alkohol.
Das trockene Gift tötete in Menge von 10 mg Kaninchen bei subkutaner
Einspritzung binnen 4 Tagen. In ähnlicher W^eise konnten sie das
Gift gewinnen aus einem Glyzerinauszug ^) der
Organe von Tieren, die an Diphtherie gestorben
waren. Auch diese von Wassermann und Proskauer
gewonnenen Gifte besaßen Zusammensetzung und Reaktion der Eiweiß-
körper, die Autoren fassen aber schon die Möglichkeit ins Auge, daß
es sich hier- nur um Beimengungen von ungiftigen
Eiweißkörpern zu dem eigentlichen Gift handele, über dessen
Natur man sich also nicht aussprechen könne.
Zu eigentümlichen Vorstellungen über das Diphtheriegift kam
M a r t i n ^) bei einem Versuche, dasselbe aus dem diphtherieinfizierten
menschlichen Körper zu isolieren. Die diphtherischen Membranen
wurden in absoluten Alkohol gelegt und mit einer lOprozentigen Koch-
salzlösung ausgezogen. Dieser Auszug ist giftig, soll nach Martin
aber wirklich wie ein Enzym aus dem Eiweiß der Menschen giftige
Albumosen (Hetero-, Proto- und Deuteroalbumose) abspalten.
Die bisher besprochenen Darstellungsverfahren des Giftes geben
nicht nur Stoffe von sehr zweifelhafter Reinheit, da sie die nicht spezi-
fischen Eiweißkörper nicht ausschließen, sondern auch meist nur eine
geringe Ausbeute an Gift, weil namentUch die Behandlung
mit Alkohol es schädigt. Deswegen haben B r i e g e r and
1) Deutseh. med. Woch. 1891. 17.
2) 6 Teile Glyzerin + 4 Teile Wasser.
3) Brit. med. Journ. 1892. 1. 641 ff.
826 Kap. XVI, § 261.
B o e r ^) sich Mühe gegeben, auf anderen Wegen zum Ziel zu gelang<*n
Ein Verfahren, das sie bei der Darstellung der Antitoxine erprobt,
erwies sich auch hier als zweckentsprechend. Sie gingen nämlich aus
von Doppelverbindungen des Giftes mit Metall-
salzen (Quecksilberchlorid, Zinksulfat und besonders Z i n k c h 1 o-
r i d). Die giftige Diphtheriekultur (in Peptonbouillon oder Blut-
serum) wird durch Filter von den Bakterien befreit und mit der doppel-
ten Menge Iprozentigen Zinkchlorids versetzt. In den Niederschlag
geht das Gift vollständig über, bleibt auch ungelöst, wenn es sorg-
fältig mit Wasser ausgewaschen wird. Die Schwierigkeit besteht nun
darin, aus der Zinkverbindung das Gift rein abzuscheiden. Schwefel-
wasserstoff ist nicht anwendbar, da er das Gift zerstört, Natriura-
phosphat ebensowenig, weil es das Gift auch angreift; durch Kohlen-
säure wird die Verbindung mit dem Zink nicht gelöst; Säuren wirken
schon in Spuren schädlich; brauchbar erwies sich erst die Anwendung
schwacher Alkalien imd Mittelsalze, vor allem von Ammoniakverbin-
dimgen. Der gut ausgewachsene Zinkniederschlag wird mit einer dem
ursprünglichen Rauminhalt entsprechenden 3— -6prozentigen Ammo-
niumbikarbonatlösung tüchtig durchgeschüttelt, dann mit soviel
Ammoniumphosphat versetzt, bis alles in Lösung geht, und eine Trübung
durch das ausfallende Zinkphosphat entsteht. Nach Absetzen filtriert
man durch gehärtete Filter, wäscht gut aus und sättigt das Filtrat
mit Ammoniumsulfat: der Niederschlag schließt das Diphtheriegift
vollständig ein. Um mitniedergerissenes Pepton zu entfernen, löst
man in Wasser und schüttelt mit feingepulvertem Natriumsulfat: das
Gift wird dadurch rein ausgefällt, wenn der Nährboden nicht sehr
reich an Eiweiß war. Es zeigt sich jetzt, daß das Diph-
theriegift keine Eiweiß- oder Pe ptonr e aktion
gibt. De n noch ist es ein sehr unbeständiger Kör-
p e r. Säuren, selbst Kohlensäure, Alkohol, Äther, Chloroform, Azeton,
oxydierende Stoffe wie Kaliumpermanganat wirken ebenso wie hohe
Temperatur schädlich, nur schwache Alkalien imd reduzierende Stoffe
unschädlich. Eine Elementaranalyse scheint noch nicht ausgeführt
worden zu sein, da die Gewinnung der nötigen Giftmengen die Ver-
arbeitung gewaltiger Kulturmassen erfordert. Wir dürfen trotzdem
als wahrscheinlich voraussetzen, daß es ein verwickelt gebauter
Stoff ist. Die geringe Diffusionsfähigkeit spricht für ein hohes
Molekulargewicht. Sicherheit dafür haben wir freilich ebensowenig
wie bei den Enzymen (§ 240).
Haben sich die Ansichten über die Natur des Diphtheriegiftes
1) Zeitftchr. f. Hyjr. 21. 267, 1895 und Deutsch, med. Woch. 1896. 49.
Gifte der Kleinweeen. 827
allmählich so weit geklärt, daß man wenigstens sagen kann, was es
nicht ist, daß es also im besonderen nicht zu der bekannten Klasse
der Eiweißkörper und Ptomaine gehört, so ist die E n t s t e h u n g s -
weise des Giftes noch vollständig dunkel. Wir wissen nicht,
aus welchem Stoff die Diphtheriebazillen ihr Gift bilden, sondern nur,
daß bei verschiedener Ernährung die Menge des
gebildeten Gifts sehr erheblich schwankt. So fand
Blumenthal ^), daß auf Lösungen von Eier- und Serumalbumin,
Kasein, Nuklein, echtem Pepton und Antipepton trotz vielfach gutem
Wachstum keine irgendwie erhebliche Giftbildung stattfand. Nach
Z i n n o *) bilden sehr giftige Diphtheriebazillen kein Gift auf eiweiß-
freien Nährböden, Fleischextrakt, auf Eiereiweiß, gereinigten Peptonen
oder Albumosen, wenig auf Serumeiweiß, ziemlich viel auf Hefenuklein,
viel in Pferde- xmd Rindfleischbrühe, am meisten auf einem Grehirn-
infus. Dabei ist aber zu bemerken, daß sie auf manchen dieser Nähr-
böden gar nicht oder sehr spärlich wachsen. Irgendwie bindende
Schlüsse sind aus diesen Angaben nicht zu ziehen, schon weil sie sich
teilweise widersprechen. Doch hat man durch ähnliche Versuche
wenigstens die Bedingungen ermittelt, die es
gestatten, ein möglichst kräftiges Diphtherie-
gift zu gewinnen. In erster Linie kommt es dabei auf die Wahl
des richtigen Bazillenstammes an. Der eine ist giftiger
wie der andere. Nicht immer entspricht einer hohen „Virulenz'', d. h.
einer bedeutenden Wirksamkeit der lebenden Bazillen^), ein starkes
Vermögen Gift zu bilden. Doch werden beide Eigenschaften, Virulenz
Tind Giftigkeit, durch wiederholte Überimpfung auf empfängliche
Tiere (Meerschweinchen) gesteigert. Um die Wirksamkeit der Kulturen
zu erhalten, dürfen sie nicht auf Glyzerinagar fortgepflanzt werden,
sondern auf Blutserum oder auch in Bouillon. Die Kulturen sollen
femer die Eigenschaft besitzen, auf der Oberfläche der B o u i 1-
1 0 n Decken zu bilden, nicht sie gleichmäßig zu trüben. Häufige Über-
tragungen von Bouillon auf Bouillon bei reichlichem Luftzutritt dienen
dazu, diese EigentümUchkeit zu befestigen. Ebenso wichtig wie die
Eigenart der Bazillen ist die Zusammensetzung des Nährbodens, auf
dem das Gift gebildet werden soll. Es sind zahlreiche Vorschriften
dafür angegeben worden, man kann das Ziel offenbar auf verschiedenen
1) Deutsch, med. Woch. 1897. 24.
2) Zentr. Bakt. 31. 2, 1902.
3) Um echte Virulenz, d. h. Wachstumsfähigkeit, handelt es sich hier
wohl nicht, sondern wohl mehr um eine eigentümliche Beschaffenheit der
lebenden Bazillenleiber, die eine Ausscheidung der Gifte bald leicht, bald
schwer macht (s. ii. A r o n s o n , M u r i 1 1 o).
828 Kap. XVI. § 261.
Wegen erreichen^). Viel benutzt sind eineFleischboiüllon mit 2% Pepton
(Witte oder Chapoteau^)), femer in Frankreich die M a r -
t i n sehe Bouillon^), die S p r o n c k sehe Hefeabkochimg*). I>er im
Fleischsaft oft enthaltene Zucker hemmt die Giftbildung, wenn ei
in großen Mengen vorhanden ist, da die Diphtheriebazillen den Zuckei
unter Säurebildung zersetzen und das Gift gegen Säure sehr empfind-
lich ist (s. o.). Doch nur ein Übermaß von Zucker ist schädlich, ein
geringes Maß nach Th. S m i t h ^) sogar nützlich, vielleicht deswegen,
weil durch den Zuckerzusatz das Wachstum befördert und die daraus
gebildete geringe Säuremenge bald neutralisiert wird. Die Erfahrung
lehrt jedenfalls, daß die Kultur erst dann ihre stärkste
Giftigkeit erlangt, wenn sie alkalisch geworden
i s t. Nicht gleichgültig ist auch die anfängliche Reaktion der Nähr-
lösung, sie soll ziemlich stark alkalisch sein. Femer ist für reichlichen
Luftzutritt zu sorgen, am einfachsten in der Weise, daß man in nie-
driger Flüssigkeitsschicht züchtet. Ein kräftiges Diphtheriegift (Filtrat)
soll Meerschweinchen von 250 g in einer Gabe von 0,005 — 0,02 ccm
(unter der Haut verabreicht) binnen wenigen Tagen töten. Auffällig
ist die Unregelmäßigkeit der Giftbildung : auch bei genauester Befolgung
aller Vorschriften macht man gelegentlich recht sonderbare Erfah-
rungen^). Es kann vorkommen, daß von mehreren Kulturenkolben,
die man gleichzeitig und mit demselben Diphtheriestamm geimpft
und unter anscheinend den gleichen Bedingungen gehalten hat, der
eine viel Gift, der andere gar keins liefert. Als Giftlösungen benutzt
man entweder die keimfreien Filtrate oder noch einfacher ganze Kul-
1) Vgl. dazu auch M a d s e n , Diphtherietoxin in Kraus und
Levaditi, Handb. 1, 1907.
2) Nach H i d a , Zeitschr. f. Hyg. 61. 273, 1908, sind es die Deutero-
albumouen im Pepton, die für die Giftbildung am wichtigsten sind.
3) Annal. Pasteur 1898. 26. Besteht aus gleichen Teilen einer Kalb-
fleischkochsalzbouillon und einer Peptonlösung, die man sich selbst be
reitet aus 200 g fein zerhacktem Schweinemagen, 10 g Salzsäure, 1000 g
Wasser (24 Stunden bei 50 •, dann abziehen, kurz aufkochen, 2 Tage stehen
lassen, heiß neutralisieren, Kochen, Filtrieren).
4) Annal. Pasteur 1898. 701. 1 Teil Hefe wird mit 20 Teilen Wasser
20 Minuten unter Umrühren gekocht; dann wird abgegossen, mit Koch-
salz und Pepton versetzt, neutralisiert.'
5) Joum. exper. med. 1899. Das Fleisch wasser, das durch Aus-
ziehen von ganz frischem gehacktem Fleisch in der Kalte bereitet worden
ist, filtriert und neutralisiert man, stellt es über Nacht mit Colibazillen
geimpft in den Brutschrank, um den Fleischzucker daraus zu entfernen
imd verarbeitet es dann in der üblichen Weise (nach nochmaliger Neutrali-
sierung) mit Peptonzusatz zu Nährbouillon. Die Diphtheriebazillen sollen
darin ein starkes Gift bilden.
6) Madsen, Zeitschr. f. Hyg. 26, 1897.
Gifte der Klein weeen. 829
tnien, die man durch tagelange Berührung und wiederholtes Schütteln
mit Toluol keimfrei macht, und aus denen man die nötigen Mengen
mittelst Pipetten entnehmen kann. Siehaltensich, imDun-
keln und kühl aufbewahrt, monatelang. Doch ver-
mindert sich allmählich ihre Giftigkeit und es bilden sich dabei Ab-
arten des Gifts (s. u. Toxoide § 262).
Etwas mehr weiß man über den Ort der Giftbildung. Die von
mancher Seite vertretene Ansicht, daß das Diphtheriegift ein soge-
nanntes Stoffwechselprodukt sei, das außerhalb der Zellen aus
dem Nährmaterial gebildet, also z. B. durch eine Art Ferment aus
den Eiweißstoffen der Nahrung abgespalten würde, ist unhaltbar.
Man hat sie dadurch vriderlegen wollen, daß man auf die Giftigkeit
von Kulturen in eiweißfreien Nährböden wie Asparaginsalzlösung^),
Ham^, dialysiertem Harn^) hinwies. Aber abgesehen davon, daß die
betreffenden Angaben nicht ohne Widerspruch geblieben sind, weil
andere Autoren in solchen Nährböden überhaupt keine Entwicklung
der Diphtheriebazillen beobachteten, macht Z i n n o *) mit Recht
darauf aufmerksam, daß in jedem Falle die Entwicklung und die Gift-
bildung auf solchen Nährböden eine sehr geringe sei und die dazu
nötigen Spuren von Eiweiß leicht durch Verunreinigungen oder auf-
gelöste Bakterienleiber geliefert sein könnten. Entscheidend ist da-
gegen die Tatsache, daß die Leiber der Diphtheriebazil-
len selbst giftig sind. Sehr wahrscheinlich wird das ja schon
dadurch, daß man mit geringen Mengen der Bazillen, die von festen
Nährböden entnommen sind, Tiere unter den bekannten Erschienungen
töten kann und dabei manchmal Mühe hat, an der Impfstelle die Ba-
zülen wiederzufinden oder sie in einem Zustande findet, der auf Ab-
gestorbensein deutet. Den immittelbaren Beweis hat dann K o s s e 1 ®)
geliefert, indem er die Bazillenhäute aus flüssigen Kulturen sammelte,
sie mit Kochsalzlösung unter Benutzung der Zentrifuge mehrfach aus-
wusch, so daß jede Spur der anhaftenden Bomllon beseitigt war, sie
dann mit Chloroform abtötete und 3 Tage lang mit Iprozentiger Natron-
lauge auszog. Der Extrakt erwies sich als giftig. B r i e g e r und B o e r
1) Ouschinsky, Arch. m6d. exp6r. 1893 ; vgl. dagegen C. F r ä n -
kel, Hyg. Rundschau 1894. 769.
2) Guinochet, Compt. rend. sog. biol. 1892. 380.
3) Brieger und B o e r a. a. O.
4) a. a. O. S. 43. Um welche Spuren es sich da handelt, ergibt sich
aus folgender Rechnung. 600 ccm lOtägige Diphtheriebouillon enthielten
120 000 für Meerschweinchen tödliche Gift dosen, aber nur 225 mg trockene
Bakteriensubstanz, 600 ccm Ouschinskysche Kultur enthielten bestenfalls
400 Giftdosen und dementsprechend vielleicht kaum 1 mg Bakterien.
5) Zentr. Bakt. 19, 1896.
830 Kap. XVJ, § 261.
erzielten dasselbe Ergebnis, wenn sie die Bazillenleiber mit konzen-
triertem Ammoniumchlorid mehrere Stunden lang schüttelten oder
20 Stunden stehen ließen. In größeren Mengen und in ziemlich reinem
Zustand, d. h. ohne gar zu erhebliche Beimischung von Eiweißkörpem.
läßt sich Gift nach Aronson^) aus den Bazillen gewinnen, wenn
man sie vorher mit Alkohol usw. entfettet und dann im Schüttel-
apparat mit 0,1% Äthylendiaminlösung oder ähnlichen Basen aus-
zieht^). Für Tiere sind die Bazillen selbst sehr giftig, wenn sie nicht
entfettet sind, viel weniger im umgekehrten Falle, weil die Bakterien-
körper dann offenbar für die tierischen Säfte schwer angreifbar ge-
worden, „gehärtet'^ sind^). Murillo^) zeigt schließlich, daß man
durch SelbstverdauungderBazillen imter Toluol ( § 166)
die stärksten Gifte erhält. Wenn somit sicher ist, daß die Diphtherie-
bazillen ihr Gift in ihrem Körper bilden, so ist es ebenso gewiß, daß sie
es in beträchtlichen Mengen ausscheiden. Es hat sich aber darüber ein
Streit entsponnen, ob die Bakterien das Gift während ihres Lebens,
also als „Sekret" ausscheiden, wie sie auch Enzyme absondern, oder
ob das Gift erst nach dem Tode der Bazillen aus den Leibern aus-
gelaugt wird, also als ,,Endotoxin" anzusehen ist. G a m a 1 e i & ^)
hat die letztere Auffassung damit begründet, daß in den flüssigen
Kulturen der Diphtheriebazillen während der ersten Tage trotz leb-
hafter Vermehrung nur wenig Gift nachzuweisen sei, dasselbe aber in
der Kulturflüssigkeit (bzw. den Filtraten davon) um so reichlicher
auftrete, je älter die Kulturen werden, je mehr Bazillen also absterben
und von der alkalisch gewordenen Flüssigkeit ausgelaugt werden
können. Die Tatsache ist im allgemeinen nicht zu bestreiten. So mtd
der Höhepunkt der Giftbildung gewöhnlich erst nach Wochen erreicht.
M a r i 1 1 o fand allerdings ein erstes Maximum in der zweiten Woche,
dann ein Absinken und ein zweites Maximum in der vierten Woche.
Wahrscheinlich kommen hier große Schwankungen vor, die wohl mit
der Wachstumsschnelligkeit und Autol}^ierbarkeit der Bazillen zu-
sammenhängen. So kann nach K o s s e 1 (a. a. 0.) die Giftbildung
unter Umständen auch in den ersten Tagen der Kultur recht beträcht-
lich sein. Möglicherweise sterben in solchen Fällen die Bazillen schneller
als sonst ab. Daß eine gewisse, je nach der Spezies wechselnde Zahl von
1) Arch. f. Kinderheilk. 30, 1900.
2) 0,5 mg der daraus durch Essigsäure gefällten Substanz töteten
Meerschweinchen von 250 g in 2 Tagen.
3) So erzeugton z. B. 10 mg gehärtete Bazillen nur ein örtliches
Infiltrat.
4) Zentr. Bakt. 35, 1903.
5) I.es poisons bacteriennea. Paris 1892.
Gifte der Kleiiiwesen. 831
Individuell in allen Bakterienkulturen schon recht früh zum Absterben
klangt, davon kann man sich leicht überzeugen (§ 36). Auf der anderen
Seite ist es freilich auch nicht auszuschließen, daß die Bazillen schon
während des Lebens Gift ausscheiden, dann muß man aber mindestens
zugeben, daß das erst in einer späteren Periode ihres
Lebens, die man vielleicht am besten als die des Absterbens
bezeichnet, geschieht. Wir werden später sehen, daß es viele Bakterien
gibt, bei denen man mit noch größerem Recht als bei den Diphtherie-
Bazillen annehmen darf, daß ihr Gift erst nach ihrem Tode aus den
Leibern frei wird (s. namentlich bei den Ruhrgiften § 289). Uns scheint
der Unterschied in den beiden Auffassimgen nicht gerade erheblich zu
sein. Auch bei den yerdauung8enz}inen der Mikroorganismen (§ 240)
haben wir gesehen, daß eine scharfe Grenze zwischen den „Ekto-'* und
„Endoenzjrmen^' nicht gezogen werden kann. Immer handelt es sich
um Produkte des Zellebens, der Unterschied besteht nur darin, daß
diese Produkte das eine Mal fester, das andere
Mal weniger fest den Zellkörpern anhaften und
darum schwerer oder leichter aus ihnen ausge-
schieden werden (vgl. § 272).
Neben dem bisher besprochenen „Ektotoxin" oder eigentlichen
.Toxin", gewöhnlich als Sekret bezeichneten Gift scheint der Diph-
theriebazillus noch ein anderes zu erzeugen. Es haftet dem Bakterien-
körper fester an, ist viel weniger kräftig und wird durchdieSiede-
hitze nicht zerstört. Schon bei R o u x und Y e r s i n finden
wir darüber Andeutungen (s. o.). B r i e g e r und B o e r fanden weiter,
daß die Bazillen, wenn ihnen das hitzempfindliche Gift durch Ammo-
niumchlorid entzogen ist, noch nicht für Tiere unschädlich geworden
sind. 10 mg der getrockneten Bakteriensubstanz töten Meerschwein-
chen von 500 g allmählich unter Nekrotisierung und Eitening an der
Impfstelle. Wahrscheinlich ist damit das „Pyrotoxin", das C e n -
t a n n i ^) wie aus vielen anderen, so auch aus den Diphtheriebazillen
durch eingreifende Behandlung erhielt, verwandt. Das von B r i e g e r
und Boer gewonnene Präparat war allerdings wohl faäftiger wirk-
sam, weil es noch Spuren des echten Diphtheriegift« enthielt. Nach
A r 0 n s o n beteiligen sich übrigens auch nachträglich eingewanderte
iiemde Bakterien an den genannten örtlichen Erscheinungen. Ob
mit diesem in den Leibern der Diphtheriebazillen steckenden Gift das
1) S. u. § 280. Nach E s c h e r i c h (Ätiol. und Pathol. d. epidem.
Diphth. 1894) hat schon Schweig höfer nach der Buchner-
Römer sehen Methode ein „ProtPin" ans den Diphtheriebazillen dar-
gestellt, das ähnliehe Eigenschaften hatte, aber (wegen seiner geringen
Konzentration ?) keine Nekrosen hervorrief.
832 Kap. XVI, § 261 u. 262.
„Endotoxin" Rists^), das er durch Behandeln der Ba2dllen mit
Äther, Alkohol und Schwefeldämpfen gewann, und das die spat ent-
stehenden und durch die Heilserumtherapie nicht vermeidbaren Lah-
mungen bei menschlicher Diphtherie — aber auch im Tierversuch —
verursachen soll, etwas zu tun hat, bleibt vorläufig zweifelhaft.
Wie sich das von A u c 1 a i r ^) durch Ätherausgezogene,
in Wasser unlösliche Gift (vgl. § 260), das auch örtlich reizende Eigen-
schaften entwickelt, verhält, ist ebenfalls noch auszumachen.
Beifant i. ^) will zwar nichts von einem besonderen Endotoxiii
wissen, das Vorhandensein von „Leibesgiften'' auch der Diphtherie-
bazillen ist aber wohl kaum zu bestreiten, wenn wir auch über seine
Bedeutung für die Infektion und seine etwaigen Beziehungen
zum Antitoxin des Immunserums noch wenig wissen. Um so
besser sind wir in dieser Hinsicht unterrichtet bei dem eigentlichen
Diphtheriegift, das ja neben dem Tetanusgift das erste Gift ist, dessen
imtnunisierende Eigenschaften man durch Behring kennen gelernt hat
Genaue Untersuchungen darüber, die wir namentlich Ehrlich
verdanken, haben Tatsachen ergeben, die für einen recht verwickelten
Bau des Giftes sprechen. Neben dem akut wirkenden Toxin im engeren
Sinne enthält nämlich jede Diphtheriegiftlösung noch ein T o x o n ,
das viel langsamer und schwächer wirkt und charakteristische Läh-
mungen verursacht^); aus beiden entstehen durch allmähliche Ver-
änderung mehr oder weniger unwirksame T o x o i d e (imd Toxo-
noide ?). Wir müssen, um diese Verhältnisse zu verstehen, im folgenden
etwas weiter ausgreifen.
§ 262. Bau des Diphtheriegifts. Toxoidc. Unsere Kenntnisse
von dem Bau der immunsierenden Bakteriengifte (Impfgifte S. 792)
sind wesentlich gegründet auf die Arbeiten Ehrlichs über das
Diphtheriegift. Sie gingen aus von den älteren Feststellungen über die
Beziehungen des Giftes zu seinem Antitoxin. Seit der Entdeckung
der antitoxischen Immunsera durch Behring und Kitasato
(1890) war bekannt, daß das Antitoxin, wenn es mit dem
Gift in Berührung gebracht wird, dessen Wirkung aufzuheben
vermag. Behring hatte dabei bald von einer Neutralisierung des
Giftes, bald von einer Zerstörung durch ein Gegengift gesprochen,
erklärte also die Wirkung durch unmittelbare Beziehung der beiden
1) Öoc. biol. 1903 (Baumgartens Jahrb. 1903. 214).
2) Arch. mM. exper. 1903. 725.
3) Zentr. Bakt. 47, 1908.
4)Löffler, Roux und Y e r s i n u. a. beobcichteten schon
solche Lähmungen bei Diphtherie tieren und die letzteren stellten ein „Lah-
mungÄgift" a\is den Organen und dem Harn diphtheriekranker Kinder dar.
Gifte der Kleinwesen. 833
Arten von Stoffen aufeinander, ohne die chemische Natur der Vor-
gänge in irgendeiner Weise festzulegen^). Demgegenüber vertraten
Büchner^) und R o u x ^) die Auffassung, daß die Antitoxine
mittelbar erst durch Beeinflussung der Abwehrkräfte des lebenden
Körpers wirkten. Wir kommen auf die eigentümlichen Beobachtimgen,
auf die die letzteren Forscher ihre Ansicht stützten, später zurück.
Ihre Einwände haben nicht verhindern können, daß die erstere Auf-
fassung, und zwar in der von Ehrlich vertretenen Form, nach der
das Gift durch das Aintitoxin chemisch gebunden wird, immer mehr
durchgedrungen ist. Vor allem trug dazu bei dienamentlichbei
vorheriger Vermischung des Gifts mit dem Anti-
toxin im Reagensglas deutlich hervortretende Tatsache, daß,
wenn eine bestimmte Menge a des Gifts durch die Menge b des Anti-
toxins unschädlich gemacht wird, das gleiche erfolgt, sobald man
ein Vielfaches von a und b, z. B. xa und xb nimmt. Diese Propor-
tionalitat zwischen Gift und Gegengift oder das „Gesetz der Multipla"
gilt allerdings beim Diphtheriegift nur dann, wenn man mindestens
von der fünf- bis zehnfachen tödlichen Gabe des Giftes als Anfangs-
gabe ausgeht. Die Erklärung dafür liegt nach Cobbetts und
Eanthacks sehr wahrscheinlicher Deutung^) daran, daß man bei
Absättigung einer kleinen Gabe (a) z. B. der einfach tödlichen mit
Antitoxin (ß) Gefahr läuft, zu wenig vom letzteren zu nehmen, weil
ein gewisser Teil des Giftes schon vom normalen Tier anstandslos
vertragen wird, also nicht vom Immunserum neutralisiert zu werden
braucht. Nimmt man jetzt ein Vielfaches xa der tödlichen Gabe und
xa
x^ des Antitoxins, so ist die Giftmenge nicht dadurch neutralisiert,
n
der Körper kann aber nach wie vor nur - unschädlich machen, es
n
bleiben also (x — 1). — des Giftes überschüssig, das Gesetz der Multipla
stimmt dann also scheinbar nicht. Ist z. B. n = 20, was vielleicht
annähernd der Wirklichkeit entspricht, so würde der Giftüberschuß
schon bei einer 21 fachen Menge (x = 21) gleich einer tödlichen
1) Vgl. Behring, Infektion und Desinfektion, 1894.
2) Münch. med. Woch. 1893. 23/24; Berl. klin. Woch. 1894. 4, femer
Schutzimpfung usw. Handbuch der speziellen Therapie von Penzoldt-
Stintzing 1894.
3) Annal. Pasteur 1894. 624 und 722 (Bericht vom Budapester Kon-
4) Zentr. Bakt. 24. 129, 1898.
Krnse, Mikrobiologie. 53
834 Kap. XVI, § 265?.
Gabe sein. Wählt man dagegen von vornherein eine höhere Menge
des Giftes als Ausgangspunkt, so spielt die Giftmenge — eine viel ge-
ringere Rolle und kommt nur jenseits der üblichen Grenzen der Ver-
suche noch in Betracht. In jedem Falle ist natürlich bei der Neutra-
lisierung des Giftes durch das Immimserum darauf zu achten, daß
die Giftwirkung vollständig aufgehoben wird, die Einspritzung
also ohne die geiingsten Folgen für das Versuchstier, oder wie man zu
sagen pflegt, „glatf verläuft. Das Gesetz der Proportionalität zwischen
Gift und Gegengift ist im allgemeinen auch sonst bestätigt und damit
bewiesen worden, daß eine unmittelbare Reaktion zwischen beiden,
die nicht der Beteiligung des lebenden Körpers bedarf und ebensowenig
etwa eine fermentative Einwirlnmg des Antitoxins auf das Gift, son-
dern eine Verbindung zwischen beiden anzimehmen ist. Am beweis-
kräftigsten sind in dieser Beziehung die Versuche mit Rizin (Ehr-
lich^)), Tetanolysin (Ehrlich § 312), Aalblut (Camus und
G 1 e y, K o s s e 1*)), Froschblut (Friedberger und S e e 1 i g^)),
anderen Bakteriohämolysinen (Kraus u. a. § 312 u. 313)undLeukozidin
(§ 317), weil sie erlauben, die Wirkung des Giftes imd Gegengiftes
ganz und gar im Reagensglas zu studieren, also die Beteiligung des
lebenden Körpers auszuschließen.
Die genaue Verfolgung des Bindungsvorganges zwischen Tetano-
lysin und seinem Antikörper hat Ehrlich*) weiter zu dem Schluß
geführt, daß sich dabei ähnliche Verhältnisse ergeben, wie sie die Qiemie
namentlich von der Bindung der Doppelsalze her kennt. Er fand näm-
lich, daß die Bindung in konzentrierten Lösungen
viel schneller vor sich geht als in verdünnten,
in der Wärme schneller als in der Kälte. Für das Tetanus-
toxin (Tetanospasmin) und andere Bakteriengifte hat man diesen Ein-
fluß bestätigen und teilweise die Verbindung des Toxins mit dem
Antitoxin durch künstliche Eingriffe (Filtration, Erhitzung, Verdauung.
HgOg usw.) lösen können (§278). Beim Diphtheriegift sind dergleichen
Unterschiede weniger leicht zu erkennen, weil seine Verwandt-
schaft zum Antitoxin enger ist, die Bindung durch-
schnittlich schneller erfolgt. Doch haben manche Erfahrungen gelehrt,
daß auch hier die Zeit für denvollständigen Ver-
lauf der Reaktion von Bedeutung ist (s. u. S. 840)
und daß unter Umständen das Gift auch aus der neutralen Mischung
1) Fortschr. d. Medizin 1897. 2.
2) Berl. klin. Woch. 1898.
3) Zentr. Bakt. 46, 1908.
4) Klin. Jahrb. 6. 309, 1897.
Gifte der Klein weeen. 835
mit seinem Seium wiedergewonnen werden kann (§ 278). Bei der
gewöhnlichen subkutanen Einverleibung der Toxin- Antitoxinmischungen
spielt das aber keine Rolle.
Wichtiger für uns sind zunächst die verwickelten Verhältnisse,
die Ehrlich^) und seine Schüler beim näheren Studium des Diph-
thenegiftes festgestellt haben. Ehrlich fand, daß dasGiftVer-
Änderungen unterliegt und aus verschiedenen
Bestandteilen besteht, die ungleiche Wirkung
auf den lebenden Körper und ungleiche Ver-
wandtschaft zum Antitoxin besitzen imd gab dafür
Erklärungen, die auch noch sonst in der Lehre von den Giften und
der Immunität vielfache Anwendung gefunden haben. Den Anlaß
zu seinen Untersuchungen bot die Aufgabe, für die Wirksamkeit des
Diphtherieserums in der praktischen Medizin auch im Laboratorium
einen brauchbaren Maßstab zu finden. Dabei ergab sich zimächst die
Schwierigkeit, daß es unmöglich war, ein Diphtheriegift von imver-
änderlicher Wirkung zu bekommen. Die verschiedenen Konservierungs-
verfahren hindern nicht, daß die Giftigkeit der Diphtheriebouillon
sich mit der Zeit bald schneller, bald langsamer, manchmal in fast
launischer Weise abschwächt. Glücklicherweise verhält es sich um-
gekehrt mit dem Gegengift: das Immunserum kann im trockenen
Zustand und im luftleeren Baum ohne Einbuße seiner Wirksamkeit
unbeschränkt lange aufbewahrt werden, es eignet sich also hervor-
ragend als fester Maßstab. Am besten geht man dabei von dem sog.
Normalserum Behrings aus, das in einer Menge von 0,1 ccm
das Zehnfache der einfach tödlichen Gabe eines ursprünglich benutzten
Diphtheriegifts neutralisiert, in 1 ccm also soviel Antitoxin ent-
hält, um 100 tödliche Gaben unschädlich zu machen. Man nennt diese
letztere Antitoxinmenge auch eine Immunitätseinheit (IE).
Als einfach tödliche Gabe oder auch Gifteinheit (DL^)) wird diejenige
Menge eines zu prüfenden Giftes bezeichnet, die, Meerschweinchen
von 250 g unter die Haut des Bauches eingespritzt^), binnen durch-
schnittlich 4 Tagen*) tötet. Ihre absolute Größe schwankt bei den
1) Die Wertbemeesung des Diphtherieheilserumä. Klin. Jahrb. 6,
1897; Deutsch, med. Woeh. 1898. 38; Berl. khn. Woch. 1903. 35—37
(vgl, auch aeine „Gesammelten Arbeiten zur Immunitätsforschung** 1904).
2) Dosis letalis.
3) Stets wird der Gleichmäßigkeit halber bei allen diesen Versuchen
die Flüssigkeitsmenge von 4 ccm und eine etwfius stumpfe Kanüle gewählt,
die in der Gegend des Proc. xiphoides in der Längsrichtung zwischen Haut
und Muskeln eingeschoben wird.
4) Die verschiedene Empfänglichkeit der Tiere bedingt Schwan-
kungen von einigen Tagen (s. u. die Tafeln in § 264).
53*
836 I^p. XVI, § 262.
einzelnen Giften erheblich, ebenso die Zahl der tödlichen Gaben, die
von einer Inxnmnitatseinheit neutralisiert wird. Um das betreffende
Diphtheriegift genauer zu charakterisieren, empfiehlt es sich nach
Ehrlich außer DL noch folgende „Grenzwerte" festzustellen:
1. Lq^), d. h. die Giftmenge, die von einer Inununitätseinheit so
vollständig neutralisiert wird, daß die Mischung^) bei Meerschweinchen
nicht die geringsten Veränderungen hervorruft, sie kann auch aus-
gedrückt werden durch die Zahl a der einfach tödlichen Gaben:
Lo= a . DL.
2. L_|.^), d. h. die Giftmenge, die mit einer Immimitätseinheit
vermischt, gerade noch die Meerschweinchen binnen 4 Tagen tötet.
Man könnte denken, daß L^ eine tödliche Gabe mehr enthielt
als Lq, d. h. daß L _^ = «DL + DL . In Wirklichkeit ist das aber
nicht oder wenigstens nur ausnahmsweise der Fall (s. Tafel A). Viel-
mehr muß man ß+ l tödliche Gaben zu Lq hinzufügen, um zu L_
zu gelangen, es ist also
L+=(a+i9+l)DL.
Wir werden später die Erklärung dafür erhalten.
Die folgende Tafel A (S. 837) gibt eine Anzahl*) solcher Gift-
bestimmungen nach Ehrlich, Madsen^), Dreyer, Mad-
s e n •) und Morgenroth'') wieder. Sie zeigt zunächst die starke
Veränderlichkeit von DL, Lq, L_j., a und ß. Es erhellt aus einigen dieser
Zahlen (Nr. 4, 12, 14, 15) weiter die Tatsache, daß eine und die-
selbe Di ph t h e r i e gif t lö s un g im Laufe der Zeit
sehr erheblich an Giftigkeit einbüßt, dabei aber
ihr B i n du ngs ve r m ö ge n für das Diphtherieanti-
toxin, das sich in der absoluten Größe für Lq und
L4. ausdrückt, nicht zu verändern braucht. (Auf
die Ausnahmen davon, die in der Tafel auch zu finden sind, kommen
wir später zurück.) Ehrlich hatte ähnliches schon beim Tetanus-
gift beobachtet und daraus auf die Entstehung von ungiftigen, aber
doch noch bindefähigen ,,Toxoiden" aus den Toxinen geschlossen.
1) = Limes O.
2) Man läßt die Mischung zweckmäßig etwa ^/^ Stunde bei Zimmer-
temperatur stehen.
3) = Limes Tod ( +).
4) Die späteren Giftbestimmungen M a d s e n s (Zentr. Bakt. 34, 36
und 37) werden hier nicht aufgeführt (vgl. weiter unten § 276).
5) Annal. Pasteur 1899. 801.
6) Zeitsehr. f. Hyg. 37. 250, 1901.
7) Ebenda 48, 1904.
Gifte der Kleinwesen.
837
Tafel AI).
DL
•
L„
•
1
\a+ß+l
a
1
ß+l
m ccm
m ccm
m ccm
1
1.
|0,07
2,8
2,3
40
33
7
2.
;o,o3
1,25
0,95
42
32
10
3.
, 0,0125
0,48
0,415
39
33,2
5,8
4s.
0,003
0,305
100
4b.
0,009
0,355
0,305
39,4
33,4
6
5.
0,02
1,15
0,95
57,5
47,5
10
6.
0,027
3,05
2.6
113
96
17
7a.
1
0,008
7b.
0,0165
1 1,26
0,9
76,3
54,4
; 22
8.
0,014
0,59
0,5
42
35,7
6,3
9.
1
0,0039
0,48
0,42
123
108
15
10. 1
0,001
0,0292
0,0275
29,2
27,5
1.7
11.
0,075 (mg)
0,0084
0,0063 (mg)
1 112
84
28
12a.
0,0025
0,25
0,125
100
50
i 50
12b.
0,003
! 0,26
0,125
' 87
42
45
r2c.
0,003
0,26
0,210
87
70
: 17
12d.
0,004
0,26
0,210
, 65
52
13
1
13.
0,04
3.2
2,6
80
65
15
14a.
1
0,042
2,6
3
62
V
■
1 »
•
1
14b.
0,084
2,6
2,1
31
25
: 6
i
14c.
0,126
3,1
2.1
24,6
16,6
; 8
14d.
0,15
3,1
2,1
' 21
14
7
15a.
0,006
0,82 1
0,6
136,7
100
36,7
15b.
0,009
0,82
0,6
91
66
25
16.
0,0033
•
0,44
• i
133
•
17.
0,0076
0,76 ;
0,6
100 '
79
21
18a.
0,0015
0,2
0,05
133 1
33
100
18b.
0,0027
0,2
0,05
74 ;
18,5
55,5
19. 1
0,011
0,78 i
0,6
70 !
55
15
1) Nr. 1 — 12 nach Ehrlich. Nr. 11 trocken konserviertes Gift
(Behring). Die Buchstaben a, b, c, d hinter den Zahlen bedeuten
dasselbe Gift zu 2—4 verschiedenen Zeiten. Nr. 13—16 nach M a d s e n.
^r. 17 nach Dreyer und Madsen a. a. O. Nr. 18 nach Dreyer
und Madsen Festschrift des Serimiinstituts Kopenhagen 1902; vgl.
Madsen Zentr. Bakt. 34. 7, 1903 und Ehrlich (1903). Nr. 19 nach
Morgenroth a. a. O. und von Dungern Deutsch, med. Woch.
1904. 8.
838 Kap. XVI, § 292 u. 263.
Nach ihm kann man sich das Giftmolekül ursprünglich
bestehend denken aus einem Kern, an dem eine
giftige (toxophore) und eine bindende (hapto-
phore) Atomgruppe befestigt sind. Durch die letz-
tere vereinige es sich mit einer entsprechenden Bindegruppe des Anti-
toxinmoleküls. Das Stehen des Giftes im Brutschrank oder das Lagern
im Eisschrank zerstöre die giftige Gruppe teilweise, während die bin-
dende übrigbleibe. Stärkere Schädlichkeiten, wie Temperaturen
von 60 bis 100^, Jodtrichlorid, Jodlösung u. a. m. vernichten gewöhn-
lich nicht nur die toxophore Gruppe vollständig, so daß ganz ungiftige
Lösungen entstehen, sondern auch einen Teil der bindenden Gruppen.
Gerade diese giftfreien, aber doch noch bindefähigen Lösungen sind
es aber auch, die die Immunisierung — wenigstens kleiner Tiere^) —
gegen Diphtherie, Tetanus usw. ermöglichen. Der Gedanke, daß die
bindenden Gruppen auch die immunisierenden
seien, liegt also nicht fem. In der Tat zieht Ehrlich diesen
Schluß imd geht noch weiter, indem er auch die giftbindenden Gruppen
in den lebenden Tierzellen mit denen der Antitoxine identifiziert. Wir
werden auf diese Ehrlich sehen „Seitenkettentheorie*^ später
(§ 279) zurückzukonmien haben, hier geht sie uns nicht weiter an,
da es ims nur auf die Beziehungen des Diphtheriegiftes zu seinen
Antitoxinen und die daraus für seinen Bau zu ziehenden Schlüsse
ankommt.
§ 263. Diphtherie-Toxone. Außer den ungiftigen Toxoiden.
deren Auftreten hauptsächlich die Abschwächung des Diphtherie-
giftes erklärt, finden sich neben den vollgiftigen Toxinen in der Gift-
bouillon von Anfang an noch die schwächer und in anderer Weise
giftigen T o x o n e 2) , die dadurch nachweisbar werden, daß die Er-
scheinungen, die sie am Tier hervorrufen, anderer Art sind als die der
echten Toxine und daß ihreVerwandtschaftzudenAnti-
toxinen — die „Avidität" ihrer haptophoren Gruppe — eine
geringere ist als die der Toxine und Toxoide. Die
Tatsachen, die er bei Ermittelung der L 4.- Gabe des Diphtheiiegiftes
beobachtete, haben Ehrlich zur Aufstellung der Toxone geführt.
Man erhält, wie wir oben gesehen, die L^-Gabe, indem man zu einer
Immunitätseinheit Diphtherieserum zunächst soviel Diphtheriegift
zusetzt, wie durch das Serum noch vollständig neutralisiert werden
kann, es ist das Lq, oder um ein Beispiel Madsens zu wählen*),
1) Große Tiere, wie z. B. Pferde, können auch mit starkem Gift*
allein immunisiert werden.
2) Vgl. auch Anm. 4 auf S. 832.
3) In unserer Tafel Nr. 13.
Gifte der KleinweHen. 839
2,6 ccm einer Diphtheriebouillon, die in einer Menge von 0,04 Meer-
schweinclien von 250 g in 4 Tagen tötet. 2,6 ccm enthalten danach
65 einfach tödliche Gaben. Jetzt steigert man die Giftmenge, die man
zu der Immunitätseinheit zusetzt, allmählich auf 2,7, 2,8, 2,9 usw.
bis 3,3, indem man die betreffenden Serumgiftmischungen immer frisch
anfertigt und gleichzeitig einer Anzahl von 250 g schweren Meer-
schweinchen einspritzt. Die Tafel bei M a d s e n lehrt uns, daß die
Tiere, die bei einer Gabe von 2,6 ccm noch keine Krankheitserschei-
nungen hatten, auch wenn sie 0,4 ccm, d. h. das Zehnfache der einfach
tödUchen Gabe zu Lq zubekommen haben, der Regel nach nicht schnell
zu sterben pflegen, sondern zueist nur leichte Störungen, vorüber-
gehende Schwellung an der Impfstelle aufweisen,
dann zwar sterben, aber erst nach mehreren Wochen, und ohne daß
sie andere Veränderungen als Lähmungen zeigten. Ganz anders
verhalten sich Meerschweinchen, denen man Bruchteile, z. B. V2 — V4
einer einfachen tödlichen Gabe allein beibringt : sie bekommen aus-
gedehnte Verhärtungen, die Haut stirbt darüber
ab, die Haare fallen in weitem Umfange aus, und
sie sterben früher oder später doch noch unter
starker Abmagerung, aber gewöhnlich ohne Läh-
mungen. Erst wenn man näher an die tödUche Gabe herankommt,
werden Lähmungen häufiger^). Man darf daher annehmen, daß in
dem genannten Beispiel der Zusatz von 0,4 ccm Bouillon zu dem glatt
neutralisierten Toxin- Antitoxingemisch (Lq + 1 IE) — kein eigent-
liches Gift aus seiner Bindimg mit dem Antitoxin freigemacht hat,
sondern ein andersartiges schwächeres Gift, das Ehrlich jetzt
Toxon nennt imd früher Epitoxoid genannt hat, um damit auszudrücken,
daß es von dem Antitoxin erst nach dem Toxin und den Toxoiden
gebimden wird, also eine geringere Verwandtschaft zu ihm haben muß.
Erst wenn wir uns der Grenze L.,. nähern, in unserem Beispiel bei
Zugabe von 3,1 ccm Gift zu der Immunitätseinheit, tritt bei den meisten
Tieren die echte Giftwirkung hervor, sie sterben aber durchschnittlich
erst erheblich später als bei der akuten Vergiftung (4 Tage), die
ihrerseits erst dann möglich ist, wenn neben den Toxonen noch
eine einfach tödliche Giftgabe keine Verbindtmg mit dem Antitoxin
T^ttehr findet, d. h. bei Giftmengen von 3,2 ccm.
Während die Toxoide bisher noch nicht von den Toxinen getrennt
aind, scheint das bei den Toxonen manchmal zu gelingen. C a 1 c a r *)
ging zu dem Zwecke so vor, daß er eine Diphtheriegiftbouillon zimächst
1) Vgl. darüber besonders Morgenroth, Zeitschr. f. Hyg. 48,
'l 1904.
2) Berl. klin. Woch. 1904. :\9,
840 Kap. XVI, § 263 u. 264.
auf dem gewöhnlichen Wege durch Dialyse möglichst von Salzen j
Peptonen usw. reinigte, dann die Dialyse wiederholte mit einer Mem^
bran, deren Spannung er künstlich verstärkt hatte. Jetzt ging auelj
das Toxin hindurch, und er erhielt schließlich eine Lösung, die frej
war von echtem Toxin, aber noch Toxonwirkung zeigte. Erst wenij
die Spannimg der Membran noch weiter verstärkt wurde, dialysiert^
auch das Toxon, während nur das Eiweiß zurückblieb. Der Ver8uch|
würde also, wenn sein Ergebnis sich bestätigte^), lehren, daß d a s|
Molekül des Toxins größer ist als das des Peptons,
aber kleiner als das des Toxons, und daß das Toxon -
molekül kleiner ist als das Eiweißmolekül.
Alle Erfahrungen, die über die Absättigung von Diphtheriegift
durch antitoxische Sera vorliegen, sprechen dafür, daß das Toxon
zwar eine geringe Verwandtschaft zum Antitoxin hat, aber doch die
gleichen bindenden Gruppen besitzt. So ist es denn auch im Sinne
der Ehrlich sehen Seitenkettentheorie (s. o. S. 838) nicht verwunder-
lich, daß Mischungen von Diphtheriegift und Serum, die so abge-
sättigt sind, daß sie nur freie Toxone enthalten — also in dem Gebiet
zwischen Lq und L_,_ — , Tiere auch gegen das echte Toxin immuni-
sieren. M a d s e n und D r e y e r ^) haben derartige Versuche mit
Erfolg an Kaninchen, Ziegen imd Pferden angestellt. Bei Kaninchen
schien sich dabei die auffällige Tatsache zu ergeben, daß Gift-Anti-
toxinmischimgen, die für Meerschweinchen ganz ungiftig
waren, z. B. Lq, Kaninchen noch unter den Erscheinungen der
Toxonvergiftung töteten, und solche, die bei Meerschweinchen wie
Toxone wirkten, Kaninchen durch echte Toxinvergiftung töteten.
Morgenroth ^) führt in einer methodologisch sehr interessanten
Arbeit diese Ergebnisse darauf zurück, daß M a d s e n und D r e y e r
die Kaninchen ins Blut, die Meerschweinchen imter der Haut impften,
und die Toxin- Antitoxinmischungen unmittelbar nach ihrer
Herstellung einspritzten. Der Unterschied schwindet, wenn
man beide Tierarten vom Blut*) aus oder auch beide von der Haut
aus behandelt, oder wenn man die Mischimg des Serums mit dem Gift
genügend lange Zeit — 1 Stunde bei 40® und 24 Stunden bei 20° —
stehen läßt, ehe man sie den Tieren einverleibt. Soviel Zeit
brauchtnämlichdasGift,umsichmitdemGegen-
gift dauerhaft zu vereinigen. Allerdings macht sich die
1) Nach Römer (ebenda 1905, 8) wäre das nicht der Fall.
2) Zeitechr. f. Hyg. 37, 1901.
3) Berl. klin. Woch. 1904. 20 und Zeitschr. f. Hyg. 48, 1904.
4) Die Einspritzung des Giftes ins Blut gehngt bei Meerschweinchen
am besten durch Einstich in das Herz.
Gifte der Kleinweeen.
841
Notwendigkeit nicht bemerkbar, wenn man die Mischimgen, wie es
gewöhnlich geschieht, unter die Haut einbringt. Daher hatte Ehr-
lich früher geglaubt, die Bindung mit dem Antitoxin erfolge sehr
schnell. Vielleicht übt aber das Unterhautgewebe nur einen beschleu-
nigenden (katalytischen) Einfluß auf die Reaktion gewisser Gifte
und Gegengifte aus (§ 278). Auch insofern beeinflußt dieser Weg der
Einverleibung den Ausfall der Tierversuche mit Diphtheriegift, als
die Unterhaut einen beträchtlichen Teil des freien Gif-
tes festhält und nur den kleineren Teil in die Säfte-
masse übergehen läßt. So kommt es, daß bei Einspritzung unter
die Haut fast dreimal größere Gaben Gift nötig sind, um den Tod an
allgemeiner Vergiftung zu bewirken, als bei Einspritzung ins Blut^).
§ 264. Giftspektren. Proto-, Deutero-, Tritotoxine und
-Toxoide. Wir kommen jetzt zu einem weiteren, von Ehrlich an-
gewandten Verfahren, das die verwickelte Zusammensetzung der Diph-
theriegiftlösungen noch genauer aufzuklären gestattet, als es bei der
Bestimmung des Lq und L_j.- Wertes möglich ist, der teil weisen
Absättigung der' Gifte mit Antitoxin. Man geht dabei
von der L^-Gabe aus, vermindert schrittweise die Zugabe von Immun-
serum um Bruchteile der Immunitätseinheit und stellt dann fest,
wieviel tödliche Gaben in dem betreffenden, unvollkommen neutrali-
sierten Gemische vorhanden sind. So fand z. B. Ehrlich^) bei
einem Gift, bei dem Lq= 84 tödlichen Gaben war:
176
1. Lo+-2^IE
150
3. Lo+^^IE= 7
100
50
'' ^0+200^ = ^2
= nur Toxonwirkung,
also noch keine
tödliche Gabe in
Freiheit
= 3 tötliche Gaben
Unterschied 3 DL,
>>
}>
>)
>j
" \
>>
>)
9>
n
>>
j>
>>
16
39
22
>>
>>
>>
99
1) Noch viel größere Unterschiede erhält man, wenn man Dysentorie-
gift bei Affen unter die Haut bzw. ins Blut einführt (§ 289).
2) Deutsch, med. Woch. 1898. 38 CJift Nr, II.
842 ICap. XVI. § 264.
Man kann diese Ergebnisse in ein Koordinatensystem eintraget
dessen Abszissen die Zahl der zugefügten Bruchteile der Inununitätaeinhei
(z. B. in Zweihundertsteln) angeben luid dessen Ordinaten die Giftmenge (i
Bruchteilen einer tödlichen Gabe) darstellen, die bei Weglassung eine
Bruchteils der Immunitätseinheit frei wird. Wenn man die von diese
Ordinaten eingenommene Fläche ausfüllt, erhält man die Geaamtmeni;
der in Lo enthaltenen tödlichen Gaben. Dasselbe Schema dient abe
auch dazu, die neben dem eigentlichen Toxin in der Giftmenge Lq ent
haltenen Toxoide und Toxone darzustellen, wenn man die Ordinaten über
all bis zu der Höhe DL verlängert: der nicht ausgefüllte Teil der dadurd
geschaffenen Fläche entspricht den Toxonen luid Toxoiden, die ganz«
Fläche der Summe der bindenden Elemente, die in der Giftmenge L« ent
halten sind. Die Menge dieser Elemente, die von einem zweihundertst«»
Teil der Immunitätseinheit gesättigt wird, • nennt Ehrlich ein<
Bindungseinheit; der Lo-Wert umfaßt elao 200 solcher Ein
heiten. Die Wahl dieser Zahl hat darin ihre Begründung, daß in
manchen Giften, wie z. B. den vorliegenden, wenigstens streckenweist!
die Bindungseinheit mit der Gifteinheit (der einfach tödlichen Gabe)
zusammenfällt.
In dem vorliegenden Beispiel würde dieses „Giftspektrum *'
nach Ehrlich folgendes Ansehen haben. Auf der Strecke 200 — 176
der Abszissenachse werden die Ordinaten gleich 0 sein, weil durch Fort-
24
lassung von --- IE kein eigentliches Gift frei wird, es ist das die Strecke
der Toxone. Von 176 — 160 werden 3 DL frei, bei gleichmäßiger Vert<»i-
3
lung ergäbe das — = etwa V» I^L ^ür jöde wegfallende Bindiuigaeinlieit.
Die Ordinaten bleiben dieselben auf der Strecke 1 öO — 116, denn es kommen \if r
4
töd liehe Gaben zu den drei schon vorhandenen hinzu, wir haben also -rz = et wa
o5
Vs DL auf jede Bindungseinheit. Auf der Strecke 115 — 100 gehen plötz-
lich die Ordinaten werte stark in die Höhe: es werden für 15 wegfallende
16
Bindimgseinheiten 16 DL, also für jedes Bruchteil -— = etwa 1, d. h. flüüo
lo
eine ganze tödliche Gabe (s. o.) frei. Auf der Strecke 100 — 50 werden ^-eitert'
39
39 DL frei, das würde im Durchschnitt für jede Bindungseinheit -
4
= etwa -r- DL bedeuten. Die Verteilung könnte in Wirklichkeit,
wie wir gleich sehen werden, aber eine etwas andere, ungleichmäßige sein.
Von 50 — 0 werden weitere 22 DL entbunden, das ergäbe für jede Bindungs-
22
einheit also —77 DL. Um scharfe Grenzen zwischen den einzelnen Teilen
50
des Spektrums und nicht zu viele Veränderungen der Giftaffinität zu be-
kommen, hat Ehrlich angenonunen, daß sich die Giftmengen auf der
Strecke 100 — 50 in anderer Weise verteilen: von 100 — 72 sollen 28 DL
und von 72 — 60 11 DL frei werden. Dadurch würde die Giftverteilunß
zwischen 100 — 72 der vorhergehenden (115 — 100) und die zwischen 72— 5<>
der folgenden (50 — 0) entsprechen. Es würde das voraussetzen, daü.
Gifte der Kleinweeen. 843
wenn man den Sättigungspunkt L, + ^vrr IE geprüft hätte, man dort
51 DL in Freiheit gefunden hätte. So erhält man, vom Toxon
abgesehen, eindrelteiligee Giftspektrum (Fig. 1).
Bei der Untersuchung anderer Gifte geben Ehrlich und M a d -
s e n an, ähnliche Verliältniase gefunden zu haben. Leider sind nur sehr
wenige dieser Versuclie so ausführlich mitf^teilt, daß man sich ein ge-
naues Bild davon machen kann. Derartige Giftprüfungen
Mnd auOerordentlich mühsam, sie erfordern sehr
viele Tiere und lassen dennoch der Willkürdea Be-
d
las
se
n den
noch dei
r W
illk
ge
Spielr«
Em
,pt
ängl
ichkeit
dei
■ Ti
Z
ahl
rhalten
sin
d').
Fig. l.
lehrendes Beispiel dafür geben wir hier den ausführlichsten Versuch, der
bisher veröffentlicht worden ist, wieder. Es handelt sich um dos (.Üft 14 c
unserer Tafel A {S. 837). Nachdem M a d s e n die einfach tödliche Gabe
DL dieses Giftes durch 24 Versuche an Meerschweinchen von 250 g auf
0.126 ccm und durch weitere 22 Versuche die Wert« L, auf 2,1 = 16.6 DL.
h+ auf 3,1 = 24,6 DL festgestellt hatte, suchte er mit Hilfe von
S4 Heersch weinchen (Taf. B) die Zusammensetzung des Giftes zu
iTmitteln.
1) Vgl. darüber namentlich die späteren Arbeiten von Madsen,
■^ r r h e n i u s und Madsen (Zentr. Bakt. 34, 36 und 37) und M o r -
ge n r o t h (Zeitachr. f. Hyg. 48). Die erateren Forscher wiirden, wie wir
später sehen werden ( § 276), durch ihre neuen Giftanalysen zu einer ganz
anderen Auffassung, insbesondere zur l*ugnung der Prototoxoide und
Toxone geführt. Um die Zufälligkeiten, die sich aus der ungleichen Wider-
standsfähigkeit der Tiere gegen die Vergiftung ergaben, auszuschalten,
benutzten sie schließlich die Gewichtsverminderung der Tiere
als Maßstab der Giftwirkung. Mit welchem Recht, bleibt dahingestellt.
N'ach C r a w und Dean ( Journ. of hyg. 1907. 512 und 589) wären 15 Vo
der Meerschweinchen unempfänglich gegen Diph-
theriegift. Innerhalb gewisser Grenzen gelte die Regel ; Letale Gabe
>i letale Zeit = Konstone. Die Gewichtskurven seien nur zu gebrauchen,
wnn man von dem Gewicht nach 24 Stunden ausgehe, weil am I. Tage
noch Gewichtezunahme erfolge. Die Verfasser bestätigen die Schlussii
von ArrheniuB und Madsen nicht.
844
Kap. XVI. § 264.
T
afel B.
2,1 ccm Gift
abgesättigt
durch „^ - IE
Die vorstehen-
de Mischung
wird geteilt in
yTeile u. diese
Ergebnis
der Einspritzung in
Meerschweinchen
Bemerlningen
200
eingespritzt
von 250 g
!
X
y
166
1
t an Lähmung
Toxongrenzt'!:
156
1
t „ Abzehrung
156
2
t », Lähmung
H6
1
t in 7 T.
146
2
t an Lähmung
146
3
T »» »•
140
1
t in 47, T.
1 DL frei
136
2
t an Abzehrung
136
3
1 >» »»
j
136
4
t »» Lähmung
130
2
t in 4 T.
2 DL frei
126
3
T »» 13,»
126
4
t an Lähmung
126
5
T «» ♦•
120
3
t 6 T.
3 DLfrei(?)
120
4
t 13 T.
116
4
t 47. T.
116
6
t an Lähmung
116
6
T »» »»
4 DLfrei(?*
106
6
T *» »,
106
7
T »» »»
100
4
t in 3 T.
100
5
T j» * »♦
5 DL frei
100
5
T »» ^ »»
100
5
t .. 47. T. 1
100
6
t M 8 T.
100
6 1
t an Abzehrung
100
6
t „ Lähmung
100
6
T >» >»
100
7
bleibt leben ohne
Lähmung
100
9
t an Lähmung
100
9
T »» »»
100
12
T »» »»
100
12
T »» ♦»
100
15
T »» »»
100
15
T »» »*
90
1
5
t nach 37, T. • ,
90
1
6
t in 5 T.
6 DL frei
90
7 '
t 3V. .. '
80
6 1
t 3V, „ ,
80
7
t in 6 „
7 DL frei
80
8 1
t »16 ., 1
Gifte der Kleinwesen.
845
2,1 ccm Gift
Die vorstehen-
TTl 1
abgesättigt
de Mischung
wird geteilt in
der
Ergebnis
Einspritzung in i
T^ 1
lurch^-^lK
y Teile u. diese
Meerschweinchen
Bemerkungen
eingespritzt
1
von 250 g
X
y
70
6
in 3 T.
70
70
7
7
♦ » •' /a !•
„ 6 T.
8 DL frei
70
8
tr 3 ,,
60
8
3 T.
1
60
9
3 .,
9 DL frei
60
10
in 12 T.
1
50
10
., 4 T.
50
50
10
10
»» ** »»
.. •*■/, T.
10-12 DL frei (?)
50
12
„ 4 T.
50
12
»» ' »»
50
12
1 [
7
50
14
.. 77. T.
50
15
an Lähmung
50
15
in 3V. T.
50
20
an Lähmrmg
50
20
in 6 T.
40
15
t 6'A T.
V Versuchszalil
40
20
in 12 T.
ungenügend
40
20
»» * »»
1 16,6 DL frei ( ?)
30
10
»» '' 7 t
30
10
♦♦ 3 ,,
30
12
»» • »»
30
12
>♦ ^ «»
16,6 DL frei ( ?)
30
14
»» ** »»
30
14
»» ' >> 1
30
20
6V2 M
30
25
an Lähmung
30
25
25
25
25
25
12
15
15
20
in 6 T.
,» 16 ,,
an liähmung
nicht mehr als
1 12DLfrei(?)
1 Versuchszahl
ungenügend
25
20
in 16 T.
25
25
an Lähmung
25
25
lebt mit Lähmung
20
25
1 1
an Lähmung
( ?)Veröuch8zahl
ungenügend
20
25
»« »>
10
25
■f
,, Abzehrung
10
25
bleibt leben (ort-
liehe Schwel-
lung)
846
Kap. XVI, § 264.
M a d 6 e n entwickelt nach diesem Versuch das folgende Giftspek-
trum (Fig. 2).
Danach waren auch hier drei Teile zu unterscheiden. Uns scheint
aber die Strecke von 50 — 0 sehr willkürlich festgestellt zu sein.
In einigen anderen Fällen scheinen die Giftspektren mit größerer
Sicherheit bestimmt worden zu sein. Besonders interessant sind die
DL
OL
1 +
2
Prototoxoid ?
(winf
Tritotoxin
TritofOKOK
^^yyy^yy^^y^yyyyy/^yA^^^^
Toxon
10
0
30 40 50 60 80
100
Fig. 2.
120 140
166
200 ^^'^
100
Fig. 3 a. Gift 12 a.
Mje
200
Fig. 3b. Gift 12b.
zahlreichen Veränderungen, die Ehrlich^) bei einem seiner Gifte
(Nr. 12 der Tafel A) beobachtet hat. Auch hier finden wir die D r e i ■
teilung des Giftes schließlich wieder (Fig. 3 a — d).
Ehrlich unterscheidet den Teil des eigentlichen Gifts, der dem
Toxongebiet am nächsten liegt, d. h. denjenigen, der bei der teilweisen
Absättigung am ersten frei wird, also die geringste Verwandtschaft
zum Antitoxin hat, als T r i t o t o x i n; die folgenden mit etwas höherer
1) Deutsch, med. Woch. 1898. 38 imd Berl. klin. Woch. 1903. 3.5
bis 37. (Hier wird Gift 12 als Nr. V bezeichnet.)
Gifte der Kleinwesen.
S47
Verwandtschaft als Deuterotoxin, den Teil, der am festesten
oiit den Antitoxinen verkettet ist, alsFrototoxin. Bisher scheint
tnan noch kein Diphtheriegift gefanden zu haben, in dem alle drei
Giftportionen als Vollgifte vorhanden gewesen wären, wohl solche
12 a), in denen sie gleichmäßig in Halbgifte (Hemitoxin) und Toxoid
verwandelt waren.
Das Tritotoxin findet man gewöhnlich schon sehr früh größten-
9 . . .
teils — etwa zu — - — in ungiftiges Toxoid (Tritotoxoid) umgewandelt,
loch ist es bei Gift 12a (Fig. 3a) noch als Hemitoxin vorhanden.
Fig. 3 c. Gift 12 c.
200 iP
200^*^
IL
DL
i
2
10
L..
Prototoxoid
Deuterotoxoid
Tritotoxin
^^Xi^AWA^Miii^A^A
Toxon
40
100
133
166
Fig. 3d. Gift 12 d.
200 IC
200^^
Das Deuterotoxin ist verhältnismäßig am be-
ständigsten, es ist in unserm ersten Gift (Fig. 1) noch als Voll-
gift^) und auch in Gift 12 d (Fig. 3d) noch als Halbgift (Hemitoxin)
enthalten.
Das Prototoxin endlich zerfällt ebenfalls ziemlich früh zu
Hemitoxin und schließlich noch vollständiger als das Tritotoxin, so
daß die erste Strecke mancher Giftspektren (von 0 an gerechnet) von
dem ganz ungiftigen Prototoxoid eingenommen wird (Gift 12 d und
das M a d 8 e n sehe Gift Fig. 2). Mit anderen Worten heißt das : wir
40
finden dann, wenn wir die Lo-Menge des Giftes 12 d mit -_^ der Immuni-
1) Ein üift, in dem das Deuterotoxin ebenfalls vollständig erhalten,
(las ganze Prototoxin aber zu Toxoid zerfallen ist, beschreibt M a d s e n
'1899) als Gift C. (Nr. 15a der Tafol A).
848 Kap. XVI. § 264 u. 265.
tätseinheit absättigen, die Giftigkeit des Gemisches ebenso hoch als
die des nicht mit Serum vermischten Giftes. Das T o x o n braucht
an diesen Veränderungen des eigentlichen Giftes nicht teilzunehmen,
wie z. B. die Übereinstimmung zwischen Gift 12 a imd 12 b zeigt, doch
lehren die Formen 12 c und d desselben Giftes, daß sich die Tozon-
menge stark verringern kann. E h r 1 i c h führt das auf Bildung
von „Toxonoiden" zurück, die sich durch Veränderung der toxischen
Atomgruppe von den Toxonen unterscheiden sollen. Zwingende Gründe
gibt er selbst dafür freilich nicht an (s. u. § 265).
Durch das teilweise Verschwinden der Toxone wird der L +-Wert
nicht berührt, wohl aber Lg. So hielt sich die erstere Zahl in allen Formen
des Giftes 12 auf 0,25— 0,26 ccm (Tafel A), während Lo von 0,125 auf
0,210 stieg. Auch sonst ist es meist ebenso. Doch ist das Gift 14 (Tafel Ä)
ein Beispiel für den umgekehrten Fall, indem Lq beständig bleibt und L ^-
steigt. M a d s e n möchte diese scheinbare Verbreiterung der Toxonzone
nicht durch Vermehrung der Toxone erklären, sondern durch vollständige
Umwandlung des Tritotoxins in seinem letzten Teil zu Toxoid. Die bin-
dende ICraft des Giftes bleibt so zwea* unverändert, beim Übergang von
Lo +1 IE zu L 4- + 1 IE müssen aber außer der gleichen Menge von
Toxinen noch eine Anzahl von Tritotoxoidmolekülen aus ihrer Bindung
mit dem Antitoxin verdrängt werden, ehe eine einfache tödliche Giftgabe
frei werden kann. Die Zahl der zuzufügenden Gifteinheiten {ß -^ l) wird
also größer und damit auch L +.
Bemerkenswert ist das regelmäßige Mengenverhält-
nis, in dem die einzelnen Bestandteile der Gifte zueinander stehen.
Wenn man die Ziffern für sich ansieht (Tafel A auf S. 837), die die An-
zahl *(a) der in der Lo-Gabe enthaltenen einfcush tödlichen Gaben (DL) bezeich-
nen, so sieht man, daß sie genau oder annähernd einfache Bruchteile der Zahl
100 darstellen, z. B. 16,5; 33; 66; 26; 60; bei einigen besonders frischen
Giften findet sich die Zahl 100 selbst. Die Abschwächung des
Diphtheriegiftes, der Übergang der Toxine in
Toxoide scheint also in regelmäßiger Weise zu er-
folgen, indem z. B. aus einem Molekül Vollgift ein Molekül Halbgift
und ein Toxoid hervorgeht. So entsteht aus dem Vollgift das Halbgift. Da
die drei Teilgifte (Proto-, Deutero- imd Tritotoxin) häufig auch in einem
einfachen Zahlenverhältnis (z. B. 1:1:1) zueineaider stehen und unab-
hängig voneinander in ähnlicher Weise zerfallen, so erklären sich dadurch
die Zahlen 66, 33, löVa- Einen allzu großen Wert auf diese Regelmäßig-
keiten dcirf man übrigens nicht legen. Die mitgeteilten Giftepektren selbst
sprechen dagegen.
Auch das Verhältnis, in dem die Toxone im Gift enthalten sind,
ist ein ähnlich regelmäßiges; in manchen Giften (12a und b) ist es in gleicher
Menge wie das echte Toxin enthalten, in vielen Fällen umfaßt es nur den
sechsten Teil des Gif tspektrmns ; Gift Nr. 10 (Tafel A) ist vielleicht ganz
frei von Toxonen, manche enthalten wieder dreimal soviel Toxon wie
Toxin (Nr. 18 Tafel A). In solchen Fällen kann es vorkonunen, daß schon
Giftmengen, die kleiner sind als eine einfach tödliche Gabe, Toxonwirkiingen
Gifte der Kleinwesen. 849
entfalten, ivährend sonst nur ein mit Antitoxin teilweise abge8ätti^2:tes
Mehrfaches von DL dazu imstande ist^).
Die Siunme der in Lq enthaltenen Gifteinheiten (DL) schwankt nach
der Tafel A zwischen 14 und 133. Höhere Zahlen sind noch nicht gefunden
worden. Auch die in einzelnen Bezirken des Giftspektrums (Deutero-
toxin) bestimmten Giftmengen betragen für die Bindungseinheit nie mehr
als eine Gifteinheit. Die Einteilung von L« in 200 Bindungseinheiten hat
sich also bisher bewährt. Auch die sonstigen Annahmen Ehrlichs
über den Bau des Diphtheriegifts darf man vielleicht als den Ausdruck
von Tatsachen ansehen. Einzelheiten, z. B. die Grenzen zwischen dem
Proto- und Deuterotoxin, sowie zwischen dem Deutero- und Tritotoxin-
bezirk, und namentlich die Frage der Toxonoide, verdienten freilich noch
aufgeklärt zu werden (§ 265).
§ 265. Epitoxonoide. Von vornherein ist die Ehrlichsche
Ansicht, daß aus den Toxonen ungiftige Körper, die „Toxonoide",
entstehen können, wie die Toxoide aus den Toxinen, nicht unwalirschein-
lieh. Aber auch wenn man von diesem vorläufig nicht erwiesenen Zu-
sammenhang absieht, wäre es trotzdem denkbar, daß in den Giftlösim-
gen Stoffe existierten, die zwar die gleiche bindende Gruppe wie
die übrigen Giftbestandteile besäßen, die sich aber wegen ihrer
völligen Unschädlichkeit im Tierversuch und ihrer noch hinter den
Toxonen zurückstehenden schwachen Verwandtschaft zu den Anti-
toxinen auf die bisher übliche Weise nicht nachweisen ließen. In der
Tat hat von Düngern^) das Vorhandensein derartiger Stoffe,
die er „Epitoxonoide" nennt, im Diphtheriegift wahrscheinlich ge-
macht, indem er die Absättigungsmethode Ehrlichs abänderte.
Er ging dabei von der Beobachtung D a n y s z ' ') (dem sog. „D a n y s z -
sehen Versuch") aus, daß die Menge des Rizins oder Diphtheriegifts,
die nötig ist, um vom Lq- zum L^-Wert zu gelangen, kleiner ist, wenn
man sie nicht auf einmal zusetzt, sondern erst einige Stunden, nachdem
man die LQ-Antitoxinmischung hergestellt hat. Zunächst konnte
von Dungern diesen Befund vollständig bestätigen. Der Lq- und
1) Die Bestimmung der Toxonmenge einer Giftlösung ist auch ohne
das Ehrlich sehe Absättigungsverfahren möglich, wenn Lq und L+ ge-
geben oder, was dasselbe ist, a und ß bekannt sind. Wir haben nämlich
200 — z a
offenbar das Verhältnis ^^^ = — r-z, wo z die Bindungseinheiten der
200 a+p
200/9
Toxone ausdrückt. Daraus folgt z = — - . Berechnet man z nach den
a-r p
in der Tafel A gegebenen Werten für « oder ßy so erhält mcui Zahlen, die
von 25 — 100 schwanken. Besonders häufig ist 33, was auf da.s im Text
angegebene Verhältnis hinausläuft.
2) Deutsch, med. Woch. 1904. 8/9.
3) Annal. Pastenr 1902.
Krose, Mikrobiologie. 54
850 Ivap. XVI, § 265.
L^-Wert eines älteren Giftes wurde nach der üblichen Weise auf
0,6 und 0,78 ccm ermittelt (vgl. Nr. 19, Tafel A S. 837).
Die betreffenden Giftmengen wurden mit der Immunitätseinheit
des Serums auf einmal versetzt und 2 Stunden später Meerschweinchen
von 250 g mit folgendem Ergebnis eingespritzt.
0,6 0,63 0,66 0,7 0,74 0,78 ccm
glatte geringe geringe deutliche starke sehr starke
Heilimg Schwellung Schwellung Schwellung Schwellimg Schwellung
U.Tod nach
3 Tagen.
Mischte man aber erst die Lß-Gabe (0,6 ccm) mit der Immnnitäte-:
einheit, ließ dann 24 Stunden bei Zimmertemperatur und noch 1 bis
2 Stunden bei 37® stehen und setzte jetzt weitere Mengen der Gifte
zu, 80 ergab die Einspritzung in einem ersten Versuche:
0,6 0,63 0,66 0,7 0,74 ccm
glatte geringe deutliche Tod in Tod in
Heilung Schwellung Schwellimg P/i Tagen 2 Tagen
und in einem zweiten Versuch :
0,66 0,67 0,68 ccm
starke Schwellung sehr starke Schwellung Tod in 3^2 Tagen
und Tod in 4 Tagen.
Statt 0,78 ccm waren also nur 0,67 ccm, d. h. 0,11 ccm weniger Gift
nötig, um den L^-Wert zu erreichen, wenn man die Absättigung des
Antitoxins mit dem Gift nicht auf einmal, sondern in zwei Zeiten vor- !
nahm. Die Erklärung dafür könnte man darin sehen, daß nach Mischung
der Lß-Gabe mit dem Antitoxin nicht nur die darin ent-
haltenen Toxin-Toxoid-Bestandteile, sondern
auch die Toxone allmählich so fest an das Anti-
toxin gebunden werden, daß nachträglicher Zu-
satz von Toxin die T o x onm ol e k ül e nicht voll-
ständig aus ihrer Bindung verdrängte. In diesem Falle
sind in der L^-Gabe 159 Toxin- bzw. Toxoideinheiten und 41 Toxon-
einheiten vorhanden, in der gewöhnUchen L^-Gabe ungefähr 20*)
Toxin-Toxoideinheiten imd 54 Toxoneinheiten, bei der üblichen Fest-
stellung des L_|.- Wertes müssen also 47 Toxin-Toxoideinheiten zu der
Lß-Gabe hinzutreten, um die 41 Toxone zu verdrängen. Bei der zwei-
zeitigen Absättigung sind 0,11 ccm, d. h. 29,15 Toxin-Toxoideinheiten^)
X 159
^> 0.11 =0,6' *^««^ = 29,15.
Gifte der KleinweBeii. 851
weniger nötig, es bleiben also noch 29,15 von den 41 Toxoneinheiten
in ihrer alten Bindung mit dem Antitoxin, d. h. 71%. DieFestig-
keit der Bindung zwischen dem Toxon und Anti-
toxin steigt bemerkenswerterweise mit der Zeit.
Dauert sie bloß 2 Stunden, so bleibt nur 39%, dauert sie dagegen
4 X 24 Stunden, so bleibt 78% des Toxons in seiner Bindung.
Schwieriger wird aber die Erklärung, wenn die Immunitätseinheit
zunächst nicht mit der Lg-Menge, sondern mit kleineren Giftmengen
abgesättigt wird. Man erhält dann nach v. Dungern durch 24 Stun-
den später erfolgenden Zusatz von weiterem Gift folgende Werte für L_^ :
Tafel C.
l.Bei vorher. Zusatz v.0,6ccm beträgt L_^ 0,67 ccm, d.h. 0,11 ccm weniger
9
3.
4.
0.
().
7.
8.
,, ,, ,, ,, vr,r^ ,, ,, *-•_!_ VF,V*V ,, ,, V#^, AW ,, ,,
„ „ „ ,,0,35,, „ L^0,62 „ ,, 0,16 „ „
n jj >j »> 0,2 ,, ,, L_|_0,59 ,, ,, 0,19 ,, „
jy >j » >» öjl'5 ,, „ L^0,6 „ „ 0,18 ,, „
»j »» j> >» 0,1 ,, ,, L_|_0,63 ,, ,, 0,lo ,, ,,
„ „ „ „0,05,, „ L_,.0,68 „ „ 0,10 „ „
5» j> ?i j> ^ n >> 1j_i_U, lO ,, ,, U ,, ,,
Es bleibt also bei zweizeitiger Absättigung auch
durch kleine Giftmengen ein Teil des Antitoxins
dauernd in Beschlag gelegt, der bei gleichzei-
tiger Absättigung für die Neutralisierung neuen
Giftesverfügbarwürde. Woher kommen nun in diesen Fällen
die Bindeeinheiten der Giftlösung, die das Antitoxin in Anspruch
nehmen? An Toxon ist nicht zu denken, weil es in viel zu geringer
Menge vorhanden ist. D u n g e r n glaubt dafür andere Stoffe
mit geringerer Verwandtschaft zum Antitoxin,
ganz ungiftige ,,Bpitoxonoide" verantwortlich machen
zu müssen.
Sehen wir uns z. B. denjenigen Fall näher an, der die größte Menge
Antitoxin beansprucht, nämlich die vorherige Absättigung mit 0,2 ccm
Oift (Nr. 4 in Taf. C). Mischt man der ImmunitÄtseinheit Serum zimäclist
0,2 ccm zu, so werden dadurch 53 Toxin -Toxcideinheiten und 13,6 Toxon-
einheiten und daneben noch eine Anzahl, sagen wir ^ Epitoxonoideinheiten
von den überschüssigen 133,3 Bindeeinheiten des Antitoxins besetzt.
Xach 24 Stunden Einwirkung genügt ein weiterer Zusatz von 0,39 ccm
Ciift, d. h. 0,19 ccm weniger als bei unmittelbarer Absättigung, \xm den
L+-Wert zu erreichen. 0,19 ccm entsprechen 50,35 Toxin-Toxoideinheiten.
Ebenaoviel Toxon-Epitoxonoideinheiten bleiben also in ilirer Bindung mit
flem Antitoxin, v. Dungern rechnet, daß hier wieder 71 Vo des vor-
handenen Toxons, d, h. 9,73 Einheiten, festgebunden bleiben, dann würden
54*
852
Kap. XVI, § 265.
außerdem noch 40,63 Epi toxonoideinhelten ihre Bindung behalten. Wir
wollen diese Annahme zunäelist der Einfachheit halber zulassen. Auf die-
selbe Weise erhält man für sämtliche Fälle folgende Werte:
Tafel D.
Zar YorUofigen Absät-
tigang dienende Oift-
menge
Vielfaches von 0,05 ccm
Toxin - Toxoideinheiten
Toxoneinheiten
1
§
g d
•S ^
p
1
Festgebondene Toxon-
Epitoxonofdeinheiten
11
'S 'S
H
1^
Mindestmenge der Bpi-
toxonoide in Sp. 1
KachtrAglich zugesetite
Oiftmenge
«1
11
"'S
43 d
^1
W U E 9
-ßfS
<*» e
1
2
3
4
6
6
7
8 1 9
j
10 j 11
1
0,6 ccm
12
169
41
29,1
29,1
0
289,8
0,07
17,8 0
2
0,6 „
10
132,6
34,2
24,3
36,8
11,6
241,5
0,145
37,7
33.3
3
0,35,,
7
92,7
23,9
17,0
42,4
26,4
169,0
0,27
70,8
83,3
4
0,20,,
4
53
13,7
9,7
50,3
40,6
96,6
0,39
102.6
133,3
5
0,I5„
3
39,7
10,2
7,3
47,7
40,4
72,4
0,46
118,6
160,0
6
0,10,,
2
26,6
6,8
4,8
39,7
34,9
48,3
0,63
139.7
166.7
7
0,06,,
1
13,2
3,4
2,4
26,5
24,1
24,1
0,65
166,2
183.3
Die Zahlen der Tafel D sind meist ohne weiteres verständlich. Die
Spalten 5 luid 7 ergeben sich für die festen Bindungen der Toxone und
Epitoxonoide unter der von v. Dungern gemachten Vorausaetzuuf?,
daß 71 ®/o der Toxone festgebunden bleiben, wie es in Versuch 1 wirklich
der Fall ist, Spalte 6 gibt die Summe von 5 und 7. In Spalte 8 habe ich
die Epitoxonoidmengen berechnet, die mindestens in den zur ersten Ab-
Sättigung dienenden Giftmengen vorhanden sein müssen: zugrunde gele^
ist die neich Versuch 7 festgebundene Epitoxonoidzahl, die man nur mit
den Zahlen der Spalte 2 zu multiplizieren hat. Man sieht daraus, daß
die Epitoxonoide in viel größerer Menge vertreten sein müssen, als die
übrigen Giftbestandteile. Entspricht nun aber die hier angenonunene
Mindestmenge der Epitoxonoide der Wirklichkeit ? v. Dungern nimmt
größere Mengen em, ohne sich weiter darüber auszulassen. In der Tat ist
OS, wie wir gleich sehen werden, wahrscheinlich, daß die wirklichen Epi-
toxonoidmengen etwa dreimal so groß sind, als in Taf . D cuigegeben. Setzen
wir das vorläufig als richtig voraus, so hätten wir z. B. im Versuch 6 in der
zunächst mit 0,1 ccm Gift abgesättigten Gift- Antitoxinmischung 26,5
Toxin-Toxoideinheiten, 6,8 Toxoneinheiten und 144,9 Epitoxonoidein-
heiten, es bleiben also 200—26,6—6,8—144,9 = 21,8 Bindeeinheiten
des Serums übrig. Setzt man 24 Stimden später 0,53 ccm Gift hinzu,
so erhält man nach Taf. C eine Mischung, die gerade ein Meerschweinchen
in vier Tagen zu töten vermag, d. h. den L+-W^ert voll macht. In 0,35 ccm
Gift sind nach Spalte 10 der Taf. D 139,7 Toxin-Toxoideinheiten enthalten.
Diese sättigen zuerst die 21,8 freien Bindeeinheiten; der Rest von 117,9
Einheiten wird bestrebt sein, die 6,8 + 144,9 = 151,7 Toxon-Epitoxinoid-
einheiten aus ihrer ursprünglichen Bindung mit den Antitoxinen zu ver-
drängen. Die beiden miteinander reagierenden Mengen entsprechen dem
Gifte der Kleinwesen.
853
Verhältnis
117,9
= etwa 78 ®/o. Aus Spalte 6 der Taf. D ersehen wir, daß
151,7
in ihrer Bindung mit dem Antitoxin erhalten bleiben 39,7, also verdrängt
112
werden 161,7—39,7 = 112 oder
d. h. 74 •/, der ursprünglich ge-
151,7'
bundenen Toxon-Epitoxonoidmenge. 'Ea wäre nun wichtig, zu wissen,
wieviel darunter Toxone und wieviel Epitoxonoide sind. Denkbar wäre
es, daß die freien Toxin-Toxoideinheiten, solange genügend Epitoxonoid-
bindungen zur Verfügung stehen, diese zu sprengen versuchten imd die
Toxonbindungen unberührt ließen, dann verhielten sich die reagierenden
Toxin-Toxoidinengen zu den ursprünglich gebundenen Epitoxonoid-
117 9
mengen wie —--'= 81 Vo ^ii^d die verdrängten Epitoxonoidmengen zu
144,9
144,9—39,7
den ursprünglich gebundenen wie TTTn =73 '/q. v. Dungern
macht, wie wir gesehen, eine andere Voraussetzung, er nimmt an, daß die
verfügbaren Toxin-Toxoideinheiten sowohl mit den Toxonen als mit den
Epitoxonoiden reagieren, und zwar soll die Menge der festgebundenen
Toxone konstant bleiben, nämlich 71 '/o betragen, wie im Versuch 1,
S. 851. Es würden also verdrängt 29 "/o oder in unserem Falle 2,0 Toxon-
2,0
emheiten, denn r-^ = 29 ®/o. Danach blieben 34,9 Epitoxonoide fest-
6,8
144,9—34,9
gebunden und verdrängt würden — TVTq » ^- "• "^^ Vo« Berechnen
wir in derselben Weise die Verhältnisse, die sich in den übrigen Versuchen
ergeben, so bekommen wir folgende Zahlen:
Ta
fei E.
1 2
3 1 4
6 6
7 8
r Menge
Menge
VerhAltniB der
Verhältnis der
Verhältnis der
= der m-
'r erat za-
> gcsetx-
« itenEpi-
^ toxo-
1 noidein-
;^ heiten
derur-
sprQng-
llch ge-
bande-
nen
Bpit.-
Einhei-
ten
reagieren- verdrängten
den Toxin- Toxon-
Toxoid-Ein- Epit.-Ein-
heiteu i heiten
tu. den ursprünglich ge-
bundenen Toxon-Epi-
toxonold-Einheiten
reagieren- verdrängten
den Toxin- Epitoxo-
Toxoid-Ein- noid-Ein-
heiten heiten
zu den ursprünglich
gebundenen Epitoxo-
noid-Einheiten
verdrängten
_ Epitoxo-
Toxone ,_,
i noide ■
zu den ursprünglich
gebundenen Toxonen-
Epitoxonoiden
1 869,9 0
44 Vo
29 Vo
1
29»/.
2 724,5 33,3
56 „
47 „
113 Vo 95 Vo
29 „
67 Vo
•^ 507,0
83,3
66 „
60 „
85 ,, 78 ,,
29 „
70 ,.
4 289,8
133,3
70 „
66 „
77 „ , 72 „
29 „
70 „
> 217,2 150,0
74 „
70 „
79 „ 75 „
29 „
72 ..
fi 144,9 144,9
78 „
74 „
81 ,, 73 ,,
29 ,.
76 .,
" 72,3 i
72,3
73 „
65 „
76 „
63 „
29 „
67 „
Spalte 3 und 4 lehren uns, daß verhältnismäßig um so mehrToxon-Epi-
toxonoideinheiten aus ihrer früheren Bindung mit dem Antitoxin ver-
drängt werden, Je mehr Toxin-Toxoideinheiten mit ihnen reagieren. Wir
erfahren aber dadurch nichts über die Einzelheiten der Toxon- und Epi-
toxonoidverdrängung. Aus der Spalte 5 und 6, die auf unserer ersten
854 Kap. XVL § 265 u. 266.
Annahme beruht, daß beim Vorhandensein von genügenden Mengen Epi-
toxonoidbindungen die neu zutretenden Toxin-Toxoideinheiten nur mit
diesen und nicht mit den Toxonen reagieren, müßten wir den Schluß ziehen,
daß um so mehr Epitoxonoide aus ihrer Bindung mit dem Antitoxin ver-
drängt werden, je größer verhältnismäßig die Zahl der Toxin-Toxoidein-
heiten ist, daß aber weder ein reichlicher noch ein geringer Zusatz der
letzteren genügt, um gleiche Mengen von Epitoxonoiden aus ihrer Bindung
freizumachen. Daraus würde zu folgern sein, daß es nicht möglich wän\
durch Verringerung der nachträglich zugesetzten Giftmengen einen Sät-
tigungszustand zu erreichen, in dem die Gift- Antitoxinmischung keine
freien Toxin- oder Toxoidmengen mehr enthielte, also ganz unachädlich
für Tiere wäre. Nun wissen wir aber aus den Versuchen v. Dungern s,
daß man z. B. in Versuch 4 dann diesen Punkt — den Lo-Wert — erreicht,
wenn man nachträglich nicht 0,39, sondern nur 0,26 ccm Gift zusetzt.
Man ist also wohl durch die Tatsachen gezwungen, die Vorraussetzung,
auf die sich die Zahlen der Spalten 5 und 6 der Taf. E gründen, fallen
zu lassen. Ganz anders steht es mit der zweiten Annahme.
Überraschend einheitlich ist das Bild, das uns Spalte 7 und 8 bietet:
wenn wir mit v. Dungern die Voraussetzung machen, daß die Toxone
stets in bestimmtem Verhältnis von den Toxinen aus ihrer Bindung mit
den Antitoxinen befreit werden, so trifft dasselbe für die Epitoxonoid»»
zu. Die Abweichungen, die sich in den Zahlen der Spalte 8 zeigen, sind i^^
geringfügig, daß wir sie wohl auf die unvermeidlichen Versuchsfehler zu-
rückführen dürfen. Wir können also den Satz aufstellen, daß 70 * • e
der Epitoxonoide und 29 Vo der Toxone nur in locke
rer, durch Zusatz von Toxin leicht zu trennender
Verbindung mit dem Antitoxin stehen. Bemerkensweit
ist, daß die Werte in Spalte 8 der Taf. E durchaus nicht so einheitlich
ausfallen, wenn man die Epitoxonoidmenge (in Spalte 1) verringert oder
vermehrt^). So werden die beiden Voraussetzungen, die wir gemacht
haben, gleichzeitig bestätigt.
Es fragt sich, ob es möglich ist, auch eine Regel zu finden, die den
Ersatz der einmal an Antitoxin gebundenen Epitoxonoide durch neu zu-
tretende Toxone betrifft. Wir können dafür auf den eben angeführten
Versuch v. Dungerns zurückgehen. Sättigt man die Inununität>-
einheit Diphtheriesenun zunächst mit 0,2 ccm Gift ab (Versuch 4 in Taf. D).
so verbinden sich außer 53 Toxin-Toxoideinheiten 13,7 Toxoneinheiten
und 133,3 Epitoxonoideinheiten (Taf. E) mit Antitoxin. Fügt man nach
24 Stunden neue 0,25 ccm Giftlösung zu und spritzt sie Meerschweinchen
ein, so ist sie ganz ungiftig, während 0,26 ccm schon eine leichte Erkran-
kung (Toxon Wirkung) bedingen. 0,25 ccm enthalten nun 63,6 Toxin-Toxoid-
einheiten und 16,6 Toxoneinheiten. Nach der oben festgestellten Regel
verdrängen die Toxin-Toxoideinheiten höchstens 29 ®/o der Toxone und
70 "/o der Epitoxonoide, in imserem Falle 4 Toxone und 59,6 Epitoxonoide.
Da, nach dem Ausfall des Tierversuches zu urteilen, keine freien Toxone
1) So lauten die Zahlen der Spalte 8, wenn man nur zwei Drittel
der obigen Epitoxonoidmengen in der Giftlösung voraussetzt: 67, 70.
70, 72, 64, 45, wenn man fünfmal soviel aninmmt: 67, 70, 70. 73, 79, 87.
Die Zahlen in Spalte 2 — 6 derselben Tabelle verändern sich in dieeen beiden
Fällen nicht derart, daß man andere Schlüsse daraus ziehen könnte.
Gifte der Klein wesen. 855
übrig bleiben, müssen die 4 + 16,5 = 20,5 Toxoneinheiten ebensoviel
Epitoxonoide in Freiheit setzen, d. h. von den noch übrig bleibenden 133,3
—59,6 = 73,7 Epitoxonoidbindungen 28 ®/o lösen. Jeder noch so kleine
Zusatz von Gift macht Toxone dauernd frei; wenn Toxone axif
Ep i t o X on o i d - A n t i t o X i n b i n d u n g e n wirken, würden
sieaIsoimbe8tenFalle28 Vo der Bindungensprengen
können. Natürlich ist das vorliegende Versuchsmaterial noch zu be-
>chränkt, um alle diese Feststellungen als endgültige anzusehen, es würde
zunächst nötig sein, die Untersuchungen v. Dungerns mit anderen
Diphtheriegiftlösungen in erweitertem Maßstabe zu wiederholen.
Eine Erklärung für die Tatsache, daß die Verbindungen der Toxone
und Epitoxonoide mit Antitoxin gegenüber neu zutretenden freien Toxinen
<und Toxonen) nur eine relative, zahlenmäßig bestimmt begrenzte, dabei
aber von der Zeitdauer der Bindung abhängige Festigkeit haben, besitzen
wir vorläufig nicht. Ebensowenig wissen wir etwas über einen etwaigen
Ursprung der Epitoxonoide aus den Toxonen oder anderen Giftbestand-
teilen. Der unmittelbare Nachweis der Epitoxonoide durch Trennung
von den übrigen Giftbestandteilen könnte vielleicht auf ähnliche Weise
geliefert werden wie beim Toxon (S. 839). v. Dungern meint,
die Möglichkeit der Immimisierung von Tieren mit Hilfe von Gift-
löeungen, die Antitoxin im Überschuß enthalten*), spreche für das
Vorhandensein freier bindender Gruppen (der Epitoxonoide). Indessen
ist das kein zwingender Grund, da man auch an eine Sprengung vorhan-
dener Bindungen durch die lebenden Zellen oder an eine Verschiedenheit
der immunisierenden und bindenden Gruppen, die unter Umständen die
Betätigung der ersteren trotz Bindung der letzteren nicht hindert, denken
könnte (vgl. § 278 u. 279)).
§ 266. Sehlußbemerkungen Aber die Ehrlichsche Gif taua-
lyse. Die in vorstehendem gegebene ausführliche Darstellung der
Ansichten der Ehrlich sehen Schule über den Bau der Diph-
theriegifte ist von verschiedenen Seiten angefochten worden. Nament-
lich hat man versucht, die Ehrlich sehen Vorstellungen, die mit den
Fortschritten der tatsächlichen Kenntnisse immer verwickelter ge-
worden sind, durch „einfachere" zu ersetzen (Bürdet, Arrhe-
n i u s und M a d s e n u. a.). Wir kommen später auf diese Bemühun-
gen zurück (§ 276 u. 277), wollen aber jetzt schon bemerken, daß
es ihnen nicht gelimgen ist, die Dinge so zufriedenstellend zu er-
klären, wie die Ehrlich sehen Annahmen.
Diese Anerkennung schließt natürlich nicht aus, daß wir über
die chemische Natur der Bestandteile des Diphtheriegiftes, über die
Zusammensetzung der bindenden und toxischen Gruppen, über die
materiellen Gründe der wechselnden Verwandtschaft der einzelnen
Giftmodifikationen zu den Antitoxinen nach wie vor im Dimkeln sind.
1) Dreyer und Madsen, (Zeitschr. f. Hyg. 37. 257) immuni-
240
sieren z. B. mit einer Mischung von 0,6 ccm (Lq) -f --- Tmmuni tätsein-
heiten. ^"^
856 Kap. XVI, § 266 u. 267.
Ehrlich selbst ist zugestandenermaßen bei seinen Annahmen
ausgegangen von den Regeln, die für die Beziehungen zwischen den
Eigenschaften der Farbstoffe und Arzneimittel und ihrem molekularen
Bau gelten^). Die Eignung eines Stoffes zum Farbstoff setzt zunächst
voraus die Anwesenheit einer bestimmten ungesättigten Atomgruppe,
der „chromophoren Gruppe" (z. B. der Azogruppe N = N) in einem
kohlenstoffreichen Molekül (meist einer zyklischen Verbindung). Diese
Körper sind aber nur die Muttersubstanzen der Farbstoffe, die „Chromo-
gene" (z. B. Azobenzol), sie werden zu Farben erst durch den Eintritt
von „Auxochromen", d. h. von salzbildenden, wenn man will, „hapto-
phoren" Seitenketten, mit Hilfe deren sie an die Gewebe verankert
werden. Solche sind die Hydroxylgruppe, die „saure" Farbstoffe,
z. B. Oxyazobenzol, und die Amidogruppe, die basische Farbstoffe,
z. B. Amidoazobenzol, erzeugen. Je mehr dieser Gruppen im Molekül
enthalten sind, desto größer wird die Basizität oder Azidität, d. h. das
Bindungsvermögen, die „Echtheit" der Farbe. Dazu können dann noch
andere salzbildende Seitenketten (Karboxyl-, Sulfo-, Nitro-, Nitroso-
gruppen) kommen, oder Ersatz der Atome durch andere „indifferente"
Atomgruppen erfolgen, welche die Tiefe der Farbe sowie ihre Echtheit
beeinflussen. Die Wirkungsweise braucht keine rein chemische zu
sein; so macht Ehrlich darauf aufmerksam, daß die nerven- und
fettfärbenden (neurotropen und lipotropen) Stoffe durch Einführung
des Sulfosäurerestes die Fähigkeit, Gehirn und Fett zu färben, ver-
lieren, aus dem einfachen Grunde, weil sie dann nicht mehr in Fetten
löslich sind.
Auch die Wirkung der Arzneimittel^) wird in eigentümlicher Weise
durch ihren chemischen Bau bestimmt, so hebt die Einführung von
Säureresten die antipyretische Wirkung der Fiebermittel auf, so ver-
danken die Schlafmittel und andere die Nerven beeinflussenden Stoffe
ihre Eigentümlichkeit vielfach der Anwesenheit von Äthylgruppen.
Im Kokain stellt nach Ehrlich der Benzoylrest CO . CJHg die
„anästhesiophore", das im basischen Komplex enthaltene tertiäre
Amin die „auxotoxe" Gruppe vor.
Natürlich sind das alles nur Vergleiche, die mehr oder weniger
hinken. So fehlt leider bei den Arzneimitteln und Farbstoffen be-
kannter Natur jede Analogie für die wichtigste Eigenschaft der Bak-
teriengifte (und übrigen Impfstoffe oder Antigene) — die Fähigkeit,
zu immunisieren. Man wird darum den Antigenen entweder haptophore
1) Über die Beziehungen von chemischer Konstitution, Verteilung
und pharmokologischer Wirkung. Gesamm. Arb. 1904. 584 (auch Festaclir.
f. V. L e y d e n I). Vgl. Pappenheim, Gnmdriß der Farbchemie 1901.
2) Vgl. S. Fränkel, Arzneimittelsynthese, 2. Aufl., 1906.
Gifte der Kleinwesen. 857
Grappen eigentümlicher Art oder besondere immunisierende Gruppen
zuschreiben müssen. Ihre Natur zu bestimmen, haben Obermeyer
und P i c k ^) in der Weise versucht, daß sie die als Impfstoffe für Prä-
zipitine dienenden Eiweißsubstanzen — das Präzipitinogen (vgl. § 342) —
verschiedenen chemischen Behandlungen, z. B. einer Nitrierung, Jodie-
rung, Diazotierung unterwarfen und danach ihre immunisierende Fähig-
keit untersuchten. Sie kamen so zu dem Schluß, daß die letztere
wesentlich in den aromatischen Kernen zu sitzen scheine.
Natürlich gilt diese Feststellung zunächst nur für die geprüften Impf-
stoffe.
§ 267. Vorübergehende Veränderungen des Diphtherie-
und anderer Impfgifte. Auf den Bau der giftigen Impfstoffe
werfen auch ein gewisses Licht einige Erfahrungen über ihre Beein-
flussung durch verschiedene Mittel^). Daß Behandlung mit Wasser-
stoffsuperoxyd, Jod (in konzentrierter Lösung oder Jodtrichlorid),
mäßige Hitzegrade, den elektrischen Strom nur die toxophoren, nicht
die bindenden bzw. immunisierenden Gruppen zu schädigen braucht,
war sehr lange aus den Immimisierungserfolgen bei Diphtherie und
Tetanus bekannt und hat ja zur Aufstellung des Begriffes der Toxoide
(§ 262) geführt. Starke Säuren, denen man früher vielfach eine weiter-
gehende zerstörende Wirkung zugeschrieben hatte, verhalten sich
anders. Neuerdings zeigte zunächst Morgenroth^), daß das
Hämolysin und Neurotoxin des Kobragiftes unter dem Einfluß geringer
Salzsäuremengen ihre Bindekraft für die Antitoxine verlieren und
auch aus der fertigen Verbindung mit den Antitoxinen gelöst werden,
aber ihre bindenden Eigenschaften wiedergewinnen, wenn die Säure
nach nicht zu langer Einwirkung wieder abgestumpft wird. Morgen-
r 0 1 h und P a n e *) machten dann weiter die Beobachtimg, daß die
Abschwächung der Giftigkeit des Kobragiftes, die durch längeres Auf-
bewahren in salzsaurer Lösung hervorgerufen wird, nach Neutrali-
sierung im Laufe von Stunden und Tagen mehr oder weniger vollständig
zurückgeht. Diese „Reversibilität" oder besser gesagt Wiederherstell-
barkeit der durch Säuren behandelten Gifte, über die übrigens
schon R o u X und Y e r s i n für das Diphtheriegift, C h a n t e -
messe für das Typhusgift und R i t c h i e für das Tetanusgift An-
gaben gemacht hatten, untersuchte D ö r r ^) genauer für eine Reihe
von Giften. Bei den Vibrio- und Staphylolysinen, dem Gift des Tetanus,
1) Wien. klin. Woch. 1906. 12.
2) Vgl. dazu auch § 274.
3) Berl. klin. Woch. 1905. 50 und Arbeit, a. Pathol. Institut Berlinl906.
4) Biochem. Zeitschr. 1, 1906.
5) Wien. klin. Woch. 1907 und Biochem. Zeitschr. 7, 1907.
S58 Kap. XVI, § 267 u. 268.
Rausclibrandß und Vibrio El Tor wurde kein Erfolg erzielt, wohl bei
Diphtherie-, Dysenterie- und Staphylotoxin. Alle starken Samen
können anscheinend, auch in dünner Lösung und in kurzer Zeit, diese
Wirkungen hervorbringen, schwache nicht. Einfache Neutralifeierung
genügt nicht, um den abschwächenden Einfluß der Säure aufzuheben
und die Rückkehr der alten Eigenschaften einzuleiten. Nötig ist viel-
mehr Alkalisierung, daher bleibt die Abschwächung f^uch bei intra-
venöser, geschweige denn bei subkutaner Einspritzung erhalten und
verschwindet erst, wenn man kurz vorher Sodalösung ins Blut einführt.
Besser wirkt die Alkalisierung im Reagensglas, sie braucht aber nicht
so lange Zeit zu dauern, wie im Falle des Schlangengifts. Längere
(wochenlange) Behandlung mit Säuren entgiftet namentlich das Diph-
theriegift endgültig. Die Prüfung der Bindekraft des bloß gesäuerten
oder gesäuerten und wieder alkalisierten Diphtheriegiftes ergab, daß
sie unter sich gleich und nur um ein Geringes kleiner war als die des
unveränderten Giftes, während die Giftigkeit auch der alkalisierten Gifte
immer noch erheblich hinter der des unveränderten zurückblieb. D i e
haptophoren Gruppen scheinen danach durch
die Säure viel weniger angegriffen zu werden
als die toxophoren und die Reversibilität nur die letzteren zu
betreffen, nicht wie beim Schlangengift auch die ersteren. Da die
Säurewirkimg bis zur völligen Zerstörung der Gifte fortschreitet, wird
man sie sich als eine molekulare, aber bis zu einer gewissen Grenze
zur freiwilligen Rückbildung geeignete Umlagerung, nicht einfach als
Salzbildung vorstellen dürfen.
§ 268. Die Eigengifte der Kleinwesen im allgemeinen.
Nachdem das Eigengift der Diphtheriebazillen nachgewiesen war,
folgten viele ähnliche Untersuchungen über die Gifte der übrigen
Mikroorganismen. Zum großen Teil waren sie auch von Erfolg ge-
krönt, d. h. es ist in vielen Fällen gelungen, aus den Bakterien Stoffe
zu gewinnen, auf die man mit einer gewissen Berechtigung die Ver-
giftungserscheinungen zurückführen kann, die bei den natürlichen und
künstlichen Bakterienkrankheiten beobachtet werden. Eine Aus-
nahme machen bisher namentlich noch gewisse Septizämieerreger, vor
allem der Milzbrand ( § 292) und Schweinerotlauf ( § 293), femer die
durch „filtrierbare Virus" (Chlamydozoen § 311) und fast ausnahms-
los die durch die Protozoen verursachten Infektionen "(§ 310). Die
Erfolge wie die Mißerfolge können übrigens auch da, wo sie durch
zahlreiche Versuche genügend sicher festgestellt sind, verschieden be-
urteilt werden. So haben wir bisher bei den Protozoen und Chlamy-
dozoen vielleicht wesentlich aus dem Grunde, weil wir nur ausnahms-
weise in der Lage sind, sie in Reinkulturen zu züchten, kein Glück
Ciifte der Kleinwesen. 859
gehabt. Nicht ausgeschlossen ist es allerdings, daß da, wo wir bisher
keine Gifte haben finden können, doch solche im Tierkörper durch
bestimmte Umsetzungen der lebenden Substanz mit den In-
fektionserregern, die sich im Reagensglas bloß nicht nachweisen
lassen, gebildet werden. Außerdem wäre es denkbar, daß örtliche
Störungen, die ursprünglich nur durch die mechanische Wirkung der
Erreger (Verstopfung von Kapillaren u. dgl.) bedingt werden, die Ent-
wicklung von Selbstgiften im Körper oder wenigstens Schädigung der
betreffenden Organe und damit Krankheit imd Tod verursachen.
Hier ist nicht der Ort, darauf genauer einzugehen (vgl. Infektions-
lehre). Es sei nur bemerkt, daß man früher wohl zu viel Wert auf die
mechanischen Einflüsse an sich gelegt hat. Ebenso hat man früher
den Einfluß des Stoffwechsels der Parasiten im Körper ihrer Wirte
gewiß überschätzt, indem man z. B. annahm, daß sie mit dessen Zellen
im Kampf um die Nahrung, z. B. den Sauerstoff, in erfolgreichem Wett-
bewerb träten. Selbst bei der reichlichsten Entwicklung der Parasiten
bleibt ihre Masse gegenüber der der Wirte so zurück, daß von
einer Nahrungsentziehung kaum die Rede sein kann, mindestens nicht
bei den höheren Tieren. Bei niederen Wesen und den Pflanzen mag
(las zum Teil anders sein (vgl. § 51, S. 171 und § 329). Über die
beschränkte Bedeutung giftiger Stoffwechselprodukte der Parasiten
haben wir uns schon in § 258 — ^260 ausgelassen^).
Umgekehrt ist man aber unseres Erachtens
etwas zu sehr geneigt, die am Tier mit Bakterien-
giften erhaltenen Erfolge zu überschätzen. Man
hat meist angenonmien, daß die an einzelnen, vielleicht durch be-
sondere Giftigkeit ausgezeichneten Kidturen und an bestinmiten be-
sonders empfänglichen Tieren gemachten Erfahrungen sich ohne wei-
teres auf den Menschen bzw. auf die für die natürliche Infektion in
Betracht konmienden Tiere übertragen ließen. In dieser Beziehung tut
jedenfalls eine gründUche Durchsicht der bisherigen Annahmen not
(vgl. namentlich Rauschbrand § 281, Dysenterie § 289, aber auch
Cholera § 284 und Typhus § 286).
Die Giftigkeit der einzelnen Bakterien zeigt gewaltige Unter-
schiede. Ich habe für jede Art in der folgenden Tafel (S. 860) die-
1) Eine andere Erklärung suchen Graßberger und Schatten-
froh für solche Fälle zu geben, in denen der Nachweis des (iiftes im Stich
läßt (Sitzungsber. d. Akad. Wiss. Wien. Math.-naturw. Kl. 114 Abt. III
133, 1905). Sie meinen, die Entziehung eines vielleicht nur in kleinen
Mengen im Körper vorhandenen lebenswichtigen Stoffes durch die Bak-
t^rienwirkung könne die Krankheitserscheinungen, die wir als Vergiftung
anzusehen pflegen, verursachen. Bestimmte Anhaltspimkte dafür liegen
nicht vor (vgl. Rauschbrandgift § 283).
860
Kap. XVI, $ 268 u. 269.
Vergleich der Giftstärke.
Versuchstier und
Verhältnis des
Benutztes Gift
Mikrobenart
1
Einverleibung
Körpergewichts
zum Gift
( Trockensubstanz ' ) )
Diphtherie
Meerschw. subk.
2 Mill.
Durch Fällung ge-
reinigtes Bouillon-
filtrat
Tetanus
♦» »»
1000 „
Gereinigtes Gift
Wurstgift (botu-
»» »»
100 „
Bouillonfiltrat
linus)
.
Rauschbrand
*t 9*
300000
t»
Cholera
Meerschw. intrap.
125000
Bakterienleiber
Typhus
f » 99
100000
99
Dysenterie
Kanin, intrav.
3 100 Mill.
Auszug der Bakte-
rienleiber
Pseudodysen-
1
terie
»♦ »»
100000 1 „
Bakterienleiber
Knteritidis
(Fleischgift)
Meerschw. intrap.
1500000
»»
Influenza
f» >»
100000
99
Schweinepest
f» ♦»
100000
»»
Schweineseuche
»» »»
100000
»»
Hühnercholera
1» »»
80000
»f
Wildseuche
»» »f
30000
»»
Pest
Ratten intrap.
400000 ( ?)
Frische Bazillen
»»
»f f»
200000
Alte Bouillonfiltrate
Milzbrand i
Rotlauf /
Meerschw. u. Ka-
1 1000 ( ?)
ninchen
BaziUenleiber
Pneumokokken
Kaninch. intrav.
300 1000
Infiziertes Blut
Malignes ödem
Meerschw. subk.
500
Bouillon
Streptokokken
99 »»
100000
Bouillonfiltrat
Gonorrhöe
Meerschweinchen
intrazer.
600000
Aszi tesboui Hon
Staphylokokken
Kanin, intrav.
3000
Alte Bouillonfiltrate
»?
Meerschw. intrap.
30000
Alte Bakterienleiber
Pyocyaneus
»» y»
10000
Bazillenleiber
9*
»» >»
300000
Alte Bouillonkultur
IVoteus
Maus intrap.
15000
Bakterienleiber
Subtilis
Meerschw. intrap.
100000
99
Prodigiosus
j» »»
300000
»»
Tuberkulose
Meerschweinchen
intrazer.
300000
T. 0. (R. Koch)
9*
Meerschw. intrap.
1500
99
tub. Meerschw. ip.
150000
Aktinomyces
Kanin, intrav.
5000
Nuklein
1) Als Trockensubstanz der Bouillon wurden gewöhnlich 2 Vr ^*^
Serums 10 "/o, der Bakterien 20 — 25 °/o angenommen.
Gifte der Kleinwesen. 861
jenige Grewichtsmenge der empfänglichen Versuchstiere in Gramm
berechnet, die durch 1 g des Giftes akut, d. h. binnen 24 Stunden —
oder wenigstens in einigen Tagen (Diphtherie, Tetanus) — bei der
günstigsten Art^) der Einverleibung und der kräftigsten Beschaffen-
heit des Giftes (§ 271) gerade noch getötet wird. Dabei ist zu
bedenken, daß alle diese „Gifte^' auch nicht annähernd reine Körper
sondern im allgemeinen nur einen ganz kleinen Teil der
zum Tierversuch dienenden Substanz darstellen. In Wirklichkeit ist
die Giftigkeit also fast durchweg viel höher anzuschlagen. Um so
überraschender sind die Zahlen, die wir in der Tabelle für das Tetanus-
und Wnrstgift (Botulotoxin) — beides übrigens von Bakterien stam-
mend, die wenig oder gar keine eigentliche Infektiosität besitzen —
finden: sind sie doch imstande, das 100 — 1000 millionenfache ihres
Gewichts an Meerschweinchen zu töten. Auch das Kaninchengift der
Ruhrbazillen kommt ihnen manchmal nahe. Die stärksten der chemisch
bekannten Gifte (aus der Klasse der pflanzlichen Alkaloide), femer
Arsenik und Phosphor, sind ihnen nicht im entferntesten zu vergleichen :
diese kommen höchstens dem Diphtherie- und manchem Buhr- und
Fleischgift, die im Verhältnis von 1 : 1 — 3 Millionen töten, einigermaßen
nahe. In einigem Abstand, aber auch noch sehr kräftig (1:100000
bis 300 000) wirken die Gifte der Pest -, Cholera-, Typhus-, Influenza-,
Schweinepest-, Schweineseuchebazillen. Auf gleicher Stufe mit den
genannten Infektionsgiften stehen bemerkenswerterweise wieder die
des Bac. pyocyaneus, eines meist ganz harmlosen Schmarotzers mensch-
licher Wunden und des Bac. prodigiosus, der überhaupt noch niemals
als Krankheitserreger im lebenden Tiere oder Menschen gefunden
worden ist, vielmehr zu den gewöhnlichsten Bewohnern toter Stoffe,
den sog. Saprophyten, gehört. Die Infektiosität, d. h. das
Vermögen, im lebenden Körper zu wachsen, hat
offenbar wenig oder nichts mit der Giftbildung
zutun (vgl. § 257). Dem entspricht ja auch die Tatsache, daß die
sog. Septizämieerreger, die sich in imgehexiren Mengen im Tierkörper
entwickeln, wie die Milzbrand- und Rotlaufbazillen, sehr wenig
giftig sind.
§ 269. Einfluß des Wirkungsortes und der Tierart auf
die Giftigkeit. Zu bedenken ist freilich bei der Beurteilung unserer
Tafel, daß namentlich in gewissen Fällen der von uns angelegte Maß-
stab der Giftstärke ein willkürlicher ist. So würde man z. B. für das
Gift der Tuberkelbazillen und Ruhrbazillen (bei Meerschweinchen)
ganz andere Ergebnisse erhalten, wenn man nicht nur den schnellen,
1) Soweit Versuche vorliegen. Vgl. im übrigen § 269,
862 Kap. XVI, § 269.
sondern auch den schleichenden Verlauf der Vergiftung berücksichtigte.
Femer sind oft Tierarten gewählt, die für die Gifte besonders emp-
fänglich sind, aber unter natürlichen Bedingungen als Opfer einer
Vergiftung schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil sie für die
betreffende Infektion gar nicht empfängUch sind. Wenn man im-
Stande wäre, z. B. mit dem Buhrgift am Menschen zu experimentieren,
würde man wohl viel schwächere Wirkungen erhalten, als am. Kanin-
chen (s. u.). Ebenso große Bedeutung hat sodann die Auswahl der
zu prüfenden Stämme. Manche Ruhrbazillen z. B. — es scheinen
das gerade die am wenigsten infektiösen zu sein — sind für die Kanin-
chen bis 100 mal giftiger als andere (§ 289). Gewisse schnell tödliche
Gifte der Cholera- und Typhusbazillen scheinen sogar nur ausnahms-
weise vorzukommen (§ 271, 284, 286). Besonders wichtig ist femer
der Ort der Einverleibung des Giftes.
Zu den wenig giftigen Bakterien gehören die Gonokokken (§297)
und Tuberkelbazillen (§ 304), wenn man ihre Produkte den Versuchs-
tieren unter die Haut oder in das Bauchfell einbringt, sie werden aber
100 — ^200 mal, ja 1000 mal giftiger bei Einspritzung in das Grehim oder
auch in das Blut. Buhrbazillen sind für Affen unter der Haut fast un-
giftig, im Blut sehr giftig (§ 284). Wir haben hier einige besondere
ins Auge springende Beispiele für die Wichtigkeit der Einverleibungs-
art. Auch sonst tritt diese fast allenthalben hervor, doch nicht immer
in demselben Maße und in derselben Richtung. Es gilt freilich die
Regel, daß die Einspritzung in das Blut wirksamer ist als die in das
Bauchfell und diese wirksamer als die imter die Haut^). Dafür scheint
die Schnelligkeit der Aufsaugung maßgebend zu sein.
So sah V o g e s 2) Meerschweinchen von 300 — 400 g an dem Gift
der Schweineseuche sterben, wenn er ihnen in das Bauchfell 8 mg,
unter die Haut des Bauches 20 mg, unter die Haut des Rückens 50
bis 100 mg, in die Muskulatur der Beine 100 — 150 mg einführte. Aber
abgesehen davon ^) ist der Ort der Einspritzung von Bedeutung, weil
1) Wenn es sich nicht darum handelt, die tödliche Giftgabe zu be-
stimmen, ist die subkutane Einspritzung wohl den übrigen vorzu-
ziehen. Mit ihrer Hilfe gelingt es noch z. B. beim Diphtheriegift mit dem
15. Teil der kleinsten tödlichen Menge örtliche Veränderungen zu erzeugen.
Noch besser eignet sich dazu nach Römer (Zeitschr. f. Immunitäts-
forschung 3. 208, 1 909 ) die intrakutane Einführung. Durch sie werden
noch mit dem 250. bis 600. Teil der tödüchen Gabe Reaktionen »zieh.
2) Zeitschr. f. Hyg. 23. 237, 1896.
3) Mit der ungleichen Aufsaugungsgeschwindigkeit hängt wohl such
die namentlich bei Endotoxinen oft gemachte Beobachtung zusammen,
daß mit der Konzentration der Giftlösung bzw. in um-
gekehrtem Verhältnis zur Menge der einverleibten Flüssigkeit die Giftig-
keit steigt.
Gifte der Kleinweseii. SO'J
die Organe nngleich stark für das Gift empfänglich sind. Bei den einzel-
nen Tierarten trifft man da häufig ganz verschiedene Verhältnisse. So
wirkt das Tetannsgift beim Kaninchen in sehr viel kleinerer Menge,
wenn es in das Grehim, als wenn es unter die Haut gebracht wird,
während beim Meerschweinchen kaum ein Unterschied besteht, luid
Ratten und Mäuse eher der subkutanen als der intrazerebralen Ver-
giftung erliegen^). Das Tetanusgift nimmt auch insofern eine Aus-
nahmestellimg ein, als es im Blut schwächer wirkt als unter der Haut
usw. und namentlich in der Muskulatur und den Nerven. Wahr-
scheinlich hängt das damit zusammen, daß dieses Gift eine eigen-
tümliche Beziehung zum Nervensystem hat, nämlich in den Ner-
venbahnen von der Peripherie nach dem Zentrum
zu wandert (vgl. § 281 und Infektionslehre). Dazu stimmt die
große Empfänglichkeit des Zentralnervensystems für dieses Gift (s. o.).
Auch das Gonokokkengift (s. o.) imd das der Influenza (§ 302) hat viel
kräftigere Wirkung, wenn man es in das Zentralnervensystem ein-
bringt, nicht dagegen das Gift der Cholera-, Typhus-, Pyocyaneus-
bazillen und Staphylokokken. In jedem Falle sind übrigens bei der-
artigen Versuchen im Gfehim Kontrollversuche und ein besonders
streng aseptisches Verfahren nötig. Die Erfahrung hat gelehrt, daß
™le einfache chemische Körper, z. B. Salze, auf diesem Wege viel
giftiger sind, als auf anderen (vgl. § 304).
Übereinstimmung besteht insofern für alle Eigengifte der Bakterien,
als sie vom Verdauungskanal aus sehr viel schwä-
cher oder gar nicht wirken. In vielen Fällen, so z. B. bei
der Diphtherie und dem Tetanus, hat man auf diesem Wege überhaupt
keine Vergiftung erzielen können, trotzdem man mit der 100 — 1000-,
ja lOOOOOfachen Menge arbeitete. Schlangengift verhält sich ähn-
lich, während bekanntlich die meisten chemisch bekannten Gifte auch
vom Magen und Darm aus sehr energisch wirken. Doch gibt es auch
unter den Bakteriengiften einige, die eine Ausnahme von der allge-
meinen Regel bilden, indem man, allerdings mit weit größeren Gaben
als sonst, auch Vergiftung vom Darm erzielt, so das Gift des Bac. botu-
linus und einiger Bakterien aus der Parat}'phusgruppe. femer manche
Pflanzengifte (Rizin). Offenbar hängen diese Verhältnisse mit dem
Diffusionsvermögen, dem Angriffsvermögen für das Epithel und der
Widerstandsfähigkeit der Gifte gegen die Verdauungssäfte zusammen^).
Den größten Einfluß auf die Bestimmung der Giftigkeit hat, wie
schon aus dem Gesagten erhellt, dieWahldesVersuchstiers.
1) Roux und Borrel, Annal. Pasteur 1898. 229.
2) Siehe Aufnahme von Giften durch den Darm in der Infektions-
lehre. Vgl. auch § 274, beim Choleragift § 284 und bei Organgiften § 318.
864 Kap. XVI. § 279—271.
Wir werden später sehen, daß man beim Tetanusgift zahlenmäßig
die verschiedene Giftempfänglichkeit der einzebien Tierarten fest-
gestellt hat. Mehr oder weniger gelten derartige Unterschiede auch
bei den übrigen Giften, doch ist der Grad der Empfindlichkeit in jedem
Falle ein besonderer, wechselnder, so ist das Meerschweinchen — immer
im Verhältnis zum Körpergewicht betrachtet — für das Gift des Te-
tanus viel empfänglicher als das Kaninchen, für das der Diphtherie
etwa gleich, für das der Djrsenterie viel weniger empfänglich.
Neben der ungleichen Empfänglichkeit der Tierarten gibt es auch
eine solche der Rassen und Individuen, die die Feststellung der tod-
lichen Mindestgabe recht erheblich erschweren kann (vgl. z. B. Diph-
theriegift S. 843 Anm. 1).
§ 270. Wirkungsweise der Eigengifte. Inkubationszeit.
Über die Art der Giftwirkungen, die durch die Bakterien bedingt
werden, haben wir schon früher einiges gesagt (S. 795 ff.) und werden
ims darüber genauer in den pathologischen Abschnitten dieses Werkes
(Infektionslel]j*e) auszulassen haben, hier, wo es sich wesentlich nur
um die Unterscheidung der Gifte voneinander handelt, genügen wenige
Bemerkungen. Von einer charakteristischen, leicht erkennbaren Wir-
kung können wir nur bei verhältnismäßig wenigen Giften, denen des
Tetanus, der Diphtherie, des Botulismus, der Dj^enterie, allenfalls der
Influenza sprechen; die Vergiftungserscheinungen dagegen, die bei
manchen Versuchstieren durch Cholera, Typhus, Paratyphus, Ruhr,
B. coli, hämorrhagische Septikämie, Bac. prodigiosus usw. verursacht
werden, zeigen vorläufig kaum irgendwelche Besonderheiten. Alle
diese Gifte töten z. B. Meerschweinchen vom Bauchfell aus unter
Temperaturverminderung und schnellem Körperverfall binnen 10 bis
24 Stunden (sog. CholerakoUape, „Endotoxin-", „Proteinvergiftung"
§ 280). Vorläufig sagen wir, denn es ist sehr möglich, daß die Ver-
feinerung unserer Beobachtungsmethoden, andere Auswahl von Tieren
u. dgl. auch hier uns noch charakteristische Verschiedenheiten enthüllen
wird. Die Versuche am gesunden Menschen müssen ihrer Natur nach be-
grenzt sein, sie haben uns bisher nicht viel gefördert. Eine Ausnahme
macht bisher vielleicht nur der Versuch am tuberkulösen Men-
schen (imd Tier), der für das Tuberkulinstudium von Bedeutung ge-
worden ist. Auch er hat aber eigentlich nur quantitative, nicht quali-
tative Unterschiede in der Wirkung dieser Bakteriengifte ergeben.
Die Beobachtungen, die am natürlich erkrankten Tier imd Menschen
während des Lebens und nach dem Tode gemacht wurden, sind natür-
lich für die Beurteilung der Giftwirkung von großem Werte, haben uns
aber, gerade was die Unterscheidung der Gifte anlangt, nicht viel
mehr gelehrt, als die Tierversuche, sie geben uns außerdem deswegen
Gifte der Kleinwesen. SB5
iiäufig kein klares Bild der Vergiftung, weil beim natürlichen Verlauf
ler Infektion die Erreger an verschiedener Stelle, in
ingleicher Menge, mit wechselnder Schnellig-
V e i t ihre Giftwirkung entfalten. Es wäre von vornherein nicht aus-
schlössen, daß das so verschiedene Krankheitsbild
ler Cholera, des Typhus, der Ruhr nicht auf we-
jentlichen Unterschieden des Giftes selbst, son-
lern nur auf jenen Differenzen beruhte.
Sehr wichtig für die Kenntnis der Giftvrirkungen ist natürlich
las Verhalten der Gifte gegenüber den einzelnen Arten von Körper-
teilen und Geweben, das man bis zu einem gewissen Grade außerhalb
les lebenden Körpers, im Reagensglas, studieren kann (s. o. S. 796).
Die Bemühungen darum befinden sich noch im Anfangsstadium, sie
baben auch vorläufig nur ergeben, daß diejenigen Bakterienstoffe,
die z. B. rote und weiße Blutkörperchen schädigen (Hämolysine,
Leukozidine), zu trennen sind von den allgemeinen Giften, die den
schnellen Tod bewirken. Ob das gleiche von den sog. sekundären
Giften, die Entzündimg, Fieber, Emähnmgsstörungen und den lang-
samen Tod durch Entkräftung verursachen (§ 280), steht dahin.
Ebenso fragt es sich, ob wir besondere Herz-, Gefäß-, Nerven- und Hirn-
gifte annehmen müssen (§ 318). Pharmakologisch genau untersucht
bezüglich ihres Verhaltens zum Herzen, dem Gefäßsystem, der Atmung
sind bisher nur wenige Gifte, so das Diphtheriegift, die Vibrionengifte,
das Anaphylatoxin (vgl. Infektionslehre).
Seitdem man die Eigengifte der Bakterien kennt, hat man es als
eine charakteristische Eigenschaft betrachtet, daß sie nicht unmittel-
bar nach ihrer Einverleibung wirken, sondern erst eine gewisse Zeit
dazu brauchen. Diese „Latenz-" oder „Inkubationszeit" (Wartezeit) be-
trägt beim Tetanus-, Diphtherie-, Botulinus- und Dysenteriegift selbst
bei den gewaltigsten Gaben eine ganze Reihe von Stunden. Aber nicht
alle Eigengifte verlangen zu ihrer Wirkung eine Inkubationszeit. So
tötet Staphylokokkengift Kaninchen vom Blutwege aus in einer Stunde,
das der Bubonenpest Batten und Mäuse auch binnen kürzester Zeit,
das des Vibrio Nasik (§ 285) Kaninchen sogar binnen einiger Minuten.
Auch der Choleravibrio bildet wenigstens nach Metschnikoffu. a.
solche schnellwirkende Giftstoffe und beim Pneumoniekokkus (§ 294)
haben Kruse und P a n s i n i , beim Tuberkelbazillus de G i a x a
ähnliches beobachtet. Das Schlangengift, das den Bakteriengiften in
vielen Beziehungen an die Seite zu stellen ist, kann ebenfalls blitz-
artig toten. Umgekehrt gibt es chemisch bekannte Gifte wie das
K 0 1 c h i z i n ^), die auch eine Inkubationszeit brauchen. In dieser
1) Vgl. Hausmann, Pflügera Archiv 113. 317.
Kruse, Mikrobiologie. 55
8(56 Kap. XVI, § 270 u. 271.
Beziehung läßt sich also eine strenge Scheidung der Eigengifte von der
übrigen nicht durchführen (über Anaphylatozin vgl. § 344).
§ 271. Bildungsweise der Eigengifte. Was die Absonderung
bzw. Bildung der Bakteriengifte anlangt, so besitzt zwar jede einzelne
Art von Mikroorganismen ihre besonderen, durch die Erfahrung fest-
gestellten Eigenheiten. Indessen lassen sich gewisse allgemeine Regeln
aufstellen. In erster Linie ist das Vermögen der Giftbildung nicht
nur bei den Arten der Bakterien verschieden, sondern auch bei den
Abarten und Eulturstämmen ein wechselndes. Man kann
sagen, daß es mindestens ebenso sehr, wenn nicht noch mehr der
Abänderung unterworfen ist, als die meisten übrigen
biochemischen Eigenschaften der Mikrobien. Mit der sog. Virulenz
oder Infektiosität, d. h. der Fähigkeit, im lebenden Körper zu wachsen,
mit anderen Worten, die Rolle eines „Parasiten" zu spielen, hat die
Giftigkeit, wie öfters gesagt (§51, 68, 257, 268), meist nichts zu tun').
So ist z. B. nach unseren Erfahrungen ganz regelmäßig die Giftigkeit
der Ruhrbazillen für das Kaninchen am größten, für das Meerschwein-
chen weit geringer, die Infektiosität für letztere umgekehrt größer ab
für erstere; Stämme, die am meisten Eaninchengift bildeten, waren
weniger infektiös für Meerschweinchen. Doch gilt dieser Gregensatz
bloß für das sog. Kaninchengift der Ruhrbazillen (§ 289). Die Giftig-
keit für das Meerschweinchen ging sogar in einigen Fällen parallel
mit ihrer Infektiosität für dieses Tier. Es muß aber dahingestellt
bleiben, wieweit Zufälligkeiten dies letztere Ergebnis herbeigeführt
haben. Das trifft auch für die von mancher Seite gemachten An-
nahmen zu, daß Bakterien (z. B. die der Diphtherie imd Pest) ihre
Giftigkeit, indem sie durch empfängliche Tiere
hindurchgehen, steigern. Eine allgemeine Erfahrung ist
das keineswegs. So sind auch nach Graßberger und Schat-
tenfroh (§283) Giftigkeit und Virulenz beim Rauschbrandbazillus
völlig getrennte Eigenschaften. Auch die neuesten Mitteilungen über
schnellwirkende Toxine der Vibrionen, Cholera-, Typhus- und Para-
typhusbazillen, Staphylokokken zeigen, daß für die Giftigkeit eines
Bakterienstammes dessen angeborene, nichl von uns zu beeinflussende
Eigenart eine weit wichtigere Bedeutung hat als die Infektiosität.
Man muß sich alo einerseits zwar zur Giftdar-
stellung geeigneter Stämme bedienen, anderer-
seits aber nicht vergessen, daß die gewonnenen
Ergebnisse nicht allgemeingültig zu sein brau-
chen, d. h. das gefundene Gift unter natürlichen
1) Vgl. auch das bei den Aggressinen Gesagte (§ 321 ff.).
Gifte der Klein wesen. 857
Verhältnissen wenig Bedeutung haben kann (s. o.
.S. a59).
Sehr viel hängt, was die Menge des gebildeten Oiftes anlangt,
von der Zusammensetzung des Nährbodens und den sonstigen
Wachstumsbedingungen, z. B. der Temperatur imd dem
Sauerstoffzutritt, ab. Man wählt im allgemeinen die
für das Wachstum günstigsten Verhältnisse. In
den meisten Fällen ist man bisher mit den üblichen künstlichen Nähr-
böden zum Ziel gekommen, doch gibt es Ausnahmen, der Pneumokok-
kus (§ 299) bildet z. B. nach den bisherigen Erfahrungen auf Bouillon
etwa 20 mal weniger Gift, als in dem Blut der lebenden Versuchstiere.
Es liegt nahe, die Säfte des lebenden Tiers durch die des toten, z. B,
durch Blutserum oder Organsäfte oder lebende Leukozyten,
zu ersetzen, um stärkere Giftbildung hervorzurufen, man hat deshalb
vielfach derartige Zusätze zu den Nährböden empfohlen. Der Augen-
schein lehrt dabei, daß ein Erfolg nicht immer einfach dadurch be-
dingt wird, daß das Wachstum der Bakterien ein besseres wird, sondern
daß vielleicht gewisse Bestandteile in der Körpersubstanz vorhanden
sein müssen, die in irgendeiner vorläufig imbekannten Weise gerade
nur die Giftbildung unterstützen (vgl. Streptokokken § 295). Noch
näher glaubte man den natürlichen Bedingungen der Giftbildung da-
durch zu kommen, daß man die Mikrobien in Zelloidin- oder Schilf-
säckchen eingeschlossen innerhalb des lebenden Körpers (z. B. in der
Bauchhöhle) züchtete^). Bisher ist wenig dabei herausgekommen.
Natürlich sind die Bedingungen ja auch keineswegs dadurch geworden,
da eben nicht alle Stoffe dxirch die Membranen hindurchgehen; die
Aussichten der Giftgewinnung sind sogar insofern imgünstigere, als
umgekehrt die gebildeten Gifte unter umständen durch Diffusion
nach außen verschwinden. Das macht sich sogar bei einer anscheinend
noch natürlicheren Versuchsanordnung bemerkbar, wenn man nämlich
die Mikrobien wachsen läßt in serösen Höhlen und dann das Exsu-
dat auf Gifte verarbeitet. Bei der Besprechung der natürlichen
oder tierischen „Aggressine" wird davon die Rede sein, daß diese
Exsudate keineswegs so regelmäßig, wie man annehmen sollte, giftig
wirken (§ 321). Indessen glaubt man in anderen Fällen doch auf
solchem Wege besondere Gifte erhalten zu haben (vgl. Typhus, Milz-
brand u. a. m.). Auch das Blut (s. o.) und die Absonderungen
infizierter Tiere hat man öfters in ähnlicher Weise zur Giftgewinnimg
benutzt, aber die Verhältnisse liegen hier auch nicht so günstig, wie
1 ) Lit. bei de W a e 1 e und S u g g Zentr. Bakt. 42. 636, vgl. im
übrigen bei Cholera- und anderen Giften.
55*
868 Kap. XVI, § 271 u. 272.
es auf den ersten Blick scheint, weil die Gifte von den Organen
schnell gebunden und nur mangelhaft ausgeschieden zu werden pflegen
(vgl. Infektionslehre und § 274).
Die Vorschriften, die bezüglich der Zusammensetzung der künst-
lichen Nährboden gemacht worden sind, gelten immer nur für be-
stimmte Bakterien. So ist ein Peptongehalt der Bouillon für
die Giftbildung der meisten Bakterien sehr förderlich, nach der An-
sicht Christmas' bei den Gonokokken nur hinderlich (§297).
Zucker hemmt bei vielen Mikroorganismen die Giftentwicklung (s. o.
Diphtherie S. 828), begünstigt sie aber bei anderen (Rauschbrand).
Das gleiche gilt für die Temperatur: die meisten Bakterien ver-
langen die Temperatur der Warmblüter, der Bac. botulinus und pestis
bubonicae eher Zimmertemperatur. Im übrigen haben wir schon bei
dem Diphtheriegift gesehen, daß man auf verschiedenen
Wegen zum Ziele gelangen kann, und daß nicht
selten die erprobtesten Anordnungen zu Mißer-
folgen führen, ja daß sogar von einer Reihe unter ganz gleichen
Bedingungen angelegter Eulturgefäße das eine viel, das andere wenig
Gift erzeugt.
Über den Chemismus und Mechanismus der Giftbildung können
wir ebensowenig etwas Sicheres aussagen, wie über den der Fermente
bzw. Enzjrme (§ 68, 250). Wunderbar ist das ja nicht, da wir schon
ihre chemische Natur nicht kennen (vgl. aber das Anaphylatoxin § 344).
§ 272. Gewinnnngsweise der Eigengifte. Ekto- und
Endotoxine. Die Verfahren, durch die man aus den fertigen Kulturen
das Gift gewinnt, sind, um es mit einem Worte zu sagen, etwa dieselben,
die wir schon bei der Darstellung der Fermente kennengelernt haben
(§ 240). Bei den Bazillen der Diphtherie, des Tetanus, Botulismus,
Rauschbrands, den Staphylo- und Gonokokken, zum Teil auch bei
den Ruhrbazillen hat man die Erfahrung gemacht, daß ältere
flüssige Kulturen, die schon längst den Höhepunkt ihres
Wachstums überschritten haben, das stärkste Gift liefern, und daß
man es in den keimfrei durch Porzellan, Kieselgur oder auch bloß
mehrfach durch Papier filtrierten oder ausgeschleuderten
oder freiwilig abgesetzten Kulturen wiederfindet. Um-
gekehrt gewinnt man beim Cholera-, Typhus-, Paratyphus, Schweine-
pest- und -Septizämie-, Influenzabazillus usw., nach unserer Erfahrung
auch bei den Dysenterie- und Pseudodysenteriebazillen das kraftigste
Gift aus jungen Kulturen, und zwar aus den Leibern selbst. Man
kratzt dabei die Bakterien vom festen Nährboden ab oder ent-
nimmt sie aus dem flüssigen durch Abheben der etwa gebildeten Decken,
Abfiltern oder Ausschleudern, tötet sie durch scharfes Trocknen.
Gifte der Klein weBen. 869
Temperaturen von 55 — 120°, durch mechanische Zertrümmerung (s. u.),
durch (nicht zu eingreifende) chemische Mittel wie Chloroform, 0,5%
Karbolsäure, Toluol, Glyzerin, Alkalien und verwendet die Aubchwem-
mungen der Leiber als solche, oder entzieht ihnen die wirksamen Stoffe
durch dieselben oder andere phjrsikalische und chemische Mittel^).
Schon das 1 — ^2 stündige Erhitzen in Kochsalzlösung bei 55 — 65° und
nachfolgendes Zentrifugieren setzt uns z. B. in Besitz sehr kräftiger
Ruhr-, Typhus- und Choleragiftlösungen ; Ausziehen mit 0,5prozentiger
KaUlauge und Niederschlagen mit Essigsäure ergab Lustig und 6 a -
leotti zuerst bei Pestbazillen, dann bei allen möglichen Bakterien
giftige „Nukleoproteide" (s. u. § 273) ; tagelanges Schütteln in
destilliertem Wasser oder anderen Flüssigkeiten (vgl. Angriffstoffe
§ 320), Verreiben der feuchten Bakterien mit Glaspulver, Sand oder
Kieselgur (H. B u c h n e r und Hahn), Verreiben der trockenen
Bakterien in einem Mörser (R. Koch, vgl. Tuberkelbazillen § 304)
oder einer Kugelmühle (Lautenschläger) oder der feuchten
und gefrorenen bei der Temperatur der flüssigen Luft in dem von
Macfadyen und R o w 1 a n d angegebenen Apparat eröffnet die
Leiber und ermöglicht die Gewinnung des Saftes durch Auspressen
der „Piasmine" tmter hohem Druck (wie bei der Zymase § 89), Aus-
ziehen mit Wasser (s. Staphylokokken § 248), ganz schwachen Al-
kalien (Macfadyen) u. dgl.^). Auch die Autolyse ist dazu seit C o n -
radi öfter angewendet worden, ist aber bedenklicher, weil die Ver-
dauung die Gifte, besonders wenn sie lange einwirkt, angreift oder
auch erst giftige Zerfalktoffe erzeugt (vgl. Pestgift). Das gleiche gilt
wohl von der Behandlung mit alkalischem Alkohol (Coligift Vaughans
§ 288) oder Blutserum (Anaphylatoxin Friedbergers § 344).
Je nachdem man die Gifte auf die eine oder andere Weise gewinnt,
bezeichnet man sie als Sekretgifte, Ektotoxine (auch
eigentliche Toxine) und als Leibesgifte oder Endotoxinc,
ähnlich wie man die Ektofermente den Endofermenten gegenüber-
stellt (§ 240). Was die Berechtigimg dazu anlangt, so verweisen wir
auf das an letzter Stelle Gesagte. Man kann die Scheidung in prak-
tischer Beziehung für zweckmäßig halten, ohne doch von dem wissen-
schaftlichen Wert der Trennxmg überzeugt zu sein (s. auch S. 791).
1) Fast sämtliche Methoden sind beim Cholera- und TyphusbazilluH
284 und 286), zum großen Teil auch schon beim Diphtheriebazillus
{§261) angewandt worden. S. dort die Literatiu*. Praktisch wichtige
Einzelheiten, namentlich die Immungifte betreffend, s. auch im Handb. von
Kraus und Levaditi 1. Band bei Pick.
2) Vgl. die Äthylaminmethode Aronsons beim Diphtheriegift
<S. 830).
870 Kap. XVI, § 272.
Wenn man nämlich die Begriffe so auffaßt, wie es seit R. Pfeiffer»
Untersuchungen über das Choleragift (§ 284) gewöhnlich geschieht,
daß nämlich die Ektotoxine echte Absonderungen der lebenden Mikro-
ben, die Endotoxine Leibesbestandteile derselben seien, die erst durch
Absterben oder Abtöten in Freiheit gesetzt werden, oder wenn man
mit Oppenheimer u. a. gar die Ektotoxine als immunisierende,
die Endotoxine als nicht immunisierende Gifte, die einen als hitze-
empfindlich, die anderen als hitzebeständig definiert, kommt man
sofort in die Brüche^). Wir gehen auf die Immunisierungsfähigkeit
(§ 275) und die Widerstandsfähigkeit der Gifte (§ 274) später noch ge-
nauer ein.
Daß die Auffassung der Ektotoxine als echter Sekrete lebender
Zellen auf Schwierigkeiten stößt, daß wir vielmehr auch hier ebensogut
von einem Freiwerden der Gifte beim Absterben der Bakterien sprechen
können, haben wir schon bei Gelegenheit des Diphtheriegifts (S. 829 ff.)
gesehen. Auch bei den meisten anderen Sekretgiften ist es wohl nicht
anders, wie schon die Tatsache bezeugt, daß sie gewöhnlich erst aus
älteren Kulturen in genügender Menge erhalten werden. Am klarsten
sind aber die Verhältnisse bei dem Dysenteriebazillus. Man erhält
das gleiche für Kaninchen tödliche Gift durch beide der obigen Ver-
fahren. Dadurch wird bewiesen, daß das in der Bouillon wegen des
langsamen Wachstums nur allmählich gebildete und beim Absterben
der Bazillen ebenso allmählich in sie ausgeschiedene Gift von vornherein
in den Leibern der jungen Agarkulturen, die schon nach 24 Stunden
den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht haben, vorhanden ist.
also zwischen Endo- und Ektotoxin kein Gegensatz besteht,
vielleicht alle Eigengifte der Bakterien als Endo-
toxine in dem Pfeifferschen Sinne bezeichnet
werden könnten, und ein Unterschied nur insofern
hervortritt, als das Gift mehr oder weniger fest
amLeibe derBakterien haftet. Es brauchte ja nun freilich
nicht immer so zu sein. Denn es wäre möglich, daß einerseits die
Giftbildung mit dem Wachstum der Bakterien und andererseits die
Ausscheidung der Gifte aus den Bakterien mit dem Absterben nicht
gleichen Schritt hielte. Die bei den Filtratgiften der Staphylokokken
und namentlich bei dem Hämolysin (imd Leukozidin) der meisten
Bakterien (§ 312) gewonnenen Erfahrungen sprechen dafür, daß diese
giftigen Stoffe ursprünglich nicht fertig gebildet in den jimgen Leibern
der Bakterien vorhanden sind. Gerade hier könnte man am ehesten
1) Vgl. die Verhandlung über Endotoxine in der 2. Tagung des Verein!«
für Mikrobiologie. Zentr. Bakt. Ref. 42. Bd. Beiheft.
Gifte der Kleinwenen. 871
daran denken, daß diese Gifte wie viele Enzyme nur in gewissen
Zeiten ihres Lebens von den Zellen gebildet und
abgesondert würden. In mancben Fällen scheinen die das Gift
liefernden Bestandteile durch den längeren Aufenthalt in den
Bakterienleibem oder der Lösung geschädigt zu werden. In anderen
Fällen wird das Gift aber vielleicht gerade durch Zersetzungs-
vorgänge, wie wir sie ja in geschädigten Zellen so häufig eintreten
s^hen (Selbstverdauung) verstärkt oder überhaupt erst aus den un-
schädlichen Muttersubstanzen entwickelt (Pest ? § 291). Meist dient
fieilich die Selbstverdauung dazu, die Endotoxine aus den Leibern
zu befreien und schädigt sie bei längerer Einwirkung.
Daß die Ausscheidung der Bestandteile der Bakterienleiber mit
angleicher Schnelligkeit und Leichtigkeit erfolgt, wird schon durch die
verschiedene Zusammensetzimg der letzteren wahrscheinlich ge-
macht. Der Fettgehalt imd die dichte Beschaffenheit der säurefesten
Bazillen (§19) wird ebenso wie die feste Struktur der grampositiven
(§18) den Vorgang verlangsamen, es wird also hier eingreifender Mittel
bedürfen, um das Gift in Freiheit zu setzen.
Die Empfindlichkeit der Gifte (§ 274) spielt bei allen
diesen Vorgängen wohl sicher keine geringe Rolle. Nach L ü b b e r t
ist sie bei den giftigen Heubazillen der Milch (§ 301) so groß, daß man
das Gift überhaupt noch nicht in löslichem oder unlöslichem Zustand
hat gewinnen, sondern sein Vorhandensein nur durch Versuche mit
den lebenden Bakterien hat nachweisen können. Bei seinen Studien
über das Choleragift kam R. Pfeiffer fem er zu dem Schluß, es
gäbe ein gegen alle Angriffe sehr empfindliches, um ein Vielfaches
stärkeres „primäres" und ein widerstandsfähigeres, aber schwächeres
„sekundäres" Leibesgift. Wir werden sehen, daß sich diese Unter-
scheidung gerade für die CSiolera nicht in dem ursprünglichen Sinne
aufrecht erhalten läßt, immerhin ist sicher, daß man z. B. durch Kochen
viele, wenn nicht alle gelösten Gifte in ihrer Wirkung abschwächen,
andererseits aber aus den Bakterienleibern durch längeres Kochen
immer wieder neue Giftstoffe ausziehen kann. In welcher Beziehung
diese kochfesten Gifte zu den ursprünglichen stehen, ist nicht ganz
sicher, der Name „sekundäre" Gifte also vielleicht nicht gerecht-
fertigt. Immerhin mag man ihn, um eine Bezeichnung zu haben,
beibehalten, wenn man nicht mit Buchner von „Bakterienproteinen",
mit Centanni von Fiebergiften, „Pyrotoxinen" sprechen will oder
aber den Namen Leibesgifte (Endotoxine) nicht ausschließlich auf die
kochfesten, schwer aus den Leibern freizumachenden Gifte beschränken
will (vgl. § 280).
Nicht nur primäre und sekundäre Gifte hat man übrigens bei einem
872 Kap. XVI, § 272 u. 273.
und demselben Bakterium zu unteischeiden, sondern auch stets im
Auge zu behalten, daß man es möglicherweise mit einer Vielheit
von Giften zu tim hat. Man hat verschiedene Mittel, um das zu
beweisen. So bildet z. 6. die ungleiche Widerstandsfähigkeit gegen
Temperaturen von 50 — 60® ein Mittel, das blutkörperlösende Teta-
nolysin (§312) und das krampferzeugende Tetanospasmin (§ 281) zu
unterscheiden (vgl. § 274). Ebenso glaubt man Ursache zu haben, von
dem eigentlichen allgemeinen Gift der Staphylokokken (§ 298) das blut-
körperlösende Staphylolysin (§ 312) und das Leukozyten tötende
Leukozidin (§ 317) trennen zu müssen. Ihre Scheidung voneinander
scheint manchmal erst durch die Benutzung der Immunisierungs-
verfahren (s. u.), andere Male durch den Vergleich der Wirkungen
von Giftlösungen, die von verschiedenen Nährböden, oder in dem-
selben Nährboden zu verschiedenen Zeiten, oder von verschiedenen
Stämmen derselben Art gewonnen sind (vgl. Tetanoljrsin, Staphylo-
lysin), mögUch zu sein. Weiter hat man bei den Pest-, Typhus-, Cholera-
bazillen, Vibrionen Gifte gefunden, die sich schon durch ihre kurze
Inkubationszeit (§ 270) von den gewöhnlichen unterscheiden.
Von den „Toxonen" haben wir schon bei Gelegenheit des Diphtherie-
gifts gesprochen (§ 263). Bei ihnen wurde, abgesehen von anderen
Dingen, die das Verhalten zum Tierkörper und Immunserum betreffen,
die mehr oder weniger ausgesprochene Filtrierbarkeit zu
seiner Trennung benutzt. Übrigens ist dieses Merkmal nur mit Vor-
sicht zu benutzen, da der ungleiche Schleim- und Eiweißgehalt der
Giftlösungen hierauf Einfluß hat (vgl. Pyocyaneus § 299, Gonokokken
§ 297). Immerhin macht es den Eindruck, als ob die weit verbreitete
Ansicht, daß alle gelösten Bakteriengifte auch filtrierbar sein müßten,
nicht den Tatsachen entspräche. In manchen Fällen ist es besser,
um das Gift frei von Bakterien zu erhalten, entweder — bis zur Klar-
heit der Lösung — auszuschleudern oder durch Fließpapier mit oder
ohne Zusatz von Talk u. dgl. zu filtrieren, als die eigentlichen Bakterien-
filter zu benutzen. Unterschiede an Durchlässigkeit bestehen ganz
sicher zwischen den einzelnen Filterarten, am durchlässigsten sind
einige Kieselgursorten^). Schon die älteren Filtrierversuche haben
femer gelehrt, daß im Anfange des Filtrierens die Gifte oft in den
Poren zurückgehalten werden imd erst in den späteren Anteilen hin-
durchgehen. Hin und wieder ist es möglich, auch die ungleiche A b -
sorbierbarkeit durch andere Stoffe zur Trennung der Gifte
zu benutzen, so weiß man, daß einzelne Nervengifte (Tetanus, Botn-
1) Über die Eigenschaften der verschiedenen Filter vgl. nament-
lich Rosenthal, Zeitschr. f. Hyg. 60, 1908.
Gifte der Kleinwesen. 873
lismus) durch Hirn und Rückenmark, die Hämolysine durch rote
Blutkörperchen (§ 274), die inmiunisierenden Gifte durch ihre Anti-
toxine gebunden werden. Schließlich ist die Fähigkeit zu im-
munisieren selbst ein Merkmal vieler Gifte, so fast aller Sekret-
gifte, aber auch einiger Leibesgifte (z. B. der Djrsenterie). Wir kommen
im § 275 auf diese „Impfgifte" zurück.
§ 273. Reinigung der Eigengifte. Chemische Natur«
Durch einen Teil der eben angegebenen Verfahren sind uns sichere
Büttel an die Hand gegeben, dem Ziele der Reindarstellung
der Gifte näherzukommen. Im übrigen gelten dafür die Methoden,
die wir schon bei Gelegenheit der Enzymdarstellung (§ 240) kennen
gelernt haben. Die Schwierigkeiten, denen wir hier und dort begegnen,
sind die gleichen. Man wird vor allem erwarten müssen, in diesen
Giftlösungen stets mehr oder weniger große Mengen von Eiweißkörpem,
namentlich Albumosen und Peptone zu finden. Von den ersten For-
schem, die sich mit der Darstellimg der Gifte beschäftigten, B r i e g e r
und F r ä n k e 1 (vgl. S. 824), ist dieser Pimkt nicht genügend be-
rücksichtigt worden, sie glaubten, als sie aus den Kulturfiltraten der
Diphtheriebazillen, dann aber auch der Typhus-, Tetanus-, Cholera-
bakterien und Staphylokokken und aus den Auszügen von Milzbrand-
organen durch Fällung mit Alkohol oder Ammonsulfat giftige Stoffe
erhielten, die eigentUchen Gifte vor sich zu haben und nannten sie,
weil sie sich wie Eiweißkörper verhielten, Toxalbumine. Die
weitere Entwicklung der Frage haben wir schon bei Besprechung des
Diphtheriegiftes behandelt (S. 825 ff.).
In erster Linie gebührt B r i e g e r selbst imd seinen Mitarbeitern
das Verdienst, nachgewiesen zu haben, daß, je mehr die Bak-
teriengifte von anhaftenden Unr ei n li ch ke i t e n
gereinigt werden, sie desto mehr den Charakter
von Eiweißkörpern verlieren. Einigermaßen scheint
diese Reinigung bei dem Diphtherie-, Tetanus- und Botulinusgift,
sowie einem Pflanzengift, dem Rizin, geglückt zu sein, bei den ersteren
hauptsächlich durch Darstellimg der Zinkdoppelsalze, bei den letzteren
durch Ausfällimg und Verdauung mit Trypsin. Die Trypsinverdauung
läßt sich bei den Bakteriengiften im allgemeinen nicht anwenden, weil
sie sie viel zu stark schädigt, ja oft völlig vernichtet (s. u.). Man
könnte daraus trotz Fehlens der übrigen Reaktionen auf die Eiweiß-
'vatur der Gifte schließen, wenn man wüßte, ob wirklich das Trypsin
oder andere noch unbekannte Bestandteile des Pankreassaftes den
schädigenden Einfluß ausüben. Macht man aber die Voraussetzung,
es handele sich hier um eine Hydrolyse durch Trypsin, so findet man
^rin nur eine Bestätigung der von vornherein wahrscheinlichen Ver-
874 Kap. XVI, § 273 u. 274.
mutung, daß die Bakteriengifte zum mindesten verwickelter gebaut
sind, wie die Aminosäuren, etwa in ihrer Zusammensetzimg Poly-
peptiden, vielleicht verbunden mit anderen „spezifischen'' Bestand-
teilen, entsprächen. Auch die Polypeptide geben ja nicht immer die
bekannten Eiweißreaktionen. Umgekehrt ist ein ähnlicher Bau aber
auch bei den übrigen nicht durch Trypsin zerstörbaren Giften nicht aus-
geschlossen, weil es Polypeptide gibt, die dem Trypsin widerstehen^).
Für die übrigen Bakteriengifte liegen so gründliche Untersuchungen
noch nicht vor, man hat aber wohl das Recht, die „Nukleoproteide",
die Lustig und Galeotti aus allen möglichen Bakterien dar-
stellten, die „Toxalbumosen", „Toxoglobuline", „Toxopeptone", „Toxo-
muzine'* usw. der Autoren (s. u. Cholera, Tuberkulose) mit einigem
Mißtrauen zu betrachten. Diese Benennimgen besagen wahrschein-
lich nichts mehr, als daß die betreffenden Giftstoffe noch nicht ge-
nügend von den durch die Fällungsmittel gleichzeitig niedergeschlagenen
Albumosen, Globulinen usw. befreit worden sind. Möglich wäre es freilich
auch, daß die Gifte nicht bloß mechanisch, sondern auch chemisch —
als Seitenketten (§68) — mit eiweißartigen Substanzen ursprünglich ver-
bunden wären^) und sich mehr oder weniger von ihnen trennen ließen.
Ob die von R u p p e 1 aus den Tuberkelbazillen dargestellte
,,Tuberkulin8äure", „Tuberkulosamin" usw. (§ 304 und § 25 S. Ci^)
eine Ausnahme bilden, d. h. leidlich reine Körper sind, mag dahin-
gestellt bleiben. Wahrscheinlich ist es gerade nicht, wirken sie doch
trotz ihrer chemischen Unterschiede gar zu ähnlich.
Vielleicht erklärt sich die Giftigkeit der alkoholischen, Äther-
und Chloroformauszüge mancher Bakterien und Pilze {§ 260) auch nur
aus bloßen Beimengungen giftiger Substanzen und läßt keine Schlüsse
auf die Natur der letzteren zu.
Wenn auch die Bakteriengifte keine echten Eiweißkörper sind,
so gilt doch von ihnen wie von den Enzymen, daß sie verwickelt ge-
baute Körper sind, die mehr oder weniger schwer (S. 840) diffundieren
und gegen chemische und thermische Eingriffe häufig sehr emp-
findlich sind (§ 274). Die Elementarzusammensetzung weicht bei den
möglichst gereinigten Giften nicht wesentlich von der des Eiweißes
ab (s. Tetanusgift § 281).
Obwohl die oben genannten Darstellungsmethoden, namentlich
die Fällung mit Alkohol oder Ammonsulfat, keine reinen Gifte er-
geben, werden sie dennoch vielfach gebraucht, um die Gifte in ver-
dichteter, trockener und deshalb haltbarerer Form zu gewinnen. Das-
1) Über die Auffassung des Anaphylatoxins als Verdauungsprodukt
dos Eiweißes vgl. § 344.
2) Vgl. F e r m i und P e rn o s s i , Zeitschr. f. Hyg. 16. 423, 1894.
Gifte der Kleinwesen. 875
selbe Ziel erreicht man häufig auch dadurch, daß man die Giftlösimgen
bis zur Trockne eindampft. Gewöhnlich ist es nötig, um das Gift
nicht zu zerstören, bei niedriger Temperatur (25 — 35°) — am besten
im luftleeren Raum — zu arbeiten (§ 261). Das trockene Gift be-
hält am ehesten seine Wirksamkeit, wenn man es mit Ehrlich
unter Abschluß von Sauerstoff und Feuchtigkeit — im luftleer gemachten
T-Röhrchen, dessen einer Schenkel mit Phosphorsäure beschickt ist —
aufbewahrt (vgl. Tetanusgift).
Die Vorstellungen über den verwickelten Bau der Immungifte,
zu denen man durch das Studium ihrer Beziehungen zu den Anti-
toxinen gekommen ist, haben wir schon beim Diphtheriegift besprochen
und werden weiter unten noch Ergänzungen dazu bringen (§ 275).
§ 274. Giftzerstörende und giftbindende Einflfisse. Schon
bei der Darstellung der Gifte (§ 272) haben Yni von ihrem imgleichen
Verhalten gegen Temperaturen gesprochen und hervorgehoben,
daß gerade die stärksten Gifte wie die Enzyme dagegen recht emp-
findlich sind, indem schon weit unter 100® gelegene Temperaturen
sie zerstören. Für jedes Gift gelten bestimmte Temperaturen; am
niedrigsten liegt die Grenze für das Tetanolysin, das schon durch
20 Minuten lange Erhitzimg auf 50** seine Wirkung einbüßt, am höchsten
für die Endotoxine, von denen manche (Tuberkulin), für die mit ihnen
verwandten sekundären Gifte (§ 280), die sämtlich die Siedehitze ver-
tragen, aber auch für ein wiederholt dargestelltes Choleraektotoxin. Die
hitzebeständigen Gifte brauchen nicht der Fähigkeit, Immimkörper
zu erzeugen (§ 275), zu ermangeln. Bekanntlich verhalten sich auch
Schlangengifte ähnlich. Auch unter den Endotoxinen kommen übrigens
solche vor, die von höheren Temperaturen z. B. von 70 — 80® (vgl. Ruhr-
gift) vernichtet werden. In getrocknetem Zustand vertragen
auch die empfindlichsten Gifte, wie die Enzyme, die Erhitzung selbst
über 100° viel besser.
Wenn höhere Temperaturen bei genügend langer Einwirkung für
die meisten Gifte, namentlich für die Immuntoxine, schädlich sind,
so ist damit nicht gesagt, daß sie bei niederen Temperaturen un-
begrenzt haltbar seien. Das ist sogar bei den kochfesten Giften nicht
immer der Fall. So verlieren Tuberkulin- und andere Giftlösungen
im verdünnten Zustande auch bei gewöhnlicher Temperatur
ziemlich schnell ihre Wirksamkeit. Die Immungifte gehen dabei zum
Teil in ungiftige „Toxoide" (§ 262 und 275) über. Brutschranktempe-
raturen vermindern, sehr niedrige Temperaturen, sowie auch manchmal
Zusätze von Karbolsäure, Toluol, Glyzerin, Neutralsalzen (s. u.) er-
höhen die Haltbarkeit. Die Möglichkeit, die Gifte in völlig trockenem
876 Kap. XVI, § 274.
Zustande und bei Sauerstoffabschluß lange Zeit aufzubewahren, wurde
schon oben erwähnt.
Das Licht (vgl. § 45 u.245) schädigt die Bakteriengifte wie die Fer-
mente. So wird Tetanusgift nach Kitasato^), Fermi und
Pernossi^) durch volles Sonnenlicht bei 37® in etwa 15 Stunden
zerstört, freilich auch wieder nur in feuchtem Zustande. Unter dem
Einfluß des Lichtes werden manche (fluoreszierenden) Farbstoffe, die
an sich unschädlich sind, für ihre Gifte gefährlich. So geht die Giftig-
keit des Diphtheriegifts nach Jodlbauer und Tappeiner')
in Berührung mit Eosin durch dreitägige Belichtung auf weniger als
den hundertsten Teil zurück. Sogar innerhalb des lebenden Körpers
soll sich dieser Einfluß bei vergifteten Meerschweinchen wohltätig be-
merkbar machen. Ebenfalls vernichtet der elektrische Strom das
Tetanus- und Diphtheriegift (Fermi und Pernossi, Mar-
m i e r *)) , doch nur der kontiniderliche Strom z. B. von 4 Bunsen-
elementen, nicht der hochgespannte Wechselstrom. Wahrscheinlich
treten hierbei chemische Wirkungen (des Chlors und der unterchlorigen
Säure) ins Spiel (vgl. § 45).
Die Haltbarkeit der Gifte in ihren eigenen Bakterienkulturen
ist keineswegs unbegrenzt, im Gegenteil pflegen sie ihre höchste Wirk-
samkeit, die sie früher oder später (s. o. S. 830) erreichen, nicht bei-
zubehalten. Teils Säure-, teils Alkalibildung, teils vielleicht auch
Fermenteinwirkungen (Selbstverdauung) werden wohl dabei mit-
spielen. Fremde Bakterien, die in den Giftlösungen wachsen,
brauchen sie nicht zu zerstören (Fermi und Pernossi). Nach
Metschnikoff**), Garnier und Sabar^anu^) soll aller-
dings der Typhusbazillus das Diphtheriegift zerstören, das Tetanus-
gift aber verstärken, der Milzbrandbazillus die umgekehrte Wirkung
ausüben. Wodurch, steht dahin. Auch Darmbakterien sollen nach
C a r r i e r e (s. u.) das Tetanusgift abschwächen. Die Pyoeyanase,
ein aus Pyocyaneuskulturen hergestellter Stoff (§ 7 u. 8), hat nach Em-
merich und Low') ebenfalls eine gewisse entgiftende Wirkimg
auf Diphtheriegift. Ob dabei dessen lipoidartige (s. u.) oder andere
Bestandteile beteiligt sind, wäre noch auszumachen.
Von sonstigen zerstörenden Einflüssen seien zunächst genannt die
Verdauungsflüssigkeiten, vor allem der Pankreassaft,
1) Zeitschr. f. Hyg. 10, 1891.
2) Ebenda 16, 1894.
3) Münch. med. Woch. 1904. 737.
4) Annal. Pasteur 1896 mit Lit.
5) Annal. Pasteur 1897. 802.
6) Arch. m^d. exp^r. 1904.
7) Zeitschr. f. Hyg. 31. 50, 1899
Gifte der Kleinweeen. S77
dessen außerordentlich kräftige Wirkungen Nencki, Sieber und
Schoumoff, Carriere*), Dörr u. a. für Diphtherie-, Te-
tanus-, Dysenterie- und Vibrionengifte festgestellt haben. Speichel
und Dannsaft haben eine viel geringere Wirkung, Magensaft eine
starke, die er aber ganz wesentlich seinem Säuregehalt (vgl.
§267) verdankt. Das Wurstgift (Botulotoxin §282), Fleischgifte
(§ 287), manche Hämoljnsine, Tuberkulin und die Endotoxine bzw.
sekundären Bakteriengifte (§ 280) sind dagegen mehr oder weniger
widerstandsfähig gegen die Verdauung. Darauf beruht wiederum zum
Teil das ungleiche Verhalten .der Gifte bei Verfütterung. Einzelheiten
darüber bringen wir in der Infektionslehre. Bort werden wir auch die
giftwidrigen bzw. -bindenden Eigenschaften anderer Körperbestand-
teile, so der Galle, der Epithelien, Leukozyten imd
Gefäßendothelien des Unterbaut- 2) und Nervengewebes, der
Leber- und anderen Organauszüge, des Blutes normaler imd immuni-
sierter Tiere behandeln. Diese Wirkungen sind je nach den Giften
verschieden und noch keineswegs vollständig aufgeklärt. In vielen
Fällen, so namentlich im Immunserum, werden besondere Gegen-
gifte (Antitoxine) in Anspruch genommen. Sie interessieren uns in
diesem Teile unseres Werkes nur so weit, als sie ein Licht werfen auf
den Bau der Immungifte (§ 275). Außerdem hat man aber, gestützt
auf Versuche, eine sehr energische Giftwirkung durch G e w e b s -
oxydasen (Sieb er®)), durch Autolyse entstandene Gewebs-
stoffe (B 1 u ni *)) angenommen, ferner N u k 1 e i n e imd andere
Eiweißkörper, namentlich aber Fette und andere Lipoide
(Cholestearin, Lezithin^), Protagon**)) als entgiftend erkannt. Wir
halten es für sehr wahrscheinlich, daß auch die von Wassermann
und T a k a k i ^), sowie ß a n s o m ®) zuerst beobachtete sog. anti-
toxische Kraft des Zentralnervensystems gegenüber dem
1) Aimal. Pasteur 1899 Lit.
2) S. auch beim Diphtherie- (S. 841) und Ruhrgift (§ 289).
3) ZeitBchr. phyaiol. Cham. 32, 1901.
4) Hofmeisters Beitr. 5, 1904.
5) Kempner und Schepilewski, Zeitschr. f. Hyg. 27, 1898
(Botulismusgift). Die Lezithinverbindung des Kobragifts (Lezithid,
K y e 8) hat wohl keine Analogie unter den Mikrobengiften. Sie stellt
erst das eigentliche Gift vor, deis aus dem Zusammentreten eines ungiftigen,
in der Schlange gelieferten (ambozep torartigen) Körpers mit dem Lezithin
entsteht. Vgl. übrigens d&a Anaphylatoxin Friedbergers § 344.
6) Landsteiner und v. Eisler Zentr. Bakt. 39. 318, 1905;
Landsteiner und B o 1 1 e r i ebenda 42. 563, 1906 (Tetanusgift).
7) Berl. khn. Woch. 1898. 1. ; vgl. Kolle-Wassermanns
Handb. 4. 467, 1904.
8) Bei Behring, Berl. klin. Woch. 1898. 5.
878 Kap. XVI, § 274.
Tetanusgift, die von mancher Seite immer noch als besondere Stützt
der Ehrlich sehen Seitenkettentheorie angesehen wird, auf der-
artigen nicht spezifischen Wirkungen beruht^). Außer für Tetanus-
und Botulinusgift sind derartige Lipoidleistungen namentlich für
hämolytische Gifte nicht bakterieller (Schlangengift, Saponin) und
bakterieller Natur*) (Tetanolysin, Vibriolysin) fesl^estellt, während
Diphtherie-, Dysenteriegift und Staphylolysin wenig oder gar nicht
beeinflußt werden.
Daß auch andere, nicht dem Tier entstammende Körper von
verschiedenster Zusammensetzung entgiftende Einflüsse ausüben können,
hat z. B. von Lingelsheim®) gezeigt, indem er Diphtherie- und
Tetanusgiftlösungen durch einige Tropfen Earragheenschleim, und zwar
das letztere zum Teil auf die Dauer unschädlich machen konnte. Längst
bekannt ist ferner schon seit den Forschungen von B o u x und Y e r -
sin über das Diphtheriegift (S. 824), daß man durch fein ver-
teilte anorganische Körper, wie den Niederschlag von
Kalziumphosphat und Aluminiumhydroxyd, Diphtheriegift binden
kann. Ähnliche Erfahnmgen machten bei Tetanusgift Brieger
mit Tierkohle (§281), Stoudensky*) mit Kar min.
B i 1 1 z , M u c h \md Sichert^) bei verschiedenen Giften mit
Eisenhydroxyd. Die Bindung war hier zum Teil so fest, daß
man das Gift weder durch den Tier- noch durch den Reagensglasver-
such in dem bindenden Körper nachweisen konnte.
Zur Erklärung der Bindxmgsfähigkeit aller dieser Stoffe hat man
teils die „Adsorption" oder „Oberflächenanziehung", teils die „Ab-
sorption" oder ,, feste Lösung" herbeigezogen®) und im Anschluß daran
auch die Bindung der Gifte an die oben genannten organischen Kolloide
einschließlich der spezifischen Antitoxine als ähnliche „physikalische"
oder besser physikalisch-chemische Vorgänge zu deuten versucht.
Soweit die Beziehungen zwischen Toxinen imd Antitoxinen in Frage
kommen, scheint ims das gegenüber den anschaulichen chemischen
Vorstellungen Ehrlichs (§ 262) keinen Fortschritt zu bedeuten
{ § 276 u. 277), im übrigen aber beachtenswert zu sein. Die kolloidale Natur
1) In der Infektions- und Immunitätslehre näheres. Vgl. M e t s c h-
n i k o f f , Annal. Pasteur 1898, 33; Marie ebenda 1898. 92; D a n y s z
ebenda 1899 ; Marie und M o r a x ebenda 1902. 820; Dmitriewski
ebenda 1903. 151; Besredka ebenda 1903. 140.
2) P. Th. Müller, Zentr. Bakt. 34, 1903; Landsteinerund
V. Eisler (s. o.), Pribram, Kolle-Wassermanns HandK
Erg.-Bd. 1. 297, 1906.
3) Zoitschr. f. Hyg. 42, 316, 1903.
4) Annal. Pasteur 1899.
5) Behrings Beitr. exper. Therap. 10, 1905.
6) Über Absorption im Filter s. o. S. 872.
Gifte der Klein weeen. 879
der Gifte wie der sie bindenden Stoffe legt ja diese Auffassung von
vornherein sehr nahe. Dies entbindet uns aber nicht von der Verpflich-
tung, das ungleiche Verhalten der einzelnen In-
fektion sgi ft e auch gegenüber den nicht spezi-
fischen Kolloiden, das aus allen bisherigen Erfahrungen
hervorgeht, zu beachten. Auch die sog. Eolloidchemie gibt uns dafür
bisher keine Erklärung.
Nach neueren Mitteilungen Pribrams^) würden dagegen die
Toxine mit gewissen, die Lösungsverhältnisse beeinflussenden k r i -
stalloiden Stoffen in ähnlicher Weise reagieren, wie andere
kolloide. So sollen alle (anorganischen) Neutralsalze von zwei-
oder mehrwertigen Metallen, femer die wasserlöslichen Narkotika,
Nervina und Anästhetika (Urethan, Kokain, Atropin, Chinin, Mor-
phium, Philokarpin) die Gifte zerstören oder wenigstens abschwächen,
die einwertigen Metallsalze und ungiftigen Alkaloide aber nicht. Die
Versuche wurden freilich bisher vorwiegend an Tetanusgift angestellt.
Sie erinnern uns an ältere Erfahrungen H. Buchners*) über den
Einfluß der Neutralsalze. Danach sollen Natriumsulfat, weniger gut
Kochsak (nicht aber Salpeter) Tetanus- imd Diphtheriegift geradezu
konservieren. Wenigstens schützen sie es einigermaßen gegen die schäd-
lichen Einwirkungen hoher Temperaturen, z. B. einstündiger Er-
hitzung auf 55®. K n o r r ^) machte allerdings die Beobachtimg, daß
Zusatz von 2 — 10% Kochsalz zum Tetanusgift zwar seine Haltbarkeit
bei gewöhnlicher Temperatur erhöhe, sie aber gegen hohe Temperaturen
herabsetze.
Über den zunächst nur vorübergehenden entgiftenden Einfluß
der Säuren haben wir schon früher (§ 267) gesprochen, femer die
schädliche Wirkung der Eiweißfällungsmittel, wie z. B. des Alkohols, bei
der Darstellung der Gifte (S. 825), die zum Teil eher nützliche der
Antiseptika soeben erwähnt. Die von Behring entdeckte ab-
schwächende Wirkung des Jodtrichlorids, der Lugolschen Lösung
und anderer Stoffe, wie des Goldnatriumchlorids, Chlorzinks, mancher
Farbstoffe (Buchner, Stilling, Flexner und N o g u c h i
u. a.) usw. hat man zu Immunisierungs- und Heilzwecken öfters
benutzt (vgl. Immunitätslehre).
Wasserstoffsuperoxyd zerstört das Tetanusgift, und zwar nach
Löwenstein (s. u. § 278) sogar, wenn es schon mit Antitoxin
in Verbindimg getreten ist.
1) Kolle-Wassennanns Handb. 2. Erg.-Bd. S. 288, 1909.
2) Arch. f. Hyg. 17. 164, 1893.
3) Experim. Untersuchungen über Grenzen der Heilungsmöglichkeit
des Tetanus. Marburg. Habil. 1895.
880 Kap. XVI, § 275.
§ 275. Bau der Impfgifte (Immantoxine). Wir haben schon
S. 792 gesehen, daß eine Reihe von Giften die Eigentümlichkeit
besitzt, im Tierkörper bei wiederholter Behandlung eine Art Gift-
festigkeit hervorzurufen, und daß diese „Giftimmunität" oft Hand in
Hand geht mit der Bildung von Gegengiften (Antitoxinen) im Blut-
serum der betreffenden Tiere. Zu den Impfgiften oder Immuntoxinen
gehören außer dem von uns schon ausführlich behandelten Diphtherie-
gift (§ 262 ff.) auch die beiden Gifte des Tetanusbazillus, das Tetano-
spasmin und Tetanolysin, das des Bac. botulinus, Rauschbrands, das
Kaninchengift und vielleicht auch das Meerschweinchengift des Dysen-
teriebazillus, drei Gifte des Staphylococcus pyogenes (Staphylotoxin,
Lysin, Leukozidin), das allgemeine und das hämoljrtische Gift des
Pyocyaneus und außer anderen Bakterienhämolysinen (§ 313) auch
noch einige neuerlich beschriebene allgemeine Gifte von Vibrionen,
Typhus-, Paratyphusbazillen, um von anderen weniger anerkannten
nicht zu reden.
Außerdem sind aber hinzuzuzählen pflanzliche und tie-
rischeGifte^), wie Rizin, Abrin, Robin, Aal-, Spinnen-, Schlangen-
gift usw., angeblich auch das Heufiebergift und die Hämolysine und
Bakteriolysine der Immunsera. Die übrigen Gifte, vor allem die große
Masse der chemisch bekannten, sind dagegen nicht imstande, zu im-
munisieren bzw. Gegengifte, die ins Blutserum übergehen, zu bilden^).
Im großen und ganzen sind die Impfgifte imd ihre Gegengifte spezi-
fisch, d. h. nur die ihrem Ursprung nach miteinander zusammen-
hängenden passen zueinander, neutralisieren, binden sich. Einige
Ausnahmen, die zum Teil noch zweifelhaft sind, ändern nichts an dieser
Regel (vgl. Immunitätslehre). Von mancher Seite*) ist der Versuch
gemacht worden, die Impfgifte noch durch andere Merkmale von den
übrigen Giften zu trennen. Sie sollen stets Sekretgifte (Ekto-
toxine), nicht Leibesgifte (Endotoxine), femer besonders emp-
findlich z. B. gegen Erhitzung und Verdauung sein, für ihre Wir-
kung im Tier auch eine Inkubationszeit verlangen. Doch haben
alle diese Regeln Ausnahmen. So vertragen das BotuUsmusgift und das
Rizin die Verdauung, das Schlangengift und das Typhusimmungift die
1 ) Vgl. darüber in Kraus* und Levaditis Handbuch.
2) Die Angaben über die Möglichkeit, echte Iimniuiität bzw. Anti-
toxin gegen chemische bekannte Gifte zu erzeugen, haben sich regelmäßig
als unrichtig erwiesen. Neuerdings behauptet aber wieder Ford ( Journ.
inf. diseases 1906 und 1907), daß die giftigen Glykoside von Amanita phal-
loides antitoxische Immunität hervorrufen.
3) Vgl. namentlich Oppenheimer, Toxine und Antitoxine, 1904.
Über die Beschränkung des Ausdrucks „Toxine" auf die Immuntoiine
s. o. S. 792 Anm.
Gifte der Klein wesen. 881
Siedehitze. Die Wartezeit ist bei vielen Vibrionen- und Schlangen-
giften nicht vorhanden. Das Dysenteriegift kann man ebenso gut als
Leibesgift wie als Sekretgift bezeichnen usw. Selbst die Bindefähigkeit
scheint keine den Immungiften allein zukommende Eigenschaft zu sein,
w^enigstens nicht gegenüber den Gre weben (S. 796 ff.); nur durch ihr Ver-
bältnis zum spezifischen Antitoxin des Immunserums und durch die
Fähigkeit, ihren bindenden (haptophoren) Gruppen die Zellen, in
denen sie verankert sind, zur Antitoxinbildung zu veranlassen^), sind
sie außgezeichnet und verdienen sie die Benennung als „Bindegifte".
Schon beim Diphtheriegift (S. 833) haben wir auseinandergesetzt, daß
die Bindung des Giftes mit seinem Antitoxin nach dem „Gesetz der
Multipla", d. h. proportional der in Reaktion tretenden Menge des
Giftes erfolgt, was Ehrlich durch das Vorhandensein je einer zu-
einander passenden haptophoren Gruppe im Toxin- imd Antitoxin-
molekül erklärt.
Wir kommen später auf einige Erfahrungen zurück, die zu dieser
Regel nicht stimmen sollen (§ 276 u. 278), halten aber vorläufig daran
fest, weil sie nicht nur im Falle des Diphtheriegiftes, sondern auch
sonst den Tatsachen im allgemeinen gerecht wird.
Beim Diphtheriegifte haben wir ferner ausführlich die Vorstel-
lungen besprochen, zu denen Ehrlich und * seine Mitarbeiter beim
Studium der Beziehungen zwischen Gift und Antitoxin gekommen
sind. Sie imterscheiden das stark wirksame Toxin, dessen „toxophore"
(giftige) Gruppe unverändert ist, von den weniger bzw. gar nicht wirk-
samen Toxoiden, bei denen sie eine Abschwächung bzw. Zer-
störung erlitten hat, das Toxon, bei dem die toxophore Gruppe eine
andere Art Giftwirkung (chronische Lähmungen, Schwellungen usw.) aus-
löst, wie das Toxin (akuter Tod, Nekrose usw.) und schließlich die un-
giftigen Epitoxonoide. Die bindende Gruppe ist bei Toxin, Toxoid,
Toxon und Epitoxonoid gleich gebildet, so daß sie in die Antitoxin-
bindegruppe hineinpaßt, besitzt aber ungleiche Verwandtschaft („Avi-
dität") zu ihr: am stärksten ist sie beim Prototoxin (-toxoid), dann folgen
das Deutero- und Tritotoxin (-toxoid) und schließlich das Toxon und
Epitoxonoid (§ 262—265).
Ist es erlaubt, diese Vorstellungen auf die übrigen Immungifte
zu übertragen und hier auch Toxoide, Toxone usw. anzunehmen?
Die Erfahrung, daß Abschwächungen bei allen diesen Giften unter den
natürlichen Verhältnissen sehr regelmäßig beobachtet werden, imd
daß sie durch künstliche Eingriffe, wie z. B. Erhitzimg, ferner durch
1 ) Über diese von Ehrlich angenommene Identität der bindenden
und immunisierenden Gruppen der Impf gifte vgl. § 279.
Krnse, Mikrobiologie. 56
882 Kap. XVI, § 275.
Chemikalien hervorgerufen werden können, ohne daß das Vermögen,
Antitoxine zu bilden und zu binden, dabei verloren geht, spricht
allerdings bei den meisten Impfgiften für das Vorkommen ungiftiger,
aber doch noch bindender Giftbestandteile, die man zu den Toxoiden
stellen könnte, und auch sonst lassen sich viele Analogien zvrischen
Diphtherie- und anderen Giften feststellen.
So fand Behring^), daß von frischem Tetanusgift
(Tetanospasmin) mehr tödliche Gaben (Gifteinheiten) zur völligen
Neutralisienmg einer feststehenden Antitoxinmenge (Antitoxin- oder
Immunitätseinheit^)) nötig sind, als von einem abgelagerten oder durch
Jodtrichlorid abgeschwächten Gift. Behring und sein Mitarbeiter
K n o r r , denen wir die wichtigsten Untersuchimgen über das Tetanus-
gift verdanken, drücken diese Erscheinung auch so aus, daß der „direkte"
(am Tier bestimmte) Giftwert einer Tetanusgiftlösung, wenn sie nicht
frisch ist, größer sei als der „indirekte" (mit Hilfe von Antitoxin be-
stimmte) Giftwert. K n o r r ^) bestätigte femer bei demselben Gift
den „Ehrlich sehen Versuch" (S. 838), indem er fand, daß zu dem
Übergang von dem Lß-Wert — dem Pimkte vollständiger Sättigimg
des Giftes durch Antitoxin — zu dem L_j_-Wert — dem Giftüberschuß.
der gerade die tödliche Wirkung herbeiführt — viel mehr als eine ein-
fache tödliche Gabe nötig ist. Das würde auf das Vorhandensein von
Toxonen im Tetanuskrampfgift schließen lassen. Morgen roth ^)
kam zu derselben Folgerung, indem er nach E h r 1 i c h s Methode
der teil weisen Absättigimg (S. 841) das Giftspektrum des Tetano-
spasmins zu entwerfen suchte. Die Prüfung gestaltete sich allerdings
schwieriger als beim Diphtheriegift, weil sich die notwendige Grundlage,
die Gifteinheit, beim Tetanus nicht mit der gleichen Sicherheit be-
stimmen ließ. M a d s e n ^) hat auf demselben Wege für das hämoly-
tische Gift der Tetanusbazillen, das Tetanolysin, ebenfalls ganz
ähnliche Bauverhältnisse aufgedeckt, wie Ehrlich für das Diph-
1) Fortschritte der Medizin 1899. 501.
2) Da das Antitoxin im allgemeinen besser haltbar ist als das Toxin,
geht man gewöhnlich von diesem ersteren aus xind stellt es auf ein be-
sonders starkes Gift ein- für allemal ein. Nach der für die Diphtherie-
giftmessung gültigen Bezeichnungsweise entspricht eine Ehrlich sehe
Immunitätseinheit (IE) 100 einfach tödlichen Gaben eines Mustergiftes.
Behring und K n o r r (Zeitschr. f. Hyg. 13, 1893) gehen beim Tetanus
von einer Antitoxineinheit aus, die so bemessen ist, daß sie eine für Töturjr
von 40 000 000 g Mäusen in 3 — 4 Tagen ausreichende Giftmenge neutra-
lisiert.
3) Münch. med. Woeh. 1898. 11/12.
4) Archiv, intemat. pharmacodyn. 1900.
5) Zeitschr. f. Hyg. 32, 1899.
Gifte der Kleinwesen. 883
theriegift. Statt des Tierversuches diente ihm als Probe auf die Wirkung
des Giftes die Lösung einer bestimmten Menge von Blutkörpem im
Reagensglas (§ 312). Madsen unterscheidet auch beim Tetanolysin
ein Prototoxin, das durch Umwandlung in Prototoxoid leicht seine
blutlösende Wirksamkeit, aber nicht seine Bindungsfähigkeit einbüßt,
(ks verhältnismäßig widerstandsfähigere Deuterotoxin und das Trito-
toxin, das zum größten Teil in Toxoid verwandelt ist, und schließlich
das sehr wenig giftige Toxon. H. Sachs*) hat endlich den
.,D a n y s z sehen Versuch" (S. 849) beim Tetanolysin nachgeprüft
und konnte zwar die Existenz von Toxonen mit Sicherheit nachweisen,
aber nicht die von Epitoxonoiden.
Zum Unterschied vom Diphtherie- und Tetanusgift zeigt das „Gift-
spektrum** des Stapholysins (§312) nachNeißerund W e ch s -
b e r g 2) größere Schwankungen, indem mehrfach ganz unwirksame
Strecken (Toxoide) mit wirksamen abwechseln. Das Ende des Spek-
trums nimmt auch hier das Toxon ein, das nur noch imstande ist, die
empfindlichsten roten Blutkörper des Kaninchens zu lösen. Die Menge
der Toxoide ließ sich durch Erwärmen der Giftlösung künstlich ver-
mehren, ohne daß die Bindungsfähigkeit für Antitoxin dadurch herab-
gesetzt wurde. Daß auch das Staphylolysin Epitoxonoide enthält,
machte S a c h s ^) dadurch wahrscheinlich, daß er den D a n y s z -
sehen Versuch mit Erfolg auch in diesem Fall wiederholte. Volk
und Lipschütz*) fanden im Vibriolysin wenigstens Toxoide.
Die Toxoide und Epitoxonoide®) der Bakteriengifte finden übrigens
weitere Analogien beim Rizin, Schlangen- und Spinnengift, in den Kom-
plementoiden, Agglutinoiden usw. des Blutserums (vgl. Immunitäts-
lehre), sowie in später zu besprechenden Bestandteilen anderer bak-
teriellen Impfstoffe (vgl. Kap. XVII).
Das Rauschbrandgift zeichnet sich nach Graßberger.
und Schattenfroh*) dadurch aus, daß es weder im frischen
1) Berl. klin. Woch. 1904. 16.
2) Zeitschr. f. Hyg. 36. 1901.
3) Zentr. Bakt. 37. 251.
4) Wien. klin. Woch. 1903. 1398, vgl. Kraus und Lipschütz,
Zeitschr. f. Hyg. 46. 62.
5) Wenn Levaditi (Annal. Pasteur 1905. 8) gegen die Annahme
der Epitoxonoide geltend macht, daß die D a n y s z sehe Erscheinung
auch unter Umstanden beobachtet wird, die damit kaum verträglich sind,
so bei der Absättigung des Trypsins durch Antitrypsin, so beweist das
nichts gegen jene Auffassung, da in jedem einzelne Falle die Dinge natür-
lich anders liegen können.
6) Über die Beziehungen von Toxin und Antitoxin, 1904 S. 90.
Vgl. auch Wien. klin. Woch. 1905. 15.
56*
884 Kap. XVI, § 275.
noch im abgelagerten Zustand ein von seinem Giftwert abweichendes
Bindungsvermögen für Antitoxine besitzt, d. h. jeder in L_^ enthal-
tenen tödlichen Gabe immer dieselbe Menge des Normalsermns ent-
spricht. Die Annahme von Toxoiden ist hier also wohl überflüssig.
Wenn trotzdem bei dem Lagern des Giftes und sicher bei geringen
Schädigungen, z. B. durch Erhitzen auf 50^, Schütteln mit Luft oder
dgl. eine starke Abschwächung beobachtet wurde, so muß man sich
vorstellen, daß dabei gleichzeitig die bindende und die giftige Gruppe
zerstört wird. Die „Ehrlich sehe Erscheinung" beobachteten die
Autoren auch bei dem Bauschbrandgift, führen sie allerdings nicht
auf das Vorhandensein von Toxonen zurück. Als Grund geben sie
an, daß die Rauschbrandgiftlösungen regelmäßig ebensoviel Anti-
toxin binden, als ihrer Giftigkeit entspricht. Das solle im Sinne E h r -
1 i c h s nicht für die Entstehung von Toxonen sprechen, da sonst die
Annahme gemacht werden müßte, daß Toxin und Toxon in allen Fällen
in gleichbleibenden Verhältnissen in den Giftlösungen gebildet werden.
Ehrlich selbst hat aber, wie wir S. 848 gesehen, gerade für frische
Gifte selbst diese Annahme gemacht.
Wenn man sich außerdem die Zahlen von Graßberger und
Schattenfroh für Lq emsieht — denn dieses allein kommt in Betracht,
weil aus L.^ ja die Toxone ausgeschaltet sind — ^, so findet man durchaus
keine vollständige Übereinstinunung. So erfordert Gift E 0,033 mg.
Gift A 0,044 mg Normalserum zur Neutralisierung jeder in dem Lo-Wert
enthaltenen tödlichen Gabe. Zweitens soll der beständige Pfiurallelismus
im Verhalten verschiedener Giftlösungen, der darin zum Ausdruck kommt,
daß konzentrierte Giftlösungen eine relativ schmälere, schwächere, d. h.
durch Lagern schwächer gewordenen eine relativ breitere „SchweUungs-
zone" (Toxonzone)*) zukommt, für das Fehlen bestimmter, Schwellimp
erregender Stoffe sprechen. Warum sollen denn aber Toxine und Toxone
sich in genau demselben Maßstabe abschwächen oder verschwinden ?
Übrigens lehrt auch die Geschichte des Giftes A, daß in den ersten 5 Tagen,
wo das Gift sich mäßig abschwächt, das Verhältnis zwischen Toxinen
imd Toxonen annähernd dasselbe bleibt (Taf. F).
Erst nach der außerordentlich starken Abschwächung
des Giftes, die innerhalb 20 Tagen erfolgt, wo die Menge der Gift-
einheiten im Kubikzentimeter Lösung auf den 30. Teil heruntergeht, zeigt
sich die Toxonmenge im Verhältnis zur Toxinmenge stark vermehrt; das
Toxon ist also diurch die Lagenmg nicht so stark mitgenonunen worden
wie das Toxin. Als entscheidenden Punkt betrachten aber Graßberger
und Sohattenfroh ihre Beobachtung, daß „g^enüber dem konzen-
trierten Gifte eine aus demselben durch 100 fache Verdünnung hergestellte
Lösung, mit ebenso stark verdünntem Senmi titriert, eine wesentliche
relative Verbreiterung der Schwellungszone zeigt**. So tötete z. B. 1 com
1) Auch hier wie beim Diphtheriegift macht sich das Toxon durch
veränderte Erscheinvmgen am lebenden Tier bemerkbar, statt der Nekrose
und des Haaraiisfalla zeigt sich gewöhnlich vorübergehende Schwellung.
Gifte der Kleinwesen.
885
konzentrierter Giftlösung (die annähernd 300 tödliche Giftgaben enthielt),
^ 7,5 mg Serum gerade noch ein Meerschweinchen von 260 g, während
10,5 mg Serum glatte Heilung bewirkten. 0,01 ccm Gift, die sicher also
mehr als 2 tödliche Gaben enthielt^), tötete aber — auf dasselbe Flüssigkeits-
maß verdünnt — gerade noch bei Zugabe von 0,04 mg Serum und ließ
noch bei Zugabe von 0,06 — 0,13 mg Schwellungen zurück. Ein zweiter
Versuch mit einem anderen Gift fiel ähnlich aus. Graßberger und
Schattenfroh ziehen daraus den Schluß, daß in der verdünn-
ten Giftlösung die Bindung des Toxins unvollstän-
digoder doch mitverlangsamter Keaktionsgeschwin-
sehwindigkeit erfolge. Im wesentlichen stimmen wir damit
überein, nur scheint es nicht nötig, hier das Toxon auszuschalten. Grerade
dieser Giftbestandteil wird sich wegen seiner geringeren Verwandtschaft
zum Antitoxin verhältnismäßig schwer binden.
Tafel F«).
Alter des
Giftes
1 ccm Gift- j Wird ; Tötet gerade
lösung ent- vollständig ein Meer-
neutralisiert I schweinchen
durch I n. Zusatz von
hält
DL- Gaben
Jede DL wird also
neutralisiert durch
in Lq in L-f.
frisch . .
5 Tage alt
20
f»
rr
100
60
ca. 3,3
4,4 mg Serum
4,2 „
0,26,,
2.5 mg Ser.
1.6 „
0,076 „
0,044 mg
0,042
0,07
,,
,,
0,026 mg
0,026
0,023
Graßberger und Schattenfroh finden den Einfluß der
Zeit, die von der Mischung des Rauschbrandgifts bis zu der Einspritzung
ins Tier verstreicht, bei konzentriertem Gift nur gering; beim 100 fach
verdünnten mcbcht aber schon eine Stunde etwtis aus. Eine Frist von
24 Stunden, die ja für die vollständige Bindung der Diphtherietoxone an
das Antitoxin nötig ist (S. 840), würde wahrscheinlich auch das Er-
gebnis des obigen Versuchs, auf den die Autoren soviel Wert legen, nicht
unerheblich geändert haben. Wir können nicht anerkennen, daß die Er-
fahrungen mit dem Rauschbrandgift das Vorhandensein von Toxon bei
diesem Gift, geschweige denn die Toxonhypothese überhaupt widerlegt
hätten.
Die Arbeit über das Rauschbrandgift hat auch zu der Epitoxo-
noidfrage einige beweiskräftige Tatsachen beigebracht, obwohl Graß-
berger und Sciiattenfroh selbst sie nicht in diesem Sinne deuten.
Die D a n y s z sehe Erscheinung wird nämlich auch beim Rauschbrand-
gift beobachtet: stellt man Gemische dieses Giftes mit überschüssigem
Antitoxin her und prüft sie nach einiger Zeit, so findet man, daß das neu
1) Wir nehmen die niedrigste Zahl an, weil sonst der Versuch noch
mehr Rätsel aufgeben würde. Die Bestimmung der tödlichen Gaben ist
hier, wie auch in anderen Fällen, keine ganz sichere.
2) Abweichend von der gewöhnlichen Methode der Giftprüfung
setzen die Autoren zu einer und derselben Menge Giftlösung soviel Immun-
serum zu, wie nötig ist, um das Gift vollständig oder bis auf eine tödliche
Gabe zu neutralisieren. In diesem Sinne sprechen wir vom Lq- und L4.-
Wert.
886 Kap. XVI, § 275 u. 276.
zugesetzte Gift nicht in der Menge gebunden wird, die dem berechneten
Antitoxinüberschuß entspricht, sondern nur in geringerer Menge. Ks
findet also eine scheinbare Einbuße an Antitoxin statt. Es liegt nahe,
hier wieder an Epitoxonoide zu denken, die eine schwächere Verwandtschaft
zum Antitoxin haben als Toxin und Toxon und daher bei der gewöhnlichen
Art der einzeitigen Giftabsättigung nicht ins Spiel kommen, aber von
einem Überschuß des Serums gebunden werden und aus dieser Bindung,
wenn sie eine gewisse Zeit besteht, von Toxin oder Toxon nicht mehr oder
nicht mehr vollständig verdrängt werden.
Nicht erklärt wird durch diese Annahme die weitere von G r a ß -
b e r g e r und Schattenfroh gefundene Erscheinung, daß neutrale
oder mit Toxin (oder Toxon) übersättigte Serumgemische beim Lagern
eine Einbuße an Gift erleiden, indem sie bei späterer Prüfung ent-
weder durch geringere Mengen von Antitoxin neutralisiert werden oder
einen Überschuß von Antitoxin zeigen. So wurde ein „übertoxingemisch''.
das auf 1 ccm Gift 2 mg Serum enthielt, nachdem es 24 Stunden gelagert
hatte, durch 4,8 mg Serum schon vollständig neutralisiert, während die-
selbe Menge Gift allein 8 mg erforderte. Diese Erscheinung ist neu:
V. Dungern gebrauchte beim Diphtheriegift (S. 849), Sachs beim
Tetanolysin (S. 883) stets die gleichen Serummengen, ob sie es nun auf
einmal oder in kleinen wiederholten Mengen zu dem Toxin zusetzten.
Es fragt sich wie die Tatsache zu deuten ist. Graßberger und
Schattenfroh nehmen cm, daß sowohl die scheinbare Einbuße an
Antitoxin in den Überserumgemischen als die an Toxin in den Übertoxin-
gemischen dadurch erklärt werden, daß Toxin und Antitoxin sich nicht
in bestimmtem g 1 e i c h b 1 ei b e n d e m M en g e n v er h äl t -
nis, sondern in wechselndem miteinander binden könnten, su
z. B. nicht bloß t-Toxin mit a- Antitoxin, sondern auch 2 t mit a oder t
mit 2 a. Unterschiede beständen zunächst schon insofern zwischen beiden
Arten von Übersättigung, als verhältnismäßig ein viel größerer ÜbersehuÜ
von Antitoxin a<n Gift gebiuiden würde als mngekehrt. Die Übersättigung
des Toxins mit Antitoxin führt ferner viel schneller zur Bindung und die
Verbindung ist dauerhaft gegen Hitzegrade (60°), die das Toxin allein
sehr rasch, das Antitoxin gar nicht schädigen, während die Übersättigung
des Antitoxins mit Toxin langsamer erfolgt luid die Verbindung eine lockere,
wenig hitzebeständige ist. Es folgt deuraus wohl, daß die Übersättigung
mit Serum, die vielfach auf Epitoxonoide ziurückgeführt werden kann,
in jedem Falle eine andere Beurteilung erfordert als die mit Gift,
die bisher unter den Bakteriengiften keine Analogie hat. Man könnte
daran denken, zu der Erklärung der von Graßberger und S c h a t -
t e n f r o h festgestellten Verhältnisse das Vorhandensein zweier Arten
von Antitoxinmolekülen anzunehmen, von denen die eine, das eigent-
liche Antitoxin, mit stärkerer Verwandtschaft begabt sein müßte als
die andere, die man etwa „Antitoxinoid" oder „Epiantitoxin" nennen
könnte. Daß der Bau der Antitoxine nicht so einfach ist, wie man früher
geglaubt hat, leliren ja auch einige andere Erfahnmgen (Pick und
S c h w o n e r s. u. S. 888).
§ 276. Abweichende Anffassungen Aber den Ban der
Impf gif te. Es läßt sich nicht leugnen, daß die wesentlich auf E h r ■
1 i c h 8 Forschungen beruhende Auffassung von dem Bau der Impf-
Gifte der Klein wesen. 687
gifte, die eine Vielheit von Giftbestandteilen voraussetzt, allmählich
recht verwickelt geworden ist imd wahrscheinlich immer verwickelter
werden wird, wenn man die Verhältnisse bei den einzelnen Giften noch
gründlicher studiert. Immerhin erklären sich die Erscheinungen so
gut, wie man es verlangen kann bei unserer gänzlichen Unkenntnis
der chemischen Natur dieser Gifte. Nur eine scheinbare Vereinfachung
bringt die von D a n y s z ^) und B o r d e t 2) aufgestellte Theorie,
die besagt, daß das Gift selbst einheitlich sei, aber sich in verschiedenem
Verhältnis mit dem Antitoxin zu binden vermöge'). B o r d e t stützte
sich dabei nicht auf Tatsachen, die aus der Giftlehre, sondern auf solche,
die aus der Lehre von der Hämolyse, der Agglutination und der Prä-
zipitation bekannt sind. Die roten Blutkörper binden den Ambozeptor,
die Bakterienkörper die Agglutinine, die Eiweißstoffe die spezifischen
Präzipitine des Serums in sehr wechselndem Verhältnis. Es ist aber
doch ein wichtiger Unterschied dabei: den Giftmolekülen, die sich
mit verschiedenen Mengen Antitoxin verbinden, muß man auch nach
Bürdet quantitativ und qualitativ ungleiche Wirkungen zuschreiben,
während z. B. Blutkörper, die viel oder wenig hämolytische Ambo-
zeptoren gebunden haben, durch Komplement in gleicher Weise zur
Auflösung gebracht werden. So würde die völlige Unschädlichkeit
der Gifte dem Zustand entsprechen, in dem am meisten Anti-
toxin gebimden ist, das Toxon einem anderen, dem nicht soviel Anti-
toxin zukommt, und das Tritotoxoidgebiet des Ehrlichschen Gift-
Bpektrums (S. 846), einem Gift, das verhältnismäßig nur wenig Anti-
toxin an sich gekettet hat usw. Das Giftmolekül verändert also seine
physiologische Wirkung je nach der Zahl der Antitoxinmoleküle, die
es bindet. Das ist eiue Voraussetzung, die dem Verständnis erhebliche
Schwierigkeiten bereitet, jedenfalls nicht mehr einfach genannt werden
kann. Viel verwickelter wird die Sache aber noch, wenn wir mit Hilfe
der B 0 r d e t sehen Vorstellung die Wandlungen, die das Giftspektrum
im Laufe der Zeit erleidet — man denke z. B. an die Prototoxoide ! —
und die ungleiche Mischung der Giftbestandteile in den einzelnen
Giftlösungen erklären soll. Ein Versuch, das in zufriedenstellender
Weise durchzuführen, ist bisher noch nicht einmal unternommen
worden. Vorläufig ist also die B o r d e t sehe Theorie mit der Ehr-
lich sehen nicht in erfolgreichen Wettbewerb getreten. Immerhin
besteht natürlich die Möglichkeit, daß sie für gewisse Fälle (s. o. Rausch-
brandgift 8. 886) zur Hilfe herangezogen werden könnte. So haben
1) Annal. Pasteur 1902. 5.
2) Annal. Pasteur 1903. 3.
3) Vgl. Sachs, Zentr. Bakt. 37. 398, 1905.
8S8 Kap. XVI, § 276.
Pick und Schwoner^) gefunden, daß beim Übemeutralisieren
von Diphtherielösungen mit gewissen Diphtherieseren erheblich mehr
Antitoxineinheiten verschwinden, als der Rechnung entspricht, während
bei anderen Seren der berechnete Überschuß wirklich freibleibt. Sie
schließen daraus, daß die ersteren Seren (toxolabile, meist hochwertige
Seren) Antitoxin enthalten müssen, die eine doppelte Bindung mit
Toxin eingehen, die letzteren (toxostabile, minderwertige Seren), nur
eine einfache. Nach Kraus und Schwoner*) soll die Toxolabilität
auch minderwertigen Seren zukommen. Sie schließen im übrigen
aus Heilversuchen an Tieren und Menschen auf eine ungleiche Avidität
der Antitoxine. Wir werden später sehen (§ 278), daß die Verwandt-
schaft zwischen Gift und Antitoxin namentlich im Tierkörper in mannig-
facher Weise beeinflußt wird. Die Dinge liegen offenbar weit ver-
wickelter, als man ursprünglich angenommen hat. Auch die Beobach-
tungen, die bei Mischung von Gift mit Zitratblut (R a n s o m)
und bei Einspritzung von Gift in antitoxinhaltige Blutgefäße öfters
gemacht worden sind, daß nämlich viel mehr Antitoxin dabei ver-
schwindet, als der Giftmenge entspricht, könnte man in ähnlicher Weise
deuten. Merkwürdig genug wäre freilich der große Unterschied in der
Bindekraft des Blutserums und des ungeronnenen Blutes.
Auf den ersten Blick besser gelungen und durch seine Einfachheit
überraschend erscheint der von Arrhenius und M a d s e n ^)
gemachte Versuch, die verwickelten Verhältnisse der
Bindung zwischen dem Bakteriengift und seinem
Gegengift durch die Beziehungen zu erklären,
wie sie zwischen Körpern mit schwacher Verwandt-
schaft, also für die sog. reversiblen Reaktionen
bestehen. Eine nähere Betrachtung zeigt freilich, daß sich dabei
bis jetzt unüberwindliche Schwierigkeiten ergeben.
Man kann nach Arrhenius und M a d s e n die Vorgänge, die
sich bei Absättigung einer bestimmten Menge Ammoniak mit steigen-
den Mengen Borsäure ergeben, in Form einer Kurve darstellen,
indem man in einem Koordinatensystem die Säuremenge als Ab-
szisse und das ungebunden bleibende Ammoniak a]s Ordinate ein-
trägt. Man findet, daß die erste Gabe Borsäure 50 Vo Ammoniak,
die zweite Gabe mu* noch 16,7 Vo» die dritte Gabe 8,3 Vo. j^^*
folgende immer weniger absättigt, so daß ein geringer Ammoniakwert
immer übrig bleibt. Es erklärt sich das aus dem Maasengesetz von G u 1 d-
b e r g und Waage, das die Abhängigkeit der Reaktionen von der Kon-
1) Wien. klin. Woch. 1904. 40 und Zeitschr. exper. Path. 1, 1905.
2) Zentr. Bakt. 48, 1908; vgl. ebenda Ref. 42 Beilage 154, 1908 mit
Erörterung.
3) Zeitschr. physikal. Chem. 44, 1903.
Gifte der Kleinwesen. 889
zentration der reagierenden Körper und Reaktionsprodukte feststellt.
Betrachtet man in dem angegebenen Beispiel NH, als Toxin — in der
Tat ist es gegenüber roten Blutkörperchen ein hämolytisches Gift — vmd
Borsäure als Antitoxin, so würde man ncu;h der Ehrlich sehen Aus-
dnieksweise den ersten Giftteil mit stärkerer Bindekraft als Prototoxin,
den zweiten mit weniger starker als Deuterotoxin, den dritten mit schwäch-
ster als Tritotoxin und den Rest mit ganz geringer Bindekraft schheßlich
als Toxon bezeichnen können, während doch das Gift in Wirklichkeit nur
ein einheitlicher Körper, das Anxmoniak ist, luid die Absättigungskurve
ohne Sprünge durchaus kontinuierlich verläuft. Arrhenius und
M a d s e n finden nun, daß die Absättigung des Tetanolysins durch sein
Antitoxin in annähernd derselben Weise wie die des Ammoniaks durch
Borsäure vor sich geht und schließen daraus, daß es sich auch hier nicht
um Giftbestandteile mit verschiedener Verwandtschaft handelt, wie Ehr-
lich und M a d s e n selbst (S. 882) es früher angenommen, sondern nur
um ein einheithches Gift, das mit einer sehr schwachen Verwandtschaft
zum Antitoxin begabt ist. Allerdings liegt die Sache selbst beim Teta-
noljrsin und seinem Antitoxin, wo man noch am ehesten an eine Reaktion
zwischen Körpern schwacher Verwandtschaft denken könnte, doch nicht
ganz so einfach ; zunächst müssen Arrhenius und M a d s e n die
Existenz von Toxoiden, d. h. von solchen Giftbestandteilen, die zwar
bindende, aber nicht giftige Eigenschaften besitzen, zugeben, wollen
allerdings nur „Syntoxoide**, d. h. solche von gleicher Verwandtschaft
mit den Toxinen gelten lassen. Deuieben bestehen noch verschiedene Ab-
weichungen in beiden Kurven, die von Arrhenius und M a d s e n
nicht erklärt werden. Davon abgesehen hat man aber gewichtige Ein-
wände gegen die Zulässigkeit ihrer Schlüsse erhoben. Erstens wider-
sprechen die älteren Ergebnisse Madsens über das Vorkomnaen von Proto-
toxoiden (s. o. S. 883) beim Tetanolysin seinen späteren. Zweitens eignet
sich nach Ehrlich*) dieses Gift wegen seiner Unbeständigkeit, der
schon in wenigen Stunden erfolgenden, unkontrollierbaren Toxoidbildung
sehr wenig für genaue Feststellungen. Drittens bestehen nach N e r n s t *)
theoretische Bedenken gegen die Zulässigkeit der Arrhenius sehen
Rechnungen. Schließlich hat Sachs ') den Beweis geführt, daß bei der
Reaktion zwischen Tetanolysin und Antitoxin der Gleichgewichtszustand
stets ein verschiedener ist, je nachdem man das Gift auf einmal oder in
Absätzen zum Antitoxin zusetzt, während, wenn einfach das Massengesetz
gültig wäre, das Endergebnis ein gleiches sein müßte. Nach Arrhe-
nius und M a d s e n müßte die Reaktion umkehrbar (reversibel) sein,
was sie in Wirklichkeit nicht ist. Nur dem letztgenannten Einwand scheinen
die beiden nordischen Forscher Wert beizulegen. In einer späteren Arbeit*)
untersuchten sie die „D a n y s z sehe Erscheinung" in gründlicherer Weise
am Tetanolysin und konnten sie in gewissen Grenzen vollständig bestätigen.
Zur Erklärung nehmen sie aber nicht die Epitoxonoide v. Dungerns
1) In der Sitzung der Bimsengesellschaft vgl. Zeitschr. f. Elektro-
chemie 1904. 673.
2) Ebenda S. 377 und 676.
3) Berl. kUn. Woch. 1904. 16.
4) Sitzungsber. Akad. Wiss. Stockholm vom 16. XII. 1905. Ref.
Zentr. Bakt. 39. 186.
890 Kap. XVI, § 276 u. 277.
an, sondern glauben an eine „langsame monomolekulare Umlagerung*
des freien Antitoxins, bei der vielleicht zwei Moleküle des Antitoxins mit
je einem Giftmolekül in Verbindung träten. Die Wirkung bleibt unter
Umständen dauernd bestehen und bewirkt dann wohl eine „Verfestigung"
der Giftbindung. Damit nähern sich die Verfasser augenscheinlich den
Vorstellungen Ehrlich s.
Noch größer sind die Schwierigkeiten, die d^ Anwendung des Massen-
gesetzes auf die Absattigung des Diphtheriegiftes durch Antitoxin ent-
gegenstehen*). Hier haben wir am Anfang der Kurve wieder die P r o t o-
t o X o i d e , am Ende die Toxone. Die Existenz der ersteren läßt M a d -
s e n in seiner früheren Arbeit noch gelten, bestreitet sie aber in der S{>ate-
ren ebenso entschieden, indem er die experimentellen Grundlagen auf
zufällige Schwankungen der Empfänglichkeit bei den Versuchstieren
zurückführt. Man wird angesichts dessen verlangen dürfen, daß ge-
radedieseFragenocheinmalingründlichsterWeise
geprüft wird. Das gleiche Schicksal lassen M a d s e n und A r r h e -
n i u s den Toxonen widerfahren, obwohl ihre eigenen Bestimmungen sich
mit der Toxontheorie offenbar weit besser vertragen, als mit dem Massen-
gesetz. Insbesondere nach der schon früher erwähnten Arbeit Morgen-
roths (S. 840), die die Verfcksser nicht mehr berücksichtigen konnten,
bleibt kaum ein Zweifel daran übrig, daß man ohne die Annahme solcher
Stoffe aiißerstande ist, die nicht bloß quantitativ, sondern qualitativ ver-
schiedene Wirkimg der bis zmn Toxongebiet abgesättigten Gifte sich ver-
ständlich zu machen. Schließlich haben Arrhenius und M a d s e n
kaum den Versuch gemacht, sich mit den von Danysz, v. Dungern-)
imd Sachs ') studierten Erscheinungen, die beim zweizeitigen Zufügen
von Gift zum Toxin-Antitoxingemisch sich bemerkbar machen und eine
Nichtumkehrbarkeit der Toxin- Antitoxinverbindungen beweisen (S. 886).
abzufinden. Auch die Arbeit, in der M a d s e n und W a 1 b u m ') da-^
Massengesetz auf die Reaktion des Rizins mit seinem Antitoxin übertragen
haben, öffnet nach Sachs ähnlichen Einwänden Tür und Tor.
§ 277. Fortsetzung. Geschwindigkeit der Giftbindnn^.
Wenn sonach die Bemühungen von Arrhenius und M a d s e n .
an Stelle der verwickelten Ehrlich sehen Auffassung vom Bau
der Toxine einfachere Vorstellungen zu setzen, gescheitert sind^), so
wird man doch ihren Hinweis auf die BedeutungdesMassen-
g e s e t z e s für die Reaktion zwischen Toxin \md Antitoxin, ebenso
wie die unabhängig von Arrhenius und M a d s e n geäußerten
1) Arrhenius, Zeitschr. f. Elektrochemie 1904. 661 ; Berl. klin.
Woch. 1904. 9; vgl. auch „Immunochemie" 1907; Madsen, Zentr. Bakt.
34, 1903; Arrhenius und Madsen 36 und 37, 1904.
2) Deutsch, med. Woch. 1904 8/9; Zeitschr. f. Elektrochem. 1904. 783.
3) Zentr. Bakt. 37. 251, 1904.
4) Zentr. Bakt. 36. 242, 1903.
5) Vgl. auch dazu Manwaring in Studies of Rockefellers
Institute for medic. research. VI No. 26, 1907 und C r a w , Joum. of hyp-
1907. 501.
Gifte der Klein wesen. 891
gleichsinnigen Bemerkungen Eisenbergs ^) nicht übersehen dürfen.
Ältere und neuere Erfahrungen (S. 840 u. § 278) haben nämlich ge-
lehrt, daß die Toxin- Antitoxin-Reaktionen — die Analogien mit
Agglutinin- und Ambozeptorreaktionen sollen ganz beiseite bleiben
(Kap. XVII) — in der Tat in gewissen zeitlichen Gren-
zen wie solche zwischen Stoffen mit schwacher
Verwandtschaft verlaufen, die umkehrbar sind und
danach dem Massengesetz gehorchen müssen. Damit stehen wir aber
nicht vor einer Vereinfachung des Problems, sondern eigentlich vor
einer neuen Verwicklung. Ehe wir die betreffenden Erscheinungen
erörtern, müssen wir noch einige andere Versuche erwähnen, die Toxin-
und Antitoxinverbindung zu erklären. Mehrfach hat man zunächst
die elektrischen Eigenschaften der Toxine imd Antitoxine studiert,
um daraus unter Umständen Schlüsse zu ziehen. Während B ö m e r ^) ,
um von den älteren Arbeiten von Smirnow u. a., die die Zerstör-
barkeit der Toxine durch die Elektrolyse bewiesen, abzusehen, keine
eindeutigen Ergebnisse erhielt, zeigten F i e 1 d und T o n g u e ^) ,
dafi sowohl Toxin wie Antitoxin in neutralen und alkalischen Lösungen
vom elektrischen Strom beide nach der Kathode übergeführt werden.
Auch Bechhold*) kam zu ähnlichen, wenn auch weniger ausge-
sprochenen Ergebnissen. Bestimmte Folgerungen daraus zu ziehen,
also etwa, wie es die amerikanischen Forscher getan haben, aus der
gleichen Richtung der Bestandteile im elektrischen Strom auf das
Fehlen einer chemischen Verbindung zu schließen, ist aber nach ihm
nicht erlaubt, da auch echte chemische Verbindungen, z. B. Phosphor-
wolframsäure imd Phosphormolybdänsäure, in ihren Bestandteilen
gleiche elektrische Eigenschaften besitzen können, imd andererseits
die meisten organischen Beaktionen zwischen Körpern vor sich gehen,
die elektrisch neutral sind.
Nur in gewisser Beziehung besser begründet erscheint die Auffas-
sung, man hätte es bei der Reaktion zwischen Toxin und Antitoxin,
wie überhaupt zwischen Antigen imd Antikörper nicht mit chemischen
Verbindungen im eigentlichen Sinne, sondern mit physikalischen
Beziehungen, wie sie zwischen Kolloiden bestehen, mit einer Art Ad-
oder Absorption (Oberflächenanziehung, fester Lösimg) zu tun. B o r -
d e t *) hat schon früher auf die Verwandtschaft der Agglutination
1) Zentr. Bakt. 34.
2) Berl. klin. Woch. 1904. 209; vgl. auch Blitz, Much und
S i e b e r t in Anm. 6 auf folgender Seite.
3) Joum. experim. Medic. 9.
4) Münch. med. Woch. 1907. 39.
5) Annal. Paateur 1899 und 1900.
892 Kap. XVI, § 277 u. 278.
mit der Niederschlagsbildung kolloidaler Körper hingewiesen und di^
Bindung der Hämolj^ine an die roten Blutkörper mit der Absorptioii
der Farben durch die Gewebsfasem, des Jods durch Stärke verglichen.
Zangger ^), Landsteiner und Jagic^), M. Neißer,j
Friedemann und Bechhold^), Biltz, Much und S i e -
bert*), Pauli*), Pribram*), Porges') haben diese Ge-
sichtspunkte weiter verfolgt. Im allgemeinen ist aber nicht zu über-
sehen, daß die unleugbaren Analogien, die einerseits zwischen der
Bindung von Ljrsinen, Agglutininen imd Präzipitinen und den Adsorp-
tionsvorgängen und andererseits zwischen der Agglutination imd
Präzipitation und den sog. Kolloidreaktionen bestehen, in unserem
Falle, wo es sich um die Beziehungen zwischen Toxinen und Anti-
toxinen handelt, fehlen. Nur ausnahmsweise binden sie sich in veränder-
lichen Verhältnissen und nur ausnahmsweise (beim Rizin®)) wird die Ver-
bindung mit dem Antitoxin unlöslich. Femer werden wir bei Besprechung
der Verbindimg von Agglutininen, Präzipitinen usw. mit ihren Anti-
genen sehen (§ 339 ff.), daß wir wegen ihrer Spezifität selbst hier Ursache
haben, von einer chemischen Verbindung zu sprechen. ScUießlieh
ist nicht zu vergessen, daß der Begriff der Ad- und Absorption vor-
läufig ein ziemUch dimkler imd schwankender ist und jedenfalls die
physikalischen (Oberflächen-)Wirkungen chemische Bindungen noch
nicht ausschließen. Man sieht also nicht ein, was man damit gewinnt,
wenn man statt der klaren chemischen Bezeichnung so unklare wählt.
So ist denn auch B o r d e t von seiner ursprünglichen Ansicht zurück-
gekommen und weicht nur darin ab, daß er eine Mehrwertigkeit der
bindenden Toxingruppen annimmt (S. 887). Die genannten Erörte-
rungen haben aber auch wieder ein Gutes gehabt, indem sie die Auf-
merksamkeit auf die kolloidale Natur der Antitoxine und Gifte ge-
lenkt haben. Sehr möglich ist es, daß dadurch die Art der Reaktionen
zwischen ihnen beeinflußt wird. Ja, es liegt nahe, das eigentUch Be-
zeichnende an der Verbindung der Gifte und ihrer Antitoxine, die
verhältnismäßig geringe Reaktionsgeschwin-
digkeit und die allmähliche Befestigung der Ver-
bindung, auf ihre Kolloidnatur zurückzuführen. Nernst') drückt
1) Zentr. Bakt. 34. 428, 1903 und Zeitschr. f. Elektrochemie 1904. 670.
2) Müiich. med. Woch. 1903. 18; Wien. klin. Woch. 1904. 5.
3) Münch. med. Woch. 1903. 11; 1904. 19.
4) Behrings Beitr. z. experim. Ther. 10, 1905.
5) Wien. klin. Woch. 1905. 25.
6) Kolle-Wassermanns Handb. 2. Erg.-Bd. 278, 1909.
7) Kolloide u. Lipoide usw. in Kraus* u. Levaditis Handb. 2, 1909
8) Jacoby, Hofmeisters Beitr. ehem. Physiol. 2, 1902.
9) Zeitschr. f. Elektrochemie 1904. 379.
Gifte der Klein weeen. 893
das so aus, daß die erste Phase der Einwirkung in einer Adsorption des
Toxins durch das größere Molekül, des Antitoxins — einem umkehr-
baren Vorgang — , die zweite in der eigentlichen chemischen Reak-
tion — einem nicht reversiblen Vorgang — bestehe. Wie dem auch sei,
die Tatsachen sind deutlich genug.
§ 278. Bedingungen, welche die Giftbindnng beein-
flussen. Schon Ehrlich hatte in seiner grundlegenden Arbeit über den
Bau des Diphtheriegifts (S.834) im Hinblick auf seine Erfahrungen beim
Tetanolysin auf die Bedeutung der Konzentration und
Temperatur für die Schnelligkeit der Bindung
des Toxins an das Antitoxin hingewiesen. Ein im Jahre 1895 gemachter
Versuch zeigte ihm, daß die Wirkimg des Giftes in einem bestimmten
wenig konzentrierten Serum-Tetanolysingemisch, wenn man es sofort
benutzt, 40 mal so groß ist, als wenn man es 2 Stunden lang stehen
läßt. Ein älterer Versuch, der ebenfalls die Bedeutung der Zeit für
die Reaktion schlagend beweist, allerdings mit Schlangengift
angestellt ist, stammt von Martin und C h e r r y ^). Sie zeigten
zunächst, daß das Gift allein durch ein mit Gelatine ausgefülltes Filter^)
bei einem Druck von 50 Atmosphären hindurchgepreßt wird, während
Antitoxin nicht hindurchgeht. Mischten sie jetzt beide in dem Ver-
hältnis, daß sie sich neutralisierten, und unterwarfen sie die Mischung
der Filtration, so ging in der ersten Zeit das Gift noch hindurch, imd
erst wenn die Mischimg 30 Minuten gestanden hatte, nicht mehr.
Wahrscheinlich ist es, daß die folgenden Versuche ebenso gedeutet
werden müssen, ß o u x und Calmette^) fanden, um mit der
ältesten Beobachtimg anzufangen, daß eine 10 Minuten früher her-
gestellte Mischung von Schlangengift und Immunserum, die im Tier
unwirksam war, wieder giftig wurde, wenn sie einige Minuten auf 68®
erhitzt wurde*). Eine wirkliche Sprengung der neutralen Verbindung
des Kobragiftes mit seinem Antitoxin bewerkstelligte dagegen Mor-
genroth*) durch ein kräftiges Mittel, die Behandlimg mit Salz-
säure (S. 857). Auch bei den Serumhämolysinen will v. Lieber-
m a n n die Verbindung dieser Stoffe mit den roten Blutkörpem durch
verdünnte Säure gelöst haben und vergleicht ihre Bindekraft geradezu
mit der von Säuren. Bei Bakterien- und Serumagglu-
1) Brit. med. Joum. 1898. II. 1120.
2) Joum. of physiol. 20, 1896. In ein Chaniberlandfiltor wird in der
Wärme unter Druck von 10 Atmosphären lOprozentige Gelatinelösung
eingepreßt, die überschüssige Gelatine abgegossen und dann das Filter
oberflächlich gereinigt.
3) Annal. Pasteur 1895. 250.
4) Berl. klin. Woch. 1905. 50.
894 Kap. XVI, § 278.
t i n e n gelingt diese Abspaltung allerdings, und zwar auch ohne Zu-
hilfenahme von Säuren (§ 337 ff.). K. Meyer bestreitet aber die
Tatsache für die Serumhämolysine.
Eine ähnliche Beobachtung wie R o u x und Calmette machte
Wassermann^), als er Pyocyaneusgift und Antitoxin,
die er — wohl kurz vorher — miteinander in neutralisierenden Mengen
zusammengebracht hatte, zum Kochen erhitzte. Ebenso vernichtete
D a n y s z^) durch IGstündige Verdauung mit Pepsinsalzsäure (bei 45")
in einer neutralen Mischung von R i z i n und Antirizin das letztere
vollatändig und gewann dann da» Gift zum Teil wieder. M a d « e n
und W a 1 b u m ^) gelang es, einer neutralen Rizin-Antiriziiiniischung
auch nach 2 Stunden langem Stehen durch Zufügung von roten Blut-
körperchen einen Teil des Rizins zu entziehen. Es ist aber fraglich,
ob ihr Schluß gerechtfertigt ist, das fertige Gleichgewicht zwischen
Rizin imd Antizrizin sei durch das Zutreten der roten Blutkörperchen
gestört und die schon bestehende Verbindung durch Dissoziation
wieder gelöst worden. Wahrscheinlich ist, daß es überhaupt noch
nicht zu der vollständigen Verbindung gekommen war, weil die Mischung
nicht lange genug in Berührung gewesen war. In gleicher Weise zer-
störte Löwenstein*) in einer 30 Minuten vorher angesetzten
Mischimg von Tetanusgift und Antitoxin das Gift und gewann
das Antitoxin wieder dadurch, daß er 48 Stunden lang Wasserstoff-
superoxyd einwirken ließ. Nach dem Verfasser soll hier die schon
fertige Verbindung des Antitoxins mit dem Gift durch Einfluß des
HgOg gesprengt und so das Antitoxin freigemacht worden sein. Es liegt
wohl vorläufig näher, auch hier anzunehmen, daß es in der ersten
halben Stunde überhaupt noch nicht zu einer festen Verbindung ge-
kommen war. Schon K n o r r ^) kam durch den Vergleich der Wir-
kungen des Antitoxins in konzentrierten und verdünnten Tetanus-
giftlösimgen imd die Verschiedenheit der krankmachenden und immuni-
sierenden Antitoxin- Giftmischungen zu dem Schluß, daß die Festig-
keit der Bindung zwischen Antitoxin imd Gift von der Konzentration
der reagierenden Stoffe und der Zeit, in der sie aufeinander wirken,
abhängig sei. Behring^) stellte dann fest, daß das „Gesetz der
Multipla" (S. 833) nur dann auch in verdünnten Lösungen von Tetanus-
1) Zeitschr. f. Hyg. 22. 310, 1896.
2) Annal. Pasteur 1902.
3) Zentr. Bakt. 36. 254.
4) Wien. klin. Woch. 1903. 50.
5) Münch. med. Woch. 1898. 11/12 (dort die früheren Arbeiten).
6) Allgem. Therap. der Infekt, in Eulenburg und Samuel-
Hand, allgem. Ther. 1899 S. 1028. Auch Beitr. experim. Ther. H. 3.
Gifte der Kleinwesen. 895
gift und Antitoxin strenge Gültigkeit besitzt, wenn beide Stoffe 2 T a g e
miteinander in Berührung gewesen sind. Wahrscheinlich erklären sich
aus der Nichtberücksichtigung der zeitlichen Verhältnisse auch die
bekannten älteren Versuche H. Büchners^), in denen sich die
für Mäuse unschädlichen TetanusgSt-Äntitoxingemische Meeischwein-
chen todlich gezeigt hatten und diejenigen von Vaillard und
R 0 u X *) , in denen ähnliche Unterschiede hervortraten, wenn man
neben normalen Meerschweinchen solche benutzte, die gegen Vibrionen
immunisiert oder nachträgtich mit beliebigen Bakterienprodukten
behandelt worden waren. Es ist sehr wohl denkbar, daß entweder
die Aufeaugungsgeschwindigkeit von der Unterhaut aus oder die An-
ziehungskraft der giftempfänglichen ZeUen für die Gifte verschieden
ist und zur Trennung der Gifte vom Antitoxin führt, wenn eine an
sich neutrale, aber erst vor kurzem hergestellte Mischung von beiden
in den Körper eingeführt wird. So würde sich auch am einfachsten
die namentlich durch Behring (a. a. 0.) manchmal beobachtete
„Cberempfindlichkeit" immunisierter und reichliche Antikörper im
Blute enthaltender Tiere gegen kleinste Gaben Tetanusgift erklären,
wenn sie nicht zu den ganz andersartigen Erscheinimgen der „Anaphy-
laxie" gehört (S. 793 u. § 344). In die uns hier interessierenden Gruppen
von Erscheinungen gehören aber sicher die Ergebnisse, die Wasser-
mann und B r u c k ^) erhielten, wenn sie neutrale Tetanusgift- Anti-
toxinmischungen Meerechweinchen mit Adrenalin zusammen unter
die Haut einer Hinterpfote einimpften. Es trat hier Tetanus ein, wie
die Verfasser annehmen, deswegen, weil durch die Adrenalinwirkung
die Resorptionsbahn für das Antitoxin (der Blut- oder besser der Lymph-
weg) versperrt war, das Gift aber ungestört seinen Weg in die peri-
pheren Nerven hinein nehmen konnte. Ließ man die Mischung vor
der Einspritzung zwei Stunden in Berührung, oder nahm man von
vornherein einen Überschuß von Antitoxin, so blieb der Tetanus auch
bei dem Adrenalintiere aus.
Auf andere Umstände, die außer der Konzentration und Zeit
noch für die Bindung zwischen Tetanusgift und Antitoxin von Be-
deutung sind, haben Knorr, Ransom und Behring hinge-
wiesen. Nach Knorr vermag lOprozentige Kochsalz-
lösung die Bindung des Antitoxins, ebenso wie der Gehirnmasse
an Tetanusgift zu hemmen (S. 879). Ransom*) machte dann die
eigentümliche Beobachtung, daß in Zitratblut gelöstes Tetanus-
1) Münch. med. Woch. 1893. 23/24.
2) Annal. Pasteur 1894. 72ö.
3) Deutsch, med. Woch. 1904. 21.
4) Bei Behring, Deutsch, med. Woch. 1898. 19.
896 Kap, XVI, § 278.
gift 25 — 50, Diphtheriegift lOOmal mehi; Antitoxin zur Neutaralimerung
erfordert als sonst. V. Behring^) hat später in Gemeinschaft mit
Kitashima diese Angaben R a n s o m s , wenn auch nicht in
vollem Umfange, bestätigen können. Mindestens das Taubenblut
und einige Male auch das Blutserum von Tauben hatte eine solche bin-
dungshemmende Wirkung imd zwar auch dann, wenn man erst das
Blut mit dem Antitoxin mischte und hinterher das Gift zugab. Da-
gegen blieb der Einfluß des Blutes — wohl weil die Reaktion schon
im Gange war — anscheinend gering, wenn man erst das Gift mit dem
Antitoxin mischte und dann das Blut hinzufügte. Dahin gehört auch die
von K n o r r aufgefundene und von Behring bestätigte Tatsache,
daß Tetanusgift nach kurzem Aufenthalt in der Blutbahn von Hühnern
und Gänsen sehr viel schwerer durch Antitoxin zu neutralisieren ist,
als vor dem Eintritt ins Blut. In gemeinsamen Untersuchungen mit
Römer ist Behring^) dann zu der Vorstellung gelangt, daß in
jedem antitoxischen Serum neben dem Antitoxin ein fermentartiger
Stoff, ein „Konduktor" vorhanden sei, der eigentlich erst die Bindung
des Giftes an das Antitoxin vermittele. In frischem Serum finde er
sich reichlicher, als im abgelagerten oder mehrere Tage auf 40—50*
erhitzten. Im lebenden Körper wäre dieser Stoff vielleicht im Achsen-
zylinder der Nerven vorhanden. Jedenfalls zeigen sich neutrale Gift-
Antitoxinmischungen, ob sie konzentriert oder verdünnt sind, ob sie
kürzere oder längere Zeit hergestellt sind, bei intrazerebraler Ein-
spritzung gleich ungiftig. Eine Wirlomg des Konduktormangels im
Serum soll sich darin zeigen, daß die fast neutralisierten Gift-Anti-
toxinmischungen bei Verdünnung stärker giftig werden. Ein Urteil
über die Erscheinungen wird dadurch erschwert, daß v. Behring
keine näheren Angaben über die Bedingungen des Versuchs imd nament-
lieh darüber macht, ob etwa eine Verlängerung der Beobachtongszeit
daran etwas ändert. In diesem Zusammenhang sind Bemerkungen,
die zuerst M a d s e n ^) und dann Otto und Sachs *) am Botu-
li s m u s - und Spinnengift gemacht haben, wichtig. Sie fanden
ebenfalls, daß verdünnte Mischungen dieser Gifte mit Antitoxinen giftiger
sind als die konzentrierten. Otto und Sachs stellten aber fest,
daß die durch Verdünnung herbeigeführte Dissoziation der Gifte aus
ihrer Verbindung mit den Antitoxinen schwächer ist oder ganz aus-
bleibt, wenn die Mischungen vor ihrer Verdünnung lange genug, z. B.
24 Stunden, in Berührung geblieben sind. Bei subkutanen Einspritzun-
1) Allgem. Ther. (s. o.) S. 1032.
2) Deutsch, med. Woch. 1903. 36 und Beitr. experim. Therap. 7, 19<>4.
3) Zentr. Bakt. Ref. 37. 373.
4) Zeitachr. experim. Pathol. 3, 1906.
Gifte der Klein wesen. S97
gen war der Unterschied weniger ausgeprägt als bei intravenösen, was
auf eine Beschleunigung der Bindung durch das
subkutane Gewebe hinweist (s. u. Diphtherie). Umgekehrt
wie in den Behring sehen Versuchen waren übrigens gerade frische,
nicht abgelagerte Sera der Dissoziation unterworfen. Die Verfasser
lassen dahingestellt, ob hier eine nachträgliche Änderung der Avidität
des Antitoxins stattgefunden hat, oder ein „negativer, die Verbindung
hemmender Katalysator'' aus dem Serum allmählich verschwindet.
Bei Diphtherieimmunisierungen sind Salomonsen und M a d -
s e n *) schon vor längerer Zeit zu wichtigen Ergebnissen gelangt,
indem sie die Verändenmgen, die im Antitoxingehalt des Blutes im
Laufe der Zeit auftreten, genauer verfolgten und in Beziehung setzten
zu der Menge des eingespritzten Giftes. Dabei zeigte sich nämlich,
daß der Abfall des Antitoxins, der nach jeder Ein-
spritzung eintritt, sehr viel größer ist, als man er-
warten sollte, wenn man die für die Reagensglasversuche geltenden
Regeln der Giftneutralisierung als gültig auch für den Tierkörper an-
sehen könnte. Er betrug z. B. V3 des ganzen Gehalts, während die
Menge des Gifts nach der Rechnung V13000 entsprochen hätte. Nach-
her stieg die Antitoxinmenge wieder, die Immunisierung hatte also
Erfolg. Man könnte daraus schließen, daß das Gift nicht bloß sich
mit dem Antitoxin des Blutes in einem weit stärkeren Verhältnis,
als es im Reagensglas der Fall ist, zu binden vermag, sondern noch
daneben an die antitoxinliefemden Zellen herantritt, also nicht einmal
vollständig von den Blutantitoxinen gebunden wird. Die Tatsache selbst
scheint allgemein bei der Immunisierung mit Bakteriengiften hervor-
zutreten und wurde z. B. auch von Forßmann und Lundström*)
bei Herstellung von Botulismusantitoxin beobachtet^). Wie sich das
überreichliche Verschwinden des Blutantitoxins unmittelbar nach der
Einspritzung erklärt, ist noch nicht aufgehellt, die Annahme einer
1) Annal. Pasteur 1897. 323.
2) Ebenda 1902. 299.
3) Ob bei passiver Immunisierung, z, B. bei vorheriger Einspritzung
des Antitoxins, ein ähnlicher Verlust eintritt, ist nicht ausdrücklich fest-
gestellt. Er scheint aber mindestens beim Tetanusantitoxin viel geringer
zu sein, denn nach Behring genügt eine Antitoxingabe, die viermal
so groß ist, als die bei Mischung im Reagensglas nötige, imi die Vergiftung
durch intravenös eingeführte, vielfach tödliche Giftmengen zu verhüten,
wenn das Antitoxin 10 Minuten vor dem Gift in das Blut eingespritzt
wird. Und auch beim Diphtherieantitoxin hat D ö n i t z ähnliche Erfah-
ningen gemacht (vgl. Infektionslehre). Dets maciit fast den Eindruck,
als ob das passiv übertragene (oder fremde) Antitoxin sich anders verhielte,
d. h. energischer wirkte als das durch aktive Immunisierung entstandene.
Krasc, Mikrobiologie. 57
898 Kap. XVI, § 278.
so gewaltig verstärkten Bindekraft des Giftes für das intravaskuläre
Antitoxin ist doch recht gewagt, andererseits aber die oben für die
Erfahrungen R a n s o m s mit Zitratbliit gegebene Erklärung, es werde
nur der Antitoxinmangel vorgetäuscht durch das Vorhandensein
eines bindungshemmenden Faktors im Blut, für diese Veisuche, die
doch nur mit kleinen Mengen des Bluts (oder mit Serum?) angestellt
worden sind, nicht zulässig. Jedenfalls bewirkt die regelmäßige Steige-
nmg des Antitoxingehalts im Blut bei den Immunisierungen ebenso
wie die gelegentlich vorkommende Überempfindlichkeit (s. o), daß bei
allen Giften die Bindung an das im Blut in Massen zur Verfügung
stehende Antitoxin zum Teil ausbleibt, also auch beim Diphtherie-
gift nicht so schnell und vollständig erfolgt, wie etwa die Reaktion
zwischen starken Säuren und Alkalien. Zu diesem Vergleich war Ehr-
lich allerdings früher gekonmien auf Grund der Prüfung von Diph-
theriegift-Antitoxinmisch\mgen unter der Haut des Meerschweinchens.
Hier erwies sich selbst eine Berührung, die nur 15 Minuten dauerte,
als „überflüssig lang''^). Die späteren Erfahrungen v. Dungerns
und namentUch Morgenroths*) führten, wie wir schon früher
gesehen (S. 840), auch die Schule Ehrlichs zu einer anderen Auf-
fassung. Es zeigte sich, daß zu einer vollständigen Absättigung des
Diphtheriegifts mit seinem Antitoxin eine Stunde Aufenthalt bei 40^
und 24 Stunden bei 21^ nötig sind, und daß die abweichenden Prüfungs-
ergebnisse am Meerschweinchen anscheinend nur dadurch zustande
kommen, daß dasUnterhautgewebedieserTiereeine
beschleunigende Wirkung auf die Verbindung
ausübt^). Im Blute der Meerschweinchen und ebenso wie bei anderen
Tieren erfolgt die Binduütig viel langsamer. Damit stimmen denn auch
andere Tatsachen überein. So versteht man jetzt, vrie es Madsen
und W a 1 b u m (S. 894) möglich wurde, aus einer neutralen Mischung
von Diphtheriegift und Antitoxin das erstere dadurch zu trennen,
daß sie das frisch bereitete Gemenge bei niederer Temperatur auf ein
Röhrchen mit fester Gelatine brachten und in diese hinein diffundieren
ließen. Da das Gift schneller diffundiert als das Antitoxin, so zeigte
sich, daß in einer gewissen Entfernung von der Berühnmgsfläche
die Gelatine gifthaltig geworden war. Zweifelhafter in ihrer Deutung
sind andere Erfahrungen, so namentlich die von K r e t z *) , nach
1) Berl. klin. Woch. 1903. 35.
2) Zeitschr. f. Hyg. 48, 1904.
3) Keagensglaeversuche, die die Vermutung bestätigen, fehlen. Vg^-
o. S. 896 die entsprechenden Erfahrungen von Otto und Sachs bei
Wurstgift.
4) Zeitschr. f. Heilk. 23. H. 10, 1902.
Gifte der Klein wesen. 899
der es zwar nicht oder nur in ganz unerheblichem Maße gelingt, normale
Tiere mit einem neutralisierten (abgelagerten) Gemisch von Diph-
theriegift und Antitoxin zu immunisieren, wohl aber solche Tiere, die
vorher schon mit dem Gift allein längere Zeit behandelt worden waren.
Man nimmt hier gewöhnlich an, daß die fertige Toxin-Anti-
toxin ver bi n düng durch die stärkere Anziehungs-
kraft derZellrezeptoren des aktiv immunisierten
Tiers für das Gift (vgl. § 279) gesprengt werde, etwa
wie die Salzsäure im Mor genrot hschen Versuche (S. 857) das
Kobragift aus seiner Verbindung mit dem Antitoxin löse. Vielleicht
war aber in den K r e t z sehen Versuchen die Verbindung doch nicht
vollständig gefestigt, es könnte dann schon die reichliche Aus-
stattung der Zellen des immunisierten Tieres
mit Rezeptoren zur Erklärung dieser „paradoxen Erscheinung"
genügen. Umgekehrt darf man die aus Tierversuchen D ö n i t z ' ,
Behrings u. a. folgende Tatsache, daß nämlich das bereits an die
Zellen „gebimdene" Gift diesen entrissen imd dadurch eine Heilung
der beginnenden Vergiftung bewirkt werden kann, noch nicht ohne
weiteres zu dem Schluß verwerten, daß das AntitoxiQ des Heilserums
zu dem Gift eine größere Verwandtschaft besitze als zu den giftempfind-
lichen Zellen, denn wir haben bisher im allgemeinen keine sicheren
Mittel, den Zeitpunkt festzustellen, wo das Gift an die Zellen wirk-
lich gebunden, und zwar fest gebunden ist. Hier wie in dem K r e t z -
sehen Falle würde vielleicht das Massengesetz seine einfache
Anwendung finden.
Ebensowenig ist übrigens die praktisch gewiß sehr wichtige Er-
fahrung D ö n i t z ' , daß bei leichter Tetanusvergiftung die Tiere noch
20 Stunden nach der Vergiftung durch große Gaben Antitoxin gerettet
werden können, Diphtherietiere aber nur nach 6 — 8 Stimden, dafür
beweisend, daß das letztere Gift sich fester und schneller
an die Zellen binde als das erstere, da die Wege, die beide Gifte
nehmen müssen, um zu den giftempfindlichen Zellen zu gelangen,
sehr verschieden lang und ihre Schicksale dabei nur unvollkommen
bekannt sind.
Etwas klarere Vorstellungen gewinnen wir über die Unterschiede,
die in dieser Beziehung bei den verschiedenen Giften bestehen, durch
Reagensglasversuche mit Bakteriohämolysin.
Während Madsen^) in Ehrlichs Laboratorium gefunden hatte,
daß es selbst 15 — 30 Minuten nach Einbringen von Blutkörperchen
inTetanolysin noch gelingt, diese vor der Lösung durch genügend
1) Zeitßchr. f. Hyg. 32, 1899.
57 ♦
900 Kap. XVI, § 278.
große Gaben Serum zu schützen, obwohl gewisse Giftmengen schon naeli
5 Minuten an die Blutkörper „gebimden" werden, und während er die
Antitoxinmengen, mit denen sich gleiche „Heilerfolge im Reagensglas''
erzielen lassen, nach 5 Minuten ungefähr auf das Doppelte, nach
15 Minuten auf das Dreifache, nach 30 Minuten auf das Fünffache
derjenigen Gabe, die bei sofortiger Anwendung gebraucht wird, be-
stimmt hatte, erhielten Kraus imd Lipschütz^) mit Tetano-
lysin und anderen Bakterienlysinen sehr verschiedene Ergebnisse.
So konnten sie mit der einfach lösenden Gabe Tetanolysin ver-
giftete Blutkörper selbst bei gleichzeitiger Zugabe von Antitoxin erst
mit einer 100 fach größeren Menge vor der Lösimg schützen, als dazu
nötig waren, wenn Gift imd Antitoxin vorher eine Stunde lang bei
37° miteinander in Berührung gewesen waren. 10 Minuten später
hatte selbst die 2000 fache Menge keine Heilwirkimg mehr. In einem
Versuch mit Staphylolysin schützte die 10 fache Menge Anti-
toxin nur, wenn sie gleichzeitig zugefügt wurde, vor der einfach lösen-
den Gabe, die 200 fache nicht einmal vollständig unter gleichen Be-
dingungen vor der dreifachen Gabe. In einem zweiten Versuch mit
einem anderen Staphylolysin bewahrte die fünffache Menge Antitoxin
bei gleichzeitiger Zugabe, die zehnfache nach 5 Minuten, die 1000 fache
nach 10 Minuten vor der einfachen Giftgabe. Am schwierigsten war
die Heilung der Vi br i ol y si n vergiftimg, da erst die 500 fache
Menge Antitoxin bei gleichzeitiger Zumischung die Blutkörper vor der
Lösung rettete. Zum Teil könnten diese Unterschiede wohl bedinp:t
sein durch die GeschwindigkeitderBindungderGifte
andieBlutkörper^). Am größten, d. h. schon binnen 5 Minuten
fast vollendet ist sie beim Vibriolysin, wie Kraus und Lipschütz
feststellten, indem sie die Blutkörperchen mit der einfachen Gabe
Hämolysin mischten, nach verschiedener Zeit abzentrifugierten und
Bodensatz und Flüssigkeit getrennt auf Lösung prüften, während
beim Tetanolysin und Staphylolysin zwar eine gewisse Giftmenge
sehr schnell gebunden wird, aber noch nach 30 Minuten ungebundene
Teile nachweisbar sein können. Da die Heilungsmöglichkeit, wenn
man nur die Antitoxinmenge groß genug wählt, bei allen Giften in der
ersten Zeit vorhanden ist, so muß man den Schluß ziehen, daß das
schon von den Blutkörperchen aufgenommene Gift diesen durch das
Antitoxin entzogen werden kann. Im Unklaren bleiben wir freilieb
auch hier wieder darüber, inwieweit die Aufnahme, das
Eindringen in die Zelle von vornherein aufeiner
1) Zeitschr. f. Hyg. 46, 1904.
2) Vgl. dazu die Arbeiten von Volk, S c h e r u. a. bei den Häim>-
lysinen der Bakterien § 313 und 314.
Gifte der Klein wesen. 901
ehemischen Bindung oder bloß auf einer Art Ab-
sorption beruht, können aber sagen, daß aller Wahrscheinüch-
keit nach schließlich eine mit unseren Mitteln unlösbare Bindung
der Gifte an das Stroma der Blutzellen, also eine ähnliche Ver-
festigung erfolgt, wie wir sie für die Reaktionen der Gifte mit
den Antitoxinen kennen gelernt haben. Die Ehrlich sehe Seiten-
kettentheorie nimmt daher an, daß die „Rezeptoren", d. h. die hämo-
lysinbindenden Atomgruppen der Blutkörper, identisch seien mit den
haptophoren Gruppen der Antitoxine. Ein strenger Beweis dafür fehlt
freilich. Die Bindimg könnte auch durch andere ,, giftzuleitende"
^^itenketten der Zellen bewerkstelligt werden (§ 279).
Spricht die Tatsache, daß durch genügend große Mengen Anti-
toxin die Bindung der Gifte an die Blutkörper rückgängig gemacht
werden kann, dafür, daß sie zunächst eine lockere, die Reaktion re-
versibel ist, so zeigen andererseits die oben angegebenen Mengen-
verhältnisse, die zwischen Gift und Gegengift bestehen müssen, um
die Hämolyse hintanzuhalten, wenn man die Blutkörper gleichzeitig
mit den beiden in Berührung bringt, daß die Verwandtschaft
der Gifte, und zwar besonders wieder die des Vi-
briolysins, zu den Blutkörpern von vornherein
eine größere ist als die zum Antitoxin^). Selbst-
verst-ändlich konmit neben der Bindungsgeschwindigkeit und Bindungs-
kraft als dritter Faktor, der die Heilimgsmöglichkeit beeinflußt, in
Betracht die Giftigkeit des Hämolysins für die Blutkörper, d. h. um
mit Ehrlichzu sprechen, die Energie, mit der die toxophore Gruppe
der Gifte nach der Bindung ihre Wirkung auf die Zellen ausübt. Man
wird sich vorstellen dürfen, daß die im übrigen uns noch völlig un-
bekannten chemischen Prozesse, die zur Lösung der Blutkörper führen
(§314), eine gewisse Zeit erfordern, deren Länge von der Temperatur
abhängt, und daß vielleicht diese Prozesse in gewissen Stadien noch
aufzuheben oder rückgängig zu machen sind. Diese Reaktionsge-
.schwindigkeit der Lösung zu messen, sind wir freilich bisher noch nicht
imstande, da wir nicht wissen, ob die Giftwirkung erst nach erfolgter
Befestigung der Gifte oder schon bei lockerer Bindung beginnt. Also
gelingt es ebensowenig durch die Reagensglasversuche wie durch die
Tierversuche mit anderen Infektionsgiften, die leicht festzustellende
Zeit, die von der Berührung der Gifte mit den Zellen bis zum Eintritt
der Vergiftungserscheinungen verstreicht, die sog. Inkubations-
zeit, in ihre drei Bestandteile, die Zeit des Eindringens,
der Bindung tmd der Vergiftung selbst, zu zerlegen.
i) Ob das auch für den lebenden Körper gilt, wäre freilieh noch zu
♦'utHcheiden (§ 315).
902 Kap. XVI, § 278 u. 279.
Die in diesem Abechnitt geschilderten Erfahrungen über das Ver-
halten der Immungifte zu ihren Antikörpern imd die daraus abgeleiteten
Vorstellmigen über ihren Bau sind, wie man sieht, noch recht unvoll-
ständig. Zu verwimdem ist das aber nicht, wenn man erwägt, daß
uns die chemische Natur der beiden Reaktionskörper^) noch völlig
unbekannt ist.
§ 279. Verhältnis der zuleitenden und impfenden zu den
bindenden Giftgruppen. Ehrlich» Seitenkettentheorie.
Wie wir gesehen (S. 838), schreibt Ehrlich dem Diphtherie- und
anderen Impfgiften neben einer „toxophoren", d. h. giftige Krank-
heitserscheinungen hervorrufenden Gruppe nur noch eine „haptophore".
d. h. bindende Gruppe zu und erklärt durch die Wirkimg der letzteren
gleichzeitig dreierlei Leistungen dieser Gifte : die Bindung
an die giftempfindlichen Zellen (Giftzuleitimg) als Vorbedingimg der
Giftwirkung, die Vereinigung mit den antitoxinliefemden Zellen und
deren Anregung zur Antitoxinbildung (Immunisierung) und schließ-
lich die Neutralisierung (Bindung) der freien Antitoxine. Nur von
der dritten Annahme haben wir in den vorstehenden Abschnitten aus-
führlich gesprochen, imd doch machen erst alle drei Voraussetzungen
den wesentlichen Inhalt der vielgenannten „Seitenkettentheorie"
E h r 1 i c h s aus, indem sie die merkwürdige biologische
Tatsache erklären sollen, daß dieselben Stoffe,
die den Tierkörper in großen Gaben vergiften,
durch kleine, unter Umständen wiederholte Ga-
ben in demselben die Neubildung von Gegengif-
ten, die für jedes Gift besonderer Art sind, und
damit eine art e i gen t ü mli ch e („spezifische") Gift-
festigkeit (Giftimmunität) hervorrufen. Ehr-
lich denkt sich den Zusammenhang so, daß zunächst das Giftmole-
kül an die giftempfindlichen Zellen, z. B. des Nervensystems, heran-
tritt, sich mit ihren „aufnehmenden" Gruppen (Seitenketten, Rezep-
toren) durch seine eigene bindende Gruppe verkettet und damit seiner
giftigen, etwa nach Art eines Ferments gebauten Atomgruppe einen
Angriffspimkt verschafft. Erliegt das Tier dem Gift, so ist damit der An-
griff zu imgunsten desselben erledigt, übersteht es aber, so folgt auf
den Angriff als eine Gegenwirkung, die den Schaden
auszugleichen sucht, eben die Gegengiftbildung, die Gift-
immunität: die durch die bindende Gruppe des Toxins besetzten auf-
nehmenden Seitenketten der Zellen werden beseitigt, und die da-
durch entstandenen Lücken durch Neubildung gleicher Seitenketten
1 ) Über die Eigenschaften des Antitoxins selbst vgl. Immunitätplebre.
Gifte der Klein wesen. 903
ausgefüllt. Es bleibt aber, wie so häufig im geschädigtea Tierkörper —
man denke an die Wundheilnng durch Granulationen — , nicht bei
einfachem Ersatz, sondern die Seitenketten werden überreichlich ge-
bildet, oder weil sie keinen Platz in den Zellen haben, nach außen ins
Blut abgestoßen imd bewegen sich darin als „freie Seitenketten'* oder,
was bei der von Ehrlich vorausgesetzten Identität ihrer bindenden
Gruppen dasselbe ist, als Gegengifte oder Antitoxine. Diese be-
dingen, indem sie neuzutretende, selbst tödliche Gaben desselben Giftes
abfangen, einen spezifischen Schutz gegen das betreffende Gift, die
Giftimmunität. Diese Auffassung Ehrlichs besticht durch ihre
Einfachheit imd durch ihre Analogie mit anderen Ersatz- imd Hei-
hngsvorgängen^) im Tierkörper. Sie läßt sich femer, wie wir sehen
werden (Kap. XVII § 327, 333, 334 ff.), auch anwenden zur Erklärung
der übrigen Arten von spezifischer Inmiunität gegen infektiöse Er
reger, andere Fremdzellen imd andere Fremdstoffe — femer zum Ver
ständnis der Anpassung der Eleinwesen an das parasitäre Leben (§ 330)
ja selbst zur Erklärmig der sog. nicht spezifischen erworbenen Immu
nität, die auf Entzündungs- imd Fieberreaktionen beruht (§ 331)
Es fragt sich freilich, ob sich Ehrlichs Voraussetzung, die Iden
tität der giftzuleitenden, antitoxinbildenden und-bindenden Gruppen
unmittelbar beweisen läßt. Wir können hier auf die zur Stütze der
„Seitenkettentheorie'* angeführten Tatsachen noch nicht ausführlich
eingehen, weil sie Vorgänge betreffen, die sich im lebenden Tier ab-
spielen (vgl. Infektions- und Immunitätslehre), wollen aber doch schon
bemerken, daß sichere Beweise überhaupt nicht vorliegen. Nament-
lich der viel besprochene „W assermann sehe Versuch", der das
Vorkommen spezifischer tetanusgiftbindender, den Antitoxinen gleich-
gestalteter Seitenketten im Gehim und Rückenmark beweisen soll,
ist wahrscheinlich anders zu deuten, denn weder sind die Tetanusgift
bindenden Stoffe des Gehirns spezifisch und den Antitoxinen gleich
(s. 0. § 274), noch darf man annehmen, daß das Tetanusgift überall
im lebenden Nervensystem so gebunden wird, wie im Reagensglas
vom toten, noch ist das Gehim wohl die Stätte, wo das Tetanusanti-
toxin neu gebildet wird. Trotzdem darf man sagen, daß die E h r -
lichsche Theorie mit einigen Änderungen an der
ursprünglichen Form bzw. gewissen Zusatzhypo-
thesen sich halten läßt und die Immunisierungs-
1) Der von Ehrlich gemachte Versuch, die Immunitätsvorgänge
zu denen der normalen Ernährung in Beziehung zu setzen, indem die Seiten-
ketten als „Fangapparate*' für Nahrungsstoffe gedacht werden, erscheint
dagegen mißlungen (§ 68 und § 329).
904 Kap. XVI, § 278.
erscheinungen besser als jede andere erklärt^).
Zunächst ist es sicher und auch durch Ehrlich von Anfang an zu-
gegeben, daß nicht bloß die eigentlichen gift«mpfindlichen Zellen des
tierischen Organismus das Gift binden, sondern auch viele andere,
und wahrscheinlich, daß gerade die wenig oder gar nicht für das Gift
empfänglichen durch die Bindung mit dem Gift in erster Linie, wenn
nicht ausschließlich, zur Antitoxinbildimg angeregt werden imd zum Teil
durch „Giftablenkimg" den Impfschutz bewirken. Es wäre deswegen
nicht ausgeschlossen, daß die Bindung der Gifte an die empfindlichen
und an die antitoxinbildenden Zellen durch verschiedene Bindegruppen
die wir als „giftzuleitende" und „giftablenkende" Gruppen bezeichnen
könnten, verursacht würden. Nötig ist diese Annahme aber vorläufig
nicht, da die Unempfänglichkeit gegen die Vergiftung ja auch durch Eigen-
tümlichkeit der Zellen selbst, nicht durch die Verschiedenheit der Binde-
gruppen bedingt sein könnte. Wie dem auch sei, die teleologische
Grundlage für die Antitoxinbildung bleibt auch in den giftunempfäng-
lichsten ablenkenden Zellen bestehen, es erfolgt eben ein Ausfall von
Protoplasmabestandteilen (Seitenketten), der ersetzt werden muß
überall da, wo bindende Gruppen des Protoplasmas von Fremdstoffen
besetzt werden. Daß eine stärkere Schädigung der Zellen dazu nicht
nötig ist, sieht man ja auch an den Antikörpern, die gegen agglutinogene
Bakterienstoffe, fremdes Eiweiß u. dgl. gebildet werden (§334 ff.).
Von diesem Standpunkte aus wäre es verständlich, daß die Toxine
auch immunisieren, wenn sie durch Verwandlung ihrer toxophoren
Gruppe unschädlich geworden sind. In der Tat hat man das lange
angenommen und seit den ersten Versuchen von C. Fränkel, Beh-
ring, Behring und Kitasato (1890) giftempfängliche kleine
1) Sonst in Betracht käme eigentlich nur die Theorie, welche die
Immunkörper aus der Um\%'andlung der Impfstoffe (Antigene) selbst her-
vorgehen lassen möchte. Einige Beobachtungen, die in dem Sinne allen-
falls gedeutet werden könnten, sind gemacht worden von Kruse und
Bonaduce (Zieglers Beitr. 12. 368 Übergang der Milzbrandangriff?-
stoffe im Reagensglasversuche mit Blutserum in Schutzstoffe), S m i r -
n o w (Berl. klin. Woch. 1894 u. 1895) und Krüger (Deutsch, med. Wooh.
1895, 21 Umwandlung der Gifte in Impf- und Schutzstoffe durch d^n
elektrischen Strom), Emmerich und Low (Zeitschr. f. Hyg. 31 und
36 Bildung von Immunprot eidinen im Reagensglas). Vgl. auch Büch-
ner (Münch. med. Woch. 1893. 380); M e t s c h n i k o f f , (Immiuiitat
in W e y 1 s Handb. d. Hyg. 9. 48 und „Immunität", 1902 S. 303). Vitl
Staat ist aber mit diesen Ergebnissen nicht zu machen, da sie entweder
nicht aufrecht zu erhalten sind oder andere Deutungen zulassen. Schließ-
lich haben wir sonst für derartige Vorgänge keine chemischen Analogien.
Man hat früher namentlich die Tatsache übersehen, daß jedes Gift- bzw.
Impfstoffmolekül ein Vielfaclies an Gegengiften bzw. Schutzstoffen erzeugt.
Gifte der Klein wesen. 905
Tiere überhaupt nur mit künstlich durch mäßiges Erhitzen, BeUchtung,
Elektrizität, Chemikalien oder natürlich abgeschwächten, d. h. wie
man auf Grund der von Ehrlich u. a. später ausgeführten Bindungs-
versuchen annehmen durfte, toxoid- oder toxonhaltigen Giften schützen
können. D r e y e r und M a d s e n ^) haben daraus gefolgert, daß
auch die Immunisierung mit nicht völlig neutralisierten, d. h. zwar
wesentlich ungiftigen, aber noch bindefähigen Gift- Antitoxinmischungen
gelingen müsse. Bis zu einem gewissen Grade gelingt das auch.
K r e t z *) u. a. haben femer darauf hingewiesen, daß die höchsten
Immunitätsgrade bei Pferden auch mit ziemlich stark abgeschwächten
Diphtheriegiften erreicht werden. Andererseits bedient man sich woh!
nicht ohne Grund mit Vorliebe in der Immunisierungspraxis besonders
starker Gifte. Daß das Vorhandensein giftiger Bestandteile (der
toxophoren Gruppe) in den immunisierenden Lösungen für den Er-
folg nicht ohne Bedeutung sei, ja erst den eigentlichen „Immimi-
äierungsreiz" (ictus immunisatorius Ehrlich und Morgenroth)
abgebe, hat sogar B r u c k ^) im Laboratorium Wassermanns
aus vergleichenden Versuchen, die er mit einer gänzlich ungiftigen
Tetanusgiftlösung A und einer etwas giftigen B an Kaninchen an-
gestellt hat, schließen wollen, da er mit ersterer nur Spuren von Anti-
toxin, mit letzterer große Mengen erzeugen konnte. Leider fehlt bei
Brück zimächst schon der Vergleich der bindenden Kraft beider
Lösungen, und auch manche sonstige Tatsachen lassen sich mit seiner
Auffassung nicht recht vereinigen . Im allgemeinen hat j a doch die Erf ah -
nmg die Unabhängigkeit des Erfolgs von der Giftigkeit und den Paralle-
lismus zwischen immunisierender und bindender Kraft bestätigt und das
Fehlen der ersteren bei Mangel der zweiten (mag er nun durch zu starke
Erhitzung, Verdauung^), zu lange Einwirkung abschwächender Chemi-
kalien u. dgl. oder durch vollständige und feste Bindung an Antitoxin*)
1) Zeitsehr. f. Hyg. 37, 1901.
2) Kraus' und Levaditis Handb. 2. 27, 1908.
3) Zeitsehr. f. Hyg. 46, 1904.
4) Macht die meisten Immungifte tmschädlich ( § 274) und nimmt
ihnen zugleich die Immunisierungsfähigkeit, Das Bindungs vermögen ist
freilich nicht untersucht worden. Ausnahmen sind das Botulinusgift,
Huhrgift (Chvostek, Wien. klin. Woch. 1908, 20), Rizin und Abrin
(Ehrlich, Deutsch, med. Woch. 1891) und Schlangengift (Fräser
hei C a 1 m e 1 1 e in K r a u s ' und L e v a d i t i s Handb. 2. 244), mit denen
denn auch zum Teil eine Immunisierimg durch Verfüttenmg gelingt.
5) Die Bindung muß nicht nur vollständig, sondern auch fest sein,
(i. h. lange genug bestehen. Daher ruft Diphtheriegift z. B. bei Pferden,
die durch Serum passiv immunisiert wird, Antitoxinbildung hervor. Vgl.
K r e t z , Zeitsehr. f. Heilk. 23, 1902 und bei Kraus imd L e v a d i t i ,
906 Kap. XVI. § 279 ii. 280.
bewirkt sein) gelehrt. Möglicherweise erklärt sich also die schlechte
Wirkung der imgiftigen Impfilüssigkeit in dem Brück sehen Ver-
suche durch das Fehlen anderer Stoffe oder anderer »Seitenketten
im Toxoidmolekül als gerade der toxophoren (s. u.).
Übrigens soll nicht verschwiegen werden, daß sich einige Angaben,
die wir schon bei Fränkel^) finden, nicht mit der üblichen Ansicht
von der Bedeutung der haptophoren Gruppen für die Immunisierung
vereinigen lassen. Sollen doch, wenn auch nicht in so zuverlässiger
Weise, große Mengen gekochten Diphtheriefiltrates Immuni-
tät hervorrufen. Durch die Siedehitze wird aber doch sowohl die
toxophore wie die haptophore Gruppe zerstört.
In diesem Zusammenhange bemerkenswert erscheinen auch die
Erfahrungen, die man mit anderen Impfstoffen gemacht hat (§ 327.
335 ff.).
Weder die Bildung von Bakteriolysin noch die von Agglutinin
steht in völlig gesetzmäßiger Beziehung zu der Bindungsfähigkeit,
welche die betreffenden Antigene zu ihren Immunkörpern im Reagens-
glas haben oder zu der aggressiven Wirksamkeit der Bakterien
(Virulenz) und ihrer Produkte. Es kann z. B. Bindefähigkeit vorhanden
sein und Immunisierungsfähigkeit fehlen und umgekehrt. Ob nicht
unter Umständen auch ähnliches für die giftigen Antigene gilt? Jeden-
falls wird man sich nach alledem hüten, die antitoxinbindende (hapt^
phore) Gruppe und die antitoxinbildende (immunisierende) Gruppe
der Gifte einfach zu identifizieren, sondern, um die Seitenketten-
theorie zu retten, zu Hilfshypothesen greifen müssen, indem man
entweder neben den eigentlichen mit Bindegruppen ausgestatteten
Molekülen besondere Stoffe oder in ihnen besondere Atomgruppen
voraussetzen wird, die nach der einen oder anderen Richtung, d. h.
fördernd oder hemmend die Bindung im Reagensglas^) imd neben
der Bindung die Neubildung der den Immimkörper liefernden Zellen
beeinflussen. Ja, man könnte geneigt sein, noch weiterzugehen und
geradezu zwei bindende Gruppen im Giftmolekül annehmen, von
denen die eine „antitoxinbindende", die Bindung im Reagensglas, die
andere „antitoxinbildende" (impfende, immimisierende), die Bindung
in den antitoxinliefemden Zellen und damit die Antikörperbildung
2. 244, 1908. Selbst die feste Bindung soll allerdings nach K r e t z durch
die Rezeptoren aktiv immunisierter Tiere aufgehoben werden. Vgl- aber
das S. 899 darüber Gesagte.
1) Berl. klin. Woch. 1890. 49.
2) Auch die „Aviditäts "-Unterschiede der einzelnen ToxinbesUnd-
teile (Proto-, Deutero-, Tritotoxine usw.) kann man sich ja in ähnlicher
Weise zustandegekommen denken (s. o. S. 846 ff. u. 856).
Gifte der Kleinwesen. 907
bzw. Giftimmiuiität be^wirkten. Die Unmöglichkeit, durch neutrale
und gefestigte Toxin-Antitoxinmischungen zu immunisieren, spräche
nicht dagegen, denn durch die Bindung der einen Gruppe könnte die
Wirksamkeit der anderen Gruppe ja ausgeschaltet werden. Einfacher und
theologisch verständlicher ist freilich wohl eine der ersten Annahmen.
Wie man sieht, werden die Vorstellungen über den Bau der Im-
mungifte immer verwickelter, je mehr man ihre einzelnen Eigenschaften
in der von Ehrlich vorgeschlagenen Weise zu erklären sucht. Ob
wir damit auf dem richtigen Wege sind, wird natürlich erst die Auf-
klärung der Giftzusammensetzung .durch die chemische Analyse
endgültig entscheiden. Vorläufig müssen wir aber zugeben, daß die
Ehrlich sehe Theorie die Erscheinungen der erworbenen spezi-
fischen Immunität besser erklärt als jede andere und auch dadurch
sich empfiehlt, daB sie die erworbene Immunität nur als einen be-
sondeienFall der Inmiunität im allgemeinen erkennen läßt. Wissen
wir doch, daß auch im normalen Tierkörper, wenn auch hier in viel
geringeren Mengen und vielleicht da und dort in etwas anderer Be-
schaffenheit und Form, Antitoxine imd andere Antikörper spezifischer
Natur vorkommen. Die erworbene Immimität steigert also nur die
Abwehrkräfte, die dem Tiere angeboren oder von ihm auf nicht spezi-
fischem Wege erworben worden sind (vgl. Infektions- und Immunitäts-
lehre).
Über die Art und Weise, wie die Antitoxinbildung, die Verviel-
fältigung der Seitenketten zustande kommt, lehrt uns die Ehr-
lich sehe Theorie nichts (vgl. § 68). Wir müssen uns damit begnügen,
sie mit anderen Sekretionen oder Zellenneubildungen zu vergleichen^).
§ 280. Endotoxine, sekundäre Gifte, Bakterienproteine.
Entzündungs-, Fieber-, Darmgifte. Schon bei Besprechung des
Diphtheriebazillus (S. 831 ff.) haben wir gesehen, daß mit dem
durch seine Wirkimgen im Tier gut charakterisierten, im Filtrat
der Kulturen leicht nachweisbaren, sehr kräftigen, hitzeempfindlichen
Gifte die Giftigkeit dieser Bakterien noch nicht erschöpft ist, sondern
daß auch seinen gekochten Kulturen und von dem Gift befreiten
Bazillen selbst eine gewisse, allerdings meist viel schwächere Gift-
wirkung zukommt, die in verschiedener Weise beschrieben wird. Wir
haben sie mit der durch andere Bakterien hervorgerufenen „Endotoxin-
vergiftung" verglichen. Beim Choleraspirillum, wo sie zuerst genauer
beschrieben worden ist, glaubte R. Pfeiffer scharf unterscheiden
1) Vgl. das a\if S. 799 Gesagte über die von Kassowitz (Meta-
bolismus lind Immunität 1907) aufgestellte Theorie, die sich im übrigen
an die Ehrlich sehen Vorstellungen anschließt.
90S Kap. XVI, § 280.
ZU müssen zwischen dem gegen alle schädlichen Einflüsse sehx empfind-
lichen, kaum in Lösung zu gewinnenden, schon in geringerer Menge
wirksamen „primären" Gift der Bakterienleiber und dem kochfesten Gift,
das zwar unter denselben Erscheinungen (des sog. „Cholerakollapses''),
aber erst in viel (10 — 20 mal) größeren Gaben tötet, und das er s e k u n-
d ä r e s Gift nannte, weil er dex Auffassung war, daß es aus dem ersten
durch Hitzewirkung entstände. Im wesentUchen dieselben Dinge meint
G a m a 1 e i a (§284), wenn er beim Cholerabazillus von einem hitze-
empfindlichen „Nukleoalbumin" und einem hitzebeständigen „Nuklein"
des Cholerabazillus spricht. ÄhnUches beobachtet man bei den meisten
Leibesgiften der Kleinwesen. Denn sehr gewöhnlich wird denselben
durch das Kochen ein Teil ihrer Wirkung geraubt, ohne daß die Art
der Wirkung selbst sich wesentüch änderte, doch sind die Unterschiede
vielfach sehr unbedeutend; man hat daher auch die Endotoxine
als hitzebeständig bezeichnet im Gegensatz zu den Ekto-
toxinen, die meist hitzeempfindlich sind. Eine zweite Eigenschah
der Leibesgifte sollte in der Unmöglichkeit bestehen, gegen sie
Immunität bzw. Antitoxine zu erzeugen. Wenn man
statt Unmöglichkeit Schwierigkeit sagt, und zwar von einer
Regel spricht, die aber Ausnahmen zuläßt, so kann man damit sich
einverstanden erklären.
Eine dritte Eigenschaft der Endotoxine, die ihnen ihren Namen
verschafft hat, besteht darin, daß sie den Leibern der Kleinwesen mehr
oder weniger fest anhaften und aus ihnen sowohl durch künsthche Be-
handlung — als „Bakterienextrakte" — als auch auf natürlichem Wego
in alten Kulturen als „ausgelaugte Bestandteile" oder „Zerfallsprodukte"
der Leiber gewonnen werden können. Wir haben aber früher schon
gesehen (§ 272), daß dieses Merkmal gegenüber den Ektotoxinen, die
als von den bildenden Zellen freiwillig ausgeschiedene Sekrete be-
trachtet werden, mehr praktisch, d. h. für ihre Darstellung bedeu-
tungsvoll als wissenschaftlich weitvoll ist.
Die wesentliche Eigenschaft der Endotoxine liegt wohl in ihren
physiologischen Wirkungen auf den Tierkörper. Sie rufen nicht nur
— in großen Mengen und an besonders wirksamen Stellen (Bauch-
höhle, Blut) verabreicht — schwere allgemeine Vergiftungserscheimmgen
(Kollaps) hervor, sondern verursachen auch Entzündung imd Fieber
sowie Störungen in einzelnen Organen^), namentlich im Darm, und bei
schleichender Wirkung Schwäche und Abmagerung.
Schon bevor die meisten der liier genannten Erfahrungen gemacht
worden waren, hatten Wyssokowitsch und dann in urafang-
1) Über Organgifte vgl. § 318.
Gifte der Kleinwesen. 909
reicherem Maßstabe H. Büchner^), ausgehend von den Studien
Pasteurs, Grawitz', Lebers, Scheuer lens, Fehl-
eisens, Charrins über die chemischen Ursachen der Eiterung
und von den Beobachtungen Emmerichs, Pawlowskys
u. a., daß man mit Hilfe verschiedener wenig virulenter Bakterien
Entzündungen verursachen und zugleich Infektionen bekämpfen könne,
gezeigt, daß nicht bloß die echten Eiterbakterien,
j^ondern auchallemöglichenanderenlnfektions-
erreger und Saprophyten, wenn man sie durch stunden-
langes Kochen abtötet und in Aufschwemmungen Kaninchen,
Meerschweinchen usw. unter die Haut spritzt, Entzündung, Eiterung
und fieberhafte Allgemeinerscheinungen erzeugen^). Dahin gehören
^Staphylokokken und Sarzinen, der Bac. pneumoniae {Friedländer),
der Bac. pyocyaneus, sporenfreie Milzbrandbazillen, der Typhus-,
Heu-, Kartoffelbazillus. Es gelang Buchner dann, das wirksame
Gift aus den Bakterienleibem darzustellen, indem er sie durch stunden-
langes Kochen mit 0,5 prozentiger Kalilauge auszog, durch Papier
filtrierte, sie durch vorsichtiges Ansäuern fällte, und das Gift durch
Wiederholimg des Verfahrens reinigt. Nach ihrer chemischen Reaktion
und Darstellungsweise betrachtet er die wirksame Substanz als Albu-
minat imd nannte sie „Bakterienprotein" (vgl. S. 63). Später zeigten
R ö m e r 3) und Buchner*) selbst, daß sich die Ausbeute an wirk-
samer Substanz steigern läßt — bei manchen Arten bis zu Vs des ge-
samten Trockengehalts der Bakterienzelle — , wenn man die Bakterien
scharf trocknet imd nachher längere 2feit einfach mit destilliertem
Wasser auskocht. Der in diesen „Bakterienextrakten" erhaltene
und durch Porzellan filtrierbare Eiweißkörper unterscheidet sich von
dem ,, Protein" dadurch, daß er nich tmehr durch schwaches Ansäuern
ausgefällt wird. Schon in kleinen Gaben rufen diese auf die eine oder
andere Weise hergestellten Gifte bei Tieren, beim Menschen sogar in Gaben
von einigen Milligramm und weniger erysipelartige Entzün-
dungen, Besohle unigungderLym ph ab sonderung,
Leukozytose und Fieber hervor. Echte Eiterung läßt sich
mit ihnen — wahrscheinlich, weil sie sonst zu schnell aufgesogen
1) Berl. klin. Woch. 1890, 10, 30 und 47. Über die Geschichte und
die Bedingungen der Eiterung s. Infektionslehre.
2) Nebenher machte B u c h n e r die seitdem nicht weiter verfolgte
bemerkenswerte Beobachtung, daß die Wirkung der Pneumobazillen, mit
denen er hauptsächlich arbeitete, dadurch sich aufheben ließ, daß man
die Bakterienkörper mit Anilinfarben (Methylviolett) tränkte. Auch
andere Farbstoffe scheinen giftwidrige Eigenschaften zu besitzen (S. 879).
3) Berl. klin. Woch. 1891. 51.
4) Münch. med. Woch. 1891. 49.
910 Kap. XVI, § 280.
werden — nur erzielen, wenn man sie in sehr erheblichen Mengen ein-
spritzt oder sie in kapillaren Glasröhrchen wirken läßt (b. u.).
In größeren Mengen und bei wiederholter Einverleibung unter die
Haut töten die Bakterienproteine ebenso wie die toten Bakterien-
leiber nach Wochen unter starker Abmagerung; um Tiere, nament-
lich Meerschweinchen, binnen 24 Stunden zu töten, muß man ihnen
sehr große Gaben — etwa 0,5 — 2^^^ des Körpergewichts in trockener
Form — am besten in das Bauchfell oder das Blut einspritzen.
Die Vergiftungserscheinimgen bestehen in Temperaturabfall
bis zu 30^ und weniger, lähmungsartiger Schwäche.
Hypoleukozytose, kurz, sie ähneln durchaus dem, was man
auch als „Endotoxinvergiftung*' bezeichnet hat (s. o. und bei Cholera,
Typhus, Ruhr usw.).
Eine interessante Nebenwirkung der Bakterienproteine beobachtet
man an tuberkulösen Tieren : sie rufen nämlich bei ihnen ähnliche ört-
liche und allgemeine Reaktionen hervor wie das Tuberkulin (§ 304)^).
Da man ähnliche Wirkungen auch durch nicht bakterielle Eiweißkörper,
besonders durch Deuteroalbumosen und Peptone aus künstlichen Ver-
dauungsgemischen, Nukleinsäure usw. hervorrufen kann'), so hat man
die Tuberkulinreaktion für eine einfache „Protein- oder Albumoeen-
reaktion" erklärt. Doch sind quantitative Unterschiede nicht zu ver-
kennen (§ 304). Namentlich beim tuberkulösen Menschen braucht man
viel größere Gaben, als von dem Tuberkulin. Auch gibt B u c h n e r
selbst an, daß die tödlichen Gaben bei Einverleibung von Bak-
terienprotein ungefähr gleich sind für tuberkulöse und nicht tuber-
kulöse Tiere. Beim Tuberkulin ist das nicht der Fall, man wird daher
dieses letztere Gift nicht mit den übrigen kochfesten Bakterienpro-
dukten völlig gleichstellen dürfen. Das gleiche gilt für das M a 1 1 e i n .
dessen Wirkungen auf an Rotz erkrankte Tiere auch durch
Bakterienproteine erhalten werden können (§ 305). Wahrscheinlich
hat man es hier mit einer Form der sog. Uberempfindlichkeit gegen
Gifte, die in hohem Grade spezifisch ist, zu tun (§ 344).
Die gründliche Erörterung der Entzündimgs- wie der Fieber-
erscheinimgen, die beim Tiere imd noch deutlicher beim Menschen
nach Einführung der Bakterienproteine und -extrakte eintreten, müssen
wir auf die Infektionslehre verschieben. Es sei hier nur erwähnt, daß
die Entzündung ein sehr verwickelter Vorgang ist, bei dem Wirkungen
1 ) Vgl. außer B u c h n e r noch Gärtner und Römer, Wien,
klin. Woch. 1891. 45; G. Klemperer, Zeitschr. klin. Med. 20, 1892;
Schattenfroh, Zeitschr. f. Hyg. 18, 1894; Matthes, Arch. f.
klin. Med. 54, 1895; K r e h 1 und Matthes, Arch. f. exper. Path. 36, 1895.
2. S. namentlich Matthes a. a. O.
Gifte der Kleinwesen. 911
auf das Gewebe selbst, Geföße, Nerven und namentlich die Wan-
derzellen eine Rolle spielen. Am ehesten zugänglich der Prüfung
erscheinen die letzteren, weil man den Versuch wagen könnte, mit
ihnen auch im Reagensglas zu arbeiten. Jedoch ergeben sich nach
unseren Erfahrungen dabei größere methodische Schwierigkeiten, als
man gewöhnlich annimmt. Ein von Pfeffer für die Untersuchung der
chemischen Bewegungsreize der Pflanzenzellen zuerst angewandtes
und dann von Leber, Massart und Bordet^), Gabri-
tschewsky*) und H. B u c h n e r für die Leukozyten benutztes
Verfahren besteht (s. o.) darin, daß man Glaskapillaren mit den Bak-
terienstoffen füllt, an einem Ende schließt und imter die Haut, in die
Bauchhöhle, die vordere Augenkammer usw. einbringt. Aus der An-
wesenheit und der Länge des Leukozytenpfropfes, der sich nach einigen
Stunden oder später an dem offenen Ende der Glasröhrchen bildet,
hat man auf das Vorhandensein von Leukozyten anlockenden („positiv
chemotaktischen") Stoffen geschlossen. Nach Sicherer^) soll
man ähnUche Erfolge haben, wenn man die Kapillarröhrchen in künst-
lich hergestellte Leukozytenaufschwemmungen einsenkt. Nachprü-
fungen, die Bürgers und H ö s c h *) in meinem Laboratorium an-
stellten, haben aber die Unzuverlässigkeit beider Methoden ergeben.
Man ist meines Erachtens zur Feststellung der Chemotaxis ausschließ-
lich auf die Beobachtungen der frei in dem tierischen Gewebe erfolgen-
den Vorgänge angewiesen. Besonders die an dem gefäßlosen Gewebe
der Hornhaut angestellten Versuche L e b e r s und Ribberts
sprechen denn auch klar genug für das Vorhandenseinleuko-
zytenanlockender Stoffe in den Bakterien- und Pilz-
leibem (vgl. Infektionslehre) und gestatten, der positiven
Chemotaxis (Leukotaxis) eine wichtige Rolle bei
der Entstehung dieser Erscheinung zuzuschrei-
ben. Eben diese Versuche dienen aber auch dazu, eine zweite, der
ersten entgegengesetzte Eigenschaft der Proteine, eine abstoßende,
hemmende, „negativ chemotaktische'' Wirkimg auf die Leukozyten zu
verdeutlichen. Li vielen Fällen, namentlich wenn man die Proteine
in konzentrierter Form verimpft, macht nämlich die Zuwanderung der
Leukozyten in einer gewissen Entfernung von der Impfungsstelle Halt,
und es bildet sich ein Leukozytenwall um die letztere. Weniger
deutlich sind nach unseren Erfahrungen diese Erscheinungen, wenn
man statt in die Hornhaut in gefäßhaltiges Gewebe, z. B. in die
1) Joum. SOG. roy. scienc. ni6d. Bruxelles 1890; Annal. Pasteur 1891.
2) Ebenda 1890.
3) Münch. med. Woch. 1896. 41.
4) Zeitßchr. f. Immunitätsforschung 2. 70, 1909.
912 Kap. XVI, § 280.
Bauchhöhle impft. Dann erfolgt früher oder später die Zu-
wanderung von Leukozyten, aber nur im Falle, daß man nicht zu
große Gaben anwendet, und zwar um so schneller, je kleiner die (Jabe
ist. Bei größeren Gaben bleiben zunächst die Leukozyten aus, es
bildet sich ein seröses, manchmal etwas blutiges Exsudat, und erst
später wird dieses mit Leukozyten bevölkert. Größte Gfiben töten
endlich, ehe die Umwandlung des serösen in ein eitriges Exsudat er-
folgt. Man könnte auch hier die Erklärung für das Ausbleiben der
Leukozytenzuwanderung in einer negativen Chemotaxis suchen,
wenn man nicht mit einer Beeinflussung der Gefäße, die unter Um-
ständen auch die Auswanderung verhindern könnte — durch Be-
schleunigung des Blutstroms — , rechnen müßte. Versuche haben es
uns jedoch wahrscheinlich gemacht, daß die negative Chemotaxis
mindestens mitspielt, denn spritzt man eine konzentrierte Protein-
lösung in eine Bauchhöhle, deren Leukozytengehalt durch vorherige
Behandlung mit Aleuronatlösung oder dergleichen erhöht ist, so ver-
schwinden die Leukozyten aus dem Exsudat imd lagern sich auf das
Netz imd die Wände der Bauchhöhle ab (vgl. § 322 u. 331).
Das Zustandekommen des Fiebers imd der übrigen Allgemein-
erscheinungen, unter denen namentlich die Hyperleukozytose zu er-
wähnen ist, können wir an dieser Stelle erst recht nicht ausführlich
besprechen, wiederholen aber, daß es ebenfalls von der Höhe der
Proteingabe abhängig ist, denn große Gaben erzeugen kein Fieber
und keine Hyperleukozytose, sondern ein Sinken der Temperatur bis zum
Tod im Kollaps und Hypoleukozytose d. h. die „Endotoxinvergiftung\
Wir haben bisher öfter mit B u c h n e r von Bakterienproteinen
gesprochen, müssen aber zugeben, daß die Eiweißnatur der in den
Bakterienextrakten wirksamen Stoffe wie bei den übrigen Bakterien-
giften in Frage gestellt werden kann. Schon die von uns u. a. sicher
festgestellte Tatsache, daß Bakterien derselben Art (z. B. Ruhrbazillen.
Cholerabazillen) ungleich giftige Extrakt« geben können, obwohl ihr
Gehalt an Eiweißstoffen im wesentlichen gleich ist, spricht dafür, daß
der wirksame Stoff dem Bakteriengift nur beigemischt ist. Cen-
t anni ^) machte den Versuch, diese Stoffe zu gewinnen, indem er die zu-
nächst in ähnlicher Weise wie oben hergestellten wässerigen Bakterien-
extrakte filtrierte, zu Sirupdicke einengte, mit absolutem Alkohol fällte,
in Wasser aufnahm und unter Zusatz von Chloroform und Thymol
der Dialyse gegen destilliertes Wasser unterwarf. Das Wasser, das
nach 24 Stunden verhältnismäßig reich war an Salzen und Farbstoffen,
wurde dann weggegossen, alle paar Tage erneuert, die neuen Zusätze
1) Deutsch, med. Woch. 1894. 7/8.
Gifte der Klein wesen. 913
aber vereinigt, auf einen sehr kleinen Rauminhalt eingedampft, mit
Alkohol gefällt, der Niederschlag wieder gelöst und durch mehrmalige
Fällung mit Alkohol und darauffolgende Lösung weiter gereinigt. Das
so gewonnene Pyrotoxin oder „Fiebergift" ist grauweiß, zieht
das Wasser sehr schnell an, ist darin, in Glyzerin und in Alkohol bis zu
W% löslich, nicht in reinem Alkohol, Äther imd Chloroform; es ist kein
Eiweißstoff, denn es gibt keine der bekannten Farbreaktionen, wird
durchPepsin oder Trypsinverdauung nicht verändert; es ist femer kein
Xanthinkörper, denn es wird durch Bleiessig gefällt; von den Alkaloid-
reaktionen gibt es die meisten, wird aber von Platinchlorid, Gold-
chlorid, schwefelsaurer Ammoniakmagnesia, starken Säuren und Basen
nicht niedergeschlagen. Über die chemische Natur des Pyrotoxins ist
also fast nur Negatives zu sagen. Die physiologischen Wirkungen sind
nach Centanni dieselben, wie die der Bakterienproteine, vor allem
erzeugt es Fieber mit allen seinen Erscheinimgen, Entzündimg und
Eiterung, Diarrhöe (s. u.) und Abmagerung. Von allen Bakterien,
ob pathogenen oder nicht pathogenen, wird es erzeugt, doch kann
man aus der Arbeit Centannis nicht ersehen, ob er aus allen Bak-
terien, die er aufzählt, auch das Gift in derselben Weise dargestellt
hat, oder ob er seine Schlüsse aus den Tierversuchen, die mit den ab-
getöteten Bakterien oder ihren Extrakten angestellt sind, zieht. Auch
macht Centanni keine Angaben über die tödlichen Gaben^) seines
reiaen Giftes imd über die Mengen, in denen es erzeugt wird, sondern
spricht nur davon, daß er keine Methode kenne, um es
vollständig zu gewinnen.
Sind wir nun aber durch die Untersuchimgen Centannis über
das Fiebergift erheblich weitergekommen ? Wir möchten es bezweifeln.
Zunächst schon aus dem Grunde, weil es fraglich ist, ob das
Pyrotoxin in den Bakterien als solches vorgebildet ist. Das Verfahren
zu seiner Gewinnung ist schon sehr eingreifend und genügend, die Körper-
gifte der Bakterien teilweise zu zerstören. Man bekommt den Ein-
diuck, als ob die wirksamen Stoffe in den toten Bakterien und den
gewöhnlichen Endotoxinpräparaten (§ 272) in weit kräftigerem Zustand
oder mindestens in viel größeren Mengen enthalten seien. Vielleicht
handelt es sich bei dem Pyrotoxin nur um Abspaltung gewisser
Bestandteile (Seitenketten) aus dem ursprüng-
1) V o g e s (Zeitschr. f. Hyg. 17. 480, 1894) hat mit 0,3 g eines genau
nach Centanni dargestellten Pyrotoxins des Bac. prodigioaus (von
Uschinsky-Agar) beim Meerschweinchen von 300 g (vom Bauchfell aus ?)
zwar Krankheitserscheinungen (Kollapstemperatiu*), aber nicht den Tod
erzielen können. Danach wäre die Wirkung des reinen Giftes also kaum
kräftiger als die der unverarbeiteten Bakterienleiber.
Kr ose, Mikrobiologie. 58
914 Kap. XVI, § 280.
liehen Gift. Daraus würde sich seine verhältnismäßig bedeu-
tende Diffundierbarkeit erklären. Möglicherweise beginnt eine solche
Substanzveränderung schon bei dem durch weniger stcurke Eingriffe
verursachten Übergang von dem primären Zustand des Endotoxins iu
den sekundären (s. o. S. 908). Daß das ursprüngliche Leibesgift ein
echter Eiweißkörper sei, brauchen wir darum noch nicht anzunehmen.
Seine chemische Natur ist uns vielmehr, ebenso wie die der Ektotoxine,
noch unbekannt.
Zu einem ähnlichen Schlüsse führen die Erfahrungen, die beim
Studium einer anderen physiologischen Wirkung der Endotoxine ge-
macht worden sind. Daß Fäulnisbakterien für Darm (und Nerven)
von Fleischfressern eine eigentümliche Giftigkeit besitzen,
haben wir schon bei Besprechung der „putriden Intoxikation'' bzw.
Sepsinvergiftung gesehen (§ 259). Die von mir mit Selter^)
ausgeführten Untersuchimgen lehrten dann folgendes: nicht nur
„Fäulnisbakterien", sondern auch Dysenterie-, Pseudodysenterie-,
Typhus-, Paratyphus-, Prodigiosusbakterien usw. verursachten durch
ihre Leiber bzw. Leibesextrakte ganz ähnliche Krankheitser-
scheinungen, d. h. nach Einspritzung in das Blut von Fleischfressern
(Hunden) plötzliche Störungen des Kreislaufes, des Brechzentrums und
des Bewußtseins imd im Anschluß daran blutige Entzündun-
gen des Magendarmkanals, die sich mit Vorliebe
auf den Zwölffinger- und Dickdarm beschränken
und später zu Nekrosen führen können. Das Studium der Literatur
zeigt aber, daß andere Forscher auch Cholera-*) und Diphtherie-'),
Proteus-*), Colibazillen^) und Streptokokken*) u. a.*) ähnliche Wir-
kungen zugeschrieben haben, ohne sie aber meist zu der Sepsinver-
giftung in Beziehung zu bringen. Offenbar handelt es sich
um dieselben nicht spezifischen Erscheinungen,
die nicht mit der spezifischen D ysenterie Ver-
giftung bei Kaninchen (§ 289) verwechselt werden
dürfen. Man köimte hier also um so eher von einer Endotoxin-
vergiftung des Fleischfresserdarms sprechen. In
der Tat bleiben die Erscheinungen die gleichen, weim man die Bat-
terien bzw. die daraus hervorgegangenen Stoffe auf 100° erhitzt. Immer-
1) Zeitöchr. Iinnumitätsforscli. 5. 492, 1910.
2) K 1 e ni p e r e r s. § 284.
3) Courmont und D o y o n s. unter 6.
4) Levy a. § 300.
ö) C e 1 1 i s. § 288.
6) Vgl. bei A r t a u d Toxines microbiennes. Paris 1896. T e i s 9 i e r
und Guinard Arch. espdrim. m^d. 1897.
Gifte der Kleinwesen. 915
dn scheinen größere Gaben nötig zu sein, um die gleichen Wirkungen
:n erzielen. Eine genaue Angabe über das Maß der Abschwächung
ler Darmgifte durch die Siedehitze wird durch die ungleiche Emp-
angUchkeit der Hunde sehr erschwert, ebenso ein Vergleich der Darm-
lifte einzelner Bakterien. Nach unseren Erfahrungen scheinen aber
loch zum Teil recht erhebliche Unterschiede zu bestehen. Auch bei
len gewöhnlichen pflanzenfressenden Versuchstieren werden durch
ahlreiche Bakterien bzw. deren Extrakte Darmerscheinungen hervor-
;erufen (s. o. z. B. B u c h n e r und C e n t a n n i), sie sind aber nicht
0 charakteristisch wie die oben beschriebenen, weil meist die Blutungen
ind auch häufig Durchfälle fehlen^). Über die chemische Natur dieser
.Darmgifte" der Bakterien wissen wir ebensowenig wie über die der
ündotoxine überhaupt. Man könnte freilich geneigt sein, das Darm-
ih mit dem Sepsin von Bergmann und Schmiedeberg, dessen
Bau Faust neuerdings aufgeklärt hat (S. 816), zu identifizieren, weil
lie physiologischen Wirkungen übereinstimmen. Wahrscheinlicher dünkt
ins aber auch hier wieder, daß das Sepsin nur ein Spaltungsprodukt
ies echten Darmgiftes bzw. Endotoxins ist. Bemerkenswert genug
bleibt seine Entdeckung immerhin, weil sie uns einen ersten
Einblick in den chemischen Bau der Eigengifte
5u liefern scheint.
Wenn uns somit die hier besprochenen mehr oder weniger ein-
greifenden Darstellungsmethoden der Bakterienproteine, des Pyro-
lOxins und Sepsins nur unvollkommenen Ersatz bieten für das ursprüng-
lich im Leibe der Bakterien enthaltene Gift, so müssen wir zu den
in § 272 angeführten schonenderen Verfahren zu seiner Darstellung
zurückkehren. Benutzen wir z. B. das mehrstündige Ausziehen der
Bakterienleiber bei Temperaturen von etwa 60®, das sich wegen seiner
Einfachheit am meisten empfiehlt, so zeigen sich große Unterschiede
in der Wirksamkeit dieser Extrakte bei den einzelnen Bakterienarten.
Bakterien, die in älteren Kulturen leicht zerfallen, wie Pyocyaneus-,
Cholera-, aber auch Typhus-, Ruhr-, Colibazillen liefern kräftige, Heu-,
Milzbrand-, Staphylo-, Streptokokken, Tuberkelbazillen sehr schwache
Giftlösungen. Sieht man sich die beiden Gruppen von Bakterien an,
so bemerkt man, daß die erste die gramnegativen, die zweite
die g r a m - oder säurefesten enthält. Uns scheint das kein Zu-
fall zu sein, sondern in der Natur der gram- und säurefesten Keime
begründet zu liegen, daß sie ihre Leibesbestandteile schwerer nach
außen abgeben, weniger gut löslich sind (vgl. S. 44). Erst stärkere
Eingriffe, wie lange dauernde Wirkung hoher Temperaturen u. dgl.,
1) Dagegen fällt ein nach einiger Zeit auftretender Darmpro-
1 a p s bei Meerschweinchen auf.
58*
916 Kap. XVI, § 280.
gestatten auch aus den säurefesten Bakterien die Endotoxine in Lösung
zu bringen (vgl. Tuberkulin* § 304). Bemerkenswert ist in diesem Zu-
sammenhange auch die Beobachtung Centannis, daß Milzbrand-
und Heubazillen vor der Sporenbildung Fiebergift enthalten
sollen, nachher nicht mehr. Wahrscheinlich wird der wirksame Stofl
bei der Bildung der Sporen in diese eingeschlossen und kann aus ihnen
wegen der Widerstandsfähigkeit ihres Körpers nicht mit dem gewöhn-
lichen Verfahren freigemacht werden^).
Nach diesen Erfahrungen wird man erwarten dürfen, daß die
Endotoxine auch im Tierkörper erst frei werden imd dadurch Ent-
zündung, Fieber, in großer Menge Kollaps und Darmerscheinungen.
bei schleichender Wirkung Abmagerung und Schwäche erzeugen werden,
wenn die Bakterien, die sie enthalten, der Auflösung verfallen, und
daß diese Wirkungen um so deutlicher hervortreten, je schneller der
Zerfall vor sich geht. Indessen fragt es sich doch, ob eine vollständige
Auflösung der Bakterienleiber, die natürlich ohne ihr Absterben nicht
denkbar wäre, notwendig vorauszusetzen ist, um die Endotoxinvergif-
tung zu erklären. Mindestens könnte man sich ganz gut vorstellen,
daß die Auflö img nicht alle infizierende Bakterienindividuen trifft,
sondern daß nur ein Teil den keimwidrigen Eörperkräften zu erhegen
braucht, während der andere Teil am Leben bleibt und unter Um-
ständen weiterwächst (vgl. S. 761). Es wäre aber nicht ausgeschlossen,
daß Endotoxine auch durch lebende Keime, die unter dem EiniluB
der Abwehrkräfte des Körpers zwar in gewisser Weise geschwächt,
aber nicht vernichtet werden, also nach Art eines Sekretes ausgeschieden
würden. Beobachten wir doch gerade mit Vorliebe auch bei ganz frischen
Infektionen Entzündung imd Fieber und bei tödlichen Infektionen
Kollapserscheinungen, ohne daß wir imstande wären, als Ursache dafür
absterbende Bakterien nachzuweisen.
Sind im vorstehenden schon manche Fragen angedeutet, die der
endgültigen Beantwortung harren, so kommen noch einige weitere
hinzu. Daß die Endotoxine der Bakterien trotz aller Ähnlichkeit im
ganzen doch in ihrem Bau, ihrer Bildungs- und Wirkungsweise vonein-
ander Verschiedenheiten aufweisen können, ist wohl selbstverständ-
lich, ebenso daß ihnen öfters Ektotoxine mit eigentümlichen Leistungen
beigemischt sind. Bei den „spezifischen" Entzündungen^) (Diphtherie.
1 ) Vor kiirzcm habe ich ein Endotoxin durch dreistündiges Erhitzen
bei 120° auch aus sporenlialtigen Milzbrandfäden gewinnen können. &
waren 260 mg der trockenen Sporenmasse nötig, um ein Meerschweinchen
von 260 g binnen 24 Stunden zu töten (vgl. § 292).
2) Auch das Fiebergift kann spezifisch sein, so erzeugt nach Krebl
(Arch. experim. Path. 35) das Diphtheriegift Fieber und verliert seine
fiebererregende Wirksamkeit wie zu erwarten durch Kochen.
Gifte der Kleinwesen. 917
jrsenterie, Rauschbrand, malignes ödem) wird davon weiter die Rede
^ (vgl. § 332). Zweifelhaft ist es dagegen noch, ob wir es in den
idotoxinen jeder einzelnen Art mit einem einheitlichen Stoff zu tun
.ben, ob namentlich die anscheinend entgegengesetzten physiologischen
listungen, die positive und negative Chemotaxis, die Erzeugimg von
eber- und Kollapstemperaturen, mit anderen Worten die nützlichen
leizwirkungen" und die eigentlichen Giftwirkungen auf die gleichen
offe zurückfuhren. Die Möglichkeit, diese verschiedenen Erschei-
ingen durch ungleiche Menge und Dichtigkeit derselben Stoffe zu
klären, wird zwar von vornherein nicht bestritten werden können.
?r sichere Beweis, daß dem wirklich so ist, bleibt aber noch zu liefern
gl. § 322 und 331).
Eine weitere Frage ist die nach dem Verhältnis der fieber- und
itzündungerregenden Stoffe, die nicht bakteriellen Ursprungs sind,
i dem Endotoxin der Bakterien. Es gibt bekanntlich auch ein asep-
sches Fieber, das durch zahlreiche organische Stoffe hervorgerufen
erden kann*). Gesprochen haben wir schon oben von der tuberkulin-
inlichen Wirkung der Albumosen, Peptone, Nukleinsäuren; Bu eh-
er hatte femer schon früh die entzündungserregende Eigenschaft
s Pflanzenkaseins, des aus Fleisch imd anderen Organen dargestellten
Ikalialbuminats, des Leuzins und Glykokolls erkannt. Daß bei der
esorption von Blutergüssen und anderen abgestorbenem Gewebe,
i Transfusion von Blut Fieber entstehen kann, auch wo jede Bak-
rienbeteiligung auszuschließen ist, ist lange bekannt. Die neueren
rfahrungen über Giftigkeit von Blutserum und allen möglichen
ideren (Jewebebestandteilen gehören ebenfalls hierher. Die Giftig-
st von Enzymlösungen*) wurde schon früher erwähnt. Zum Teil erhält
an mit ihnen auch die oben beschriebenen Darmerscheinungen.
Wie man sieht, sind es hier nicht nur „körperfremde" Stoffe, wie
e der Bakterien es ja auch sind, sondern auch Bestandteile des eigenen
örpers, die unter Umständen giftig werden können. Es scheint sich
ibei regelmäßig um Stoffe zu handeln, die durch den Zerfall
on Zellen frei werden. Da nun derartige Zerfallsvorgänge auch
irch Mikroorganismen verursacht werden können (vgl. z. B. Hämo-
sine § 317), so wird das Fieber bei manchen Infektionen sich viel-
icht auf diese Weise am besten erklären können. Es ist möglich,
iß z. B. die Fieberanfälle bei der Malaria, die jedesmal mit dem Zerfall
>n Blutkörperchen zusammenfallen, so zu deuten sind. Viel-
1) Vgl. z. B. Krehl a. a. O.
2) Hüppe (Berl. klin. Woch. 1802. 17) betrachtet die Endotoxin-
srgiftting geradezu als Vergiftung mit proteolytischem 'Enzym.
918 Kap. XVI, § 280 u. 281.
leicht wird sogar ganz regelmäßig ein Teil der Fieber- und Entzündungs-
Stoffe, die bei Infektion zur Wirkung gelangen, von dem eigenen Körper
geliefert. Unsere Kenntnis von diesen Vergiftungen steckt, wie man
sieht und wie auch aus den folgenden erhellt, noch in den Anfängen.
Eine Immunisierung gegen sekundäre Gifte ist bisher nur unvoll-
kommen gelungen. Doch haben fremde Erfahrungen bei Cholera-,
Typhus- und eigene bei Dysenteriebazillen gezeigt, daß man ein Serum
gewinnen kann, das eine mehrfach tödliche Gabe toter Leiber oder
deren Extrakte neutralisiert. Vielleicht macht man bei genauerem
Zusehen auch sonst ähnliche Beobachtungen. Sehr häufig beobachtet
man bei Immunisierung großer Tiere eine allmähliche^ Angewöhnung
an die Leibesgifte der meisten Bakterien, z. B. auch an das Tuberkulin.
Mit echter antitoxischer (Serum-)Inmiunität hat sie aber wohl nichts
zu tun. In anderen Fällen entsteht das Bild der „Uberempfindlichkeit '
oder Anaphylaxie (S. 793 u. § 344). Ob es die gleichen Stoffe sind
die das eine Mal die Endotoxinvergiftung und das andere Mal die Über-
empfindlichkeit bewirken, ist vorläufig nicht sicher zu sagen. Am
besten ist es, zimächst die Scheidung aufrecht zu erhalten, obwohl
neuerdings von manchen Forschem die Endotoxinvei^tung geradezu
in nächste Beziehungen zur Vergiftimg durch das „Anaphylatoxin"
gebracht worden ist. Ebensowenig vdssen wir Endgültiges über das
Verhältnis der Endotoxine zu den Angriffsstoffen auszusagen, obwohl
manche Tatsachen für die Verschiedenheit beider Stoffe sprechen
(§ 321). Sicher ist aber, daß sie schon ihrer Darstellung nach in
den Bakterienextrakten nebeneinander vorhanden sind. Das gilt auch
von den verschiedensten Arten der Impfstoffe, zu denen die lysino-,
tropino-, agglutino-, präzipitino-, reaginogenen außer den schon ge-
nannten anaphylaxogenen gehören (Kap. XVII). Schließlich sind
auch noch die Weichardt schen^) „Ermüdungstoxine" hier zu er-
wähnen. Weichardt selbst betrachtet sie als Abspaltungspro-
dukte aus den eigentlichen Giften bzw. eiweißartigen Stoffen über-
haupt. Eine reinliche Scheidimg aller dieser Stoffe zu bewirken,
geht vorläufig über die Leistungsfähigkeit unserer Methoden.
§ 281. Die Eigengifte der einzelnen Bakterien. Tetanns-
gift. Im folgenden setzen wir die beim Diphtheriegift unterbrochene
(§ 261 — ^267) Beschreibung der einzelnen Bakteriengifte fort, ver-
weisen aber auf die Bemerkungen der vorhergehenden Abschnitte.
Durch seine überaus kräftige und charakteristische Wirkung
zeichnet sich das Tetanusgift vor allen anderen Giften aus. Cm es
1) Manch, med. Woch. 1904. 1 und 48; 1905. 26; 1906. 1 und 35;
Zentr. Bakt. 43, 312, 1907; Über Ermüdungsstoffe, 1910.
Gifte der Kleinwesen. 919
:u erhalten, muß man sich in erster Linie den richtigen Bazillenstamm
aussuchen. Zur Beförderung der Giftbildmig werden als Zusätze
air gewöhnlichen Fleischpeptonbouillon empfohlen Gips, 1 — 2%
Cochsak, Blutserum, alte Tetanusbouillon, die Alkoholfällimg alter
r^'phusladturen oder gefaulter Fleischau&chwemmungen^). Zugaben
'on Glyzerin und namentlich von Traubenzucker sind schädlich, ob-
wohl sie das Wachstum verbessern. Bei Reinkulturen ist strenge
üiaerobioae selbstverständlich, doch soll die Symbiose von Tetanus-
)azillen und Heubazillen bei Luftzutritt auch kräftige Toxine er«
;eben^). Junge Kulturen sind häufig selbst in Gaben von 1 ccm im-
nrksam (v. H i b 1 e r ^)). Schon nach 1 — 2 Wochen kann man aber
mter günstigen Umständen Kulturen bekommen, die filtriert oder
infiltriert eine Maus in Gaben von 0,005 mg und sogar noch weniger
0,001 mg) toten*). Knorr^) und Behring*) haben die Emp-
'änglichkeit der einzelnen Tiere für das Tetanusgift genauer festge-
stellt. Verhältnismäßig am empfänglichsten ist das Pferd, dann das
Meerschweinchen und die Maus, viel weniger das Kaninchen und am
wenigsten das Huhn. Wenn man die tödliche Gabe bei sub-
cutaner Einspritzung für 1 g Maus gleich L setzt, so ist sie nach
Behring für je 1 g Pferd y^g, Meerschweinchen Y^, Ziege 5,
Kaninchen 150, Gans 1000, Huhn 30000. Bei manchen Tieren, z. B.
beim Kaninchen und Huhn, braucht man sehr viel geringere Gaben,
wenn man sie in das Gehirn einspritzt, erzeugt freilich dabei ein anderes
Krankheitsbild, den Tetanus cerebralis'). Vom Blut aus ist die Wirkung
eher geringer, in nervenreichen Organen, z. B. Muskeln und den
Xervenstämmen selbst, am größten, offenbar, weil das Gift durch die
Nerven (Achsenzylinder) zum Rückenmarke und Gehirn geleitet wird
(vgl. Infektionslehre). Vom Darm aus erfolgt, selbst bei riesigen
Mengen (1000—100000 tödlichen Gaben) keine Wirkung, weil das
Gift durch die Verdauxmgssäfte zerstört vörd®).
Das Tetanusgift hält sich schlecht in den Lösungen, es wird durch
Erhitzen während 90 Minuten auf 55°, während 20 Minuten auf 60°,
während weniger Minuten auf 65° zerstört, aber auch schon durch
1) Brieger und Cohn, Zeitsclir. f. Hyg. 15, 1893.
2) Debraud, Annal. Pasteur 1900.
3) Untersuchungen über pathogene Anaeroben 1908.
4) Brieger, Zeitschr. f. Hyg. 19, 1895; K n o r r , Experim. Untor-
suchung über Heilungsmöglichkeit des Tetanus usw. Habilitatioiissclir.
Marburg 1895. Vgl. auch Marx, Festschrift für Koch 1903.
5) Münch. med. Woch. 1898. 11/12.
6) Fortschr. d. Mediz. 1899. 501.
7) R o u X und B o r r el , Annal. Pasteur 189*8.
8) Carriöre, Annal. Pewteur 1899 mit Lit.
920 Kap. XVI, § 281 u. 282.
Temperaturen von 40*^ wesentlich geschädigt, wenn der Salzgehalt
des Nährbodens ein höherer ist als gewöhnlich (S. 879). Recht haltbar
ist das Tetanusgift dagegen im trockenen Zustande, den man am
einfachsten nach wiederholter Fällung mit Ämmoniumsulfat, kräftigem
Ausdrücken tmd Eintrocknen auf Tontellem im Vakuum erreicht^).
Um die im ersten Niederschlag noch reichlich vorhandenen Tetanius-
sporen zu entfernen, zentrifugiert man die Lösung sehr kraft^, fällt
noch einmal und wiederholt das Verfahren so lange, bis die Sporen
nicht mehr in wahrnehmbarer Menge vorhanden sind.
B r i e g e r xmd seine Mitarbeiter (vgl. S. 825) haben durch ihre
Methode trockene Gifte erhalten, die, abgesehen von der Biuretreak-
tion, keine Eiweißreaktion mehr gaben und in Mengen von 0,0001 mg
Mäuse töteten. In hochgiftigen Kulturen, die keine Albumosen mehr
enthalten, gelingt die Fällung durch Ammonsulfat nach Brieger
nicht mehr, wohl durch Uranazetat oder Ammoniumsidfat und Aiu-
miniumsulfat (5%). Die Biuretreaktion läßt sich stark vermindern,
aber nur selten gänzlich beseitigen; die reinsten Toxine enthalten
übrigens noch immer ebenso viel Stickstoff wie Eiweißkörper.
Hayashi^) konnte die Albumosenreaktion aus seinen Präparaten
nicht entfernen und hält daher das Gift für eine Albumose. Auch das
Tetanusgift verändert sich in alten Lösungen und durch chemische
und physikalische Einflüsse (Toxoide!) und scheint auch in Form
von Toxonen vorzukommen (S. 882). Ob es wirklich nur einen einzigen
Giftkem enthält, wie Behring^) annimmt, ist doch wohl noch zweifel-
haft^).
Eine eigentümliche Abart des Tetanusgiftes, die zwar Krämpfe
erzeugt aber nicht tötet, beschreibt Wolff-Eisner^).
Der Nachweis des Tetanusgiftes im Körper vergifteter Tiere mid
Menschen ist nur möglich durch Verimpfung von Organen und beson-
ders von Blut (0,2 — 1 ccm auf Mäuse), nur ausnahmsweise von Sekreten
und Zerebrospinalflüssigkeit. Stammt das Blut aus gefaulten Leichen,
so muß es filtriert werden®). Verwechselungen mit anderen Krampf-
giften, die aus dem normalen Körper dargestellt werden können, sind
öfters vorgekommen, werden aber vermieden, wenn man daran denkt,
daß das Tetanusgift eine Inkubationszeit braucht (Marie ')). Die
1) Brieger und Fränkel vgl. S. 824; Buchner, MüneJi.
med. Woch. 1893. 24/25.
2) Arch. f. experim. Pathol. 47, 1901.
3) Beitr. experini. Ther. 7, 1904.
4) Vgl. Hüppe, Kochs Festschr. 1903.
5) Münch. med. Woch. 1906. 44.
6) Symanski, Zentr. Bakt. 30. 25.
7) Annal. Pasteur 1897.
Gifte der Kleinwesen. 921
uffassung, das langsam wirkende Gift verwandele sich im lebenden
LÖrper in ein schnellwirkendes oder erzeuge ein solches erst fermentativ
?ourniont imd Doyon, Blumenthal), ist durch nichts
ewiesen. Die Organe tetaniscber Tiere enthalten das Gift in sehr
ngleichem Maße, die der Kaninchen überhaupt nicht (Marie),
benso gewöhnlich nicht das Gehirn und Bückenmark, am regel-
läßigsten vielleicht noch die peripherischen Nerven, besonders der-
^nigen Gregend, die von dem Tetanus zuerst betroffen wird (Marie
ndMorax, Meyer und R a n s o m). Der Grund dafür liegt darin,
aß die peripherischen Nerven das Gift zum Rückenmark und Gehirn
iiten (s. o.). Umgekehrt erklärt sich die Ungiftigkeit des zentralen
«^ervensystems nicht etwa allein aus dem Umstand, daß es die Fähig-
:eit besitzt, das Tetanusgift so fest zu binden, daß es nachträglich
m Tierversuch nicht mehr zur Wirkung gelangt (S. 877), sondern schon
^us der Tatsache, daß es von den Blutgefäßen aus nicht in die Lymphe
les Gehirns und Rückenmarks übergeht (R a n s o m).
Mit dem bisher besprochenen Krampfgift des Tetanusbazillus,
iem „Tetanospasmin'S hat nichts zu tun ein zweites Gift, das T e t a-
1 0 1 y s i n , das gewöhnlich gleichzeitig, aber in verschiedenen Mengen-
rerhältnissen, mit dem ersteren in den Tetanuskulturen enthalten
st^). Eine Trennung beider Gifte ist dadurch möglich, daß man die
jiftlösungen mit roten Blutkörperchen (Kaninchen, Ziege, Hammel,
Pferd usw.) in Berührung bringt: das Tetanolysin bindet sich an diese
ind löst sie, das Tetanospasmin bleibt zurück. Die Verschiedenheit
Deider Gifte wird auch dadurch bewiesen, daß die hämolytische Wir-
nmg sich in den Giftlösungen schneller abschwächt, als die krampf-
erzeugende, tmd daß beide Gifte besondere Gregengifte bilden. Aus
ier Kultur läßt sich das Tetanolysin mit dem Tetanospasmin zusammen
iurch Ammonsidfat ausfällen. Über seine Wirlomg im Reagensglas
^'gl. § 312. Bei der Tetanuserkrankung scheint das Lysin keine Rolle
zu spielen^).
§ 282. Wurstgift. Ein nur in toten Nährböden lebender, aber
durch sein starkes Gift dem Menschen gefährlicher Bazillus ist der
Bac. botulinus*), die Ursache der Schinken- und Wurstvergiftimg.
Er schließt sich durch sein streng anaerobes Wachstum und die ner-
vösen Störungen, die sein Gift bewirkt, an den Tetanusbazillus an.
Zur Kultur benutzt man am besten Traubenzuckemährböden mit
1) Ehrlich, Berl. klin. Woch. 1898. 12. Ein lysinfreies Gift be-
schreibt Behring, Beitr. experim. Ther. 7, 1904.
2) Miyamoto, Deutsch, med. Woch. 1900. 30.
3) van Ermengem, Zeitschr. f. Hyg. 26, 1897 und in Handb.
fler pathogenen Mikroben von Kolle-Wassermann 2, 1903.
922 I^p. XVI, § 282 u. 283.
deutlicher alkalischer Reaktion, die Temperatur darf aber dabei 25*^ C
nicht überschreiten. Filtrierte ältere Bouillonkulturen töten Kaninchen
von der Unterhaut aus in einer Grabe von 0,3 — ^1 mg, Meerschweinchen
in solchen von 0,05 — 0,1 mg binnen 2 — 4 Tagen unter Lahmungs-
erscheinimgen, bei größeren Gaben (0,1 — 0,5 g) binnen einigen Stunden
unter Lähmung, dyspnoischen Anfällen und Zuckungen. Katzen
sterben nach Einspritzimg großer Mengen unter dem echten Bilde
des menschlichen Botulismus. Zum Unterschied von den meisten
anderen Giften wirkt das Wurstgift auch vom Darmkanal aus, aller-
dings beim Kaninchen erst in größeren Gaben, bei Meerschweinchen,
Mäusen und Affen in wenigen Tropfen.
In Schinken imd Würsten bildet der Bazillus ebenfalls ein starkes
Gift, das man durch Verfütterung an Mäuse und Meerschweinchen oder
nach Filtrieren der wässerigen Auszüge durch Einspritzung nach-
weisen kann.
Statt der Filtrate lassen sich durch Toluol abgetötete Kulturen
verwenden. Das Gift ist auch gegen andere Einflüsse als die Ver-
dauungskräfte widerstandsfähiger als das Tetanusgift, läßt sich z. B.
lange Zeit im Dunkeln und in zugeschmolzenen Röhrchen aufbewahren,
wird aber auch durch Temperaturen von 60" stark geschädigt nnd
durch halbstündiges Erhitzen auf 80" vernichtet. G^gen Alkalien
ist es sehr, gegen Säuren wenig empfindlich. Aus den Kulturen bzw.
Kulturfiltraten läßt es sich nach den von B r i e g e r beim Diphtherie-
gift zuerst angewandten Methoden durch Zinksulfat^) ausfällen und
rein darstellen. Größere Tiere lassen sich gegen das Botulinusgift
immimisieren. Außer dem spezifischen Serum wirkt auch die Sub-
stanz des Nervensjrstems, femer Lezithin und Cholesterin giftwidrig
(K e m p n e r und Schepilewsky S. 877).
§ 283. Rauschbrand und andere Anaörobiergifte. Der
Rausch brandbazillus erzeugt nach neueren Forschimgen ein starkes
Gift, das wie die bisher besprochenen zu den immunisierenden gehört.
Während frühere und spätere Forscher*) den Rauschbrandbazillen meist
nur eine geringe Giftigkeit zuschreiben, fanden Leclainche und
V a 1 1 6 e ^) , daß sie in Martin scher Bouillon gezüchtet nach
5 Tagen ein kräftiges Gift erzeugen, das einfach durch Absetzenlassen
1) B r i e g e r und K e m p n e r , Deutsch, med. Woch. 1897. 33.
2) K o u X und Chamberland, Annal. Pasteur 1887 ; K i t a -
sato, Zeitschr. f. Hyg. 6 und 8, 1889—1890; Sanfelice, Zeitschr.
f. Hyg. 14. 383, 1893; Dunschmann, Annal. Pasteur 1894; Kitt.
Handb. d. pathogenen Mikroben (Kolle-Wassermann) 1903;
V. H i b 1 e r , Untersuchungen über pathogene Anaöroben, 1908 S- 245.
3) Annal. Pasteiu- 1900.
Gifte der Kleinwesen. 923
von den Bakterien befreit oder auch in Filtraten zu wenigen com
Kaninchen und sogar Pferde vom Blut aus in einigen Minuten
töten kann; Meerschweinchen erliegen, wenn ihnen Gaben von 5 ccm
intraperitoneal verabreicht werden, binnen 12 Stunden unter starkem
Temperaturabfall; an geringeren Mengen sterben sie erst nach einer
Reihe von Tagen unter erheblicher Gewichtsabnahme. Graßberger
und Schattenfroh ^) stellten dann durch Zusatz von gärfähigen
Substan^n wie Traubenzucker und milchsaurem Kalk zu den Nähr-
lösungen noch wirksamere Kulturen her, die filtriert Meerschweinchen
von der Unterhaut aus in Mengen von 0,005 — 0,01 ccm, unter Um-
ständen sogar in zehnfach geringeren Gaben binnen einigen Tagen
unter starken örtlichen (hämorrhagisches Odem!) und allgemeinen
Erscheinungen töteten, auch für Kaninchen und große Tiere stark giftig
waren, aber immer mit Inkubation wirkten. Die Angaben über die
Widerstandsfähigkeit des Bauschbrandgiftes widersprechen sich eben-
falls. Die französischen Forscher halten es zwar für hitzebeständig,
aber für sehr empfindlich gegen Sauerstoffzutritt, nach Graß-
berger und Schattenfroh genügt schon einstündige Er-
hitzung auf 50 — 60° zur Zerstörung des Gifts. In Filtern wird es zum
großen Teil zurückgehalten. Die Verfasser benutzen daher die Filtration
durch Papier und Watte. Karbolsäurezusatz wirkt sehr schädlich,
weniger Formalin, am wenigsten Chloroform. Beim Lagern verliert
es bald seine Wirksamkeit xmd zwar im Gegensatz zu dem Diphtherie-
gift auch seine Antitoxin bindende Kraft. Über die letztere vgl. S. 883 ff.
Wahrscheinlich erklären sich die verschiedenen Angaben aus der großen
Veränderlichkeit der Bauschbrandbazillen. Ebenso wie das Gär-
vermögen (§ 113) wechselt die Giftigkeit imd Virulenz, und zwar
wie so oft nach der Richtung hin, daß die Giftigkeit um so
größer ist, je geringer die Virulenz und umgekehrt.
Gärvermögen für Zucker und Giftigkeit scheint dagegen nach Graß-
berger und Schattenfroh parallel zu gehen. Das beste Impf-
material zur Gewinnung von giftigen Kulturen wird dadurch erhalten,
daß man die auf Zuckeragarplatten vom Tier gewonnenen Kolonien
auf Rindermuskeln, die mit Kreidezuckerbouillon vermischt sind,
überträgt tmd dort sporulieren läßt. Die im Kreideschlamm scharf
getrockneten Sporen sind jahrelang unverändert wirksam.
Da gerade den virulenten Bakterien die Giftigkeit mangelt, liegt
ea nahe, anzunehmen, daß das Gift bei den Krankheits-
erscheinungen im infizierten Tier keine Rolle
1) „Über das Kauschbrandgift und ein anti toxisches Serum" und
Ȇber die Beziehungen von Toxin und Antitoxin" Leipzig- Wien 1904.
Handb. v. Kraus und L e v a d i t i , 1 und 2, 1907/08.
924 Kap. XVI, § 283 u. 284.
spielt (vgl. S. 859). In der Tat vermochten Graßberger und
Schattenfroh weder durch aktive noch durch passive Immuni-
sierung gegen das Gift Tiere vor der Infektion zu schützen. Trotz der
Ähnlichkeit der Vergiftimgserscheinimgen bei infizierten Tieren muß
hier also wohl ein anderes Gift wirksam sein, wenn nicht, wie Graß-
berger undS chattenfro h vermuten (Anm. 1. S. 859), die Krank-
heitserscheinungen im infizierten Tier dadurch ausgelöst werden, daß
von den Erregem ein lebenswichtiger Stoff aus dem Körper entfehit vrird.
Auch bei den Bazillen des malignen Ödems sind nur geringo
toxische Wirkungen festgestellt worden: die Kulturfiltrate töten nur in
gewaltigen Mengen, z. B. nach Sanfelice (s. o.) Meerschweinchen,
wenn man ihnen 26 — 30 ccm unter die Haut spritzt. Die Gifti^eit der
Filtrate soll nach K o u x und Chamberland durch Kochen nicht
geschädigt werden. Es fragt sich aber, ob man hier nicht ähnliche Erfah-
rungen wie beim Rauschbrand machen wird. Die Tatsache, daß B e s s o n *)
aus Kulturen in 10 prozentiger Peptonlösung oder Fleischbrei ein Filtrat
gewann, das zwar nur eine geringe allgemeine Giftigkeit, aber starke ödem-
erregende ,, negativ chemotaktische" Eigenschaften besaß und diese durch
Erhitzen auf 80 — 100^ einbüßte, spricht dafür, daß neben den gewöhn-
lichen entzündungserregenden, positiv chemotaktischen und hitzebestän-
digen Leibesgiften, die allen Bakterien eigen sind (§ 280), hier besondere
Entzündungsgifte (§ 332) gebildet werden.
Fast nichts wissen wir von den Giften der ebenfalls anaeroben Bazillen
des Bradsots ') und der Renntierpest '). Dagegen hat Pas-
sini *) bei den Gasphlegmone bazillen (B. emphysematicus) Gifte
nachweisen können, und zwar sollen es zwei sein: Das eine kräftigere wird
dadiu*ch gewonnen, daß man die Bazillen züchtet in einer Mischung, die
durch Trypsinverdauiuig aus frischem Rindermuskel luid Zusatz von 1 bis
2% Traubenzucker hergestellt ist. Nach 2 — 4 wöchentlichem Wachstum
tötet das Filtrat der Kulturen Kaninchen von 1kg vom Blut aus
binnen ein er Minute unter Krämpfen und allgemeiner
Lähmung. Kleine Gaben überwindet das Tier. Meerschweinchen sterben
an größeren Gaben binnen Yz — 1 Stunde mit Störungen der Atmung. Be-
merkenswerterweise erzeugten andere Anaeroben wie B. putrificus, oedematüi
maligni oder botulinus in dieser Nährlösung kein ähnliches Gift. Ein zweiter
Giftstoff, der in Zuckerbouillonkultm*en gebildet wird, bewirkt am Orte
der Einspritzimg bei Meerschweinchen in Gaben von 3 ccm ein leuko-
zytenarmes, serös-hämorrhagisches Exsudat und
danach Nekrose der Haut, Erscheinungen, wie sie B e s s o n
(s. o.) mit Filtraten des Ödembazillus erhalten hatte. Große Mengen
töten Meerschweinchen von der Bauchhöhle aus, Hunde vom Blut
1) Annal. Pasteur 1895.
2) Jensen, Handb. pathog. Mikroorganismen (K olle- W as-
ser m a n n).
3) Lundgren, Zeitschr. f. Tiermediz. 1898 ; Bergmann,
ebenda 1901.
4) Wien. klin. Woch. 1905. 36.
Gifte der KleinweBen. 925
aus. Bei dem letzteren Tiere finden sich Veränderungen im Darm, die
durchaus an die Sepsinvergiftung erinnern. Sie sind wohl, wie wir schon
gesehen haben, nicht spezifisch (S. 814).
Neuerdings macht Korentschewsky ^) einige Angaben über
ein Filtratgift bei dem Bac. perfringens, einem den normalen Darm bewoh«
nenden Anaerobier, der dem Emphysembazillus nahesteht, und beim Bac.
putrificus coli. Sie sollen junge Tiere vom Rektum aus teils vergiften,
teils immunisieren.
Über hämolytische und leukozide Gifte der Anaerobier
vgl. § 312 u. 317.
§ 284. Choleragift. Die Arbeiten über die Giftbildimg des
Choleravibrio sind sehr zahlreich^). Trotzdem ist noch keine
Übereinstimmimg der Meinungen herbeigeführt worden. Die einen
suchen die Gifte in Sekretionen der Cholerabakterien, die anderen,
die übrigens jetzt wohl in der großen Mehrzahl sind, in ihren Leibern ;
bald soll das Choleragift der Kochhitze widerstehen, bald sehr empfind-
lich gegen Erhitzung sein, bald mit, bald ohne Inkubation töten, bald
spezifisch, bald nicht spezifisch sein, bald antitoxisches Serum erzeugen,
bald nicht.
Daß nuui mit Kulturen des Choleravibrio Giftwirkungen auslösen
kann, ist eine Erfahnuig, die man bald nach seiner Entdeckung gemacht
hat, man konnte auch das Gift von den Bakterienleibem diu*ch Filtra-
tion trennen, doch erhielt man im allgemeinen dadurch nur dann kräftige
VVirkungen, wenn man alte Kulturen imd große Mengen verwendete. So
starben in Sobernheims') Versuchen Meerschweinchen nicht, wenn
^nan ihnen 20 ccm Filtrat einer zehntägigen Bouillon ins Bauchfell spritzte,
wohl nach Einverleibung von 5 ccm einer 30 — 45 tägigen Kultur. Ein-
stündige Erhitzung des Filtrats auf 80* C änderte nichts an seiner Giftig-
keit. Um sie zu erklären, könnte man, wenn man nicht mit E m m e r i c h
<üe Cholera für eine Nitritvergiftung hält (S. 804), an basische Körper,
Ptomaine denken, doch ist bisher nur das wenig giftige und für die Cholera
durchaus nicht charakteristische Kadaverin neben Spiu'en anderer Pto-
maine (S. 820) aus Cholerakulturen dargestellt worden. Auch sprechen
zahlreiche Untersuchungen, die sich mit der Natur des Choleragiftes be-
schäftigt haben, dafür, daß es sich da um verwickelter gebaute Stoffe handeln
muß, die mit den Eiweißstoffen geringe Diffusionsfähigkeit und die Eigen-
schaft gemein haben, durch deren Fällungsmittel nachgewiesen zu werden.
Manche Forscher halten sie für eine Art Eiweißkörper. So erhielt
zuerst Petri*) aus alten Kultviren des Choleraspirillums auf lOprozen-
tigem Pepton durch Ausfällung mit Alkohol ein ,,Toxopepton",. Es ist
Hitzebeständig, wie das Gift der Bouillonfiltrate, kann aber als Choleragift
deswegen kaum betrachtet werden, weil es erst in einer Menge von 0,1 bis
*^«4 g Meerschweinchen zu töten vermag. Den Globulinen nahe stehen
1) Annal. Pastenr 1909.
2) Ältere Literatur bei Scholl, Arch. f. Hyg. 15, 1892.
3) Zeitschr. f. Hyg. 14, 1893.
4) Arbeit. Gesundheitsamts 6, 1890.
926 Kap. XVI, § 284.
soll das „Toxalbumin", das B r i e g e r und C. Fränkel *) aus Cholera-
filtraten durch Fällung mit Alkohol darstellten. Es ist für Meerschwein-
chen, nicht für Kaninchen giftig und geht nur schwer in Losung.
Doch fehlen genauere Angaben über seine Wirksamkeit und seine Eigen-
schaften. Aus Filtraten älterer Kulturen, die er mit Alkohol und Anunon-
sulfat fällte, gewann auch Wesbrook *) giftige Substanzen der Cholera*
Spirillen, ob er sie nun auf Alkalialbuminat, Eiern, echtem Pepton, Aspara-
gin oder auf gewöhnlicher Bouillon züchtete. Leider gibt der Verfasser
nichts an über die Giftausbeute, die er erzielte, und über das Verhalten
des Giftes gegen Erhitzung, doch hat er wahrscheinlich wenig wirksame,
hitzebeständige Stoffe in Händen gehabt. Da die Giftwirkung im wesent-
lichen stets die gleiche, die chemischen Reaktionen aber bald die des Alkali-
albuminats, bald die der Albumosen oder Peptone waren, kam Wes-
brook zu der Ansicht, daß das Choleragift ein einheitlicher, aber unbe-
kannter Körper sei, der den genannten Eiweißstoffen nur beigemischt sei.
Von den bisher besprochenen Erfahrungen, die für eine verhältnis-
mäßig geringe Wirksamkeit der Cholerafiltrate sprechen, weichen die
folgenden ab, was wohl dafür spricht, daß sie nicht als allgemeingültige
betrachtet werden dürfen, sondern nur für bestimmte Cholera-
stämme gelten.
Mit ziemlich jimgen Filtraten, etwa 5 — lOtägigen Kulturen, arbeitete
K a n s o m *). Der Filtration schickte er eine kurze Erhitzung auf 100*
voraus, was darauf deutet, daß durch die Wärme aus den Bakterienleibem
erst die giftigen Stoffe ausgelaugt werden müssen, ehe man sie in Lösung
bekommt. 0,07 g des durch Niederschlagen mit Alkohol gewonnenen Giftes
waren für Meerschweinchen tödlich. Noch eher einem echten Sekret ähnlich
ist das Gift, das Metschnikoff, Roux imd Salimbeni-Tau-
r e 1 1 i *) mit Hilfe von Cholerabazillen gewannen, die sie durch ein be-
sonderes Verfahren virulent gemacht hatten. Sie brachten zu dem Behufe
3 ccm einer Peptonlösung, die mit Kommabazillen geimpft war, in sterile
Kollodium säckchen eingeschlossen in die Bauchhöhle von Meer-
schweinchen. Diese starben nach 3 — 5 Tagen unter den Erscheinungen
des Cholerakollapses, die Bakterien zeigten damit also ihre Fähigkeit, durch
die Kollodiumwand hindurch ein tödliches Gift abzusondern, behielten
auch ihre Giftigkeit, wenn sie weiter in Peptonkochsalzlösimg (besonders
mit Zusatz von Serum) imd bei reichlichem Luftzutritt (in Petrischalen)
gezüchtet wurden: 0,25 ccm des Filtrats von viertägigen Kulturen töteten
schon Meerschweinchen, große Mengen sogar in wenigen Minuten.
Auch dieses Gift vertrug das Kochen, ließ sich durch Anunoniumsulfat
oder Alkohol fällen, konnte luftdicht verschlossen Monate lang aufbewahrt
werden, verlor aber seine Wirksamkeit in Berühnmg mit dem Luftsauer-
stoff. Es hat also ganz den Anschein, daß es unterUm-
ständen gelingt, auch die Choleraspirillen wie die
Diphtherie- oder Rauschbrandbazillen zur „Sekre-
tion** eines Giftes zu veranlassen, das sich allerdings durch
1) Berl. klin. Woch. 1890. 12.
2) Annal. Pasteur 1894.
3) Deutsch, med. Woch. 1895. 29; vgl. auch Behring ebenda
1898. 294.
4) Annal. Pasteur 1896.
Gifte der Kleinwesen. 927
ae geringe Wirksamkeit und seine Hitzebeständigkeit sowie durch die I
mlich geringe Fähigkeit, Antitoxin zu erzeugen, von jenen unterscheidet. |
H ü p p e *) und sein Schüler Scholl*) gingen bei ihren Unter-
;hungen über das Choleragift von der Voraussetzung aus, daß die Cholera- I
kterieii nur unter ganz bestimmten Bedingungen ihr Gift absondern j
nnten, wenn sie nämlich wie im Darm der Cholerakranken ohne Sauer- i
»ff fortkommen und von echten Eiweifistoffen sich nähren müßten. Um !
i natürlichen Verhältnisse möglichst nachzuahmen, wurden daher die
brionen in frische Hühnereier geimpft, deren Schale vorher mit
blimat desinfiziert worden war. Nach wochenlangem Wachstum bei
** erwies sich das Eiweiß als stark giftig. InScholls Versuchen genügte
? aus dem Eiweiß eines einzigen Eis durch Alkohol gefällte und dann j
eder in Wasser gelöste Substanz, um 10 Meerschweinchen binnen
Minuten zu töten. Wegen seiner Reaktion bezeichnet Scholl
s Gift als Choleratoxopepton, muß aber selbst zugeben, daß
zum Unterschied von den bekannten Peptonen sehr unbeständig ist,
B. durch die Kochhitze augenblicklich, durch Erhitzung auf 75° binnen
' Minuten und selbst dmrch Eintrocknen der wässerigen Lösung bei 40 — 45 •*
i luftleeren Raum zerstört wird. Neben diesem Gift stellte Scholl
>ch aus denselben Eikulturen, sowie aus Kulturen des Cholerabazillus,
e unter Luftabschluß auf lOprozentiger Peptonlösung oder unter Luft-
1 tritt auf demselben Nährboden gewachsen waren, ein „Toxoglobulin"
id ein hitzebeständiges giftiges Pepton dar, das er mit dem P e t r i sehen
. o.) identifiziert. Doch haben diese beiden nur geringe Bedeutung. Pto-
aine ließen sich überhaupt nicht gewinnen.
Gegen die Untersuchungen von H ü p p e und Scholl wurden
ancherlei Einwände erhoben. So gibt nach der übereinstinmienden Fest-
ellimg einer Reihe von Forschem') die Züchtung auch in ganz frischen
iihnereiem keine Gewähr dafür, daß die Kulturen rein bleiben. Es be-
ände daher die Möglichkeit, daß wenigstens ein Teil der obigen mit
ikulturen gewonnenen Ergebnisse durch Verunreinigungen erklärt werden
öimte. Schwerer wiegt der Nachweis, den G r u b e r und Wiener*)
rbracht haben, daß man auch aus ungeimpften Eiern nach Alkoholfällung
toffe ausziehen kann, die ähnUche stürmische Erscheinungen (Krämpfe
nd Lähmungen) hervorrufen, wie die Extrakte der mit Cholera geimpften
lier. Der spätere Verlauf der Vergiftung ist allerdings bei den Cholera-
eren ein etwas anderer. Immerhin haben dadurch die Versuche von
t ü p p e und Scholl sehr an Beweiskraft verloren. Es kommt hierzu,
aß auch die Voraussetzung, von der H ü p p e ausgegangen ist, kaum
egründet ist: das Wachstum in den Eiern ist durchaus kein anaerobes,
ie Eischale ist für die Luft durchgängig, bei wirklich vollständiger Anaero-
»iose sind die Choleraspirillen auf keinem Nährboden zum Wachstum zu
bringen.
In den letzten Jahren ist die Frage der löslichen Toxine bei der Cholera
'on neuem aufgetaucht. Zuerst fanden R. Kraus und Pribram *)
1) Zentr. Bakt. 4. 3, 1888.
2) Berl. klin. Woch. 90. 41 und Arch. f. Hyg. 15, 1892.
3) Zenthöfer, Zeitschr. f. Hyg. 16; Hammerl, ebenda 18;
Abel und Dräer ebenda 19; Dönitz ebenda 20, 1894—1895.
4) Arch. f. Hyg. 15, 1892.
5) Zentr. Bakt. 41; Wien. klin. Woch. 1905. 39.
928 Kap. XVI, § 284.
bei den sog. El-Tor- Vibrionen, die Gotschlich aus dem Dann von
Dysenterieleichen isoliert hatte, später R. Kraus und Ruß') auch
bei Choleravibrionen sicheren Ursprungs in alkalischer Peptonbouillon
schon vom 3. Tage an neben Hämolysin (§ 312) ein Gift, das sich
— am besten durch Papier — filtrieren ließ, bei 70* schon stark
abgeschwächt, auch durch HsOg, Säuren (Dörr S. 857), sowie
Trypsinverdauung zerstört wurde, aber sonst sehr haltbar war.
Die tödliche Wirkung de» Giftes trat nach intravenöser Eünspritzunjr
(0,5 ccm) bei Kaninchen in 10 — 30 Minuten, also ohne Wartezeit
(Inkubation) *) ein, ganz ähnlich wie bei dem früher von K r a u <:
gefundenen Toxin des Vibrio Nasik (s. u. § 285), nach intraperitonealer
Einverleibung allerdings erst in 8 — 16 Stunden, nach subkutaner noch
später. Meerschweinchen, Tauben, Hühner, Mäuse waren gleich emp-
fänglich, etwas weniger Katzen. Mit dem Gift ließ sich ein freilich schwache«
Antitoxin erzeugen, das auch die Gifte des Saigonbazillus (s. u. ) und anderer
Vibrionen (Newik s. o.), aber nicht die fernerstehender Bakterien beeinflußte.
Bemerkenswert, weil es hier zum erstenmal ausdrücklich ausgesprochen
wurde, ist, daß bei weitem nicht alle echten Cholera-
stämme dieses Gift bilden*). Ob es daher für die mensch-
liche Cholera in Betracht kommt, muß sehr dahin-
gestellt bleiben. Ebenso scheint das von Brau imd Denier*)
und nachher von Kraus tmd Ruß gewonnene, aus einer Epidemie von
Saigon stammende Choleragift nicht allgemein verbreitet zu sein. Durch
seine Hitzebeständigkeit und sonstige leichte Zer-
setzlichkeit ähnelt es den Giften von Ransom, Metschni-
k o f f usw. (s. o. ). Meerschweinchen sterben nach subkutanen und intra-
peritonealen, Kaninchen nach intravenösen Einspritzungen von etwa
1 ccm des auf Pferdeserum-Blutnährböden gewonnenen Giftes im Laufe
von 5 — 24 Stunden unter den Erscheinungen des Cholerakollap>ses. Auch
dieses Gift bildet schwaches Antitoxin.
Während die bisher genannten Forscher die von ihnen gefundenen
Gifte als Absonderungen des Cholerabazillus betrachten, hatte schon
Cantani^) die Ansicht ausgesprochen, daß die toten Cholera-
bazillen den Körper so vergiften, wie es die genossenen giftigen
Schwämme tun. Aber nur für den Typhus führte zunächst S i r o -
t i n i etwa gleichzeitig mit C a n t a n i schon beweiskräftige Versuche
aus ( § 286). Daß es sich bei der Cholera ebenso verhielte, dafür brachten
später unabhängig voneinander Gamaleia und R. Pfeiffer,
und zwar auf verschiedenen Wegen, Beweise bei; der erstere ging
von alten Kulturen in flüssigen Nährböden, der letztere von jungen
Kulturen auf festen Nährböden aus.
1) Zentr. Bakt. 45, 1907.
2) Nach Rothberger ist es ein Herzgift.
3) Nach R u a t a , Zentr. Bakt. 44, 387 soll das Gift nur in einer
ganz bestimmten kurzen Periode ausgeschieden werden. S. u. Bürgers.
4) Annal. Pasteur 1906.
5) Deutsch, med. Woch. 1886. 45.
Gifte der Klein weaen. 929
Xach G a m a 1 e i a^) ist die Existenz des echten Choleragiftes am
jten dcurzuttin durch Versuche am Kaninchen. Wenn man 15 — 20 ccm
ler 14 tagigen Kultur des Clioleraspirillums in Kalbsfußbouillon einem
?r in das Blut spritzt, erliegt es binnen 15 Stunden unter Krankheits-
cheinungen, die durch die Beeinflussung des Dünndarms an Cholera er-
lern. Werden dieselben Kulturen filtriert, so sind sie viel weniger wirk-
n und verurscu^hen bloß eine schnell vorübergehende Diarrhöe. Offenbar
rden die giftigen Stoffe der Hauptsache naq|i zurückgehalten. Dagegen
rden sie nicht verändert durch eine Erhitzimg bei 55 — 60". Geschieht
i an drei aufeinander folgenden Tagen je eine Stunde lang, so sind die
ilturen (5 — 15 ccm) sogar jetzt giftiger als die nicht sterilisierten luid
t Krankheitserscheinungen (Diarrhöe, Schwäche, Muskelkrampf, Durst)
3h mehr der Cholera ähnlich. Es liegt nahe, das daraus zu erklären, daß
ts Gift durch die Hitze allmählich den Bakterien-
ibernentzogenwird. In demselben Sinne spricht die Tatsache,
3 die Giftigkeit noch zimimmt, wenn man die Kultur nach der Erhitzung
ige Wochen stehen läßt. In der klaren Flüssigkeit, die über den Bak-
ienleibem steht, sammelt sich das Gift immer mehr an; diu*ch Filtra-
n büßt es aber wieder einen Teil seiner Wirksamkeit ein, weil auch das
öste Gift im Filter stehen bleibt. Daß die Bakterienleiber die Giftquelle
rstellen, kann man unmittelbar beweisen, indem man sie aus den Kul-
'en durch sauren Alkohol oder verdünnte Schwefelsäure oder Bleizucker-
img niederschlägt und mit kohlensaurem oder doppeltkohlensaurem
trium auszieht : der Extrakt ruft Diarrhöe hervor. Durch Erhitzung
er 60" hinaus verliert das Gift seine spezifische Wirkimg, behält aber
ch noch eine gewisse Giftigkeit bei: de» ,,Nukleoalbumin" wandelt sich,
? Gamaleia sich ausdrückt, in de^s ,, Nuklein** um. Seine Eigen-
laften sind folgende: Durch sauren Alkohol wird es niedergeschlagen,
' Niederschlag löst sich in Wasser, das nut doppeltkohlensaurem Natrium
alisch gemacht ist, wird' aber beim Kochen mit fixen Alkalien zerstört,
»nso durch Kochen mit kohlensaurem Blei oder Zink. Die Lösungen
rden nicht gefällt durch Übersättigung mit Kochsalz. Seinen Charakter
„Nuklein*' verrät nach Gamaleia dieses hitzebeständige Gift auch
iurch, daß es aus den Bakterienleibern ausgezogen werden muß, die
:;h wesentlich aus Kemsubstanz bestehen (vgl. S. 66 ff.). Werden die
Jturen von vornherein bei 60 — 100" erhitzt, so sind sie weniger giftig,
wenn man sie bei 120" sterilisiert, unnüttelbar nach der Erhitzung
aiger, als wenn sie einige Zeit danach stehen. Besonders Meerschweinchen
d für das Nuklein empfänglich, sie sterben schon nach subkutaner Ein-
itzung verhältnismäßig kleiner Mengen unter beständiger Temperatur-
liedrigung mit einer hämorrhagischen Entzündung am Orte der Ein-
•itzung. Niedrige Dosen rufen umgekehrt Fieber hervor. Tuberkulöse
erschweinchen reeigieren wie auf Tuberkulin. Um Kaninchen zii töten,
d, wenn man Kulturen unmittelbar nach der Erhitzung bei 120° he-
tzt, sehr große Gaben nötig, länger ausgezogene Kulturen töten aber
lon in ähnlichen Mengen (5 — 10 ccm) wie die nur unter 60° sterilisierten,
? das Gift noch als Nukleoalbumin enthalten. Die Erscheinungen dabei
len aber nicht charakteristisch sein^).
1) Arch. mMec. exp6rim. 1892.
2) Eine ähnliche Giftlösung bereitete Sanarelli (Annal. Pasteur
95. 133) aus Kommabazillen, indem er sie in 2 Litern 2prozentiger Pepton-
Kruse. Mikrobiologie. 59
930 Kap. XVI, § 284.
Den geraden Weg schlug R. Pfeiffer^) ein, um die Frage
nach der Giftigkeit der GiolerabaziJlen zu beantworten. Er prüfte
Aufschwemmungen der Bazillen, die frisch auf der Agaroberfläche
gewachsen waren, durch Einspritzung in die Bauchhöhle von Meer-
schweinchen und fand, daß im Durchschnitt 10 mg (d. h. etwa ein
Drittel des Bakt-erienrasens) einer 20 stündigen, durch 10 Minuten lange
Einwirkung von Chloi*oform abgetöteten Cholerakultni
auf schrägem Agar genügten, um Tiere von 200 g Gewicht unter starker
Temperaturemiedrigung, Muskelschwäche — Erscheinungen, die dem
Stadium algidum der Cholera entsprechen — und schließlich klonischen
Krämpfen binnen etwa 12 Stunden zu töten. Lebende Cholera-
bakterien töteten etwa in einer zehnfach geringeren Menge, aber mit
denselben Krankheitserscheinungen, \md die Untersuchung ergab dabei,
daß, in vielen Fällen wenigstens, die Bakterien beim Tode des Tiers
nur in geringer Zahl vorhanden, also ebenfalls zugrunde gegangen
waren. Der Schluß lag nahe, daß die Cholerabazillen durch ihr Zu-
grundegehen im Tier die Vergiftung erzeugt hatten. Die intravenöse
Verabreichung tötete in etwas kleineren, die subkutane erst in größeren
Gaben, aber unter denselben Erscheinungen. Vom normalen Darm-
kanal aus ist das Gift unwirksam, wirkt aber wieder, wenn die Tiere
durch Opiumtinktur geschädigt sind^). Kaninchen') sind für das
Choleragift weniger empfänglich, sie brauchen bei intravenöser Ein-
spritzung je nach ihrer Größe und individuellen Anlage 10 — 120 mg
abgetöteten Bakterienrasens imd sterben unter Diarrhöe gewöhnlich
erst nach einer Reihe von Tagen. — Der wirksame Giftstoff soll gegen
schädigende Einflüsse äußerst empfindlich sein. Am wenigsten werde
gelatine zu gleichen Teilen einen Monat lang bei 37® züchtete, die Kultur
nach starker Alkalisierung bei 60° zum Sirup eindampfte, mit 10 com
Glyzerin 2 Wochen bei 37" auszog, mit destilliertem Wasser auf U Liter
auffüllte, mit Milchsäure neutralisierte \ind bei 120* sterilisierte; 3 ccni
des Giftes töteten selbst vom Magen aus (nach Alkalisierung), 0,6 — 1 ccni
vom Peritoneum aus Meerschweinchen in einigen Stunden unter den Er-
scheinungen der Cholera. Übrigens waren die Kommabazillen aaiseheinend
keine echten Cholerabazillen, sondern teils Vibrio Ghinda, dessen Gift am
kräftigsten, teils Vibrio Paris und Metschnikoffii, die am schwächsten
wirkten.
1) Zeitschr. f. Hyg. 11, 1892 imd „Mikroorganismen" von F 1 ü g g e .
3. Aufl. 2. 551, 1896; vgl. Wassermann, Zeitschr. f. Hyg. U, P f ei f •
f e r und Wassermann ebenda.
2) Vgl. weiter unten. Näheres über die Vergiftimgen vom Darm aus
in der Infektionslehre.
3) Issaeff vmd K o 1 1 e , Zeitschr. f. Hyg. 18. 39, 1894. Mäuse
scheinen gegen Choleragift besonders widerstandsfähig zu sein, wenn man
die erfolglosen Versuche Kochs und seiner Mitarbeiter in Indien (vgl
G a f f k y , Arb. Gesundheitsamt 3. 174) betrachtet.
Gifte der Klein wesen. 931
geschädigt duich die Behandlung mit Chloroform oder Thymol
r durch Eintrocknen, stärker durch Erhitzen bei 60^ und besonders
höheren Temperaturen, ferner durch Alkohol und schwefelsaures
mon. Glyzerin sei kein Mittel, das zum Ausziehen der Gifte ge-
let sei. Infolgedessen ist es Pfeiffer nicht gelungen, das Cholera-
in Lösung darzustellen.
Durch die verschiedensten schädigenden Eingriffe entsteht nach
e i f f e r aus dem beschriebenen „primären" Gift ein „sekun-
es", das gegen Kochen, Verdauimg usw. beständig ist, aber erst
iner 10 — ^20 mal größeren Gabe der Leiber mit ähnlichen, wenn auch
as weniger akuten Erscheinungen tötet.
Die späteren Erfahrungen haben diese Schilderung Pfeiffers
großen und ganzen bestätigt, nur besteht im allgemeinen kein
lieblicher Unterschied^) zwischen den primären
d sekundären Leibesgiften der Cho le r a vi b r i -
e n , sondern es ist nur sicher, daß wie bei anderen Bakterien, z. B.
3hus-, Ruhr-, Colibazillen, die länger dauernde imd höher getriebene
litzung die Leibesgifte etwas abschwächt. Vielleicht erklärt sich
r die ursprüngliche Schilderung Pfeiffers daraus, daß er bei
len ersten Untersuchungen sich hauptsächlich nicht eines Cholera-
aimes, sondern des sog. Vibrio Massaua bedient hat. Nach Ver-
ben, die in meinem Laboratorium im Laufe der Jahre, zuletzt von
i r g e r 8 *) angestellt worden sind, beträgt bei intraperitonealer
Verleihung die tödliche Gabe vorsichtig abgetöteter Cholerabazillen,
frisch isoliert waren, meist ^/^ — 1 Agarkultur, ausnahmsweise
liger oder auch mehr*). Bei stärker erhitzten Bazillen sind meist
as höhere Gaben nötig, doch macht die recht ungleiche Giftemp-
Uichkeit der Meerschweinchen genauere Angaben ziemlich schwierig,
nche Versuchsreihen fallen geradezu umgekehrt aus, als man er-
rten sollte. Mit der Giftigkeit der künstlich abgetöteten
siUenleiber stimmte diejenige der lebendindie Bauchhöhle ein-
ütrten Bazillen in imseren Versuchen nahe überein. Sie betrug näm-
1) S 1 u y t 8 (Cellule 10, 1894), der freilich wesentlich mit Kaninchen
i Hunden arbeitete, fand gar keinen Unterschied zwischen primären und
undären Giften. Klemperer (Zeitschr. f. klin. Med. 26, 1894) schrieb
i hitzeempfindlichen imd -beständigen Giften verschiedene Wirkungen
und beobachtete bei Hunden einen hämorrhagischen Darmkatarrh. Es
das eine auch sonst bekannte Bakterienproteinwirkung (s. o. S. 914).
2) Mitgeteilt auf der 82. Versammig. D. Naturf. u. Ärzte in Königs-
g 1910, 28. Abteil.
3) Vgl. die Angaben von G r u b e r und Wiener, Arch. f. Hyg.
und G r u b er , Münch. med. Woch. 1896. 9.
59*
932 Kap. XVI, § 184.
lieh bei unseren frisch vom Kranken gezüchteten Vibrionen — unter
2 1 . . 1
Schwankungen von — durchschnittlich etwa -^Agarkultur.
Li) 1 ^
Andere Forscher erhielten freilich weit kleinere Zahlen, weil die von
ihnen geprüften Vibrionen größere Infektionskraft besaßen. Als wir
durch den Tierversuch die Virulenz unserer Kulturen erheblich ge-
steigert hatten, behielten nebenbei bemerkt die abgetöteten Bazillen
ihre alte Giftigkeit (s. u.).
Es gelang uns, wenn auch nicht ganz so leicht wie beim Typhus-,
Ruhrbazillus usw., das Leibesgift in Lösung zu bringen; so wurde min-
destens die Hälfte des Giftes bei 1 — ^2 stündiger Erhitzung auf 55 — 65°
durch Kochsalzlösung ausgezogen (1 ccm auf 1 — 2 Kulturen^)), während
andere Verfahren wie Selbstverdauung mit Chloroform, tagelanges
Schütteln mit Kochsalzlösung oder destilliertem Wasser uns weit
schlechtere Ergebnisse lieferten.
K o 1 1 e und seine Mitarbeiter Carriere und Tomarkin-)
empfehlen dagegen gerade 'die Schüttelmethode, sie erhielten damit
im destillierten Wasser Gifte, die in 1,2 — 1,5 ccm — entsprechend
dem Extrakt aus 2^4 — 3 Agarkulturen — Meerschweinchen von 300 g
töteten. Es waren also doch gegen die imserigen nur ziemlich schwache
Giftlösungen. Auffällig ist die Bemerkung, daß Erhitzen auf 60° die
Giftigkeit aufhob, es hat sich aber wohl nur um eine Abschwachong
gehandelt.
Andere ältere Verfahren, die darauf ausgingen, die Bakterien-
leiber aufzulösen, hatten kein besseres Ergebnis. Die Preßsaftmethode,
die zur Darstellung der Zymase angewandt wird, ergab H a h n ^)
zwar ein örtlich stärker reizendes, aber nur wenig giftiges „Plasmin",
ebenso*) die tage- oder wochenlang fortgesetzte Selbstverdauimg in
Kochsalzlösung oder einem aus der Darmwand hergestellten Preßsaft.
Der Verfasser betont, daß Blutungen auch auf der Magendann-
schleimhaut vorkamen, daß die subkutane Darreichung ebenfalk
erfolgreich war und Erhitzen auf 55 — 60^ keine Abschwächung verur-
sachte. Wesentlich stärker wirkten auch nicht die von Macfad yen^)
durch Verreiben der Bazillen bei der Temperatur der flüssigen Luft
und Auflösung in der zehnfachen Menge 0,1 prozentiger Kalilauge
erhaltenen Lösungen, wenn man bedenkt, daß 0,1 ccm derselben töd-
1) Wie bei allen anderen Endotoxinen darf man nicht zuviel Flüssig-
keit nehmen, wenn man die volle Giftigkeit erhalten will.
2) Zeiteohr. f. Immunitätsforschung 4. 40, 1909.
3) Münch. med. Woch. 1897, 48.
4) Ebenda 1906. 23.
5) Zentr. Bakt. 42. 365, 1905.
Gifte der Klein wesen. 933
ch waren. Die Giftigkeit stieg mit der Virulenz der lebenden Kul-
iiren, während Hahn und wir das nicht beobachteten. Carriere
nd T o m a r k i n (s. o.) sahen bei ähnlich hergestellten Giften den
od erst bei Gaben von 0,15 — 0,25 ccm eintreten. Wurden die zer-
ebenen Bazillen statt mit Kalilauge mit Kochsalzlösung aufgelöst,
3 wurde an den Ergebnissen kaum etwas geändert. Auffällig ist auch
ier wieder ihre Angabe, daß einstündige Erhitzung auf 55^ die Giftig-
eit aufhebt. Macfadyen hatte dasselbe gefunden und durch
Qscheinend einwandfreie Versuchsreihen belegt. Vielleicht ist die
tarke Konzentration bzw. der Eiweißreichtum des Saftes
iaran schuld, wenn der Unterschied in der Widerstandsfähigkeit nicht
twa darin liegen sollte, daß die übrigen Verfahren die Verbindung
les Giftes mit dem Eiweiß der Zelle lösen.
Nach Schurupow^) kann man auch die nach dem Verfahren
on Lustig und G a 1 e o 1 1 i (s. Pest § 291 ) durch Ausziehen der
^iber mit 0,5 — 1 prozentiger Kalilauge und Fällung mit Essigsäure,
Vaschen und Trocknen dargestellten ,,Nukleoproteide" als Endo-
oxine betrachten. Ob das Verfahren Vorzüge bietet, steht dahin,
s sollen sich damit aber, wie übrigens auch mit den folgenden und vor-
lergehenden Präparaten, antitoxische Sera herstellen lassen,
vrawkow*) benutzt ein mittelst Kupferazetat imd Kalilauge aus
len Bazillen gewonnenes Nukleoproteid (vgl. Iwanoff S. 67).
)ie tödliche Gabe beträgt 0,01 — 0,02 g, ist also, da es sich um ein
Prockenpräparat handelt, recht hoch. Die Vergiftungserscheinungen
m großen Tieren sollen — mehr als sonst ? — denen der Cholera ähneln.
Die mit Cholera-Endotoxinen und Ektotoxinen (s. o. S. 926 u. 928)
lergestellten Antitoxine ähneln sich darin, daß sie recht schwach
ind, kräftigere hat anscheinend nur Macfadyen erhalten.
Überschaut man die vorliegenden Untersuchungen über die Cholera-
[ifte^), so macht es den Eindruck, als ob die Endotoxine, schon weil
ie regelmäßig aus den Bazillen zu erhalten sind, bei weitem die
rrößte Bedeutung besitzen. Ob die einzelnen, auf so verschiedene Weise
gewonnenen Leibesgifte aber untereinander völlig gleich sind, müssen
rir noch offen lassen. Ebenso ist hier wie bei den übrigen Endotoxinen
licht ganz sicher, ob Pfeiffer recht hat, wenn er annimmt, daß
lie Bakterien bei der Infektion im Tier oder Menschen nur dadurch
;iftig wirken, daß sie im Körper zugrunde gehen und sich auflösen.
Vlan sieht nämlich nach unseren Erfahrungen im erfolgreich infizierten
1) (Russisch.) Ref. Zeitschr. f. Immun. 1. 610 und Zentr. Bakt.
49, 1909.
2) (Russisch.) Ref. Zeitschr. f. Immun. 1. 609, 1909.
3) Vgl. auch das über die Nitritlehre Emmerichs Gesagte S. 804.
934 Kap. XVI, 284 u. 285.
Tier nicht soviel Bakterien zugrunde gehen, als man erwarten müßte,
wenn das dabei freiwerdende Endotoxin den Tod verursachen sollte.
Eine Lösung des Rätsels in dem von Pfeiffer verteidigten Sinne
würde man allerdings haben, wenn man annehmen dürfte, daß die
Keime beim Zugrundegehen im lebenden Körper ein viel kräftigerem
Gift abgeben, als bei unseren künstlichen, auch den schonendsten
Gewinnungsverfahren. Aber vorläufig scheint mir eine andere Mög-
lichkeit daneben beachtenswert: auch diejenigen Bazillen, die
längere oder kürzere Zeit überleben, könnten zur Endotoxinbildimg
beitragen, indem sie \mter dem Einfluß der Widerstandskräfte des
Körpers giftige Bestandteile abgeben (vgl. das Anaphylatoxin § 344;.
Der Nachweis von Giften in den Säften des mit Cholera infizierten
Körpers ist, abgesehen von Emmerich (S. 804), mehrfach versucht
worden. So hat B o s c ^) gefunden, daß 3,6—5,5 ccm Blutserum
von cholerakranken Menschen Kaninchen (auf 1 kg berechnet) unter
Erscheinungen töteten, die sonst mit Cholerakulturen hervorgerufen
werden können, während erst 15 ccm normalen Blutserums die töd-
liche Gabe darstellten. Es fragt sich, ob man daraus Schlüsse ziehen
darf. Daß auch die tierischen, aus Exsudaten gewonnenen Aggressine
Bails giftig sind, hat namentlich Sauerbeck betont (§ .^21).
Auch in den Darmentleerungen kann man natürUch das Gift voraus-
setzen. Je nach der Zusammensetzung wird es aber darin in sehr
wechselnden und oft sehr geringen Mengen vorhanden sein. Tatsachlich
sind die Versuche damit (vgl. Hahn) bisher ohne klares Ergebnis
geblieben.
Da die menschliche Cholera eine derjenigen Infektionen ist, bei denen
die Erreger nur ganz oberflächlich in die Gewebe eindringen, so fragt »v
sich, wie sie denn eigentlich ihre Giftigkeit zur Geltung bringen. Man
könnte zunächst annehmen, daß entweder aus den in gewaltigen Massen
im Darminhalt entwickelten Vibrionen große Giftmengen aiu«-
geschieden und durch das unveränderte Epithel aufgesogen würden, oder
daß diese Aufsaugung erst diu'ch eine zerstörende Wirkung der Cholera-
gifte auf die Epithelien ermöglicht würde. Die Versuche (vgl. namentlich
bei Bürgers) lehren nun aber, daß von den für die Darminfektion
in gewisser Weise empfänghchen Meerschweinchen und Kaninchen geradezu
riesige Mengen, z. B. 200 Kulturen von toten oder lebenden Cholerabazillen
und ihren gelösten Giften, ohne jede Erkrankung vertragen werden, und da.*,
obwohl die Verdauungssäfte dem Choleragift keinen oder nur wenig Schaden
tun. Beide erwähnten Auffassungen haben also nicht viel für sich. Nun
gelingt es zwar nicht bloß die Infektion, sondern auch die Vergiftung vom
Magendarmkanal aus dadurch zu befördern bzw. zu ermöglichen, daü
man gleichzeitig andere schädHche Einflüsse, namentlich Opiumtinktur.
auf den Körper der Versuchstiere wirken läßt. Wie diese Schädlichkeiten
1) Annal. Pasteur 1895.
Gifte der Kleinwesen. 935
irken, ist aber noch dunkel, und da sie unseres Wissens für die Entstehung
er Cholera beim Menschen nicht in Betracht kommen, geben uns auch diese
iini Teil gelungenen Versuche keinen Aufschluß über die Art der Ver-
iftung. Man wird deshalb annehmen dürfen, daß die lebenden Bazillen
ie Dannwand so beeinflussen, daß sie Gift aufnimmt. Bestimmte Unter-
igen dafür bietet uns die doppelte Erfahrung, daß bei der Cholera nament-
ch das epithel des Darmes in weitestem Umfange verloren geht, und daß
ie Bazillen innerhalb und unterhalb desselben, ja auch noch darüber hinaus
•n eigentlichen Darmgewebe gefimden werden. Sie werden also wohl
mindestens bei den von schwerer Infektion betroffenen Personen eine
renn auch beschränkte Angriffsfähigkeit für das Gewebe besitzen. Ist
ias einmal zugegeben, so würde sich die Aufsaugung ihrer Leibesgifte
uf doppelte Weise erklären lassen : einmal aus der Aufnahme des im Darm-
ahalt gebildeten Giftes durch die ihres Epithels beraubte Schleimhaut
und zweitens aus der Auflösung der in das Gewebe selbst eingedrungenen
ribrionen. Welcher Anteil der wichtigere ist, bliebe noch auszumachen
\'gl. Infektionslehre). Für die Cholera nostras gilt wohl dasselbe (vgl. S. 808).
§ 285. Vibrionengifte. Mit den Giften der Choleraspirillen scheinen
iie Giftstoffe der choleraähnlichen Kommabazillen, deren es namentlich
im W^asser eine große Zahl gibt, wesentlich übereinzustimmen. Wenn sie
trotzdem beim Menschen keine Cholera erzeugen, so liegt das wohl daran,
daß sie nicht die Fähigkeit besitzen, im Darm desselben sich zu vermehren.
Wir übergehen die namentlich beim Studium des Spirillum Met-
schnikoff *) und Spirillum Massaua") gewonnenen Erfah-
rungen, weil sie uns nichts Neues sagen. Insofern bleiben sie aber be-
merkenswert, als gerade sie es waren, die Gamaleia und Pfeiffer
zu ihren Untersuchungen über das Choleragift führten.
Besonders giftig ist eine andere Spirillenart, der Vibrio N a s i k ,
da er nach R. Kraus') Kaninchen bei intravenöser Injektion von 4tägigen
oder älteren Bouillonkulturen in Gaben von 0,5 — 1 ccm binnen 15 Minuten,
wahrscheinlich durch Herzbeeinflussimg, tötet. Bei intraperitonealer oder
subkutaner Einverleibung tritt der Tod bei Kaninchen und Meerschweinchen
erst nach 1 bis mehreren Tagen ein, und Agarkulturen sollen viel weniger
giftig sein. Das Gift geht wenigstens durch manche Filter hindurch, es
wird diffch Erwärmen auf 58® zerstört und durch Alkohol, Chloroform,
Karbolsäure, Ammonsulfat geschädigt. Nur Toluol läßt es unberührt.
Das Gift besitzt stark lösende Wirkungen auf rote Blutkörper, im Gegen-
satz zum Choleragift (§312). Es gelingt, Ziegen dagegen zu immunisieren.
Doch zeigt sich die merkwürdige Tatsache, daß normales Ziegenserum in
denselben Gaben gegen das Vibrionengift schützt, wie das Immunserum,
wenn es vorher eine Stunde lang bei 37° mit ihm in Berührung bleibt. Das
normale Antitoxin scheint bei der Immunisierung nur eine qualitative
Änderung zu erfahren, indem es größere Verwandtschaft zum Vibrionen-
gift annimmt. Nur gegenüber Mäusen geprüft, versagt dstö normale Anti-
toxin, während das des Immunserums auch hier schützt: da« scheint dafür
1) Gamaleia, Annal. Pasteur 1889 und Semaine m^dicale 1890.
56; P f e i f f e r , Zeitschr. f. Hyg. 11, Sanarelli, Annal. Pasteur 1893
und besonders W o 1 k o w , Arch. m6dec. exp6rim. 1892.
2) Pfeiffer a. a. O.
3) Zentr. Bakt. 34. 488, 1903
936 Kap. XVI, § 285 u. 286.
zu sprechen, daß im Gesamtgifte verschiedene Gifte vorhanden sind
(vgl. Pest).
§ 286. Typhusgift. Über das Gift des T y p h u s b a z i 1 1 u 5
ist ebensowenig völlige Übereinstimmung erzielt worden, wie über
das der Cholera (s. o.). Schon von den ersten Untersuchem wurde aber
hier die Bedeutsamkeit der Leibesgifte festgestellt.
Umfangreiche Untersuchungen wurden schon von Sirotinin *) mit
Aufschwemmungen von Typhusbazillen angestellt und
zeigten, daß sie Kaninchen und Hiuide auf dem Blutwege, Meerschweinchen
und Mäuse vom Bauchfell und der Unterhaut aus, Meerschweinchen gelegent-
lich auch vom Magen aus töten, wenn sie in größeren Mengen einverleibt
werden, und zwar sowohl wenn die Bazillen lebenskräftig, als wenn sie
durch ca. zehnminutenlanges Erhitzen auf 100° abgetötet sind. Offenbar
wird von den Bazillen aber auch ein lösliclies Gift gebildet, denn Gelatine-
strichkulturen, die durch sorgfältiges Abkratzen von den Bakterienrasen
befreit und nachher noch auf 75° erwärmt wurden, waren ebenfalls noch
giftig. Sirotinin hat meist ziemlich frische Kulturen benutzt, maclit
aber die Angabe, daß es besser wäre, ältere Kulturen zu verwenden, um
möglichst viel „Ptomain" zu erhalten. War doch gerade damals soeben
d&s Typhotoxin von Brieger entdeckt worden (S. 818). Der Verlauf
der Vergiftung ist wenig charakteristisch: leichte, aber auch schwerere
und blutige Diarrhöe, in tödlichen Fällen Schwäche und Sinken der Teni-
peratiu*, in nicht tödlichen Fieber und bei der Sektion katarrhalische Ver-
änderungen, auch Hämorrhagien des Dünndarms, Schwellung der P e y e r -
s c hen Platten der Milz, und Mesenterialdrüsen beherrschen das Bild. Ahn-
liche Erscheinungen beobachtet man aber auch bei vielen anderen Bak-
terien, z. B. dem Bac. neapolitanus (coli communis), Indicus und wie
B e u m e r imd P e i p e r ') gleichzeitig mit Sirotinin nachgewiesen
haben, sogar bei den gemeinsten „Saprophyten", wie Bac. fluaresceni?
liquefaciens und non liquefaciens, subtilis, wenn man sie ninr in genügend
großer Meinge einspritzt. Die letzteren beiden Forscher sprechen daher
auch ausdrücklich der Vergiftung der Versuchstiere durch den Typhus-
bazillus den spezifischen Charakter ab. Auch sie arbeiteten ganz wesent-
lich mit lebenden oder abgekochten Aufschwemmimgen der Bazillenleiber
imd weichen nur darin von Sirotinin ab, daß sie die lebenden Kulturen
erheblich wirksamer fanden als die abgetöteten. Sie erklären das damit,
daß die Bazillen, wenn sie auch schnell im Körper der Versuchstiere zu-
gnmde gehen, doch noch Zeit finden, Gifte zu erzeugen und auszuscheiden.
Während die meisten späteren Autoren sich mehr mit den löslichen
Giftstoffen (Sekretgiften) des Typhusbazillus beschäftigten, gingen
ß. Pfeiffer und K o 1 1 e ^) auf dem von Sirotinin, Beumer
und P e i p e r angebahnten Wege weiter, indem sie die von Pfeiffer
bei dem Studium des Choleragiftes gewonnenen Erfahrungen zth
Richtschnur nahmen. Es stellte sich dabei heraus, daß die Verhält-
1) Zeitschr. f. Hyg. 1. 465, 1886.
2) Zeitschr. f. Hyg. 1. 489 und 2. 110, 1886/87.
3) Zeitschr. f. Hyg. 21, 1896.
Gifte der Klleinwesen. 937
lisse beim Typhusbazillus ähnlich liegen wie beim Choleraspiiillum:
las Gift findet sich ebenfalls in den Leibern junger Bazillen : es
ind etwa 15 mg des Bakterienrasens von einer vorsichtig (durch ein-
rtündige Einwirkung von Chloroform oder Erwärmung auf 60*^) ab-
getöteten 20 stündigen Agarkultur nötig, um Meerschweinchen von 300 g
jJewicht vom Bauchfell aus binnen 24 Stunden zu töten, während die
lO — 100 fach kleinere Menge von lebenden Bakterien dazu genügt,
•^icht nur die tödliche Gabe des Giftes ist ungefähr dieselbe, sondern
iiucli die Vergiftung verläuft unter denselben Eollapserscheinungen
vie bei der Cholera. Allenthalben ist der Pfeiffer sehe Befund
)est^tigt worden. Von Spezifität der Giftwirlnmg scheint also min-
lestens beim Meerschweinchen keine Rede zu sein. Das gleiche gilt
iber anscheinend auch von der Wirkung der T3rphu8bazillenleiber
luf Kaninchen und auf Hunde. Namentlich bei den letzteren werden
wie bei anderen Endotoxinen bzw. den „sekundären" Giften oder
Bakterienproteinen hämorrhagische Darmentzündungen beobachtet
Seiter S. 914). Die Veränderungen, die stärkere Erhitzung und
ähnlich eingreifende Verfahren der in den Leibern enthaltenen Gifte
bewirken, sind wie beim Choleragift gering: sie schwächen die Wirksam-
keit des Endotoxins, ohne sie wesentlich zu verändern. Die Schwächung
scheint aber zum mindestens was die Wirksamkeit gegenüber den
Meerschweinchen anlangt, auch hier wie bei dem Choleragift nicht
sehr erheblich zu sein (P a n e und L o 1 1 i s. u.).
Die Lösung des Giftes aus den Leibern der Tjrphusbazillen ist
wie bei den Cholerabazillen auf verschiedene Weise versucht worden.
Sie gelingt nach Hahn ^) durch Auspressen der zerriebenen Bazillen
unter hohem Druck, noch besser nach Macfadyen und Rowland*),
wenn man die Zerreibimg bei der Temperatur der flüssigen Luft vornimmt.
Der Preßsaft war aber auch erst tödlich in Mengen von 0,02 — 0,05 ccro,
was einer sehr bedeutenden Bakterienmasse entspricht. Besser ist es, die
Lösung des Giftes durch Zusatz von 10 Teilen O,lprozentiger Kalilauge
zu den zerkleinerten Bazillen zu befördern und dann auszuschleudern
(M a cf ad y en •)). Die Lösung enthält nur 1% feste Bestandteile und
war schon in Gaben von 1 — 2 Tropfen (intravenös) für Ziegen tödlich.
In dem einen wie in dem anderen Falle verliert das Gift rasch seine ursprüng-
liche Wirksamkeit, länger aufbewahrte Zellsäfte haben
geringe oder gar keine Giftigkeit. Über die Widerstands-
fähigkeit gegen Hitze erfahren wir nichts. Es gelang Macfadyen mit
diesem „Endotoxin" ziemlich kräftige Antitoxine herzustellen.
Durch Behandlung mit chemischen luid physikalischen Mitteln, die
die Osmose erleichtern sollen, zog Balthazard *) das Gift aus den
1) Münch. med. Woch. 1897. 48.
2) Zentralbl. Bakt. 34. 7/8, 1903.
3) Zentr. Bakt. 41. 266, 1906.
4) These de Paris 1903, ref. Bull. Pasteur 1904, 35
938 Kap. XVI, § 286.
J^eibem der Typhusbazillen aus. Doch ißt das Ergebnis kein sehr befrie-
digendes, da eine Petrische Doppelschale der Kultur schließlich nur zwei
tödliche Dosen Gift lieferte. Einfacher, aber noch weniger ergiebig ist da«
Verfahren von C o n r a d i *) , das übrigens vielleicht auf den älteren
Erfahrungen von Sirotinin *) aufgebaut ist: man braucht die Typhus-
bazillen nur in 0,8prozentige Kochsalzlösung aufzuschwemmen tm.d 1 bL<(
2 Tage bei 37® zu halten. Das Filtrat davon kann bei 35* eingeengt werden
und tötet Meerschweinchen von 300 g vom Bauchfell aus in 24 Stunden
in freilich verhältnismäßig großen Mengen. M. H a h n ^) erhielt ähnliche
Ergebnisse mit dicken Aufschwemmungen von Bazillen in Kochsalzlösung
oder Darmpreßsaft, tind zwar war es ziemlich gleichgültig, ob er diese
„Autolyse*' 2 Tage oder viel länger wirken ließ. Antitoxine ließen sich
gewinnen, waren aber wenig kräftig. Man braucht auch nicht die Auto-
lyse, sondern man kann schon durch Ausschütteln der lebenden
Bazillen mit destilliertem Wasser bei gewöhnlicher Temperatur (F. Meyer u.
Berg eil*)) Gifte erhalten. Ähnliche Erfahrungen wurden mit chemischen
Extraktionsmitteln gemacht. So engte Bitter') 14 tägige Kulturen der Ty-
phusbazillen in 5prozentiger Glyzerinbouillon, denen er noch die BeJcterien-
rasen von Agarkulturen zugesetzt hatte, im luftleeren Kaum bei 30* auf
den zehnten Teil ein und gewann daraus durch Filtration mittelst KieseJ-
guhr ein haltbares Gift, das Kaninchen in Gaben von 0,5 bis 1,0 ccm von
der Blutbahn aus schnell tötete. Nach Bitter soll dabei das Glyzerin
(wie im Tuberkulin) als EytreJctionsmittel für das Gift wirken. Mit nodi
besserem Erfolge benutzt Besredka*) zum Ausziehen des Giftes aa<
den trockenen Bazillen das normale Pferdeserum. Die Bazillen
werden dadurch so vollständig von ihrem Gift befreit, daß sie erst in der
zehnfachen Gabe für Meerschweinchen tödlich sind. Später') zog er ein
anderes Verfahren vor: etwa eine Stunde bei 60 • erhitzte Aufschwemmungen
von Typhusbazillen in Kochsalzlösung wurden im Vakuum getrocknet
imd mit V» ^is V« Teil Kochsalz verrieben. Dann setzt man imter be-
ständigem Verreiben tropfenweise destilliertes Wasser zu und füllt bis zur
Konzentration einer physiologischen Lösung auf. Durch zweistündiges Er-
hitzen auf 60^ und Absetzenlassen erhält man schließlich die Giftlösung,
die sehr haltbar ist und sogar Temperaturen von 120® verträgt. 0,125 bis
0,25 ccm töten Meerschweinchen, 1, — 1,5 ccm Kaninchen. Auch Bc8-
r e d k a gewann mit diesem Gift ein anti toxisch es Serum. Weitere Ver-
fahren, lim das Gift den Bazillen zu entziehen, sind die Darstellung des
Nukleoproteids durch 0,5% Natronlauge (T u r r o •)) , die Ver-
dauung mit Trypsin (Matthes und Gottstein*), die Be-
handlung mit wasserfreier Salzsäure (Meyer und Bergeil s. o.).
1) Deutsch, med. Woch. 1903. 2. vgl. Neisser und Shiga ebenda
1903. 4.
2) Zeitschr. f. Hyg. 4. 289, 1888.
3) Münch. med. Woch. 1905. 23.
4) Borl. klin. Woch. 1907. 18.
5) Zeitschr. f. Hyg. 12, 1892.
6) Armal. Pasteur 1905.
7) Ebenda 1906.
8) Soc. biol. 20. VII. 1907.
9) 24. Kongf. f. innere Medizin 1907.
Gifte der Kleinwesen. 939
Es bedarf aber nach unseren Erfahrungen (P a n e und L o 1 1 i ,
Bürgers und Hösch, Jessner, vgl. § 319) gar nicht dieser
nehr oder weniger umständlichen Verfahren, um das Endotoxin der
Typhusbazillen in Lösimg zu bringen; wie bei den Cholera Vibrionen
genügt es, die Bazillen — in kleinen Mengen Kochsalzlösung (1 ccm
luf Vg — 1 Agarkultur) aufgeschwemmt — bei 55 — 65° 1 — 2 Stimden
iang zu erhitzen und dann die ausgeschleuderte, wenn man will,
loch filtrierte klare Flüssigkeit zu benutzen. Sie tötet Meerschwein-
?hen von der Bauchhöhle aus in Gaben von etwa 1 Agarkultur binnen
20 Stunden, und zwar gleichgültig, ob die Bazillen virulent oder nicht
virulent sind. Kochen des Extraktes verringert die Wirksamkeit
etwa auf die Hälfte. Sehr wahrscheinlich beruht die starke Wirksam-
keit der von M. N e i ß e r xmd S h i g a durch „Autolyse" erhaltenen
Typhußgifte (s. o.) auch nur auf der vorhergehenden Erhitzung.
Wie bei den Cholerabazillen lassen sich aber auch Gifte aus flüssigen
Kulturen der Typhusbazillen durch Filtration gewinnen. Man
kann sie als Sekretgifte (Ektotoxine) bezeichnen, zum Teil enthalten
sie aber sicher auch die gewöhnlichen Endotoxine.
Züchtet man freilich die nicht besonders ausgesuchten Bazillen in
^gewöhnlicher Bouillon, so sind die Filtrate davon nach einigen Tagen so
^it wie ungiftig und toten mit Sicherheit selbst nach einigen Wochen
Wachstums Meerschweinchen von 300 ccm höchstens in Mengen von 4 bis
6 ccm (Sanarelli^), Pfeiffer und Kolle). Rodet, Lagrif-
f o u 1 und Wahlberg *) geben sogar an, daß unter den günstigsten
Vinständen, wenn die Bouillon den Bazillen nur in dünner Schicht, d. h.
bei reichlichem Sauerstoff zutritt dargeboten und für starke Alkalisiening
Sorge getragen wird, das Filtrat erst in Gaben von 4 — 6% des Körper-
gewichts für Meerschweinchen (intraperitoneal) imd von 0,75% für
Kaninchen (intravenös) tödlich wird. Kräftiger soll das Filtrat erst wirken,
wenn man die Typhusstämme auswählt und auf besonderen Nähr-
böden züchtet. Chantemesse') nimmt dazu ein Verdauungsprodukt
von Pferdemilz, das er sich selbst mit Pepsin und Salzsäure herstellt. 5- bis
^^*^gigo Kulturen sind am giftigsten, immerhin töten auch erst 10 ccm,
intravenös eingespritzt, Kaninchen von 2 kg. Aber selbst dafür
ist die Voraussetzung, daß die Bazillen von vorn-
herein eine hohe Giftigkeit besitzen, eine Eigen-
schaft, die verhältnismäßig selten zu sein scheint
und durch Übertragung auf Tiere durchaus nicht immer hervorzurufen
ist. Mittelst seines Typhusgiftes gewann Chantemesse ein Serum,
das antitoxisch wirken soll. Später haben auch andere Forscher mit giftigen
Filtraten antitoxische Sera hergestellt, so Kr aus und von Stenitzer*),
^eyer und Berg eil (s. o.) solche aus gewöhnlicher Peptonboiüllon.
1) Annal. Pasteur 1894. 199 (empfiehlt subkutane Impfimg).
2) Arch. m6d. exp^rim. 1904. 404 imd Zentr. Bakt. 36.
3) Presse m^icale 1898 xmd 1902.
4) Wien. klin. Woch. 1907. 12.
940 Kap. XVI, § 286 u. 287.
Aronson^) legte Wert darauf, ein üppiges Oberflächenwachstuin der
Bazillen zu erzielen. Die Hauptsache ist auch hier wohl
wieder wie bei der Gewinnung der Ektotoxine von
Choleravibrionen dieEigenartdesbenutzten Stam-
mes.
Mit Fil traten arbeitete auch Lange *); er filtrierte aber nicht künst-
liche Kulturen, sondern das Exsudat, das sich unter dem Einfluß
der Typhusbazillen in der Bauchhöhle des Meerschweinchens bildet. Da
es sich schon zu einer Zeit giftig erwies, wo die Bazillen im Exsudat noch
auf der Höhe ihrer Lebensfähigkeit standen, so schließt Lange daraus,
daß das Gift von den lebenden Bazillen ausgeschieden würde. Sicher L^t
dieser Schluß aber keineswegs, da wir wissen, daß im ganzen Verlauf der
Infektion Bazillen in der Bauchhöhle absterben. Schließlich scheint auch
die Giftmenge in dem filtrierten Exsudat im Vergleich zu der Zahl der
im Exsudat vorhandenen Bazillen keine sehr bedeutende zu sein. Die
„Aggressinversuche"' Bails u. a. (§ 319 u. 321) beweisen das, Baii
selbst*) hat in Kaninchenexsudaten eine höhere Giftigkeit beobachtet,
aber nur für Kaninchen.
Nach der Meinung der meisten Forscher wäre das Filtratgift nicht
als ein Sekret, sondern als ein Endotoxin zu betrachten, das erst aus den
absterbenden Bazillen frei wird. Einen mimittelbaren Beweis dafür haben
Rodet, Lagriffoul luid Wahlberg erbracht, indem sie die
Giftigkeit der Filtrate und der auf dem Filter zimickbleibenden Bazillen-
leiber miteinander verglichen*): in jüngeren Kulturen waren die letz-
teren, in älteren die ersteren giftiger. Die Autoren selbst neigen freilich
der Ansicht zu, daß die Bazillen das Gift bei lebendigem Leibe sezemiereii,
weil die lebenden Bazillen kräftigere Giftwirkungen entfalten, als die
in irgendeiner Weise abgetöteten oder freiwillig abgestorbenen. Man kann
diese letztere Tatsache hier wie bei der Cholera zugeben, wird sie aber wohl
besser in dem Sinne deuten, daß die Art, wie das Absterben erfolgt, nicht
gleichgültig ist: der lebende Körper vermag das Gift aus den Bazillen ent-
weder vollständiger auszulaugen oder schädigt es dabei weniger (vgl. das
Anaphylatoxin § 344). Wenn man hieran festhält, so ist es nichtsdesto-
weniger sicher, daß eine besonders starke Giftigkeit der
Typhusbazillen nur einzelnen Typhusstämmen eigen ist.
Wie bei der Cholera und der Dysenterie u. a. scheint es sich also bei dem
Filtratgift des Typhus um ein oder mehrere zu den gewöhn-
lichen Endotoxinen hinzutretende Gifte zu handeln, die wegen
ihrer Unbeständigkeit im allgemeinen keine große Bedeutung haben werden.
Beim Zustandekommen der Typhusvergiftung fällt die Schwierigkeit fort,
die sich unserem Verständnis der Choleravergiftung dadurch entgegen-
stellte, daß wir erst die Aufnahme der Endotoxine in die Säfte beweisen
1) Berl. klin. Woch. 1907.
2) Compt. rend. soc. biol. 1905, 771.
3) Wien. kUn. Woch. 1907.
4) Ein einwandfreies gesondertes Studium des Filtrats und der Bak-
terienleiber gelang freilich nicht, denn die ganze Kultur war giftiger als die
Mischung von Filtrat und Leibern; es muß also bei der Filtration ein Teil
des Giftes verloren gegangen sein, wenn nicht der Unterschied auf der un-
gleichen Konzentration des Giftes berulit.
Gifte der Klein weeen. 941
iiiissen. I^t doch der Typhus im Gegensatz zu der Cholera im wenent-
ichen eine Gewebs-, ja im gewissen Sinne eine Blutinfektion*).
§ 287. Paratyphus- und Fleischgift. Dem Typhusbazillus
schlieBt sich eng an die Gruppe des Paratyphus*) — auch Hogcholera
)der Salmonellagruppe genannt — , zu der die Bac. enteritidis,
paratyphiA undB, des Mäusetyphus, der Schweine-
pest und noch manche andere für Tiere und Menschen pathogene
Bakterien gehören. Die giftigsten imter ihnen scheinen die Bazillen
der unter dem Bilde des Brechdurchfalls verlaufenden Fleisch-
vergiftung en — nicht zu verwechseln mit der sog. Wurst-
vergiftung (§ 282) — zu sein, die freilich zum Teil wieder von denen
des Paratyphus nicht zu trennen sind. An erster Stelle ist zu nennen
der Bac. enteritidis Gärtners^), dessen Gift alskoch-
fest bezeichnet wird imd Mäusen, Meerschweinchen, Affen ebenso
wie Menschen auch bei Verfütterung gefährlich ist.
Er wurde bei einer ganzen Beihe von Epidemien z. B. von v. Ermengem,
de Nebele, B. Fischer*) wiedergefunden. Das Gift steckt
ursprünglich wohl in den Bakterienleibem und kann aus ihnen im-
mittelbar oder durch Autolyse^) gewonnen werden, geht aber auch in
älteren Kulturen in Lösung über, ist also sowohl in frischen Agarrasen
wie in Filtraten anzutreffen. Beispielsweise töteten von dem Stamm
der Haustedter Epidemie (Fischer) schon 0,8 mg eines bei 55**
abgetöteten Bakterienrasens Meerschweinchen von 220 g binnen 24
Stunden. Andererseits tötete das Filtrat einer 7tägigen Bouillon-
Iniltur aus der Riunflether Epidemie*) Mäuse (intraperitoneal) zu
0,1 ccm, Kaninchen (intravenös) zu 3 ccm und machte Meerschweinchen
zu 0,5 ccm wenigstens sehr krank. Ähnlich verhalten sich die Gifte
des von Känsche, Trautmann u. a. imtersuchten Fleisch-
vergiftungsbazillus (Bac. Breslaviensis), der sonst die größte Ähn-
lichkeit mit dem Paratyphusbazillus B hat. Die Gifte des letzteren
sollen freilich nach Kutscher und M e i n i c k e ®) u. a. nicht koch-
fest sein oder wenigstens in gekochtem Zustand Mäuse erst in Gaben,
die sehr groß sind (14 Agarkultur) töten.
1) Über die mangelnde Giftigkeit bei Einßpritzung in den Magen
<ider Darm vgl. Sirotinin, Beumer und P e i p e r (a. a. O. ), S a n a -
relli (Annal. Pasteur 1892 imd 1894), Tschitkine (ebenda 1904).
2) Vgl. Trautmann, Zeitschr. f. Hyg. 45. 168, 1903, van Er-
"^ engem im Handb. der path. Mikroorgan. 2. 639, 1903 und Kut-
scher, ebenda Ergänzungsband 1, 1907.
3) Korrespondenzbl. allgem. ärztl. Verein Thüringens 1888. 9.
4) Zeitschr. f. Hyg. 39, 1902.
5) Cathcart, Joxun. of hyg. 1906.
6) Zeitschr. f. Hyg. 52, 352. '
942 Kap. XVI, § 287.
Nach dem, was wir früher über die verhältnismäßig geringe Ab-
Schwächung des Cholera- und Typhusendotoxins durch die Siedehitze
gesagt, sollte man die Kochfestigkeit des Fleischgiftes nicht für eine
bemerkenswerte Eigenschaft desselben halten. Indessen sind die für
diese Versuchstiere tödlichen Gaben des Giftes so gering und weicht
deren Fähigkeit, vom Dannkanal aus zu wirken, so von der aller übrigen
Endotoxine ab, daß man vielleicht berechtigt ist, das Fleischgift doch
als einen besonderen Stoff anzusehen, der von
diesenBazillen neben demgewöhnlichschwächer
wirksamen Endotoxin in wechselnder Menge
gebildet wird. Möglich wäre es, daß gerade besonders stark
infektiöse Paratyphusbazillen, wie sie Kutscher und
M e i n i c k e prüften, dieser „spezifischen^' Giftigkeit entbehrten. Xui
da, wo das Fleischgift außerhalb des Körpers in den Nahrungsmittebi
in genügender Menge erzeugt wird, könnte man die akuten Sym-
ptome des Brechdurchfalles als Folge seiner Einverleibung erwarten*).
Mäusetyphusbazillen sollen nach Löffler*) — aller-
dings in getrocknetem Zustande — auch noch nach zweistündiger Er-
hitzung auf 120° in Gaben von 0,001 — 0,1 für Feldmäuse tödlich sein.
Für die gleichfalls hierher gehörigen Schweinepest bazillen
(Suipestifer, Hogcholera) liegen mehr Erfahrungen vor. Als tödliche
Mindestgabe der durch Chloroform abgetöteten Bakterien ermittelte
V o g e s ^) 10 mg für Meerschweinchen von 200 — 300 g bei intra-
peritonealer Einspritzimg. Das ist ungefähr dieselbe Menge, die wir
auch bei Cholera- und Typhusbakterien gefunden haben. Die Giftig-
keit der Bazillen war die gleiche bei Abtötung durch Toluol oder 2^pro-
zentiges Karbol, etwas geringer nach Behandlung mit Iprozentigem
Trikresol oder einstündigem Kochen, am geringsten, d. h. kaum halb
so groß nach halbstündiger Einwirkung von Alkohol absolutos. Wir
haben also auch beim Bac. suipestifer ein hitzebeständiges Gift in den
Leibern, das aber viel weniger kräftig ist als das des Bac. enteritidis,
also wohl der spezifischen Eigenschaften entbehrt. Vielleicht kommen
daneben aber unter Umständen noch andere Giftstoffe vor.
Das Siieholotoxin de Schweinitz' wurde schon unter den Pto-
inainen (§ 259) erwähnt; derselbe Forscher*) stellte aus 3 Wochen alten
Milchkulturen von Hogcholerabakterien durch Fällen mit Alkohol, Auf-
lösen in Wasser, Niederschlagen mit basischem Kalziumphosphat, noch-
1) Vgl. auch Trautmann, ebenda 48.
2) (iedenkschrift f. L e u t h o 1 d , 1, 1906.
3) Zeitschr. f. Hyg. 23. 207, 1896.
4) 15. annual report of the bureau of chemical industrv for 1898
S. 266, 1899.
Gifte der Kleinwesen. 943
ualigeB Auflösen mit Wasser und Fällen mit Alkohol ein ,, Enzym** dar,
las Gelatine, Fibrin, Albumin und Stärke auflöste und daneben auch in
iaben von 0,05 g tödliche Vergiftimg von Meerschweinchen erzeugte. Be-
nerkenswert sind femer die Ergebnisse von Seiander *),Met8chni-
k o f f ') nnd Silberschmidt '). Sie fanden, daß sehr bazillenreiches
Blut von Kaninchen, die an ganz akuter Hogcholera zugrunde gegangen
ü^ren, bei 57^ eine Stunde lang erhitzt \uid dadurch sterilisiert, andere
Tiere derselben Art schon in verhältnismäßig geringer Menge (0,5 — 3,5 ccm)
ödlich vergiftete. Wirhaben hier also die sonst nicht beobachtete Tatsache
Is. die folgenden Paragraphen), daß Tiere, die an Bakterien-
'«eptizäniie sterben, schon in einem kleinen Bruch-
teil ihres Blutes soviel Gift enthalten, daß andere
Tiere derselbenArtund Größedadurch getötetwer-
den. Geringere Blutmengen rufen eine länger dauernde Vergiftung hervor.
Wird das Blut bei ÖO'* sterilisiert, so verliert es viel von seiner Wirksam-
keit, ebenso durch Filtration. Man sollte danach denken, daß das Gift
im Blutserum nachweisbar bliebe, wenn es durch Ausschleudern von Bak-
terien befreit würde. Das ist aber nach E. L e v y und Beckmann*)
nicht der Fall. Selbst in großen Gaben (bis zu 45 ccm) war es für andere
Tiere derselben Art ungiftig, wenn man von einer Temperatursteigerung,
die auch bei Einspritzung normalen Blutes eintritt, absieht. Ob sich dieses
abweichende Ergebnis vielleicht diu-ch eine geringere Virulenz der von
L e V y und Beckmann benutzten Schweinepestbazillen erklärt, steht
dahin (vgl. auch Milzbrand § 292).
Bouillonkulturen sind übrigens nach Seiander u. a.
beraerkenswerterweise viel weniger giftig, als Blut, obwohl sie ebenso-
viel Bazillen enthalten als das letztere, ein Zeugnis dafür, wieviel unter
Umständen auf die Beschaffenheit des Nährbodens an-
kommt.
Die Giftigkeit der Schweinepestbazillen für Schweine studierten
neuerdings Uhlenhuth, Hübener, Xylander und B o h t z ^).
Sie fanden, daß bei 60® abgetötete Bazillenleiber intravenös eingespritzt
Tiere unter ähnlichen Erscheinungen, d. h. namentlich mit hämorrhagisch-
diphtherischen Veränderungen im Dickdarm erkranken ließen, als lebende
Bazillen. Eigentümlich sind diese Wirkungen aber nicht, denn Bac. enteri-
ditis, B. coh, dysenteriae (und schließlich das filtrierbare Virus der eigent-
lichen Schweinepest) verursachten ähnliche Erscheinungen, die der Endo-
toxinvergiftung der Fleischfresser ähneln (S. 914).
Hitzeempfindliche Giftstoffe haben ferner Kraus und v. S t e -
n i t z e r •) aus manchen Paratyphus-, Mäusetyphus- und Schweinepest-
kulturen gewonnen. Sie sollen dem Typhusgifte derselben Forscher (S. 939)
ähnlich sein und auch von den Typhusantitoxinen neutralisiert werden.
Bisher ist es sonst noch nicht gelungen, Tiere gegen die Gifte der Para-
1) Annal. Pasteur 1890.
2) Ebenda 1892.
3) Ebenda 1895.
4) Zentr. Bakt. 43, 1907.
5) Arbeit, d. Gesundheitsamts 30. 69, 1909.
6) Wien. klin. Woch. 1907. 25.
944 Kap. XVI, § 287 u. 288.
typhusgruppe, z. B. des Bac. enteritidis^) oder suipestifer') zu inuiiuni-
nieren. Die wiederholt geimpften Tiere erwiesen sich V o g e s sogar "wider-
standsloser gegen das Gift des Suipestifer als normale.
Die Vergiftung von Tieren und Menschen durch die Bazillen der
Paratyphusgruppe ähnelt in vielen Beziehungen der durch den Typhus-
bazillus (§ 286). Doch treten, wenigstens bei den kleinen Versuchstieren,
wenn der Tod nicht zu schnell erfolgt, bei der Paratyphusvergiftung häufig
noch spezifische S3m[iptome hervor, nämlich Lähmungen *), die an
den Hinterbeinen anfangen, auch Krämpfe luid in den inneren Organen,
besonders der Leber, herdförmige Gewebsne kr o s e n. Die
letzteren Veränderungen, die beim Typhus auch nicht ganz fehlen, bei
der (bazillären) Hogcholera bedeutenden Umfang erreichen, verdanken
nicht etwa Gefäßverstopfungen durch Bakterien ihren Ursprung, sondern
sind Wirkungen des gelösten Giftes*).
§ 288. Gifte des Colibazillus. Die Gifte des Bac. coli
communis oder vielmehr der ganzen hierher gehörigen großen
Gruppe verwandter Bakterien (einschl. des.Bac aerogenes, pneumoniae,
der Eapselbazillen usw.) sind bisher nur wenig studiert worden. Was
man davon weiß, entspricht im allgemeinen der Schilderung, die wir
von dem Gifte des Typ'iusbazillus entworfen haben. Doch werden
wohl Unterschiede vorl: )mmen. Nach Sanarelli^) wären die
Wirkungen des B. coli au. den Verdauungskanal — vom Blute aus —
lange nicht so heftig, als die des Typhusbazillas. Nach Celli*) sollen
die Abarten des B. coli je nach ihrem Ursprung verschiedene toxische
Wirkungen auf den Darm der Feischfresser (Hunde und Katzen) hervor-
rufen: der Bac. coli der Pflanzenfresser soll ihn gar nicht beeinflussen,
der des Menschen blutige Entzündimgen im Dünndarm, der von Dysen-
teriefällen und aus dem Darm junger Katzen stammende „Bac. coli
dysentericus« ebensolche im Dickdarm verursachen.
1) Fischer a. a. O.
2) Seiander, Voges a. a. O.
3) Auch von Citren bei Immunisierungen mit Schweinepest be-
obachtet (Zeitschr. Hyg. 53, 545).
4) Vgl. z. B. Fischer a. a. O., S. 478. Boxmayer ( Joiim. of
raedic. research. 1903) und Mallory (Journ. of experim. medic. 1903)
erklären sie teils durch Verklumpung einzelner großer Zellen, die phago-
zytäre Eigenschaften besitzen sollen, über deren Herkunft aber Zweifel
bestehen, teils durch hyaline Thromben aus roten Blutkörpem, teils durch
unmittelbare Veränderungen der Leberzellen durch das Gift, während e«
fraglich sei, ob hyaline Entartung der Kapillaren allein Nekros^i machen
könne. Über entsprechende Veränderungen durch das Diphtheriegift vgl.
Welch und Flexner, John Hopk. Hosp. Bull. 1891, Nr. 15 und
Babes Baumg. Jahresb. 1891. 231. S. auch § 318 imd Infektionslehre.
5) Annal. Fast. 1894. 38.
6) Annali d'igiene sperim. 1896 vgl. auch Valenti, ZenU^lbl.
Bakt. 25, C e 1 1 i in der Leyden-Festschrift 1, 1900, Valagussa, Annali
d'igien. 1900.
Gifte der Kleinweeen. 945
XHe Wirkung des GifteB tritt ein nach Einspritzung in den Mast-
u:m, unter die Haut oder ins Blut, nicht nach Fütterung oder Einführung
s Duodenum. Das Gift läßt sich aus dem Filtrat 3 — 12 tägiger Bouillon-
ilturen. durch Fällung mit 2 Teilen Alkohol oder durch Extraktion der
if Agar gewachsenen Leiber mit Iprozentiger Natronlauge gewinnen.
) mg des trockenen Niederschlags^), entsprechend ungefähr 10 ccm Fil-
■^at, toteti junge Kätzchen von der Subkutis aus. Auch das Blut von
ysenteriekranken oder an der Vergiftung gestorbenen Katzen soll das Gift
ithalten. Durch Temperaturen über 80" soll es zerstört werden. Sehr
npfindlich ist der Esel gegen das Celli sehe Gift. Er läßt sich aber
äran gewöhnen und liefert schließlich ein Serum, das auch am ruhrkranken
Menschen anti toxische Eigenschaften entfalten soll (Celli imd V a 1 a -
u s s a).
Die Angaben C e 1 1 i s verlieren an Wert durch die Feststellung,
aß alle mögliclien anderen Leibesgifte von Bakterien bei Fleisch-
'essem ganz ähnlich wirken, wie das des B. coli dysentericus. Schon
1 u y 1 8 (S. 931, Anm. 1) erzeugte mit reinem Choleri^fte bei Hunden
ämorrhagische Darmentzündungen, die sich vorwiegend im Dick-
larm, daneben aber auch im obersten Teil des Dünndarms lokalisierten,
nd hebt ausdrücklich hervor, daß das Gift^des gewöhnlichen Coli-
»azilliis die gleichen Eigenschaften habe. Wir^ 'haben dann die Sache
reiter studiert imd mit vielen anderen Bakteriengiften die gleichen
Ergebnisse gehabt (S. 914). Es handelt sich offenbar bei den einzelnen
Bakterien nur um quantitative Unterschiede. Auch die Wirkung auf
.ndere Tiere (Meerschweinchen und Kaninchen) ist nach S 1 u y t s
mm Cholera- und Colibazillengift die gleiche. Nur überwiegt bei den
Pflanzenfressern die Veränderung des Dünndarms.
Neuerdings haben Carega, Vaughan und W h e e 1 e r aus
'olibazillen Gifte mit besonderen Eigentümlichkeiten dargestellt,
Iber die das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Nach Carega*) erhält man durch Eindicken 12 tägiger Bouillon-
culturen bei 45®, Niederschlagen mit Alkohol und Ausziehen des Nieder-
ichlags mit 0,5 prozentiger Natronlauge ein lösliches, durch Essigsäure
ällbares „Nukleoalbumin" imd ein unlösliches ,, Nuklein". Das erstere
'ötet in Gaben von 0,02 g auf d&a kg Kaninchen binnen wenigen
^linuten vom Blute aus und ist kochfest, das zweite tötet ebenso
'chnell in Gaben von 0,06 — 0,15, wird aber durch Kochen zerstört. Nach
Vaughan und Wheeler *) bewirken die abgetöteten getrockneten
Mid mit Alkohol und Äther entfetteten Leiber der Colibazillen bei Meor-
ichweinchen vom Bauchfell aus in Gaben von 5 — 10 mg schnellen Tod
inter den Erscheinimgen einer blutigen Peritonitis und einem Temperatur-
1) Nach Valagussa (s. o.) waren 100 — 500 mg nötig.
2) Zentr. Bakt. 34, 1903.
3) Joum. americ. medic. association 1905; Journ. of medic. research
^^05 vgl. Bull. Paflteur 1905. 841 u. 1906, 576.
Kruse, Mikrobiologie. 60
946 Kap. XVI, § 288 u. 289.
abfall, der nach einer Wartezeit von 4 Stunden eintreten soll. Aus diesem
in Wasser unlösliohen Bazillenpulver erhält man ein in Wasser und Alkohol
lösliches Gift dadurch, daß man es mit einer 2 prozentigen Lösung von
Natriumhydroxyd in absolutem Alkohol auskocht und dann mit Salzsäure
neutralisiert. Dies Gift tötet Meerschweinchen schon in 8 — 10 mal kleineren
Gaben und binnen einer Stunde, also fast ohne Wartezeit, unterKrämp-
fen durch Stillegung der Atmung und verursacht keine
Peritonitis, ist also dem ursprünglichen Coligift unähnlich. Dor Rück-
stand ist in Wasser löslich, aber ungiftig. Ganz ähnliche Erfahrungen
machten nun aber V a u g h a n und Wheeler^), wenn sie Eiweiß
u. dgl. einer ähnlichen Behandlung unterwarfen; auch aus diesen an sich
ungiftigen Körpern ließ sich ein alkohollösliches Gift mit
gleichen Eigenschaften, wie sie ihr Coligift besaß, und ein ungiftiger Rück-
stand gewinnen. Diese Ergebnisse beweisen luiseres Erachtens in erster
Linie, wie vorsichtig man sein muß, wenn man eingreifende Methoden
zur Darstellung von Giften anwendet. Sie sind aber auch dazu benutzt
worden, die Frage der sog. Überempfindlichkeit zu klären.
Die Krankheitserscheinungen, welche die mit alkalischem Alkohol
aus Bakterien- und Eiweißstoffen erhaltenen Gifte verursachen, stimmen
nämlich überein mit dem Vergiftungsbilde beim überempfindlichen Tier.
N i c o 1 1 e •) hat, wie wir weiter unten (§ 344) sehen werden, darauf
eine Theorie der Überempfindlichkeit gegründet. Die bei der Behandlung
von Tieren 'mit Giften oder Eiweißkörpern entstehenden Antikörper
(„Toxine-" und „Albuminolysine") sollen nämlich das von Vaughan
gefiuidene akute Gift erzeugen. Über eine von Friedberger auf eigene
Versuche gestützte Abänderung dieser Theorie s. a. a. O.
§ 289. Ruhrgifte. Die Giftigkeit der echtenRuhrbazil-
1 e n fällt jedem, der versucht, Tiere mit ihnen zu immunisieren, auf:
die meist benutzten Kaninchen vertragen die Behandlimg besonders
schlecht, imd auch Pferde oder Esel reagieren schon auf Bruchteile
von Agarkulturen, die bei 60° sterilisiert sind, sehr stark, ja gingen
uns sogar einige Male schon in der ersten Zeit der Behandlung zu-
grunde. Die nähere Prüfung der Giftstoffe hat verwickelte Verhältnisse
aufgedeckt.
C o n r a d i ') war der erste, der nachwies, daß abgetötete Rulir-
bazillen oder ihre durch Autolyse erhaltenen Stoffe Kaninchen nach Ein-
spritzimgen ins Blut unter charakteristischen Vergiftungserscheinimgen.
luiter denen namentlich Lähmungen und blutige Entzün-
dungen im Blinddarm und Dickdarm hervortreten, töt^n.
N e i ß e r und S h i g a *) erhielten dasselbe Bild mit Giften, die sie diircli
mehrtägigen Aufenthalt auf 60® erhitzter Bazillen bei 37® aus diesen auf-
gezogen hatten, nach ähnlichem Verfahren auch Vaillard und D o p -
1) Journ. of infect. diseases 1907; Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 1, IW-
2) Annal. Fast. 1908. 1—3.
3) Deutsch, med. Woch. 1903. 2, vgl. auch v. Dr i galski in der
Veröffentl. aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens H. 20, 1902.
4) Ebenda 1903. 4.
Gifte der Klein wesen. 947
>r^), Flexner und Sweet*), während Rosenthal*), Todd*),
raus und Dörr *) mit Filtraten älterer Kulturen in alkalischer Boml-
Q, L ü d k e ') mit dem Safte getrockneter, in flüssiger Luft zerriebener
»Zilien, Besredka') mit der beim Tjrphusbazillus (S. 938) be-
hriebenen Serum-Extri^tionsmethode, Kraus und Dörr durch ein-
ches AuBT^aschen der Bazillen mit Kochsalzlösung, K i k u c h i *) ,
1 e X n e r und Sweet durch keimfrei zentrifugierte Exsudate aus der
»uehhöhie infizierter Meerschweinchen Erfolg hatten.
Vergleichende Versuche von bedeutendem Umfange, die diese Be-
nde im 'wesentlichen bestätigten und erweiterten, wurden außer von
ö r r , von Kolle, Heller und deMestral*), E. Schotte-
ns^^), sowie von mir^^) und meinen Mitarbeitern, namentlich Selter^*)
igestellt. Als bestes und einfachstes Verfahren zur
ewinnung des für Kaninchen tödlichen Giftes be-
ährte sich uns die Ausschleuderung der 2 Stunden
ang bei 60 — 65° erhitzten Bazillenaufschwemmung
1 wenig Kochsalzlösung (1 Agarkultur auf 0,5 ccm). Von diesem
ixtrakt tötete durchschnittlich ^/^o — ^/4o Agarkultur, entsprechend 1 mg
Züchter Bazillen, bei manchen Stämmen war mehr erforderlich, bei einigen
enügte weniger, selbst der 30. Teil der genannten Gabe (0,03 mg, d. h.
twa 0,003 des trockenen Extraktes). Durch wiederholte und längere Er-
itzung bei 60* wird das Gift den Bazillen zum grösten Teil entzogen,
s ist also zwar eui „Endotoxin*', aber lockerer gebunden als z. B. das
"holeragift. Autolyse, oder Ausschütteln der Bazillen in Wasser ergeben
weniger kräftiger Gifte, aber die Filtration 2 — 3 Wochen alter stark alkä-
ischer Bouillonkulturen solche von ähnlicher Wirksamkeit. Man könnte
aber ebensogut von einem „Ektotoxine" sprechen.
Die wichtigsten und allein beständigen Erscheiniuigen beim Kaninchen
►«stehen in Lähmungen, die von hinten nach vorn schreiten und in Tagen
•der Wochen unter Hinzutreten klonischer Krämpfe zum Tode führen.
*^'ur in einem Teil der Fälle — nach unseren eigenen Beobachtimgen ziem-
ich selten, nach anderen häufiger (bis zu 33%^*)) — meldet sich die oben
'rwähnte hämorrhagische Typhlitis. Subkutane Einverleibung tötet
•Kaninchen viel weniger sicher und gewöhnlich erst in größeren Gaben. Von
1) Annal. Pasteur 1903.
2) Joum. of experim. med. 1906.
3) Deutsch, med. Woch. 1904. 7.
4) Joum. of hyg. 1904.
5) Wien. klin. Woch. 1905, 7 und 42; Zeitschr. f. Hyg. 55, 1906; vgl.
mch Dörr, Das Dysenterietoxin 1907 mit Lit.
6) Zentr. Bakt. 38, 1905.
7) Annal. Pasteur 1906.
8) Arch. f. Hyg. 52, 1905.
9) Arbeiten des Instit. f. Infekt. Bern 1908; vgl. Zentr. Bakt. Ref.
(2. Bd. Beilage S. 30.
10) Med. Klinik 1908. 32.
11) Deutsch, med. Woch. 1907. 9. Verh. Naturf. Gesellsch. Köhx
1908, n. 2, 670.
12) Zeitschr. f. Immunitätsforschg; 5, 1910.
13) Ob diese Schwankungen davon abhängen, daß gewisse Bestand-
teile der Gifte veränderlich sind, stellt dahin.
60*
948 Kap. XVI, § 289.
der Dannoberfläche aus wirken selbst nach unmittelbarer Einspritzung
in den Dünndarm größte Mengen nicht. Den nervösen Erscheinungpn
liegt eine Poliomyelitis anterior (D o p t e r i) , Dörr) zugrunde. Dörr
konnte aber eine besondere Verwandtschaft der Nervensubetanz zu dem
Gift ebensowenig feststellen, wie eine solche der betreff^iden Abschnitte
der Darmwand. F 1 e x n e r und Sweet sowie Dörr nehmen zur Er-
klärung der Entzündung des Darms an, daß durch ihn das Gift a u s >
geschieden werde, die ersteren, daß auch die Leber das tue. Da&
erstere ist nicht bewiesen, das letztere durch Dörr widerlegt. Das ge-
löste Gift wird durch Hitzegrade zwischen 76 und 85* angegriffen und
schließlich, wenn auch langsamer als durch die Siedehitze, zerstört. Durch
Alkohol und andere Eiweißfällungsmittel wird es mitgerissen und kann
aus dem Niederschlag, aber nur mit Verlust, wiedergewonnen werden.
24 stündige Verdauung in Pepsinsalzsäure schädigt das Gift (Fl e x n e r
und Sweet), nicht Behandlung mit Glyzerin, Trypsin, Darmsaft oder
Galle (Dörr), wohl wieder längere Verdauung mit Trypsin (Fl exner
und Sweet, wir selbst). Die Dünndarmwand des Kaninchens, nicht die
anderer Tiere oder Darmteile, entzieht merkwürdigerweise das Gift seinen
Lösungen (D ö r r). Kaninchen sind schwer, größere Tiere, namentlich
Pferde und Esel, leicht gegen das Gift zu immunisieren, von den letzteren
erhält man dann, wie seit Rosenthal und T o d d alle Forscher fest-
gestellt haben, sehr kräftige Antitoxine imd zwcu* gleichgrültig, ob man
mit Filtrat- oder Extraktgiften behandelt.
Affen sind bei Einspritzung ins Blut für dieses hitzeempfindliche
Gift ähnlich empfänglich wie die Kaninchen, vertragen aber von der Unter-
haut aus geradezu riesige Mengen davon, ohne erheblich zu erkranken
(Dörr, Kruse und Bürgers). Woran das liegt, sind wir gerade dabei,
zu ermitteln. Esel und Pferde sind, wie oben bemerkt, auch
recht empfänglich für die giftigen Wirkiuigen der Ruhrbazillen, es wäre aber
noch festzustellen, ob sie diu-ch dasselbe Gift beeinflußt werden wie die
Kaninchen. Schafe und Ziegen sind weit unempfänglicher.
Mäuse sollen nach Kolle, Heller und de Mestral für
Versuche mit dem „Kaninchengift*' besonders brauchbar sein, wir haben
aber das Gegenteil gesehen. Meerschweinchen sind dag^en nach
übereinstimmender Angabe fast aller Forscher dc^ür so gut wie unemp-
fänglich, wie schon daraus folgt, daß imser Ruhrbazillenextrakt im ge-
kochten Zustand für sie nicht viel weniger — etwa halb so — gi/tig ist
als in ungekochtem. Außerdem bedarf man, tun Meerschweinchen zu töten,
erheblich größerer Mengen als bei Kaninchen; durchschnitthch genügt der
Extrakt von 1 bis höchstens 2 Agarkulturen, um den Tod eines 200—250 g
schweren Tieres in weniger als 24 Stimden herbeizuführen. Die Erschei-
nungen entsprochen genau den bekannten der Endotoxinvergiftung (siehe
Cholera und Typhus). Es gibt aber echte Ruhrkulturen, die für das Meer-
schweinchen noch weit ungiftiger sind. Das sind bezeichnenderweise
solche, die ihre Virulenz für diese Tiere fast völlig eingebüßt haben,
während sie umgekehrt für Kaninchen besonders giftig zu sein scheinen.
Wieder ein Beweis der völligen Verschiedenheit des Meerschweinchen-
und Kaninchengiftes.
1) Annal. Pasteur 1905.
Gifte der Klein wesen. 949
DaraoB folgt, daß in den Buhrbazillen mindestens zwei Endo-
•xine zu unterscheiden sind: das in seinen Wirkungen
urchaus eigentümliche hi t z ee mpf in dl i ch e „Kanin-
hengif t'^ und ein gewöhnliches hitzebeständiges
ndotoxin. Die nähere Prüfung hat tms aber gezeigt (vgl.
*i S e 1 1 e r) , daß dieses letztere „Meerschweinchengift^' vielleicht
ich nicht ein einheithcher Körper ist, sondern wieder in zwei Formen
iftritt, die sich mindestens durch ihr Verhalten zu unserem mit ab-
?toteten Kulturen vom Esel gewonnenen Immunserum und ihre
agleiche Löelichkeit, vielleicht aber auch durch ihre physiologischen
rirkimgen xinterscheiden. Behandelt man nämUch Meerschweinchen
dt unserem Extraktgift, so pflegen sie nur an großen Gaben in einem,
pätestens einigen Tagen zu sterben, erholen sich aber nach kleinen
raben ziemlich schnell. Verimpft man dagegen die einmal ausgezogenen
(aziUenleiber (oder die daraus neu gewonnenen Extrakte), so sterben
ie Tiere zwar an großen Gaben unter ähnlichen Erscheinimgen, er-
legen aber auch sehr viel kleineren — ebenso wie an nicht akut töd-
ichen Mengen lebender Bazillen — noch nach Tagen imd Wochen
inter starker Abmagerung. Gegen die Vergiftungen ebenso wie gegen
lie Wirkungen der durch wiederholtes Ausziehen der Leiber bei 60 — 100®
rhaltenen zweiten Extrakte schützt unser Immunserum in gewissem
Trade, während das erste Extraktgift durch dasselbe nicht beeinflußt
rird.
Auch Hunde imd andere Fleischfresser werden durch Ruhr-
»azillen vergiftet, und zwar sterben sie, wie ich mit Seiter festgestellt,
besonders nach intravenöser Darreichtmg unter dem bekannten Bilde
1er putriden Intoxikation oder der Sepsinvergiftung (S. 914), d. h.
Lach schnell einsetzenden imd vorübergehenden nervösen Erschei-
nungen (Zittern, Brechen, Kraftlosigkeit) mit blutiger Darm-
ützündung, die sich hauptsächlich in den oberen und unteren
Öarmabschnitten, oft aber auch in der ganzen Länge oder nur im
interen Teil bemerkbar macht. Andere Forscher, vor allem V a i 1 -
a r d und D o p t e r , sowie Dörr glaubten darin die spezifischen
*^irkungen des Kaninchengiftes erkennen zu sollen, aber wir erhielten
tue gleichen Veränderungen, wenn auch erst mit größeren Gaben ge-
kochter Bazillen, sowie mit vielen anderen Bakterien. Eine Verwandt-
schaft unseres Hundegiftes zum Ruhrimmunserum haben wir mit
Sicherheit nicht feststellen können.
Die Pseudodysenteriebazillen sind nur ausnahms-
weise für Kaninchen so giftig wie die Ruhrbazillen, immerhin haben
^ selber einige Fälle beobachtet, wo die charakteristischen Erschei-
^^gen am Darm auftraten, und vielleicht istVaillard und Dop-
950 Kap. XVI. § 289 u. 290.
t e r dasselbe begegnet. Im allgemeinen bedarf man aber viel größerer
Mengen, um Kaninchen zu töten, und es fehlen die bekannten Eischei-
nungen. Der regelmäßige Mangel des „Kaninchengiftes"^ bei den
Pseudodysenteriebazillen entspricht auch der von uns und anderen
gemachten Erfahrung, daß man diese Tiere leicht gegen sie immuni-
sieren kann. Gregenüber Meerschweinchen, Himden und anscheinend
auch Pferden verhalten sie sich ähnlich wie echte Dysenteriebazillen.
Es fragt sich, welche von den verschiedenen Giften der Buhr-
bazillen für die Ruhr der Menschen^) in Betracht konmaen. Aus dem
Umstände, daß die Pseudodysenteriebazillen, die des Kaninchengifts
ermangeln, beim Menschen im wesentlichen die gleichen Veränderungen
setzen wie die Dysenteriebazillen, kann man schon den Schluß ziehen,
daß das letztere Gift hier ebenso bedeutungslos ist wie für Meerschwein-
chen; auch die für die Kaninchen so wichtigen Lähmungen kommen
bei der Ruhr ja nur außerordentlich selten vor, wohl nicht häufiger
wie bei allen möglichen anderen Infektionen. Umgekehrt gleichen die
Schwächezustände, die starke Abmagerung der Ruhrkranken den Krank-
heitserscheinungen bei den Meerschweinchen, die auch in der Beziehung
dem Menschen näher stehen als die Kaninchen, daß sie der Infektion
mit Ruhrbazillen viel zugänglicher sind. Bisher ist es freilich noch bei
keinem Tier gelungen, die örtliche Infektion im Darm
wiederzuerzeugen. Da diese aber gerade das wesentlichste Merkmal
der menschlichen Erkrankung darstellt und die örtlichen Verände-
rungen in der Darmwand ausreichend erklärt, ist es ganz überflüssig,
für die letzten wieder das Darmgift des Kaninchens verantwortlich
zu machen und auch beim Menschen die Darmverändenmg auf dem
Umwege über die Blutbahn zustande kommen zu lassen.
§290. Die Gifte der hämorrhagischen Septizämien. Am
längsten bekannt ist die Giftigkeit der Bazillen der hämor-
rhagischen Septizämie*), die auch als P as teure 11a-
g r u p p e zusammengefaßt werden. Schon Pasteur*) erzielte
durch Einspritzen größerer Mengen von durch Porzellan filtrierten
Bouillonkulturen des Hühnercholerabakteriums zwar nicht den Tod,
aber deutliche Erkrankung der Hühner. V o g e s *) stellte aber erst
genauer die Bedingungen für die Giftigkeit der Kulturen dieser und
der verwandten Bazillen fest. Er fand zunächst für filtrierte Bouillon-
kulturen der Kaninchenseptizämie, daß sie Meerschweinchen vom Bauch-
1 ) Über einige Versuche mit Ruhrgift am Menschen vgl. Pfeiffer
imd Ungermann, Zentr. Bakt. 50, 1909.
2) Über ein Ptomain der Schweineeeuchebakterien vgl. S. 819.
3) Compt. rend. ac. sc. 90, 1880.
4) Zeitschr. f. Hyg. 23, 1896.
Gifte der Kleinweeen. 951
II in Gaben von 2- — 3 ccm nicht töten, so lange sie nicht älter sind
s 1 — 6 Wochen, nach einem Wachstum von 9 Wochen aber doch
idlich werden. Ganze, d. h. imfiltrierte Bouillonkultnren, die durch
hlorofonn oder Trikresol abgetötet worden, riefen schon, wenn sie nicht
?hr alt waren, und in kleineren Mengen den Tod hervor. Die Ursache
afür liegt wohl zum Teil darin, daß das Gift ursprünglich in
en B a k t e r i en 1 e i her n sitzt und daraus erst all-
lählich in Lösung übergeführt wird^).
Für ganz junge durch Chloroform abgetötete Bakterienrasen von
Li^arkulturen der einzelnen Bakterienvarietäten stellte V o g e s folgende
tufenleiter der Giftigkeit auf. Es wurden Meerschweinchen von 200 bis
?»0 g vom Bauchfell aus getötet durch:
8 — 10 mg des Bazillus der deutschen Schweineseuche (B. suisepticus)
12 „ „ „ der amerikanischen „
16 „ „ „ der Hühnercholera
20 „ „ „ Kaninchenseptizämie
40 „ „ „ der Wildseuche.
^fan sieht aus diesen erheblichen Unterschieden, daß es nicht etwa die
.^anze Masse der Bakterienleiber ist, die giftig wirkt, sondern daß das Gift
lur einen (wahrscheinlich kleinen) Bestandteil des Bakterienleibes aus-
nacht. Es werden auch hier wie bei anderen Bakterien bei einer luid der-
selben Abart je nach der Rasse Schwankungen der Giftigkeit vorkommen
v?l. Cholera, Fleischgift usw.). Das schließt aber nicht aus, daß die Giftig-
keit eine unter Umständen ziemlich beständige Eigenschaft deurstellt; so
and sie V o g e s völlig gleich bei seinen Kulturen der deutschen Schweine-
Seuche, ob er sie nun in stark abgeschwächtem oder hochinfektiösem Zu-
stand verwandte. Das Verfahren, durch welches die Abtötung der Bak-
terien bewirkt wurde, war nicht gleichgültig für ihre Giftigkeit. Am wirk-
•«amsten waren die Leiber, wenn sie durch Erhitzung auf 55 — 60®, oder
C'hloroform oder Karbolsäure abgetötet waren, die übrigen chemischen
und physikalischen Mittel (Trikresol, Toluol, Abkochen) waren bald mehr
bald weniger geeignet zur Konservierung des Giftes; der Alkohol absolutus
erwies sich am schädlichsten. Bemerkenswert ist auch für diese Endo-
toxine, daß die Siedehitze, besonderswennsienurlOMi-
nuten einwirkte, die Giftigkeit der Bazillen ver-
hältnismäßig wenig oder überhaupt nicht beein-
trächtigte*).
Es gelang V o g e s nicht, Versuchstiere gegen das Gift der hämor-
rhagischen Septizämie zu immunisieren. Die länger behandelten Tiere
1) Doch zeigt ein Vergleich der Giftmengen, die in den frischen
Bakterienleibem und in Fil traten älterer Bouillonkulturen enthalten sind,
<iaß die ersteren kleiner sind. Es scheinen also die Gifte wenigstens zum
Teil, wie bei der Diphtherie und der Bubonenpest (s. u.), erst in späteren
Gnt Wicklungsstadien der Kultiur zu entstehen. Weitere Untersuchiuigen
darüber wären erwünscht.
2) Über die ungleiche Wirksamkeit des Giftes von verschiedenen
Körperstellen aus vgl. S. 862.
952 Kap. XVI, § 290 u. 291.
wurden sogar weniger widerstandsfähig. Macfadyen^) hat durch
Verreibung der Schweineseuchebazillen bei der Temperatur der flüssigen
Luft, Behandeln mit l®/oo Kalilauge und Zentrifugieren eine Lösung er-
halten, die in Mengen von 0,1 — 0,5 ccm (1,5 mg Trockensubstanz) Meer-
schweinchen akut tötete und auch für Mäuse und Kaninchoi giftig war.
Später zeigten sich gelegentlich der Aggressin- und Immunisieningsversuche
mit Schwöineseuche und Hühnercholera auch die serösen und nament-
lich die wässerigen Extrakte dieser Bakterien giftig (C i t r o n \md Pütz
§ 319).
§ 29L Pestgifte. Der hämorrhagischen Septizämie reiht sich
die Bubonenpestan. Doch sind die Verhältnisse der Giftbildung
bei der Pest, soweit man bisher sehen kann, verwickelter. Besonders
M a r k 1 2) und K o 11 e ^) haben sich um ihr Studium verdient ge-
macht. Zunächst stimmen alle Untersucher*) darin überein, daß
frische Pestkulturen ziemlich wenig giftig sind. Am ehesten läßt
sich hier noch die Giftigkeit der Bazillenleiber nach-
weisen. Doch werden Meerschweinchen und andere Tiere bei intra-
peritonealer und Kaninchen bei intravenöser Einspritzung erst durch
etwas größere Mengen der Bazillenleiber akut getötet, als wir bei Cholera.
Typhus usw. angegeben haben.
So töteten nach Albrecht und G h o n selbst V» — Vs des 3 Stunden
bei 55® und danach 1 Stunde bei 60® sterilisierten Bakterienrasens einer
Petrischale Meerschweinchen von 260 g erst binnen einem Monat. Affen
(Macacus) vertrugen nach der deutschen Konunission 55 mg getrockneter
Pestbazillen, die entweder durch zweistündiges Erhitzen auf 51° oder ein-
stündiges Erhitzen auf 65® oder 20 stündige Einwirkung von 0,5% Phenol
oder 30 stündige Behandlung mit Chloroform abgetötet waren, d. h. 250
bis 300 mg der feuchten Bazillensubstanz bei intraperitonealer Einspritzung
ohne irgendwie erhebliche Vergiftungssymptome. Mäuse blieben nach
M a r k 1 ebenfalls gestmd, wenn ihnen etwa 1 mg der erhitzten Bcoillen-
leiber intraperitoneal einverleibt wurde, starben allerdings schon an 0,1 mg
der durch Chloroform sterilisierten Pestbazillen binnen 24 Stunden. Graue
Ratten sind nach K o 1 1 e besser zur Prüfung der Giftwirkung geeignet,
weil sie gleichmäßiger refkgieren als Mäuse und empfindlicher sind als die
übrigen Tiere. Eine Angabe über die tödliche Dosis macht er aber nicht.
Nach Lustig imd G a 1 e o 1 1 i soll das „Nukleoproteid", das man aas
den Pestbazillen durch Ausziehen mit 0,75prozentiger KaUlöeung und
Fällen mit Essig- oder Salzsäure gewinnen kann. Hatten, Mäuse luid
1) Zentr. Bakt. 43, 143, 1907.
2) Zentr. Bakt. 24, 1898 und Zeit«chr. f. Hyg. 37.
3) Festschrift für Koch 1903.
4) Yersin, Calmette und B o r r e 1 , Annal. Pasteur 1895;
Lustig imd G a 1 e o 1 1 i , Deutsch, med. Woch. 1897. 15 und 19; W er •
nicke, ref. Zentr. Bakt. 24. 859, 1898; Bericht der Deutschen Pest-
kommission (Arb. d. Gesundheitsamts 16. 300, 1899); der Österreichißclien
Pestkommission (Albrocht und G h o n , Denkschr. klin. Akad. Wi»».
nmlli.-naturw. Kl. Bd. 66, Teil III, S. 780, 1900).
Gifte der Kleinwesen. 953
vaninchen in Mengen von 1 — 8 mg der Trockensubstanz auf je 100 Körper-
rewicht töten. Doch bestimmt M a r k 1 nach derselben Methode die töd*
iche Mininoialdosis für Mäuse auf 3,5 mg der trockenen Präparate. Der
^^ßt« Teil des Giftes geht also bei dieser Art der Darstellung verloren.
kV e rn i c k e hat dagegen mit Glück versucht, das Gift aus den Bazillen-
leibem durch Glyzerin auszuziehen. Es gelang ihm, Mäuse mit 0,5 mg
i;eines Präparate zu töten. Besredka ^) konnte ebenso wie aus den
Fyphusbazillen (S. 938) das Gift aus den getrockneten Pestbazillen durch
Behandlung mit normalem Pferdeserum oder Verreiben mit Koch-
salz und Ausziehen mit Wasser gewinnen. Es soll im Gegensatz zu dem
Typhusgift Erhitzen auf 70® nicht vertragen.
Frisclie Bouillonkulturen sind nach Kollo für Ratten in
Gaben von 0,5 — 1 com tödlich, wenn sie im ganzen durch y^prozentige
Karbolsäure oder t)berschichtung mit Toluol sterilisiert sind. Ihre
Filtrate sind 5 — 10 mal weniger wirksam. Die Vergiftnmg tritt immer
erst nach einer Inkubationszeit von 6 — 8 Stunden zutage unter dem
bekannten Bilde des Kollapses ohne Krämpfe. K o 1 1 e schließt, daß
das eigentliche Festgift in den Leibern sitze und nur allmählich aus
ihnen ausgelaugt werde. Er setzt sich dadurch in Widerspruch zu
M a r k 1 , der das Pestgift für ein Sekretionsprodukt der Bakterien
ansieht. Sehrviel kräftigere Gifte erhält man näm-
lich, wenn man ältere Bouillonkulturen filtriert.
Doch sind dabei verschiedene Vorsichtsmaßregeln zu beobachten.
Zunächst ist es nicht gleichgültig, welchen Pest-
bazillenstamm man benutzt, vielleicht ein Beweis dafür,
vlaß die Feetbazillen, wie Cholera- und Typhusbazillen usw. gewisse Gifte
nur gel^entlich erzeugen, diese daher auch wohl für die natürliche In-
fektion nur geringe Bedeutung haben. Bei längerer Fortzüchtung auf
künstlichen Nährböden, insbesondere bei Bruttemperatur, kann die
Giftigkeit der Bazillen größtenteils verloren gehen, ohne daß ihre Infek-
tiosität, d. h. ihre Wirksamkeit im lebenden Zustand, dabei wesentlich
litte. Werden dergleichen Stämme aber wiederholt durch Tiere hindurch-
geschickt, so können sie wieder giftig werden. Hat man giftige Bazillen
zur Verfügung, so muß man dafür Sorge tragen, daß sie bei Zimmer-
temperatur (20®) und reichlichem Sauerstoffzutritt wach-
sen, dia Bruttemperatur und vor allem beschränkte Luftzufuhr die Bildung
des Giftes hintanhalten. Die Reaktion des Nährbodens hat viel weniger
Einfluß; nützlich erweist sich ein Zusatz von Serum zur Bouillon; am
giftigsten sind die Filtrate nach 1 — 2 Monaten. Sie töten Mäuse intra-
peritoneal schon in Mengen von 0,005 — 0,02 ccm binnen 24 Stimden,
Ratten in der 10 mal größeren Gabe. Kaninchen erliegen manchmal schon
nach intravenöser Einspritzung von Y^ — 1 ccm, Meerschweinchen erst
nach solcher von 10 ccm (intraperitoneal) in demselben Zeitraiim, doch
genügen bei Hatten, Meerschweinchen und Kaninchen schon kleinere
Giftgaben, um schleichendes Siechtum und Tod zu bewirken.
Die Krankheitserscheinungen bestehen bei der akuten Vergiftung in Tem-
1) Annal. Pasteur 1905. 7 und 1906. 4.
954 Kap. XVI, § 291 u. 292.
peraturabfall und oft lange dauernden Krämpfen, die ohne Inkubation^«-
zeit auftreten, bei der chronischen in Abmagerung, BEaarausfall und schließ-
lich ebenfalls in Krämpfen. In den Organen finden sich, namentlich bei
Ratten, Hämorrhagien und Gewebsnekrosen neben Atrophie und Ver-
f ettiuig. Nach M a r k 1 wirkt die viertelstündige Erhitzung der Filtrate
auf 70 ** auf deren Giftigkeit in verschiedener Weise. Mäuse sterben danach
überhaupt nicht mehr, die übrigen Versuchstiere später als sonst. Selbst
sehr viel größere Dosen verursachen dann keine akute Vergiftung mehr.
Aber auch schon niedrige Temperaturen (25 — 37®) schädigen das Gift
auf die Dauer. Es liegt nahe, aus dieser Tatsache auf die Bildimg x'w ei er
verschiedener Bouillongifte oder aber auf die Um^eandlung
eines primären in ein sekundäres zu schließen, welches letztere für Mäuse un-
schädlich zu sein scheint. Vielleicht hat aber K o 1 1 e recht, wenn er d a «
starke Gift, das aus älteren Bouillonkulturen ge-
wonnenwird, überhatipt nicht für ein ursprüngliches
Gift der P es t b a z i 11 en , sondern für ein nachträg-
liches Zerfallsprodukt hält. Versuche mit Autolyse von
Pestbazillen würden die Frage möglicherweise entscheiden.
Die Darstellung des Giftes der Filtrate ist bisher nur unvollkommen
gelungen. Nach M a r k 1 erhält man durch Fällung mit Alkohol ein stark
verunreinigtes Gift, das in einer Dosis von 18 mg Mäuse in 24 Stiuiden
tötet. Ammoniiunsulfat soll das Gift überhaupt nicht fällen, Zinkchlorid
einen unlöslichen Niederschlag geben. Wernicke hat allerdings aus
8 — 12 Wochen alten Kulturen, die mit 0,25% Formalin oder Toluol ab-
getötet waren, diu'ch Anunonsulfat ein trockenes Gift gewonnen, das Mäuse
in Bruchteilen eines Milligramms tötete, während das Kulturfiltrat zu
0,1 ccm giftig war.
Aus den bazillenreichen Organen von Pesttieren erhielt M a r k 1
durch Ausziehen mit Glyzerin imd Filtrieren durch Porzellan einen Aus-
zug, der Mäuse freilich erst in großen Gaben (von 0,5 ccm) vergiftete (Gly-
zerinwirkimg?). Der wässerige Auszug war unwirksam. Daß in solchen
Pesttieren ein Gift vorhanden ist, folgert Wernicke aus der- Tatsache,
daß ein Pleuraexsudat von einem pestinfizierten Meerschweinchen in der
Menge von 1 ccm Mäuse unter lange andauernden Krämpfen tötete.
Durch Behandlung mit dem Pestgift kann man, wie alle Forscher
versichern, Versuchstiere gegen dasselbe immunisieren, und zwar
am besten mit dem hitzeempfindlichen Gift. Mäuse vertragen dann z. B.
mehr als die 1000 fache Giftmenge. Das Blutserum der immunisierten
Tiere besitzt auch eine gewisse Schutzkraft gegen das Gift und zwar gegen
dets Leibesgift (B e s r e d k a) ebenso wie gegen das Sekretgift (Wernicke),
doch ist dieser Schutz nicht bedeutend und wird von K o 1 1 e sogar voll-
ständig geleugnet oder vielmehr dem Pferdeserum als solchem zugeschrieben.
Ob die Wirkiuig des Senuns beim pestkranken Menschen darauf beruht,
ist zweifelhaft.
§ 292. Milzbrandgift. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen
Bakterien ist über die Giftbildtmg beim Milzbrandbazillns bisher nichts
Sicheres bekannt, obwohl es an Bemühungen wahrlich nicht gefehlt
hat, eine solche auch bei diesen viel studierten und am längsten be-
kannten Bakterien nachzuweisen.
Gifte der Kleinwesen. 955
Vor einigen Jahren hat sich C o n r a dl ^) der Aufgabe unterzogen,
lie Frage an der Hand der neuesten Untersuchungsmethoden noch einmal
EU bearbeiten. Die Ergebnisse dieser Abhandlung sind folgende: Wenn
der Milzbrandbazillus Gifte bildet, so liegt es am nächsten, anziuiehmen,
iaß sie in den Säften des infizierten Tieres gelöst vorhanden seien. C o n -
r a d i ge^irann solches Material, indem er Meerschweinchen ins Bauchfell
impfte und das reichliche Exsudat, das sich bis ziun Tode des Tieres im
Bauchraum gebildet hatte, mit allen Vorsichtsmaßregeln sammelte und
dann durch Kieselgur oder Porzellanfilter von den Bakterien und anderen
körperlichen Bestandteilen möglichst schnell befreite. Mäuse, die 2 — 4 ccm,
Ratten, die 5 — 12 ccm der Filtrate unter die Haut gespritzt bekamen,
zeigten bis zu 2 Monaten nachher keine Krankheitserscheinungen, eben-
sowenig Meerschweinchen, die 4 — 16, Kaninchen, die 10 — 20, Hunde, die
25 ccm der Filtrate in den Bauchraum, in die Venen oder unter die Haut
gespritzt erhielten. Insbesondere die Versuche an Mäusen erscheinen
ziemlich beweiskräftig, weil die Exsudatmengen, die ihnen einverleibt
wTirden, den neunten bis fünften Teil ihres Körper-
gewichts darstellten. In den Säften der Milzbrandtiere
ließen sich also mit Hilfe der Filtration, die frei-
lich möglicherweise das Gift zurückgehalten hat
(s. u.), keine Giftstoffe nachweisen. Ebensowenig gelang
das in den Auszügen der Leber und Milz, die in der Weise hergestellt wur-
den, daß die Organe unmittelbar nach dem Tode der Tiere mit Sand und
etwas Kochsalzlösung sorgfältig verrieben und dann durch Chamberlemd-
filter unter dem Druck von 4 Atmosphären filtriert wurden. Die Tiere,
die in derselben Weise, wie oben, mit diesen Filtraten behandelt wurden,
blieben gesund. Natürlich wurde darauf geachtet, daß die Filtration eine
vollständUge war, und nicht etwa der zuerst durch das Filter gehende Teil
des Saftes zur Einspritzung benutzt. Es blieb nun noch der Einwand
übrig, daß durch die Filter der größte Teil der wirksamen Stoffe zurück-
gehalten worden sei. E. L e v y , in dessen Laboratoriiun die Conradi-
schen Versuche vorgenommen worden waren, hat diesen Einwand selbst
in Gemeinschaft mit Beckmann ') deulurch erledigt, daß er das Blut
von Kaninchen, die im Begriff waren, an Milzbrand zu sterben, gerinnen
ließ und das durch Zentrifugieren gereinigte Serum in größeren Gaben
(bis zu 43 ccm) anderen Kaninchen einspritzte. Wie bei der Schweine-
pest (S. 943) blieb jeder Erfolg aus. Demgegenüber will es kaum etwas
besagen, wenn Sauerbeck ') nach Einspritzung von großen Mengen
filtrierter Milzbrandexsudate Meerschweinchen zum Teil in ein chronisches
Biechtum versetzte. Man kann damit wenig anfangen, zumal da es sich
ja für die Versuchstiere um körperfremde Stoffe handelte, die ihnen kaum
gleichgültig sein konnten.
Durch diese Versuche sind wohl die vereinzelten Erfolge früherer
Forscher, die mit Filtraten von künstlichen Milzbrandkulturen oder Organ-
extrakten gewonnen waren, hinfällig geworden. Es lohnt sich daher nicht,
iiäher auf die diirch verschiedene chemische Verfahren erhaltenen Gift-
1) Zeitschr. f. Hyg. 31, 1899 mit Literatur; vgl. auch Sobern-
^ e i m im Handb. path. Mikr. v. Kolle-Wassormann 1, 1903.
2) Zentr. Bakt. 43, 1907.
3) Zeitschr. f. Hyg. 56, 25, 1907.
956 Kap. XVI, § 292 u. 293.
Präparate (Toxalbumine, Ptomaine usw.) einzugehen. Zum Überfluß hat
sich C o n r a di die vergebliche Mühe gemacht, aus der zerriebenen Milz
und Leber von Milzbrandtieren nach dem Vorgang von B r i e g e r und
Fränkel (S. 824) Gifte zu gewinnen. Auch wenn er die Organe nicht
vorher filtrierte, sondern nach dem Verfahren von M a r m i e r erst mit
42% Alkohol von der Hauptmenge der Eiweißstoffe befreite und die übrig
bleibende Lösung mit Alkohol absolutus fällte, erhielt er keine Präparate,
die in dem Verhältnis von 0,2 — 2,2% zum Körpergewicht giftig gewesen
wären. Noch weniger wea von der Wiederholung des von M e t s c h n i -
k o f f und R o u X (vgl. S. 926) vorgeschlagenen Versuchs, die Bildung
von löslichen Giften durch Kultur der Bakterien in Kollodium- oder
Schilfsäckchen, die in den Bauchraum der Tiere eingebracht wurd^i, nach-
zuweisen. Die Giftmenge, die durch diese Membran hindurch diffondieren
könnte, würde ja gerade bei einer Krankheit, die wie der Milzbrand meist
erst bei massenhaftem Wachstum der Erreger im Körper tötet (vgl. übrigens
Schweinepest S. 943), nicht ausreichend sein, um erhebliche Krankheits-
erscheinungen zu veranlassen. 0 o n r a d i hatte demnach auch mit eine^
großen Zahl von derartigen Experimenten an Meerschweinchen, Kaninchen
und Hunden keine Erfolge.
Es mußte noch die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, daß die
Milzbrandbazillen in ihrem Leibe selbst giftige Stoffe enthalten.
Allerdings hatten schon frühere Forscher gefunden, daß MilzbrandbazilleD,
die durch Hitze sterilisiert sind, selbst in großen Mengen wirkungslos
bleiben. So konnte der Verfasser in Gemeinschaft mit BonaduceM
Meerschweinchen 3 — 5 ganze Agarkulturen (300 — 500 mg), die
durch Kochen oder sechsstündiges Erhitzen bei 58 — 60^ abgetötet waren,
ohne Schaden in die Bauchhöhle einbringen. C o n r a d i benutzte zur Steri-
lisierung statt der Wärme Iprozentiges Formalin oder Toluol oder Tem-
peraturen von 16' unter Null, die er 110 Stunden einwirken ließ. Weder
die bazillenhaltigen Milzbrandexsudate noch Bazillenaufschwemmungen
aus asporogenen Kulturen waren so behandelt in den größten Mengen
(0,3 — 15,8% des Körpergewichts) giftig. Zum Schluß prüfte Conradi
noch die Preßsaftmethode E. Buchners. Milzbrandorgane
wurden verrieben, unter 500 Atmosphären Druck ausgepreßt und durch
Porzellan filtriert. Auch sie zeigten keine Spur von Giftigkeit.
Spätere Versuche haben allerdings gezeigt, daß sich durch stärker
eingreifende Verfahren aus Milzbrandbazillen ein Gift gewinnen läßt, das
in sehr großen Gaben tödhch wirkt. So fanden E. L e v y und P f e r s -
d o r f f *) asporogene Milzbrandrasen, die sie mit der gleichen Menge
destillierten Wassers aufschwemmten imd mit Toluol versetzt 4 Wochen
unter wiederholtem Umschütteln bei 37® stehen ließen, in Gaben von ^u
des Körpergewichts (auf die feuchte Masse berechnet) für Mäuse todlich.
Man wird denn doch zugeben müssen, daß hiemüt für die natürlichen
Verhältnisse nichts bewiesen ist. Erstens ist die Masse der Bazillen, die
den Versuchstieren einverleibt wird, etwa gleich der ihres gesamten Blut«'.
In Wirklichkeit tötet aber eine viel geringere Masse der Bazillen, selbst
wenn man bedenkt, daß manche Gefäßbezirke der Milzbrandtiere buch-
stäblich mit Bazillen vollgestopft sind. Zweitens bilden sich durch die
1) Zieglers Beitr. path. Anat. 12. 369, 1893.
2) Deutsch, med. Woch. 1902.
Gifte der Kleinwesen. 957
elbstverdauung der Bazillen nach L e v y und Pfersdorff
is den Bazillenleib em alle möglichen Stoffe neu, die sehr wohl giftig
irken könnten, z. B. aromatische Produkte (vgl. S. 808). Ähnliche Ein-
ände lassen sich erheben gegen das Verfahren von V a u g h a n ^) , das
i der Behandltmg der Bazillen mit schwefelsaurem Alkohol bestand.
icht ganz so gewaltig ist die tödliche Gabe nach einigen eigenen nicht
eröffentlichten Versuchen, wenn man die von Agarkulturen gesammelten
^>orenhaltigen) Milzbrandrasen mit destilliertem Wasser 3 Stunden lang
ei 120** auskocht (vgl. S. 916 Anm. 1). Ein weiterer Versuch ist von
> r) i d i n •) mit Hilfe von Chloroform- oder Ätherauszügen gemacht
orden. Er will dabei aiißer örtlichen Wirkimgen den Tod von Kaninchen
1 1 — 28 Tagen erhalten haben, aber nur, wenn er den Extrakt in öl auf-
elöftt ins Blut spritzte. Die Unbeständigkeit des Ausfalls seiner Versuche
rweckt, von allem anderen abgesehen, erheblichen Zweifel. D e y c k e
nd M u c h ') haben schließlich aus Milzbrandbazillen, die sie nach Trock<
ung und Entfettiuig mit Äthylamin auszogen, durch Fällung mit Essig*
äiire ein giftiges Eiweiß gewonnen. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob nicht,
vie in den obigen Versuchen, die tödliche Gabe zu groß ist, um die natür-
iche Vergiftung erklären zu können. Wenn man bedenkt, wie große Gaben
n den Versuchen von Levy, Pfersdorff und uns erst tödlich wirk-
en» begreift man nicht, wie Simon cini *) schon mit 9 mg der bei lOO*
terilisierten Bazillenleiber Erfolge haben konnte.
Man darf ans diesen vielen vefgeblichen Versuchen wohl nicht
len Schluß ziehen, daß die Milzbrandbazillen überhaupt kein Gift
bilden. Wir brauchen ein solches notwendig, um die Krankheits-
erscheinungen und den Tod bei Milzbrand zu erklären, namentlich
iueh in solchen Fällen, wo die Infektion im wesentlichen örtlich begrenzt
öleibt. Es bleibt also nichts übrig, als bessere Methoden des Giftnach-
rases zu schaffen. Wie das geschehen kann, ist freilich schwer anzu-
stehen*). Die Giftwirkungen der Milzbrandbazillen scheinen nicht
besonders charakteristischer Art zu sein, abgesehen vielleicht von dem
l^influß auf das Blut und die Blutgefäße. Hämorrhagien, aber auch
Hämolyse werden nicht selten beobachtet (§ 315).
§ 293. Rotlanfgift. Wie verhalten sich nun die Gifte anderer
"^eptizämieerreger? Bei einigen liegen die Dinge ähnlich wie beim
Milzbrand. Dahin gehört in erster Linie der Rotlauf der Schweine
md die nahe verwandte, wenn nicht mit ihr zusammenfallende Mäuse-
septizämie. Nach P e t r i und M a a ß e n ®) , V o g e s ') u. a. kann
1) Ref. Zentr. Bakt. 34.
2) Arch. m6d. experim. 1905. 706.
3) Mediz. Klin. 1908. 40.
4) Annal. d'igine sperim. 1906.
5) Vielleicht wäre der Weg, der bei den Streptokokken zum Ziel ge-
führt hat, zu erproben (s. u. S. 926).
6) Arbeit, k. Gesundheiteamt 8. 394.
7) Zeitechr. f. Hyg. 22. 533, 1896.
958 Kap. XVI, § 293 u. 294.
man Tieren riesige Mengen abgetöteter oder filtrierter Kulturen oder
Krankheitsprodukte, z. B. Mäusen bis zu 5 com und kleinen Kaninchen
bis zu 200 ccm Bouillonkultur ungestraft einspritzen.
Erst die Bazillenleiber, die durch Zentrifugierung von 300 com
Bouillonkultur gewonnen waren, töteten nach V o g e s Mäuse. P e t r i
und M a a ß e n erhielten aber auch dabei keine Erfolge, gleichgültig, ii.
welcher Weise sie die Bazillen sterilisierten. Wässerige und alkoholische
Aiiszüge von Rotlauf Organen veranlassen nach Donath ^) bei Kaninchen
Fieber und gelegentlich den Tod, während P e t r i und M a a ß e n auch
hier wieder keinen Erfolg hatten, ob sie nun frische Organe mit Glyzerin
auszogen oder den Alkoholniederschlag der Organsäfte trockneten und
mit Wasser, Kochsalz- oder Sodalösung auszogen. Die Verfasser sind nach
allen diesen fehlgeschlagenen Versuchen geneigt, die Giftigkeit der Kot-
laufbazillen auf einen anderen Stoff zurückzuführen, den sie regelmäßig
in Kulturen und sehr häufig in Rotlauf tieren nachweisen konnten, näm-
lich den Schwefelwasserstoff (S. 806). Ehe man sich dazu
verstehen kann, wird man stärkere Beweise abwarten müssen. Bekannt-
lich sind Rotlauf bazillen nicht die einzigen Bakterien, die dieses Gas bilden.
Im Dsurm entsteht es sehr häufig, kann auch von dort in das Innere d^r
Organe übergehen. Vergiftungen sind aber nur größte Ausnahmen.
Es bleibt also voriäufig nichts anderes übrig, als beim Schweine-
rotlauf wie beim Milzbrand festzustellen, daß die Bemühimgen, ein
Gift aufzufinden, bisher vergeblich gewesen sind*).
§ 294. Pneumoniegift. Etwas günstiger liegen die Dinge bei
den Pneumoniekokken (Streptoc. lanceolatus). Es will aller-
dings nicht viel sagen, daß man mit sterilisierten Kulturen oder daraus
gewonnenen Präparaten Entzündung und Fieber bewirken oder durch
wiederholte große Gaben solcher Kulturen Marasmus hervorrufen
kann, wie es vielen Autoren gelungen ist, man muß das Gift, das oft
in akutester Weise zu töten vermag, in die Hand zu bekommen suchen.
Das ist nicht leicht, solange man mit künstlichen Kxdturen der Pneumo-
kokken arbeitet.
Bouillonkulturen sind sehr wenig giftig, ob man junge oder altf
Kulturen benutzt und sie durch Filtration oder durch vorsichtiges Er-
hitzen (58 — 60°) oder durch Behandeln mit Chloroform, Phenol usw. von
lebenden Keimen befreit, oder das natürliche Absterben der Bakterien
in den Kulturen abwartet. Darin stimmen alle Beobachter*) überein: es
bedarf riesiger Mengen, um den Tod der für die Septizämie empfanglichen
Tiere herbeizufüliren. So bewirkten nach G. und F. Klemperer 30 ccm
Filtrat bei kleinen Kaninchen] nur Tage lang andauerndes Fieber und
erst 50 ccm den Tod. Nach I s s a e f f töten die frischen Bouillonfiltrato
1) Zentr. Bakt. 15. 900, 1894.
2) S. aber die Erfolge bei Streptokokken S. 926.
3) Kruse und P a n s i n i . Zeitschr. f. Hyg. 11. 344, 1891; Klem-
perer, Berl. klin. Woch. 1891. 35; Issaeff, Annal. Pastwir 1893:
Mennos, Zeitschr. f. Hxg. 25, 1897; P a n e , Zentr. Bakt. 21. 666, 1897.
Gifte der Kleinweeen. 959
selbst bei intravenöser Injektion noch nicht in Gaben, die 3,5% des Körper-
rewiehts betragen, ältere sind noch weniger wirksam. P a n e gibt aller-
iings für alte freiwillig abgestorbene Kulturen die tödliche Dosis auf 2%
ies Körpergewichts an, aber 4% unbeimpfter Bouillon sollen nach
hm schon tödlich wirken; wir können also bei solchen Mengen schon nicht
nehr sicher sagen, wieviel der giftigen Wirkung den Bakterien zuzuschreiben
st. Erhitzen über 60" setzt die Giftigkeit noch weiter herab. Nur wenig
lesteigert wird sie, wenn man der Nährbouillon Blutserum zusetzt oder die
[\okken in reinem Blutserum züchtet. So erwiesen sich nach Kruse
ind Pansini 40 ccm einer bei 60" sterilisierten Kultur in Aszitesflüssig-
ieit für Kaninchen unschädlich. Auch ' die Versuche, durch Einengiuig
größerer Kulturmengen de» Gift zu gewinnen, führten vuis nicht zum
Ziel. 150 ccm einer dreitägigen Bouillonkultur virulenter Diplokokken
wurden bei 37" unter der Luftpumpe auf den zehnten Teil eingedickt und
lann einem Kaninchen von 700 g unter die Haut gespritzt. An der Impf-
stelle bildete sich nur ein kleines Eiterknötchen, das aufbrach und sich
iteril erwies; sonst blieb das Tier gesund. Die Kultur war bemerkenswerter-
weise weder filtriert noch über 37" erhitzt worden, enthielt also auch die
Bakterienleiber, deren Masse freilich in den Pneumokokken-
kulturen viel luibedeutender ist, als in den meisten übrigen Bakterien-
kulturen- Immerhin wird man sie in diesem Versuch auf 20 — 30 mg schätzen
können. I s s a e f f hatte bei der Einengung seiner Kultur ähnliche Er-
gebnisse. Etwas giftiger erscheint das „Pneumotoxin", das die Gebrüder
Klemperer durch Fällung einer zweitägigen Bouillonkidtur mit Alkohol
erhielten. Der Niederschlag wurde in Wasser gelöst und zur einen Hälfte
einem Kaninchen von 765 g, zur anderen einem solchen von 1300 g ein-
gespritzt: nur das erste starb mit Durchfällen in 22 Stunden, es hatte
aber auch den Alkoholniederschlag von 250 g Bouillon-
kultur erhalten! F o ä. und Carbone^) stellten durch Fällen mit
Ammonsulfat aus Diplokokkenkulturen einen Giftstoff her, dem die Ver-
suchstiere erst nach längerer Zeit an Marasmus erlagen. Auf einem cuideren
Wege suchten Carnot und Fournier") das Gift zu gewinnen: sie
kultivierten die Kokken in KoUodiumsäckchen, die in ein größeres Gefäß
mit steriler Flüssigkeit eingehängt wurden. In die letztere hinein diffun-
dierten die Giftstoffe und konnten durch Einengen im luftleeren Raum
bei 22" oder Niederschlagen mit Natriumphosphat und Kalziumchlorid
erhalten werden. Ihre Wirkung soll ähnlich sein derjenigen, die lebende
Kokken im infizierten Körper entfalten. Angaben über die Giftmengen,
die in erster Linie wichtig wären, fehlen. Nach alledem war wenig Aus-
sicht Vorhemden, daß es gelingen sollte, das echte Pneumokokkengift aus
künstlichen Kulturen zu gewinnen. Jedoch glückte es Macfadyen^)
durch Verreibung der gefrorenen Pneumokokkenleiber, Be-
handeln mit IV 00 Kalilauge ein Gift zu erhalten, das lun so stärker war,
je größer die Virulenz der Kokken, namentlich für Meerschweinchen, die
durch 0,05 ccm getötet wurden. Ob die große Empfindlichkeit dieses
Giftes gegen Hitze, Chloroform usw. es erkläi*t, daß es den früheren
1) Ref. Zentralbl. f. Bakt. IQ. 223.
2) Arch. m6d. eyp6rim. 1900.
3) Zentr. Bakt. 43, 1907.
960 Kap. XVI, § 294 u. 295.
Forschem entgangen ist, steht dahin. Ebenso ist fraglich, ob das von Hey •
ro wsky*) gefiindene hämorrhagische Gift regelmäßig von den Pneu-
mokokken (und Strept. mucosus) gebildet wird. Es wurde nachgewiesen in
den Filtraten von 24 stündiger (nicht von Stägiger) Traubenzuckerbouillon.
-Die Produkte der Pneumokokken im lebenden Körper
besitzen allerdings auch nicht immer, aber doch öfters erhebliche
Giftigkeit.
So fanden z. B. die Gebrüder K 1 e m p e r e r 20 ccm eines eitrigen
metapneumonischen Pleuraexsudats vom Menschen für Kcminchen un-
schädlich. Hier war aber der Einwand möglich, daß die Gifte, weil die
Infektion schon vorher zum Stillstand gekommen war, aus dem £xBudat
verschwunden war. Darum versuchte es F. Klemperer*) mit dem
frischen Pleuraexsudat von einem Hunde und fand das in der
Tat nach Filtration durch Kieselgur noch giftig für andere Hunde. Nach
denselben beiden Forschern verhält es sich ebenso mit dem Blutserum
von infizierten Kaninchen, die sie kurz vor dem Tode entbluteten: in der
Tat töteten schon 10 — 20 ccm davon, d. h. etwa 2% des Körpergewichte,
kleine Kaninchen. Ähnliche Mengen des nur schlecht gerinnenden, 2 Sttm-
den bei 58® sterilisierten Blutes oder der ebenso behandelten Peritoneal-
exsudate von septizämischen Kaninchen sind nach I s s a e f f giftig. Nach
diesem Forscher kann man das Gift auch dadurch nachweisen, daß man
das Blut der an Septizämie gestorbenen Kaninchen mit gleichen Teilen
einer Iprozentigen leicht alkalischen Glyzerinlösung vermischt, durch Por-
zellan filtriert imd intravenös Kaninchen einspritzt. Manchmal war es dann
schon zu 1% des Körpergewichts wirksam. Man würde daraus schließen
können, daß die Tiere bei ihrem Tode an der Diplokokkenseptizamie etwa
siebenmal zuviel Gift in ihrem Blute enthalten. Kruse und P a n s i n i
suchten dieses Blutgift auf folgende Weise darzustellen. Sie entnahmen
das Blut von Kaninchen, die an der Infektion gestorben waren, unter allen
Vorsichtsmaßregeln, ließen es in dünner Schicht bei 37* trocknen und be-
wahrten es bei gewöhnlicher Temperatiu* auf, bis sie 52 g trockenes Blut
gesammelt hatten. Dieses Material wurde fein pulverisiert imd mit saurem
Alkohol einige Stimden stehen gelassen. Der alkoholische Auszug wurde
— ohne Erfolg') — auf Alkaloide verarbeitet. Das durch den Alkohol
koagulierte Blut wurde mit 100 g Chloroformwasser einige Stunden lang
bei 37® ausgezogen und unter der Luftpumpe filtriert. 6 ccm der Losung,
entsprechend 17,5 g flüssigen Blutes, riefen bei Meerschweinchen eigen-
tümliche Vergiftungserscheinungen, nämlich langdauemde Krämpfe her-
vor, während ein Kaninchen von 700 g auf dieselbe Gabe nur vorüber-
gehende Schwäche xmd Lähmimg zeigte. Leider versäumten wir, die tod-
liche Menge des Giftes für die Kaninchen zu bestimmen, weil wir den Rest
des wässerigen Blutauszuges zur reinen Darstellung des giftigen Körpers
benutzen wollten. Die FäUimg mit Alkohol ergab aber nur ein viel schwacher
wirkendes Präparat, das allerdings noch Mäuse unter Krämpfen in wenigen
Minuten tötete. Bei der Wiederholung des Versuchs mit 7,5 g frisch ge-
1) Wien. klin. Woch. 1907. 9.
2) Ar eh. experim. Path. 31, 1893.
3) B o n a r d i will allerdings sogar aus Bouillonkulturen ein sehr
giftiges Alkaloid dargestellt haben (Baumgartens Jahresb. 1889. 56).
Gifte der Kleinwesen. 961
"ockneten Blutes erhielten wir ähnliche Ergebnisse. Es lohnte sich wohl,
er Sache weiter nachzugehen.
Die bisherigen Beobachtungen sprechen nach I s s a e f f nicht dafür,
aß eine Immunisierung gegen d€ts Pneumokokkengift möglich ist; M en -
e s fand allerdings, daß das Serum von immunisierten Pferden die fieber-
regende und marasmuserzeugende Wirkung der Pneumokokkenfil träte
[?rhindere, während normales Pferdeserum nicht dazu imstande sei.
'ahingestellt soll bleiben, ob man auf ähnlichem Wege wie bei den Strepto-
ükken (s. u.), durch richtige Zusammenstellung des künstlichen Nähr-
odens, nicht ebenso gute oder noch bessere Ergebnisse erzielen könnte.
§ 295. Streptokokkengift. Widerspruchsvoller erscheinen zu-
ächst die Erfahrungen, die man mit Eiterstreptokokken (Strept.
yogenes) gemacht hat. Wahrscheinlich hängt das zum Teil damit
usammen, daß es mehr oder weniger giftige Stämme dieser Mikro-
rganismengibt, und liegt zum anderen Teil an der Wahl des Nährbodens.
Manchen Forschern^) ist es nicht gelungen, in jungen oder älteren
iltrierten Kultiuren oder den durch Hitze oder Chloroform abgetöteten
Bakterien Gifte, die mehr als örtliche Wirkungen entfalten, nachzuweisen.
i e G i a X a und P a n e spritzten z. B. einem ^Kaninchen, dfiks 1820 g
chwer war, 227 ccm einer 37 Tage alten Streptokokkenkultur ohne Erfolg
n das Blut. Ebenso unschädlich erwiesen sich nach v. Lingelsheim *)
lie bei 65" abgetöteten Leiber der Streptokokken, die den Bodensatz
ines halben Liters Bouillonkultur bildeten, für ein Kaninchen von 1000 g.
)erselbe Autor erhielt aber gelegentlich auch eine Kultur, deren F i 1 1 r a t
n Mengen von 2,5 ccm jiuige Kaninchen und Meerschweinchen vom Bauch-
ell aus schnell, häufig unter Krämpfen tötete. Man wird wohl daraus den
Schluß ziehen können, daß die Giftigkeit eine nur bestimmten Strepto-
vokken angehörige Eigenschaft sei*), Marmorek*) gibt allerdings
m, daß durch Züchtung in bestimmten Nährböden die
Giftigkeit aller Streptokokken soweit getrieben werden könne, daß ihre
ilten Filtrate in Mengen von 0,25 — 0,5 ccm Kaninchen in einigen Tagen
öten*). Er empfiehlt, sie zuerst in Blutseriun von nicht empfänglichen*)
1) Aronson, Berl. klin. Woch. 1896. 32; d e G i a x a und P a n e ,
Riforma medica 1896 (Baumgartens Jahresber.); H i 1 b e r t , Festschrift
"ür Jaff e (Deutsch. Arch. klin. Med. 1902).
2) Handb. path. Mikr. (Kolle-Wassermann) 3. 356, 1903.
3) Vgl. S. 960 die Angaben Heyrowskys über das Vorkommen
hämorrhagischen Giftes beim Strep. mucosus. Die Arbeiten Ho-
me n s und seiner Schüler über die Wirkungen der Streptokokkengifte auf
bestimmte Organe werden uns in der Infektionslehre beschäftigen. Auch
äie beziehen sich wohl auf besonders gif tige Abarten (vgl. u. Laitinen).
4) Annal. Pasteur 1896 und 1902 (auch Berl. klin. Woch. 1902. 253).
5) Kaczynski (D. Arch. klin. Med. 58, 1897) hatte einen Strepto-
kokkus in Händen, der in gewöhnlicher Bouillon ebenso starke Gifte
bildete (vgl. die Blutdruckversuche in der Infektionslehre).
6) In den Bauchraum eines immtmisierten Meerschweinchens werden
10 ccm steriler Bouillon gespritzt, die Bauchhöhle am folgenden Tage mit
Kochsalzlösung ausgewaschen und die so erhaltene Leukozytenaufschwem-
mung im Verhältnis von 1 : 3 mit dem Serum eines anderen immunisierten
Meerschweinchens vermischt.
Kruse, Mikrobiologie. 61
962 Kap. XVI, § 295 u. 296.
oder künstlich immunisierten Tieren, das mit Leukozyten derselbt^n
Tiere gemengt ist, zu kultivieren und sie dann in Bouillon mit einem
Gehalt von Leuzin und G ly kokoll ^) zu übertragen, indem er von der Er-
fahrung ausgeht, daß die Giftbildung einerseits eine gewisse Widerstands-
fähigkeit des Organismus gegen eine zu frühzeitige Überschwemmung
mit lebenden Bakterien voraussetzt, andererseits der Nährboden ein mög-
lichst lange dauerndes Wachstum gestatten müsse, wenn genügende-
Mengen des Giftes entstehen sollen. Simon *) kommt neuerdings zu einem
ähnlichen Ergebnis: die Streptokokken sollen ihr Gift besonders dami aus-
scheiden, wenn sie der Einwirkung bakterienwidriger Kräfte unterliegen:
in künsthchen Kultiu*en kann man das am besten dadurch erreichen, daU
man die Kokken imter Sauerstoffabschluß in einem Gemisch
von 2 Teilen Streptokokkenexsudat mit 1 Teil Bouillon züchtet. l>a*
Wachstum ist zwar darin nur spärlich, die Giftigkeit der Filtrate aber
keine geringe, da sie Kaninchen bei subkutaner Einspritzung in Mengen
von 2 — 7 % ccm töteten, v. Bardeleben') erhielt ebenfalls keine
Giftwirkungen mit Kultimnaterial oder auch mit Blutfiltraten von Tieren,
die an der Infektion gestorben waren. Sobald er aber Streptokokken in
eine durch Aleuronat entzündete Pleurahöhle einspritzte, wurde dies
Exsudat giftig, und zwar stärker bei Verwendung
von wenig virulenten als von virulenten Kokken.
Auch in künstlichen Nährböden, die mit Leukozyten versetzt waren, erhielt
sich dann diese Giftigkeit bis zu einem gewissen Grade. Über die Unter-
suchungen desselben Forschers, die die geriiuiungserzeugenden und zer-
störenden Wirkungen der Streptokokken auf Leukozyten und Blutköq>er
betreffen, werden wir an anderer Stelle (§ 317) sprechen.
Mehrere Forscher glauben, durch Wahl einfacherer künstlicher
Nährböden oder Verändenmg der Darstellungsmethoden Erfolge erzielen
zu können. Nach Parascandolo*) wäre schon eine 2 prozent ige
Zuokerbouillon zur Gewinnung des Giftes ebensogut geeignet \*'ie die-
Serumnüschung. Aronson*) empfiehlt neuerdings eine Pferdefleisch-
bouillon mit nur 0,1% Zucker und 0,5% Pepton und Kochsalz, auch seien
nicht die Filtrate, wohl aber die ganzen Kulturen,
die bei 70® oder diu*ch Chloroform abgetötet seien, in Mengen von 2 — 3 ccm
für Kaninchen tödlich. Die Giftigkeit der Streptokokkenleiber
konnten auch Macfad yen und R o w 1 a n d •) bestätigen, indem sie
die gut gewaschenen Streptokokken (aus Kulturen von Peptonbouillon
mit Zusatz von frischem Pferdeserum) in der schon öfter erwähnten Weise
bei der Temperatiu* der flüssigen Luft zerrieben und auspreßten. Von der
lOprozentigen Lösung des Bakteriensaftes genügte 0,1 ccm, intraperi-
toneal eingespritzt, um Meerschweinchen in wenigen Stimden zu töten.
Auch aus verhältnismäßig wonig giftigen älteren Bouillonkulturen
gelang es L a i t i n e n ') diu-ch Fällung mit Ammoniumsulfat und nacli-
1) Zu 250 g Peptonbouillon werden je 10 ccm einer Leuzinlösiin^-
(0,4 : 150 Bouillon) und einer Gly kokoll ösung (0,5 : 100 Bouillon) gesetzt.
2) Zentr. Bakt. 35, 1904.
3) Arch. f. Gynäk. 83. 62, 1907.
4) Wien, klin!^ Woch. 1897. 38/39.
5) Berl. klin. Woch. 1902. 42.
6) Zentralbl. Bakt. 35, 1904.
7) Zieglers Beitr. 25. 10, 1899.
Gifte der Kleinwesen. 963
render Dialyse, noch besser durch Aiisschütteln mit Amylalkohol
auf 500 ccm Kultur), Trocknen des danach sich oben absetzenden
laumes und Auflösen in Kochsalzlösung, kräftige Gifte zu erhalten,
Kaninchen in großen Gaben schnell, in kleinen Gaben langsam töteten
i in den einzelnen Organen (Lungen, Nerven u. a. m.) charcdcteris tische
rkiuigen entfalteten (vgl. Infektionslehre).
Auch über die Widerstandsfähigkeit des Streptokokkengiftes lauten
Angaben verschieden. Die meisten Forscher halten es für hitzeempfind-
i, doch scheint Erhitzimg auf 60 — 70" (L a i t i n e n) und selbst auf 100°
nur teilweise zu schädigen (v. Lingelshei m).
Nach Marmorek unterliegt es keinem Zweifel, daß man Tiere
en das Streptokokkengift immunisieren kann; allerdings ist die
ützende Wirkung ihres Blutserums keine erhebliche. So neutralisierten
B. 5 ccm nur eine tödliche Gabe.
Mit dem echten Gifte der Streptokokken haben anscheinend ihre
imolysine nichts zu tun ( § 312 u. 315). — Sehr wahrscheinlich sind
Streptokokken, wie die allermeisten anderen Bakterien, in den Magen-
> r m k a n a 1 eingeführt, imgif tig. Dafür spricht die Tatsache, daß
>ße Mengen von saprophy tischen (Str. lac'icus) \md tierpathogenen (Str.
.stitidis) Streptokokken in roher oder saurer Milch und Milchpräparaten
iktobazillen, Seiferts Uviolmilch) vcn Erwachsenen und Kindern ohne
tiaden genonunen werden. Der Versuch Petruschkys *), die
)mmerdiarrhöe der Säuglinge auf die Leibesgifte der
•pptokokken zurückzuführen, erscheint daher mißlungen. Ganz will-
rlich ist die Annahme dieses Forschers, diese Gifte würden durch Säuren
niiehtet und seien daher in saurer Milch unschädlich. Das ist bei
1 übrigen Endotoxinen keineswegs der Fall und würde, wenn es zuträfe,
stets die Harmlosigkeit der mit dem Magensaft in Berührung kommen-
1 Milchstreptokokken bedingen.
§ 296. Meningokokkengift. Die Giftigkeit der Meningokokken
icroc. intracellularis meningitidis) ist erst in letzter Zeit studiert
•rden. Albrecht und 6 h o n 2) geben nur ganz kurz an, daß
'■ abgetöteten Bakterienleiber, nicht die Kulturfiltrate,
i intraperitonealer Einverleibung Mäuse töten. MarkH), Plex-
' r *) , Kraus und D ö r r ^) haben das im wesentlichen bestätigt,
ch gelingt es ziemlich leicht, das Gift aus den Leibern auszuziehen,
lern man sie entweder einer kurzen Selbstverdauung mit
»luol überläßt oder mit destilliertem Wasser bzw. ^/\^^ Normalsoda-
5ung auszieht. Immerhin sind große Mengen, z. B. 25 — 50 ccm des
1) Ursache der Sommersterblichkeit der Säuglinge in der Gesund-
it 1904 und 1908 (auch Sonderabdruck bei Leineweber). Vgl. dazu die
Thandlungen der vereinigten Abt. für Kinderheilkunde und Hygiene auf
r Xaturf.-Versamml. in Königsberg 1910 mit dem Vortrage von P u p p e 1
id den Bemerkungen von Kruse (auch Zeit sehr. f. Hyg. 1911).
2) Wien. kUn. Woch. 1901. 41.
3) Zentr. Bakt. 43. 95, 1907.
4) Ebenda 43. 101.
5) Wien. kün. Woch. 1908. 1.
Ol*
964 Kap. XVI, § 296 u. 297.
Autolysats, einer Halbliterkultur nötig, um ganz junge Meerschweinchen
vom Bauchfell aus zu töten (F 1 e x n e r ). Das Immimserum vermag
zwar die doppelte tödliche Giftgabe zu neutralisieren, aber nur bei
vorheriger Einspritzung, ist also vielleicht nicht antitoxisch im eigent-
lichen Sinne (Kraus und Dörr).
§ 297. Gonokokkengif t. Ein ziemlich ähnliches Ergebnis haben
die zahlreichen Arbeiten über das Gift der nahe verwandten Gono-
kokken ergeben. Daß die Gronokokken giftig sind, kann man schon
daraus ersehen, daß ihre lebenden Kulturen, wenn sie üppig entwickelt
sind, in großen Mengen Mäuse (0,3 — 1 ccm) und Meerschweinchen
(5 — 10 ccm) ins Bauchfell eingespritzt, aber auch Kaninchen vom
Blutwege aus töten, obwohl die Kokken sich in ihnen nicht vermehren,
sondern absterben. Die nähere Untersuchung^) hat gezeigt, daß Kul-
turen, die durch Hitze von 50 — ^70® abgetötet sind, die gleiche Wirkung
zeigen, daß die Giftigkeit von Filtraten^) zuerst gering ist, aber mit
dem Alter wächst. Es macht ganz den Eindruck, daß das Gift all-
mählich aus den absterbenden Gonokokken in die Flüssigkeit diffun-
diere. Dementsprechend kann man auch die Leiber der Kokken allein
benutzen. Nach Nicolaysen töten z. B. 10 mg der gewaschenen
und getrockneten Bakterien aus einer Ttägigen Aszitesbouillon Mäuse
vom Bauchfell aus in 24 Stunden. Durch Kochen mit Wasser oder
Vio Normalnatronlauge ließ sich das Gift nicht aus den Bakterien
ausziehen, wurde aber auch nicht dadurch zerstört.
Gegen die Anschauung, daß das Gift beim Absterben der Gono-
kokken frei würde, führt de Christmas ins Feld, daß, wenn man
in einer frischen Kidtur, die nur gut färbbare Kokken enthält, die Flüssig-
keit, die kaum giftig ist, abhebt, durch neue ersetzt und dann die Kultur
bei 20^ stehen läßt, diese auch nach acht Tagen noch nicht giftig ist,
obwohl alle Kokken durch ihre mangelnde Färbbarkät sich als ab-
gestorben erweisen, de Christmas betrachtet deshalb das Gift
als Produkt der Lebenstätigkeit. Eher scheint ims aus seinen wie aus
Nicolayens Versuchen hervorzugehen, daß das Gift nur
1) de Christmas, Aimal. Pasteur 1897 und 1900; Schaff er.
Ergebn. d. allgem. Pathol. (Lubarsch-Ostertags) 2. Jahrg. 1897.
131. Nicolaysen, Zentr. Bakt. 22. 12/13, 1897; Wassermann,
Berl. klin. Woch. 1897. 32 und Zeitschr. f. Hyg. 27, 1898; Laitinen,
Zentr. Bakt. 23. 20, 1898; Moltschanoff, Münch. med. Woch. 1899.
31; Scholtz, Arch. f. Dermatol. 49, 1899; C a n t a n i , ref. Zentralbl.
Bakt. 29. 1899; Vannod, Zentr. Bakt. 44, 1907.
2) Chamberlandfilter halten die Gifte zurück, weniger Bwkefeki-
filter; e«n besten filtriert man durch Papier, das man mit etwas Talk be-
streut hat.
Gifte der Klein wesen. 965
nter bestimmten Ab s t e r b eb e dingunge n , wozu
uch die Temperatur von 37® b i s 40** gehört, frei
r i r d. Berechtigt ist dagegen vielleicht der Einwand de Christ-
1 a 3 , daß die meisten Forscher nur mit wenig giftigen Kulturen,
berhaupt nicht mit dem echten Gonokokkengift gearbeitet haben.
Nach ihm sind die gewöhnlichen Aszitesbouillonkulturen ziemlich
inwirksam; viel giftiger erweisen sich die Gonokokken, wenn man sie
1 einer Mischung von Aszitesflüssigkeit (Vi — Vs) und stark*) eingeengter
^)uilIon ohne Pepton züchtet. Die Kulturen sind am giftigsten
Ach 2 — 4 Wochen, und zwar macht es dann für den Erfolg wenig aus,
b man den Niederschlag der Kultur, der aus den Bakterienleibern besteht,
der die darüber stehende klare Flüssigkeit benutzt. Die Giftigkeit bleibe
erner unberührt durch 1 ^^stündiges Erhitzen auf 60 •, wird aber durch
Inwendun^ höherer Temperaturen stark herabgesetzt und verschwindet
wischen 75 — 80". Der Zusatz von etwas Glyzerin vermindert die Emp-
indlichkeit gegen höhere Temperatiuren. Am schönsten läßt sich nach
le Christmas die Wirksamkeit dieses Cronokokkengiftes nachweisen,
venn man es Meerschweinchen unter die Hirnhaut einbringt. Die
Operation ist bei einiger Übung sehr einfach. Mit einem kleinen Trepan
von 1 mm Durchmesser) bohrt niAn etwa 1 cm hinter den Augenhöhlen
gerade neben der Mittellinie ein Loch durch den Schädel. Eine Blutung,
iie etwa eintritt, läßt sich leicht stillen. Dann führt man das Gift diu'ch
nne Kanüle ein, die man 2 mm oberhalb der Spitze mit einem Ring ver-
^hen hat, um nicht zu tief einzudringen. Das Gonokokkengift tötet, auf
üese Weise eingeführt, Meerschweinchen schon in Mengen von 0,001 bis
XOl, während die unbeimpfte Kulturflüssigkeit ohne Schaden ertragen wird.
Die Vergiftung macht sich schon nach einigen Stimden bemerkbar: das
Tier bleibt unbewegUch, wird von kurz dauernden Krämpfen geschüttelt,
fällt auf die Seite und stirbt in 6 — 10 Stunden. Diese Angaben deChrist-
^ a s ' kann ich vollständig bestätigen. Das Gift ist auch leichter zu ge-
iv'innen, als auf einem der sonst empfohlenen Nährböden; z. B. hat mir
das Verfahren Wassermanns *) keine guten Ergebnisse geliefert;
^ninchenserum, das sich ebenfalls gut eignen soll, konunt im allgemeinen
Qicht in Betracht, weil es nur schwer in den nötigen Mengen zu erhalten
i^t. Eine stark örtHche Einwirkung zeigt das Gift an anderen Körper-
stellen, namentlich nach Christmas in der vorderen Augenkammer,
»uf Schleimhäuten fast gar nicht bei Tieren, wohl beim Menschen
(vgl. Infektionslehre).
Nach de Christmas können Tiere nicht nur durch intrazere-
brale Einspritzung kleiner Mengen, sondern ebenso durch subkutane Be-
handlimg, zu der stets viel größere Mengen nötig sind, gegen da.8 Gono-
kokkengift immunisiert werden. Das Senun der giftfesten Tiere (Ziegen)
"»U antitoxisch wirken; z. B. neutralisieren 0,6 ccm Serum 10 ccm Gift-
lösung, d. h. 5000 tödliche Dosen. Eigene nicht veröffentlichte Versuche,
vom Pferde ein antitoxisches Serum zu gewinnen, sind fehlgeschlagen.
1) Auf den vierten Teil.
2) Hämoglobinfreies Schweineserum 15 ccm + 35 Wasser +2 — 3 ccm
f'lyzerin + 0,8 g Nutrose, über der freien Flamme unter Umschütteln zu
kochen.
966 Kap. XVI, § 297 u- 298.
Neuerdings gibt V a n n o d an, das Gonokokkengift Christmas' sei
nur für Meerschweinchen giftig und eigne sich nicht zur Immunisienmg.
Dagegen sei das „Nukleoproteid" der Gronokokken, d. h. das durch Aus-
ziehen mit Alkali gewonnene Eiweiß, für Kaninchen vom Blut au-;
in Gaben von 0,05 g tödlich. Die ohne Wartezeit eintretenden Elrschei-
nungen sollen von Alkaloiden, die neben den Nukleoproteiden in den
Giften enthalten seien, abhängen. Eine Inununisierung gegen dieses Gift
sei in freilich sehr beschränktem Grade möglich.
Eine praktische Bedeutung haben wohl alle diese Angaben üher
Gonokokkengift nicht, da Allgemeinerscheinungen bei der natürlichen
Infektion meist fehlen und die örtlichen sich aus den entzündungser-
regenden Eigenschaften der Gonokokken genügend erklären.
§ 298. Staphylokokkengift. Die Giftigkeit des Staphylo-
coccuB pyogenes schwankt in weiten Grenzen. Man muß nach v. Lin-
gelsheim^) die der Eulturfiltrate, die bei weitem größer ist, und
der Staphylokokkenleiber scharf unterscheiden.
Daß die Filtrate giftig sein können, zeigten, von alteren Be
obachtungen Ribberts*) u. a. abgesehen, zuerst Courmont und
namentlich M o s n y und Marcano '). Sie konnten Kaninchen auf
dem Blutwege durch 5 — 10 ccm Filtrat virulenter Kulturen schnell töten
Gewöhnlich bedeurf man aber viel größerer Mengen, so mußte Peter-
sen*) 70 — 100 ccm einspritzen, um Wirkungen zu erzielen. Auf der anderen
Seite gelingt es nach v. Lingelsheim, die Giftigkeit so zu steigern,
daß 2 ccm eines lOtägigen Filtrats Kaninchen von 1000 g Gewicht naoh
Einspritzimg ins Blut binnen einer Stiuide, luiter die Haut in 2 — 3 Tagen
töten. Die Virulwiz*) un<J Herkunft sollen dabei eine viel geringere Rollt-
spielen als das Züchtungsverfahren, dessen Eigentümlichkeiten frei lieh
nicht näher angegeben werden. Exsudate von Tieren enthalten nach der-
selben Quelle mehr Gift als Kulturen. Vielleicht ist mit diesem Filtrst-
gif t verwandt das von Kraus und P r i b r a m •) gefundene. Sie stu-
dierten namentlich die akute Wirkung im Blute von Kaninchen, die sie
als Herzvergiftung auffeissen (über Antitoxin s. u.). Neben den allgemeinen
Vergiftungsersoheinungen bewirken die Staphylokokkenfiltrate noch eine
starke örtliche Reizung, die übrigens bei Gelegenheit der Untersuchungen
über die Ursache der Eiterung schon viel früher gefimden wurde (vgl.
S. 909), femer zerstören sie weiße Blutkörperchen, besonders die der
Kaninchen (§ 317), rote Blutkörperchen (§ 312), Nierenepithelien (§ 318).
rufen Darmerscheinungen und allgemeinen Marasmus (M o s n y und
1) Ätiologie und Therapie der Staphylokokkeninfekt. (Behring.*
Beitr. experim. Ther. 1900).
2) Vgl. § 318.
3) Semaine m^dicale 1894. 549.
4) Bruns Beitr. z. Chir. 19, 1879.
5) Nach van deVelde (La Cellule 10, 1894) wäre gar kein Unter-
schied zwischen dem Gifte virulenter und abgeschwächter Staphylokokken,
doch zeigten sich seine Gifte überhaupt sehr wenig wirksam. Für d&=
Leukozidin und Lysin der Staphylokokken scheint der Satz besser be-
wiesen zu sein,
6) Wien. klin. Woch. 1906. 17.
Gifte der ICleinweeen. 967
U a r c a n o) hervor. In welcher Beziehung dieses „Leukozidin", „Hämo-
lysin" (Staphylolysin), „Nephrotoxin" usw. zueinander und dem Haupt-
zifte stehen, ist noch nicht ganz sicher^). Für die Einheit aller dieser Gifte
ipricht, daß sie gewöhnlich und zwar in entsprechendem Verhältnis, neben-
einander gefunden werden (von Lingelsheim) imd sämtlich emp-
findlich gegen Erhitzung (56 — 60°) sind. Doch machten N e i ß e r und
VVechsberg die Beobachtung, daß Hämolysin und Leukozidin vonein-
ander unabhängig auftreten (vgl. § 317). Auch findet von Lingels-
heim, daß der Alkoholniederschlag der Filtrate diese starken örtlich
reizenden Gigenschaften noch zeigt, aber eine Einbuße an der allgemeinen
Giftigkeit und einen vollständigen Verlust seiner leukozytentötenden
Wirkung aufweist. Auch bei längerem Aufbewahren der Filtrate machen
sich ähnliche Veränderungen des Giftes bemerkbar. Eine wichtige Eigen-
schaft des Staphylokokkengiftes ist nach v. Lingelsheim, daß es
viel energischer auf Kaninchen wirkt als auf Mäuse
und Meerschweinchen. Das obenerwähnte Filtrat tötete Mäuse
erst bei intraperitonealer Einverleibung in einer Menge von 1 ccm binnen
4 Tagen und Meerschweinchen auf demselben Wege erst in Gaben von
mehr als 5 ccm. Die Giftempfindliclikeit der Mäuse, Meerschweinchen
und Kaninchen verhält sich also etwa wie 2:3: 30.
Was die Xatur des Staphylokokkenfiltratgiftes anlangt, so hat man
auch hier nach Ptomainen gesucht und glaubte sie auch teilweise entdeckt
iu haben. Doch hat Leber selbst sein „Phlogosin" (S. 820), das
übrigens aus den Staphylokokkenleibem dargestellt war, später nicht mehr
wiedergefunden, ebensowenig wiev. Lingelsheim. Letzterer Forscher
liat auch in den nach dem Verfahren von de Christmas*), sowie
von Rodet und Courmont *) aus Staphylokokkenkulturen dar-
gestellten alkohollö;ilichen Stoffen keine erhebliche Giftwirkung
nachweisen können. Daß organische Säuren, wie Ameisen-, Butter-, Bal-
driansäure, die im Stoffwechsel der Staphylokokken gebildet werden, nicht,
wie T e r n i *) es will, diese Giftigkeit bedingen können, folgt, abgesehen
davon, daß sie hitzebeständig sind, schon aus der geringen Menge, in der sie
♦entwickelt werden. Es unterliegt dagegen keinem Zweifel, daß das Gift
wenigstens zmn allergrößten Teil durch Alkohol oder Ammonsulfat aus dem
t^iltrate niedergeschlagen werden kann*). Ob es als Ferment (deChrist-
ni a 8) oder Toxalbumin (B r i e g e r und Fränkel*)) zu bezeichnen
wäre, ist aber freilich. In der Gabe von 0,04 g, in welcher nach v. Lingels-
heim bestenfalls die Alkohol fällung der Bouillonfiltrate Kaninchen von
1) Nach P. Th. Müller gibt es ferner in den älteren Filtraten (und
in den Leibern) der Staphylokokken gewisse Stoffe, die im Knochenmark
reichliche Fibrinogenbildung hervorrufen (Sitzungsber. Wien.
Akad. 114 u. 116, 1906 u. 1906), und die mindestens von den Leuko- imd
Hämolysinen verschieden sind.
2) Rech. exp6rim. sur la suppuration. Paris 1888.
3) Province m^dicale 1891. 481 und Bull. m6d. 1892. 84; Semaine
mädicale 1894. 669.
4) Rivista d'igine 1893 (Baumgartens Jahresber.).
5) Vgl. M. N e i ß e r und L i p s t e i n , Handb. pathog. Mikr.
(Kell e-Wass ermann) 3. 124, 1903.
6) Berl. klin. Woch. 1890.
968 I^p. XVT, § 298 u. 299.
1000 g tötet, wird jedenfalls der bei weitem größte Teil aus dem Gift an-j
hängenden unwirksamem Material (Eiweiß u. a.) bestehen.
Gegen das Filtratgift der Staphylokokken lassen sich Tiere auch
immunisieren (Reichel, Mosny ynd Marcano, Capmann,
Kraus luid P r i b r a m) , ebenso gegen das Leukozidin (Den y a
und vandeVeldeu. a.) und Staphylolysin (N" e i ß e r imd W e c h s -
b e r g). Die Schutzkraft tritt auch im Serum, allerdings nur gegenüber
den letzteren beiden Giften, in erheblichem Grade hervor; dabei hat sich
herausgestellt, daß dcw Staphylolj^in durch Lagern eigentümliche Ver-
änderungen erleidet, die der Toxoidbildung bei Diphtherie- tind TetaniL^-
gift entsprechen (S. 833).
Die Leibessubstanz der Staphylokokken ist nach
den meisten Forschem sehr wenig giftig.
Der Bakterienrasen von 3 — 6 dreitägigen Agarkulturen, der in
feuchtem Zustand 300 — 600 mg, im trockenen 40 — 90 mg wiegt, tötet
nach V. Lingelsheim, 25 Minuten auf 100* erhitzt, Meerschweinchen
von 300 bis 400 g vom Bauchfell aus binnen 24 Stunden unter den be-
kannten Erscheinungen des Cholerakollapses. Kaninchen und Mäuse sind
für dieses Leibesgift verhältnismäßig ebenso empfänglich wie Meerschwein-
chen, man bedarf daher riesiger Mengen, um erstere Tiere zu töten. Nach
Kutscher imd Konrich*) werden bei intravenöser Einspritzung
selbst 20 — 30 Agarkulturen auf einmal von ihnen übertragen. Wenn man
so große Mckssen den Tieren einverleiben will, muß man natürlich an die
möglicherweise eintretenden mechanischen und thermischen Schädigungen
denken: am besten ist es, man entnimmt vor der Einspritzung diesen
Tieren entsprechende Mengen Blutes und erwärmt die Injektionsflüssigkeit
auf Bluttemperatur. Man darf nicht etwa denken, daß das Leibesgift der
Staphylokokken durch die Erhitzung bis 100* stark geschwächt würde,
denn bei den Endotoxinen anderer Bakterien ist das auch nicht der Fall.
Nach V. Lingelsheim sind auch die Leiber der Staphylokokken, wenn
man sie gar nicht erhitzt, sondern nur nach der von R. Koch für die
Tuberkelbazillen vorgeschlagenen Methode durch gründliches Zerreiben
in trockenem Zustande abtötet, nicht giftiger. Auch macht es keinen Unter-
schied, ob man virulente oder wenig virulente Kokken verwendet. Be-
merkenswert ist, daß etwa 90% des dabei erhaltenen trockenen Pulvers
in Wasser löslich ist; die Lösung besitzt eine schwach alkalische Reak-
tion, wird durch Kochen nicht koaguliert, aber durch Essigsäure gefällt.
Der Niederschlag löst sich nicht in einem Überschuß von Essigsäure, wohl
in schwachen Alkalien wieder auf, aber mu* wenn er frisch ist. Einmal
getrocknet, wird die Substanz in allen Lösungsmitteln unlöslich. Die Lösung
gibt die bekannten Eiweißreaktionen, wird femer gefällt durch Alkohol,
zum Teil durch Sättigung mit Kochsalzlösung, durch Kupfer-, Blei- und
Quecksilbersalz, auch durch die basischen Anilinfarben, die sie aber im
Überschuß wieder auflösen. Das Leibesgift der Staphylokokken besitzt
auch örtlich reizende, eiterungerregende Eigenschaften, doch nicht in so
erheblichem Grade als das Filtrat, Leukozidin enthält es nur in Spuren.
Wenn man daher auch nicht leugnen kann, daß in älteren Kulturen ein
Teil dieses Giftes in Lösung gehen wird, so spielt es gegenüber dem in den
Filtraten enthaltenen Gift keine wesentliche Rolle.
1) Zeitschr. f. Hyg. 48. 260, 1904.
Gifte der Klein wesen. 969
Mit dieser schwachen Wirkung der Staphylokokkenleiber stimmt
nun freilicli nicht der Umstand zusammen, daß sich nach dem Ver-
fahren von Macfadyen xmd Rowland^) auB den Leibern der
Staphylokokken ein starkes Gift gewinnen läßt. Eine lOprozentige
Lösung des Preßsaftes tötet Meerschweinchen vom Bauchfell aus in
einer Menge von 0,3 ccm binnen 8 Stunden. Wie sich dieser Wider-
spruch löst, wäre noch auszumachen. Zu bedenken ist femer, daß die
Wertschätzung der Filtratgifte dadurch sehr beeinträchtigt wird,
daß es auch in den virulenten Kokken nicht beständig gebildet wird.
Man könnte deshalb ihre Bedeutimg für das natürliche Infektionsbild
leugnen. Allerdings haben B a i 1 und W e i 1 ^) , wie schon v. L i n -
gelsheim, auch in Staphylokokkenexsudaten giftige Wirkungen
gefunden. Es fragt sich aber wieder, ob das eine beständige Eigen-
schaft ist.
Gerade bei den Staphylokokken ist die Frage, ob die Filtratgifte
als echte Sekrete aufzufassen sind, vielleicht am ehesten zu bejahen.
Immerhin ist, wenn man sich auch auf den Standpunkt stellt, daß die
jungen Leiber die charakteristischen Gifte noch nicht enthalten, damit
noch nicht ganz sicher gestellt, daß sie Sekrete seien, denn in ganz
jungen Kulturen fehlen sie auch in den Filtraten, und wenn sie später
in den letzteren auftauchen, könnten sie ebensowohl durch die regel-
mäßig in älteren Kulturen stattfindende Entartung bzw. den Zerfall
der Leiber frei werden. Vielleicht bringen autolytische Versuche eine
Entscheidimg der Frage; allerdings leistet dem Augenschein nach zu
urteilen (§ 9) die Selbstverdauimg bei den Staphylokoken wie bei
den meisten grampositiven Bakterien viel weniger wie bei den gram-
negativen (vgl. Pestbazillen S. 954).
Von den Staphylokokken, die bei Krankheitsprozessen vorkommen,
unterscheiden sich die in der Luft, auf der normalen Haut und Schleim-
haut usw. gefundenen saprophytischen Staphylokokken dadurch, daß
sie weder Hämolysin noch Leukozidin bilden (N e i ß e r und W e c h s -
berg, Kutscher und K o n r i c h). Wahrscheinlich fehlt ihnen
überhaupt jdie Fähigkeit, Filtratgifte zu bilden, sie werden aber wohl
ein ähnliches hitzebeständiges Leibesgift erzeugen wie die pathogenen
Staphylokokken und alle anderen Bakterien.
§ 299. Pyocyaneusgifte. Der Bazillus des blauen Eiters ist
zwar beim Menschen gewöhnlich ein harmloser Schmarotzer, aber nicht
für unsere Versuchstiere. Die Giftigkeit des Bac. pyocyaneus für diese
ist ebenso lange bekannt wie seine Infektiosität. C h a r r i n ^) be-
1) Zentr. Bakt. 35, 1904.
2) Wien. klin. Woch. 1906. 14.
3) MalGMÜe pyocyanique 1889.
964 Kap. XVI, § 296 u. 297.
Autolysats, einer Halbliterkultur nötig, um ganz junge Meerschweinchen
vom Bauchfell aus zu töten (F 1 e x n e r ). Das Immimserum vermag
zwar die doppelte tödliche Giftgabe zu neutralisieren, aber nur bei
vorheriger Einspritzung, ist also vielleicht nicht antitoxisch im eigent-
lichen Sinne (Kraus und Dörr).
§ 297. Gonokokkengift. Ein ziemlich ähnliches Ergebnis haben
die zahlreichen Arbeiten über das Gift der nahe verwandten Gono-
kokken ergeben. Daß die Gonokokken giftig sind, kann man schon
daraus ersehen, daß ihre lebenden Kulturen, wenn sie üppig entwickeh
sind, in großen Mengen Mäuse (0,3 — 1 ccm) imd Meerschweinchen
(5 — 10 ccm) ins Bauchfell eingespritzt, aber auch Kaninchen vom
Blutwege aus töten, obwohl die Kokken sich in ihnen nicht vermehren,
sondern absterben. Die nähere Untersuchung^) hat gezeigt, daß Kul-
turen, die durch Hitze von 50 — ^70° abgetötet sind, die gleiche Wirkung
zeigen, daß die Giftigkeit von Filtraten^) zuerst gering ist, aber mit
dem Alter wächst. Es macht ganz den Eindruck, daß das Gift aU-
mähUch aus den absterbenden Gonokokken in die Flüssigkeit diffun-
diere. Dementsprechend kann man auch die Leiber der Kokken allein
benutzen. Nach Nicolaysen töten z. B. 10 mg der gewaschenen
und getrockneten Bakterien aus einer Ttägigen Aszitesbouillon Mäuse
vom Bauchfell aus in 24 Stunden. Durch Kochen mit Wasser oder
Vio Normalnatronlauge ließ sich das Gift nicht aus den Bakterien
ausziehen, wurde aber auch nicht dadurch zerstört.
Gegen die Anschauung, daß das Gift beim Absterben der Gono-
kokken frei würde, führt de Christmas ins Feld, daß, wenn man
in einer frischen Kultur, die nur gut färbbare Kokken enthält, die Flüssig-
keit, die kaum giftig ist, abhebt, durch neue ersetzt und dann die Kultur
bei 20^ stehen läßt, diese auch nach acht Tagen noch nicht giftig ist,
obwohl alle Kokken durch ihre mangelnde Färbbark^t sich als ab-
gestorben erweisen, de Christmas betrachtet deshalb das Gift
als Produkt der Lebenstätigkeit. Eher scheint uns aus seinen wie aus
Nicolayens Versuchen hervorzugehen, daß das Gift nur
1) deChristmas, Annal. Pasteur 1897 und 1900; S c h ä f f e r .
Ergebn. d. allgein. Pathol. (Lubarsch-Ostertags) 2. Jahrg. 1897.
131. Nicolaysen, Zentr. Bakt. 22. 12/13, 1897; Wassermann,
Berl. klin. Woch. 1897. 32 und Zeitschr. f. Hyg. 27, 1898; Laitinen,
Zentr. Bakt. 23. 20, 1898; Moltschanoff, Münch. med. Woch. 1899.
31; Scholtz, Arch. f. Dermatol. 49, 1899; Cantani, ref. Zentralbl.
Bakt. 29. 1899; Vannod, Zentr. Bakt. 44, 1907.
2) Chamberlfioidfilter halten die Gifte zurück, weniger Berkefeld-
filter; am besten filtriert man durch Papier, das man mit etwas Talk be-
streut hat.
Gifte der Klein wesen. 965
nter bestimmten Ab s t e r be b e di ngunge n , wozu
ucb die Temperatur von 37° bis 40° gehört, frei
i r d. Berechtigt ist dagegen vielleicht der Einwand de Christ-
a s , daß die meisten Forscher nur mit wenig giftigen Kulturen,
)erhatLpt nicht mit dem echten Gonokokkengift gearbeitet haben.
Nach ihm sind die gewöhnlichen Asziteebouillonkulturen ziemHch
iwirksam; viel giftiger erweisen sich die Gonokokken, wenn man sie
einer Mischung von Aszitesflüssigkeit (Vs — '/s) und stark ^) eingeengter
Duillon ohne Pepton züchtet. Die Kulturen sind am giftigsten
ich 2 — 4 Wochen, und zwar macht es dann für den Erfolg wenig aus,
) man den Niederschlag der Kultur, der aus den Bakterienleibern besteht«
ler die darüber stehende klare Flüssigkeit benutzt. Die Giftigkeit bleibt
mer unberührt durch 1 ^stündiges Erhitzen auf 60^, wird aber durch
nwendung höherer Temperaturen stark herabgesetzt und verschwindet
vischen 75 — 80®. Der Zusatz von etwas Glyzerin vermindert die Emp-
tidlichkeit gegen höhere Temperaturen. Am schönsten läßt sich nach
e Christmas die Wirksamkeit dieses Gonokokkengiftes nachweisen,
enn man es Meerschweinchen unter die Hirnhaut einbringt. Die
peration ist bei einiger Übung sehr einfach. Mit einem kleinen Trepan
• on 1 nun Durchmesser) bohrt man etwa 1 cm hinter den Augenhöhlen
erade neben der Mittellinie ein Loch durch den Schädel. Eine Blutung,
ie etwa eintritt, läßt sich leicht stillen. Dann führt man das Gift durch
ine Kanüle ein, die man 2 nun oberhalb der Spitze mit einem Ring ver-
ehen hat, lun nicht zu tief einzudringen. D€ts Gonokokkengift tötet, auf
iese Weise eingeführt, Meerschweinchen schon in Mengen von 0,001 bis
.01, während die unbeimpfte Kulturflüssigkeit ohne Schaden ertragen wird.
)ie Vergiftung macht sich schon nach einigen Stunden bemerkbar: das
'ier bleibt unbeweglich, wird von kurz dauernden Krämpfen geschüttelt,
ällt auf die Seite und stirbt in 6 — 10 Stunden. Diese Angaben deChrist-
las' kann ich vollständig bestätigen. Das Gift ist auch leichter zu ge-
winnen, als auf einem der sonst empfohlenen Nährböden; z. B. hat mir
as Verfahren Wassermanns ') keine guten Ergebnisse geliefert;
w^aninchenserum, das sich ebenfalls gut eignen soll, kommt im allgemeinen
icht in Betracht, weil es nur schwer in den nötigen Mengen zu erhalten
it. Eine stark örtliche Einwirkung zeigt das Gift an anderen Körper-
teilen, namentlich nach Christmas in der vorderen Augenkammer,
uf Schleimhäuten fast gar nicht bei Tieren, wohl beim Menschen
vgl. Infektionslehre).
Nach de Christmas können Tiere nicht nur durch intrazere-
>rale Einspritzung kleiner Mengen, sondern ebenso durch subkutane Be-
handlung, zu der stets viel größere Mengen nötig sind, gegen das Gono-
wkkengift immiuiisiert werden. Das Serum der giftfesten Tiere (Ziegen)
»11 antitoxisch wirken; z. B. neutralisieren 0,5 ccm Serum 10 ccm Gift-
ösung, d. h. 5000 tödliche Dosen. Eigene nicht veröffentlichte Versuche,
k'om Pferde ein anti toxisches Serum zu gewinnen, sind fehlgeschlagen.
1) Auf den vierten Teil.
2) Hämoglobinfreies Schweineserum 15 ccm + 35 Wasser -\-2 — 3 ccm
Glyzerin -}- 0,8 g Nutrose, über der freien Flamme unter Umschütteln zu
kochen.
966 Kap. XVI, § 297 u. 298.
Neuerdings gibt V a n n o d an» das Gonokokkengift Christmas^ sei
nur für Meerschweinchen giftig luid eigne sich nicht zur Immunisierung.
Dagegen sei das „Nukleoproteid" der Gonokokken, d. h. das durch Aus-
ziehen mit Alkali gewonnene Eiweiß, für Kaninchen vom Blut aiis
in Gaben von 0,05 g tödlich. Die ohne Wartezeit eintretenden Erschei-
nungen sollen von Alkaloiden, die neben den Nukleoproteiden in den
Giften enthalten seien, abhängen. Eine Immunisierung gegen dieses Gift
sei in freilich sehr beschränktem Grade möglich.
Eine praktische Bedeutung haben wohl alle diese Angaben über
Gonokokkengift nicht, da Allgemeinerscheinungen bei der natürlichen
Infektion meist fehlen und die örtlichen sich aus den entzündungser-
regenden Eigenschaften der Gonokokken genügend erklären.
§ 298. Staphylokokkengift. Die Giftigkeit des Staphylo-
coccus pyogenes schwankt in weiten Grenzen. Man muß nach v. Lin•
g e 1 s h e i m ^) die der Kulturfiltrate, die bei weitem größer ist, mid
der Staphylokokkenleiber scharf unterscheiden.
Daß die Filtrate giftig sein können, zeigten, von älteren Be-
obachtungen Kibberts*) u. a. abgesehen, zuerst Courmont und
namentlich M o s n y und Marcano '). Sie konnten Kaninchen auf
dem Blutwege durch 5 — 10 ccm Filtrat virulenter Kulturen schnell toten.
Gewöhnlich bedarf man aber viel größerer Mengen, so mußte Peter-
sen*) 70 — 100 ccm einspritzen, um Wirkungen zu erzielen. Auf der anderen
Seite gelingt es nach v. Lingelsheim, die Giftigkeit so zu steigern,
daß 2 ccm eines 10 tagigen Filtrats Kaninchen von 1000 g Gewicht nAch
Einspritzung ins Blut binnen einer Stunde, unter die Haut in 2 — 3 Tagen
töten. Die Virulenz*) und Herkunft sollen dabei eine viel geringere Rolle
spielen als das Züchtungsverfahren, dessen Eigentümlichkeiten freilich
nicht naher angegeben werden. Exsudate von Tieren enthalten nach der-
selben Quelle mehr Gift als Kulturen. Vielleicht ist mit diesem Filtrat-
gif t verwandt das von Kraus und P r i b r a m *) gefundene. Sie stu-
dierten namentlich die akute Wirkung im Blute von Kaninchen, die sie
als Herzvergiftung auffassen (über Antitoxin s. u.). Neben den allgemeinen
Vergiftungsersoheinungen bewirken die Staphylokokkenfiltrate noch eine
starke örtliche Reizung, die übrigens bei Gelegenheit der Untersuchungen
über die Ursache der Eiterung schon viel früher gefunden wurde (vfrl-
S. 909), femer zerstören sie weiße Blutkörperchen, besonders die der
Kaninchen (§ 317), rote Blutkörperchen (§ 312), Nierenepithelien (§ 318).
rufen Darmerscheinungen und allgemeinen Marasmus (M o s n y und
1 ) Ätiologie und Therapie der Staphylokokkeninfekt. (Behrings
Beitr. experim. Ther. 1900).
2) Vgl. § 318.
3) Semaine m6dicale 1894. 549.
4) Bruns Beitr. z. Chir. 19, 1879.
5) Nach van deVelde (La Cellule 10, 1894) wäre gar kein Unter-
schied zwischen dem Gifte virulenter und abgeschwächter Staphylokokken,
doch zeigten sich seine Gifte überhaupt sehr wenig wirksam. Für d»^
Leukozidin und Lysin der Staphylokokken scheint der Satz besser be-
wiesen zu sein.
6) Wien. klin. Woch. 1906. 17.
Gifte der KleinweBen. 967
M a r c a n o) hervor. In welcher Beziehung dieses ,,Leukozidin*\ ,,Hämo-
lysin" (Staphylolysin), „Nephrotoxin" usw. zueinander und dem Haupt-
gifte stehen, ist noch nicht ganz sicher^). Für die Einheit aller dieser Gifte
spricht, daß sie gewöhnlich und zwar in entsprechendem Verhältnis, neben-
einander gefunden werden (von Lingelsheim) imd sämtlich emp-
findlich gegen Erhitzung (55 — 60®) sind. Doch machten N e i ß e r und
Wechsberg die Beobachtung, daß Hämolysin und Leukozidin vonein-
ander unabhängig auftreten (vgl. § 317). Auch findet von Lingels-
heim, daß der Alkoholniederschlag der Filtrate diese starken örtlich
reizenden Eigenschaften noch zeigt, aber eine Einbuße an der allgemeinen
Ciiftigkeit und einen vollständigen Verlust seiner leukozytentötenden
Wirkiuig aufweist. Auch bei längerem Aufbewahren der Filtrate machen
sich ähnliche Veränderungen des Giftes bemerkbar. Eine wichtige Eigen-
i^chaf t des Staphylokokkengif tes ist nach v. Lingelsheim, daß es
viel energischer auf Kaninchen wirkt als auf Mäuse
und Meerschweinchen. De» obenerwähnte Filtrat tötete Mäuse
erst bei intraperitonealer Einverleibimg in einer Menge von 1 ccm binnen
4 Tagen imd Meerschweinchen auf demselben Wege erst in Gaben von
mehr als 5 ccm. Die Giftempfindlichkeit der Mäuse, Meerschweinchen
und Kaninchen verhält sich also etwa wie 2 : 3 : 30.
Was die Natur des Staphylokokkenfiltratgiftes anlangt, so hat man
auch hier nach Ptomainen gesucht und glaubte sie auch teilweise entdeckt
zu haben. Doch hat Leber selbst sein „Phlogosin" (S. 820), das
übrigens aus den Staphylokokkenleibem dargestellt war, später nicht mehr
wiedergefunden, ebensowenig wie v. Lingelsheim. Letzterer Forscher
hat auch in den nach dem Verfahren von de Christmas*), sowie
von Rodet imd Courmont ') aus Staphylokokkenkulturen dar-
pjeatellten alkohollödlichen Stoffen keine erhebliche Giftwirkung
nachweisen können. Daß organische Säuren, wie Ameisen-, Butter-, Bal-
driansäure, die im Stoffwechsel der Staphylokokken gebildet werden, nicht,
wie T e r n i *) es will, diese Giftigkeit bedingen können, folgt, abgesehen
davon, daß sie hitzebeständig sind, schon aus der geringen Menge, in der sie
entwickelt werden. Es unterliegt dagegen keinem Zweifel, daß das Gift
wenigstens zum allergrößten Teil durch Alkohol oder Ammonsulfat aus dem
Filtrate niedergeschlagen werden kann^). Ob es als Ferment (deChrist-
m a s) oder Toxalbumin (B r i e g e r und F r ä n k e l •)) zu bezeichnen
wäre, ist aber fraglich. InderGabevon 0,04 g, in welcher nach v. Lingels-
heim bestenfalls die Alkoholfällung der Bouillonfiltrate Kaninchen von
1) Nach P. Th. Müller gibt es ferner in den älteren Filtraten (und
in den Leibern) der Staphylokokken gewisse Stoffe, die im Knochenmark
reichliche Fibrinogenbildung hervorrufen (Sitzungsber. Wien.
Akad. 114 u. 115, 1905 u. 1906), und die mindestens von den Leuko- und
Hämolysinen verschieden sind.
2) Rech, exp^rim. sur la suppuration. Paris 1888.
3) Province m^dicale 1891. 481 und Bull. m6d. 1892. 84; Semaine
mMicale 1894. 559.
4) Rivista d'igine 1893 (Baumgartens Jahresber.).
5) Vgl. M. N e i ß e r und Lipstein, Handb. pathog. Mikr.
(Kolle- Wassermann) 3. 124, 1903.
6) Berl. klin. Woch. 1890.
974 Kap. XVI, § 300 u. 301.
krankten sie, wenn sie Stückchen davon erhielten, die einige Zeit in Bouillon
oder Milch gelegen hatten. Ihre Organe waren frei von Proteus, im Darm-
inhalt ließ er sich nachwiesen. 30 ccm einer Bouillonkultur vertrug ein
Kaninchen ohne Schaden bei Einführung in den Magen. Ein Extrakt,
der aus den Würsten mit leicht angesäuertem Wasser hergestellt war,
war umgekehrt für Kaninchen giftig, nicht für Mause und Meerschweinchen.
Wesenberg verfütterte seine aus Fleisch gewonnenen Reinkulturen
in Agar oder Milch an Mäuse, ohne mehr als vorübergehende Krankheite-
erscheinungen zu erzielen. Meyerhof hatte gar keine Erfolge bei Ver-
fütterung von Kulturen oder Proteusleichen, ebensowenig T i s s i e r
luid Gasching^), die faules Fleisch und stark zersetzte Milch jungen
Tieren, aber auch erwachsenen Menschen zur Nahrung gaben*).
Nach alledem ist die Frage, die wir oben aufgeworfen hatten,
nicht ganz einfach zu entscheiden. Weder die Gifte des Proteus noch
die lebenden Bazillen sind für den Darm des Menschen und der Tiere
unter allen Umständen schädlich, selbst dann nicht, wenn sie in großen
Mengen eingeführt werden. Wenn man femer die Tatsache erwägt, daß
der Proteus einer der am weitesten verbreiteten Mikrobien ist, der mit
allen möglichen Nahrungsmitteln sicher unzählige Male in den Darm
des Menschen hineingelangt, so wird man ihn nicht als echten In-
fektionserreger in Anspruch nehmen können. Vorläufig scheint es
am besten unseren bisherigen Erfahrungen zu entsprechen, wenn wir
annehmen, daß der Bac. proteus nur ausnahmsweise indennötigen
Mengen und mit der nötigen Virulenz behaftet
in den Magen aufgenommen wird, um sich, etwa
wie die Cholerabazillen, im Darm zu vermehren
undkrankmachendeGiftezubilden. Ob er auch unter
diesen Umständen imstande ist, beim Menschen nicht bloß in die
Schleimhaut, sondern in die inneren Organe einzudringen bzw.
in ihnen zu wachsen, ist vorläufig sehr fraglich. Bei kleinen Tieren
scheint es eher möglich. Die fertigen Gifte des Proteus werden
wohl niemals imter natürlichen Verhältnissen in solchen Mengen ge-
nommen werden, daß sie Krankheit hervorrufen können, weil sie wegen
ihrer unangenehmen äußeren Eigenschaften von vornherein zurück-
gewiesen werden. Sie würden aber auch wohh unschädlich bleiben,
weil sie wie die meisten anderen Endotoxine vom Darmepithel nicht
aufgenommen werden und die Schleimhaut nicht reizen.
Der von J ä g e r '^) als Erreger des sogenannten fieberhaften
Ikterus (der Weil sehen Krankheit) beschriebene Bac. proteus fluo-
rescens, der allerdings eine große Ähnlichkeit mit dem gewöhnlichen
Proteus hat, kann nicht ohne weiteres mit letzterem identifiziert werden.
1) Annal. Pasteur 1903. 361.
2) Vgl. auch § 188.
3) Zeitschr. f. Hyg. 12, 1892
Gifte der Kleinwesen. 975
Mindestens müßte er eine für den Menschen sehr virulente Spielart sein,
da er schon in den verhältnismäßig geringen Mengen, die mit dem
Trinkwasser oder beim Baden aufgenommen werden können, Krank-
heit bzw. Infektion erregen soll. C o n r a d i und V o g t ^) haben sich
vergebens bemüht. Gifte in den Organen und Exsudaten der von ihm
getöteten Tiere nachzuweisen.
Ebenso ist es nicht wahrscheinlich, daß die gewöhnlichen Fäidnis-
erreger die Gifte der sogenannten „Fischvergiftimg" erzeugen, sondern
soweit es nicht die gewöhnlichen Bazillen der Fleischvergiftung (§ 287)
sind, besondere Krankheitserreger der Fische*).
§ 301. Gifte Ton Heubazillen, Prodigiosus und anderen
Saprophyten, Es spricht alles dafür, daß es auch unter den sonstigen
„Saprophyten" Bakterien gibt, die imter Umständen giftig wirken
können. Das hat z. B. Wyssokowitsch^) von dem Bac. indicus,
E. Klein*) von dem Bac. prodigiosus, Sobernheim^) von dem
Bac. subtilis nachgewiesen.
In ziemlich kleinen Mengen, d. h. Vio — ^/lo Agarkultur in das Blut
von Kaninchen oder in das Bauchfell von Mereschweinchen eingespritzt,
töten lebende Aufschwemmungen dieser Bazillen die Tiere binnen 24 Stun-
den unter starker Vermehrung der Bazillen und den Vergiftungserschei-
nungen, die wir bei der Cholera und dem Typhus kennen ge'.ernt.
Es liegt daher nahe, anzunehmen, daß auch diese früher für ganz
liarmlos gehaltenen Bakterien, die gewöhnlich nur tote vegetabilische
Substanzen bewohnen, in ihren Leibern ähnliche Gifte bilden, wie die
zenannten Infektionserreger. Auch Stregulina®) kommt mit
Heubazillen zu diesem Ergebnis, doch nicht mit allen Varietäten der-
jelben. Das entspricht auch imseren eigenen Erfahrungen. Daß patho-
^ene Heubazillen vorkommen, hat übrigens schon Buchner') im
Jahre 1882 beobachtet: es waren das die bekannten Versuche, die ihn
lazu führten, eine Umwandlung des Heubazillus in Milzbrandbazillen
inzunehmen. Später haben Flügge und Lübbert®) unter 12
genauer studierten „peptonisierenden Bakterien" der Milch, d. h.
ieu- oder Kartoffelbazillen, drei gefunden, die bei V e r f ü 1 1 e r u n g
hrer Milchkultur an Tiere, namentlich junge, unter heftigen Diarrhöen
1) Ebenda 37, 1901.
2) Vgl. Konstantonoff, Arch. biol. russ. 10 ref. Bull. Pasteur
904. 871. S. auch Hof er, Handb. d. Fischkrankheiten, 1904.
3) Zeitschr. f. Hyg. 1, 1886.
4) Zentr. Bakteriol. 13. 426, 1893.
5) Hygien. Rundschau 1893. 22.
6) Zeitschr. f. Hyg. 51, 1905.
7) Nägelis „niedere Pilze" 1882. 163.
8) Zeitschr. f. Hyg. 22, 1896.
976 Kap. XVI, § 301 u. 302.
deren Tod verursachten. Bei einem dieser Bazillen ergab sich weiter,
daß schon 1 — 2 ccm der Milchkultur, die etwa 25 Millionen Keime
enthielt, vom Peritoneum aus Meerschweinchen mit Sicherheit töteten.
Allerdings waren nur die lebenden Bazillen dazu imstande, nicht
die keimfreien Filtrate der Kulturen, auch nicht die durch Chloroform
oder Hitze abgetöteten Bazillenleiber. Daß nur ein gegen alle
Eingriffe sehr empfindliches Gift in Frage kommen
konnte, wurde aber dadurch bewiesen, daß die lebenden Bazillen sich
im Körper der Versuchstiere nicht vermehrten.
W e b e r ^) hat in einer anderen größeren Versuchsreihe nur selten
— in 3 von 150 Milchproben — das Vorkommen solcher giftigen Heu-
bazillen bestätigt. Flügge ist jedoch der Ansicht, daß die Sommer-
diarrhöe (Cholera nostras) der Säuglinge zum Teil auf derartige
Gifte zurückzuführen sei. Die weite Verbreitung der Heubazillen,
die unvollkommene Entkeimung der Milch beim Kochen und die hohe
Sommertemperatur namentlich der proletarischen Wohnungen er-
klären das Aufkommen der Heubazillen in der Milch. » — Mit den starken
Wirkimgen des hier beschriebenen Subtilisgiftes hat die Wirkung,
die man mit sehr großen Gaben abgetöteter Heubazillen wohl
stets erzielen kann, nichts zu tun^). Es handelt sich hier vielmehr um
die allen Bakterien zukommenden und gerade bei den gramfesten
Bakterien wenig wirksamen Proteine oder Endotoxine (S. 915).
Für den Prodigiosus hat Bertarelli •) den Beweis der
Giftigkeit genauer geführt. Filtrate sind auch hier nur in großen Gaben
und wenn sie von alten Kulturen stammen, giftig, so töten 6 — 10 ocni
lOtägiger Kulturen des Prodigiosus in Bouillon von der Bauchhöhle aus
Meerschweinchen von 300 g in einem Tage. Die abgetöteten Bakterien-
leiber sind dagegen schon in Gaben von 1 mg wirksam. Nimmt man an,
daß damit d€bs Trockengewicht gemeint ist, so kommen wir zu nur wenig
niedrigeren tödlichen Gaben beim Prodigiosus wie beim „primären" C?holera-
und Typhusendotoxin. Nicht mit diesem starken Gift zu verwechseln ist
das „Kernpro teid", das Bertarelli selbst durch Ausziehen der Bak-
terienleiber mit Iprozentiger Sodalösung in der Kälte und Fällung mit
Essigsäure erhalten hat, und das erst in sehr viel höheren Gaben — ge-
nauere Angaben fehlen — tötet. Man könnte es dem „sekundären" Endo-
toxin R. Pfeiffers, dem Bakterienprotein Buchners und dem
Pyrotoxin Centannisan die Seite stellen. Mit Vorliebe hat man gerade
den Bac. prodigiosus zur Herstellung derartiger Präparate gewählt, aber
freilich die ursprüngliche Giftigkeit sehr herabgesetzt gefunden (§ 280).
V o g e s *) erzielte bei einem Meerschweinchen von 250 g, dem er 300 mg
1) Arb. d. k. Gesimdheitsamts 17, 1900.
2)Voges, Zeitschr. f. Hyg. 17. 475; vgl. aber Spiegel
b e r g , Jahrb. f. Kinderheilkunde 49.
3) Zentr. Bakt. 34. 3/4, 1903.
4) Zeitschr. f. Hyg. 17. 480, 1894.
Gifte der Kleinwesen. 977
eines nach Centanni hergestellten trockenen Prodigiosuspyrotoxins in
den Bauch spritzte, sehr starken Temperaturabfall. Doch erholte sich das
Tier wieder von dem Kollaps. Es wäre also das sekundäre Prodigiosusgift
mindestens 300 mal weniger wirksam als das primäre. Auf tuberkulöse
Tiere wirkt das Protein des Prodigiosus allerdings schon in einer etwas
iieringeren Gabe (160 mg Trockensubstanz) tödlich*).
Die filtrierten und noch mehr die nichtfiltrierten Prodigiosuskulturen
besitzen nach Bertarelli auch hämolytisches Vermögen ( § 312).
Über die Gifte amderer nicht oder selten pathogener Bakterien wurden
fMnige Erfahrungen bei Besprechung der Bakterienproteine mitgeteilt
(§ 280). Wenn man übrigens mit der Gabe hoch genug steigt, so kann
man mit allen Bakterienleibern schließlich den Tod der Versuchstiere
erzielen. •^'
§ 302. Influenzagift. Obwohl die Influenza eine nur selten
tödliche Krankheit ist, sind die Vergiftungserscheinungen bei ihr stark
ausgesprochen. Nach R. Pfeiffer und B e c k 2) lassen sie sich bei
einigen Tierarten wie Affen und Kaninchen wiedererzeugen.
Spritzt man ihnen die Aufschwemmung nur einer Agarkultur, ent-
sprechend einigen Milligrammen feuchter Bazillen, durch die Brustwand
in die Lunge ein, so zeigen sie ta.gelang Fieber, ebenso beim Aufstreichen
der Kultur auf die ^ äsen Schleimhaut. Drei Agarkulturen vermochten
sogar, in die Luftröhre eingebracht, einen Affen zu töten. Die Temperatur
stieg zunächst und fiel dann auf 32®, wo dann der Tod unter starkem Kräfte-
verfall eintrat. Die Bazillen erwiesen sich dabei fast sämtlich als abge-
storben, hatten also durch ihre Gifte gewirkt. Kaninchen kann man vom
Blut aus durch die gleiche Kulturmenge vergiften; die Tiere zeigen Tem-
peraturanstieg und eine höchst charakteristische Muskelschwäche.
Das Ergebnis bleibt dcisselbe, wenn man nicht lebende, sondern durch
Chloroform oder Erhitzung auf 57° abgetötete Bazillen verwendet. Bei
Einbringung in das Gehirn nach Trepanation des Schädels (vgl. das Ver-
fahren S. 965) ist die Wirkung besonders kräftig, so sterben nach C a n -
tani ') große Kaninchen bei dieser Art der Einverleibung an 3 — 6 mg
der feuchten Bakteriensubstanz binnen 1 — 3 Tagen unter Lähmungs-
orscheinungen. Bei kleineren Gaben pflegen sie sehr stark abzumagern.
Andere Tiere sind weniger empfänglich. Doch kann man nach D e 1 i u s
lind K o 1 1 e *) Meerschweinchen von 200 g von der Bauchhöhle
aus mit 10 mg bei 56® abgetöteter frischer Bazillenleiber ^) binnen 24 Stunden
töten. Die Gabe ist annähernd die gleiche wie bei den Typhus- und Cholera-
bazillen. Das Gift wird aber auch in reichlichen Mengen in flüssige Nähr-
böden abgeschieden. So führten 8 com einer filtrierten 3 — 8 tägigen Blut-
bouillon*) und 5 ccm der nicht filtrierten, sondern 2 Stunden bei 56* sterili-
1) Buchner, Münch. med. Woch. 189L 49.
2) Zeitschr. f. Hyg. 13, 1898.
3) Ebenda 23, 1896.
4) Zeitschr. f. Hyg. 24, 1897.
5) Von Agar, der mit Taubenblut gemischt, nicht bestrichen war.
6) 50 ccm Bouillon mit 0,2 — 0,5 ccm defibrinierten Taubenbluts ge-
mischt wird zum Gefrieren gebracht und nach einigen Stvmden wieder
aufgetaut.
Kruse, Mikrobiologie. 62
978 I^p. XVI, § 302—304.
sierten Bouillon den Tod herbei. Bei der leichten Zerstörbarkeit der Bazillen
(durch Selbstverdauung ?) wird man das Influenzagift aber dennoch als
ein Leibesgift auffassen dürfen, dos freilich bei empfänglichen Tieren be-
sondere Eigenschaften entwickelt. Ältere 14tägige Kulturen sind weniger
giftig, vielleicht weil das Gift durch den Luftsauerstoff allmählich zerstört
wird. In der Giftigkeit der einzelnen Kulturstänmie bestehen große Unter-
schiede. Es wäre wichtig, zu wissen, ob man auch mit den z. B. bei Masern,
Keuchhusten usw. weit verbreiteten sogenannten Pseudoinfluenza-
bazillen, d. h. hämoglobinophilen Bakterien, die bisher durch kein
durchgreifendes Merkmal von den echten Influenzabazillen zu trennen
sind, ähnliche Vergiftungen erzeugen kann.
Eine gewisse Gewöhnung gegen das Gift der Influenzabazillen tritt
bei Behandlung von Tieren ein, ihr Serum besitzt aber nach D e 1 i ii >
und K o 1 1 e nicht eine Spur von Schutzkraft.
§ 303. Keuchhusteiigift. Die AUgemeinerscheinimgen beim
Keuchhusten sind weniger ausgeprägt. Nach B o r d e t und G e n -
g o u ^) besitzen aber die von ihnen gefundenen Bazillen ziemlich
starke Giftigkeit. Man gewinnt das Gift nicht in Filtraten, sondern
als „Endotoxin" nach dem Verfahren Besredkas (S. 938) durch
Trocknen und Verreiben der Leiber mit Kochsalz. Etwa Vg des Rasens
von einer Blutagarkultur genügt, um Meerschweinehen von der Bauch-
höhle — etwa ^ — um Kaninchen von der Blutbahn aus in 24 Stunden
zu töten. Die örtlichen Erscheinungen beim Meerschweinchen bestehen
in einem hartnäckigen, in Nekrose ausgehenden hämorrhagischen
ödem. Auch im Kehlkopf des Meerschweinchens sollen ähnliche Pro-
zesse vorkommen. Die Herstellung eines antitoxischen Immunserums
gelang nicht.
§ 304. Tnberkelgif t. Über das Gift oder die Gifte der T u b e r -
kelbazillen ist zwar viel gearbeitet, aber noch kein völliges Ein-
verständnis erzielt worden. Soviel scheint allerdings sicher, daß das
Gift den Bazillen sehr fest anhaftet und nur durch
eingreifende Mittel in gr ö ß e ren M e n ge n von ihnen
getrennt werden kann, also ein „Endotoxin" ist.
Immerhin sind Spuren giftiger Wirkung auch in den Fil traten
von alten Bouillonkulturen mehrfach gefunden worden. So
spricht Pansini *) dem Kulturfiltrat eine gleiche, aber viel schwächen'
Wirkung zu wie den Bazillen selbst. Maragliano *) hat durch vor-
sichtige Eindickung der Filtrate hitzeempfindliche „Toxalbumine" erhalten,
die Meerschweinchen töten. Ledoux-Lebard *) möcht« allerdings
die geringe Giftwirkung (Fieber), die auch er beobachtete, auf die Bestand-
1) Annal. Pasteur 1909. 5.
2) Baumgartens Jalu^esber. 1894. 699.
3) Berl. klin. Woch. 1896. 35.
4) Arch. exp^r. mM. 1898. 601.
Gifte der Kleinwesen. 979
teile des Nährbodens selbst zurückführen. Es ist ja klar, daß diese bei
stärkerer Konzentration nicht gleichgültig sind. Doch bestehen Besan-
nen und G o u g e t *) , sowie F r e n k e 1 und Bronstein*) auf der
spezifischen Wirkung des Toxalbumins'). Auch B^raneck *) unter-
scheidet ein „Basitoxin'S das er durch vorsichtiges Einengen des Filtrats
möglichst alkalischer Bouillonkulturen erhielt, von dem „Azidotoxin",
einem phosphorsauren Auszug der Bazillenleiber. Ebenso gelang es R u p -
p e 1 *) in seiner gründlichen Arbeit zur Chemie der Tuberkelbazillen (vgl.
S. 68), aus dem Filtrat von 50 Liter Bouillonkultur, nachdem er sie im
Vakuum bei 30 — 40** auf den 20. Teil eingeengt hatte, auf zwei Wegen
wirksame Gifte zu gewinnen. Entweder versetzte er allmählich mit dem
doppelten Volumen absoluten Alkohols, ließ den Niederschlag absetzen,
wusch ihn mit 60% etwas kochsalzhaltigen Alkohols, schließlich mit abso-
lutem Alkohol, sammelte auf einer Nutsche vermittelst der Saugpumpe
luid trocknete im Vakuumexsikkator über Schwefelsäure. Oder er begann
damit, die eingeengte Kultur vier Tage lang gegen strömendes Wasser zu
dialysieren, engte dann wieder auf den 20. Teil ein und fällte mit absolutem
Alkohol unter Zusatz von etwas Kochsalz und Salzsäure. Die besten Prä-
parate bestehen zum großen Teil aus Deuteroalbumose, sie werden in einer
Menge von 5 bzw. 4 g aus dem Liter Kultur gewonnen und sind nach
Behring (s. u.) annähernd so giftig wie die aus den Bazillen selbst her-
gestellten Körper. Aber um gesunde Meerschweinchen zu töten, würde
man freiUch von dem ursprünglichen Filtrat ganz riesiger Mengen bedürfen.
Leider sagt R u p p e 1 nichts über die Widerstandsfähigkeit seines Filtrat-
giftes gegen Erhitzmig. Daß durch die letztere gewisse Veränderungen in
dem Tuberkelbazillenfiltrat gesetzt werden, ist wohl sicher (Speng-
ler*)), aber gerade die giftigen Bestandteile kömiten dabei weniger leiden,
als die immunisierenden. W^enigstens beruht auf dieser zunächst zweifel-
haften Annahme die Darstellung der zu Heilzwecken dienenden Tuberkel-
präparate nach Denys'), Spengler*), Landmann (s. u.).
Daß die Leiber der Tuberkelbazillen giftig sind, folgt
zunächst schon aus den zahlreichen Versuchen, die mit durch Kochen
abgetöteten Bazillen gemacht worden sind'). Nach Einspritziuig größerer
Mengen ins Blut oder in die Trachea entwickelt sich eine Art von Miliar-
tuberkulose, die sich von der echten wesentlich nur durch die mangelnde
tbertragbarkeit unterscheidet. Bei subkutaner Einverleibung toter Ba-
1) Ebenda 1901. 861.
2) Compt. rend. soc. biol. 1899, 521.
3) Vgl. unten Landmann; ferner Koppen, Zeitschr. f. Hyg.
52, 1905.
4) Compt. rend. ac. sc. 137. 889, 1903.
5) Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 1899.
6) Festschrift für Koch 1903.
7) Le bouillon filtrö du bacille de la tuberculose etc. Paris 1905.
8) Zeitschr. f. Hyg. 26, 1897; Deutsch, med. Woch. 1905. 31 und 34.
9) Wyssokowitsch, Mitteil, aus Brehmers Heilanstalt
1890; P r u d d e n , New -York med. Joiurn. 1890; S t r a u s und G a m a -
leia, Arch. exp^rim. med. 1891; Abel, Deutsch, med. W^och. 1892.
22. K o s t a n i t s c h , Arch. exp^rim. med. 1893 ; M a s u r u. K o c k e 1 ,
Zieglers Beitr. 16.
62*
980 Kap. XVI, § 304.
Zilien bekommt man hauptsächlich starke entzündungserregende
und in gewissem Grade gewebsabtötende Eigenschaften zu sehen ;
es entwickelt sich ein fibröser oder fibrös-käsiger Knoten. Daneben treten
aber auch allgemeine Vergiftungssymptome auf, vr\o
Fieber, Abmagerung und Entartung der Unterleibsorgane, die bei Ein-
verleibimg größerer Mengen zum Tode führen^). Wir haben hier also ganz
ähnliche Erscheinungen wie bei dem Infektionstode. Was die Größe d«'r
t<)dlichen Gaben anlangt, so töten nach Aronson*) z. B. getrock-
nete und entfettete Tuberkelbazillen, bei 110° abgetötet, in einer
Menge von 10 — 30 mg Meerschweinchen von mittlerer Größe in 3~H
Wochen, nach F r e n k e 1 luid Bronstein in einer Menge von 100 h\<
200 mg in 5 Tagen. Nicht unwichtig ist, daß Hühner für tote Tuberkel -
bazillen vom Menschen empfänglicher sind als für ihre eigenen, und daü
lebende Bazillen weniger schnell ihre Giftwirkung entfalten, als die gleiche
Gabe abgetöteter (P a n s i n i). Die letztere Tatsache erklärt sich wohl
aus der leichteren Resorbierbarkeit der getöteten Bakterien, die erstere
wird verständlich, wenn wir die riesigen Mengen von Bazillen«
die sich im infizierten Huhn finden, mit den viel kleineren, die sich im
infizierten Menschen finden, vergleichen. Im Blute von Meerschweinchen
entfalten übrigens auch lebende Bazillen sehr große Giftigkeit; sie töten
in Gaben von 5 — 10 mg in 6 — 8 Tagen, wahrscheinlich weil sie hier schneller
aufgelöst werden (s. u.).
Auf die verschiedenste Weise ist es gelungen, die Leibesgifte aus den
Bazillen auszuziehen. Der erste Versuc\i dazu stammt von Robert
Koch'). Sein „altes" Tuberkulin wird hergestellt aus Kulturen auf
4prozentiger Glyzerinbouillon, die nach 6 — 8 Wochen bei 90® auf den
zehnten Teil ihres Volumens eingedampft und durch Porzellan filtriert
wird. Das Glyzerin dient dabei gleichzeitig als Extraktions- und Kon-
servieningsmittel. Das Tuberkulin ist für tuberkulöse
Tiere und Menschen stark, für gesunde viel weniger
giftig*). Wir haben hier den ersten, allerdings in mancher Beziehung
eigentümlichen Fall von sogenannter Überempfindlichkeit gegen Bakterien-
gifte vor luis (vgl. § 344 und Immunitätslehre). Die Empfänglichkeit der
einzelnen Tiere ist verschieden groß, am größten beim M enschen.
Hier erzeugen schon 0,025 ccm beim Gesunden kräftige örtliche und all-
gemeine Wirkungen (Fieber), während beim Tuberkulösen wenig© Milli-
gramme und Bruchteile von einem Milligramm genügen, ja selbst die
Impfmig mit der Lanzette in die Haut oder die Einträufelung in die Binde-
haut noch sichtbare Reaktionen veranleissen. Bei großen Haustieren
sind weit erheblichere Gaben nötig, \un selbst beim Vorhandensein von
Tuberkulose Reaktionen zu erzeugen. Wir gehen auf diese für die D i a -
1) Maffucci, Baumgartens Jahresber. 1 892. 692 ; Höricourt
und Riebet, Semaine m6d. 1891. 14; P a n s i n i a. a. O.
2) Berl. klin. Woch. 1898. 22.
3) Deutsch, med. Woch. 1890. 46 a; ebenda 1891. 3 und besonders
43; vgl. auch Dönitz, Klin. Jahrb. 7. 225. 1898.
4) Die geringe Giftigkeit des Tuberkulins für Gesunde kann man
namentlich am Säugling beobachten, da bei diesem ja auch die latenten
Infektionen fehlen (Schloßmann und Binswanger, Arch. f.
Kinderheilk. 43, 1906).
Gifte der Kleinwesen. 981
^nose der tuberkulösen Erkrankung äußerst wichtigen
Verhältnisse hier nicht weiter ein, ebensowenig auf die Heil- und Schutz-
versuche mit Tuberkulin, die bald mit der „Reaktion*' in Verbindung
gebracht werden, bald auf echte immunisierende Einflüsse bezogen
werden.
Gesunde Meerschweinchen vertragen von der Haut oder
der Bauchhöhle aus mehrere Kubikzentimeter ohne erheblichen Schaden
und erliegen erst bei Gaben von 10 — 15 ccm, sterben dagegen, wenn sie
tuberkulöd sind, an 0,5 cm binnen 24 Stimden unter starkem Temperaturab-
fall und örtlicher Reaktion an der tuberkulösen Stelle. Koch hat aus dem
rohen Tuberkulin (s. o.) durch mehrmalige Ausfällung mit 60 prozentigem
Alkohol ein reineres hergestellt, das viel giftiger ist, aber dennoch
nicht als reines Gift betrachtet werden kann. Es gibt alle Eii^ißreak-
tionen und steht den Albumosen und Peptonen am nächsten, unterscheidet
s^ich aber von den ersteren durch seine Beständigkeit gegenüber lang-
dauernder Anwendung höherer Temperaturen (120®) und seine leichtere
Dialysierbarkeit, von den Peptonen durch seine Fällbarkeit durch Eisen-
azetat. Bemerkenswert ist, daß wässerige Lösungen ihre Wirksamkeit
bald einbüßen. Ein Zusatz von Glyzerin (5%) macht sie haltbarer.
W. K ü h n e ^) hat nachgewiesen, daß die aus dem Tuberkulin isolierten
Albuminate, Albumosen und Peptone zum größten Teil oder ganz dem
Nährboden entstanunen, zum Teil aus ihm auch durch die angreifende
Behandlung abgespaltet sein können. Der oder die wirksamen Stoffe sind
wohl nur den EiweißkÖrpem beigemengt. Ganz ähnlich wirkende Prä-
parate haben Maragliano, Helman') u. a. durch Auskochen
der Bazillen mit Wasser hergestellt, sie sollen nach F r e n k e 1 und
Bronstein giftiger als das Koch sehe Tuberkulin, aber wegen des
fehlenden Glyzerins weniger haltbar sein. Auch durch V^o Normal-
natronlauge kann man nach Koch') aus den Tuberkelbazillen
ein tuberkulinähnliches, aber schwer filtrierbares Gift ausziehen^). Wirk-
same Stoffe gewann er aber auch, wenn er die schützende Fetthülle der
Bazillen durch scharfes Trocknen und Zerreiben der lebenden
Bazillen zerriß, so daß ihr Leibesinhalt mit dem Lösungsmittel in unmittel-
bare Berührung kommen konnte. Die wasserlöslichen Bestandteile, die
etwa 50% der Bazillenkörper ausmachen, nennt er TG, die unlöslichen
TR. V. Lingelsheim^) hat die Giftigkeit aller dieser Präparate
genauer zu dosieren versucht, und zwar dadurch, daß er sie in einer
physiologischen Kochsalzlösung (0,2 ccm) Meerschweinchen unter
die harte Hirnhaut einspritzte (vgl. S. 965). Für gesunde
Meerschweinchen von etwa 250 g erwiesen sich so binnen 24 Stunden
als tödlich
1) Zeitschr. f. Biol. 30, 1893.
2) Arch. biolog. Petersbourg l. 139, 1892 (benutzt Kartoffel kulturen
und erhält dadurch ein sehr eiweißarmes Tuberkulin).
3) Deutsch, med. Woch. 1897. 14.
4) Durch Ausziehen mit warmer \'erdünnter Natronlauge gewann
schon- Weyl (Deutsch, med. Woch. 1891) ein „Toxomuzin*', das bei
Mäusen örtliche Nekrosen erzeugte.
5) Deutsch, med. Woch. 1898. 37.
982 Kap. XVI, § 304,
TO 1 mg Trockengewicht, TR 3 mg; TO + TR (die getrockneten und
zerriebenen Bazillen) 2 mg;
Rohtuberkulin (Alkoholfällung) 4,4 mg*);
Rohtuberkiilin in Lösung 0,022 ccm.
Bei subkutaner oder intraperitonealer Einverleibung mußten etwa 180 mal
so große Gaben verwendet werden, um die Tiere schnell zu töten, wir
kommen also für die getrockneten und zerriebenen TuberkelbaasiUen aii/
etwa 220 mg als akut tödliche Gabe. Sie sind danach ungefähr ebenso giftig,
wie die entfetteten Bazillen nach F r e n k e 1 und B r o n s t e i n (s. u.)
und Cantacuzene *). Die Gabe dieser Gifte, die tuberku-
löse Meerschweinchen tötete, war etwa 100 mal kleiner (s. u. Behring).
Statt die Bazillen nach dem Vorgange von Koch trocken zu zer-
reiben, kann man sie auch nach H. Buchner und Hahn *) im f e u c h -
tenZustandzerkleinern und auspressen: der so gewonnene
Preßsaft, das „Tuberkulopla8min^\ soll übrigens nach Landniann^)
nur einen kleinen Teil des Tuberkelgiftes enthalten. Dieser Autor seilet
ist zu sehr wirksamen Giften dadurch gelangt, daß er die Bazillen naoh-
1) Nach Neufeld (Deutsch, med. Woch. 1899.13) wäre die Lin-
g eis heim sehe Zahl für das Tuberkulin nicht richtig. Selbst 0,1 ccm
Rohtuberkulin erwies sich als ungiftig bei Einspritzung ins Gehirn. Der
Niederschlag, der aus Alkohol absolutus aus Tuberkulin erhalten wird
und nach N e u f e 1 d und Koch nur 10%, nicht 20% des Tuberkulins
(v. Lingelsheim-Behring) ausmachen soll, tötete zwar in einer
Menge von 0,03 g (entsprechend 0,3 ccm Tuberkulin), aber ebenso giftig
war der Alkoholniederschlag aus einer zehnmal konzentrierten imgeimpften
Peptonbouillon. Ebensowenig spezifisch war die Giftwirkung des durch
Fällung mit ÖOprozentigem Alkphol aus Rohtuberkulin gewonnenen Rein-
tuberkulins (1,8% des Rohtuberkulins). Das Tuberkulosamin Ruji-
p e 1 s (s. u. S. 982) war bei dieser Art der Einverleibung sogar weniper
giftig als ein aus Lachssperma dargestelltes Protamin (0,005 : 0,002 gi.
Interessant ist auch, daß selbst anorganischen Salzen wie Natrium- und
Ammoniumsulfat, Chlorammon \md Kaliumphosphat (in 1 — 2% Lösiinp)
eine starke Giftwirkung zukommen soll, wenn sie zu 1 — 2 mg ins (Jehim
gespritzt werden. Nur Kochsalz war weniger giftig, 20 mg töteten nicht.
Die Giftprüfungsmethode muß also sehr vorsichtig gehcmdhabt werden,
wenn sie einwandfrei sein soll. Das Institut für experimentelle Theraj>ie
in Frankfurt hat dagegen mit dem von Koch, Dönitz (Klin. Jahrb. 7.
1898) und Otto (ebenda 13, 1904) ausgebildeten Prüfungsverfahren
bessere Ergebnisse erzielt. Meerschweinchen von etwa 400 g, die 4 bi>
5 Wochen vorher mit 0,5 mg frischer Tuberkelbazillen subkutan infiziert
waren und schon eine deutliche Gewichtsabnahme zei-
gen, erhalten 0,05 — 0,3 ccm Tuberkulin subkutan eingespritzt. Durch-
schnittlich genügen 0,1 — 0,25 ccm, um den Tod binnen 24 Stunden herbei-
zuführen. Der Vergleich mit einem Muster-Tuberkulin schützt vor zu-
fälligen Schwankungen, die durch verschiedene Virulenz der Kultur u. a.
hervorgerufen werden.
2) Annal. Pasteur 1905. 11.
3) Münch. med. Woch. 1897.
4) Hygien. Rundschau 1900. 363.
Gifte der Kleinwesen. 983
einander bei verschiedenen Temperaturen (40 — 100^) auszog, die Extrakte
vereinigte und bei 37^ im Vakuum eindampfte. Meist genügten schon
0,1 ecm dieser konzentrierten Flüssigkeit, um gesunde Meerschweinchen
zu töten. Die ebenfalls bei niedriger Temperatur eingeengte Bouillon, auf
der die Tuberkelbazillen gewachsen waren, setzt Landmann dazu,
filtriert durch Tonkerzen, versetzt mit 0,5% Karbolsäure und erhält so ein
..Tuberkulol"", das alle von den Tuberkelbazillen etwa gebildeten wasser-
löslichen Gifte enthält und schon in Gaben von 1 ccm tötet. Daß hierunter
auch Giftstoffe sind, die durch höhere Temperaturen geschädigt werden,
folgt aus der Abnahme der Giftigkeit, die die Flüssigkeit beim Kochen
erleidet. Wie alle wässerigen Lösungen des Tuberkelgiftes, büßt auch das
Tuberkulol beim Stehen eui Wirksamkeit ein. Der ausgezogene Rest der
Bazillenleiber soll luigiftig sein.
Marmorek ^) stellt ein lösliches Tuberkelbazillengift in einer ganz
anderen eigentümlichen Weise her. Er ging von dem Gedanken aus, das
Tuberkulin sei nicht das eigentliche Gift der Tuberkulinbazillen, sondern
rege diese, luid zwar nur, wenn sie sich im Jugendzustande im Tierkörper
befinden, zur Produktion ihres Giftes an. Um es außerhalb des Tierkörpers
zu gewinnen, setzte er sich nach verschiedenen fehlgeschlagenen Versuchen
folgenden Nährboden zusanunen: ein leukotoxisches Serum, erhalten durch
Behandlung von Kälbern mit Leukozyten des Meerschweinchens, wird mit
glyzerinhaltiger Leberbouillon vermischt. Die Tuberkelbazillen gewöhnen
^ich erst allmählich an diesen Nährboden, wachsen dann aber schließlich
darin und erhalten sich lange im ,, primitiven", d. h. jugendlichen Zustand.
Dabei scheiden sie ein Gift aus, das mit dem Tuberkulin nichts zu tun
haben soll. 5 — 10 ccm des Filtrates töten Kaninchen imd Meerschweinchen
von der Haut aus binnen 8 Tagen, und zwar gesunde Tiere eher als
tuberkulöse. Beim Pferde erzeugt das Gift schmerzhafte Schwel-
lungen und Temperatursteigerung, schließlich aber Immunität. Dtis Serum
der so behandelten Pferde enthält ein Antitoxin, mit dem die Heilung
von tuberkulösen Tieren und Menschen gelingen soll.
Die große Beständigkeit der Tuberkelbazillengifte gegen die Siede-
hitze bedingt noch nicht seine Widerstandsfähigkeit gegen andere Ein-
flüsse. Daß es von selbst seine Wirksamkeit verlieren kann, haben wir
schon mehrfach bemerkt. Schnell gelingt es, die Bazillen wenigstens für
Meerschweinchen unschädlich zu machen, dadiu'ch daß man sie der Ein-
^viTkung des Chlors unterwirft. Die immunisierenden Stoffe sollen
dabei nicht geschädigt werden (M o u s s u und G o u p i 1 *)).
Während alle bisher genannten „Tuberkuline" verwickelte Gemische
darstellen, haben mehrere Forscher versucht, daraus die wirksamen Stoffe
zu gewinnen. Wir haben von den Methoden schon früher gesprochen
(S. 68 ff. u. 74 ff.). Fast alle Präparate sind giftig, in kleinen Mengen aller-
dings nur, wenn sie in das (»ehirn oder das Blut eingespritzt werden. Nach
Behring ') tötet 1 g der Tuberkulinsäure R u p p e 1 s besonders auf
dem ersten Wege 90 000 g Meerschweinchen, von der Haut aus nur 600 g.
Die entsprechenden Zahlen für tuberkulöse Meerschweinchen sind sogar
40000000 und 60000, also 150—100 mal größer. Die Tuberkulinsäure ist
1) Berl. klin. Woch. 1903. 48.
2) Compt. rend. ac. sc. 6. und 23. XII. 1907.
3) Berl. klin. Woch. 1899. 28.
984 Kap. XVI, § 304.
sonach ebenso giftig wie das Präparat TR nach v. L i n g e 1 s h e i m (s. o.
S. 982). Beim Vergleich der verschiedenen Tuberkulosepräparate an tuber-
kulösen Rindern, einer Methode der Giftbestimmung, die freilich höchstens
annähernde Resultate geben kann, findet Behring etwas abweichende
Werte. Es entsprechen nämlich im Trockengewicht:
1 Teil TR („Neutuberkuhn" Kochs s. o.) 2 Teilen Alttuberkulin
(Alkoholniederschlag)
1 „ durch verdünnten Alkohol gereinig-
ten Alttuberkulins 4 — 6
1 „ entfettete luid zerkleinerte Bazillen 3% — 4^2
1 „ getrocknete und zerkleinerte Bazillen 4 — 5
1 „ dialysiertes Kulturfiltrat R u p p e 1 3 — 4
1 t, Glyzerinextrakt der ganzen Bazillen
(Ruppel) 2^2 — 3
1 „ Nukleinsubstanz der zerriebenen Ba-
zillen (R u p p e 1) SVa— 4y2
1 „ Tuberkulinsäure (Ruppel) . . . 3% — 4
1 „ Tuberkulosamin (Ruppel) . . . 3 — 3^
Dazu kommen noch die von Ruppel und Kitashima durch Spaltung
der Tuberkulinsäure erhaltenen Tuberkulothyminsäure und
das kristallisierte Tuberkulosin, von dem 1 g so giftig ist wie 20 bis
30 ccm Tuberkidin, d. h. auf den Alkoholniederschlag berechnet ungefähr
ebenso wirksam wie die anderen Präparate. Die Unterschiede sind ai^)
trotz der abweichenden J . ^^ ^r Gifte, wenn man von dem Roh-
tuberkulin, das viele B* 'es Nährbodens beigemengt enthält
und durch das anhaltend.^ Wirksamkeit verloren hat, absieht,
nicht sehr erheblich. Die l\iberkuHnsäiu*e soll aber nach Behring da-
durch Vorteil bieten, daß ilure wässerige Lösung nicht so schnell ihre Wirk-
samkeit einbüßt.
Das „Nuklein'' de Giaxas tötet, obwohl unlöslich in Wasser luid
Kochsalzlösung, schon in Gaben von 1 auf 10 000 — 50000 Hunde, Kaninchen
und Meerschweinchen, wenn es in feiner Aufschwemmung in die Venen
gespritzt wird^). Der Tod kaim sogar ganz plötzlich eintreten und erfolgt
dann durch Koagulation des Blutes, sonst unter Bildung von hämorrhagi-
schen oder nekrotischen Herden. Einige Zentigramme genügen, um von der
Haut, dem Bauchfell, der Luftröhre und den Lungen aus starke entzündhche
Veränderungen und Nekrosen zu bewirken*). Das gleichzeitig dargestellte
,,Nukleoproteid" de Giaxas besaß merkwürdigerweise keine erhebhclie
Giftigkeit. Dagegen erzeugte der Alkohol- und Ätherextrakt
luiter der Haut Entzündimg und Verschwäning ohne Allgemeinerscheinun-
gen. Nach de G i a x a ist diese Substanz stickstoffhaltig, sie ist aber
1) Eine so starke Giftwirkung der Tuberkelbazillen hat sonst mir
Bail (Wien. klin. Woch. 1905. 46) beobachtet. Bei intravenöser Ein-
verleibung genügten 5 — 10 mg (lebender) Bazillen, um Meerschweinchen
binnen 8 Tagen unter dem Bilde einer Kachexie ohne Tuberkelbildiing
zu töten. Die gleiche und selbst 10 fache Gabe wurde intraperitoneal ver-
tragen.
2) Die tödliche Gabe ist leider nicht angegeben.
Qifte der lOeinweeen. 985
völlig iinlÖBlich in Wasser und wird aus der alkoholischen Lösung durch
Säuren mit der Fettsäure ausgeschieden. Schon Hammerschlag
( S. 74) hatte die Giftigkeit des Tuberkelbazillenfettes
behauptet. Allerdings löste er das Gift aus dem Alkohol ex trakt durch ver-
dünnten heißen Alkohol oder kochendes Wasser. Nach AuclairM
luit erscheidet §ich der Atherextrakt der Tuberkelbazillen in seinen Wir-
kungen von dem Alkoholextrakt. Der erstere erzeugt käsige Prozesse, der
letztere fibröse. Ein neuerdings von A u c 1 a i r und Paris ■) aus ent-
fetteten Tuberkelbazillen durch Ausziehen mit konzentrierter Essigsäure
bei 80* hergestelltes „Bazillenkasein" erzeugt nur lymphatische, später
resorbierbare Knoten, daneben allgemeine Abmagerung und Dyspnoe durch
lymphatische Infiltration der Lungen.
Den Befund einer wjtöser- und ätherlöslichen giftigen Fettsäure
(Terakonsäure de Schweinitz) in Tuberkelbazillenkulturen haben wir
schon S. 822 erwähnt, ebenso das D e y c k e sehe Tuberkulonastin. Durch
Ausziehen der entfetteten Tuberkelbazillen mit Lezithin (Tb.-L) bzw.
Äthylamin (Tb.-A) erhielten Deycke und Much •) ungiftige (aber immuni-
sierende) Präparate.
Schließlich wurden auch öfter Erfahrungen gemacht, die dafür zu
sprechen scheinen, daß die Exsudate tuberkulöser Tiere
(wift enthalten. Da es sich inmier um chronische Vergiftungen und große
Mengen körperfremder Flüssigkeiten handelt, ist eine Deutimg schwierig.
Aus allen diesen Angaben erhellt, daß die Giftwirkungen der
Tuberkelbazillen fast allen aus seinem Leib^ ausgezogenen oder frei-
willig von ihm abgegebenen Stoffen anhaften 4^d nach kleineren Gaben
bestehen in Entzündung, Fieber, Abmagerun^^ in großen in Kollaps
und schnellem Tod. Das sind im wesentlicheii die gleichen Erschei-
nimgen, die wir auch bei anderen Leibesgiften beobachten können.
Nur kommen bei den Tuberkelbazillen doch noch einige Eigenschaften
hinzu, die sich bei anderen Bakterien lange nicht so ausgesprochen finden:
in erster Linie die von allen Forschem beobachtete schwierige
Darstellbarkeit der Endotoxine. Ihr entspricht die
weit langsamere Resorbierbarkeit der toten Bazillenkörper;
beides erklärt sich sehr wahrscheinlich aus dem starken Gehalt an
Pett-(Wachs-) Stoffen, der, wie wir gesehen, ein Drittel
vom Gewicht und mehr ausmachen kann (S. 74). Die Tuberkelbazillen
müssen also im lebenden Gewebe als dauernde Fremdkörper wirken,
daraus entspringen denn wohl die reaktiven Wachstumsvorgänge im
Gewebe (Knötchenbildung), die gerade die Tuberkulose auszeichnen.
Daneben läßt sich nicht leugnen, daß der durch das Tuberkelgift ge-
setzte Reiz häufiger als bei anderen Bakteriengiften Absterben
des Gewebes bedingt (vgl. § 332). In diesem beschränkten Sinne dürfte
1) Arch. m6d. exp6rim. 1899 und 1900.
2) Gompt. rend. ac. sc. 146. 301, 1908 und Arch. med. experim. 1908.
3) Mediz. Klin. 1908. 40.
986 Kap. XVI, § 304—306.
•
man also schon von einer spezifischen Wirkung der Tuberkelbazillen
sprechen. Noch deutlicher tritt deren Spezifität hervor in der sog.
Tnberkulinreaktion, d. h. der Überempfindlichkeit tuber-
kulöser Tiere gegen Einverleibung des Tuberkelgiftes.
Freilich ist sie keine unbedingte, denn man weiß durch Römer.
Buchner, Matthes, Krehl und M a 1 1 h e s , daß die gleiche
Reaktion durch Verabreichung anderer Bakterienextrakte und nicht
bakteriellen Eiweißes (Albumosen, Peptone, Nukleinsäuren) erhalten wird
( § 280). Immerhin zeigt ein Vergleich der Mengen, die dazu nötig sind, daß
das Gift der Tuberkelbazillen auf tuberkulöse Indi-
viduen sehr viel kräftiger wirkt. Es werden tuberkulöse
Meerschweinchen getötet bei subkutaner Einspritzung durch
Deuteroalbumose (Matthes) 100 mg Trockengewicht
reines Pepton (Matthes) 10
Pyocyaneusprotein (Römer, Buchner) 120
Prodigiosusprotein (Buchner) 160
Pneumobazillenextrakt (Römer). . . . 120
mit Pepsinsalzsäure verdaute Colibazillen
(Kr ehl und Matthes) 30
K o s s e 1 sehe Nukleinsäiire (Behring). 400
Kochs Rohtuberkulin (Alkoholnieder-
schlag) 10—30
R u p p e 1 s Tuberkulinsäure (Behring) 4
»» >»
»» »•
»» »»
»» »»
»f »»
>» »»
Nur das reine Pepton und dcks Verdauungspräp<urat aus Colibazillen können
es also mit dem Tuberkulin aufnehmen, aber auch sie stehen noch erheb-
Uch hinter dem gereinigten Tuberkelgift zurück. Wahrscheinlich weit
größer sind die Unterschiede, die sich bei Prüfung dieser Stoffe am tuberku-
lösen Menschen ergeben. Vor allem aber ist die Wirkung
der nicht von Tuberkelbazillen abstammenden
Stoffe bei gesunden Tieren nur wenig geringer als
bei tuberkulösen. Es fehlt also das Hauptmerkmal
der Überempfindlichkeit.
Die einzelnen aus den Tuberkelbazillen dargestellten Giftpräparate
sollen sich nach manchen Forschem (Maragliano) durch ihre Wir-
kungen voneinander unterscheiden. Nach den Behring sehen Mittei-
lungen ist davon aber wenig zu merken. Ebenso sind zwar von Speng-
1er*) Unterschiede zwischen den Tuberkulinen aus den verschiedenen
Abarten der Tuberkelbazillen (vom Menschen, Rind und Huhn) gefiuiden
worden, andererseits hat man aber auf Grund von Vergleichen der Tuber-
kuline mit ähnlichen aus säurefesten Bakterien imd Strahlenpilzen her-
gestellten Präparaten ein gattungs-, nicht artspezifisches Merkmal sehen
wollen*). Völlig geklärt ist die Sachlage also noch nicht.
1) Deutsch, mediz. Woch. 1904. 31.
2) Zupnik, D. Arch. f. klin. Med. 76, 1903; Feistmantel.
Zentr. Bakt. 36. 282, 1904; vgl. Deycke, Über die Ähnlichkeit dw
Xastins und Tuberkuloncwitins.
Gifte der Klein wesen. 987
Die Möglichkeit liegt schließlich noch vor, daß es gelingen wird,
die Gifte der Tuberkelbazillen von anderen durch ihr Verhalten zu
antitoxischem Serum zu trennen. Immer wieder werden
Angaben über der^uüge Seren gemacht. Bisher befriedigen aber die
Erfolge damit recht wenig.
§ 305. Aus den Kulturen des Rotzbazillus sind auf ähn-
lichem Wege giftige Präparate hergestellt worden, wie aus denen der
Tuberkelbazillen. Es handelt sich vorwiegend um hitzebestän-
dige Leibesstoffe. Auch hier stellt dich eine ähnliche Über-
empfindlichkeit heraus, wie beim Tuberkulin, indem das „Mallein'^
(H e 1 m a n n) für rotzkranke Tiere giftiger ist als für gesunde^).
Auch die Giftwirkung des Malleins ist aber keine ganz spezifische,
insofern auch andere Bakterienextrakte dieselben Erscheinungen, wenn
auch in etwas geringerer Intensität, hervorrufen*). Bisher ist es noch nicht
gelungen, ein chemisch gut charakterisiertes Gift aus dem Mallein zu iso-
lieren. Einen Anhaltspunkt für die Giftigkeit des Malleins bekommt man
durch die Angabe'), daß 6 ccm eines guten Präparats Kaninchen bei
subkutaner Einspritzung in 8 — 15 Tagen unter starkem Gewichtsverlust
töten.
§ 306. Gifte der Strahlenpilze. Die Gifte der den Tuberkel-,
Kotz- und Dipbtheriebazillen verwandten Strahlenpilze sind noch
wenig studiert worden. Daß die pathogenen Strahlenpilze aber wirk-
lich Gifte bilden können, ist nicht zu bezweifeln.
Gasperini *) gibt an — leider ohne genaue Dosierung — , daß
die sterilisierten Kulturen von Actinorayces bovis die wenig für die In-
fektion empfänglichen Tiere wie Tauben, Hühner, Mäuse, Eidechsen und
Schildkröten unter akuten Erscheinungen, die empfänglichen Meerschwein-
ehen und Katzen durch langsame Vergiftung töten. Mac Callums*)
Actinomyces asteroides scheint nach den Erscheinungen zu urteilen, die
lebende Kulturen veranlassen, auch kräftige, besonders örtlich wirkende
Gifte zu bilden. Ihr Nachweis gelang aber weder in den Filtraten der
Kulturen, noch in den Glyzerinauszügen der Pilze selbst, ü i Donna*)
glaubte dagegen aus einer recht virulenten Actinomycesart, die er aus
menschlichem Auswin-f gezüchtet hatte, ein Nuklein zu gewinnen, das für
Kaninchen auf dem Blutwege ebenso giftig war, wie das Nuklein der Tuber-
kelbazillen, denn es tötete sie intravenös in Gaben von 0,02 g. Ziemlich
unschädlich waren selbst große Mengen (0,5 — 0,7 g), wenn sie in die Brust-
1) Vgl. die umfangreiche Literatur über Mallein in Baumgartens
Jahresber. 1891 u. ff.
2) Schattenfroh, Zeitschr. f. Hyg. 18, 1894.
3) Deutsch und Feistmantel, Impfstoffe und Sera 1903,
S. 239.
4) Annali d'igine 1896. 478.
5) Zentralbl. Bakt. 31. 12, 1902.
6) Annali d'igiene 1904. 454.
988 Kap. XVI, § 306 u. 307.
höhle gebracht wurden. Ähnliche Versuche Barones*) schlugen bei
Pseudodiphtherie bazillen und nicht pathogenen Actinomyces-
arten fehl: die dargestellten Nukleine waren ungiftig.
Auclair •) wies wie bei vielen Bakterien auch in den Ätherextrakten
des Actinomycespilzes entzündungserregende, im Wasser unlösliche Stoffe
nach.
Nach Feistmantel ^) Tcagieren Tiere, die mit dem Actino-
myces farcinieuB geimpft sind, auf kleine Mengen des Glyzerinextrakts
des Pilzes; aber auch auf Tuberkulineinspritzungen; umgekehrt lea-
gieren auch tuberkulöse Tiere auf den Extrakt des Farcinicus.
Über das Nastin Deyckes, das Fett eines säurefesten
Strahlenpilzes, der von einem Leprakranken stammte und bei solchen
wie bei Tuberkulösen starke Reaktionen veranlassen soll, vgl. S. 822.
§ 307. Gifte von Schimmelpilzen. Die echten PiLse, die auf
und in Menschen imd Tieren leben, bilden keine so kraftigen Gifte,
wie viele Hutpilze und der auf Pflanzen schmarotzende Mutterkoro-
pilz (s. u.), doch kann man ihnen die Giftigkeit nicht vollkommen
absprechen. Zunächst zeigen schon die örtlichen Veränderungen, die
z. B. die pathogenen Schimmelpilze (namentlich Mucor), aber auch
Favus, Trichophyton (und Soor) erzeugen, daß sie entzündliche Reize
setzen. Dann hat man auch häufig genug beobachtet, daß Tiere, die
der Infektion entgangen zu sein scheinen, später doch imter Abmage-
rung zugrunde gehen, ohne daß man besondere Organerkrankungen
findet. Es handelt sich also wohl um eine langsame Vei^;;iftang, wie
wir sie oft von den Leibesgiften der Bakterien und namentlich der
Tuberkelbazillen ausgehen sehen. Wenn die Pilze schneller töten,
findet man gewöhnlich so erhebliche Veränderungen der Organe,
namentlich der Nieren und der Lungen, daß dadurch allein sich viel-
leicht der Tod erklärt.
Vom Magendarmkanal aus sind die Gifte der Schimmelpilze, die
in Nahrungsmitteln gewachsen sind, wie die gewöhnliche Erfahrung
lehrt (S. 586), imschädlich, doch sind mehrfach bei Haustieren nach
dem Genuß von Futter, das mit Rost- oder Brandpilzen ver-
unreinigt war, Erkrankungen beobachtet worden. Die von Franck*)
mit Rostpilzen bei Kaninchen angestellten Versuche ergaben ganz
das Bild einer Fleischvergiftung (§ 287). Die dabei wirksamen Gifte
sind bisher noch unbekannt. Wohlbekannt ist dagegen die K r i e b e 1 -
1) Baumgartens Jahresber. 1901. 2 a.
2) Areh. mM. ex|)4r. 1903. 725.
3) Zentralbl. Bakt. 36, 1904.
4) Aams Wochenschr. 1866 u. 1867 (Friedberger u. Froh
n e r , Spez. Path. u. Ther. d. Haustiere 1. 226, 1889).
Gifte der Kleinwesen. 989
•
krankheit (Ergotismus), die durch Mutterkorn (Claviceps purpurea)
entstellt. Nach J a c o b y ist das Hauptgift das Sphazelotoxin,
ein harzartiger stickstoffreier Körper. Schließlich soll nach manchen
Forschem die Pellagra eine Vergiftung durch verpilzten Mais sein.
Den meisten Forschern ist es nicht gelungen, aus den Kulturen der
Pilze oder der von ihnen befallenen Organe kräftige Gifte zu gewinnen^).
Selbst das Entzündungsgift» das die Sporen des Aspergillus fumigatus
enthalten, würde nach M a c 6 *) durch Temperaturen geschädigt, die nötig
sind, um ihre Lebensfähigkeit zu vernichten. Diesen erfolglosen Bemühungen
stehen allerdings Erfolge gegenüber. Nachdem schon ältere Forscher Pilze
üs Ursache der Verderbnis des Mais luid damit der Pellagrakrankheit an-
i^eschuldigt hatten, glaubte G o s i o *) das Penicillium glaucum, und zwar
namentlich zwei Abarten desselben, dafür verantwortlich machen zu können.
Es sollen dabei Karbolsäure und andere aromatische Pro-
dukte als Giftstoffe wirken. Iwanoff ^) fand alkaloidähnliche
Stoffe in Penicilliumkulturen. Die späteren Forscher kamen bei ihren
Untersuchungen von Pilzen aus verdorbenem Mais zu anderen Ergeb-
nissen. C e n i und B e s t a *) gewannen, indem sie die Rasen des A s p e r -
(;illus fumigatus tagelang in Alkohol (90%) oder Äther auszogen
lind die Extrakte in Wasser aufnahmen, ein Gift, das Kaninchen und
Hunde, aber auch Meerschweinchen vom Bauchfell aus unter heftigem Zit-
tern und Krämpfen tötet. Wenn die Tiere davonkommen, zeigen sich
lange Zeit noch Schwäche und Durchfall. Freilich waren zum Erfolge
2:roße Mengen nötig: so starb ein Kaninchen von 2500 g nach Ein-
spritzung von 20 ccm der wässerigen Lösung, die 20 g des Pilzrasens ent-
iprach, binnen 1 ^ Stimden. Meerschweinchen wurden nach Einverleibung
i'on 1 — 5 ccm (entsprechend l — 5 g der Pilzsubstanz!) kaum krank
xler erholtoi sich nach einer vorübergehenden Erkrankung wieder. Außer-
iem sind noch folgende Bedingungen zu beachten: die Pilzrasen müssen
'eichlich Sporen enthalten und nicht zu alt, femer bei 28 — 30^, nicht bei
n° gewachsen sein. Merkwürdigerweise bilden die Pilze
las Gift nur in der warmen Jahreszeit, nicht oder
loch nur in geringer Menge in den Monaten Oktober
3 i s März. Das Gift widersteht dem Kochen, zersetzt sich aber allmäh-
ich in wässeriger Losung. Welcher Xatin* es ist, bedarf noch der Fest-
stellung. Mit Phenolverbindungen hat es aber nichts zu tun. Das Gift des
fVspergillus flavescens ist ähnlich, aber schwächer, und läßt
«ich nur aus dem Ätherextrakt gewinnen. Beim Penicillium glau-
; u m wurde auf ähnliche Weise Gift gefunden, das aber eine andere, mehr
ahmende Wirkimgen zeigt. Ebenfalls solche Wirkung hatte das Gift,
1) Vgl. z. B. Lode, Arch. f. Hyg. 42 (Schimmelpilze); Citron,
Seitschr. f. Hyg. 49, 1905 (Favus und Trichophyton). Andere Literatur
>ei C e n i und B e s t a.
2) Etud. myc. exp^rim. These de Paris 1903, ref. Bull. Pasteur
1903. 788.
3) Rivista d'igiene 1896. 21 u. 24 (Baumgartens Jahresber.).
4) Baumgartens Jahresber. 1898. 635.
5) Zentr. allgem. Pathol. 1902. 930; Ceni, Zieglers Beitr. path.
\nat. 35, 528, 1904 und 37. 568, 1905.
990 Kap. XVI, § 307—310.
das sich durch Wasser oder Alkohol aus den Sporen des Aspergillus
niger ausziehen ließ. Neuerdings berichtet Ceni*) über weitere
Untersuchungen an Peni.cillium, die ergaben, daß die Giftigkeit
dieser Pilze an Qualität und Intensität eigentümlichen zeit-
lichen Schwankungen unterliegt, für die eine Regel noch
nicht gefunden werden konnte. An dem Zusanunenhang zwischen der
Pellagra und dem Pilzgift hält C e n i fest. Auch von Deckenbach')
betrachtet einen Schimmelpilz, die Oospora verticilloides,
die aber schon ein Parasit der lebenden Maispflanzen sein soll, als Erreger
der Pellagra. Alkoholauszüge aus den Kulturen auf Mais gaben ein giftige«
rubinrotes ö 1 , dessen in Alkalien löslicher Farbstoff in Äther ein leicht
kenntliches Absorptionsspektrum besitzt und daher zur Erkennung ver-
dächtigen Maises dienen kann. S t u r 1 i ') bestätigte die Existenz des
Penicilliengiftes.
Neben den spezifischen Giften müssen die Pilze aber noch ein Gifi
erzeugen, das die oben erwähnten örtlichen Erscheinungen bewirkt, jedoch
sich bisher nicht aus den Pilzen ausziehen ließ: Die Pilzleiber wirken wahr-
scheinhch wegen ihrer schweren Resorbierkeit als Fremdkörper wie die
Tuberkelbazillen (S. 985) und erzeugen daher knötchenartige Wucherungen.
§ .308. Gifte von Hefepilzen. Für die pathogenen Hefepilze
(und „Oidien'') gilt im allgemeinen dasselbe, was von den Schimmel-
pilzen gesagt wurde.
Große Mengen Kulturfiltrats der Soorhefe (20 — 40) töten allerdings
Kaninchen, geringere erzeugen Fieber usw., doch sind die Haupterschei
nungen durch die örtlichen Wirkungen bedingt*), die von den Pilz-
leibern selbst ausgehen. Geradezu geschwulstartig sind nach
Sanfelice^) die Gewebsveränderungen, die die Gifte des S a c c h a r.
neoformans erzeugen. Er benutzte meist Aufschwemmungen alter
freiwillig abgestorbener Kulturen auf Kartoffeln.' Wenn er auch von lös-
lichen Giften spricht, so bleibt man doch im Zweifel darüber, ob nicht
etwa die ungelösten Bestandteile dabei eine Rolle spielen und s^s
Fremdkörper wirken, ähnhch wie abgetötete Tuberkelbazillen und Schimmel-
pilze (s. o.). Für die Erklärung der bösartigen Neubildungen, wie
Sanfelice meint, haben diese V^ersuche wohl keine Bedeutung.*)
Auch die nicht pathogenen Hefepilze sind wohl giftig, w^ui man
sie in sehr großer Menge, z. B. ins Bauchfell von Tieren, einspritzt. Schon
H ü p p e ') konnte so das Bild des Cholerakollapses erzeugen durch Rauen-
thaler Weinhefe. Hahn*) sah nach Einverleibung des Preßsaft c«
der Bierhefe oder steriler Dauerhefe ( § 89) Eiterung und allgemeinen Maras-
1) Zieglers Beitr. 39, 1906.
2) Zentr. Bakt. 45. 507.
3) Wien. kUn. Woch. 1908. 20.
4) C h a r r i n und Ostrowsky, Compt. rend. biol. 1896. 743:
Ostrowsky, Rech, sur le muguet, These de Paris 1896; N o i s e 1 1 e .
Rech, sur le muguet, These de Paris 1898; C a o , Zeitschr. f. Hyg. 34, 191K».
5) Annali d'ig. sperim. 1907 und 1908.
6) Über pathogene Hefen vgl. Bvischke und Stemberg S. 248.
7) Berl. klin. Woch. 1892. 17.
8) Münch. med. Woch. 1903. 50.
Gifte der Kleinwesen. 991
muä eintreten. Kaninchen gingen nach Einspritzung von 2 — 4 g Dauer-
hefe in das Bauchfell meist zugrunde, ebenso eine Ziege, die mehrmals
40 — 150 com Preßsaft — im ganzen 490 ccm — erhalten hatte. Dabei
fand sich eine eitrige Peritonitis mit starker Gasentwicklung durch die
Wirkung der Zymase.
Vom Verdauungskanal des Menschen werden sehr große Mengen
von Hefen vertragen, wie die bekannte Hefetherapie gelehrt hat (vgl.
Cerolin S. 73).
§ 309. Oifte bei Pflanzenkrankheiten. Es liegt nach den
Erfahrungen des § 307 nahe, anzunehmen, daß auch die Pilze, die auf
Pflanzen schmarotzen, auf das pflanzliche Protoplasma giftig
wirken. Die mechanische Wirkung allein genügt wohl nicht, um die
bei der Infektion auftretenden Erscheinungen zu erklären, ebenso-
wenig die Ausscheidimg von Enzymen. In manchen Fällen scheint
das Gift eine organische Säure, die Oxalsäure zu sein (S. 808), es werden
aber auch noch andere Gifte ins Spiel kommen. Bisher sind solche
nur nachgewiesen bei Bakterien, die Pflanzenkrank-
leiten verursachen (S. 226). Sie sind entweder hitzebeständig
und werden dann in ihrer Wirkung durch Säuren unterstützt, wie Lepou-
t r e für den Bac. fluorescens fand, oder sie bedürfen der sauren Reak-
tion nicht imd werden durch Kochen zum größten Teil zerstört, wie
Spieckermann bei der „bakteriellen Wundfäulnis" von Möhren,
Kartoffeln und Rüben feststellte. Eine Isolierung dieses letzteren Giftes
gelingt nicht, wenn es sich auch in Alkohol fällen und wieder in Wasser
lösen läßt. Es diffundiert sehr schwer und geht durch Bak-
terienfilter nicht hindurch. Um daher auf das Proto-
plasma der Pflanzen wirken zu können, muß es vergesellschaftet sein
mit einem membranlösenden Enzym (der Pektinase § 74 oder Zellu-
lase § 76), das ihr den Weg vorbereitet. Van Hall scheint bei dem
Bacillus omnivorus, der Irispflanzen befällt, ein ähnliches Gift ge-
funden zu haben. Die Wirkungsart der Gifte und auch der Säuren
besteht stets darin, daß das Protoplasma der Zellen sich zusammen-
zieht imd anscheinend abstirbt.
§ 310. Gifte der Protozoen. Die Gifte der Protozoen sind bisher
sehr wenig bekannt, obwohl diese, nach den Erscheinungen am infizierten
Tier imd Menschen zu schließen, solche zu bilden scheinen. Schon
bei den freilebendenAmöben, Ziliaten usw., die andere Klein-
wesen fressen, ist es wahrscheinlich, daß sie Giftstoffe absondern, durch
die letztere getötet werden, denn es ist nachgewiesen, daß z. B. Bak-
terien in den Verdauungsenzymen der Amöben nur verdaut werden,
wenn sie abgetötet sind (M o u t o n S. 500), ja, ältere Forscher schon
(Ehrenberg, Max Schultz e) haben beobachtet, daß beweg-
liche Tierchen, wenn sie von den Scheinfüßchen der Rhizopoden be-
992 Kap. XVI. § 310—312.
rührt werden, gelähmt werden. Der dabei wirksame Stoff ist zwar
noch unbekannt. Man könnte aber daran denken, daß er Ähnlich-
keit besäße mit den Abwehrstoffen (Alexinen und Leukineii) höbeier
Tiere. Nur in wenigen Fällen ist es gelungen, aus parasitischen Proto-
zoen Gifte zu gewinnen. Der erste und am besten gesicherte Fall be-
trifft jedoch eigentümlicherweise eine Infektion, die unter sehr geringen
oder ohne AUgemeinersoheinungen verläuft, die Sarkospo-
ridienkrankheit.
Schon L. Pfeiffer*), dann Kasparek*), Laveran und
Mesnil'), Rievel und Behrens^) haben mit Auszügen aus dein
leicht zu erhaltenden Zysteninhalt der Miescher sehen Schläuche Ent-
zündung imd Fieber, Diarrhöe, Abmagerung, in großen Gaben Kollaps
und Tod erzielt. Nach Laveran und M e s n i 1 genügt der filtrierte
Glyzerinextrakt von 1 mg frischer Sarkosporidien, um 1 kg Kaninchen
von der Unterhaut binnen 5 — 10 Stunden zu töten. Meerschweinchen,
Hatten, Mäuse, Hunde, Hühner, Tauben sind wenig, Hammel, Schild-
kröten und Frösche gar nicht für das „Sarkozystin*' empfänglich. Wir
haben hier also wohl wieder mu' ein Beispiel von zufälliger Giftigkeit (S. 859).
Xach Rievel und Behrens soll sich übrigens das Gift in der Him-
subatanz anhäufen, denn das Hirn der vergifteten Kaninchen ist selbst giftijr-
Auch die Plasmodiophora brassicae bildet nach
V. Prowazek^) ein Gift, dessen Extrakt Paramäcien in l—V>
Stunden tötet. Sonst liegt zunächst noch ein gelimgener Versuch
vor, den außer Mannaberg namentlich Rosenau, Parker,
Francis und Beyer®) mit Malariablut vorgenommen
haben.
9 ccm Serum des nach Defibrinieriing und Verdünnung mit Zugabe
gleicher Mengen Kochsalzlösung durch ein Berkefeldfilter geschickten
Blutes eines am Tertianfieber im Froststadium leidenden Menschen er-
zeugten bei einem Gesunden intravenös eingeführt einen Fieberanfall, der
35 Minuten später auftrat, 38,7® erreichte und zwei Stunden dauerte. Ohne
Wirkung blieb ein ähnlicher Versuch mit Blutserum eines Tropenfiebers
bei abnehmender Temperatur. Man wird sich nach den Erfahrungen, die
man mit Senuuhämolysinen, Hämoglobin usw. gemacht hat, hüten müssen.
Schlüsse daraus zu ziehen.
Am nächsten lag es, mit Trypanosomen, die man ver-
hältnismäßig leicht aus infiziertem Blut in Kultur gewinnen kann.
Versuche anzustellen.
1) Protozoen als Krankheitserreger 1891; Untersuchungen über den
Ivrebs 1893.
2) Zentr. Bakt. 18.
3) Compt. rend. soo. biol. 1899, I. 311.
4) Zentr. Bakt. 35, 1903.
5) österr. bot. Zeitschr. 1902.
6) Ref. Bull. Pasteur 1905. 705.
Gifte der Kleinwesen. 993
Kanthack, Durham und Blanford^) hatten aber kein
Ert?ebnis, in welcher Weise sie auch das Gift aus den Parasiten auszu-
ziehen suchten. L a v e r a n und M e s n i 1 *) hatten ebensowenig Erfolg
l>t*i Verwendung von Berkefeldfiltraten von Blut, auf 50° erhitztem Blut,
Organextrakten, Trypanosomenauszügen, ob sie die Einspritzungen unter
die Haut oder in das Gehirn vornahmen; desgleichen M. Mayer ') mit
autolytischen Extrakten von Bluttrypanosomen. N o v y und M e N e a 1 *)
.<a!ien höchstens örtliche Erscheinungen, wenn sie die von ihnen rein
aeziichteten Trypanosomen im nicht virulenten oder sterilen Ziistand
nder in Extraktfonn verwendeten.
Diese mangelhaften Ergebnisse rechtfertigen, da ja bei Bakterien-
krankheiten (Milzbrand u. a. m.) ähnliche Erfahrungen gemacht sind,
noch nicht die Vermutung, daß die pathogenen Protozoen keine all-
gemeinen Gifte bilden (vgl. S. 859 ff.). Immerhin wird man gerade
bei den Blutparasiten imter ihnen am ehesten daran denken dürfen,
daß sie allein schon durch ihren mechanischen Einfluß (z. B. auf Blut-
körper bzw. durch mehr oder weniger vollständige Verstopfung ganzer
Gefäßbezirke) schädlich wirken können. Die mit Trypanosomen er-
haltenen örtlichen Reizwirlamgen erinnern daran, daß auch bei
der Trypanosomiasis des Menschen (Schlafkrankheit) und der Tiere
(z. B. der Dourine) entzündliche Veränderungen an der Tagesordnung
sind. Die Erklärung der eigentümlichen Veränderungen der nervösen
Zentralorgane bei der Dourine wird aber dadurch noch nicht geliefert,
denn hier wurden bisher die Parasiten ebenso vermißt wie bei der
Tabes und Paralyse die Spirochaeten der Syphilis.
Die letzteren sollen hier nur erwähnt sein wegen der Ähnlichkeit, die
sie mit den Trypanosomen haben, obwohl wir sie nicht zu den Proto-
zoen stellen (vgl. §359). Experimentelle Erfahrungen über Spirochaeten-
gifte fehlen im übrigen, obwohl sie jetzt mit Hilfe von Kulturen
vielleicht möglich wären.
§ 311. Gifte der Chlamydozoen. Über die Gifte der von
Prowazek so genannten ultramikroskopischen Krankheitserreger
wissen wir noch weniger. Die Schwierigkeiten der Untersuchung werden
Wer dadurch vermehrt, daß diese Keime oft durch die Filter hindurch-
gehen („filtrierbare Virus" vgl. S. 2, Anm. 2), daß femer bisher die
Möglichkeit, mit Reinkulturen — auf künstlichen Nährböden — zu
arbeiten, noch nicht gegeben, man daher fast ausschließUch mit Be-
standteilen des tierischen Körpers oder dessen Extrakten, die selbst
nicht unschädlich sind, zu arbeiten gezwungen ist.
1) Hyg. Rundschau 1898. 24.
2) Trypanosomes et trypanosomiaÄes Paris 1904.
3) Zeitschr. experim. Path. 1. 542, 1905.
4) Vgl. die zahlreichen seit 1903 erschienenen Arbeiten dieser Forscher.
Kruse, Mikrobiologie. G3
994 Kap. XVI, S 311 u. 312.
So sind denn auch die Angaben Babes'^) über die Gewinnung
langsam tötender Gifte aus dem Gehirn von anHundswut verstorbener
Tiere und Menschen von Heller imd Bertarelli •) nur insofern
bestätigt worden, als die Stoffe aus kranken Gehirnen etwas kräftiger
wirkten als aus gesunden. Ob daher die pcuraly tischen S3niiptoine, die
nach Remlinger') in sehr seltenen Fällen (1 : 1000) bei Personen
auftreten, die der Wut- Schutzimpfung unterworfen gewesen sind, al^
Wirkimgen des Wutgifts aufzufassen sind, steht dahin.
Ebenso zweifelhaft in ihrer Deutung sind die Versuche Wilms'*)
mit dem Wasser sog. Kropfbrunnen. Es gelang ihm nicht mir
nach dem Vorgange Birchers *) durch die Aufnahme solchen Wassers
bei Ratten Kröpfe zu erzielen, sondern er erhielt auch noch Erfolge, wenn
das Wasser durch Berkefeldfilter hindurchgegangen oder auf 60 — 70' er-
hitzt war, während bei Erhitzimg auf 80" die Kropfbildung fehlte. Vn>
scheint die Möglichkeit nicht ausgeschlossen zu sein, daß es sich hier lun
die Wirkung eines filtrierbaren Virus, nicht, wie W i 1 m s meint, um die
eines Toxins handelt.
§ 312. Blutgifte (Hämolysine) der Bakterien«), Unter den
Giften der Bakterien verdienen diejenigen, deren Wirkung sich schon
außerhalb des Körpers, im Beagensglas oder unter dem Mikroskop,
nachweisen läßt, eine besondere Besprechung. Das sind in erster Linie
die Hämoljrsine (Hämotoxine), die rote Blutkörperchen aufzulösen
vermögen. Während man bis dahin nur blutlösende Wirkungen lebender
Kulturen gekannt hatte"^), fand das erste Beispiel eines blutlösenden
Giftes Ehrlich®) in dem Tetanolysin, das neben dem die
eigentliche Krankheit bedingenden Tetanospasmin in Kulturen und
Giftlösimgen der Tetanusbazillen vorkommt.
Ehrlich stellte schon die Verschiedenheit beider Gifte durch
folgende Beobachtungen fest:
1. In verschiedenen Giftlösimgen (Ammoniumsulfatfällungen vgl.
S. 921) findet sich die hämolytische imd toxische Wirkung in ungleichen)
Verhältnis, bald mehr die eine, bald die andere.
2. Das Tetanolysin wird schon durch 20 Minuten dauernde Erhitzung
auf 50° vernichtet, das Tetanospasmin erst durch höhere Temperaturen.
1) Zentr. Bakt. 27, 1900; Festschr. f. Leyden, 1902.
2) Zentr. Bakt. 36, 1904; vgl. auch Marie, Compt. rend. ac. sc.
14. VII. 1905.
3) Annal. Pasteur 1905.
4) Deutsche med. Woch. 1910. 13.
5) D. Zeitschr. f. Cliir. 103.
6) Vgl. P r i b r a m , Über Bakterienhämotoxin und Antihämotoxiii
(in Kolle-Wassermanns Handb. 1, Erg.-Heft 1906, S. 291—346).
7) Längst bekannt ist die Blutlösung durch Fäulnisbakterien. Dann
kamen (1884) R. Kochs und (1886) B i 1 1 e r s Beobachtungen an Rein-
kulturen vom Choleravibrio. Andere Funde betrafen Hämolyse in lebenden
Tieren.
8) Berl. klin. Woch. 1898, 12 (Gesellsch. d. Cliarit^-Ärzte).
Gifte der Kleinwesen. 995
3. Den GiftlÖsungen läßt sich das Tetanolysin durch rote Blut-
körperchen zum größten Teil entziehen.
4. Jedes Gift bildet ein eigenes Antitoxin; das Serum kann z. B.
5tark antispastisch und gar nicht antilytisch sein und umgekehrt.
M a d s e n *) hat dann im Laboratorium Ehrlichs weiter fest-
gestellt, daß das Tetemolysin in seinem Bau eine große Ähnlichkeit mit
lern Diphtheriegift hat, indem es eine „haptophore" (blutkörperchen-
ind antitoxinbindende) imd eine toxophore (lösende) Gruppe besitzt, die
jede für sich veränderlich ist. Man kommt so zu der Vorstelliuig,
laß neben den „Hämotoxinen" auch hier „Toxoide" (Lysinoide) und
.Toxone" möglich sind. Mit Hilfe des Tetanolysins und Antilysins hat
«eiter Madsen seine interessanten „Heilversuche im Reagensgltis" an-
gestellt. Wir haben von diesen Verhältnissen, an die sich später die wider-
spruchsvolle Erörterung über den Bau der Bakteriengifte imd die Wir-
kungsweise des Antitoxins geknüpft hat (Arrhenius und Madsen)
\n anderer Stelle (§ 275 u. 276), gesprochen und kommen weiter unten
(§ 313) darauf zurück.
Später folgten die systematischen Untersuchungen von Kraus
und Clairmont^) und vielen anderen Forschem über die Hämo-
lysine aller möglichen Bakterien.
Man prüft die blutlösende Fähigkeit gewöhnlich in der Weise, daß
tnan 1 ccm einer 5 prozentigen Aufschwemmung von gewaschenen Blut-
körperchen in 0,85% der Kochsalzlösimg im Reagensglas mit abgemessenen
VIengen abgetöteter Kulturen, Bakterienaufschwemmungen, Kulturfil-
traten oder Zentrifugaten versetzt, wenn nötig mit Kochsalzlösiuig auf
2 ccm auffüllt, die Mischung 2 Stunden bei 37° im Weisserbad oder Brut-
ofen hält und dann über Nacht im Eisschrank läßt. Ist die Lösung voll-
ständig („komplett"), so ist die Flüssigkeit klar (lackfarben) und kein
Bodensatz (oder nur ein solcher von Bakterien) vorhanden. Bei weniger
vollständiger Lösung tritt ein gefärbter Bodensatz auf. Beim weiteren
Sinken der hämolytischen Kraft wird der Bodensatz immer stärker und
öter und die darüber stehende Flüssigkeit, namentlich in ihrer oberen
"Schicht, hell und heller rot, beim Fehlen der Hämolyse schließlich ganz
arblos. In einzelnen Fällen ist die Benutzung von Agarplatten mit Blut-
susatz vorzuziehen, in anderen ist sogar dieser feste Nährboden zum Nach-
veis der Lösung allein zu gebrauchen (S. 1001). Über die Messung
ier Hämolyse auf kolorimetrischem Wege vgl. S. 1007.
Die Blutkörper der einzelnen Tiere verhalten sich verschieden gegen
lie Lysine'). Allgemein läßt sich Kaninchenblut verwenden, meist auch
^undeblut, die Blutkörper des Menschen und der Ziege sind gewöhnlich
-^derstcttidsfähiger, doch gilt für jedes Hämolysin eine besondere Reih en-
dige; z. B. für das Staphylolysin steht das Kaninchen an erster Stolle,
lann folgen Hammel, Schwein, Hund, Meerschweinchen, Pferd, Ziege,
^iensch und Gans. Die entsprechende Reihe für das Colilysin ist: Himd,
1) Zeitschr. f. Hyg. 23. 214, 1899.
2) Wien. klin. Woch. 1900 und 190L
3) Vgl. darüber auch die neueste Arbeit von B a c h r a c h und
Urafe, Arch. f. Hyg. 70, 1909.
63*
996 Kap. XVI, § 312.
Pferd, Rind, Kaninchen, Meerschweinchen, Mensch; die Körperchen von
Hammel, Schwein, Taube, Gans scheinen gar nicht zu reagieren. Bvi
Streptokokken (in Blutagarplatten) ist die entsprechende Reihenfolge:
Ziege, Rind, Kaninchen, Mensch (Puppel s. u.). Für Pestbazillen
eignen sich Menschen- und Pferdeblutkörper, wenn auch nicht ausschließ-
lich, aber doch besser als solche von Kaninchen, für Cholerabazillen Kanin-
chen- besser als Ziegenblut.
Im allgemeinen ist es sicherer, gewaschene Blutkörper zu
verwenden, weil das Serum, z. B. des Menschen, der Ziege, des Pferdes,
viel seltener das des Kaninchens (Kay s er) die Lösung hemmt (vgl. S. 10i>9).
Niedrige Temperaturen hemmen sie ebenfalls, doch findet
dabei schon eine Bindung des Hämolysins an die Blutkörper statt; sehr
hohe Gaben des Lysins können aber auch dann die Lösung bewirken, s^«
braucht man nach M a d s e n bei 24 stündiger Anwendung einer Teni-
peratiu* von 0 — 1° ungefähr 100 mal soviel Tetanolysin wie bei der gt-
wöhnlichen Anordnung. Vgl. § 314.
Blutkörper verschiedener Individuen derselben Art
können verschieden empfindüch sein. So lösten z. B. 0,05 ccm eines Staphy-
lolysins das Blut dreier Kaninchen vollständig, die Mengen, die noch spuren-
weise lösten, schwankten aber von 0,005 — 0,0005 ccm. Ebenso zeigten
sich Unterschiede in dem Verhalten des Blutes bei niederen Temperaturen,
manche Blutkörper wurden bei 0® schon gelöst, andere nicht (Neißer
und W e c h s b e r g s. u.).
Die von R a y b a u d und Hawthorn *) gemachte Beobachtunc
daß Tuberkelbazillenkulturen nur das Blut von tuberkulösen, nicht von
gesunden Meerschweinchen auflösen, berulit vielleicht auf einer geringeren
Widerstandsfähigkeit der ersteren.
Die hämolj^ische Fähigkeit der einzelnen Bakterienarten und
auch ihrer einzelnen Stämme ist selbst unter den geeignetsten Wachs-
tumsbedingungen (s. u.) eine sehr verschiedene. Letztere Tatsache
hat man besonders bei Staphylokokken imd Strepto-
kokken festgestellt und glaubt sie mit einem gewissem Recht in
Beziehimg setzen zu dürfen zur Virulenz der betreffenden Stämme.
Neißer und Wechsberg*) wiesen zuerst darauf hin, daß die
eitenmgerzeugenden gelben oder weißen Staphylokokken stet» Hämo-
lysin bildeten, und zwar betrug bei der obigen Versuchsanordnimg
die gerade zur vollständigen Lösung von Kaninchenblutkörpem aus-
reichende Menge der Bouillonfiltrate 0,0075 — 1 ccm oder mehr. Andere
aus der Luft, von der Haut stammende, meist ungefärbte und schlecht
verflüssigende Staphylokokken lösten überhaupt nicht. Die späteren
Untersuchungen^) bestätigten das im wesentlichen, doch scheinen
Ausnahmen und Übergänge vorzukommen. Vor allem muß man im
Auge behalten, daß einundderselbe Stamm, wie es nament-
1) Soc. biol. 1903 Nr. 55 (nach P r i b r a m).
2) Zeitschr. f. Hyg. 36, 1901.
3) Kutscher und K o n r i e h ebenda 48, 1904 mit Lit., F r ä n -
k o 1 und B a u m a n n , Münch. med. Woch. 190ö. 20.
Gifte der Klein wesen. 997
lieh auch bei Diphtheriebazillen^) nachgewiesen ist, während der künst-
lichen Kultur die Fähigkeit, Blut zu lösen, verlieren
kann. In dieser Beziehung scheinen die Streptokokken^)
weit beständiger zu sein, während sie, mindestens nach der Meinung
mancher Forscher (N a t-v i g , Z a n g e m e i s t e r), unter natürlichen
Bedingungen, d. h. in und auf lebenden Menschen und Tieren, sehr
wohl derartige Wandlungen und auch die umgekehrte — aus nicht hämo-
lytische in hämolytische Rassen — durchmachen sollen. Der strenge
Beweis dafür ist freilich sehr schwer zu führen, imd die Bedingungen,
unter denen die Umwandlung erfolgt, sind noch dunkel. Jedenfalls
steht auch hier wie bei den Staphylokokken fest, daß die Strepto-
kokken, die aus pathologischen Prozessen gezüchtet werden, gewöhn-
lich hämolytisch sind, die von gesunden Schleimhäuten, Mimd imd
Rachen, Darm, Scheide, von der Haut, aus der Milch stammenden
dagegen ebenso gewöhnlich nicht hämolytisch. Allerdings hat diese
Regel Ausnahmen, nach Ansicht mancher Forscher sogar sehr viele,
indessen rührt das wohl zum Teil daher, daß man nicht immer ge-
nügend auf die Art der gefundenen Streptokokken geachtet hat.
Der pathogene Str. lanceolatus (und mucosus) ist, wie schon
Sehottmüller beobachtet, ebenso häufig nicht hämolytisch, wie
der Str. pyogenes hämolytisch. Außerdem ist es nach den in
meinem Laboratorium von P u p p e 1 gemachten Erfahrungen unbe-
dingt nötig, auf den Grad der Hämolyse zu achten. Um so sicherer
scheinen die hämolytischen Streptokokken für die Menschen pathogen
zu sein, je ausgesprochener sie M e n s c h e n b 1 u t *'') lösen (s. o.).
1) Schwoner, Zentralbl. Bakt. 35. 613, 1904.
2) Besredka, Annal. Pasteiir 1901 ; Marmorek, Berl. klin.
Woch. 1902. 14; Lubenau, Zentr. Bakt. 30, 366, 1901; Schott-
rn ü 1 1 e r , Münch. med. Woch. 1903. 20/21 ; Schlesinger, Zeitschr.
f. Hyg. 44, 1903; Simon, Zentr. Bakt. 35, 1904; Kern er ebenda
38. 223, 1905; Bau mann, Münch. med. Woch. 1906. 25; Natvig,
.Vrch. f. Gyn. 76, 1906; P. Th. M ü 1 1 e r , Arch. Hyg. 56. 1906; Nieter,
Zeitechr. f. Hyg. 56, 1907; v. Bardeleben, Arch. Gyn. 83, 1907;
Rüdiger, Joum. of. inf. dis. 1907; Salomon, Zentr. Bakt. 47, 1908;
Fromme u. Heynemann, Berl. klin. Woch. 1908. 919; Heynemann,
Arch. f. Gyn. 86; Fromme ebenda 87; C. F r ä n k e 1 , Münch. med.
Woch. 1909, 311 ; L ü d k e und P o 1 a n o , ebenda S. 9; Zange-
meister. Deutsch, med. Woch. 1909. 10/11 und Verh. Ges. f. Gynäk.
1909; GeseUsch. f. Cliir. 1910; Z ö p p r i t z , Verh. Ges. f. Gynäk. 1909;
E. S a c h 8 , Zeitschr. Hyg. 63, 1909; P u p p e 1 , Verh. Naturf. Versamml.
Königsberg 1910 (Zeitschr. Hyg. 1911).
3) Zweifelhaft ist es dagegen, ob die für MäiLse, Kaninchen, Rinder
virulenten Streptokokken in deren Blut die größte Wirkung äußern. Die
ganze Frage verdiente namentlich auch für andere Bakterien noch gründ-
licher studiert zu werden.
998 Kap. XVI. § 312.
Mit diesen Bemerkungen wollen wir aber nicht sagen, daß die Fähig-
keit, Blut zu lösen, immer mit der Virulenz des Strept. pyogenes
parallel gehe, sondern nur die Ansicht begründen, daß die Hämo-
Ijrse ein, bei dem fühlbaren Mangel anderer Mittel^) nicht unwichtiger
Anhalt für die Beurteiltmg seiner Virulenz ist. < — Wohl im Auge zu be-
halten ist, daß das hämolytische Vermögen in Filtraten je nach
dem Alter der Kultur, die man untersucht, wechselt.
Beim Staphyiococcus pyogenes ist sie am größten zwischen deni
3. und 20. Tage, beim Bac. pyocyaneus*) zwischen dem 7. und 34. Tage.
beim Typhusbazillus') nach 14 Tagen, beim Colibazillus^) nach 4 — 6 Tagen,
beim Diphtheriebazillus^) nach 1 — 14 Tagen, beim Hülmercholerabazilluä
nach 12 Tagen. Lubenau findet sogar von einem zum anderen Tage
beim Staphyiococcus sehr erhebliche Schwankungen des hämolytischen
Vermögens, so daß es heute da sein, morgen verschwinden und übermorgen
wiedererscheinen] kann. Um sicher zu sein, daß man die hämolytische
Fähigkeit nicht übersieht, empfehlen Kutscher und K o n r i c h dlo
Filtrate der Staphylokokken vom 3. bis zum 20. Tage täglich zu prüfen.
Unter den stärker hämolytischen Bakterien sind in erster Linie
zu nennen außer vielen Staphylokokken und Streptokokken (vom
Tj^us des Str. pyogenes), Bac. pyocyaneus, die Bazillen des Tetanus
(a. a. 0.), malignen Ödems und Rauschbrandes'), der Hühnercholera"),
Bac. megatherium®), virulente Pestbazillen') und manche Coliarten
(s. o.), viele choleraähnliche Vibrionen, wie z. B. der Vibrio Nasik,
Metschnikoff, Finkler-Prior, Berolinensis^®), aber auch die vielleicht
zu den echten Choleravibrionen gehörigen El-Tor-Stämme*^). Geringer
1) Das beste besteht wohl in der Prüfung auf Phagozytose bzw, Op-
sonierbarkeit in dem betreffenden Blutserum, vgl. § 322.
2) B u 1 1 o c h und H u n t e r , Zentr. Bakt. 28. 265. 1900; W e i n -
g er off ebenda 29. 277, 1901; Lubenau a. a. O. ; Breyraann
ebenda 31, 1902.
3) E. und P. L e V y ebenda 30. 405, 1901 ; Castellani, Lanwi
15. II. 1902; Williamson, Biochem. Zentr. 3.
4) Kays er, Zeitschr. f. Hyg. 42, 1903; Mori, Zentr. Bakt. 38.
1905.
5) Schwoner, Lubenau a. a. O.
6) Eisenberg, Soc. biol. 16. III. 1907.
7) Calamida, Zentr. Bakt. 35, 1904.
8) T o d d , Lancet 14. XII. 1901 und Transact. Pathol. Society
London 1902; Drey er und Blake, Lancet 1904 (nach Pribram).
9) R a y b a u d , ref . Biochem. Zentralbl. 1 ; U r i a r t e ebenda
(P r i b r a ni).
10) M a s i (bei Pribram). Kraus, Wien. klin. Woch. 1903. 50:
1905. 999; 1906. 11; Meinicke, Deutsch, med. Woch, 1904. 23 und
Zeitschr. f. Hyg. 50; Prausnitz, Berl. klin. Woch. 1905. 19.
11) Kraus imd Pribram, Wien. klin. Woch. 1905. 39.
Gifte der Klein wesen. 999
und lange nicht so beständig ist die Hämolysinbildiing bei Milzbrand^),
Typhus (s. o.), Ruhr^), Proteus^), Diphtherie (a. a. 0.), vielen Stämmen
des Streptococcus pyogenes (s. o.) und namentlich des Strept. lanceo-
latus^) und Strept. lacticus^), Diplococcus catarrhalis und Micr. tetra-
genus*). Gar kein Hämolysin (in dem gewöhnlichen Sinne, s. u.) er-
zeugen Cholerabazillen, Pseudodiphtherie'') imd Xerose®), Bac. botu-
linus \md putrificus coli, Paratyphus*), Sarcina lutea^®) und viele andere
Saprophyten, wozu ja auch viele Staphylo- imd Streptokokken (s. o.)
gehören. Im übrigen besitzen diese Angaben keinen unbedingten
Wert, da offenbar viel auf* die veränderliche Stammeseigentümlichkeit,
die Untersuchungsmethode sowie den Nährboden ankommt. Im
Blutagar (s. u.) scheinen sogar die allermeisten Bakterien, die bei der
gewöhnlichen Prüfung dazu imfähig sind, Hämolyse zu verursachen.
Für viele Bakterien ist es nötig, die flüssigen Nährböden in be-
stimmter Weise zusammenzusetzen, um gute Hämolyse zu erzielen.
So soll für die Streptokokken die Reaktion der Bouillon schwach
alkalisch, für den Bac. inegatheriiim stärker alkalisch, für die Colibakterien
schwach sauer sein. Streptokokken verlangen einen Zusatz von Blutserum,
und zwar ist die Wirkung verschieden, je nach dem Serum, das man wählt;
so lösten nach Besredka Kulturen in Menschenserum auch die Blut-
körper der Ziege und des Lanmies, solche in Ziegenserum nicht. Diphtherie-
bazillen, die ihre hämolytische Kredt verloren haben, können sie nach
Schwoner wiedergewinnen, wenn man der Bouillon Pferdeserum zu-
setzt. Traubenzuckerbouillon wäre nach L u b e n a u wenig geeignet, weil
sie schon ungeimpft Hämolysine bewirkte. Andererseits schädigt der Trau-
benzucker die Hämolysinbildung öfters. Wittepepton beeinträchtigt nach
M a d s e n und W a 1 b u m * *) die Bildung des Tetanolysins, nach H e y -
r o w 8 k y und Landsteiner die des Antraxlysins, besser eignet sich
nach den letzteren Forschern I^epton C h a p o t e a u in y^ — V» prozentiger
Lösung.
l)v. Wunschheim, Arch. f. Hyg. 54. 253, 1905; vgl. auch
Casagrandi , Annali d'igiene 1902 ; Heyrowsky und L a n d -
Steiner, Zentr. Bakt. 44, 1907.
2)Castellani, Lancet 15. IL 1902; Schöbl, Wien. klin.
Woch. 1908. 1442. Eigene Beobachtungen.
3) Kraus und C 1 a i r m o n t a. a. O.
4) Martelli, Annali d'igine 1901 ;Casagrandi, her. Biocliem.
Zentralbl. 1903. 200; vgl. auch S c h o 1 1 m ü 1 1 e r a. a. O.
5) S. o. Baumann, Nieter, Puppel a. a. O. ; Baehr,
Arch. Hyg. 72, 1910.
6) Lubenau s. o. Lode, Zentr. Bakt. 33.
7) S. Anm. 8.
8) S. o. Schwoner.
9) S. o. K a y s e r.
10) S. Anm. 6.
11) Zentr. Bakt. 40. 409.
1000 Kap. XVI, § 312.
In den oben aufgeführten Fällen läßt sich gewöhnlich die Hämo-
lyse auch ohne lebende Bakterien erhalten. Manche der als Gewährs-
männer genannten Forscher haben allerdings angegeben, daß sie die
Blutlösung nur mit lebenden Kulturen erzielen konnten, nickt
mit Filtraten oder durch Hitze, Chemikalien u. dgl. abgetöteten Kul-
turen (Pyocyaneus, Streptokokken, Diphtheriebazillen), andere sind
aber glücklicher gewesen. Wahrscheinlich hängen die gefundenen
Unterschiede entweder von den benutzten Bakterienstämmen und
Nährböden oder von der Durchlässigkeit der Filter und der sonstigen
Methodik oder aber von der Empfindlichkeit der betreffenden
Hämolysine ab. Die gewöhnliche Auffassung, daß die meisten Hämo-
lysine als echte Sekrete zu gelten hätten, ist schwer zu beweisen,
immerhin wahrscheinlicher als dieselbe Annahme für andere Toxine
(S. 870). In jedem Fall werden sie, bis auf die unten zu erwähnenden
Fälle, wo man von Stoffwechselprodukten (Ammoniak) sprechen darf,
Bestandteile der B akt er i e n 1 ei b e r sein, die aus
letzteren schwerer oder leichter, aber oft wohl
auch nicht ohne vorhergegangene Schädigung
der Zelle ausgeschieden werden. Leider hat man es
bisher versäumt, Methoden, die eine vollständige Auflösung der Bak-
terienleiber ermöglichen, wie das Preßsaftverfahren, hier anzuwenden.
Sie würden vielleicht auch überall da, wo bisher der Nachweis von
Hämolysin in flüssigen Nährböden nicht gelungen ist, es auffinden lassen.
Daß übrigens die in Alkohol, Äther usw. löslichen Bestandteile aller
möglichen Bakterien und auch von Trypanosomen für sich
in Extraktform dargestellt, hämolytisch wirken, haben L a n d -
Steiner und Raubitschek^) sowie Muttermilch*) nach-
gewiesen. Es ist das aber kaum zu verwundern, da Lipoide Blut eben-
so wie manche andere Zelle zu lösen pflegen (§ 8 vgl. aber S. 1009).
Mag unsere Auffassung berechtigt sein oder nicht, die Tatsache
steht fest, daß lebende Kulturen regelmäßig eine
viel kräftigere Blutlösung hervorrufen als Fil-
träte usw. — für die übrigen Giftwirkungen gilt ja meist das gleiche —
und daß wir in zahlreichen Fällen ausschließlich
mit Hilfe der lebenden Kulturen hämolytische
Wirkungen hervorrufen können. Am längsten bekannt
sind solche von den Choleraspirillen (R. Koch 1884). Wenn
man sie in flüssigen oder festen Nährböden mit Blut züchtet, beob-
achtet man gewöhnlich, aber nicht immer eine Auflösimg der roten
1) Zentr. Bakt. 45. 660 und 46. 508.
2) Soc. biol. 24. X. 1908.
Gifte der Kleinweeen. 1001
Blutkörper, bei weitem am schönsten und sichersten aber in A g a r -
platten, die man nach dem Vorgange von E i j k m a n n ^) durch
Zumischung von Blut (10%) zum Agar anlegt. Die Kolonien zeigen
sich da umgeben von scharf umgrenzten farblosen Höfen.
Die genaue Untersuchung des Vorganges durch Schottmüller*),
R. Kraus, Prausnitz, und namentlich Meinecke und P r i -
b r a m ') , sowie in meinem eigenen Laboratorium durch Bürgers *)
lehrte, daß einzelne Cholerastämme und eine Anzckhl von Vibri-
onen, die sich auch durch die Gemeinsamkeit mancher anderen Charak-
tere als eine natürliche Gruppe erweisen, weder in Filtraten noch auf Blut-
agar Hämolyse mit Hofbildung (M e i n e c k e) bewirken, oder höchstens
nach einer Reihe von Tagen im Blutagar den Beginn einer Auflösimg von
Blutkörperchen durch Aufklärung (Lackfcu-bigwerden der Platte) anzeigen
(P r 1 b r a m). Die großeMehrzahl der Cholerastämme, gleichgültig
ob sie vom Menschen frisch gezüchtet sind oder lange in künstlichen Nähr-
böden gelebt, sowie zahlreiche andere Vibrionen zeigen dagegen im Blut-
agar*) mehr oder weniger ausgesprochene Hämolyse, während sie in Fil-
traten stets fehlt. Nur bei den sogenannten, aus Dysenterieleichen stam-
menden, Vibrionen von E 1 - T o r , die doch in allen ihren sonstigen Eigen-
schaften mit echten Cholerabakterien übereinstinunen, ergeben Filtrate
und Blutplatten ebenso starke Hämolyse') wie z. B. bei dem Vibrio Nasik
lind anderen sicher von der Cholera verschiedenen Kommabazillen (s. o.).
Rechnet man die El-Tor-Vibrionen zur echten Cholera'), so haben wir
also alle Möglichkeiten bei der Cholera vertreten. Die choleraähnlichen
Vibrionen zeigen die gleiche Mannigfaltigkeit.
Auch in zahlreichen anderen Fällen hat die Blutagarmethode in
der Hand Pribrams viel häufiger Hämolyse ergeben als die übliche
Untersuchimg in flüssigen Nährböden bzw. mit Filtraten. Bei der
von diesem Forscher geübten reichlichen Beimpfimg der Platten fehlt
fast bei keinem Bakterium die Hämolyse, die sich freilich
oft nicht in einer Hofbildung wie bei den Vibrionen, d, h. in einem
(scheinbaren) Verschwinden des Farbstoffs oder wie bei verschiedenen
Kokken in einer Farbenveränderung des Hämoglobins (s. u.), sondern
in einem einfachen Lackfarbigwerden äußert. Beobachtung der Platten
bis zum 3. — 5. Tage ist dazu nötig. Während im allgemeinen die Hämo-
lyse auf Agarplatten besser zu beobachten ist als in flüssigen Nähr-
1) Zentr. Bakt. 29, 1901.
2) Münch. med. Woch. 1904. 7.
3) Kolle-Wassermanns Handb. Erg.-Bd. 1, 1906. 291.
4) Hyg. Rundschau 1910. 4.
5) Auch in Agar mit Ziegenblut, wie Bürgers im Gegensatz zu
Kraus hervorhebt.
6) Sie scheinen das hämolytische Vermögen aber auch in einzelnen
Kulturen verlieren zu können.
7) Vgl. Erörterung in der 1. Tag. der Vereinig, f. Mikrobiol. (Zentr.
Bakt. Ref. 38, Beil. S. 90) u. auf d. Naturf. Vers. Königsberg. 1910 Abt. 28.
1002 Kap. XVI, § 312.
böden, scheint das Umgekehrte zu gelten für Streptokokken,
denn auch die Saprophyten unter ihnen bilden nach B a u m a n n
u. a. mehr Hämol3^in in den letzteren als in den ersteren, weswegen
sich gerade die Blutplatten zur Unterscheidung der pathogenen von
den nicht pathogenen (S. 997) besser eignen.
Man hat versucht, dies© Hämolyse durch lebende Bakterien und
namentlich in der Blutagarplatte als in ihrem Wesen verschieden von der
Filtrathämolyse hinzustellen und sie durch Wirkung des lebenden Proto-
plasmas oder proteolytischer imd anderer (lezithinspaltender) ElnzymeM
zu erklären. Die letztere Annahme läßt sich aber nicht beweisen, wenn
auch in vielen Fällen ein Parallelismus zwischen Gelatineverflüssigung
und Hämolyse besteht, und die erster e ist nach den Erfahrungen, die wir
bei Gärungsenzymen (Zymase) und vielen anderen Giften gemacht
haben, überflüssig und unwahrscheinlich. Der Unterschied beruht imseres
Erachtens hauptsächlich darauf, daß dieHämolysinederleben-
den Bakterien ebenso wie die Zymase und manche
Gifte viel vergänglicher sind als die hämolytischen
Stoffe, die wir durch Filtration usw. von den leben-
den Bakterien trennen können. Außerdem mögen sonst
noch Unterschiede bestehen, aber solche finden sich auch, wenn man die
Filtrathämolysine imtereinander vergleicht.
Der Umstand, daß die Blutlösung auf Agar bzw. Gelatine viel deut-
licher ist als die in flüssigen Kulturen, erklärt sich vielleicht einfach daraus.
daß bei dem reichlichen Sauerstoffzutritt auf der Oberfläche fester Nähr-
böden das Wachstum viel stärker zu sein pflegt, und man braucht wohl nicht
auf enzymatische Wirkungen kolloidaler Stoffe (S. 1009) zurückzugreifen.
Daß die hämolytischen Höfe von den Kolonien auf Platten farblos
erscheinen, liegt, wie Zangemeister mit Recht sagt, nicht daran,
daß der Blutfarbstoff selbst nach der Lösung verändert wird, sondern sich
auf dem übrigen Teil der Platte diu*ch Diffusion gleichmäßig vert^lt.
Die hämolytischen Wirkungen lebender Bakterien zeichnen sich
vor denen der Filtrate femer dadurch aus, daß die Blutkörper nicht
bloß gelöst werden, sondern daß der gelöste Farbstoff auch vielfach
weitere Veränderungen erfährt. Sehr auffällig ist das bei der \iel
studierten Hämolyse durch Strepto- und Pneumokokken.
Zuerst hat Schottmüller') darauf hingewiesen, daß man je
nach dem Verhalten in Agar und Bouillon mit Menschenblut folgende Ab-
arten unterscheiden könne: Der Strept. longus oder erysipelatL-«
(d. h. pyogen es) bilde durch Lösung (oder Aufsaugung bezw. Zerst-örung?)
des Hämoglobins helle Höfe um seine Kolonien und verwandele die hell-
rote Farbe der Blutbouillon allmälilich in Burgunderrot; der Strept. mitis
oder viridans löse die Blutkörperchen nur schwach, bilde grüne Kolonien
und bräune die Bouillon ; der Strept. mucosus wachse in saftigen Kolonien,
die in der Tiefe des Nährbodens dunkelgrün erscheinen, löse das Blut nur
1) Über Ammoniak- und Säurewirkungen s. u.
2) Münch. med. Woch. 1903. 20/21.
Gifte der Kleinwesen. 1003
sehr langsam und färbe die Blutbouillon grünlich; der Pneumokokkus
(Strept. lanceolatus) zeige für das bloße Auge überhaupt keine Hamolyse,
bilde aber in der Umgebung seiner Kolonien und in Bouillon einen schönen
grünen Farbstoff . Grünlich wächst auch oft der Strept. lacticus (Puppel
a. a. O.) Über das eigentümliche Verhalten des Tetragenus siehe bei L o d e
a. a. O. Wie alle diese Veränderungen erzeugt werden, ist noch luiklar, viel-
leicht spielen saure und alkalische Stoff Wechselprodukte dabei eine Rolle ^).
Die spektroskopische Prüfung ergibt, daß die burgunderrote Färbung durch
Oxyhämoglobin, die braunrote durch Methämoglobin verursacht wird*).
Kehren wir zu den am besten studierten Filtratlysinen zurück,
so gibt es einige unter ihnen, deren starke Wirkung sich wahrscheinlich
daraus erklärt, daß einfache Stoffwechselprodukte mit hämolytischer
Kraft, insbesondere Ammoniak, den echten hämolytischen
Giften beigemischt sind.
Man ist auf diesen Unterschied aufmerksam geworden durch den
Umstand, daß die Kulturen (und Filtrate) des B. coli und pyocyaneus
sowie des Typhusbazillus, abweichend von den übrigen Bakterien, das
Vermögen, Blut zu lösen, nicht verlieren diu*ch Erhitzen auf höhere Tem-
peraturen, sondern es sogar noch beibehalten, wenn sie stundenlang bei
100*^ oder 120° gekocht werden. Gleichzeitig hat sich gezeigt, daß Neutrali-
sierung ihrer stark alkalischen Kulturen die Hämolyse sehr staj*k herab-
setzt'). Da nun Ammoniak nachweislich von den Bakterien reichlich ge-
bildet wird (Kap. IX) und schon in starken Verdünnungen Blutkörperchen
löst (L u b e n a u) , so ist wohl anzunehmen, daß mindestens ein großer
Teil der Hämolysinwirkung bei den genannten Bakterien auf der Ammoniak-
bildung beruht*). Es bleibt aber doch ein Rest von Wirkung übrig, der
nicht anders als durch das Vorhandensein eines echten, aber hitzebestän-
digen Hämolysins erklärt werden kann (vgl. § 313). Daß die mehrfach
für die Hämolyse verantwortlich gemachte Säurebildung nicht in Frage
kommt, ist sicher (vgl. z. B. Zangemeister und Sachs). %
Bei den meisten Hämolysinen ist von Kochfestigkeit so wenig
die Rede, daß bei Tetanolysin Temperaturen von 50°, beim Staphylo-
und Vibrionenlysin solche von 56° oder mindestens 65°^), beim Diph-
therielysin von 58°, beim Hühnercholeralysin von 70°, wenn sie 20 bis
30 Minuten einwirken, hinreichen, um die blutlösende Kraft zu ver-
1) Boxer, Vortrag in der pathol. Abteil, der Naturforscher-Ver-
samml. in Meran 1905 — bei Pribram; Rüdiger, Joum. of inf.
diseas. 1906.
2) R i e k e , Zentr. Bakt. 36, 1904.
3) Vgl. auch Jordan, Journ. of med. research. 10, 1903.
4) Vielleicht erklärt sich so die von Abbott und Gilders-
leave u. a. (ebenda) gefundene Regel, daß bei saprophytischen Bak-
terien ein gewisser Parallelismus zwischen Hämolyse und Proteolyse be-
steht. Sind doch die eiweißspaltenden Bakterien gewöhnlich auch die
stärksten Ammoniakbildner. Die Ausnahmen von der Regel (s. bei Pri-
bram) müssen auch in letzterer Beziehung noch genauer geprüft werden.
5) Abweichungen s. bei F r ä n k e 1 und B a u m a n n.
1004 Kap. XVI, § 312 u. 313.
nichten. Das Hämolysin der Streptokokken wird dagegen erst durch
zweistündige Erhitzung auf 70® zerstört. Das Megatherioljrsin wird
nach D r e y e r und Blake (s. o.) zwar bei 56 — 60® unwirksam,
gewinnt aber durch Erhitzen auf 100® seine ursprüngliche Kraft zum
großen Teil wieder. Auch niedrigere Temperaturen und schon das
Aufbewahren im Zimmer oder im Eisschrank schwächen die Gifte
schnell ab, doch läßt sich das Staphylolysin durch Zusatz von Karbol-
glyzerinlösung länger wirksam erhalten.
§ 313. Hämolysine als spezifische Oifte. Die Reindarstellimg
dieser „echten" Hämolysine ist noch nicht geltmgen. Allerdings erhäk
man z. B. durch Fällung mit Ammonsulfat ein trockenes Tetano-
lysin, das sich ziemlich gut hält, aber eine Trennung der Lysinen
von anderen Bakteriengiften, in diesem Fall von Tetanospasmin, macht
bisher unüberwindliche Schwierigkeiten, weil die ersteren empfind-
licher gegen alle chemischen Eingriffe zu sein pflegen als die letzteren.
Daß sie aber als besondere, voneinander imd von den übrigen Giften
verschiedene, in ihrem Bau freilich den letzteren ähnliche Stoffe zu
betrachten sind, kann nach den Erfahrungen Ehrlichs imd M a d •
s e n s mit dem Tetanolysin (s. o. S. 994) imd ähnlichen anderer Forscher
nicht bezweifelt werden. Wichtig ist vor allem neben der Absorption
durch Blutkörper die Möglichkeit, mit den einzelnen Hämolysinen
spezifische Antitoxine zu erzeugen.
Sie ist nachgewiesen für das Hämolysin der Tetanusbazillen (Ehr-
lich und M a d s e n) , Staphylokokken (N e i ß e r und Wechsberg),
des Streptococcus lanceolatus (Casagrandi), des Typhusbazillus
(E. imd P. L e V y , C a s t e 1 1 a n i) , Dysenteriebazillus (Castellani).
Cölibazillen (Kays er) und Vibrionen (Kraus, Meinecke u. ä.).
der Bac. Megatherium (Tod d). Unter Umständen, aber keineswegs
immer (Staphylokokken), gelang die Immunisierung auch mit Filtraten.
die ihre hämolytische Kraft im Reagensglas, z. B. durch Altern, verloren
hatten. So stellten T i z z o n i und Centanni *) das fest für Tetanus.
Volk und Lipschütz ■) für Vibrionen. Man wird daraus auf das
Vorhandensein von Lysinoiden (Hämotoxoiden), die zwar ihre giftige, aber
nicht ihre bindende bzw. immunisierende Fähigkeit verloren haben, in
den Kulturen schließen dürfen. In demselben Sinne sprechen die Bin-
dungsversuche Madsens, Neißers und Wechsbergs im Rea-
gensglas (vgl. dazu § 275).
Das Blutserum der mit den genannten Kulturen behandelten Tiere
bewirkt in mehr oder weniger beträchtlichem Maße Hemmung der Hämo-
lyse, z. B. neutralisierte das Serum von Hunden, die innerhalb zwei Wochen
bis zu 20 ccm einer bei 56 •* abgetöteten Typhuskultur unter die Haut ge-
spritzt erhalten hatten, in einer Gabe von 0,025 ccm die doppelte vollständig
lösende Menge des Typhusfiltrats, während normales Hundeserum ganz
unwirksam war. Die Immunisierung gegen das allgemeine Gift aller dieser
1) Riforma medica 1900. 2. 1—3.
2) Zentr. Bakt. 34, 1903.
Gifte der Kleinwesen.
1005
Bakterien hat deigegen, wenn wir vom Tetanus absehen, höchstens zu
zweifelhaften Ergebnissen geführt ( § 285 ff. ), ein Beweis, daß die Hämoly-
sine mit den anderen Giften nichts zu tun haben. Mit dem Hämolysin der
Diphtherie-, Pyocyaneusbazillen und Streptokokken ist es bisher nicht
gelungen, spezifisch schützende Sera zu erzeugen, das berechtigt uns aber
noch nicht, die Bildung spezifischer Hämolysine für diese Bakterien zu
leugnen. Die näheren Verhältnisse dieser Gifte sind noch nicht ganz klar,
aber wir kennen doch schon manche wichtige Tatsachen. So fand W e i n -
g e r o f f , daß die Giftigkeit der Pyocyaneuskulturen mit ihrer hämoly-
tischen Wirkung parallel geht, daß aber durch Bindung an rote Blutkörper-
ehen oder Verdauung mit Pankreas- und Magensaft das Hämolysin ent-
fernt werden kann, während die allgemeine Giftigkeit davon nicht be-
rührt wird. Was d€tö Streptolysin anlangt, so scheinen die Reagensglas-
versuche Schlesingers zu beweisen, daß die Streptokokken auch
Lysinoide bilden, indem durch Bindung imwirksam gewordenes Strepto-
lysin die Blutkörperchen vor der Auflösung durch wirksames Gift schützt;
das Diphtherielysin schließlich muß verschieden sein von dem Diphtherietoxin,
weil Diphtherieheilsenun zwar das Toxin neutralisiert, aber nicht das Lysin.
Der Vergleich der Hämolysine untereinander ergibt in vielen Fällen
(s. o.) schon dadurch eine Verschiedenheit, daß die einzelnen Blutkörper-
arten in ungleicher Weise von ihnen beeinflußt werden. Aber auch mit
Hilfe der antilytischen Sera ist eine Trenmuig möglich. N e i ß e r und
W'echsberg haben so gefunden, daß gegen Tetanolysin wirksames
Tetanusserum Staphylolysin nicht stärker beeinfliißt, wie normales Pferde-
»enim oder Schweinerotlaufserum, also Tetanolysin mit Staphylolysin
nicht identisch sein kann. Andererseits haben Kraus, Pribram
und Prantschoff ^) wahrscheinlich gemacht, daß die Hämolysine von
zahlreichen Vibrionen — darunter auch die bekannten El -Tor- Cholera-
vibrionen — , die sich durch andere Eigenschaften (z. B. ihr Verhalten
im agglutinierenden Serum) unterscheiden lassen, gleiche Antilysine er-
zeugen, also wohl identisch sind^).
Gegenüber den Kraus sehen Erfahrungen, die für eine weitgehende
Ubereinstinuniuig von Lysinen verschiedenen Ursprungs sprechen, be-
sitzen wir in Wechsbergs®) Versuchen über das Staphylolysin
Beweise dafür, daß selbst das von einem und demselben
Bakterium stammende Hämolysin eine verwickelte Zusammensetzung
haben kann. Wechsberg, der verschiedene Tiere mit Staphylolysin
immtmisiert hatte, fand, daß bei Benutzung verschiedener Blutkörperarten
die Immunserummenge, die 1 ccm des Staphylolysins neutralisierte, folgende
Werte annahm:
Ziegen- Kanin-
serum i chenserum
Himde-
serum
Pferde-
serum
Kaninchenblutkörper .
Hammelblutkörper . .
Ziegenblutkörper . . .
Hundeblutkörper . .
0,2
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0,0025 „
ccm 0,78 ccm 0,2 ccm
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1,56
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0,04
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0,06 „
1) Zentr. Bakt. 41. 377. 480, 1906.
2) Das gleiche gilt für die akuten Toxine dieser Gruppe (§ 285).
3) Zentr. Bakt. 34. 849, 1903.
1006 Kap. XVI, § 313 u. 314.
Ohne Serumzusatz löste 1 com des Staphylolysins 10 Tropfen. Kaninchen-
blut, 100 Tropfen Hammelblut, fast einen Tropfen Ziegenblut und 2 Tropfen
Hundeblut. Eine Erklärung dieser Zahlen scheint ganz unmöglich, wenn
wir annehmen, daß das Hämolysin ein einheitliches Gift ist, das nur in
verschiedenen Mengen von den roten Blutkörperchen der einzelnen Tiere
gebunden wird, aber einen einheitlichen Immunkörper erzeugt, denn in
diesem Falle müßte die Reihenfolge der Blutkörper immer dieselbe sein.
Der Augenschein lehrt das Gegenteil. Man wird die Tatsachen eher dahin
deuten können, daß das Gesamthämolysin der Staphylo-
kokken aus verschiedenen Teillysinen zusammen-
gesetzt ist, die mit ungleicher Kraft von den Blutkörpem gebunden
werden und bei den einzelnen Tieren verschiedene Immunkörper erzeugen.
Doch können hier nur genaue Bindimgsversuche Klarheit schaffen,
§ 314. Der Vorgang der Hämolyse. Wir kommen jetzt zu einer
Reihe anderer Untersuchungen, die sich mit der näheren Auiklärung
des Vorgangs der Hämolyse, ihrer Hemmung und Begünstigung durch
nichtspezifische Einflüsse beschäftigen. Gerade mit den Hämolysmen
hat man mehr wie mit anderen Bakteriengiften gearbeitet, weil die
Versuche im Beagensglas ausgeführt werden können.
Schon Eh'rlich fand,^daß das Hämolysin sich durch die Be-
handlung von Tetanusfiltraten durch rote Blutkörperchen ausziehen
läßt, d. h. an sie 'gebunden wird. In zahlreichen anderen Fällen wurde
der Satz, daß ohne Bindung keine Hämolj^e erfolgt, bestätigt, anderer-
seits nachgewiesen, daß die Bindung allein noch keine Hämolyse be-
wirkt. So besitzen unwirksam gewordene Filtrate (Lysinoide s. o.
S. 1004) Bindekraft. Und so haben die roten Blutkörper nach N e i s -
s e r und Wechsberg nicht bloß die Fähigkeit, hämolytisches Gift,
sondern auch Leukozidin (§ 317) zu binden, während umgekehrt die
weißen Blutkörperchen nur das letztere an sich ketten, nicht das erstere.
Die Menge des Staphylo- xmd Vibriolysins, die durch die Blut-
körper des Kaninchens bei veränderlichem Zusatz von überschüssigem
Lysin gebunden wird, haben Volk^) und Schur ^) bestimmt. Sie
kommen zu dem Ergebnis, daß bei gleichbleibender Menge die Blut-
körper ein Vielfaches der einfachen lösenden Gabe absorbieren; und
zwar wächst die absolute Absorptionsgröße mit der zugegebenen
Lysinmenge beständig, während die relative fällt. Die Bindung
erfolgt zum größten Teil bei nicht zu niedriger Tempe-
ratur schon in den ersten Minuten der Berührxmg, und zwar um so
schneller, je mehr Lysin zur Verfügung steht.
Es ist nicht etwa das Hämoglobin, das sich mit dem Lysin verbindet,
sondern das Protoplasma (Stroma, Gerüst) der roten Blutkörperchen
1) Zentr. Bakt. 34. 843. 1903.
2) Hofmeisters Beitr. 3, 1903.
Gifte der Kleinwesen.
1007
(Volk und Lipschütz ^)). Denn wenn man rote Blutkörperchen in
destilliertem Wasser auflöst, eine geringe Menge Kochsalz zusetzt
niid die Blutschatten ausschleudert, beeinflussen nur sie eine Hämolysin-
lösung, nicht die darüberstehende gefärbte Flüssigkeit.
Zu seinen ausführlichen Versuchen über das Staphylolysin benutzte
Schur, wie schon früher M a d s e n, als Maß der Hämolyse die k o 1 o r i -
metrische Bestimmung mittelst des Hämometers
von Fleischl*): die Blutlösung wird zu dem Behuf e zentrifugiert,
abgehoben und unter Umständen noch einmal zentrifugiert. Sind die
Blutkörper gut agglutiniert, wie es häufig der Fall, so ist das Ausschleudern
überflüssig. Die Färbekraft der Hämolysinlösung hält sich gut, wenn
Bakterien femgehalten werden. Schur unternahm zunächst eine Reihe
von Versuchen, in denen er einerseits die L3rsinmenge, andererseits die
Blutmenge, die er zu je 5 ccm 0,85% Kochsalzlösung setzte, veränderte.
Xach 24 Stiuiden erhielt er z. B. in einem Versuch, in dem die Blutmenge
wechselte, folgende Hämolysinmengen (in Fleischlzahlen):
0,5 Tropfen Lysin löst aus 1 Tropfen Blut 85, also auf jeden Tropfen 85
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In einem zweiten Versuch, in dem die Lysinmenge wechselte, ergab sich:
aus 8 Tropfen Blut lösten 0 Tropf en Lysin 40Flei8chl (Kontrolle)
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also auf 0,1 Tropf. 20
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0,1
0,1
0,1
0,1
0,1
21
20
19
12,5
7,75
Aus diesen und ähnlichen Versuchen folgen zwei Sätze:
1. Die Menge des nach 24 Stunden von einer und derselben Lysin-
menge gelösten Hämoglobins wächst mit der Blutmenge absolut genonunen,
doch nur bis zu einem bestimmten Punkte, von dem aus eine Abnahme
erfolgt. Die relative Lösungsmenge sinkt dabei stetig.
2. Die Lösungskraft steigender Lysinmengen auf die gleiche Blut-
menge steigt bei den kleinsten Mengen für die Lysineinheit zuerst stark
an, bleibt bei mittlerer Gabe ziemlich beständig* um bei größeren wieder
abzufallen.
In einer weiteren Versuchsreihe studierte Schur den zeit-
lichen Ablauf der Hämolyse.
Es fand sich z. B. folgende Hämoglobinmenge gelöst, wenn 8 Tropfen
Blut mit Lysin 11 Tage lang bei Zimmertemperatur (in 5 ccm Kochsalz-
lösung aufgeschwemmt) in Berührung blieben.
1) Wien. klin. Woch. 1903. 50.
2) Statt des ihm beigegebenen Kapillarpipette wendet man hier
Pipetten von 1 ccm Inlialt an, die in Vioo ccm geteilt sind.
1008 Kap. XVI, § 314.
0 Lysin löste nadi 1 Tag 30, n. 3 T. 30, n. 5 T. 30, n. 8 T. 30, n. 11 T. 6u
"»1 ,, t» ft » >» ^»f »» »» ö7,ö, ,, „ ,, 117, ,, ,, ,, loU, „ ,. «, *Z!LV
^*»ö ,, ,, ,, ,, ,, lo4, ,, ,, ZZi), ,, «, ,, ZoU, ,, ,, ,, o^i), ,, ,, ,. «W«
1,0 „ „ „ „ „ 290, „ „ 320, „ „ „ 380, „ „ „ 510, ., ,. ,, 550
2,0 „ „ „ „ „ 400, „ „ 400, „ „ „ 480, „ „ „ 570, , 50o
Es folgt aus diesen Versuchen:
3. daß die Blutkörper in Kochsalzlösung ohne Lysin zunächst i)ir
Hämoglobin festhalten, es später aber doch abgeben. Schließlich erfi)l(rt
sogar vollständige Lösung, ohne daß Bakterien dabei ins Spiel kommen.
Diese Spontanhämolyse ist vielleicht der Autolyse anderer Zellen ver-
gleichbar.
4. Das Staphylolysin löst, je länger es mit den Blutkörpern in He-
rühnuig bleibt, um so mehr Hämoglobin; die Steigerung ist um so deut-
licher, je geringer die Lysinmenge ist; bei kleinen Lysinniengen geht der
Lösung eine Wartezeit vorher, die in obigem Beispiel noch bf i
0, 1 ccm Lysin mehr als 24 Stunden betrug. Schon M a d s e n hat bei dem
Tetanolysin eine solche allerdings kiirze ,, Latenzzeit" beobachtet.
Schur schließt aus diesen Untersuchungen, daß das Bak-
terienhämolysin ähnlich einem Enzyme wirke.
Auch bei Zersetzung des Rohrzuckers imd Amygdalins durch Invertin
und Emulsin wachse die absolute Menge der durch gleiche Enz}Tn-
mengen aus wachsenden Stoffmengen umgewandelten Stoffe bis zu
einer gewissen Grenze und sinke die relative Menge. Auch der zeit-
liche Verlauf sei ein ähnlicher. Die 0 s t w a 1 d sehe Auffassung
der Katalyse als Beschleunigung eines auch freiwillig, aber langsam
vor sich gehenden Vorgangs finde in der Hämolyse eine Stütze, da
sie auch freiwillig vor sich gehe.
Zu einer anderen Auffassung gelangten Arrhenius und M a d -
s o n ^) bei Prüfung des Vorgangs der Blutlösung durch Tetanolysin.
Es ergab sich nämlich, daß die Hämolyse bei Zunahme der Häiii«^-
toxinmengo ungefähr proportional ist dem Quadrate der Hämotoxin-
konzentration. Mit einigen durch besondere Verhältnisse bedingten Ab-
änderungen soll dasselbe Gesetz auch für die Blutlösung durch Alkalien
gelten*). Die gelöste Blutmenge hätte ferner nach Rechnung der Ver-
fasser dem Quadrat der Reaktionszeit und dem Quadrat der Toxinmenge
proi)ortional sein sollen, war aber bei einer bestimmten Beobachtungs-
dauer nur der einfachen Toxinmenge proportional. Ein Steigen der Tem-
peratur erhöhte die Reaktionsgeschwindigkeit in etwas geringerem Grade
als bei anderen chemischen Prozessen. Die stärkste Hämolyse erfolgt
bei Tetanus-, Staphylokokken-, Streptokokken- und Vibrionen tox ine«
ungefähr bei 35°, doch kommen Abweichimgen nach unten vor (Mad-
s e n und W a 1 b u m ')).
1) Zeitschr. physikal. Chem. 44, 1903.
2) Vgl. dagegen die Einwendungen Kopp es (Pflügers Arcli. 1''3)
und bei P r i b r a m.
3) Acad. roy. d. scienc. et des lettres de Danemark 1904. Nr. 6.
Gifte der Kleinwesen. 1009
AttBer durch die Temperatur erzielt man eine erhebliche
Steigerung der Blutlösung durch Zufügung geringer Mengen kol-
loidalen Silbers (Hamburger*) und H e r m a n ), wäh-
rend größere Mengen sie hemmen (vgl. § 274). Ob andere Kolloide
ähnhch wirken, ist zweifelhaft, selbst von dünnen Eiweißlösun-
gen hat man nur hemmende Wirkungen beobachtet (Arrhenius
und Madsen). Salzlösungen sollen nach denselben Forschern
in kleinen Mengen keinen Einfluß ausüben, bei etwas größeren die
Wirkung verstärken, in starker Konzentration aber nach Volk imd
Lipschütz^) wieder deutlich hemmen. Schwache Alkalien,
von denen man eine Verstärkung der Wirkung erwarten sollte, üben eine
solche nach Arrhenius imd Madsen nicht aus. Normales
Blutserum hemmt auch in erhitztem Zustand nach vielen Er-
fahrungen die Hämoljrse durch Bakterienstoffe und manchmal auch die
durch lebende Bakterien. Vom Pferdeserum genügt manchmal schon
0,01 ccm, um eine lösende Gabe des Staphylolysins zu neutralisieren.
Zum Teil beruht das nach Arrhenius' und M a d s e n s Beobach-
tungen am Tetanolysin auf dem Eiweißgehalt. P. Th. Müller^)
leugnet wohl nicht ganz mit Becht diesen Einfluß, beweist aber die
schon von Noguchi*) ausgesprochene Vermutung, daß den im
Serum enthaltenen Lipoiden (vgl. § 274), und zwar dem C h o 1 e -
Stearin, mindestens eine wichtige Bedeutung zukomme ; der alko-
holische Extrakt des Serums war sogar stärker antilytisch gegenüber
Tetanolysin als das Serum. Lezithin ist dagegen unwirksam
(P r i b r a m). Wahrscheinlich bestehen aber Unterschiede bei den
einzelnen Lysinen, denn nach v. E i s 1 e r ^) hemmt der Ätherextrakt
aus roten Blutkörperchen zwar die Kraft des Tetanolysins sehr stark,
die des Vibrionenlj^ins aber schon schwächer und die des Staphylo-
lysins überhaupt kaum®). Neben diesen Hemmungskörpern muß man
dem Normalserum noch einen Gehalt an echten Antilysinen zu-
schreiben, die den spezifischen Lysinen vergleichbar, viel-
leicht sogar mit ihnen identisch sind. Denn nach Kraus und L i p -
schütz'') wirken sie unter Umständen (Pferdeserum gegenüber
Staphylolysin) ebenso schnell und auch nach dem Gesetz der Multipla
1) Osmotischer Druck und lonenlehre in der Medizin Bd. 3.
2) Zentr. Bakt. 34, 1903.
3) Ebenda.
4) Ebenda 32, 1902.
5) Wien. klin. Woch. 1905; vgl. auch L a n d s t e i n e r u. v. Eial er
f^benda 1904. 24 u. Pr i b r a m a. a. O. (Kolle-Wassermann) S. 297.
6) Über die verwickelte Zusammensetzung der Atherextrakte s. bei
Bang und Forßmann, Hofmeisters Beitr. 8, 1906.
7) Zeitschr. f. Hyg. 46.
Kruse, Mikrobiologie. 64
1010 Kap. XVI, § 314 u. 31ß.
und vermögen ebenso, wie das M a d s e n für sein Tetanusserum fand,
bereits vergiftete Blutkörper vor der Auflösung zu schützen. Nur
die Intensität der Wirkung ist meist geringer als die der Immunsera.
Von diesen letzteren haben wir schon an anderer Stelle (S. 883
u. 1004) gesprochen.
Über den Vorgang, durch den die Hämolyse, d. h. die Trennung
des Hämoglobins von dem Gerüst des Blutkörperchens erfolgt, wissen
wir ebensowenig Sicheres, wie bei andeem Blutgiften, vor allem schon
deswegen, weil uns auch der Bau der Blutzellen, der Zusammenhang
des Hämoglobins mit denselben noch eine große Unbekannte ist. Man
könnte an eine physikalische Einwirkimg auf das Gerüst der Blut-
körperchen, die dieses zur Quellung oder zur Aullösung bringt, wie
destilliertes Wasser oder andere hypotonische Lösungen und Fett-
lösungsmittel, oder an eigentliche chemische Einflüsse auf die eiweiß-
und fettartigen Bestandteile der Zelle (Nukleoproteid und -albumin,
Cholestearin, Lezithin usw.) denken. Beziehungen zwischen der
proteolytischen und hämolytischen Wirksamkeit der Bakterien sind
zwar öfters vorhanden, aber nicht regelmäßig genug (S. 1003).
Neuerdings sind die Beziehungen der Hämolysine zu den Lipoidstoffen
der Blutkörper mehr in den Vordergrund getreten. Über Vermutungen
kommen wir aber bisher nicht hinaus^).
Über die agglutinierende Wirlamg mancher Hämolysine und die
„Hämatolyse" v. Lingelsheims werden wir später sprechen (§ 316).
§ 315. Hämolytische Wirksamkeit der Kleinwesen im
Tierkörper. Weil die Hämolysine auch im Beagensglas wirken,
liegt es nahe, die dabei gewonnenen Erfahrungen auf die Vorgänge
im Tierkörper zu übertragen. Wir begegnen dabei freilich erheb-
lichen Schwierigkeiten.
Daß bei Infektionen und infektiösen Vergiftungen die roten Blutkörper-
chen vielfach der Zerstörung anheimfallen, ist sicher, zweifelhaft aber,
wieweit dies auf einer echten Hämolyse und namentlich auf einer blut-
lösenden Tätigkeit der Krankheitskeime beruht. Die Anämie und Hämo-
globinurie im Verlaxif der natürlichen Infdction, einschließlich der Blut-
erkrankungen durch Protozoen, besprechen wir in der „Infektionslelire",
hier sollen uns nur die experimentellen Erfahrungen, die man bei den Tier-
versuchen mit Bakterien gemacht hat, beschäftigen. Anämien im Gefolge
von chronischen bakteriellen Infektionen oder Vergiftungen*) sind jedem
1 ) Vgl. bei P r i b r a m a. a. O. S. 294; femer Hamburger a. a. ().,
Bd. I — IIT, Koppe, Pflügers Ar eh. 107; Passini, Hofmeisters Beitr.
6, 1905; s. auch die Untersuchungen über die Senimhämolysine.
2) Bei wiederholter Einspritzimg von schwach yindenten Colibazillen
sah z. B. Charlton ( Journ. med. research. 8 nach P r i b r a m) eine
Veränderung der Blutkörperzahl von 5 auf 1 Million eintreten.
Gifte der Kleinweeen. 101 1
Experimentator bekannt, auch die Anhäufung von aus Blutfarbstoff her-
vorgegangenem Pigment in der Milz ist leicht, z. B. bei Pneumokokken-
infektion in größtem Maßstabe, zu beobachten. Die ersten ausführlichen
Mitteilungen über die Wirkung der löslichen Stoffe von Typhus-,
Milzbrand-, Pyocyaneus-, Oholerabakterien und
iStaph ylokokken verdanken wir Bianchi-Mariotti ^). Ent-
sprechend der eingespritzten Menge nimmt der Hämoglobingehalt des Blutes
ab. Gleichzeitig aber erfolgen Veränderungen der Isotonie , und zwar be-
merkens^veerterweise eine Steigerung nach mittleren Gaben (3 — 6 com
auf das kg Körpergewicht), ein Abfall erst nach größeren. Wiederholte
kleine Mengen haben geringeren Einfluß. Von Hämoglobinurie wird nichts
berichtet. Auch Kraus und Ludwig'), die nur mit kräftigen Hämo-
lysinen (von Staphylokokken und Vibrio Nasik) arbeiteten,
beobachteten nur Verringerung des Hämoglobingehaltes, konnten aller-
dings durch Inununsenun die Blutschädigung verhindern. T o d d (s. o.
S. 998) sah nach Einspritzung von Megatheriolysin ins Blut auch
Hämoglobin im Blut gelöst und im Harn ausgeschieden. Daß unter Um-
ständen die Einwirkung des Staphylolysins auch als Hämolyse bemerk-
bar wird, fand S c h u r ^) , aber sie tritt erst einige Zeit nach der Entnahme
des Blutes aus den Gefäßen als „Nachhämolyse" auf. Nach seiner Ansicht
wären selbst kleine Gaben des Staphylolysins im Körper der Versuchs-
tiere wirksam, indem sie wie ein Ferment wirkten (s. o. S. 1008) ; d«« dabei
in Spuren freiwerdende Hämoglobin würde aber in der Leber zu Gallen-
farbstoff verwandelt und deshalb nicht im Blute als solches erkenntlich,
während das noch an den Blutkörpern haftende Hämolysin sie nachträg-
lich im Reagensglctö löse. v. Wunschheim*) stellte dann in genauen
Versuchen an Kaninchen fest, daß nach Einspritzung großer Mengen von
Staphylolysin dasselbe schon nach 10 — 20 Minuten nicht mehr frei im
Serum vorhanden, sondern an die roten Blutkörperchen gebimden sich
vorfindet, so daß Nachhämolyse eintritt. Vergleiche zeigten, daß im
Keagensglasdie Bindungdes Hämolysinsnicht ent-
fernt so schnell und vollständig eintritt. Ob bei der
schnellen Bindung im lebenden Körper auch andere Organzellen beteiligt
sind, wurde nicht geprüft. Weitere Versuche bewiesen, daß die intra-
venöse Einspritzung großer Mengen von Staphylolysin — aber auch
nicht immer — eine echteHämoglobinurie verursacht, während
subkutane oder intraperitoneale Einverleibung nur Nachhämolyse bewirkt.
Bei immunisierten Tieren blieb die letztere selbst nach intravenöser Ein-
führung aus. Der Antikörper scheint ausschließlich
im Blutserum vorhanden zu sein und nicht in den Blut-
körpem, denn die letzteren allein erwiesen sich gegenüber dem Lysin gleich
empfänglich wie normale.
Umfangreiche Erfahrungen liegen vor über das Vorkommen der Hämo-
lyse nach Infektion mit lebenden Erregern, doch sind
die älteren insofern nicht einwandfrei, als nicht sorgfältig genug zwischen
1) Wien. med. Presse 1894. 36 (Baumgartens Jahrosber.).
2) Wien. klin. Woch. 1902. 15.
3) Hofmeisters Beitr. 3. 117, 1903.
4) Arch. f. Hyg. 54. 199, 1905, mit Lit. ; vgl. auch Münch. med. Woch.
1903. 26.
64*
1Ö12 Kap. XVI, § 315 u. 316.
Hämoglobinurie und Nachhäniolyse unterschieden worden ist. Mit einem
gewissen Recht erhebt v. Wunschheim den gleichen Einwand gegen
einen Teil der am Menschen gemachten Befunde. Seine eigenen
Versuche führten zu folgenden Ergebnissen. Es sind drei Fälle zu
unterscheiden. Eine erste Gruppe von Infektionen (mit Strepto -
kokken*), Pyocyaneus, Hühnercholera*), Coli- und
Typhusbazillen) zeigt im Augenblick des Todes, also auf der HiVh«*
der Infektion, keine Blutlösung, wohl aber eine Nachhämolyse.
Beim Milzbrand und bei schweren, schnell verlaufen-
den Staphylokokkeninfektionen tritt dagegen die Schädi-
gung des Blutes, allerdings auch erst kurze Zeit vor dem Tcde und meist en.s
nur in einer Nachhämolyse, hervor, beim Tcde selbst pflegt also das Bhit
Hämoglobin gelöst zu enthalten. Hämoglobinurie fehlt stets, auch beim
Tcde.
Bei einer dritten Gruppe von Infektionen (Pneumokokken -
septikämie, gewöhnliche Staphylokokken pyämie, Te-
tanus ')) wird Hämolyse überhaupt, auch nach dem Tode, nicht be-
merkbar.
Diese Versuchsergebnisse, die einwandfrei gewonnen scheinen,
aber natürlich noch nicht als abgeschlossen zu betrachten sind,
lassen sich nicht ohne weiteres aus den Erfahrungen, die über die Hämo-
lysine im Reagensglas gewonnen sind, deuten. Auffällig ist sicher
die Tatsache, daß der Tetanusbazillus, der außerhalb des lebenden
Körpers das kräftigste Hämolysin erzeugt, im lebenden dazu nicht
imstande ist, und daß umgekehrt der Milzbrandbazillus, in dessen
Kulturen es nur mit Mühe und Not gelingt, Hämoljrse nachzuweisen,
im Tier der am ausgesprochensten wirksame ist. Nebenbei bemerkt
ist dieser letztere Bazillus einer der wenigen, bei dem bisher trotz
aller Bemühungen die Suche nach allgemeinen Giften vergeblich ge-
wesen ist. Jedenfalls ersieht man aus diesen und aus den oben be-
richteten Versuchen über die Wirkungen des Staphylolysins im lebenden
Körper, daß man mit der Verallgemeinerung der im
Reagensglas erhaltenen Funde vorsichtig sein
muß. Man hat sich, um sich mit den Tatsachen abzufinden, zweierlei
Fragen vorzulegen. Ist zunächst die Hämolyse, die man bei der In-
1) Andere Angaben bei B o r d e t , Annal. Pasteur 1897; v. L i n -
g e 1 s h e i m , Ätiol. und Ther. der Streptokokken inf. (Behrings Beitr.
z. exp. Ther. 1900) ; Besredka, Annal. Pasteur 1901 ; Marmorek.
Berl. klin. Woch. 1902; v. B a r d e 1 e b e n , Arch. f. Gynäk. 83 (vgl. auch
Hämagglutinine § 316). Simon, Zentr. Bakt. 35 sah keine Hämolyse bei
Tieren, die mit Filtraten vergiftet waren, wohl bei infizierten nach dem
Tode.
2) Bei Taubon imd Hühnern ist das Blutplasma manchmal schon
beim Tode hämoglobinhaltig.
3) Bei Infektionen mit Gartenerde wurde gelegentlich Hämolyse
beobachtet, die wahrscheinlich auf Mischinfektion beruhte.
Gifte der Kleinwesen. 1013
fektion im Tiere beobachten kann, überhaupt auf hämolytische Stoffe
der Bakterien zurückzuführen, oder ist sie anders zu erklären, z. B.
etwa, wie die Versuche Bianchi-Mariottis (s. o.) denken
ließen, durch Änderungen der Isotonie des Blutes, v. Wunsch-
heim hat es für den Milzbrand wahrscheinlich gemacht, daß diese
Möglichkeit wohl nicht in Betracht kommt, indem er einerseits den
Chlorgehalt des Blutes bei infizierten und nicht infizierten Tieren
verglich und andererseits das Blutserum infizierter Tiere auf normale
Blutkörperchen wirken ließ. Eine andere Erklärung, die auf die Bil-
dung von Antihämolysinen hinausläuft, ist nicht genügend gestützt.
Die von Pribram (a. a. O.) dafür angeführten Beobachtungen
Casagrandis*) sind kein Beweis. Wenn dieser Forscher nämlich
fand, d^ß ein Milzauszug von gesunden und mit Milzbrand infizierten Tieren
rote Blutkörperchen gesiuider Tiere nicht löst, wohl aber die von Milz-
brandtieren, so spricht d€tö im Gegenteil dafür, daß diese letzteren mit
Milzbrandhämolysin vergiftet sind. v. Wunsch heim sah die Blut-
körperchen eines Milzbrandtieres sich schon in physiologischem Kochsalz-
wasser lösen.
Wir haben also vielleicht beim Milzbrand und noch mehr bei der
Staphylokokkenerkranlnmg ein Recht, die Hämolyse im Tierkörper
auf Bakterienhämolysin zurückzuführen. Die mangelhafte Nach-
weisbarkeit des Milzbrandlysins würde dann eine Parallele haben in
dem Mißlingen der Versuche, ein allgemeines Milzbrandgift nachzu-
weisen. Gerade beim Milzbrand, bei dem die Bazillen ja selbst in
die Blutbahnen eindringen können, wäre übrigens am ehesten die
hämolytische Fähigkeit auf Blutplatten, die nach Pribram eine
ausgesprochene ist, zur Erklärung heranzuziehen. Es ist aber auch
nicht unmöglich, daß bei den infektiösen Anämien, die ohne nachweis-
baren Austritt von Hämoglobin verlaufen, das Hämolysin nicht un-
beteiligt ist (s. o. Schur, Kraus imd Ludwig). Der Beweis
wird freilich, solange eine Trennimg des Hämolysins von anderen
Bakteriengiften im Tierkörper nicht möglich ist, kaum zu führen sein.
Es ist ja denkbar, daß auch auf andere Weise, z. B. durch mangel-
hafte Tätigkeit der blutbildenden Organe, die ihrerseits durch andere
Gifte bewirkt wird, eine Schädigung der roten Blutkörper zustande
kommt, durch die ihre Empfindlichkeit gegen normale Einflüsse ge-
steigert wird.
§ 316. Hämagglutinine der Bakterien. Es ist von verschie-
denen Seiten nachgewiesen worden, daß die Bakterien auch Hämag-
glutinine» d. h. Blutkörper zur Verklebung bringende Stoffe bilden
1) Anm. 1, auf S. 999.
1014 Kap. XVI, § 316 u. 317.
(Kraus und Ludwig^), Volk 2), Pearce und W i n n e ') ,
G u y o t *).
Am vollständigsten sind die Versuche des letzten Forschers. Er
prüfte 18 Stämme des Bact. coli, 4 des Typhusbaz., 2 des Staphylococcus
pyogenes, je einen des Pneumo- und Meningococcus zunächst, indem er
je eine Öse des Bakterienbelags in 1 ccm des Kondenswassers der Agar-
kulturen aufschwemmte und gleiche Teile davon mit einer 5 prozentigen
Aufschwemmung gewaschener Blutkörperchen in Kochsalzlösung im
hängenden Tropfen zusammenbrachte. Binnen 5 Minuten trat eine Aggluti-
nation ein, aber nur bei 12 Colistämmen, und auch gegenüber diesen rea-
gierten nicht die Blutkörper aller daraufhin untersuchten Tierarten gleich-
mäßig, sondern bald diese, bald jene in mehr oder weniger ausgesprochenem
Grade. Die Blutkörper verschiedener Individuen derselben Art verhielten
sich aber annähernd gleich. Die Reaktion der Aufschwemmungsflüssigkeit
bedingte auch keine wesentlichen Unterschiede, ebenso zeigte sich die
Agglutination, wenn man Bouillonkulturen oder Aufschwemmungen der
Bakterien in Kochsalzlösiuig u. dgl. verwandte. Das Verklebungs-
vermögen haftete aber stets den Bakterienleibern
selbst an und ging nicht in das Filtrat über. Er-
hitzung auf 60—80° zerstörte es, nicht Behandlung
der Leiber mit 10% Formalinlösung. Danach will G u y o t
nicht von löslichen Stoffen sprechen, die den Bakteriolysinen an die Seite
zu stellen seien. Wahrscheinlich ist dieses Ergebnis aber nur der Versuchs-
anordnung des Verfassers zu verdanken. Daß die Agglutinine
auch aus den B ak t er i en 1 ei b er n abgegeben werden,
folgt aus eigenen Versuchen G u y o t s , die auch in anderer Beziehung
bemerkenswert sind. Wurde eine agglutinierende Aufschwemmung 1 Stunde
lang mit viel roten Blutkörpem einer bestimmten Art behandelt, so verlcr
sie die Fähigkeit, Blutkörperchen derselben und auch anderer Arten zu
verkleben. Verfasser schließt daraus auf die Einheit der Agglutinine bei
der gleichen Bakterienart. Die anderen Forscher sahen übrigens Agglu-
tination auch inFiltraten, z. B. von Staphylokokken, er-
scheinen. Um sie nachzuweisen, muß man nach Volk nur die Kultur-
filtrate in Gaben anwenden, die keine vollständige Hämolyse hervorrufen.
Pearce und W i n n e fanden, daß die Fähigkeit der Bakterienfiltrate.
Agglutination zu erzeugen, dadurch gesteigert wird, daß man die Keime
in Blutnährböden wachsen läßt. Alle Forscher sind darin einig, daß die
Bakterienagglutininevon den Lysinen verschieden
seien.
Nach Pearce und W i n n e bewirken dieselben Filtrate auch bei
Hunden und Kaninchen Lebernekrose und hyaline Throm-
ben in der Leber imd anderen Organen, deren Entstehung aus zusammen-
gebackenen roten Blutkörperchen übrigens auch von anderer Seite (B o x -
mayer, Mallory vgl. S. 944 Anm. 4) angenommen wird.
1) Wien. khn. Woch. 1902. 6.
\ 2) Zentr. Bakt. 34. 844.
3) Americ. Journ. of the medic. sciences Oktober 1904 (bei Pri-
bram in Kolle-Wassermanns Handb. 1. Erg.^Heft S. 430).
4) Zentr. Bakt. 47. 640, 1908.
Gifte der Kleinwesen. 1015
Nicht eine bloße Agglutination, sondern Verschmelzung und
Zerstörung der roten Blutkörper unter Auflösung
d es Farbstoffs, „Hämatolyse" beobachteten v. Lingelsheim,
B o r d e t und namentlich v. Bardeleben*) innerhalb und außer-
halb des Tierkörpers luiter dem Einfluß von Streptokokken.
§ 317. Leukozidine. Den Hämolysinen und Agglutinininen
schließen sich die Bakterienleukozidine an. VandeVelde^) hat
zaerst in den Exsudaten, die durch Einspritzung von virulenten
iStaphylokokken in die Bauchhöhle von Kaninchen erzeugt wurden,
ein sehr kräftiges Vermögen, die weißen Blutkörperchen zu schädigen,
aufgefunden. Schon in dem Exsudat selbst sind die Leukozyten sicht-
lich entartet, bringt man etwas von dem Exsudatserum mit frischen
Leukozyten») des Kaninchens im hängenden Tropfen zusammen, so
sieht man, wie nach kürzester Zeit, unter Umständen schon nach
den ersten Sekunden die Bewegungen der Leukozyten aufhören, ihre
Pseudopodien eingezogen werden, das Protoplasma kömig wird, der
Kern und Zellmembran deutlich hervortritt, und schließlich der In-
halt der Zelle bis auf eine aufgequollene Blase mit wenigen glänzenden
Körnchen verschwindet. Selbst bis zu einer 500 — 1000 fachen Ver-
dünnung kann das Serum noch diese Erscheinungen hervorrufen, doch
erfolgen sie dann langsamer und erfordern Stimden statt Minuten.
Die Wirksamkeit der Exsudate ist übrigens eine sehr verschiedene.
Auch die Kulturen der Staphylokokken und ihre F i 1 1 r a t e ent-
halten, wenn sie älter werden xmd besonders, wenn sie mit Blut oder
Serum zusammengesetzt sind, dieses Leukozidin, und zwar viru-
lente und ni cht virulent e in ziemlich gleicher
Menge; im Tiere bilden nur die ersteren ein kräftiges Gift, weil
die abgeschwächten Kokken zu frühzeitig in ihnen erliegen. 10 Mi-
nuten lange Erhitzung auf 58 — 60° zerstört das Leukozidin*). Nur
1) Arch. f. Gynäk. 83. 52, 1907.
2) La Cellule 10, 1894; Annal. Pasteur 1896. 580 (vgl. auch D eny s
und van de Velde Cellule 11).
3) Van de Velde benutzte zur Gewinnung von frischen Leuko-
zyten das Pleuraexsudat, das er durch Einspritzung von gekochten Staphy-
lokokkenkulturen erzeugte. Allgemeine Verwendung gefimden hat jetzt
nach dem Vorgange von H. Buchner das Exsudat, das nach Ein-
spritzung von 5 — 10 ccm Aleuronatmischung (z. B. 3 AI. + 1 g Stärke
+ 200 Kochsalzlösimg gut verrührt und gekocht) binnen 24 Stunden in
der Brust- oder Bauchhöhle von Kaninchen, Meerschweinchen usw. ent-
steht. Zmc Verhütung der Gerinnung kann man es nach Neißer und
Wechsberg ohne Schaden für seine übrigen Eigenschaften mit gleichen
Teilen Iprozentigen Natriumoxalats versetzen. Auch Kochsalzlösung oder
Bouillon in größeren Mengen ergibt ziemlich brauchbare Exsudate.
*) Vgl. aber Neißer und Wechsberg (s. u.).
KM 6 Kap. XVI, § 317.
mit nicht erhitzten Exsudaten gelingt es, Kaninchen gegen dieses
Gift zu immunisieren, ihr Serum enthält dann Antileukozidin.
Bail^), V. Lingelsheim^) und N e i ß e r und Wechsberg ^)
bestätigten diese Ergebnisse van de Veldes im wesentlichen.
Nach V. L i n g e 1 s h e i in sind die Leukozyten anderer Warmblüter»
namentlich der Meerschweinchen und Mause, viel widerstandsfähiger als
die des Kaninchens, die des Frosches ganz unempfindlich. Die allgemeine
Giftigkeit der Staphylokokkenkulturen (§ 298) geht mit ihrer leukoziden
Kraft Hand in Hand, dieselbe Temperatur zerstört beide. Dem entspricht
auch, daß Meerschweinchen und Mäuse gegen das Staphylokpkkengift
viel weniger empfindlich sind als Kaninchen, doch haben wir andere Be-
bachtimgen, die für die Verschiedenheit dieser Gifte sprechen, schon S. 967
erwähnt. Sicher verschieden von dem Leukozidin ist jeden-
falls das Staphylolysin, das die roten Blutkörper löst. N e i ß e r
und Wechsberg haben nämlich gefunden, daß sie in ungleichen Mengen
und zu verschiedener Zeit in den Staphylokokkenkulturen auftreten. Diese
Forscher bedienten sich dabei nicht des Mikroskops zur Prüfung des Leuko-
zidingehalts, sondern der sog. bioskopischen Methode, die sie
auch bei anderen Untersuchungen über die Lebensfähigkeit von Zellen er-
probt hatten*). Bringt man Vj ccm eines zu gleichen Teilen mit einer
Lösung von oxalsaurem Natron vermischten Aleuronatexsudats (s. o.)
vom Kaninchen in nicht zu weite Reagensröhrchen, füllt mit 0,85 pro-
zentiger Kochsalzlösung zu 2 ccm auf, fügt 2 IVopf en einer dünnen Methylen-
blaulösung*) hinzu und überschichtet mit Paraffinum liquidum zur Ab-
haltung des Luftsauerstoffs, so entfärbt sich das Röhrchen nach zwei-
stündigem Aufenthalt im Brutschrank (37®) in der unteren Hälfte, wenn
genügende Mengen lebender Leukozyten im Exsudat vorhanden sind.
Fügt man aber so viel Leukozidin hinzu, daß die Zellen abgetötet werden,
so bleibt die Entfärbung aus. Um den Versuch zur quantitativen Färbung
des Leukozidingehalts zu benutzen, hat man zunächst, da die Zalil der
lebenden Zellen im Exsudat wechselt, diejenige Exsudatmenge festzu-
stellen, die noch reduziert. Sie sei z. B. 0,25 ccm. Man ninunt die doppelt
Menge, also 0,5 ccm, fügt das Staphylokokkenfiltrat hinzu, füllt mit Koch-
salzlösung auf 2 m auf und läßt es 1 \<i Stunden im Brutschrank einwirken,
dann gibt man 2 Tropfen Methylenblaulösung hinzu, überschichtet mit
flüssigem Paraffin und beobachtet die Färbimg der über dem Nieder-
schlag stehenden Flüssigkeit nach zweistündigem Aufenthalt im Ofen.
Die Ergebnisse des Verfahrens entsprechen denen der mikroskopischen
Prüf img der Lebensfähigkeit der Leukozyten. N e i ß e r und Wachs-
b e r g fanden auf diese Weise z. B., daß von dem Filtrate der Bouillon
nach 2 Tagen 0,75 ccm höchstens spurenweise, nach 6 Tagen 0,1 ccm,
nach 8 Tagen 0,025 ccm vollständig reduziert, und die Wirksamkeit älterer
1) Arch. f. Hyg. 32.
2) Ätiol. und Ther. der Staphylokokkeninfekt. 1900 (Behrings Beitr.
z. experim. Ther.).
^3) Zeitschr. f. Hyg. 36, 1901.
4) Münch. med. Woch. 1900. 37.
f 6) Von einer Stammlösung (1 : 20 Alkoh. -f- 29 Wasser) wird 1 ccm
mit 49 ccm 0,85 prozentiger Kochsalzlösung verdünnt.
Gifte der Kleinwesen. 1017
Kulturen bis zum 16. Tage sieh noch änderte. Wurden die Filtrate mit
Karbolsäure im Eisschrank aufgehoben, so sc >i wachte sich ilire
leukozide Wirkung schon nach 1 — 2 Wochen stark
ab, während die hämolytische ziemlich beständig
blieb. Umgekehrt trat das blutlösende Vermögen in der Kultur manch-
jual später auf, als das leukozytentötende. Die virulenten Staphylo-
kokken, die Hämolysin bildeten, entwickelten zwar gewöhnlich auch Leuko-
zidin, doch nicht immer, und das Mengenverhältnis beider Stoffe war ein
sehr schwankendes. Ein gewisser Unterschied besteht auch in der Wider-
standsfähigkeit beider Gifte gegen Hitze: 20 Minuten lang dauernde Er-
hitzung auf 50*^ zerstört das Leukozidin völlig, während Spuren von Hämo-
lysin dabei übrig bleiben. Immerhin ist kein großes Gewicht darauf zu
le^en, weil kleine Mengen des Hämolysins leichter nachzuweisen sind.
Wichtiger ist dagegen, daß die Leukozyten das Leukozidin
einem Filtrat völlig entziehen können, nicht das
Hämolysin. Etwas Hämolysin verschwindet allerdings bei solchen
Bindungsversuchen, wohl schon aus dem Grunde, weil die Exsudate ja
stets auch rote Blutkörperchen enthalten. Man darf aus diesen Tatsachen
auf die Verschiedenheit der beiden Gifte schließen. Einiges
andere spricht nur scheinbar dagegen, so ist der L^mstand, daß rote Blut-
körper aus dem Staphylokokkenfiltrat nicht nur das Hämolysin, sondern
auch das Leukozidin absorbieren, vielleicht daraus zu erklären, daß gerade
diese Zellen für beide bindende Gruppen besitzen — wenn es sich nicht
um eine physikalische Absorptionswirkung handelt. Ferner beruht die
von N e i ß e r und Wechsberg hervorgehobene Möglichkeit, nicht nur
mit leukozidinreichen, sondern auch mit hämolysinhaltigen, aber leuko-
zidinfreien Filtraten im Serum von Tieren die Entwicklung von A n t i -
1 eukozidin zu veranlassen, vielleicht darauf, daß die immunisierenden
(^iruppen des Leukozidins in den betreffenden Filtraten in Form von
Leukozidinoiden — den Toxoiden vergleichbar ( § 275) — vorhanden sind.
Die Existenz derartiger Körper müßte aber durch Absorptionsversuche
mit Leukozyten noch näher begründet werden. Soviel steht jedenfalls
fest, daß Immunisierung gegen das Leukozidin mit der erhitzten Staphylo-
kokkenkultur ebensowenig gelingt, wie gegen das Hämolysin; die immuni-
sierende Gruppe beider Körper scheint also im Gegensatz zu den anderen
„Toxoiden" dem Erhitzen nicht standzulialten.
Im normalen Blutserum mancher Tiere, insbesondere des
Pferdes, und beim Menschen finden sich Gegenkörper sowohl gegen Hämo-
lysin wie Leukozidin, zweifelhaft ist es aber nach N e i ß e r und W e c h s -
b e r g , ob das auch für das Kaninchen gilt, wie D a n y s z und van
de V e 1 d e annehmen. Ebenso muß die Natur dieser normalen Gegen-
körper noch unentschieden bleiben (s. o. S. 1009).
Von vornherein ist es sehr wahrscheinlich, daß es nicht bloß ein
Leukozidin gibt, doch ist die Frage noch nicht so gründlich geprüft
worden wie bei dem Hämolysin (S. 1006). N e i ß e r und W e c h s -
b e r g geben an, daß die Filtrate aller Staphylokokken, die überhaupt
Leukozidin enthalten, durch dasselbe Immunserum neutralisiert werden;
das spricht für die Einheit des Staphylokokkenleukozidins. — Die Unter-
suchungen über die Beeinflussung der Leukozyten durch andere Bak-
1018 Kap. XVT, § 317 u. 318.
teriengifte sind viel weniger zahlreich; soweit man sehen kann, bildet
auch kaum ein anderes Bakterium Leukozidine, die im Reagensglas
eine ähnliche Kraft entwickeln, wie das der Staphylokokken. Immer-
hin haben C a s a g r a n d i ^) bei manchen Abarten des S t r e p t o •
coccus lanceolatus, Calamida^) bei Hühnercho-
lerabazillen, Gheorgiewski®) auch bei dem P y o c y a -
n e u s leukozides Vermögen gefunden. Eisenberg*) hat femer
in den Filtraten der Rauschbrand- und Odembazillen
neben Hämolysin Leukozidin gefunden. Bei Gelegenheit von Aggressin-
versuchen untersuchten Bürgers imd H ö s c h ^) in meinem Labo-
ratorium auch die Wirkungen des Ruhrbazillen extraktes auf
Leukozyten, fanden aber höchstens geringe Wirkungen®). Am wichtigsten
wäre es natürlich, wenn die Bakterien im Tierkörper selbst Leukozidin
bildeten. Denys und Vandevelde (s. o.) fanden aber in Pleuraexsu-
daten, die durch Streptokokken, Typhus- und Diphtherie-
bazillen hervorgerufen waren, kein leukozjiientötendes Vermögen,
wenn sie die Prüfung außerhalb des Tierkörpers anstellten. Weil
und Nakayama*^) waren glücklicher bei Prüfung des Exsudats
(des „tierischen Aggressins" S. 1024) von Heubazillen, Weil iind
T s u d a ®) vermißten ein Leukozidin aber wieder im Exsudat von
Ruhrbazillen. Helly ®), der freilich nur die Exsudate selbst unter-
suchte, fand Entartungserscheinungen an den Leukozyten auch in
Exsudaten, die durch lebende Diphtherie- oder Pneumobazillen oder
durch ihre mit Aleuronat gemischten Mltrate hervorgerufen waren,
während Aleuronat allein die Leukozyten nicht verändert«, v. Bar-
de 1 e b e n schreibt namentlich den virulenten Streptokokken im
Tierkörper selbst (im Aleuronatexsudat) eine starke leukozytenauf-
lösende Wirkung zu und konnte sie auch im Reagensglas wiederfinden,
wenn er die an anderer Stelle beschriebenen (§ 295) mit Exsudat her-
gestellten Giftlösungen der Streptokokken verwandte. Nach dem-
selben Forscher beruht die gerinnungerzeugende Fähig-
keit der Streptokokken in Blutgefäßen auf dieser leukoziden
1) Bullet. Soc. Lancis. Roma 1902, ref. Biochem. Zentralbl. 1903.
200 und Baiungartens Jahresber. 1902. 60.
2) Zentralbl. Bakt. 35, 618, 1904.
3) Annal. Pasteur 1899.
4) Soc. biol. 16. 3. 1907.
5) Zeitschr. f. Immunitätsforschung 2, 65, 1909.
6) Auch Galeotti ( Sperimentale 1900) schreibt seinen Nuldeo-
proteiden keine schädlichen Wirkungen auf Leukozyten zu (a. u. § 318).
7) Berl. klin. Woch. 1906. 3.
8) Ebenda 1907. 33.
9) Ziegl. Beitr. 37 u. Zentr. Bakt. 39. 94, 1905.
Gifte der Klein wesen. 1019
Eigenschaft. Weitere Versuche innerhalb und außerhalb des Tier-
körpeiB waren zu vriinschen. Übrigens ist die Beobachtung der Vor-
gänge im lebenden Tiere nur vorsichtig zu verwerten, weil hier mehrere
Fehlerquellen in Frage kommen.
Von dem Verschwinden der Leukozyten, die man
nBch allen möglichen Einspritzungen ins Bauchfell beobachtet, als Ursache
der sog. Phagolyse, sprechen wir in der Infektionslehre ; sie be-
ruht wohl zum großen Teil auf einer mechanischen Zusanuuenballung
und Niederschlagung der Leukozyten auf dem Netz usw., nicht auf ihrer
Auflösung. Allerdings scheint auch die letztere bei Entzündiuigen und
Eiterungen aller Art nicht zu fehlen. Es ist aber fraglich, ob nicht
andere als bakterielle Einflüsse, z. B. Zersetzungsprodukte der tierischen
Grewebe oder Sekrete ihrer Zellen, namentlich aber auch autolytische
Wirkungen, die Selbstverdauung der Leukozyten dafür in Frage
kommen. Man pflegt den Leukozyten ihrer ganzen Beschaffenheit nach
ja nur eine kurze Lebensdauer zuzuschreiben.
Welche Bedeutung haben nun die Leukozidine für die Bakterien,
die sie erzeugen? Diese Frage ist nicht so einfach zu entscheiden,
wie es wohl scheinen könnte. Stellt man sich auf den Standpunkt,
daß die lebenden Leukozyten und nur diese an der Stelle der
Infektion die Obliegenheit haben, letztere zu bekämpfen, so wird man
geneigt sein, daraus zu schließen, daß die Leukozidine die Infektion
begünstigen, den Widerstand des infizierten Körpers herabsetzen,
also zu den „Angriffsstoffen" (§ 319) gehören. Hält man es anderer-
seits für wahrscheinlich, daß die Leukozyten auch oder gar in erster
Linie durch die Stoffe, die sie nach außen abgeben, schädlich auf die
Bakterien wirken, so wird man umgekehrt in den Leukozidinen
Stoffe sehen können, die für die angegriffenen Organismen günstig,
also als „Reizstoffe" (§ 331) wirken. Durch Versuche Bails scheint
die Streitfrage eher in letzterem Sinne beantwortet worden zu sein (S.
1033). Bei der Besprechung späterer Aggressinversuche Bails mit
Staphylokokken-Exsudaten (S. 1025) werden wir sehen, daß die
allgemeine Giftigkeit dieser Flüssigkeiten eine Deutung erschwert.
Immerhin macht es den Eindruck, als ob die aggressiven Leistungen
von den leukoziden zu trennen seien (S. 1033).
Von den Leukozyten lähmenden bzw. eine negative Leuko- und
Phagotaxis ausübenden und daher infektionsbegünstigenden Bakterien-
stoffen (S. 1034 ff.) sind die Leukozidine sicher verschieden.
§ 318, Organgifte. Bei Besprechimg der Veränderungen, die
durch Infektionsgifte im Tierkörper verursacht werden, sind wir schon
wiederholt auf Organveränderungen gestoßen. Wir erwähnen hier nur
die Wirkungen, die die Endotoxine, wenn sie im Blute kreisen, auf den
Darm namentlich der Fleischfresser ausüben (S. 914), femer die
1020 Kap. XVI, § 318 u. Kap. XVII, § 319.
Störungen in den nervösen Zentralorganen durch Tetanus, Botulinus
und namentlich das „Kaninchengift" der Dysenterie (§ 289), die ent-
zündlichen und nekrotischen Wirkungen der Fleischgifte, der H(^-
cholera usw., die nicht nur in den inneren Organen, z. B. der Leber,
sondern auch auf den Schleimhäuten des Darms bei Einführung in den
Magen sich bemerkbar machen (S. 944), die Reiz Wirkung der Gono-
kokkengifte auf die Epithelien der Urethralschleimhaut (S. 965).
Bisher hat man sich aber nur selten Mühe gegeben, durch Versuche
im Reagensglas derartige Wirkungen zu erklären. N e i ß e r und
Wechsberg ^) beobachteten nach Einspritzung von Staphylo-
kokkengift unter die Haut und namentlich ins Blut von Kaninchen
nekrotische Herde in den Nieren (Nephrotoxin). Nach ihnen be-
ruhen sie auf der Verstopfung von Gefäßen durch Leukozyten bzw.
den abgestorbenen Resten von solchen, d. h. in letzter Linie auf Leuko-
zidinwirkung. Sie glaubten den Beweis dadurch zu erbringen, daß
das unmittelbar in die Nieren eingespritzte Gift ebensowenig diese
verändert, wie die Nierenepithelien im Reagensglas durch Staphylo-
kokkengift im bioskopischen Versuch (S. 1016) eine Beeinflussung
zeigten. Man wird die Frage aber noch nicht ab völUg geklärt hinstellen
können, da schon früher Ribbert^) auch mit starker erhitzten, also
ihres Leukozidins beraubten Staphylokokkenkulturen von der Blut-
bahn aus ähnliche Nierenstörungen erzeugte. Übrigens werden auch
den Hämolysinen und Hämagglutininen {§ 317) auf Grund von Reagens-
verversuchen Wirkungen zugeschrieben, die sich im letzteren Tier
durch Gefäßverstopfung äußern könnten. Sonst wäre noch zu er-
wähnen die Mitteilung Galeottis^), nach der die alkalischen
Extrakte der Bakterienleiber, bezw. ihre „Nukleoproteide" (S. 869),
auf isolierte Flimmerepithelien tmd Samenfäden zerstörend
wirken oder mindestens ihre Bewegimgen hemmen, Leukozyten aber
umgekehrt zu größerer Beweglichkeit zu reizen scheinen.
Auch andere Körpergewebe, wie Niere und Leber, sollen schädKch
beeinflußt werden, das wird aber wieder nur auf Grund der Ver-
änderungen im lebenden Körper behauptet, wie wir sie oben von
dem Versuche mit Hogcholeragift usw. erwähnt haben*).
1) Zeitschr. f. Hyg. 36. 343, 1901.
2) Pathol. Anat. und Heilung der durch den Staphylococcus pyo-
genes hervorgerufenen Erkrankungen. Bonn 1891.
3) Sperimentale 1900. 554.
4) Auf die Bindungsversuche, die mit verschiedenen Giften und
Organen angestellt worden sind (vgl. Dysenterie, Tetanus tmd Diphtherie),
gehen wir hier nicht ein, weil die Bindung an sich noch keine Verände-
rimgen der Zellen zu bewirken braucht.
Kapitel XVII.
Angriffs-, ßeiz- und Impfstoffe.
§ 319. Geschichte und Vorkommen der Angriffsstoffe
(Aggressine). Schon mehrfach ist in diesem Buche von den Angriffs-
stoffen oder Aggressinen der Mikroben die Rede gewesen, zuerst an
der Stelle, wo es sich darum handelte, das Wachstum der infektiösen
Keime im Tierkörper, in dem ja die große Mehrzahl der Mikroben
nicht zu gedeihen vermag, d. h. die sogenannte Virulenz
oder Infektiosität zu erklären (§ 51). Gerade die „An-
griffsstoffe" sollen jene dazu befähigen, die Wachstumswiderstände
im Tierkörper, d. h. die Wirkungen der tierischen Ab Wehrkräfte (vgl.
Infektions- und Immunitätslehre) zu überwinden, in erster Linie, in-
dem sie die „Abwehrstoffe" der Tiere neutralisieren. Die Angriffs-
stoffe sind wesentlich spezifische Stoffe, weil sie das Gedeihen ihres
eigenen Erzeugers befördern, können unter Umständen aber auch fremden
Keimen nützlich werden und so die Erscheinungen der Misch- und
Sekundärinfektion erklären. Im weitesten Sinne darf man aber auch
da noch von „nicht spezifischen" aggressiven Wirkungen sprechen, wo
Stoffe, die überhaupt nicht von Mikroben stammen, Infektionen be-
günstigen^). Die Grundlagen für diese unsere Lehre sind schon früh
gelegt worden.
Einer der ersten Forscher, die Beobachtungen gemacht haben, welche
für das Vorhandensein von Angriffsstoffen sprechen, ist Wyssoko-
witsch. Er fand bei seinen im Laboratorium Flügges ausgeführten
Untersuchungen über den Verbleib der in das Blut von Versuchstieren
eingespritzten Mikroben^), daß eine Gruppe von Bakterien, die in kleinen
Gaben nicht pathogen waren, aber in großen Gaben giftige Wirkungen,
namentlich Gastroenteritis, hervorriefen, sich auch dadurch vor den anderen
auszeichneten, daß sie sich im strömenden Blute und auch in den Organen
länger als die übrigen lebendig erhielten und sich,, später soejar bis zum
1 ) Die dfibs Wachstum in toten Nährböden durch Neutralisierung
von (Jiften befördernden Stoffe, deren Vorhandensein wir mehrfach (§ 49,
50, 57) betont, gehören schließlich auch hierher.
2) Zeitschr. f. Hyg. 1. 11, 1886.
1022 Kap. XVII, § 319.
Tode des Tieres reichlich vermehrten. Zu diesen gehörten der Bac. Indicus,
ruber, pneumoniae, crassus sputigenus u. a. m. Man bekommt den Ein-
druck, als ob Wyssokowitsch den Giften dieser Bakterien ihre
Haltbarkeit bzw. ihre Wachstumsfähigkeit im Tiere zuschreibe. Freilich
hält er diese Gifte nicht für spezifisch, denn bei Sirotinin^)
finden wir die Bemerkung, Wyssokowitsch habe in einer nicht
veröffentlichten Versuchsreihe festgestellt, daß „unter dem Einfluß ge-
wisser, von verschiedenen Bakterien erzeugter Ptomaine eine solche Herab-
setziuig der Zellenenergie des Körpers hergestellt werden kann, daß nun-
mehr Bakterien, die bis dahin selbst in großen Gaben nicht infektiös waren,
es zu einer lebhaften Veränderung im Körper der Versuchstiere bringen".
Am wirksamsten erwies sich Wyssokowitsch eine sterilisierte wiU-
serige Aufschwemmung des Bac. Neapolitanus (B. coli). Sirotinin
konnte freilich in eigenen Versuchen diese Angaben nicht bestätigen, wohl
aber Chantemesse und W i d a 1 *). Unabhängig kam eine Reihe
von Forschem, die sich mit der Ursache der Eiterung beschäftigten, auf
ähnliche Vorstellimgen wie Wyssokowitsch. Grawitz und
de B a r y ') beobachteten z. B., daß Eiterkokken in an sich unschäd-
lichen Gaben durch Beigabe ihrer eigenen und fremder Bakterien-
produkte infektiöse Eigenschaften gewannen, und nach Fehleisen*)
sind die im Tierkörper selbst gebildeten Erzeugnisse der Eiterkokken,
wie Eiter selbst, Auszüge davon und durchtränkte Muskelstücke aus der
Nachbarschaft von Eiterherden ganz besonders geeignet, ihre Entwicklung
zu fördern. In ähnlicher Richtung bewegten sich die bald danach ge-
machten Erfahrungen der französischen Schulen Bouchards*) und
Arloings'). Kulturfil träte nicht bloß von Staphylokokken und Strepto-
kokken, sondern auch von Pyocyaneus, Prodigiosus, Rauschbrand.
Hühnercholera, Pseudotuberkulose und echter Tuberkulose beschleunigten
namentlich nach intravenöser Einführung den Verlauf der be-
treffenden subkutan oder intravenös erfolgenden Infektionen. Roger'),
der mit einem Auszug von Rauschbrandmuskeln arbeitete, stellte dabei
ausdrücklich fest, daß der begünstigende Einfluß schon,
wenn die Infektion 24 Stunden später eintrat, aus-
blieb und nach 3 — 4 Tagen einem „vaccinierenden"
Platz machte. Wie sich später herausstellte, ist das überhaupt die
Regel, denn Kulturfiltrate besitzen ja nach den ziemlich gleichzeitigen
späteren Feststellungen französischer und anderer Forscher immunisierende
Eigenschaften (s. u. § 327, 331 u. 333). Eine Ausnahme sollen aber die
Fi 1 träte der Staphylokokken und der Pseudotuberkelbazillen*) machen.
1) Zeitschr. f. Hyg. 1. 485.
2) Annal. Pasteur 1892.
3) Virchows Archiv 108 und 110, 1887.
4) Arch. f. klin. Chir. 36, 977, 1887.
ö) Verh. X. intemat. Kongr. Berlin (1890) 1. 68, ausführlicher in
Rev. de m^decine 1890. 637.
6) Vgl. Courmont, ißtudes sur les substances solubles pr^diß-
posant & l'action pathogene. These de Lyon 1891, Nr. 612. Lit.
7) Soc. biol. 1889, 277.
8) B. pseudotuberculosis similis Kruse in Flügges Mikroorg.
3. Aufl. 2. 454.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1023
insofern sie noch eine Wochen und Monate später erfolgende
Infektion begünstigen^) und bei den letzteren soll die Begünstigung nicht
sofort, sondern erst nach 24 Stunden eintreten (Courmont).
Bouchard begründete auf diese Fiuide seine Theorie der Infektiosität,
indem erden „begünstigenden Stoff en'* der Bakterien die Fähigkeit zu<4chrieb,
die Phagozytose unmittelbar und durch Lähmung der gefäßerweiternden
Nerven bzw. Verhinderung der Auswanderung mittelbar unmöglich zu
machen. Weiterhin haben andere französische Forscher, Vaillard und
Vincent'), für den Tetanus und B e s s o n *) für das maligne
ödem, ähnliche Ansichten vertreten. Nach ihm sollen die von ,,Gift"
befreiten Sporen im Körper der Versuchstiere nicht auswachsen, sondern
von den Phagozyten zerstört werden. Sind dagegen die eigenen Gifte
oder die Stoffwechselprodukte fremder Bakterien zugegen, so keimen die
Sporen aus. Nach Dunschmann *) sollen sich die Sporen der Ödem-
bazillen ähnlich verhalten. Gleichzeitig mit Bouchard teilte G a -
m a 1 e i a *) in einer wenig beachteten Arbeit mit, da0 man bei Kaninchen,
die sonst dagegen unempfänglich seien, durch intravenöse Einspritzung
ins Blut eine Darmcholera erzeugen könne, wenn man ihnen daneben
Prodigiosusgift, Papain, Pankreatin, Methämoglobin, Nitrite oder Nitrate,
GlykokoU oder Leuzin beibringe. Alle diese Stoffe besäßen die Fähigkeit,
die bakteriziden Eigenschaften der Körpersäfte aufzuheben und in dem
Vermögen, derartige Stoffe zu erzeugen, bestände die Infektiosität der Bak-
terien.
Etwas später habe ich mich mit diesen Dingen befaßt®), stellte
im Verein mit Bonaduce fest, daß die Infektion von Kaninchen
und Meerschweinchen mit Milzbrand sich durch gleichzeitige Ein-
spritzung großer Mengen abgetöteter Bazillen beschleunigen bzw.
befördern ließ, führte aber im wesentlichen auf Grund von Reagens-
glasversnchen (s. u.) die Leistung der in den Leibern und den Ab-
sonderungen der infektiösen Bakterien vorausgesetzten „Angriffs-
stoffe"'') auf ihre alexinneutralisierenden Eigenschaften zurück, wäh-
rend ich das Vorhandensein von Wirkungen auf die Leukozyten —
die „negativ chemotaktischen" Wirkungen der französischen Forscher
— in den Aggressinen unentschieden ließ. Die Angriffsstoffe selbst
sollten es sein, die im Tierkörper nach einiger Zeit die Bildimg von
1) Eine Tage und selbst Wochen dauernde Überempfänglichkeit
gegen dieselben und fremde Infektionen ist auch nach Schutzimpfungen
häufig beobachtet worden. Experimente an kleinen Versuchstieren stützen
diese Erfahrungen freilich nicht (vgl. S. 1072, Anm. 1).
2) Annal. Pasteur 1891.
3) Ebenda 1895.
4) Ebenda 1894.
5) Verh. X. internat. Kongr. Berlin (1890) Bd. 2, Abt. 3, S. 34:
M Bemerkungen über Infektion, Immunität und Heilung".
6) Zieglers Beitr. 12. 339, 347, 366 ff., 1892.
7) Zuerst auch „Lysine", später (seit 1905), um Mißverständnisse
XU vermeiden, ,,Agre8sine" genannt (in einem Briefe an B a i 1).
1024 Kap. XVII, § 319.
Schutzkörpern^) und damit Immunität veranlaßten. Später*) habe
ich diese Theorie noch weiter ausgeführt. Obwohl einige Forscher
durch ßeagensglasversuche im Laufe der Zeit weitere Stützen für sie
beibrachten, wurde die Zahl der beweisenden Tierversuche zunächst
nicht wesentlich vermehrt, bis 1899 Deutsch^) mit toten Typhus-
bazillen, 1902 Wilde*) mit toten Typhus- und Cholerabazillen, K.
B a u e r ^) mit Gewebsauszügen von Eiterherden und — seit 1905 —
B a i 1 *^) und seine Mitarbeiter Weil, Kikuchi, Salus, Hoke,
Nakayama mit „tierischen Aggressinen"', d. h. in vorsichtiger
Weise keimfrei gemachten Exsudaten (oder Blutseren) von Milzbrand-.
Hühnercholera-, Schweineseuche- und -pest-, Dysenterie-, Cholera-,
Typhus-, Pest-, Coli-, Heubazillen-, Staphylokokken-, Pneumokokken-,
Tuberkulosetieren aggressive Erfolge erzielten bzw. zu erzielen ver-
meinten. . Für viele gewann dadurch erst die Aggressintheorie Leben,
und zwar ausschließlich in der ihr von B a i 1 gegebenen Form, nach der
die Angriffsstoffe in erster Linie dort zu finden sein müßten, wo die
infektiösen Bakterien in der Lage wären, die Abwehrkräfte der tierischen
Körper zu überwinden, d. h. in den Exsudaten der Infektionsstelle
oder im Falle der Septizämie im Blut, femer im wesentlichen dadurch
wirkten, daß sie die Phagozytose hemmten, und schließlich durch Bil-
dung von Antia^ressinen die eigentliche Ursache der Immunität ab-
gäben. Nach B a i 1 wäre sogar bei septizämischen Krankheiten die
Behandlung mit tierischen Aggressinen die sicherste oder einzig brauch-
bare Art der Immunisierung. Das Vorkommen von Angriffsstoffen
im infizierten Tiere ist im übrigen eine alte Erfahrung (s. o. Fehl-
eisen, Roger, Bauer) und die Angaben der B a i 1 sehen Schule
sind später vielfach bestätigt bzw. erweitert worden, so von Was-
sermann und Citron'), Dörr®), Sauerbeck®),
1) Antilysinen oder An tiaggr essinen.
2) Krankheitserregung in Flügges Mikroorg. 3. Aufl. 1. 409 und
413, 1896.
3) Wien. med. Presse 1 899 (nach Deutsch und Feistmantel.
Impfstoffe und Sera 1903.)
4) Arch. f. Hyg. 44.
5) Deutsch, med. Woch. 1902. 13. Ver.-Beil. S. 99: Über „lokale
Toxine".
6) Zahlreiche Arbeiten in Zentr. Bakt. 36; 40; 42, Arch. f. Hyp.
52 imd ff.; Wien. klin. Woch. 1905 und 1906. Vgl. deren ausführliche kri-
tische Bearbeitung bei Sauerbeck in Ergebn. allg. Path. v, L u -
bar8ch-Ostertag,ll. J. 1. Abt. S. 806, 1907.
7) Deutsch, med. Woch. 1905. 28.
8) Wien. klin. Woch. 1905. 42; 1906. 25; Zentr. Bakt. 41, 1906.
9) Zeitschr. f. Hyg. 56, 1907.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1025
Friese^), Ballner ^), Nieter®), Levy und Bach-
mann*), Jürgens^), Bürgers und H ö s c h •). In einigen
der von B a i 1 studierten Fälle hat freilich Sauerbeck'') mit
Recht den Beweis einer eigentlichen Aggressinwirkung in den Ex-
sudaten, d. h. eine Steigerung des Bakterienwachstums durch sie
vermißt und — namentlich bei den Staphylokokken- und Tuberkulose-
versuchen — die Beschleunigung nach erwiesener Erkrankung auf
die Giftigkeit der Exsudate zurückgeführt (vgl. § 321 ff.).
Wahrscheinlich gilt diese Erklärung auch für manche der älteren An-
gaben namentlich der französischen Forscher über begünstigende
Wirkungen von Kulturfiltraten. Gar nicht so selten fehlen ferner
die aggressiven Leistungen der Exsudate bei Infektionen, wo man
sie sonst findet (Bürgers und Hösch, Huntemüller®))
und bei anderen, wo man sie erwarten sollte (Pfeiffer und H e 1 -
I e r ®)). Man kann also nicht zugeben, daß gerade
die Exsudate eine so ideale Fundstelle der An-
griffsstoffe seien, wie Ba.il es hingestellt hatte.
Auf der anderen Seite ist das Vorkommen von Aggressinen in den
Kulturfiltraten und den Bakterienleibern aus künstlichen Kulturen
durch die zahlreichen älteren Versuche (s. o.) und die neueren von
Wassermann imd seinen Mitarbeitern C i t r o n ^®) und P üt z ^*),
femer von Dörr, Sauerbeck, Friese, Ballner, Levy
und Fornet ^^), Levy imd Gr a n s t r ö m -W osk o b oi n o -
nikow^^),Flexner^*),Turr6^^), Simoncini und Pino^®),
L i v i e r a t o ^'') , P r e i s z ^®) , B a i P®) und seinen Mitarbeitern
1) Arch. f. Hyg. 60.
2) Zentr. Bakt. 42. 343.
3) Zeitschr. f. Hyg. 56, 1907, Streptokokkenexsudate.
4) Zentr. Bakt. 43. 47, 1907, Schweinepest- und Milzbrandblutserum.
5) Z. experim. Path. 3. 249, Filtrat von Pneumokokkensputum.
6) Zeitschr. f. Immunitätsforschung 2, 1909.
7) Vgl. Anm. 6 auf voriger Seite.
8) Zentr. Bakt. 42. 170 (Hühnercholera).
9) Ref. Zentr. Bakt. 38 Beiheft 21 (Metschnikoff- Vibrionen).
10) a. a. O. und Zentr. Bakt. 40, 41 und 43. Zeitschr. f. Hyg. 52 und
ö3, 1905 und 1906.
11) Ebenda 56.
12) Deutsch, med. Woch. 1906. 26, Typhus, Parat>i>hus.
13) Zentr. Bakt. 45. 360, 1907, Pyocyaneus und Proteus.
14) Ebenda 43, 1901, Meningokokken.
15) See. biol. 25, I. 1908.
16) Baumgartens Jahresber. 1904. 896, Prodigiosus.
17) Zentr. Bakt. 43. 134, 1907, Influenza.
18) Ebenda 44, 1908, Agressine aus Milzbrandkapseln dargestellt.
19) Wien. klin. Woch. 1906. 43, Milzbrandextrakte.
Kruse, Mikrobiologie. 65
1026 Kap. XAai, § 319.
Weil und A x a m i t ^) , schließlicli von P a n e und L o 1 1 i *) ,
Bürgers und H ö s c h ^) , J e ß n e r *) so sicher, und zwar nicht
nur für alle von B a i 1 studierten Erreger, sondern auch für manche
andere*) bewiesen worden, daß kein Zweifel daran möglich ist. Ja,
namentlich die letzten drei in meinem Laboratorium ausgeführten
Arbeiten haben gezeigt, daß die „K ulturaggressine" in vie-
len Fällen unvergleichlich mehr und beständiger
wirksam sind als die tierischen. Genügt doch z. B. ein
durch zweistündige ErUtzimg auf 60 — 65® und gründliches Aus-
schleudern gewonnenes „Kochsalzaggressin" einer frischen Agar-
kultur von Buhrbazillen, um den 1000. Teil der sonst infektiösen Gabe
dieser Bakterien in der Bauchhöhle von Meerschweinchen zum üp-
pigen Wachstum zu bringen, und wirkt doch noch der 20. Teil dieser
Extraktmenge ebenso auf die halbe sonst infektiöse Gabe. Ähnlich
liegen die Verhältnisse bei Pseudodysenterie, Typhus, Cholera usw.
Die energischen Leistungen der künstlichen Aggressine ermutigten
uns daher, die für die Erklärung der Virulenz grundlegende Frage
nach den Unterschieden dör Aggressinerzeugung bei Bakterien un-
gleicher Virulenz experimentell in Angriff zu nehmen. In der Tat
gelang es H ö s c h und Bürgers sowie J e ß n e r , nachzuweisen,
daß Ruhr- und Cholerabazillen, die hohe Virulenz
gegenüber dem Meerschweinchen besitzen, weit
reichlichere Aggressine ergeben, als abge-
schwächte Bakterien derselben Art. Ebenso
zeigten sich virulente Pse udo dys enter i e bazil-
len mit stärkeren Aggressinen begabt, als
schwach virulente.
Damit schien eine der Hauptgrimdlagen für unsere Aggressin- bzw.
Infektionstheorie geliefert zu sein. Nicht überall liegen allerdingB die
Dinge so klar, nach H ö s c h luid Bürgers waren wenigstens die Koch-
salzaggressino ,, tierisch er", d. h. unmittelbar dem Tierkörper entnommener
und daher virulenter Typhusbazillen .ebenso wie ihre abgetöteten Leiber
(,, seßhafte" Aggressine) eher etwas weniger aggressiv, als die abgeschwächten
Typhusbazillen aus Kulturen. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache,
daß die Kulturaggressino auch bei den Typhusbazillen sehr energisch
wirken, sondern macht uns nur Vorsicht zur Pflicht, wenn wir die Bedeut^ing
der darstellbaren Aggressine für die Virulenz beurteilen wollen (vgl. § 328).
i) Berl. klin. Woch. 1906. 53.
2) Zentr. Bakt. 43, 1907 außer Ruhr, auch Typhus, Cholera und
Pseudodysenterie.
3) a. a. O. Cholera.
4) Königsbergor mediz. Dissert. 1911.
5) Vgl. o. die Anmerkimgen; die aggressive Wirkung der Diphtherie-
erzeugnisse gegenüber Diphtheriebazillen (C i t r o n) wird von Salus
(Arch. f. Hyg. 60) bestritten.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1027
Man könnte auf den ersten Blick geneigt sein, den Umstand, daß
man gerade die besten Erfolge mit künstlichen, nicht mit tierischen
oder „natürlichen" Aggressinen erhält, in dem Sinne zu verwerten, daß
man die ersteren Stoffe für reine Kunstprodukte erklärt, die für die Vor-
gange im lebenden Körper keine Bedeutung hätten. Die Vorzüge der künst-
lichen Aggreesine können aber kaum wundernehmen, wenn wir bedenken,
daß die im lebenden Körper abgesonderten Aggr essine vielfach teils auf-
gesogen, teils an Ort und Stelle von den Abwehrstoffen des Tieres neu-
tralisiert werden müssen. Übrigens haben wir auch bei den Enzymen
öfter die Erscheinung, daß sie nicht bloß da, wo sie nötig sind, sondern
auch bei anderer Gelegenheit gebildet werden, (S. 775) und auch bei den
Bakterien giften machen wir die Erfahrimg, daß sie durchaus nicht
immer am Orte der Infektion am leichtesten nachweisbar sind (S. 867).
Mit Hilfe der kräftigen künstlichen Aggressine läßt sich nun auch
die Frage nach der Spezifizität der Aggressinwirkungen sicherer be-
bntworten als mit den tierischen Aggressinen, deren Spezifizität B a i 1
aehauptet, Dörr, Sauerbeck u. a. aber geleugnet haben. P a n e
und Lotti, Bürgers und Hösch sowie Jeßner zeigten durch
Versuche am Tier, bei denen nicht bloß die Aggressinmengen und
infizierenden Gaben genau abgestuft, sondern auch die Veränderimgen
der Bakterienzahl im Tier möglichst während des ganzen Verlaufes
der Infektion festgestellt wurden, daß die Aggressine unzwei-
felhaft in gewissen Grenzen spezifisch wirken,
daneben aber auch eine Beeinflussung der Er-
reger durch fremde Aggressine oft genug vor-
kommt. So wirkt das Ruhraggressin am stärksten infektionsbe-
günstigend auf Euhrbazillen, etwas schwächer auf Pseudodysenterie-
und Typhusbazillen, sehr viel schwächer auf Cholerabazillen und Sta-
phylokokken; das Typhusaggressin sehr stark auf die eigenen Bazillen,
aber nur schwach auf Ruhr- und Cholerabazillen, das Choleraaggressin
beiweitem am stärksten auf die eigenen Bakterien. Die nicht spezi-
fischen Leistungen der Aggressine können uns in keiner Weise in Er-
staunen setzen, da wir seit lange nach den bei Misch- und Sekundär-
infektionen gemachten Erfahrungen wissen, daß sich Infektionen gegen-
seitig unterstützen. Über die Begrenzung der Aggressinwirkungen
nach Ort und Zeit werden wir bei Besprechung ihrer „defensiven"
Leistungen sprechen (S. 1072 u. 1075).
Auch sonst hat die „Aggressintheorie" Balls vor der Ivritik nicht
standgehalten. So ist die immunsierende Leistung gegenüber Hühner-
cholera, Schweineseuche und Schweinepest nach Wassermann, Ci-
tren und Pütz bei den künstlichen Bakterienauszügen keine geringere
als bei den natürlichen Angriffsstoffen, namentlich wenn man die Aiiszüge
nait Blutserum statt mit Wasser herstellt. Vielleicht gilt das gleiche für
die Immunisierimg gegen Milzbrand. SchließUch ist auch die Axiffassimg
der Ball sehen Schule, daß die Angriffsstoffe der Bakterien im wesent-
65*
1028 Kap. XVII, § 319 u. 320.
liehen gegen die Phagozyten gerichtet seien, nur eine Wiederholung der
älteren französischen Lehre (S. 1023), die auch noch kurz vor Bail von
Deutsch und Feistmantel (S. 1031) in etwas veränderter Form auf-
genonimen war, und wird wie diese den Tatsachen nicht gerecht (Bürgers
und Hösch s. u.)- Man wird freilich jetzt nach der Entwicklung, die
unsere Kenntnisse im letzten Jahrzehnt genommen haben, zugeben müssen.
daß die Phagozytose von der deutschen Schule und so auch von mir ur-
sprünglich in ihrer Bedeutung als Abwehrmittel erheblich unterschätzt
worden ist. So habe ich jetzt selbstverständlich allen Anlaß, von vornherein
den Angriffsstoffen auch die Rolle zuzuschreiben, die Freßtätigkeit zu be-
kämpfen. Es geschieht da.s aber, wie die Untersuchungen von Bürgers
und Hösch gezeigt haben ( § 322), in erster Linie nicht durch unmittel-
bare Beeinflussung der Freßzellen selbst, sondern auch wieder auf „hunio-
ralem** Wege, d. h. mittelbar durch Neutralisierung der die Phagozytose
anregenden Schutzstoffe, der Opsonine. Im übrigen bestehen, wie wir
gleich sehen werden, noch manche Unklarheiten über die Wirkungen der
Angriffsstoffe, auch je nach der Art der Infektionserreger erhebliche Ver-
schiedenheiten. Natürlich kann man für die Aggressine ebenso wie für
Gifte und Enzyme die Frage stellen, ob sie als Sekrete der lebenden Mi-
krobien oder als Leibesbestandteile, die erst bei dem Zerfall frei werden,
anzusehen seien. Wir legen in dem einen wie in dem anderen Falle kein
maßgebendes Gewicht auf die Beantwortung dieser Frage, um so weniger,
da sie f€«t unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnet. Unter Verweisung
auf das früher bei Enzymen und Giften Gesagte (§ 240, § 272) möchten
wir hier nur betonen, daß die zeitweise oder vollständige Auflösung bzw.
Vemichtimg von Einzelindividuen sich mit der Nützlichkeit der Angriffs-
stoffe für d€W Leben der Art ganz gut verträgt; die zugrunde gehenden
Individuen dienen eben gewissermaßen als „Kanonenfutter" im Kampfe
der Kleinwesen ums Dasein, sie verringern durch ihren Tod die Wider-
stände im Tierkörper und ermöglichen den nicht zerfallenden Indi\iduen
das Überleben und Wachstum.
§ 320. Darstellung und Eigenschaften der Aggressine^).
Es müßte jetzt unsere Aufgabe sein, die Darstellung der Angriffastoffe
und ihrer Eigenschaften in derselben ausführlichen Weise zu besprechen,
wie wir es seinerzeit für die Mikrobiengifte getan haben. Leider sind
unsere Kenntnisse in dieser Beziehung aber noch nicht vollständig
genug. Am besten bekannt sind durch die Arbeiten meines Labora-
toriums die Dysenterieaggressine. Nach P a n e imd Lotti, Bür-
gers und Hösch widerstehen die in der S. 1026 angegebenen Weise
aus den jungen Bazillenleibern dargestellten ,,Koch8alzaggTessine"
dem Kochen, wenn sie auch etwa die Hälfte ihrer Wirksamkeit ver-
lieren. Vermutlich verhalten sich die meisten Kulturaggressine ebenso,
allerdings soll schon Erhitzen der sporenhaltigen Tetanus- und Ödem-
kulturen auf 65 — 80° deren Infektiosität vernichten (s. o. V a i 1 1 a r d
und Vincent, Besson). Die tierischen Aggressine würden da-
gegen nach Bail schon durch niedrigere Temperaturen unwirksam
1) Über nicht bakterieUer Aggressine b. S. 1031 u. 1052.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1029
werden. Ob diese scheinbare Empfindlichkeit nicht bloß auf der ver-
hältnismäßig schwachen Leistungsfähigkeit dieser Stoffe, d. h. auf ihrer
Verdünnung oder auf der Fällungen ausgesetzten eiweißreichen Lösung,
in der sie sich befinden, beruht, muß dahingestellt bleiben; nach Bür-
gers und H ö s c h schienen bei 65^ nicht bloß die Exsudataggres-
sine^), sondern ebenso die durch einstündiges Ausziehen der Eultur-
bazillen mit frischem oder auf 55 — 65® erhitztem Blutserum bei 37®
und Ausschleudern erhaltenen „Serumaggressine"' und die durch
Ausschleudern einer eintägigen Bouillonkultur gewonnenen Bouillon-
aggressine ihre Aggressivität einzubüßen. Sie ist aber von vorn-
herein 100 mal schwächer als die der „Kochsalzaggressine*^
Auch gegen andere schädigende Einflüsse, wie z. B. Tr3rpsin-
verdauung, sind die Kochsalzaggressine widerstandsfähig (Bürgers),
ebenso halten sie längeren Aufenthalt bei 37® (mit Chloroform) ganz
gut aus. Eochsalzaggressin bleibt im trockenen Zustande monatelang
wirksam. — Etwas schwächer aggressiv als die bei höheren Temperaturen
hergestellten Bakterienauszüge wirken die durch 24 — ^28 stündiges
Ausschütteln bei 20® gewonnenen ,,Schüttelaggre8sine"; dagegen
ist die Aggressivität von „BouiUonaggressinen" (Filtraten oder Zentri-
fugaten) aus alten Kulturen stärker als die aus frischen, da die in den
Leibern enthaltenen Aggressine daraus allmähUch in Freiheit gesetzt
werden.
Die Lösung der Kulturaggressine aus den Bazillen braucht übrigens
nicht im Reagensglas, sondern kann auch erst im Tierkörper erfolgen,
denn durch Chloroform oder Erhitzen abgetötete Leiber von Dy-
senterie-, Cholerabazillen u§w. besitzen ebenfalls Angriffsvermögen,
büßen dasselbe aber größtenteils durch Ausziehen mit Kochsalzlösung
bei hoher Temperatur ein (P a n e und L o 1 1 i ^)).
Über die chemische Natur der Aggressine läßt sich bisher ebenso-
wenig Sicheres aussagen, wie über die der Leibesgifte, mit denen sie ihrer
Darstellung und ihren Eigenschaften nach viel Ähnlichkeit haben (§280).
Wenn sie Eiweißstoffe^) wären, müßten sie doch solche besonderer Art
1) Auch diese werden am besten nach Verdünnung mit gleichen
Teilen Kochsalzlösung durch gründliches Ausschleudern und Sterilisieren
durch Chloroform dargestellt.
2) Von Bürgers später nicht bestätigt.
3) Nach de B 1 a s i (Annali d'igiene 1907. 253) soll das tierische
Coliaggressin hauptsächlich enthalten sein in den Album infraktionen,
^cht oder in geringem Maße in den Ulobulinfraktionen. De W a e 1 e
(Zentr. Bakt. 44. 360, 1907) unterscheidet zwei Arten von tierischem
Tyj)hu8aggroBsin : d&a eine soll nicht dialysierbar sein und bei ö8° zerstört
werden, das andere die entgegengesetzte Eigenschaft besitzen. Bestätigun-
gen bleiben abzuwarten.
1030 Kap. XVn, § 320 u. 321.
sein, denn das Bakterieneiweiß an sich, das sich ja auf ähnliche Weise
wie das Eochsalzaggressin aus den Bakterienleibeni gewinnen läßt,
ist durchaus nicht immer, jedenfalls lange nicht in dem Grade aggressiv,
wie das oben beschriebene der virulenten Dysenterie-, Pseudodysen-
terie-, Typhus-, Cholerabazillen. Das zeigt in schönster Weise schon
der Vergleich mit weniger infektiösen Bakterien derselben Art; so
besaßen, wie wir oben (S. 1026) sahen, der Eochsalzextrakt
stark abgeschwächter Ruhr-, Pseudoruhr- und
Cholerabazillen trotz gleichen Eiweißgehaltes
viel geringeres Angriffsvermögen als der virulenter
Eeime (Bürgers imd Hösch, Jeßner).
Näher studiert zu werden verdient das Verhalten der g r a m p o s i -
tiven Bakterien. In unseren bisher freilich nur spärlichen Ver-
suchen mit Staphylokokken, Diphtherie- und Milzbrandbazillen erwiesen
sie sich wenig oder gar nicht wirksam. Hangt das etwa damit zusammen,
daß sich aus diesen Bakterien bei der angegebenen Behandlung nur wenig
Stoffe lösen (vgl. Endotoxine S. 915) luid kann man sie durch eingreifendere
oder anders geartete Verfahren gewinnen 7 Sind die Aggressine in diesen
Bakterien etwa nur in den Leibern enthalten ? An sich wäre es
ja möglich, daß die Aggressine vielfach ausschließlich „seßhaft" wären ( § 328).
Oder werden schließlich die Aggressine, wie anscheinend manche Gifte
und Impfstoffe wirklich, wie B a i 1 annahm, mir im Tierkörper gebildet
und unmittelbar nach ihrer Bildung neutralisiert, so daß sie für uns schwer
nachweisbar werden ? Alles das sind Fragen, die noch zu beantworten sind.
Natürlich gilt das oben über die Widerstandsfähigkeit der Aggressine
Gesagte nur von den bisher bekannten Aggressinen. Es wäre sehr möglich,
daß andere, z. B. die noch luibekannten der Protozoen, viel empfindlicher
wären gegen unsere Eingriffe. Die Schwierigkeit, aus diesen Organismen
Impfstoffe zu gewinnen (§ 333), scheint dafür zu sprechen.
§ 321. Aggressivität und Giftigkeit. Wir kommen jetzt zu
der Erklärung der Aggressinwirkimgen. Schon Wyssokowitsch
und ein Teil der älteren französischen Forscher (Vaillard und
Vincent) wollen sie mit den Giftwirkungen identifizieren, die letzt«-
ren freilich mehr in dem Sinne, daß sie, wie es später Deutsch
ausdrücklich tat, eine besondere Giftigkeit für die Phagozjrten an-
nahmen; Dörr (a. a. 0.), A. W o 1 f f ^) , S a u e r b e c k (a. a. 0.)
und bis zu einem gewissen Grade auch Eisenberg*) erklären die
Aggressine ausdrücklich für identisch mit den allgemeinen Giften der
Bakterien, A. W o 1 f f im besonderen mit den Endotoxinen oder Leibes-
giften. Sie berufen sich dabei auf die Giftigkeit der Aggressinlösungen,
die allerdings unzweifelhaft bis zu einem gewissen Grade besteht, und
1) Münch. med. Woch. 1906. 5; Zentr. Bakt. Refer. 38. 641 und 737,
1906.
2) Zentr. Bakt. 45. 649 ff., 1907.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1031
auf die aggressive Wirkung nicht spezifischer Oifte, die eine alte Er-
{ahnmg sei (vgl. Infektionslehre). Für manche in der Literatur nieder-
gelegten Fälle mögen diese Beziehungen der sog. Aggressinwirkimgen
zu den Giften wirklich zutreffen. Es fehlte eben in den betreffenden
Versuchen, wie wir mit Sauer beck hervorheben müssen (S. 1025),
das Hauptmerkmal der Aggressivität, die Steigerung des Bakterien-
wachstums, und man hat sich durch den Tod der Versuchstiere ver-
leiten lassen, eine Beförderung der Infektion anzunehmen. Es soll
femer nicht geleugnet werden, daß manche allgemeine und örtliche
Gifte wie Chloral, Chloroform, Äther, Alkohol, Opium, Kurare, Karbol
säure, Milchsäure, Krotonöl usw. diese oder jene Infektion begünstigen
können. In jedem einzelnen Falle muß aber der Beweis geliefert wer-
den, daß das wirklich geschieht. Denn für alle Infektionen gilt diese
Aggressivität der Gifte keineswegs (s. u.). Andererseits haben schon
Bouchard, Courmont, Bail usw. erkannt, daß die Giftig-
keit der Kulturen und tierischen Aggressine im allgemeinen viel zu
gering ist, um ihre starke Aggressivität zu erklären, und ich selbst
habe seit meinen ersten Arbeiten immer wieder betont, daß für das
Verständnis der Infektionserscheinungen nichts wichtiger ist, als die
begriffliche Scheidimg der Giftigkeit und Infektiosität der Krankheits-
erreger. Ich verweise auf die Ausführungen an anderen Stellen (§51,
257 u. 268) dieses Buches, die dafür zeugen, daß die Giftigkeitder
Bakterien derRegelnachgeradezuim umgekehr-
ten Verhältnis zu ihrem Wachstumsvermögen im
Tier kör per st eht , und der W i derst an d der Ti e r e
gegen die Infektionsgifte nichts zu tun hat mit
denWachstumswiderständen undAbwehrkräften
gegenüber den lebenden Keimen. Der Charakter der
Infektiosität besteht darin, diese letzteren Widerstände zu überwinden,
das vermögen jene Gifte vielleicht dadurch, daß sie Organe, die zu der
Neubildung der Ab Wehrkräfte in Beziehung stehen, schädigen (vgl.
Immunitätslehre). Wenn wir andererseits nachweisen können, daß die
Aggressine die Abwehrkräfte des Körpers selbst, die Alexine, Opsonine,
Freßzellen usw. schädigen oder lähmen, haben wir ihre Wirkung erklärt,
ganz gleichgültig, ob sie daneben noch giftig sind oder nicht. Das
ist in der Tat der Fall, wie wir gleich sehen werden. Aber es ist auch
leicht, ganz unmittelbar zu beweisen, daß die Giftigkeit nur
eine zufällige Eigenschaft der Aggressine ist, daß
die Gifte den letzteren also vermöge ihrer Darstellungsweise nur bei-
gemischt sind. Bakterielle und andere Stoffe besitzen nämlich in
vielen Fällen eine hervorragende Giftigkeit, d. h. sie töten schnell,
ohne eine Spur von Aggressivität zu zeigen. Zahlreiche Beispiele
1032 Kap. XVII, § 321 u. 322.
dafür, daß die Bakterienextrakte in Gaben, die durch „Endotoxin-
wirkung" schnell tödlich sind, andere als die zugehörigen Bakterien
nicht zum Wachstum bringen, finden sich in den Arbeiten von P a n e
und Lotti, Bürgers und Hösch, Jeßner. Diese Forscher
sahen femer nicht die Spur einer aggressiven Wirkung auf Ruhrba-
zillen, wenn sie tödliche Gaben zentrifugierter Diphtheriebouillon oder
Alkohol, Opiumtinktur, Krotonöl, Milchsäure in die Bauchhöhle ein-
spritzten, während schon der zwanzigste bis vierzigste Teil der töd-
lichen Gabe des Ruhrbazillenextraktes, bei dem von einer Giftwirkung
nicht das geringtse mehr zu merken war, dennoch deutlich die Infektion
begünstigte. Der sicherste Beweis der Verschiedenheit von Giftig-
keit und Aggressivität wird aber durch die ebenfalls von uns bewiesene
Tatsache geliefert, daß die Aggressivität des Ruhrba-
z i 1 le ne xt r akt e s durch Ruhrserum völlig aufge-
hoben werden kann, während die Giftigkeit be-
stehen bleibt. Das Immimserum bindet eben die Angriffs-
stoffe, nicht die leicht löslichen Endotoxine (s. u. und S. 949).
Ebensowenig wie allgemeine Giftwirkimgen für das Wachstum
der Infektionserreger im Tierkörper verantwortUch zu machen sind,
kann man etwa sagen, daß die Aggressine dadurch wirken, daß sie
örtlichen Gewebstod, Nekrose erzeugen. Erstens feh-
len derartige Wirkungen bei den allermeisten Infektionen wie bei
den Aggressinversuchen, zweitens erscheint die Nekrose da, wo sie auf-
tritt, durchaus nicht einfach am Orte lebhaftesten Bakterienwachstums,
ja das Gegenteil ist, soweit wenigstens die Infektionserreger selbst
in Betracht kommen, der Fall, so daß man z. B. die Verkäsung der
Tuberkel geradezu als eine Veränderung betrachten könnte, die den
Tuberkelbazillen schädlich ist (§ 332). Nur an der Oberfläche des Körpers,
wo Fäulnisbakterien herantreten können, kann ein Wachstami der-
selben in abgestorbenen Gewebsteilen stattfinden, ohne daß aber auch
hier wieder den ursprünglichen Infektionserregern ein Vorteil daraus
erwüchse. Soweit die Fäulniserreger selbst Krankheitserreger sind,
machen sie vielleicht eine Ausnahme von der Regel, so z. B. Spieß-
bazillen und Spirochäten bei der Vincent-Plaut sehen Angina,
der N o m a und Hospitalgangrän und die Bazillen beim
brandigen Emphysem. Wir kommen in der Infektionslehre darauf
zurück.
In manchen Fällen, namentlich bei Streptokokken und Staphylo-
kokken, hat man schließlich Beziehungen zwischen der blutkörper-
zerstörenden, hämolytischen Wirkung und ihrer Virulenz feststellen
können (§312). Indessen haben sie, abgesehen von ihrer mangel-
haften Beständigkeit, mehr ein praktisch diagnostisches als ein wissen-
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1033
schaftliches Interesse, weil man nicht einsieht, wie die Lösung roter
Blutkörper die Wachstnmswiderstände im Tier beseitigen soU^).
§ 322. Wirkung der Angriffsstoff e auf Leukozyten, Pha-
gozyten und Opsonine. Wenn die Aggressine nicht mit den Wir-
iomgen der allgemeinen oder nekrotisierenden oder hämolytischen
Gifte zusammenfallen, so könnten sie doch auf bestimmte Zellen,
z. B. auf die für die Abwehrleistungen des Körpers so wichtigen Leuko-
zyten und Phagozyten giftig wirken. In der Tat haben na-
mentlich Deutsch und Feistmantel ^) diese „leukoziden"
Wirkungen der infektiösen Bakterien betont, ja sie geradezu als Ursache
der Infektiosität hingestellt^). Daß leukozide Eigenschaften man-
chen Bakterien zukommen, haben wir § 317 gesehen, dort aber
auch schon darauf hingewiesen, daß es von vornherein zweifelhaft sein
kann, ob die Leukozidine für ihre Erzeuger Nutzen oder Schaden
bringen. Nun haben zwar N e i ß e r und Wechsb.erg, Rü-
diger, Eisenberg geglaubt, einen gewissen Zusammenhang
zwischen Leukozidinerzeugung und Virulenz bei Staphylo- und Strepto-
kokken, Rauschbrand- und Odembazillen feststellen zu können. Der-
selbe besteht aber nicht regelmäßig genug imd nicht gegenüber allen
Tierarten. Schon der Entdecker des besonders wirksamen Staphylo-
kokkenleukozidins, van de Velde*), hat die maßgebende Be-
deutung desselben für die Virulenz durch die Beobachtimg in Frage
gestellt, daß virulente und abgeschwächte Kokken es in gleicher Menge
erzeugen. B a i 1 ^) hat weiter nachgewiesen, daß die Zerstörung der
Exsudatleukozyten durch das Leukozidin geradezu bakterizide Schutz-
stoffe aus diesen in Freiheit setzt. Auf der anderen Seite haben wir
gezeigt, daß die kräftigen Ruhr- imd Typhusaggressine keine deutlich
leukoziden Eigenschaften besitzen. Man kann auch nicht sagen, daß
die Befunde im infizierten Tier selbst im allgemeinen für eine
zerstörende Wirkimg der virulenten Bakterien auf die Leukozyten
sprächen. So sieht man die Leukozyten z. B. bei zum Tode führenden
Milzbrand-, Hühnercholera- und Streptokokkeninfektionen in der Bauch-
höhle oft im engsten Nebeneinander mit den Erregem wohl erhalten.
1) Nuttall, Buchner, Schattenfroli, Wauters
haben schon früher, wir selbst in den letzten Jahren eher eine schädliche
Wirkung der Erythrozytenauflösung auf die Abwelirstoffe der Körpersäfto
beobachtet. Allein Heim (Münch. med. Woch. 1901, 18) will eine ge-
wisse bakterizide Wirkung der roten Blutkörperchen gesehen haben, wenn
or sie längere Zeit in Bouillon wirken ließ.
2) Impfstoffe und Sera, 1903 S. 17.
3) Vgl. auch Eisenberg, Zentr. Bakt. 45. 65 ff. Lit.
4) Cellule 10. 2, 1894.
5) Berlin, klin. Woch. 1898. 921 u. Arch. Hyg. 32.
1034 Kap. XVII, § 322.
Danach kann die Fälligkeit, Leukozyten zu töten, wohl im Kampfe
der Erreger gegen die Abwehrkräfte des Tieres bestenfalls nur eine
nebensächliche Rolle spielen. Man könnte sich aber die Wirkung
der Aggressine auf die Phagozyten mit den älteren französischen For-
schem auf andere Weise erklären, nämlich mit Bouchard, Vail-
1 a r d und Vincent, Besson durch ihre „negativ chemotak-
tischen" Eigenschaften gegenüber den Leukozyten (Phagozyten), wo-
zu dann noch eine derartige Beeinflussung der Grefäße käme, daß die
Auswanderung der Leukozyten verhindert würde^), oder mit Mas-
sart imd B o r d e t 2) durch die Vorstellung, daß die Aggressine
eine Durchtränkung des Körpers mit „positiv chemotaktischen'^ Stoffea
bewirkten, die eine Wirkung der an der Infektionsstelle neugebildeten
chemotaktischen Stoffe dadurch verhinderten. Diese letzte Deutung
läßt sich nun freilich nicht festhalten angesichts der Tatsache, daß
die Aggressine nicht bloß wirken, wenn sie in die Blut bahn imd das
Bakterium an irgendeiner Stelle des Körpers eingeführt werden, sondern
gerade dann besonders kräftig sind, wenn sie an gleicher
Stelle wirken. Dennoch hat diese Theorie später in etwas anderer
Form namentlich in W e r i g o ^) und jüngst noch in Neufeld*)
und Centanni^) Anhänger gefunden. Sie glauben nämlich das Aus-
bleiben der Phagozyten einfach dadurch erklären zu können, daß sie
in solchen Fällen das Fehlen positiv chemotaktischer Einflüsse anneh-
men. Wir kommen auf diese Theorie, die sich in dieser allgemeinen
Form mit dem Vorkommen von Aggressinen nicht verträgt, später zu-
rück und sprechen hier zuerst von der Bouchard sehen Theorie,
die im wesentlichen nur noch von Metschnikoff, dem Ent-
decker und ausdauernden Apostel der Phagozytentheorie, B a i I u. a.
vertreten zu sein scheint, obwohl man bei diesen Forschem vergebens
nach einer so scharfen Formulierung sucht, wie sie von Bouchard
gegeben worden ist. Wir halten uns im folgenden hauptsächUch an
unsere eigenen Beobachtungen. Leicht festzustellen ist — allerdings
vorwiegend durch Versuche mit den kräftigen Kulturaggressinen — .
daß sie eine ausschließUch seröse Entzündung, keine Zuwanderung
von Leukozyten bewirken, daß sie femer in einem leukozytenreichen
1) S. bei Bouchard a. a. O., Charrin und Gley, Arch.
physiol. Ch. 1890 und 1891, Charrin und Gamaleia, Soc. biol.
5. VII. 1890.
2) Annal. Pasteur 1891.
3) Ebenda 1894. Arch. inM. exp^rim. 1898 und 1901; vgl. Infektions-
lehre.
4) Arbeit. Gesundheitsamt 27. 414, 1907.
5) Zeitschr. physiol. Chem. 55, 1908.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1035
Exsudat der Bauchhöhle die Exsudatzellen auf den Wänden nieder-
schlagen. Der Mechanismus dieser Leistungen ist aber keineswegs
aufgeklärt (§ 280). Die (Jefäße haben sehr wahrscheinlich einen wich-
tigen Anteil daran, aber kaum in dem Sinne, wie Bouchard ihn
angenommen hat (vgl. M a s s a r t und B o r d e t). Ebensowenig ist
mit Sicherheit die oft gemachte Beobachtimg, daß die Leukozyten-
zuwanderung zu einem Infektionsherd, namentlich in einem gefäßlosen
Gewebe, wie in der Hornhaut, in einem gewissen Abstand zum Still-
stand gebracht wird, zu verwerten. Wenn wir hier von negativ chemo-
taktischen (besser leukotaktischen) Einflüssen sprechen könnten, so
würde doch der Umstand, daß andere Stoffe, wie die oben
schon genannten Gifte (Alkohol, Krotonöl, Milchsäure) ähnliche s e -
rose Entzündungen erzeugen, ohne im allgemei-
nen aggressiv zu sein (Bürgers und H ö s c h ^)), gegen
ihre Bedeutung für die Erklärung der Aggressivität sprechen. Es
macht den Eindruck, als ob die negative Leukotaxis eher eine Eigen-
schaft von besonderen den Aggressinen beigemengten Stoffen sei, da
sie durch Immunserum nicht aufgehoben wird, wohl aber die Aggres-
sivität. Immerhin soll diesen Stoffen, die nicht bloß mit den Endo-
toxinen, sondern auch mit den komplement bindenden (§ 325) in
Beziehung gebracht werden könnten, nicht immer jede Bedeutimg
für die Aggressinwirkung, namentlich die nicht spezifische, abge-
sprochen werden.
Auf den richtigen Weg geführt werden wir aber erst, wenn wir
als das Wesentliche der Aggressinwirkung gegenüber den Phagozyten
nicht annehmen das Ausbleiben der Leukozyten- bzw. Phagozyten-
zuwanderung, die negative Chemo- oder Leukotaxis, sondern das
Ausbleiben der Phagozytose selbst in Gegenwart
der Phagozyten, also, wie wir sagen möchten, die „negative Phago-
taxis". Eine solche läßt sich nach den von mir oder unter meinen
Augen ausgeführten Untersuchungen (P a n e und Lotti^),Hösch
und Bürgers, Jeßner) nicht nur in der mit Leukozyten an-
gereicherten Bauchhöhle von Tieren, sondern auch in Eeagensglas-
versuchen bei den verschiedensten Infektionen beobachten und ent-
spricht auch'den sonst in der Literatur bei allen möglichen Infektionen
gemachten Befunden (vgl. Immunitätslehre). Sie ist bei den infek-
tiösen Bakterien (abgesehen von den Tuberkelbazillen) so sehr die Regel,
daß man darauf geradezu ein Prüfungsverfahren zur Feststellung der
1) Merkwürdig genug ist diese Tatsache, zumal die betreffenden
Exsudate nach unserer Erfahrung jeder bakterziden Wirkung entbehren.
2) a. a. O. und Nuovi studi sulla infezione peritoneale in Annali
d'igiene 1907.
1036 Kap. XVII, § 322.
Virulenz im Reagensglas begründen kann^). Für die Erklärung der
negativen Fhagotaxis steht tuis freilich nur eine begrenzte Zahl von
Arbeiten zur Verfügung. Nach unseren eigenen Versuchen, die die
Aggressine namentlich in Ruhr-, Typhus- und Cholerabazillen be-
treffen, besteht kaum ein Zweifel daran, daß diese ihre negative
Fhagotaxis durch die Neutralisierung der Opsonine des Körpers, d. h.
ihre an ti o psonische Wirkung erlangen. Da wir gefunden
haben, daß die Aggressine abgeschwächter Ruhr- und Cholerabazillen
viel weniger wirken, als die virulenter, und daß der Wirkung Spe-
zifität innewohnt, glauben wir in dem Grade der antiopso-
nischen Leistungen einen wesentlichen Faktor
der Virulenz erblicken zu dürfen. Dabei soll es un-
entschieden bleiben, ob die Neutralisierung der Opsonine vorwiegend
durch die nach außen abgegebenen oder die im Bakterienleibe vor-
handenen „seßhaften" Aggressine bewerkstelligt wird. Der Mechanis-
mus bestände in jedem Falle in der AblenkungderOpsonine
von den Stellen der Bakterienleiber, von denen
aussiedieletzterenzurPhagozytosevorbereiten
oder, wie man vielleicht sagen darf, die positiv phagotaktischen Stoffe
erzeugen (s. u.), und zwar in einer Ablenkung durch Bindung der Op-
sonine. Eine Verstärkung der Bindekraft für Opso-
nine wäre also hier die Voraussetzung der hohen
Virulenz. Es fragt sich, ob dieses Verhältnis auch im allgemeinen
nachgewiesen ist. Nur ziemlich wenige Fälle sind bisher untersucht
worden, aber nicht immer mit demselben Ergebnis.
In erster Linie ist zu gedenken der von einem anderen Gesichtspunkt
aus, nämlich zum Studium der Opsonine selbst ausgeführten .»Absättigungs-
vorsuche" opsonischen Serums mit Bakterien. Daß sie nicht mit lebenden
Bakterien ausgeführt worden sind, ist wohl kein Grund, sie nicht für unsere
Zwecke zu verwerten, da sich in vielen Fällen seit den ersten Mitteilungen
von D e n y s und Marchand herausgestellt hat, daß, was die Freß-
barkeit anlangt^), kein wesentlicher Unterschied indem
Verhalten abgetöteter und lebender Keime gegen die
T*hagozyten besteht. Was nun die Ergebnisse der Absättigung normalen
Senuns mit verschiedenen Bakterienarten angeht, so glaubt die W r i g h t -
sehe Schule, der wir die ersten Mitteilungen darüber verdanken, und na-
mentlich B u 1 1 o c h imd Western') an die Spezifizität der Binde-
kraft für Opsonine, indem die Behandlimg eines Normalsemms mit Sta-
phylokokken, PyocyaneiLS oder Tuberkelbazillen dem Senun nur die ()ps<>-
1 ) Vgl. Bürgers, Über Virulenzbestimmiuig der Streptokokken
Zentr. Gynäk. 1910, 18.
2) Anders steht es mit der Auflös- imd Färbbarkeit der lebenden
imd toten Bakterien nach dem Fressen (vgl. S. 33).
3) Proceed. Roy. soc. 78.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1037
nine für die betreffenden Arten raubt. Auch R o s e n o w ^) sah ähnliches
eintreten, wenn er namentlich Blutserum mit Pneumo-, Strepto- oder
Staphylokokken absättigte und dann das opsonische Vermögen gegen
die^e Bakterien und Tubelkelbazillen prüfte. Sehr häufig verursachte
zwar die Absättigung einen gewissen Verlxist der opsonischen Kraft, aber
einen vollständigen nur in dem Falle, wenn die gleichartigen Bakterien
zur Absättigung benutzt wurden. Ebenso schließt Bürgers *) aus
steinen Versuchen an mütterlichem tind fötalem Serum auf Spezifität der
Op.sonine gegen Ruhrbazillen und Streptokokken. An diesen Ergebnissen
wird dadurch nichts geändert, daß andere Forscher solche Unterschiede
nicht beobachteten (Simon, Lamar imd Bispham, York und
Smith, Murri und Martin usw. ). Bei den mindestens nahe ver-
wandten Alexinen ( § 323) beobachtet man ebenfalls die Erscheinung, daß
t*:« bei solchen Versuchen auf die genaue Berücksichtigung der quantitativen
Verhältnisse ankommt, indem offenbar größte Bakterienmengen das
Vermögen besitzen, sämtliche normale Schutzstoffe dem Blutserum
zu entziehen. Bei den Immunopsoninen (Tropinen) ist dagegen die Spezi-
fität der Bindung ebenso anerkannt, wie bei den Immunlysinen (§324).
Wir gehen darauf nicht weiter ein, ebensowenig auf die nähere Erklärung
der Bindung der normalen Opsonine bzw. auf ihre von manchen Seiten ver-
mutete Zusammensetzung aus Normaltropin (auch Präparin, Hilfskörper,
Aktivator genannt) und eigentlichem Opsonin oder Komplement, da diese
Dinge in die Immunitätslehre gehören').
Aus diesen Erfahrungen folgt zunächst nur das Vorhandensein
spezifischer und nichtspezifischer opsoninbindender Stoffe in zahl-
reichen Bakterien, aber noch nicht, ob die Beziehungen derselben zur
Virulenz dieselben sind, wie in den von uns selbst studierten Fällen.
Daß das Verhältnis auch ein anderes sein könnte, geht anscheinend
aus einigen Untersuchungen hervor, die freilich nur im Reagensglas
vorgenommen worden und nicht eindeutig sind.
Auch aus virulenten Pneumokokken stellten nämlich H o s e n o w
(a. a. O.) , Tschistowitsch und Jourewitsch *) eine die Phago-
zytose hindernde aggressive Substanz dar, die sie aber ,,Virulin" bzw.
..Antiphagin** nennen, und deren Wirkung sie in anderer Weise erklären.
Nach R o s e n o w sollten die virulenten Kokken nicht phagozytabel sein
und das Opsonin gar nicht binden, die abgeschwächten stark binden und
gefressen werden. Nach Ausziehen des Virulins gewännen aber die viru-
lenten die Bindekraft der avirulenten und würden jetzt gefressen, während
<lie abgeschwächten Kokken nach Behandlung mit Virulin die Bindekraft
und Phagozytierbarkeit verlören. Ebenso konnten Tschistowitsch
und Jourewitsch die virulenten Pneimiokokken durch Ausziehen
des Antiphagins phagozytabel machen. Damit wäre die Bildtmg ne-
gativ phagotaktischer Stoffe, die gewissermaßen durch
1) Joum. of inf. disee^s. 1907.
2) Zeitschr. Immunitätsf. 5. 651, 1910.
3) Vgl. dazu Grub er, Zentr. Bakt. Refer. 44 Beil. S. 2 ff., 1909
und Bürgers a. a. O. (Anm. 2).
4) Annal. Pasteur 1908.
1038 Kap. XVn, § 322.
,, Verstopfung" der opsoninbindenden Gruppe der Bakterienleiber wirkten,
alsoeinzweiterMechanisniusderAggressinwirkun;:
bewiesen, der natürlich nur den Normalopsoninen, nicht den Inununopso-
ninen gegenüber Gültigkeit besäße. Leider hat Z a d e ^) in meinem Labo-
ratorium diese Ergebnisse nicht bestätigen können. Es gelang ihm weder,
virulente Pneumokokken phagozytabel zu machen, noch die Freßbar-
keit avirulenter durch Behandlung mit einem nach K o s e n o w herg«^
stellten Extrakt oder Zugabe desselben zum Serum zu verringern*). Eben-
sowenig glückte es uns, ^, kapseltragende" Milzbrandbazillen durch griüid-
liches Ausziehen bei höheren und niederen Temperaturen ihrer Wider-
standsfähigkeit gegenüber den Phagozyten, also ihrer negativ phago-
taktischen Stoffe zu berauben (Bürgers und Hö.^ch). Bürgert«
bestätigte auch nicht die Angaben von Weil und T s u d a '), nach der
d€us Ausbleiben der Phagozytose von Huhrbazillen unter dem Einfluß tie-
rischer Aggressine auf einer Beeinflussung der Bazilleii
selbst, nicht a\if einer antiopsonischen Wirkung beruhen soUte. Ir.
vielen Fällen gelingt es dagegen, die Kapseln, die , wie wir imten
sehen werden, für das Ausbleiben der Phagozytose bei den virulenten
Bakterien verantwortlich zu machen sind, durch Züchtung auf küiL^t-
Uchen Nährböden mehr oder weniger schnell zu entfernen und dadurch
die Bakterien abzuschw^ächen. Beim Milzbrand war es schon bekannt,
ebenso bei vielen Stämmen von Pneumokokken, daß sie schon in den
ersten Kultiu'generationen auf den gewöhnlichen Nährböden ihre Kapseln
verlieren, dabei erheblich an Virulenz einbüßen \md phagozytabel werden.
H o r i u c h i hat in Grubers*) Laboratorium ähnliches bei Tetragenus-
kokken beobachtet, wenn er sie einige Tage auf „vorgetrocknetem" Agar
züchtete. Ferner soll nach G r u b e r imd O k u b o die Pyocyanase inner-
halb und außerhalb des Tierkörpers die Milzbrandbazillen ihrer Kajwehi
berauben. Es scheint freilich, als ob sie dadurch nicht ilu'e Widerstands-
fähigkeit gegen die Phagozyten verlieren, denn wenigst<;ns im Tier sollen
sie sämtlich extrazellulär zugrunde gehen.
Ist somit über den Mechanismus der negativen Fhagotaxis keine
vollständige Klarheit erzielt, so ist doch das Vorkommen negativ
phagotaktischer Stoffe, also nach \mserer Benennimg von Aggressinen
mit solchem Vermögen wahrscheinlich. Wir könnten also die auf der
Ablehnung besonderer negativ phagotaktischer Stoffe fußende Theorie
von M a s s a r t und Bordet, Werigo, Neufeld und C e n •
t a n n i (s. o. S. 1034) auf sich beruhen lassen, wenn sie nicht eine Mög-
lichkeit beträfe, die an sich denkbar wäre, und wenn C e n t a n n i nicht
1) Zeitschr. f. Immunitätöforschung 2, 1909. Die von Preisz
behauptete aggressive Wirkvmg der Kapselsubstanz wurde nicht geprüft,
ebensowenig das Bindungsvermögen für Opsonin (s. aber unten § 323).
2) Vgl. unten Centannis Arbeit. Nach Nunokawa (Zeitsehr.
f. Immunitätsforschg. 3, 1909) henmat tierisches Pneiunokokkenaggressin
das Herantreten des Bakteriotropins an die Kokken. Das Aggressin wirkt
also wohl unmittelbar antiopsonisch bzw. antitropisch.
3) Berl. klin. Woch. 1907. 33.
4) S. vor. S. Anm. 3.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1039
den Versuch gemacht hätte, einen unmittelbaren Beweis für diese
Auffassimg zu liefern. Nach ihm, wie übrigens auch nach N e u -
f e 1 d 8 rein theoretischer Voraussetzung, sollen die normalen und
Immunopsonine zunächst aus den Bakterien positiv chemotaktische
Stoffe frei machen. Mit diesem Gedanken könnte man sich allenfalls
befreunden, obwohl unseres Erachtens die Annahme näher liegt, daß
die Opsonine die negativ phagotaktischen Stoffe der Mikrobien neu-
tralisieren tmd dadurch die daneben vorhandenen positiv phagotak-
tischen zur Geltung gelangen lassen. C e n t a n n i geht nim aber
noch weiter und betrachtet die Verbindung der Opsonine (o) mit den
..opsoniphilen" Gruppen^) (e) der Bakterienkörper als die eigentlichen
positiv phagotaktischen Stoffe oder „Chemotropine" (o e^)).
Er glaubt das erstens dadurch beweisen zu können, daß Pneumo-
kokken, die mit Opsonin beladen und dann mit Wasser kräftig ausge-
waschen worden sind, sich schwer opsonisierbar und ebenso schlecht freß-
bar zeigen, ohne doch abgestorben zu sein. Wir wollen beides nicht be-
streiten, da wir den Versuch nicht nachgemacht haben, aber Z a d e s
Erfahrung (s. o.), daß die Pneumokokken durch das wiederholte Ausziehen
sehr an Färbbarkeit verlieren, läßt uns vorläufig an dem Ergebnis C e n -
t a n n i 8 zweifeln, um so mehr, da von ihm die naheliegende Virulenz-
prüfung unterlassen worden ist ; man sollte doch annehmen, daß die Kokken
durch den Verlust ihrer Phagozytierbarkeit virulenter würden. Die Wirk-
samkeit seiner durch Auswaschen erhaltenen Chemo tropinverbinduiig sucht
Centanni dann durch den bekannten chemotaktischen Röhrchen-
versuch zu stützen. Wir haben früher gesehen, wie wenig zuverlässig der-
artige Versuche sind (S. 911). Von seinem Standpunkt aus erklärt Cen-
tanni das Ausbleiben der Phagozytose unter natürlichen Bedingungen
(d. h. doch wohl bei höchster Virulenz der Kokken) durch verschiedene
Hilf sannahmen. Entweder soll sich das unter dem Einfluß der Opsonin-
wirkung abgestoßene Chemotropin in so reichHchen Mengen in der Flüssig-
keit cmsammeln, daß es die Leukozyten von den Bakterien ablenkt,
oder die Leukozyten werden durch die Aufnahme von Chemotropin mit
diesem übersättigt und dadurch vorübergehend ihres Freß Ver-
mögens beraubt, oder es werden drittens die Opsonine durch
freiwillige Ausscheidung der opsoniphilen Sub-
i^tanz, wie sie in den Kulturfiltraten erfolgen soll,
außerhalb der Zellen abgelenkt. Eine letzte Möglichkeit,
die Verstopfung {,,Stomosierung") der opsoniphilen Gruppen durch „Opso-
noide" wäre nach Centanni noch nicht nachgewiesen. Uns scheint,
1) Diese Gruppen e sollen Bestandteile der äußeren Leiberschicht
der Bakterien sein, daher die Opsonine auch als ,,Esolysine** den Bakterio-
lysinen oder Endolysinon gegenübergestellt werden. Auch nach unserer
Auffassung sind die negativ phagotaktischen Stoffe, soweit sie nicht nach
außen abgesondert werden, gerade in der äußeren Bakterienschicht, der
., Kapsel'*, angesammelt.
2) Centanni identifiziert sie, wie schon der Name besagt, mit
den leukozytenanlockenden sog. chemotaktischen Stoffen.
1040 Kap. XVII, § 322 u. 323.
daß dieser Nachweis auch für die übrigen Möglichkeiten noch nicht ge-
lungen ist. Die Vielgestaltigkeit des von Centanni entworfenen Bilde%s
dctö übrigens im auffälligen Gegensatz zu den Befunden von R o s e n o w ,
Tschistowitsch und Jourewitsch und Z a d e bei derselben
Bakterienart steht, wird noch dadurch vermehrt, daß es auch neben den
durch Opsonine erst zu Chemotropinen ergänzten Stoffen noch „unab-
hängige" Chemotropine (k) geben soll, die freiwillige Phagozytose bewirken.
Sicher ist allerdings auch nach Z a d e s Beobachtungen, daß manche,
übrigens ganz avirulente Rassen von Pneumokokken durch Leuko-
zyten allein — bei Ausschluß von Serum — reichlich gefressen werden.
Bis auf weiteres möchten wir die Erklärung für diese und ähnliche
Fälle von freiwilliger („s p o n t a n e r") Phagozytosebei
schwach odergarnicht virulenten Bakterien darin
sehen, daß bei ihnen die positiv phagotaktischen Stoffe die negativ
phagotaktisclien weit überwiegen, so daß die letzteren gar nicht erst
durch Opsonine ausgeschaltet zu werden brauchen. Bekanntlich findet
sich freiwillige Phagozytose aber auch selbst bei hochinfektiösen Bak-
terien und Pilzen, wie z. B. Milzbrand- und Pestbazillen^). Hier änden
sich aber das Verhalten sofort, sobald diese Bakterien kurze Zeit mit
Körperflüssigkeiten, namentlich Blutserum«), in Beriihrung kommen: sie
werden für die Phagozyten unangreifbar. Da sie gleichzeitig eine
leicht sichtbare schleimige Hülle, eine sog. Kapsel ausbilden, ist es
kein Wunder, daß man diese mit der negativen Phagotaxis in Ver-
bindung gebracht hat und nur folgerichtig, daß ¥rir die Kapseln
für den Sitz der unter dem Einfluß des Tierkörpers
ausgebildeten Aggressine ansehen (s. o. S. 1036). Da-
mit stimmt überein, daß abgeschwächte Milzbrandbazillen nach Gru-
be r und Futaki, Preisz*) und unseren eigenen Erfahrungen
die Fähigkeit der Kapselbildung in weit geringerem Grade besitzen.
Daß die Kapseln freilich nicht immer mit der höheren Virulenz
zusammenhängen, folgt aus ihrer Entwicklung bei vielen saprophr-
tischen Bakterien (s. u. Schleimgärung § 128) und bei den von
D a n y s z an Rattenserum angepaßten Milzbrandbazillen (s. u. S.1(M4).
vor allem aber daraus, daß dieKapselauchdievirulenten
Bakterien nicht schützt gegen die Freßzellen
der natürlich immunen Tiere. Wahrscheinlich ist die
Kapsel nur die Grundlage für die von uns angenommenen spezifischen
Angriffsstoffe und wirkt darum nur gegenüber denjenigen Abwehr-
1) Vgl. Lit. bei Eisenberg, Zentr. Bakt. 45. 148, W,
Fischöder ebenda 51. 342, 1909.
2) Die näheren Bedingungen hat namentlich B a i 1 (Zentr. Bakt.
46. 148, 1907) studiert (vgl. oben § 4).
3) Zentr. Bakt. 47. 685; 49. 341, 1909.
Angriffs-, Reiz- uud Impfstoffe. 1041
kraften, auf die jene eingestellt sind^). In anderen Fällen fehlen
eigentliche Kapseln, die an den tierischen Körper besser angepaßten,
von B a i 1 sog. „tierischen" Bakterien zeichnen sich aber durch eine
erheblichere Größe aus, was vielleicht auf eine kräftigere Ausbildung
des ,,Ektoplasmas'^ beruht*). Allzuviel Wert möchten wir auf diese
und andere morphologische Eigenheiten (s. auch die
Kömerbildung §329) der virulenten Kleinwesen nicht legen,
da sie doch zu unbeständig imd vieldeutig sind. Die Hauptsache
ist für uns, daß der Zunahme der Virulenz bei einem
und demselben Mi kr ob i en s t am me im allgemei-
nen einer Abnahme der Phagozytierbarkeit ent-
spricht und umgekehrt, und daß die Veränderung dieser
Eigenschaften durch verschiedene Einflüsse, die wir in der Infektions-
lehre ausführlicher besprechen werden, bewirkt werden kann. Wir
halten es für einen Vorzug unserer Aggressintheorie, daß sie diese
Veränderlichkeit ebenso erklärt, wie die Enzymtheorie die Variabilität
der Stoffwechselvorgänge (vgl. § 328—330).
§ 323. Antibakterizide Wirkung der Angriffsstoffe. Außer
den Freßzellen verfügt der lebende Körper noch über andere Schutz-
mittel gegenüber den infektiösen Mikrobien^). Die sog. Alexine des
Blutserums und der Exsudate sind unter ihnen am besten bekannt.
Daß die Angriffsstoffe der Bakterien, wie es unsere Theorie verlangt,
imstande sind, die bakterizide Wirkung der Alexine, imd zwar in
spezifischer Weise, zu neutralisieren, ist durch zahlreiche Erfahrungen
bewiesen. Die ersten erfolgreichen Versuche im Reagensglas sind von
mir und Bonaduce*) angestellt worden (S. 1023).
1) S. Abschnitt über Schutzmittel gegen Gifte (§ 57). Bail und
Fischöder wollen dagegen in den Kapseln eine I^ankheitserscheinung
sehen. Auf den Namen kommt es nicht an, sondern nur auf die Wirkung
der Kapseln. Was die Widerstandsfäliigkeit der bekapselten Milzbrand-
bazillen gegen Serumalexine (§ 323) angeht, so scheint nach den gründHclien
Untersuchungen Fischöders klar zu sein, daß die Kapsel an sich sie noch
nicht bedingt, die negative Phagotaxis der Kapselbazillen ist dagegen eine
Tatsache, die auch durch Fischöder nicht umgestoßen werden kann.
2) S. bei Eisenberg a. a. O. und § 4.
3) Von den sog. Leukinen luid Plakinen, den Absondenmgen bzw.
Leibesbestandteilen der Leukozyten und Bluti)lättchen (vgl. Infekt ions-
und Immunitätslehre) wird im folgenden nicht gesprochen, weil wir über
sie noch zu wenig Sicheres wissen. Sollten sie sich als wichtige Ab-
wehrstoffe herausstellen, so zweifeln wir nicht, daß die Aggressine auch
als „Antileukine" bzw. ,,Antiplakine" wirken. Auch die noch gar nicht
faßbaren schädlichen Einflüsse, die von den Epithelien aiLsgehen
und für die Immunität der Schleimhäute von Bedeutung zu sein scheinen,
müssen wir hier beiseite lassen.
4) Ziegl. Beitr. 12. 367, 1892.
Kruse, Mikrobiologie. 06
1042 Kap. XVII, § 323,
Geringe Mengen Milzbrandbazillen, die allein in Kaninchen-
serum eingesät, abgetötet wurden, wuchsen üppig darin, sobald gleich-
zeitig tote Bazillen zugesetzt wurden. Daß es sich hierbei um eine spezi-
fische Wirkung handele, schloß ich^) damals aus einem älteren, nicht weiter
verfolgten Versuch N i s s e n s ■). Hier hatte nach Einspritzung größerer
Mengen des Coccus aquatilis in den Blutstrom das defibrinierte
Blut seine keimvernichtende Eigenschaft gegenüber den letzteren Bak-
terien verloren, nicht gegenüber den Cholerabazillen, nach Ein-
spritzung der Cholerabazillen wieder nin* sein Vemichtungsvermögen gegen
diese. Auch die Beobachtung Flügges*), daß in den letzten Stadien
einer Infektion mit Milzbrand die keimtötende Wirkung des Blutes gegen-
über den Milzbrandbazillen verschwände, deutete ich in demselben Sinne.
B a 8 t i n *) wiederholte den Versuch N i s s e n s mit Staphylokok-
ken und B. aerogenes, fand auch, daß die Alexine nach der Ein-
spritzung verschwanden, aber gleichzeitig, daß diese beiden Bakterien-
arten sich ohne Änderung der Ergebnisse gegenseitig vertreten könnten.
Ebenso meint Vandevelde^), allerdings nur auf Grund eines einzigen
Versuchs mit eintägigen Bouillonfiltraten, daß virulente und abgeschwächte
Staphylokokken im Reagensglas die gleiche Menge alexinneutrali-
sierender Angriffsstoffe (Lysine, Aggressine) entwickelten und wollte
daraus wie aus B a s t i n s Versuchen schließen, daß die Angriffsstoffe
keine spezifischen Erzeugnisse der Bakterien seien. Genaue quanti-
tative Vergleiche hätten hier vielleicht doch ein
anderes Ergebnis gezeitigt. Für die Spezifizität spricht doch
selir die etwa gleichzeitig mit imseren eigenen Versuchen mit Milzbrand-
bazillen gemachten aber luibeachtet gebliebene Beobachtung H a n -
k i n s *) , daß der Zusatz einer Spur (0,0001 und weniger) einer älteren
sterilisierten und filtrierten Kultur des Vibrio Metschnikoff
Kaninchenserum zum größten Teil seiner bakteriziden Kraft gegenüber
diesen Bakterien beraubte. Hierher gehört auch eine aus dem Labora-
torium Denys* stammende Angabe H a v e t s ') , nach der schon die
Zugabe von V4V00 eines klaren Coliautolysats die Bakterizidie des Hunde-
bluts für Colibazillen stark beeinträchtigte, von %% sie fast auf-
hob. Vor allem folgt die Spezifität aber aus späteren Versuchen, wenn auch
die Urheber derselben öfter dieselben nicht erkannten. Wir lassen die mit
Hilfe des lebenden Tierkörpers gemachten beiseite, da sie verschiedener
Deutung fähig sind und zvun großen Teil wie die oben erwähnten mit defi-
briniertem, also leukozytenhaltigem Blut, nicht mit Blutserum angestellt
worden sind. In erster Linie zu nennen ist außer einer Mitteilung Schnei-
ders*), welche die Neutralisierbarkeit der Alexine durch Filtrate von
Cholerakulturen beobachtete, die ausführliche Arbeit B a i 1 s •)•
1) Ebenda 340.
2) Zeitschr. f. Hyg. 6. 498.
3) Zeitschr. f. Hyg. 4. 229.
4) La Cellule 8, 1892.
5) Ebenda 10. 2, 1894.
6) Zentr. Bakt. 12. 821, 1892.
7) La Cellule 10. 243.
8) Arch. f. Hyg. 28, 1897.
9) Ebenda 35, 1899.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1043
B a i 1 prüfte Filtrate 14 Tage alter vorher gekochter Staphylokok-
ken mit demselben Erfolge, während er Filtrate von Typhusbouil-
lon in den gleichen Gaben (25%) gegenüber den Kokkenalexinen fast
unwirksam fand. Leider fehlt hier die Gegenprobe, die B a i 1 nicht hätte
unterlassen sollen, weil er die Neutralisierung der Alexine durch Bakterien-
prodakte für nicht spezifisch erklärt und sich dabei ausdrücklich auf die
von Swing ^) zuerst nachgewiesene Möglichkeit bezieht, auch durch
andere „Gifte'* (Schlangengift) die Serumbakterizidie aufzuheben. Sieht
man sich aber B a i 1 s Zahlen genauer an, so findet man doch sichere An-
zeichen spezifischer Wirkung. So folgt aus Tabelle XXVI, daß ein etwa
gleich starkes Wachstum von Staphylokokken im Kanin chensertmi nach
Eintragen von V^o Öse abgekochter Staphylokokkenleiber oder Vs Öse
I'yo cyaneusbazillen erfolgt, umgekehrt aber das reichhche
Wachstum von Pyocyaneusbazillen schon durch V20 Öse toter Pyocyaneus-
baziUen, aber noch nicht durch Ys Öse Staphylokokken ermöglicht wird.
Ebenso wuchsen nach Tab. XXIX und XXX zwar Typhusbazillen
nach Absättigung mit Vg — V, Kultur abgetöteter Typhusbazillen und
Cholerabazillen nach Absättigung mit Vio — y^ Kultur toter
Cholerabazillen, aber nicht die Cholera- bzw. Typhusbazillen in ebenso
behandeltem Serum. Bei großen Gaben toter Bakterien
verwischen sich freilich deren spezifische Unter-
schiede, und man kann durch jedes Bakterium schließ-
lich sämtliche Serumwirkungen aufheben*). So ergab
sich z. B., daß Vg Agarkultur Staphylokokken die Bakterizidie von 1 ccm
Kaninchenserum für Cholera und Typhus, V^ — 1 Agarkultur von Typhus-
bazillen die Bakterizidie für Cholerabazillen vernichten. Auch Wilde*)
hielt die Absättigung der Alexine durch tote Bakterien für nicht spezi-
fisch, weil sie mit dem avirulenten Bac. megatherium ebensogut wie mit
dem virulenten Milzbrand gelänge und gleichzeitig die bakterizide wie
die hämolytische Kraft der Alexine beträfe. DieArtder Abtötung
der B a k t er i en 1 ei b er schien für die Wirkung ziem-
lich gleichgültig zu sein, und auch lebende Bakterien vermochten
die Alexine oft, wenn auch nicht so regelmäßig abzusättigen. Dagegen
waren sie unwirksam, wenn sie durch vorhergehende Behandlung mit
Serum schon mit Alexin beladen waren.
Wilde war es übrigens auch, der den von v. Dungern*) gelieferten
Nachweis, daß das hämolytische Vermögen des Serums, und zwar dessen
,, Komplement", auch durch beliebige andere Zellen abgesättigt werden
könne, auf das bakterizide übertrug. Ähnlich wie Bakterien verhielten sich
Hefe, tierische Zellen (außer roten Blutkörperchen) aus fremden
und denselben Tieren, aus denen das Serum stammte, aber auch A 1 e u r o -
n a t und verschiedene K a s e i n e , während andere ,, absorbierende"
Stoffe wie Ultramarin (B a i 1) , Tierkohle, Bolus, Karmin, geronnenes
Serumeiweiß nicht oder unvergleichlich schwächer wirkten. Wir kommen
1) Lancet 1894. 1237, vgl. F 1 e x n e r und N o g u c h i , University
of Pennsylvania Bull. Febr. 1902.
2) Vgl. die ähnUchen Verhältnisse bei der antiopsonischen Wirkung
S. 1035 ff.
3) Arch. Hyg. 44, 1902.
4) Münch. med. Woch. 1900. 20.
66*
1044 Kap. XVn, § 323 u. 324.
später auf diese nicht spezifische Alexinabsorption
zurück (S 325).
Eine bemerkenswerte Vervollständigung erfuhren die Angaben über
die alexinneutralisier enden Eigenschaften der Milzbrandbazillen
durch eine Arbeit D a n y s z' ^) über die Anpassung abgeschwächter Milz-
brandbazillen an das Alexin der Ratte und an Arsenik. Nach ihm geling
sie allmählich unter gleichzeitiger Ausbildung einer schleimigen Hülle.
einer „Kapsel", die die Bazillen übrigens auch auf den gewöhnlichen festen
Nährböden festhalten sollen. Daß diese Kapsel mit der größeren Wider-
standsfähigkeit etwas zu tun hat, ist von vornherein wahrscheinlich, sie
wirkt nach den Versuchen Danysz' dadurch, daß sie Alexin bindet:
in der Tat entzogen die angepaßten Bazillendem Serum
mehr Alexin als die nicht angepaßten. In Bouillon ist
der Mechanismus anscheinend ein anderer : die angepaßten Ba-
zillen scheiden hier eine filtrierbare Substanz aun.
die Alexin — bzw. Arsenik — unwirksam macht. Wir haben hier unsereb
Erachtens ein schönes Beispiel für die Identität der
(in den Kapseln vorhandenen) seßhaften und der gelösten
Aggressine. Der Nachprüfung bedürftig ist wohl die kurze Angabe
von D a n y s z , daß die an das Rattenalexin angepaßten Bazillen dadureh
keine Steigerung ihrer Virulenz (für die Ratte ?) erfahren hätten. Später
hat P r e i s z *) bestätigt, daß die Kapselsubst-anz virulenter Milzbrand-
bazillen das Serumalexin zu neutralisieren vermag. Er stellt sie sich aus alten
Pferdeserumkulturen durch Lösung in Alkalien, Filtration und Essigsäure-
f ällimg dar. In meinem Laboratorium haben Bürgers imd H ö s c li
zwar durch längeres Ausziehen kapselbildender virulenter Bazillen diese
nicht ihrer Kapseln und ihres Widerstands gegen die Phagozyten (s. o.
S. 1038) berauben können, aber festgestellt, daß siedasAlexinstär-
ker binden, als nicht mit Kapseln versehene viru-
lente.
Im Anschluß an seine Arbeit über Anpassung der Typhusbazillen
an Blutserum hat auch E. C o h n ') versucht, ob die gesteigerte Wider-
standsfähigkeit durch antibakterizide Absonderungen zu erklären sei.
Es gelang ihnn zwar, wie kurz vorher W r i g h t und Douglas'), zu
zeigen, daß ein Filtrat junger Typhuskulturen (in erhitztem Ham-
melserum) in gewissem Grade das Wachstum in al ex inhaltigem Seruin
verbesserte, aber die angepaßten Bazillen zeigten dabei keinen V^orteil \ot
den gewöhnlichen. Leider fehlen Absättigungsversuche mit den beiden
Arten von Bazillen.
In der Folge kam B a i 1 , als ihm zuerst die aggressiven Eigen-
schaften der Exsudate auffielen, auch auf die alexinneutralisierendt n
Eigenschaften der Bakterien zurück und konnte in der Tat solche,
wie übrigens schon früher V a n d e v e 1 d e (s. o.), in Staphylokokken-
exsudaten, in Milzbrandexsudaten nachweisen^), später wollten aber
1) Annal. Pasteur 1900.
2) Zentr. Bakt. 44. 209.
3) Zeitschr. f. Hyg. 45. 88, 1903.
4) Joiurn. of hyg. 1902.
5) Zentr. Bakt. 36. 405, 1904.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1045
B a i 1 und Weil davon nichts mehr wissen, obwohl sie in einigen
Reagensglasversuchen mit wässerigen Extrakten von Tjrphus- und
Cholerabazillen^) deutliche antibakterizide Wirkungen sahen. Bür-
gers und H ö 8 c h (a. a. 0.) zeigten aber, daß alle Aggressine
vonDysenteriebazillenyObsieindieseroderjener
Weise hergestellt waren, aus Tieren oder aus
Kulturen stammten, die Alexine unwirksam
machten, die Eochsalzaggressine freilich, entsprechend ihrer kräf-
tigeren Leistung im Tierkörper, weitaus am besten. Gelang es doch in
einem Versuch mit V250 Tropfen dieser Aggressine, die bakterizide
Wirkung von 1 ccm Meerschweinchenserum auf Buhrbazillen völlig zu
beseitigen. Diese Wirkimg ist auch eine spezifische, denn nach späteren,
nicht veröffentlichten Versuchen von Bürgers sättigte Ruhr-
aggressin am stärksten die Alexine für Ruhrbazillen, aber auch
noch sehr kräftig die für Typhusbazillen ab, während das Typhus-
aggressin zwar auch noch in kleinsten Mengen die eigenen Alexine
neutralisierte, aber nur in größeren Mengen die für Ruhrbazillen. Ähn-
liches fand J e ß n e r (S. 1026) beim Vergleich der Cholera- mit den
Ruhr- und Typhusaggressinen. Wir beobachteten also im
Reagensglasversuch mitAlexin diegleiche, frei-
lich in gewissem Sinne begrenzte Spezifizität
derAggressinwirkungwieimTierversuch (s.o. S. 1027).
Entsprechend ihrer weit größeren Wirkimg im Tierkörper besaßen
auch die Aggressine aus virulenten Ruhr- und Cholerabazillen in
unseren Versuchen ein besseres Neutralisierungsvermögen für Alexine
im Reagensglas, als die Extrakte der gleichen, wenig virulenten Bak-
terien. Doch scheint das Verhältnis nicht immer zu bestehen.
So fanden Bürgers und H ö s c h beim Vergleich von Typhus-
bazillen aus Kulturen und solchen, die aus dem Tierkörper entnommen
\ind daher virulenter waren, die Leiber der tierischen Bazillen vuid ihre
Kochi^zaggr essine etwas weniger wirksam im bakteriziden Versuch, als
die der „Kulturbazillen". Das gleiche Verhältnis ergab sich aber auch bei
der Prüfung der Aggressivität der Extrakte im Tier. Also auch hier
besteht ein vollständiger Parallelismus zwischen
den Aggressinwirkungen im Tier und im bakteri-
ziden Keagensglasversuch (S. 1026). Wir werden später ver-
suchen, uns den zunächst noch vorhandenen Widerspruch mit unserer
Aggressintheorie zurechtzulegen (§ 328).
§ 324. Antilytische Wirkung der Angriffsstoffe. Es fragt
sich jetzt, wie wir uns die eben behandelte Wirkung der Aggressine
auf die Älexine, deren zusammengesetzten Bau wir seit den Forschun«
1) Zentr. Bakt. 40. 376; 42. 246 und 355.
1046 Kap. XVII. § 324.
gen Bordets, Ehrlichs imd Morgenroths u. a. kennen
(vgl. Immunitätslehre), vorzustellen haben. Binden sie sich an das
Komplement oder an die Ambozeptoren oder an beide? Wahrschein-
lich findet im Normalserum beides statt (vgl. § 325), die spezifische
\md schon in kleineren Mengen ausgesprochene Wirkung der Angriffs-
stoffe im Normalserum spricht aber dafür, daß in erster Linie auch hier
die Ambozeptoren gebunden werden. Dies stimmt mit der sicher
festgestellten Tatsache zusammen, daß die Aggressine starke
Verwandtschaft zu den lytischen Ambozeptoren
der Immunseren besitzen, denn durch letztere
kann ihre Leistung im Tierkörper und Reagens-
glas aufgehoben werden.
P a n e und L o 1 1 i , sowie Bürgers und H ö s c h haben z. B.
gefunden, daß Ruhrserum, dessen Schutzwirkung etwa bei 1 mg beginnt,
nach einstündiger Berührung mit sehr großen Mengen Aggressins (Extrakt
einer ganzen Agarkultur) in einer Gabe von 100 mg noch Meerschweinchen
vor der Infektion schützt, nicht dagegen in einer Gabe von 10 mg. 3iaii
könnte zunächst zweifehl, welche der verschiedenen Beetandteile des Immim-
serums sich mit den Aggreesinen verbände, wenn nicht Bürgers und
H ö s c h durch Keagensglasversuohe nachgewiesen hätten, daß genau
entsprechend dem Tierversuch aus diesem Gemisch von Aggressin und
100 mg Immunserum sich noch bakterizide Ambozeptoren durch lebende
Bazillen herausnehmen lassen, nicht mehr aus dem Gemisch von Aggressin
und 10 mg Immunserum. Nebenbei bemerkt sei schon hier, daß auch die
Agglutinine und Reagine des Immunserums — auf Präzipitin und Tropin
wurde hier nicht geprüft — in genau dem gleichen Verhältnis von den
Aggressinen gebunden werden, weil es ein Zeugnis dafür ist, daß im Rul^r-
aggressin nicht bloß lysin-, sondern auch agglutinin- und reaginbindende
Stoffe (s. u. § 337 u. 343), und zwar in gleichem Verhältnis vorhanden
sind. Im übrigen konunen wohl zur Erklärung der Tierversuche nur die
ersteren — neben den wahrscheinlich noch vorhandenen tropin(opsonin)bin-
denden (s. o. S. 1036) in Betracht. Von gewissem Interesse ist ee, daß auch
Citren, Dörr (S. 1024) und Bruschettini *) durch den hämoly-
tischen Versuch nach Bordet- Gengou die Anwesenheit von reagin-
bindenden Stoffen, ferner Dörr, Bail und Weil die von präzipitin-
bindenden Stoffen in tierischen und kultm^ellen Aggressinen dargelegt
haben. Schon vor ims hatte Bail versucht, die Wirkung tierischer (Cho-
lera- und Typhus-) Aggressine im Tierkörper durch Immunsenim bzw.
umgekehrt die des Inununserums durch Aggressin atifzuheben, aber keine
klaren Ergebnisse erhalten, offenbar wegen der schwachen Wirkäamkeit
ihrer tierischen Aggressine (vgl. Bürgers und Hösch); Bail und
Weil *) gelang der Versuch dann zwar nüt künstlichen Choleraaggres-
sinen, aber Bail und Kikuchi'), Weil und A x a m i t *) , sowie
1) Zentr. Bakt. 44. 441, 1907.
2) Zentr. Bakt. 40. 376, 1906.
3) Arch. f. Hyg. 53.
4) Berl. khn. Woch. 1906. 53.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1047
Toyosumi*) glaubten durch Reagensglas- und Tierversuche fest-
stellen zu können, daß der ly tische Immunkörper dabei nicht von den
Aggressinen gebimden u'ürde, sondern die anti bakterizide Wirkung des
Aggressins auf irgendeine andere Weise, vor allem durch Komplement-
bindung mittelst der Immunpräzipitine (oder Reagine) erklärt werden
müßte. ICbenso wollte Weil ■) die hemmende Wirkung der künstlichen
Chol eraaggr essine auf die Agglutination nicht auf Bindimg, sondern auf
Zerstörung (Inaktivierung) der Agglutinine zurückführen. Nach den oben
berichteten Versuchen von Bürgers und H ö s c h liegt aber dazu kein
(Jrund vor, die Befunde B a i 1 s und seiner Mitarbeiter könnten durch die
mangelhafte Berücksichtigung der quantitativen und zeitlichen Bindungs-
verhältnisse bedingt sein oder sich dadurch erklären, daß die benutzten
Choleraextrakte geringe aggressive Wirkung hatten.
Mit diesen Erfahrungen über die Bindungsfähigkeit gelöster Ag-
gressine für bakteriolytische Ambozeptoren stimmen die mit Bak-
terienleibem schon früher gemachten vollständig überein, ja Pfeif-
fer und Friedberger^) haben durch ihre Studien über die un-
gleiche Bindung durch virulente und abgeschwächte Bakterien wich-
tige Stützen für unsere Aggressinlehre erbracht. Es zeigte sich näm-
lich, daß die virulenten Cholerabazillen viel mehr
Ambozeptoren banden als abgeschwächte.
So entzog z. B. ein sehr virulenter Stamm, der in Gaben von Yiq Öse
noch sicher tötete, einer Seriunverdünnung mit dem Gehalt von 110 Im-
munitätseinheiten, fast die Gesamtmenge derselben, ein anderer, fast
avirulenter Stamm nur etwa die Hälfte. Pfeiffer und Friedberger
sehließen daraus, daß die virulenten Bakterien sich von den abgeschwächten
entweder durch den größeren Reichtum an Rezeptoren (Hypertrophie
der Bakterienrezeptoren) oder durch größere Verwandtschaft derselben zu
den Inununkörpem unterscheiden. Nebenbei bemerkt wohnte den viru-
lenten Bakterien auch eine größere Immunisierungsfähigkeit und ein
kräftigeres Bindevermögen für Agglutinin, aber eine geringere Agglutinier-
barkeit inne. In einer späteren Arbeit hat Pfeiffer*) sich über die
Bedeutung dieser Ergebnisse näher ausgeletssen und setzte sie u. a. in
Gegensatz zu meiner Aggressintheorie. Ein Grund dafür ist nicht einzu-
sehen. Sehr wahrscheinlich hätten Pfeiffer und Friedberger,
wenn sie versucht hätten, ihre ,, Rezeptoren" (seßhaften Aggressine) in
Lösung zu bringen, ähnliche Ergebnisse gehabt, wie wir mit unseren Ex-
traktaggr essinen .
Eine ganze Reihe ähnlicher Beobachtungen liegen vor über das
Bindungsvermögen der Bakterien ungleicher Virulenz im Immun-
serum. Während aber Pfeiffer und Friedberger die Ver-
mutung ausgesprochen hatten, Typhus- und Pestbazillen verhielten
1) Zentr. Bakt. 48. 325, 1908.
2) Arch. Hyg. 53.
3) Ber). klin. Woch. 1902. 25.
4) Festschr. f. Koch, 1903 S. 38.
1048 Kap. XVII, § 324 u. 325.
sich ähnlich wie Cholerabazillen, konnten Wassermann und
Strengt) sowie Petterson*) nur die Ergebnisse für letirtere
bestätigen, nicht für Typhus. Hier war vielmehr die Bindekraft (und
Immimisienmgsfähigkeit) unabhängig von der Virulenz. Dasselbe
stellten später Meinecke, Jaffe und Flemming^) aber auch
an einer größeren Reihe von Gholerakulturen und Friedberger
selbst in Verbindung mit M o r e s c h i *) bei ihren Studien mit dem
„serumfesten" Typhusstamm „Sprung" fest, und zwar sowohl für Ambo-
zeptoren als Agglutinine. Für die letzteren scheint sogar nach den Er-
fahrungen von P. Th. Müller^), Eisenberg •), Hirsch-
berg'), Bail und Rubritius®) an Pyocyaneus- und Typhus-
bazillen die Regel zu gelten, daß sie von virulenten Bakterien fast
gar nicht gebunden werden. Die schon lange bekannte mangelhafte
Beeinflussung „tierischer" Bazillen durch bakterizides und aggluti-
nierendes Serum wäre also nicht auf eine Hypersekretion und Hyper-
trophie, sondern eher auf eine Atrophie bindender Substanz zurück-
zuführen. Indessen studierte Händel*) neuerdings eine avirulente
Cholerakultur „Ostpreußen", die zwar Agglutinine ebenso stark band
und ebenso stark von ihnen beeinflußt wurde, wie eine virulente, aber
sich gegenüber den Lysinen wieder ähnlich verhielt wie die von Pfeif-
fer und Friedberger untersuchte Kultur, d. h. ein viel schwächeres
Bindungsvermögen für sie hatte. Man bekommt sonach den Eindruck,
daß eine regelmäßige Beziehung zwischen Viru-
lenz und Bindungsvermögen für Immunkörperim
Reagensglas nicht bestehe. Leider fehlt in allen diesen
Fällen die Prüfung der Extrakte auf Bindimgsfähigkeit imd vor allem
der Tierversuch mit den gelösten und seßhaften Aggressinen. Es ist
also durchaus nicht ausgeschlossen, daß auch hier die Bindefähigkeit
für schutzkräftige Immunkörper im Reagensglas den aggressiven
Leistungen im Tier entsprach. Gerade das ist aber der Punkt, der uns
zunächst interessiert (vgl. im übrigen § 328).
1) Ebenda 1903 S. 534 und 537.
2) Zentr. Bakt. 38.
3) Zeitschr. f. Hyg. 62. 452.
4) Berl. klin. Woch. 1905. 45.
5) Zentr. Bakt. 38. 1.
6) Zeitschr. f. Hyg. 52. 452.
7) Arch. f. Hyg. 56.
8) Zentr. Bakt. 43. 643, 1907.
9) Arb. K. Gesundheitsamt 30. 363, 1909. Tropine konnten nicht
geprüft werden, weil die Kultur schon der freiwilligen Phagozytose verfiel,
das Bindungsvermögen dafür war aber gleich dem der virulenten Kultur.
Immunisierungsvennögen fehlte fast völlig. Das Bindungsvermögen für
Reagine war wieder viel schwächer.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1049
§ 325. Antikomplementäre Wirkungen der Angriffsstoffe.
Natürlich fragt es sich, ob wir in dem Bindungsvermögen der Aggres-
sine für Ambozeptoren eine genügende Erklärung für die neutrali-
sierenden Eigenschaften im bakteriziden Versuch mit normalem Alexin
gefunden haben. Nach den Vorstellungen der Ehrlich sehen Schule
über die Zusammensetzung und Wirkung der Alexine besteht auf
den ersten Blick die Möglichkeit, die spezifischen und die nichtspezi-
fischen Wirkimgen der Aggressine gegenüber den Alexinen (s. o. S. 1041)
zu deuten, indem wir annehmen, daß die Aggressine wie die Bakterien,
von denen sie stammen, sich nur mit den mehr oder weniger spezi-
fischen normalen Ambozeptoren verbinden, und diese dann
ihrerseits dem Serum komplementäre Bestandteile entziehen, die
unter Umständen — namentlich bei Benutzimg großer Aggressin-
mengen — auch auf andere nicht absorbierte Ambozeptoren passen
und dadiurch die Bakterizidie des Serums für fremde Bakterien teilweise
oder ganz unmöglich machen. Aber auch, wenn man mit B o r d e t
u. a. den Ambozeptor nur als einen Stoff betrachtet, der die unmittel-
bare Bindung des Komplements an das Bakterium
vorbereitet bzw. die Aufnahmefähigkeit des letzteren für das
Komplement ermöglicht oder verbessert, gewinnt man ein Ver-
ständnis für die Tatsachen: große Mengen der Bakterien oder der
die bindenden Bakterienkräfte enthaltenden Aggressine entnehmen
dem Serum viel oder alles Komplement, so daß es seine Bak-
terizidie vollständig verliert, kleine Mengen nur die (unter
dem Einfluß der Ambozeptoren) mit größerer Verwandtschaft
für die Bakterien ausgestatteten „spezifischen" Anteile des Kom-
plements.
Der Gegensatz der beiden Theorien, über die eine endgültige Ent-
scheidung vorläufig kaum möglich ist, wird übrigens dadurch gemildert,
daß auch die Ehrlich sehe Schule^) eine unmittelbare Bindung des
Komplements nicht nur an Zellen verschiedener Art und kolloidale Stoffe
wie Aleuronat, Kasein (v. Dungern, Wilde (S. 1043), Glykogen, Inulin,
Pepton (W endelstadt*)), Kohle, Seidenfäden (v. Lingelshei m*))
Pappe, Erde, Stroh, Brot, Urin, Serum (U h 1 e n h u t h *)) , chemische
Niederschläge wie Mastix u. a. (S e 1 i g m a n n *)) , Lipoide (L a n d -
Steiner*)), sondern auch an den Bakterienkörper bzw. bakterielle
1) Ehrlich und Sachs, Berl. klin. Woch. 1902, 14/15.
2) Zentr. Bakt. 34, 1903.
3) Zeitechr. f. Hyg. 42, 309, 1903.
4) Deutsch, med. Woch. 1906. 31 und 51.
5) Berl. klin. Woch. 1907. 32.
6) Zentr. Bakt. Refier. 38. Beilage S. 25, vgl. Landsteiner
und Stankovic, Zentr. Bakt. 42.
1050 Kap. XVTT. § 325 u. 326.
Körperbestandteile ^) zuläßt. Freilich soll nach Ehrlich diese nicht
spezifische Bindung keine chemische, wie die mit Hilfe der Ambozeptoren,
sondern nur eine physikalische, eine „Absorption", sein. Besser ist es wohl,
wir gestehen luisere Unkenntnis der Bindungsweise ein. Jedenfalls zeigen
die Untersuchungen v. Lingels heims, daß ähnliche Kolloide, wie
Baumwolle, Hanf und namentlich Flachs und Pflanzenschleim (Carragheeii-
moos), nicht bloß Komplemente, sondern auch Ambozeptoren. normaler
Sera ,, binden", luid zwar so fest, daß sie auch nach Lösung daraus niclit
wieder gewonnen werden können. Wo bleibt hier die Grenze zwischen
Absorption und chemischer Bindung, wo der Unterschied im Verhalten
zwischen Komplement und Ambozeptor ziun Bakterium ?
Die Untersuchungen der letzten Jalure, die sich an die Einführung
des Bordet- Gengou sehen Komplementablenkungsverfahrens an-
schlössen, haben die Dinge nur noch verwickelter gemacht. Es hat sich
zunäclist gezeigt, daß Bakterienleiber wie -extrakte, d. h. aucli unwert-
aggressiven Flüssigkeiten, für sich allein Komplement zwar zu binden
vermögen, daß sie aber in Gaben, die mehr oder weniger erheblich kleiner
sind, diese Bindiuig vollziehen, wenn sie zusammengebracht werden mit
ambozep torartigen Bestandteilen (aus Immunsenun, aber auch aus manchem
NormaJserum). Zunächst glaubte man es im Serum mit bakterio-
lyti sehen Ambozeptoren zu ttui zu haben, dann, als man älm-
liche Eigenschaften bei anderen Zellextrakten und beliebigen eiweißhaltigen
Körperflüssigkeiten entdeckte, schrieb man den Niederschlägen,
die durch die Präzipitine des Serums in den Bakterien- und anderen Eiweiß-
stoffen erzeugt wurden, die bindende Fähigkeit zu, und schließlich naluu
man besondere Eiweißambozeptoren (Bordet-Gengou-
sche Ambozeptoren, Reagine) in den komplementbindenden oder besser
die Komplementbindung verstärkenden Seren an. Wir kommen auf die
dabei wirksamen Bestandteile der Mikrobien bei den Reaginogenen zurück
( § 343), betonen aber schon hier wieder die komplementbindende Fähigkeil
der nicht mit diesen Seren beladenen Bakterien und
Bakterienextrakte.
Allerdings sind diese letzteren luid die oben erwähnten Komplement-
bindiuigsversuche feist sämtlich mit hämolytischen Komple-
menten,die in vielen Fällen sicher von den b ak t er io-
lytischen verschieden sind, angestellt worden.
Immerhin muß an alle diese Möghchkeiten der Komplementbindung ge-
1) Über Komplementablenkung durch lebende und tote Bakterien-
leiber imd wäsderige oder seröse Bakterienextrakte s. namentlich bei A x a -
mit, Zentr. Bakt. 42. Über die ungleiche Wirksamkeit je nach der Her-
stellung vgl. auch Leuchs und Schöne § 343; ebenda Crendi-
r o p o u 1 o über die Möglichkeit, den Cholerabazillen die komplement-
bindenden Stoffe durch Immimserum zu entziehen. Diese letzteren Ver-
suche erinnern an die älteren von Pfeiffer und Friedberger,
die „antagonistische" Normalsera betreffen. Nach der Auffassung von Ax « -
mit, Bürgers luid H ö s c h sind die wirksamen Bestandteile auch hier
Bakterienstoffe, nicht vorgebildete Serumstoffe. Über Äther- und Alkohol-
extrakte vgl. Landsteiner und Stankovic, Zentr. Bakt. 42.
Landsteiner und Raubitschek, ebenda 45 und 46; L e v a -
d i t i und Mutermilch, Soc. biol. 24. X. 1908.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1051
dacht werden, wenn man die Wirkung der Aggr essine auf die Alexine zu
erklären hat.
Sehen wir uns die quantitativen Verhältnisse genauer an, so erkennen
wir aus eigenen Versuchen, daß die Bindung des hämolytischen Komple-
ments in dem Bordet-Gengou sehen Versuch erst durch recht
große Gaben tmseres Dysenterie-KochscJzaggressins allein und nur durch
wenig kleinere der Serumaggressine eintritt, die Wirkung auf das Kom-
plement also verhältnismäßig viel geringer ist als die auf das spezifische
Alexin und mehr derjenigen auf das nicht spezifische älmelt. Auch A x a -
mit (s. o.) hatte mit Cholera Vibrionen, Staphylokokken- und Blastomy-
zetenextrakten keine besseren Ergebnisse. Um Sicherheit zu gewinnen,
müßten aber ähnUche Bindungsversuche mit isoliertem bakteriolytischem
Komplement^) gemacht werden. Allerdings darf man dabei das Aggressin
nicht in gelöster Form verwenden, weil es aus der Mischung nicht entfernt
werden kann und nachträglich auch auf den Ambozeptor des bakterio-
Ij'tischen Systems wirken könnte. Auf meine Veranlassung hat Bür-
gers *) neuerdings Ruhrbazillen, die zur Darstellung der Kochsalzaggres-
ßine benutzt worden waren, im gewaschenen Zustand und als bakterioly-
tisches System die Vereinigung von lebenden Ruhrbazillen, Ruhrimmun-
serum und Meerschweinchenkomplement benutzt. Es zeigte sich dabei
daß die Bazillenleiber zwar das bakteriolytische Komplement auch, aber
erst in weit stärkerer Konzentration neutrahsierten bzw. banden, als das
Alexin, d. h. das mit Ambozeptor vereinigte Komplement im bsikteriziden
Versuch. Er bedarf noch weiterer Versuche, um die Frage, namentlich auch
für die nicht spezifische Wirkung der Aggressine, endgültig zu entscheiden.
Vorläufig würde man aber folgern dürfen, daß das Aggressin
weniger durch Komplement- als durch Ambozep-
torenbindung das auf das betreffende Bakterium
eingestellte Alexin unschädlich macht, während
die Wirkung des Aggressins auf das nichtspezi-
fische— auf fremde Bakterien passende — Alexin
wohl mindestens zum Teil auf alleiniger Kom-
plementbindung beruht.
§ 326. Schluß. Dies Ergebnis scheint allerdings zunäclist in
Widerspruch zu stehen mit unserer früheren Feststellung, nach der
die antiopsonischen Eigenschaften der Aggressine die negative Phago-
taxis, das Ausbleiben der Phagozytose, verursachen sollte. Fällt doch
nach einer weitverbreiteten Annahme das Opsonin mit dem Kom-
plement zusammen^). Der Widerspruch ist aber wohl nur scheinbar:
die Hemmung der Phagozytose erfordert nämlich, soviel wir haben
feststellen können, weit erheblichere Mengen von Aggressin, als die
Neutralisienmg der Alexine, große Mengen binden aber auch Kom-
1) d. h. durch Verdünnung von der Ambozeptor\^nrkung möglichst
befreitem Normalserum.
2) Nicht veröffentlicht.
3) Nach neueren Untersuchungen von Bürgers (Zeitschr. f. Im-
munitätsforsch. 5, 1910) ist dcts übrigens wenig wahrscheinlich geworden.
Vgl. auch Grub er (S. 1037 Anm. 3).
1052 Kap. XVII, § 326 u. 327.
plement. So erklärt sich vielleicht die auf den ersten Blick wanderbare
Tatsache, daß stark abgeschwächte Ruhr- und Cholerabazillen in
unseren Tierversuchen mit normalen Meerschweinchen nur durch
große Mengen von Aggressin, xmd wenn sie selbst in nicht zu kleiner
Zahl vorhanden waren, zum Wachstum gebracht wurden, und virulente
Bazillen in der (durch Aleuronat) entzündeten und daher mit Leuko-
zyten imd Opsoninen angereicherten Bauchhöhle dieser Tiere sich ähn-
lich verhielten. Die Absättigung der Ambozeptoren der Bauchhöhlen-
flüssigkeit gelingt leicht, daher überwuchern die gegen die Phago-
zyten widerstandsfähigeren virulenten Bazillen, wenn letztere auch in
gTßer Zahl vorhanden sind, während die staA abgeschwächten, die
sogar den Phagozyten ohne Serum zum Opfer fallen, trotz der Aus-
schaltung der Bakteiizidie den Phagozyten leichter erliegen, l^m-
gekehrt werden, wie gesagt, die nicht spezifischen Leistungen der
Aggressine hauptsächlich auf ihrer komplement- bzw. opsoninbindenden
Fähigkeit beruhen. Wir kommen darauf später, wenn wir von den
Beizstoffen sprechen, zurück (§ 331), bemerken aber hier gleich, daß
dementspiechend Wilde, Pane und L o 1 1 i auch mittelst
Aleuronat gewisse aggressive Wirkungen auf Cholera- und
Ruhrbazillen erzielten. Wie die übrigen nicht bakteriellen Angriffs-
stoffe (S. 1031) wirken, ist vorläufig dunkel.
Wir wollen übrigens nicht verschweigen, daß diese Erklärungen zu-
nächst nur für die von uns genauer studierten Dysenterie- und Cholera -
aggressine gelten. Bei Infektionen, deren Mechanismus ein anderer ist,
wo z. B. wie bei den meisten Septizämien, die Phagozytose eine ausschlag-
gebende Rolle spielt, mag die Sache anders liegen. Hier erschweren aber
drei Dinge die Erkenntnis des ursächlichen Verhaltens; erstens die verhäh-
nismäßig weit schwächere Wirkung der Aggressine, zweitens die geringen
Ausschläge, die wir entsprechend der großen Empfänglichkeit der Tiere
gegen die Infektion im Reagensglas versuch erhalten, und drittens der Um-
stand, daß gerade bei diesen Infektionen das Verhalten des Immimseninis
IUI Reagensglasversuch bisher keine ausreichende Erklärung
ihrer unzweifelhaft vorhandenen antibakteriellen
Wirk.^amkeit geliefert hat (vgl. Infektions- und Inlmunität^-
lehre). So können wir denn auch den Versuchen W o i 1 s *) mit den Aggres-
sinen der Hühnercholera keine maßgebende Bedeutung zuschreiben. Er
arbeitete an Meerschweinchen, die von der Bauchhöhle aus für Spuren
von Bazillen, von der Subkutis aus noch für Bruchteile eines Milligramms
Bouillonkultur empfänglich waren. Hier mußten also die Wachstumswider-
stände, die dem Erreger im Tier begegnen, außerordentlich gering sein.
In der Tat ergaben Reagensglasversuche mit Serum, Leukozytenextrakten,
Unterhautlymphe mit oder ohne Leukozyten usw. nicht die geringste
Bakterizidie. Es ist daher nicht wunderbar, daß das natürliche Aggressin,
1) Arch. f. Hyg. 65, 1908; vgl. 61. 309, Zentr. Bakt. 44. 167. S. auch
Zeh, Wirkungsweise d. Milzbrandserums usw. Berner Diasert., Bonn 1909.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1053
das die tödliche Gabe von der Subkuiis aus auf etwa den 10. Teil herab-
setzte, keine nachweisbaren antibakteriziden Wirkungen im Reagensglas,
bzw. keine komplement bindenden Eigenschaften im (hämolytischen) Versuch
entfaltete. Erst wenn es gelänge, die offenbar dennoch im Tier vorhan-
denen Ab Wehrkräfte im Reagensglasversuch zum Vorschein zu bringen,
könnte man mit Erfolg an ein Studium der Angriffskräfte gehen. So muß
man entweder auf eine Erklärung verzichten oder mit weniger empfänglichen
Tieren oder weniger virulenten Bakterien arbeiten.
§ 327. Angriffsstofte, Bakterien-Rezeptoren nnd Impf-
stoffe. Nachdem wir die Wirkungsweise der Aggressine besprochen,
wollen wir die mehrfach aufgeworfene Frage beantworten, ob die
Aggressine mit den Ehrlichschen „Rezeptoren" der Klein wesen, d. h.
den bindenden Seitenketten ihres Protoplasmas, die einerseits die
bakteriziden und bakteriotropen Schutzstoffe des normalen und
immunisierten Tierkörpers, die Antikörper, auf den Bakterienleibem
verankern und dadurch dieselben zur Bakteriolyse und Phagoz3d)ose
vorbereiten, andererseits im Tierkörper diese Schutzstoffe neutrali-
sieren und schließlich die Bildung derselben veranlassen, d. h. immuni-
sieren sollen, zu tun haben.
Pfeiffer und F r i e d b e r g e r (s. o. S. 1047) haben zuerst aus-
drücklich den Zusammenhang der Rezeptoren mit der Virulenz behauptet,
nach unserer Auffassiuig für viele Fälle mit Recht. Sie haben nur darin
peirrt, daß sie die Verwandtschaft dieser Auffassung mit meiner älteren
Ajjgressintheorie (s. o. S. 1023) verkannt haben. In der Tat, sobald man
sich auf den Ehrlichschen Standpunkt (§ 279) stellt, daß dieselben
„haptophoron Gruppen" es seien, die Antitoxin neutralisieren, das Gift
in den empfänglichen Zellen verankern und als Reaktion in denselben
die Neubildung von Antitoxinen bewirken, ist die von Pfeiffer und
Fri edberger gegebene stoffliche Deutung der Virulenz imd die
Definition der Aggressine als frei gewordener oder seßhafter Rezeptoren
gegeben, denn die Alexine, Opsonine und antibakteriellen Immunkörper
stellen für die Bakterien Gifte dar, indem sie sich an ihren giftempfindlichen
— , »giftzuleitenden" — Bindegruppen verankern, die weniger
virulenten von ihnen verfallen der Alexinwirkung unter Auflösung oder
wenigstens Abtötung ihrer Substanz, die virulenten werden durch den
großen Reichtum an entsprechend gcjstalteten, aber nicht giftempfind-
lichen — „giftablenkenden" — Bindegruppon, die „Hypertrophie
der Rezeptoren** Pfeiffers vor der Vernichtung bewahrt. So wären
die virulenten Bakterien gewissermaßen diejenigen, die gegen die Schutz-
stoffe natürlich immun oder immunisiert sind und die Aggressine, ihre
Schutz- und Immunkörper. Und umgekehrt kömiten die Bakterien durch
ihre freien aggressiven Rezeptoren, ebenso wie durch ihre Immimtoxine
im Tier die Neubildung von Schutzstoffen anregen.
Wir stehen nicht an, diese Auffassung uns im wesentlichen, min-
destens für gewisse Fälle (vgl. § 328) zu eigen zumachen. Allerdings be-
darf es zur Klarstellung der Sachlage gewisser erläuternder Ausführun-
gen, um 80 mehr, da wir in einzelnen Punkten von den Auffassungen
1054 Kap. XVII, { 327.
der Ehrlich sehen Schule abweichen. Zunächst betreffen diese die
Beziehungen der Bakterienrezeptoren und Aggressine zum Ambo-
zeptor und Komplement.
Wie wir schon früher ausgeführt (S. 1040), müssen wir es noch un-
entschieden lassen, ob die Bindung des Komplements wirklich erst durch
die Ambozeptoren vermittelt wird, wie Ehrlich es anninunt, und nicht
vielmehr, wie B o r d e t meint, unmittelbar erfolgt und nur durch die
Verankerung der Ambozeptoren („sensibilisierenden Substanz*') an die
Bindegruppen der Bakterien begünstigt bzw. ermöglicht wird. Die von uns
zur Erklärung der nicht spezifischen Wirkung von Aggressinen angenom-
menen, mehr oder weniger erheblichen antikomplementäiren Leistungen
pc»sen zu letzterer Ansicht besser, ebenso das Vorkommen der antiopeonischen
Leistungen, unter der freilich zweifelhaften Voraussetzung, daß Opsonine
und Komplemente zusanunenfallen. Was die Art der Bindung zwischen
Bakterienrezeptoren und Aggressinen einerseits und tierischen Schutz-
körpem andererseits anlangt, so sind wir geneigt, abweichend von B o r d e t ,
der Ehrlich sehen Ansicht, daß es sich da um echte chemiche
Bindungen handelt, zuzustinunen. Von unserem Standpunkt axni
fehlt dann noch ein Bedürfnis, mit Ehrlich die nicht spezifische Kom-
plementbindung durch physikalische Absorption zu erklären, damit also
zweierlei Arten von Bindungen nebeneinander anzunehmen. In allen Fällen
könnten vielmehr „komplemento-" bzw. „opsoniphile*" Bindegnippen ins
Spiel kommen, deren Verwandtschaft nvar durch die Bindung der spezi-
fischen Schutzstoffe, d. h. der lytischen Ambozeptoren und Tropine, an die
lysino- und tropinophilen Seitenketten der Bakterien gesteigert würde.
Wie das möglich ist, wissen wir nicht, aber auch die Ehrlich sehe Vor-
stellung ist nur scheinbar einfacher, da wir über den Mechanismus der
Komplementwirkung ebensowenig aussagen können, wenn wir uns das Kom-
plement luunittelbar an den Ambozeptor gebimden denken. Im übrigen
werden die Annahmen der Ehrlich sehen Schule über die Vielheit der
Komplemente bzw. ihrer Bindegruppen dadurch nicht berührt, daß man
sie an besondere komplementophile Gruppen des Bakterienprotoplasmas
bzw. der Aggressine und nicht sui die Ambozeptoren selbst herantreten
läßt. Der Unterschied gegenüber der Ehr lieh sehen Auffassung ist
auch insofern nur unbedeutend, als jedenfalls die komplementophilen Gru}>-
pen im allgemeinen in engen räumlichen Beziehungen zu den lysinophilen
stehen, also etwa an einem und demselben Kerne haften werden. Nur
scheint das eben, wie die nichtspezifische Komplementbindung beweist,
keine luiunigängliche Kegel zu sein.
Die Bindimg der lytischen (und tropischen) Immunkörper erfolgt
anscheinend in anderer Weise als die der antitoxischen (§ 275 ff.).
Während die Gifte durch eine ihrer Menge proportionale
Gabe Gegengift gebunden werden, können die Bakterien eine
viel größere Menge von bakteriolytischen Ambo-
zeptoren verankern, als zu ihrer Auflösung (durch
Komplement im Reagensglas oder im Tierkörper)
ausreicht. Pfeiffer und Friedberger*) bestimmten
1) Berl. klin. Woch. 1902. 25.
Angriffs-, Reiz- iind Impfstoffe. 1055
dieses Verhältnis bei virulenten Gholerabazillen auf 20 — 545:1, je
nach der Konzentration der Ambozeptorlösung, die ihnen geboten
wurde. So entzog eine Öse Cholerabazillen einer Serumverdünnung,
die 22 Immunitätseinheiten enthielt^), nach lV28tündiger Berührung
20—21 derselben, einer anderen, die 550 Einheiten enthielt, 542 — ^545.
Ähnliche Verhältnisse werden wir bei der Bindimg der Agglutinine
und anderer Immimkörper durch die entsprechenden Seitenketten
der Bakterien antreffen (§ 337 ff.). Wir können dahingestellt sein lassen,
ob wir das dadurch erklären sollen, daß ein Rezeptor mit
einer Menge bindender Gruppen ausgestattet ist, oder ob eine
Vielheit von Rezeptoren im Bakterienkörper anzunehmen ist,
von denen jeder nur eine Bindegruppe besitzt. Nötig sind dagegen
mindestens für den von Pfeiffer und Friedberger studierten
Fall zwei Annahmen, erstens müssen diese Bindegruppen eine ungleiche
Verwandtschaft zum Immunkörper haben und zweitens ungleiche
physiologische Wirkungen vermitteln, imd zwar besitzen offenbar
die wenig zahlreichen Seitenketten, die sich schon in stark verdünntem
Immunserum mit Ambozeptoren verketten, die größere Verwandtschaft
zu ihnen und bedingen nach Zutreten des Komplements Bakteriolyse,
während die weit reichlicher vertretenen Seitenketten, die sich im
konzentrierten Immunserum mit Ambozeptoren sättigen, geringere
Verwandtschaft zu ihnen und nur unerheblichen Einfluß auf die Bak-
teriolyse haben, obwohl sie ebenfalls Komplement zu binden scheinen.
Wir können uns daher vielleicht vorstellen, daß die ersteren, für die
Komplementwirkung empfindlicheren „giftzuleitenden" (s. o.) Rezep-
toren*) an anderen gefährdeteren Stellen des Protoplasmas der Bak-
terien sitzen, als die zwar auch komplementbindenden, aber für die
Komplement Wirkung unempfindlichen („giftablenkenden" s. o.)
•^eitenketten oder Aggressine.
Möglicherweise sind die letzteren auch allein oder wenigstens leichter
trennbar von den Bakterienleibern') und erscheinen uns deshalb eher als ge-
löste Aggressine. — Augenscheinlich ist für die Erklärung der Virulenz nicht
nur der Verwandtschaftsgrad, sondern auch das Zahlenverhältnis der
1) d. h. 22 mal mehr, als zur Auflösung in der Bauchhöhle von Meer-
schweinchen nötig war.
2) Statt empfindlicher und unempfindlicher Rezeptoren könnte man
auch im Sinne der Bakterien selbst sagen schädliche und nützliche. Wir
würden von Haupt- und Nebenrezeptoren sprechen, wenn diese Ausdrücke
nicht schon vergeben wären für andere Begriffe (s. u.). Vgl. übrigens das
bei den Re€^ginogenen (komplementbindenden Antigenen) Gesagte ( § 343).
3) Haften vielleicht am Ektoplasma und nicht wie die empfind-
lichen am Endoplasma. Vgl. S. 1039 die Darstellung Centannis und
die Erörterung über die Kapseln S. 1040.
1056 Kap. XVII, § 327.
beiden Arten von Rezeptoren von Bedeutung. Leider sagen uns die biji-
herigen Versuche von Pfeiffer und Friedberger, ebenso wie
die unsrigen nur, daß die virulenten Bakterien mehr Rezeptoren im
ganzen genommen besitzen als die weniger virulenten — nichts aber über
die genannten Beziehungen zwischen beiden Gruppen von Rezeptoren. Es
wird vielleicht gelingen, durch weitere Versuche, namentlich mit Hilfe
von Bakterienextrakten, eine bessere Einsicht zu gewinnen. Wenn aiü«
den Versuchen von Pfeiffer und Friedberger auf eine höhere
Verwandtschaft der empfindlichen Rezeptoren geschlossen werden darf,
so braucht sie doch nicht so groß zu sein, daß sie unter allen Umständen
zur Wirkung gelangt, z. B. könnte bei kürzerer Berührung mit dem Imnuiii-
serum eine andere Verteilung der Ambozeptoren eintreten, indem dann
die vielen schwächeren Affinitäten der unempfindlichen Seitenketten durch
Massenwirkung den kräftigen einen Teil der Rezeptoren vorwegnehmen
Dann hätte man eine ablenkende, also aggressive Wirkung, während bei
den weniger virulenten dieselbe wegen der geringeren Menge der unempfind-
lichen Seitenketten nicht zustande käme. Erst recht würde dieser Unter-
schied sich geltend machen, wenn beide Gruppen von Rezeptoren die gleiche
Verwandtschaft zu den Ambozeptoren besäßen, wie es vielleicht gegen-
über den Ambozeptoren des Normalserums die Regel bildet. Schließh'cfi
könnte sich aber auch bei den idrulenten Bakterien der Ver^*^lndtschaft^-
grad umkehren, dann brauchten wir zur Erklärung der Virulenz keine
Hypertrophie der Rezeptoren mehr (s. u. § 328).
Was die Festigkeit der Bindung zwischen Rezeptoren und
antibakteriellen Schutzstoffen anbetrifft, so bestehen größere Unklar-
heiten als im Falle der Toxin- Antitoxin Verbindung (§ 278). Allerdings
lassen sich die einmal gebundenen Ambozeptoren (und Tropine) durch
Auswaschen und andere Trennungsmittel ebenso schwer von den
Bakterien trennen wie die Agglutinine (§ 337), das scheint aber nicht
mehr oder nicht immer der Fall zu sein, wenn das Komplement und
damit die Bakteriolyse hinzugetreten ist. Wenigstens haben Pfeif-
fer und Friedberger^) beobachtet, daß selbst kleinste Gaben
Immunserum nach Bindung an Cholerabazillen in der Bauchhöhle
des Meerschweinchens gegenüber frisch zugesetzten Cholerabazillen
ihre Schutzwirkimg fast vollständig behalten. Das stimmt freilich
nicht recht mit einer anderen Mitteilung derselben Forscher^), die besagt,
daß kleine Mengen von Cholerabazillen — wie die der Agglutinogene
imd Toxine — nur dann ihre Immunisierungsfähigkeit bei Kaninchen
verlieren, wenn sie mit großen Mengen Immunserums beladen worden
sind. Auch werden nach T o y o s u m i ^) die Ambozeptoren, die zur
Bakteriolyse der Cholerabazillen geführt haben, im Reagensglas nicht
wieder frei, denn neu zugesetzte Cholerabazillen werden trotz Vor-
1) Zentr. Bakt. 34. 77, 1903.
2) Deutflcli. med. Woch. 1902. 25.
3) Zontr. Bakt. 48. 326, 1908.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1057
handensein von Komplement nicht mehr gelöst. Bei den Ruhrbazillen
ist es nach den Beobachtungen von Bürgers und H ö s c h (S. 1046)
nicht anders: selbst gelöste Aggressine binden den Immunkörper so
fest, daß die Bindung nicht von frischen Bazillen gesprengt wird. Wir
müssen abwarten, wie sich (^ese Unstimmigkeiten aufklären werden.
Die lysinogenen und tropinogenen Seitenketten der Bakterien
sind, auch von den besprochenen Unterschieden abgesehen, nicht
einheitlich gebaut. Das Studium der Beziehungen zwischen Bakterien
desselben Stammes und Immunseren, die an verschiedenen Tier-
individuen und -arten gewonnen sind, hat gezeigt, daß ein Bakterium
unter Umständen mit einer ganzen Reihe von bindenden bzw. immimi-
sierenden Gruppen, d. h. also von Rezeptoren für lytische Ambozep-
toren und Tropine versehen sein muß. Damit stimmen auch zusammen
die Beobachtungen über die Beeinflussung von Bakterien durch Immun-
seren, die mit anderen Stämmen oder Arten hergestellt worden sind.
Wir gehen hierauf nicht näher ein, weil das so wie so geschehen muß,
wenn wir von der praktischen Anwendung der Serumtherapie zu
sprechen haben (vgl. Immunitätslehre), und verweisen im übrigen auf
die ganz ähnlichen Verhältnisse bei den Agglutinogenen (§ 336).
über den Mechanismus der Bakteriolyse \md Bakterizid ie, die die
Folge der Ambozeptor- und Komplementverkettung am Bakterienleibe
ist, können wir vorläufig wenig aussagen, die morphologischen Vorgänge
imd die Schlüsse, die sich etwa daraus ergeben könnten, haben wir schon
früher (§11) behandelt^). Wenn wir gez^^'ungen sind, einen Unterschied
anzunehmen zwischen den empfindlichen Rezeptoren und den unempfind-
lichen oder Aggressinen, so betrifft er doch im wesentlichen wohl nur den
!^ i t z im Protoplasma der Bakterien \uid die biologische Leistiuig, über-
flüssig wäre es aber wohl, auch eine wesentliche Verschiedenheit der diese
vermittelnden bindenden CJruppen, soweit Ambozeptoren (oder Tropine)
in Betracht kommen, vorauszusetzen.
Wir kommen jetzt zum Verhältnis der Schutzstoffe bindenden,
aggressiven und der immunisierenden Substanzen (lysino- und tropino-
genen Impfstoffe, Antigene). Daß beide im allgemeinen in engsten
Beziehungen zueinander stehen, wird durch die Tatsache sehr wahr-
scheinlich, daß den aggressiven Wirkungen, soweit
sie überhaupt im Tierkörper überwunden wer-
den, defensive, und zwar im wahren Sinne des
Wortes immunisierende auf dem Fuße zu folgen
pflegen (§ 333).
1) Vgl. Neuf elds Fest^stellung, daß die durch Bakteriolyse im
Heagensglas entstandenen («ranula der Cholerabazillen noch lysinogen
sind (§ 333). Über den Mechanismus der Opsonin- imd Tropinwirkung
8. o. § 322.
Kruse, Mikrobiologie. 67
1058 Kap. XVII, § 327 u. 328.
B a i 1 sah geradezu in der immunisierenden Fähigkeit der tierisdien
Aggressine eine Haupieigenschaft derselben, und Wassermann und
C i t r o n be.3tätigten das für die Kulturaggressine auch in den besonderen
von B a i 1 hervorgehobenen Fällen der septizämischen Infektionen (s. o.
S. 1027). Im übrigen war die immunisierende Wirkung von Bakterien-
filtraten — Aufschwemmungen und Auszügen — ja seit lange bekannt,
und Roger wies ausdrücklich darauf hin, daß das infektionsbegünstigende
Filtrat der Rauschbrandbazillen später Inmiunität verursache (S. 102-2).
Auch in unserer ersten Darstellung der Aggre88in-(Ly8in-)Theorie spielten
die Anti aggressine (-lysine) schon eine wichtige Rolle (S. 1023/4). Nur über
die Art, wie die Immiinkörperbildung durch die aggressiven Stoffe er-
folgte, war ich selbst mir nicht klar, imd ebenso ging es anderen. Auf der
einen Seite betrachtete man die immunisierenden Stoffe als „Reize", die
eine „Sekretion" von Immunkörpern veranlaßten, auf der anderen Seite
glaubte man, daß die ersteren sich in die letzteren verwandelten. Die
Lösung der Aufgabe erfolgte bekanntlich zuerst für die Toxine und Anti-
toxine, bei denen die Verhältnisse dewiurch noch verwickelter zu liegen
schienen, als hier die Möglichkeit, mit ungiftigen Stoffen zu immunisieren,
zunächst für die Verschiedenheit der immunisierenden Stoffe und Gifte
sprach. Ehrlich klärte durch die Aufstellung seiner Toxoide diesen
letzteren Widerspruch auf und gab in seiner Seitenkettentheorie die bisher
am besten befriedigende Lösung des Rätsels (§ 279).
Die völlige Übereinstimmung der aggressiven und lysinc^enen
bzw. tropinogenen Impfstoffe, welche die Ehrlich sehe Theorie
zunächst zu verlangen scheint, ist freihch ebensowenig nötig, als eine
solche der Aggressine und Rezeptoren. (Jerade die Verhältnisse, die
bezüglich der Impfgifte festgestellt worden sind (§ 279), machen Vor-
sicht auch in unserem Falle empfehlenswert. Ein genauer Vergleich
der immunisierenden und aggressiven Fähigkeiten fehlt allerdings
noch, aber es liegen ziemlich zahlreiche Erfahrungen vor über die
Beziehungen zwischen Virulenz, immunisierendem und
Bindungsvermögen. Pfeiffers und Friedbergers
Angaben, daß alle drei Eigenschaften miteinander parallel gingen
(S. 1047), wurden von Wassermann nur für die letzteren beiden,
von Pettersson und Händel für Virulenz und Immunisierungs-
kraf t, aber in keiner Weise von Meinecke, Jaffe und F 1 e m -
m i n g (s. o. S. 1048), Bang und Forßmann^), Friedberger
und Moreschi^) bestätigt. Meist war die immunisierende Fähig-
keit in diesen Fällen erhalten, die Bindekraft und Virulenz aber fehlten
oder waren gering; in Händeis Fall war umgekehrt die immuni-
sierende Fähigkeit (imd Virulenz) verloren, das Bindungsvermögen
aber mehr oder weniger erhalten. Uns interessieren hier zunächst nur
1) Hofmeisters Beitr. 8, 1906; Biochem. Zeitschr. 9, 1908 (Hämo-
lysinbildung durch Blutkörper).
2) Berl. klin. Woch. 1905. 45 (Bakteriolysin und Agglutinin für Typhus).
Angriffs-. Reiz- und Impfstoffe. 1059
die Beziehungen der immunisierenden Eigenschaft zu der bindenden.
Man hat sich in verschiedener Weise mit den Tatsachen abgefunden.
Während die letzteren vier Forscher durch ihre Beobachtimgen die
Ehrlich sehe Theorie von der Identität der haptophoren und im«*
munisierenden Gruppen für widerlegt halten, glauben Meinecke und
seine Mitarbeiter sowie S a c h a ^) , die Erscheinimgen durch eine un-
gleiche ,,Avidität'' der an sich gleichartigen Bindegruppen im Reagens-
glas und Tierkörper erklären zu können. Wassermann, Pet-
tersson, Händel, v. Liebermann ^) und Coca ^) kommen
auf einen ähnlichen Gedanken heraus, suchen ihn aber noch dadurch
zu verdeutlichen, daß sie annehmen, die Bindung der hapto-
phoren Gruppen an die Körperzellen hänge ab
von dem gleichzeitigen Vorhandensein eines
„Reize s'S der z. B. bei den Toxinen durch eine gewisse Aktivität
der „toxophoren*' Gruppe des gleichen Moleküls (W assermann),
bei den immunisierenden Stoffen der T3rphusbazillen durch eine von
den Bakterien gleichzeitig gelieferte hitzeempfindliche Substanz (P e t -
tersson) abgegeben werde. Umgekehrt würde das Fehlen des Bin
dungsvermögens imd der Virulenz (Aggressivität?*)) bei erhaltener
Immunisienmgsfähigkeit dafür sprechen, daß auch für die ersten
beiden Eigenschaften ein besonderes Element, das wir uns wieder von
stoffhcher Art denken könnten, nötig wäre. Wo dasselbe fehlte, würden
wir von „Aggressinoiden" sprechen dürfen.
§ 328. Theorie der Virulenz. Wir kommen jetzt zu den Be-
ziehungen der Virulenz zu den Aggressinen einerseits und dem Bindungs-
vermögen für Immunkörper bzw. Schutzstoffe andererseits". Ein
völliger Parallelismus besteht eigentlich nur bei den in unserem Labo-
ratorium untersuchten Ruhrbazillen imd bei den Cholerabazillen nach
Pfeiffer und Friedberger, wenn auch die letzteren nur die
Virulenz (der lebenden Bakterien) und das Bindungsvermögen, nicht
die Angriffsstoffe der Cholerabazillen im Tierversuch geprüft haben.
Aus den zuletzt im § 327 aufgeführten Arbeiten, die freilich ebenfalls
die Feststellung der Aggressivität vermissen lassen, folgt aber, daß
1) Hämolysine in Lubarsch-Ostertags Ergebnissen der
Pathol. 11. Jahrg. 1, 1907.
2) Biochem. Zeitschr. 11, 1908.
3) Ebenda 14, 1908.
4) In den obigen Versuchen fehlen eigentliche Bestimmungen der
Aggressivität in Aggressinversuchen, sie wären also künftig nachzuliolen.
Vielleicht handelt es sich auch hier nur imm ein Fehlen des Bindungsver-
mögens im Reagensglas, nicht im Tierkörper, wobei natürlich die Aggressi-
vität erhalten bliebe.
67*
1060 Kap. XVII, 5 328.
die Verhältnisse bei den Cholerabazillen selbst und bei anderen Bak-
terien nicht immer so liegen, wie in dem Falle von Pfeiffer und
Friedberge r. Höschs und Bürgers' früher erwähnt« Be-
obachtungen an Typhusbazillen (S. 1045) füllten schließUch auch die
eben genannte Lücke aus, indem sie zeigten, daß „tierische"'
Bazillen unter Umständen zwar höhere Virulenz, aber kein grö-
ßeres Bindungsvcrmogen und ebensowenig stärker wirkende Aggres-
sine besitzen.
Es fragt sich, ob wir unsere Aggressintheorie nicht doch allen diesen
anscheinend so widersprechenden Tataschen anpassen können. Wir
glauben wirklich, daß das möglich ist, wenn wir d e n S. 1053 auf-
gestellten Unterschied zwischen „empfind-
lichen" und „unempfindliche n", die Schutzkörper
„zuleitenden" und „ablenkenden" Seitenkettenim
Bakterium im Auge behalten und uns vorstellen,
daß nicht bloß die Anzahl der beiden Arten von
Rezeptoren, sondern auch ihr Verwandtschafts-
grad zu den S chu t z k ör pe r n absolut und relativ
verschieden sein kann. So könnte die höhere Virulenz
hervorgehen :
1. aus einer absoluten Vermehrung der ablenkenden Seiten-
ketten bei gleichbleibender Zahl von zuleitenden Seitenketten und ziem-
lich gleicher Verwandtschaft der beiden Gruppen zu den Schutzkörpem.
Die freien oder seßhaften Aggressine, die mit den ableitenden Seiten-
ketten zusammenfallen, würden dann bei den virulenten Bakterien,
weil sie reichlicher vorhanden sind, kräftiger wirken als bei den ab-
geschwächten, und die virulenten Bakterien vrürden mehr Inunun-
körper binden als die avirulenten. Es ist das der von uns bei
den Dysenteriebazillen und anscheinend von Pfeiffer und
Friedberger bei den Choleravibrionen gefundene Fall, den
Pfeiffer als Hypertrophie der Rezeptoren bezeichnet hat
imd der vielleicht besser als „Hyperplasie" (V i r c h o w) zu be-
nennen wäre.
2. Eine zweite Möglichkeit wäre die, daß zwar die absolute Zahl
und das Zahlenverhältnis der beiden Arten von Seitenketten die gleichen
blieben, aber die Verwandtschaft der ablenkenden zu
den Immunkörpern erheblich größer wäre als die der zuleitenden.
. Im Aggressin versuch würde sich das, wie im ersten Falle, durch kräftigere
Wirkung der Aggressine bemerkbar machen, aber im Bindeversuch
nur bei sorgfältiger Berücksichtigung der zeitlichen Verhältnisse.
Bisher ist auf den letzteren Punkt nicht genügend geachtet worden.
Wir besitzen vielleicht nur deshalb kein Beispiel für diesen zweiten
Angriffs-, Keiz- und Impfstoffe. 1061
Fall, der eine „HjT^^^^P^®" ^®^ Seitenketten (im V i r eh o w sehen
Sinne) darstellen würde.
3. Die höhere Virulenz würde aber auch erzielt werden, wenn nicht
die Zahl und das Zahlenverhältnis der Bezeptoren sich änderte, son-
dern nur die Zahl oder Verwandtschaft der zuleitenden absolut
genommen erheblich geringer wäre als die der ablenkenden. Im
Aggressinversuch und Bindtmgsversuch wäre dann kein deutUcher
Unterschied zwischen virulenten und abgeschwächten Bakterien fest-
zustellen. Die Auflösung der mit gleichen Mengen Immunkörper be-
ladenen Bakterien durch Komplement bzw. ihre Aufnahme durch die
Phagozyten würde aber bei den virulenten Keimen weniger leicht er-
folgen, als bei den abgeschwächten. Einen derartigen Fall scheinen
z. B. H ö 8 c h und Bürgers beim Vergleich der tierischen mit
den Kulturbazillen des Typhus vor sich gehabt zu haben.
4. Die Aggressine könnten aber sogar bei den virulenten Bakterien
weniger reichlich vertreten, die Bindekraft derselben für die Schutz-
körper bedeutend geringer sein als bei den abgeschwächten Bakterien,
wenn nur die Zahl oder Verwandtschaft der zuleitenden Rezeptoren
für die Schutzkörper noch stärker sänke als die der ablenkenden. Ehr-
lich (§ 279) hat ähnliche Vorgänge bei der antitoxischen Immunität als
„Atrophie" oder „Schwund" der Rezeptoren bezeichnet. Mindestens der
letztere Ausdruck paßt aber nicht, weil von einem völligen Schwund zu-
leitender Seitenketten niemals die Rode ist. Werden doch anscheinend
auch die virulentesten Erreger von Immunserum beeinflußt, und sind sie
doch stets nur für eine begrenzte Zahl von Tieren virulent. Wahr-
scheinlich fallen einige der in der Literatur beschriebenen, am Ende
des letzten Paragraphen erwähnten Beobachtungen in diese Gruppe.
Im übrigen ist durch die bisher bekannten Tatsachen nur die Möglich-
keit, unsei'er Lehre bewiesen, denn die für die einzelnen Erreger gültigen
Verhältnisse sind noch größtenteils unbekannt. Natürlich dürfen wir uns
nicht der Täuschung hingeben, daß unsere Theorie jemals im strengen
Sinne des Wortes bewiesen werden könnte; wir müssen zufrieden sein,
wenn sie sich mit den Tatsachen verträgt. Die Zukunft wird darüber
das letzte Wort sprechen. Sehr wohl denkbar wäre allerdings, daß diu-ch
hesondere Einrichtungen die von uns angenommenen Zu-
stände verwickelt würden, indem z. B., wenn die Darstellung von R o a e -
110 w richtig wäre (S. 1073), in den Aggr€^sinen der Pneumokokken Stoffe
vorhanden wären, welche nicht die Opsonine selbst, sondern die opso-
niphilen — opsoninzuleitenden — Rezeptoren dieser Bakterien verstopften,
oder wenn durch die leukozide (S. 1033) und negativ leuko-
takti8che(S. 1034) Wirkung der Bakterienabsonderungen sich ein melir
oder weniger wesentlicher Teil der aggressiven Leistiuigen erklärte, oder
wenn schließlich, worauf wir gleich (§ 329) zurüekkommen werden, noch ge-
^nsse virulenzsteigernde Reizstoffe namentlich in einzelnen tierischen
Organen zur Wirkung gelangten.
1062 Kap. XVII, § 328 u. 329.
Nebensächlicher für unsere Lehre ist es, ob man mit Eisenberg ')
die für die Virulenz maßgebenden Kräfte erst im empfänglichen TIm"-
körper durch „Anpassung", d. h. als eine Art „Reaktion" auf die Ein-
wirkung der tierischen Ab Wehrkräfte entstehen lassen und ihren Sitz mit
demselben Forscher wesentlich in das „Ektoplasma" verlegen will. DaÖ
die Pfiurasit^n wie alle lebenden Keime reaktionsfähig sind, ist eine sehr
wahrscheinliche Voraussetzung; daß derartige Anpassungen in vielen Fällen
wirklich vorkommen, werden wir ja gleich in § 330 bestätigt finden, und
daß sie manchmal nur kurze Zeit erfordern, lehren die Beobachtungen
über die schnelle Bildung der Kapseln und das veränderte Verhalten der
kapsei tragenden Bakterien gegenüber den Abwehrkräften, namentlich den
Freßzellen. Durch diese letztere Tatsache (vgl. § 322) wird auch die Be-
deutung der „Ektoplasmahypertrophie" in gewissem Grade wahrscheinlich
gemacht. Die Hauptsache bleibt aber für uns die nähere Bestimmung der
die Virulenz bedingenden Kräfte als Stoffe vom Charakter der Ehrlich-
schen Seitenketten und die Unterscheidungder zuleitenden
und ablenkenden Seitenketten. Eisenberg spricht sich
in dieser Beziehung nicht klar aus, ja hält die Möglichkeit offen, daß die
Kapsel nur einen mechanischen Schutz gewahre. Grerade diese
Auffassung ist aber für uns unannehmbar ( § 329). — Wir müssen vielnielir
die Ektoplasmahypertrophie, soweit wir sie überhaupt als Begleiterschei-
nimg der Virulenz anerkennen können, in anderer Weise zu erklären suchen.
In unserem Falle 1 und 2 läge es zwar auf den ersten Blick nahe, die reich-
lichere bzw. die kräftigere Ausbildung der ablenkenden Seitenketten (Ag-
gressine) mit der des Ektoplasmas in Verbindung zu bringen. Ganz al)-
gesehen davon, daß für imseren 3. und 4. Fall eine solche Darstellung
nicht passen würde, können wir uns auch deswegen nicht recht zu ihr be-
kennen, weil die neu- oder umgebildeten Rezeptoren im besten Falle ver-
mutlich nur eine so kleine Stoffmenge darstellen, daß sie allein
für sich nicht eine sichtbare Vergrößerung der Zellen bewirken werden.
Auch das etwaige Hinzutreten von Leukozidinen, Hämolysinen, Endo-
toxinen würde daran nichts ändern, da alle diese Stoffe absolut genommen
wohl ebensowenig gegenüber der Grundsubstanz des Ektoplasmas, in die
sie vielleicht eingebettet sind, ins Gewicht fallen. Wir müssen daher die
Ektoplasmahypertrophie zwar betrachten als eine Gegenwirkung der
Parasiten auf den Reiz, der von gewissen mit den Schutzstoffen wahrschein-
lich nahe verwandten Schutzstoffen der tierischen Säfte ausgeübt wird
( § 4), werden auch wohl annehmen dürfen, daß diese Stoff neubildung in
irgendeiner Weise zusammenhängt mit den Veränderungen der Seitenketten,
die für die Virulenzsteigerung charakteristisch ist, können aber vorläufig
nichts angeben über den Mechanismus, durch den das geschieht. Eben-
sowenig sind wir streng genommen imstande, diese Veränderungen der
Rezeptoren mechanisch zu erklären. Wie man leicht sieht, entsprechen
sie einigermaßen den Veränderungen, die Ehrlich im ,,Rezeptorenappft-
rat" der Tiere annimmt, um die Immunitätserscheinungen zu deuten
Ehrlich spricht dabei auch von Hypertrophie luid Atrophie der tierischen
Seitenketten und führt die erstere ziu*ück auf den E^rsatz bzw. Überersatz
von Seitenketten, die durch die Bindung an Antigene verloren gegangen
oder ausgeschaltet sind, die letztere auf irgendwie, z. B. diu-ch Erschöpf unß
1) Zentr. Bakt. 45. 638, 1907. Lit.. Vgl. u. S. 1067.
Angriffs-, Reis- und Impfstoffe. 1063
erworbene Regenerationsfähigkeit der Seitenketten. Es sind das abe^*
nur Vorstellungen, die geeignet sind, Vorgänge aus diesen wie aus
anderen Gebieten der Physiologie kurz zusammenzufassen. Eine genügende
mechanische Erklärung erhalten wir dadurch nicht (vgl. § 68).
§ 329. Fortsetzung. Andere Erklärungen der Virulenz.
Solche sind zwar mehrfach versucht worden, erscheinen uns aber bisher
lange niclit so befriedigend als die Aggressintheorie in der eben von
nns dargelegten Form. Die Gifttheorie haben wir schon im § 321 be-
sprochen^) und im wesentlichen zurückweisen müssen. Dasselbe gilt
für die „Assimilationstheorie" in der Form, wie sie namentlich B a u m -
garten in seiner pathologischen Mykologie und später gelegentlich
seiner Kämpfe gegen die Phagozyten, Alexine und andere Schutz-
stoffe*) vertreten hat, denn es fehlt erstens jede Angabe über die
Mittel, wodurch die virulenten Keime in den Stand gesetzt werden,
den lebenden Nährboden zu assimilieren, die abgeschwächten nicht;
es werden zweitens die hell am Tage liegenden Wachstums-
widerstände im lebenden Tierkörper, eben die Freßzellen und
Schutzstoffe, mit ganz unzureichenden Gründen weggeleugnet und
schließlich auch die ebenso klare Tatsache, daß fast an allen Orten
im Tierkörper, mindestens in den flüssigen Interzellularsubstanzen
und Sekreten, Nährstoffe genug für die große Mehrzahl der Klein-
wesen vorhanden sind, übersehen. Weit klarer und bis zu einem
gewissen Grade auch berechtigter sind die Vorstellungen, die
P. Ehrlich®) neuerdings entwickelt hat, um die Virulenz-
unterschiede der Geschwulstzellen, Trypanosomen, Spirochäten,
ferner der Erreger von Geflügel-, Menschen- und Kuhpocken, der
Maul- und Klauenseuche, der Hunds wut, des Trachoms usw.,
aber auch von manchen echten Bakterien unserem Verständnis
näherzurücken.
Jedes Wachstum, das der Psu^asiten sowohl wie d€tö der Wirtszellen,
sei abhängig von der Verwandtschaft (,,Avidität") der Zellen zu den Nähr-
stoffen. Diese letzteren seien im Wirtskörper zum Teil in großen Mengen
vorhanden und frei verfügbar, zum anderen Teil in nicht unmittelbar
assimilierbarer Form, sondern in irgendeiner Weise, z. B. wie das Lezithin,
an Zellbestand teile gebunden und deu*um nur für diejenigen Parasiten
verwertbar, die es vermögen, durch stärkere Verwandtschaft oder nach
Schädigung der Zellen den letzteren diese Stoffe zu entreißen. Eine letzte
Gruppe von Nährstoffen sei endlich nur in beschränkten Mengen im Tier-
1) Ebenda (S. 123) s. über Hämolysine.
2) Vgl. Lit. S. 5 Anm. 1.
3) Vgl. besonders Karben lectures vom 7. II. 1907 (Lancet 1907
tind Beiträge zur experim. Ther. u. Chemotherapie 1910, S. 67 ff.); Nobei-
vortrag vom 11. XIT. 1908 (ebenda S. 134); Münch. med. Woch. 1909. 5
(ebenda S. 222).
1064 Kap. XVII, § 329.
körper vorhanden und auch nur in kleinen Mengen (neben den anderen
Stoffen) zur Ernährung der Parasiten nötig, es seien das die .,AuxiHar-
Stoffe" oder ,^auxiliaren Wuchsstoffe", für deren Verwendbarkeit auch
wieder besondere Verwandtschaften erforderlich seien. Alle diese Ver-
wandtschaften 2U den Nährstoffen und damit die Möglichkeit der Assimi-
lation bei den Parasiten, mit anderen Worten die Virulenz, erklärt Ehr-
lich durch das Vorhandensein von „Nutrirezeptoren" imd ebenso die
mangelnde Virulenz durch das ererbte oder erworbene Fehlen, die „Atrep«ie"
der einen oder anderen Art von Nutrirezeptorien, in anderen Fällen durch
das Fehlen der Auxiliarstoffe im Wirtskörper selbst, die „atreptische
Immunität". Daneben läßt Ehrlich zwar nicht gegenüber den oben
genannten Parasiten, aber gegenüber der großen Masse der Bakterien die
bekannten Wachstiunswiderstände, d. h. Schutzstoffe und Freßzellen ins
Spiel treten, ohne sich übrigens näher darüber zu äußern, durch welche
Mittel dieselben von den virulenten Bakterien überwunden werden.
Wir sehen aber nicht ein, warum die von uns entwickelte, durch-
aus den sonstigen Ehrlich sehen Anschauungen entsprechende
Aggressintheorie, wenn überhaupt, nicht für alle Parasiten ohne Aus-
nahme Geltung verdienen soll. Daß erstens keimwidrige Kräfte, nicht
bloß eine Hemmung der Assimilation, sich auch gegenüber den von
Ehrlich aufgeführten Kleinwesen, wie z. B. Spirochäten und Try-
panosomen, mindestens im lebenden Körper selbst bemerkbar machen,
ist gar nicht zu bestreiten. Wenn gerade sie sich verhältnismäßig leicht
dem Tierkörper anzupassen vermögen und auch oft schleichende In-
fektionen erzeugen, bei denen man von einer kräftigen Vernichtung
der Parasiten nichts beobachtet, so ändert das an unserer Auffassung
ebensowenig wie die Tatsache, daß die Wachstumswiderstände nicht
überall im Beagensglas nachzuweisen sind (S. 1052). Anpassimgen des
Rezeptorenapparats (s.u. §330) und eine Art Gleichgewicht zwi-
schen keimwidrigen und aggressiven Kräften er-
klären uns die beiden ersten Tatsachen, tmd die mangelnde Über-
einstimmung zwischen Beobachtungen im Reagensglas und lebendem
Körper selbst ist ja leider ebenfalls eine bekannte Erscheinung, für
die wir nur die Unvollkommenheit unserer Untersuchungsmethoden
bzw. die Empfindlichkeit der Schutzstoffe und Schutzzellen verant-
wortlich machen können. Selbstverständlich werden auch die Wachs-
tumsenergie und die Nährstoffansprüche bei dem Leben der Parasiten
im Tierkörper eine gewisse Rolle spielen, so werden Keime, die
wie die Nitrifikationsbakterien schon durch die Anwesenheit orga-
nischer Stoffe in ihrer Entwicklung gestört werden, femer manche
andere, bestimmten saprophjrfcischen Ernährungsbedingungen ange-
paßte Pilze und Bakterien, wie die der Alkohol- und Essigsäuregäning,
schon wegen der groben chemischen Zusammen-
setzung der tierischen Gewebe, wegen des relativen
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1065
Sauerstoffmangels, der zu hohen Temperaturen
u. a. m. im Tierkörper, ganz abgesehen von dessen besonderen Wider-
standskräften, nicht gedeihen können, manche Grewebe, Säfte imd Se-
krete außerdem wegen ihrer zu festen Beschaffenheit, ihres zu geringen
Gehalts an Nährstoffen, ihrer Reaktion als Nährböden für Mikxo-
bien wenig oder gar nicht geeignet sein. Denjenigen Kleinwesen aber,
von denen wir virulente und nicht virulente Abarten kennen, und
der großen Masse der übrigen sogenannten Saprophyten, von denen
wir wissen, daß sie durch Verimpfung sehr großer Gaben zum Wachs-
tum im Tierkörper gebracht werden, dürfen wir wohl zutrauen, daß
sie sämtlich imstande sind, von den im lebenden Körper gebildeten
Nährstoffen ihr Dasein in ähnUcher Weise zu fristen, wie sie das in
toten (Geweben, Gewebsauszügen und Säften tun. Daß sie dazu besonderer
,,N\itrirezeptoren" bedürfen, ist, wie wir schon in § 68 betont haben,
eine vorläufig unbewiesene und auch überflüssige Annahme, da die
gewöhnlichen enzymatischen Kräfte, von denen ¥dr in den früheren
Abschnitten dieses Buches des langen und breiten gesprochen haben,
dazu ausreichen. Allerdings besitzen sie je nach ihrem Yirulenzgrad
mehr oder weniger Rezeptoren, benutzen sie aber nicht zur Ernährung,
selbst, sondern um sich der keimwidrigen Einflüsse im Körper zu er-
wehren. Das Gesagte trifft wohl auch zu für den Zellparasitis-
mus, wie er bei den von Ehrlich aufgeführten sogenannten Chlamy-
dozoen, den Erregem der Blattern, Hundswut usw. besteht. Aller-
dings wird dieser Parasitismus nur dadurch möglich, daß die betreffen-
den Erreger ein größeres Assimilationsvermögen besitzen als die Zellen,
die sie heimsuchen, und von denen sie sich ernähren, ohne sie vorher
zu töten oder wesentUch zu schädigen. Auch hier beruht aber wohl
die größere Energie in den enzymatischen Kräften. Der Umstand,
daß sie sich bald dieser, bald jener Tierart anpassen, spricht unseres
Erachtens nicht für die Ehrlich sehe Deutung, sondern für die Aus-
bildung spezifischer Abwehrstoffe in den Wirtszellen der einzelnen
Tierarten und ebenso spezifischer Rezeptoren oder Aggressine in den
Parasiten. Daß die Anpassungsmöglichkeit des „Rezeptorenapparats*'
auch für die extrazellularen Parasiten nachweisbar ist, werden wir
gleich sehen (§ 330).
Mehr als mit den übrigen Vorstellungen E h r 1 i c h s könnten wir
uns mit der Annahme befreunden, es seien in gewissen Fällen be-
sondere „auxiliare Nährstoffe" nötig, um das Wachstum der Parasiten
zu erklären. Wir haben an anderer Stelle (§ 53) einen ähnlichen Ge-
danken ausgedrückt, sprachen aber dort von „Reizstoffen", die die
höchst auffallende Vorliebe mancher Parasiten für die einzelnen Organe,
die man auch ,, Organvirulenz" nennen könnte, verursacht. Bestimmte
1066 Kap. XVII, § 329.
Beweise dafür liegen allerdings noch nicht vor^) und dahingestellt sein
lassen würden wir es auch, ob diese Stoffe durch Vermittelung be-
sonderer bindender Seitenketten wirkten.
Der Begriff einer „atreptischen'^ ImmunitÄt erinnert an die von
Pasteur*) und K 1 e b s •) aufgestellte sog. Erschöpf ungstheorie, eine
Erklärung der erworbenen Immunität» nach der eine Infektion sich im sel-
ben Tier nicht in derselben Weise wiederholen könne, weil sie eine für ihr Ge-
deihen nötige unersetzbare Substanz aufgezehrt habe. Beweise für ihr
Vorkommen sind niemals erbracht worden. Auch die von Ehrlich
dafür angeführte Beobachtung, daß Mäusekrebse eine Zeitlang in Ratten
zur Entwicklung konunen, dann aber von selbst verschwinden, entspricht
vollkommen der überall in der Infektionslehre gemachten Erfahrung, d&Q
Infektionen im relativ immiuien oder schwach inununisierten Tier sich
zwar entwickeln, aber bald zum Stillstand kommen und heilen. Hier wie
dort suchen wir die Ursache darin, daß die Waehstumswiderstände nicht
stets und überall im immunen Tier zur Stelle sind, sondern vielfach erst
durch sog. „Reaktionen", die Zeit gebrauchen, herangeschafft werden.
Unmittelbare Gegenbeweise gegen die Brauchbarkeit der Erschöpfungs-
theorie liegen darin, daß erstens spezifische Immunität auch ohne das Ein-
greifen lebender Keime erzielt werden kann, daß zweitens die Gewebe
,, geimpfter" Tiere, wie schon Bitter*) zeigte, einen gleich günstigen Nähr-
boden für die betreffenden Erreger abgeben können, wie die ungeimpften
Tiere, und daß endlich durch genügend große Gaben der Erreger meist
auch beim immunisierten Tier die Infektion bewirkt werden kann.
Die gelegentlichen Beobachtiuigen Gamaleias *) und Beh-
rings*), nach denen virulenten Milzbrandbazillen ein stärkeres Säure-
bildungsvermögen im Blutserum imd ein schwächeres Reduktionsvermögen
zukommen soll, als abgeschwächten, konnten von vornherein kaum als
CJrundlage für eine Erklärung der Virulenz betrachtet werden. Zum t*her-
fluß hat Sobernheim*) das genannte Verhältnis selbst für andere
Milzbrandstänmie nicht bestätigt. Femer fehlten nach Kruse und
Pansini •) und Pasquale*) regelmäßige Beziehungen zwischen
1 ) Höchstens als Analogie käme in Betracht das von Ehrlich
angezogene Beispiel des Influenzabazillus, der durchaus auf einen hämo-
gl obinh altigen Nährboden angewiesen ist. Wie hier das Hämoglobin wirkt,
ist aber außerdem durchaus nicht sicher, wohl daß es durch andere Stoffe
wie z. B. lebende Xerosebazillen (M. Neißer, D. med. W. 1903. 26)
ersetzt werden kann (vgl. andere Lit. darüber bei G h o n und P r e y ß ,
Zentr. Bakt; 32, 1902). Vielleicht ist das Hämoglobin keine not-
wendige Nahrung, sondern wirkt entweder als Keiz oder dadurch, daß fö
schädliche Beimengungen imserer gewöhnlichen Nährböden neutralisiert
(vgl. § 57).
2) Compt. rend. ac. sc. 1891.
3) Ar eh. experim. Path. 13.
4) Zeitschr. f. Hyg. 4.
5) Annal. Pasteur 1888.
6) Zeitschr. f. Hyg. 6. 132.
7) Ebenda 25. 319.
8) Ebenda 11. 317 und 323.
9) Zieglers Beitr. 12.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1067
Säurebildung, Kednktionsvennögen und Virulenz bei Pneumo- und Strepto-
kokken.
Ebensowenig brauchbar sind die Erklärungen, die mit einer größe-
ren allgemeinen Widerstandsfähigkeit der infek-
tiösenKeime gegen schädigendeEinflüsse und größe-
.en Waohstumskraft in künstlichen Nährböden rech-
nen wollten. Eher könnte man vom Gegenteil sprechen. Ausnahmen
erklären sich wohl daraus, daß in manchen Fällen die Virulenzabschwä-
chiing durch eine allgemeine Entartung der Keime erkauft worden ist*).
Die höhere Widerstandsfähigkeit ist bei den infektiösen Keimen zwar vor-
handen, aber nur gegenüber den spezifischen Abwehr-
k r ä f t e n bzw. Stoffen und hier, wie bemerkt, bedingt durch ebenso
spezifische Einrichtungen zum Angriff. Die bekannten Erfahrungen über
die Ausbildung von Kapseln im Tierkörper (s. o. S. 1062) könnten den
V^ersuch nahe legen, die Widerstandsfähigkeit statt auf komplizierte An-
griffsstoffe auf den reinmechanischen Schutz der Hülle zurück-
zuführen. Auch Eisenberg (a. a. O.) hält sich für seine „Ekto-
plasmatheorie'* der Virulenz diese Erklärung offen. Abgesehen davon,
daß die Schleimhülle an sich, wie w^ir sahen, keinen genügenden Schutz
gegen die tierischen Abwehrkräfte verleiht, müßte man den Keimen, die
eich damit umgeben, doch A^neder eine spezifische Reizbarkeit, die Kapseln
gerade am Orte der Gefahr auszubilden, zuschreiben. Das setzte dann
auch wieder bestimmte stoffliche Verschiedenheiten der virulenten und
abgeschwächten Bakterien voraus. Wir kommen um solche nicht herum.
An Steile der Kapseln hat man mehrfach andere morpho-
logische Eigenschaften der Bakterien zu der Virulenz in Be-
ziehung gebracht. Daß das für die Sporenbildung beim Milzbrand
nicht zutrifft, haben Behring und Sobernheim dargetan (s . o).
Das schließt aber nicht aus, daß abgeschwächte Stämme dieser Bakterien
außer anderen Zeichen der Entartung auch das Unvermögen, Sporen zu
bilden, aufweisen. Nachdem von M. N e i ß e r das Vorkommen m e t a -
chromatischerKörperchen oder Polkörner (Babes, Ernst,
A. Neißer, vgl. § 21 u. 22) als ein sicheres Merkmal zur Erkennung
der Diphtherieerreger hingestellt worden war, haben W o i t h e und
Marx •) den Versuch gemacht, auch bei anderen Bakterien diese Bil-
dungen als Prüfsteine der Virulenz in Anspruch zu nehmen. Weder
für die Diphtheriebazillen noch für Eiterkokken, Pyocyaneusbazillen u. a. m.
läßt sich aber ein solcher Zusammenhang anerkennen (A s c o 1 i ') ,
Krompecher*), Gauß*), Schumburg*), Ficker'), eigene
Erfahrungen des Verfiwsers). Eine Erklärung der Virulenz hätten wir
übrigens auch nicht, wenn der Zusammenhang wirklich bestände.
1) Flügge und S m i r n o w , Zeitschr. f. Hyg. 4. 214 und 245;
vgl. Kap. XVIII.
2) Zentr. Bakt. 25, 28, 29 und 31. Arch. f. Chir. 62. Deutsch, med.
Woch. 1900. 28.
3) Deutsch, med. Woch. 1901. 20.
4) Zentr. Bakt. 30. 10/11.
5) Ebenda 31. 3.
6) Ebenda 31. 14.
7) Arch. f. Hyg. 46, 1903.
1 068 Kap. XVII, § 330 u. 331.
§ 330. Veränderlichkeit der Virulenz und Angriffsstoffe.
Durch zahlreiche Erfahrungen wird bewiesen, daß die Virulenz ein
Vermögen ist, das sehr großen Schwankungen unterworfen ist. Seit-
dem 6 a ß n e r im Jahre 1807 zuerst durch die Übertragung der
Variola auf Kühe die Identität der Menschen- und Euhpocken be-
wiesen und damit die J e n n e r sehe Vaccination als Impfung mit
abgeschwächtem Virus erkannt hat, und namentlich seitdem P a s t e u r
Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts seine Ab-
schwächungs- und Verstärkungsversuche mit Milzbrand, Rotlauf.
Hühnercholera, Hundswut im Tierkörper und Reagensglas vorgenom-
men hat, ist diese Möglichkeit so oft bestätigt worden, daß kein Zweifel
daran bestehen kann. Im allgemeinen bekommt man hier wie bei
der Varietätenbildung überhaupt (Kap. XVIII) den Eindruck, daß
dabei entweder eine allmähliche oder plötzliche Anpassung an
den toten oder lebendigen Nährboden, oder neben der Virulenz%^er-
änderung eine mehr oder weniger allgemeine Entartung der
Mikrobien durch die schädigenden Einflüsse physikalischer oder che-
mischer Natur stattfindet. Die letztere bedingt verständlicherweise
regelmäßig nur den Verlust von Eigenschaften, in unserem Falle
also der Infektiosität. Ausnahmebeobachtungen wie die von C a r o u -
g e a u ^) , nach der Pestkulturen bei Temperaturen von 42 — 44®
virulenter wurden, und 0 s s i ^) , nach der die Besonnung auf Typhus-
und Cholerabazillen einen ähnlichen Einfluß ausübte, erklären sich wohl
dadurch, daß hier die virulenten Bakterien zufällig — . gewöhnlich ist
das nicht der Fall (s. o. S. 1067) —> die größere Widerstandskraft gegen-
über den betreffenden Schädlichkeiten besaßen. Im Tierkörper
kann dagegen sowohl eine Abschwächung wie eine Verstärkung der
Virulenz erzielt werden, und zwar geschieht das in der Weise, daß
die Parasiten für das Tier, in dem sie gezüchtet werden, virulenter,
für manche oder alle anderen Tierarten weniger virulent werden, ein
Zeichen, in wie hohem Grade die Virulenz eine art-
eigentümliche Eigenschaft ist und gleichzeitig ein An-
haltspunkt dafür, daß wir mit unserer Vorstellung über den Mechanis-
mus der Virulenz als einer durch den Besitz spezifischer Angriffskräfte
bedingten Eigenschaft auf dem richtigen Wege sind^). Auch im Reagens-
1) Annal. Pasteur 1902. 844.
2) Zentr. Bakt. 43. 846, 1907.
3) Über die zahlreichen eigenen und fremden Erfahrungen, die seit
Behring und Nissen bewiesen haben, daß auch im Reagensglas
die im Tierkörper virulent gewordenen Bakterien den Immunkörpern
bzw. den Phagozyten besser zu widerstehen pflegen als ahgesch wachte,
vgl. außer § 322 u. 323 die Immunitätslehre.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1069
glas beobachtet man aber öfters eine Verstärkung der Virulenz, wenn
man den Nährboden z. B. durch Beigabe von Blutserum oder anderen
Körperbestandteilen^) eine ähnliche Zusammensetzung gibt, wie sie
der lebende Tierkörper besitzt. Hier entspricht die Anpassung an die
Alexine*), antibakteriellen Immunkörper^) usw. der Anpassung an die
Abwehrkräfte des lebenden Tieres. Statt von einer „Anpassung"'
hat man, wie wir oben bemerkt haben (S. 1053), auch von einer „Immuni-
sierung"' der Infektionserreger gegen die Schutzstoffe des Körpers ge-
sprochen. In der Tat gestattet unsere Aggressintheorie, den Vorgang
ebenso aufzufassen, wie die Immunisierung der Tiere gegen die An-
grif&stoffe bzw. Antigene der Mikroben, wenn auch darin ein Unter-
schied besteht, daß die Virulenzsteigerung oft sehr viel schneller erfolgt
als die spezifische Immunisierung der Tiere. Neben der letzteren
finden wir freilich auch eine schnelle Steigerung der Widerstandsfähigkeit
durch die sogenannten nichtspezifischen Immunitätsreaktionen (Ent-
zündung, Fieber vgl. § 331). Auf der anderen Seite besteht eine un-
bestreitbare Analogie mit dem Anpassungsvermögen der Mikroorganis-
men an gewisse enzymatische Tätigkeiten (§ 353). Hier wie dort
antwortet die Zelle auf bestimmte Reize durch die einseitige
Aus- oder Neubildung solcher Stoffe, die mit der Verarbeitung der
Reize zu tun haben.
§ 331. Reiz- and Impfstoffe. Entzflndungs- und Fieber-
stoffe. In den Abschnitten, in denen wir von dem Zusammenleben
der Mikroben miteinander und mit höheren Tieren und Pflanzen
sprachen (§ 47 — 53), haben wir festgestellt, daß es Einflüsse gibt,
1) Systematische Versuche mit Züchtung in leukozytenhal-
t i g e n Nährböden felilen noch.
2) Walker. Brit. med. Joum. 18. X. 1902 (Typhusbaz.), Shaw
ebenda 9. V. ■ 1903 (Typhiw-, Cholera- xind Milzbrandbazillen), C a r a -
pelle, Zentr. Bakt. 46 (Staphylokokken, Coli-, Typhus-, Prodigiosus-
bazillen). Die Virulenzprüfung unterließen Trommsdorf (Arch.
f. Hyg. 39) und E. Cohn (Zeitschr. f. Hyg. 45); Sacharoff (Annal.
Pasteur 1897. 872) imd Danyaz (ebenda 1900. 643) wollten keine Viru-
lenzerhöhung von an Alexin gewöhnten Milzbrandbazillen gefunden haben.
Day (Journ. of inf . dis. 1905) hat zwar Prodigiosus-, Proteus-, Fluorescens-
bazillen durch Züchtung in Serum virulent machen, nicht aber ihre Wider-
standsfähigkeit gegen Alexine erhöhen können. Vielleicht hätte die Prüfung
des opsonischen Vermögens ein anderes Ergebnis geliefert.
3) M o 8 n j»" , Arch. mt^dic. exj^erim. 1892 (Pneumokokken), Wal-
ker, Shaw a. a. O. (Typhus, Cholera); Morello (Annali d'igiene
1904: Pyocyaneuß). Eine Unterscheidung zwischen der bakteriotropen
und bakterioly tischen Kraft des Serums wiu'de nicht gemaclit. In anderen
Fällen wurde nur im Reagensglas auf Widerstand gegen Bakterioly se
(Rans omund Kitashimal). med. Woch. 1897. 19; Hamburger,
Wien. klin. Woch. 1903. 4) oder Agglutinierbarkeit (s. u. § 341) geprüft.
1070 Kap. XVII, § 331.
durch welche die Mikroben sich selbst und andere Wesen schadigen
oder begünstigen. Die ersteren haben wir als „Gifte^\ die letzteren
als „R^izstoffe'^ im weitesten Sinne bezeichnet. Die Gifte haben wir
in einem besonderen Abschnitt ausführlich behandelt (Kap. XVI).
ebenso diejenige Gruppe von Reizstoffen, die das eigene Wachstum
der Mikrobien im Tierkörper begünstigt oder überhaupt ermög-
licht, die Angriffestoffe (§ 319—330). Wir wenden uns jetzt zu den-
jenigen Reizstoffen, die zwar von den Mikroben erzeugt werden, aber
nicht ihnen selbst, sondern dem angegriffenen Tierkörper zu-
gute kommen, indem sie das Wachstum darin unmöglich machen
oder wenigstens hemmen. Die Grundlage für die Erkenntnis derselben
bildet die so merkwürdige, aber durch zahllose Erfahrungen sicher-
gestellte Tatsache, daß nicht bloß lebende Infektions-
erreger, sondern auch ihre Produkte imstande
sind, den lebenden Körper, in den sie eingeführt
werden, widerstandsfähig — 'immun — zumachen
ge gen neu e An gr i f f e der se Ib en und bis zu einem
gewissen Grade auch anderer Art. Wenn diese Ver-
änderung schnell eintritt, bald vorübergeht und nicht nur die eigene
Art betrifft, nennen wir sie nichtspezifische Immuni-
tät^) oder auch wohl „Resistenz^'; sobald sie einige Zeit zu ihrer
Entwicklung gebraucht, länger dauert und arteigentümlich ist, spezi-
fische Immunität^) oder auch Immunität an sich (vgl. diese § 333).
Da die Inmiunitätserscheinungen im wesentUchen Geg^wirkungen
des Körpers auf die Einverleibung von Infektionserregern und -Stoffen
darstellen, können wir sie ausführlich erst in der Infektionslehre er-
örtern. Wegen des Zusammenhangs, in dem sie mit den Impfstoffen
stehen, interessieren sie uns aber schon hier.
Was zunächst die nichtspezifische Inamunität anlangt, so setzt
sie eich aus örtlichen und allgemeinen Reaktionen zusammen; die ört-
lichen, die man unter dem Namen der Entzündung zusammen-
zufassen pflegt, bestehen hauptsächlich in Ausscheidung seröser Flüssig-
keit und Ansammlung von Zellen, die ausgewanderte Leukozyten
(„Mikrophagen" Metschnikof f s) und größere einkernige, mindestens
zum Teil vom Gewebe selbst gelieferte Elemente („Makrophagen'*)
sind. Das flüssige Exsudat wirkt durch seinen Reichtum an Alexinen
1) Genau genommen ist noch hinzuzufügen das Beiwort „erworbene**
und „antiinfektiöse^*, um damit auszudrücken den Unterschied ge^en
die „angeborene*' bzw. „antitoxische" Immunität. Die angeborene Im-
munität interessiert uns hier nicht, weil sie nicht durch die Kleinweeen
hervorgerufen ist, die antitoxische haben wir schon bei den Immungiften
(§262 ff. § 275 ff.) besprochen.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1071
and Opsoninen, das zellige diLrch seine Freßtätigkeit (Phagozytose)
und vielleicht auch durch seine Fähigkeit, keimwidrige Stoffe (Leukine)
abzusondern, und verstärkt dadurch die im „gesunden" Gewebe zwar
nicht völlig fehlenden, aber doch wesentlich geringeren Widerstands-
kräfte erheblich. Die allgemeinen, nichtspezifischen Gegenwirkungen
werden am besten unter dem Namen des Fiebers zusammengefaßt
und bestehen in Temperaturerhöhung, Vermehrung der Leukozyten
(Hyperleukozytose), vielleicht gelegentlich auch im Wachstum des
Alexin- und Opsoningehalts im Blute, Veränderungen, die wahrschein-
lich in lebhafterer Tätigkeit der mit der Neubildung dieser Bestand-
teile betrauten Organe (Knochenmark) und Zellen (Endothehen?)
ihren Ursprung haben. Über die heilkräftige Bedeutung dieser Reak-
tionen, die schon vielen alten Ärzten bekannt war, besteht kaum ein
Zweifel mehr^), ebensowenig darüber, daß sie in doppelter Beziehung
eine nichtspezifische, ist, insofern Entzündimg und Fieber außer durch
die von uns schon früher behandelten p y o - und pyrogenen
Stoffe der Mikroben (§ 280) auch durch viele andere Sub-
stanzen, z. B. Fflanzeneiweiß, Aleuronat, Nukleinsäure, Blutserum,
Albumosen hervorgerufen werden und zweitens die dadurch erzeugten
Wachstumswiderstände im Gewebe gegenüber allen mögüchen Infek-
tionserregern mehr oder weniger zur Geltung gelangen. Auf die Dar-
stellung und die Eigenschaften der Entzündungs- und Fieberstoffe
der Mikroorganismen brauchen wir hier nicht mehr zurückzukommen,
müssen aber jetzt die Frage zu entscheiden suchen, in welcher Be-
ziehung sie zu den giftigen und aggressiven Wirkungen stehen. Tat-
sache ist nämlich, daß große Mengen der gleichen Lösungen
oder Aufschwemmungen, die in kleinen Gaben Entzündung
und Fieber erzeugen, akuten oder chronischen Tod durch E n d o -
toxinvergiftung verursachen (s. o. S. 917). Tatsache ist aber
auch, daß die ersten, die „defensiven" Leistungen dieser
St of f mischu n ge n , eine gewisse Zeit erfordern,
um sich zu entwickeln und daß in dieser Zwischen-
zeit aggressive Wirkungen bestehen. Beweise dafür
könnte man vielleicht erblicken in dem Bestehen einer sog. „negativen
Phase", d.h. einer Periode verminderter Widerstandsfähigkeit, die in der
Greschichte der Immunisierungen eine große Rolle spielt. Verständlich
wird sie uns aber ohne weiteres aus unseren eigenen Aggressinversuchen.
Zunächst werden schon unsere künstlichen oder Kulturaggressine
1) Sie richtet sich wesentlich gegen das Wachstum der Erreger, also
ihre Infektiosität, zum Teil aber auch gegen deren Giftigkeit. Vgl. nament-
lich die Versuche, lebende und tote Bakterien in der Bauchhöhle diu*ch
Entzündung unschädlich zu machen, in der Infektionslehre.
1072 Kap. XVII, § 331.
(§ 320) in ganz ähnlicher Weise gewonnen, wie die Fieber- und Ent-
zündungsstoffe. Die genaue Untersuchung der zeitlichen und örtlichen
Verhältnisse in meinem Laboratorium durch P a n e und L o 1 1 i ,
Bürgers und H ö s c h (S. 1076) ergab dann weiter folgendes: Bei
intraperitonealer Einverleibung der Eochsalzaggressine der
Ruhrbazillen war die aggressive Wirkimg in der Bauchhöhle selbst
spätestens nach 24 Stunden durch die defensive ersetzt, wenn über-
haupt das Tier die Aggressingabe überlebte. Wurden Aggreasine ins
Blut eingespritzt, so war die aggressive Wirkung in der Bauchhöhle
erheblich geringer und ging auch schneller in die defensive über. Bei
subkutaner Einfühnmg der Aggressine und intraperitonealer der
lebenden Bazillen scheint wenigstens im Meerschweinchen die aggressive
Wirkung (wieder in der Bauchhöhle) auszubleiben, oder doch sehr gering
zu sein, aber eine defensive spätestens nach 24 Stunden sich zu ent-
wickeln^). Wahrscheinlich hängt das mit der langsamen Aufnahme
der Bakterienstoffe in die Säfte zusammen. Denn das ist unzweifel-
haft: je kleiner die Aggressingabe oder je geringer
ihre Leistung, um so schneller geht der aggressive
in den defensiven Einfluß über. Die gleichzeitige Unter-
suchung der örtlichen Erscheinungen lehrt uns dabei, daß dieser Tber-
gang regelmäßig der Umwandlung der serösen in die eitrige Entzün-
dung, der allgemeinen Hypo- in die Hyperleukozytose, oder, wie man
auch gesagt hat, des Stadiums der negativen in das der positiven
Chemo- oder Leukotaxis entspricht, und daß jede aggressive Wirkung
dann ausbleibt, wenn bis zuletzt die Leukozyten im Exsudat fehlen,
was wieder mit den übrigen Erscheinungen der Endotoxinvergiftung,
dem Temperaturabfall und der allgemeinen Hypoleukozytose zu-
sanmienzufallen pflegt. Sollen wir nun Aggressine und Entzündungs-
stoffe miteinander und mit den selamdären Giften bzw. Endotoxinen
identifizieren ?
1) Auch Pfeiffer und Friedberger (Zentr. Bakt. 50, 190^)
hatten ähnliche Ergebnisse. Ihre Schlußfolgerung, die sogenannte „negative
Phase" der Autoren, die in der ersten Zeit nach Schutzimpfungen eintreten
und sich durch ÜberempfängUchkeit gegen die betreffende (und andere)
Infektionen auszeichnen soll, sei nicht nachzuweisen, scheint mir aber
doch zu weit gegangen. Derartige Beobachtungen sind in der Praxis der
Schutzimiifungen zu häufig gemacht worden, um sich so leicht erledigen
zu lassen. Ob die negative Pheise sich, wie Wright es will, in Herab-
setzung des Opsoningehalts ausdrückt, mag dahingestellt bleiben. Ebenol
wissen wir noch nicht recht, ob die negative Phase auf eine vorübergehende
Einbuße an spezifischen oder nichtspezifischen Schutzstoffen beruht. Da
wo sie mu* eine kurze Dauer hat, sollte man das letztere annehmen, wo
sie länger dauert, das erstere.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1073
Schon bei den Aggressinen (§ 321 u. 322) haben wir uns dafür ent-
schieden, daß, obwohl unsere chemischen Trennungsmethoden versagen,
der wesentliche Teil der aggressiven Leistungen von der Vergiftung und
der negativen Leukotaxis unabhängig sein muß, weil trotz Fortbestehens
der beiden letzteren Erscheinungen die Aggressivität der Jßakterienextrakte
durch Immunserum aufgehoben werden kann. Durch die Bindungsfähig-
keit der Aggressine an die Immunkörper wird das genügend erklärt. Trotz-
dem könnte unter Umständen sehr wohl die negative Leukotaxis am Orte
der Infektion und im Blut oder allgemein gesagt die seröseEntzün-
dung die Infektion begünstigen, d. h. zur Aggressivität
etwas beitragen. Dafür spricht nicht nur die theoretische Erwägung,
daß das Fehlen der Leukozyten und das komplement- und opsoninbindende
Vermögen der Aggressine die Phagozytose und Bakterizidie hemmen muß,
sondern auch die Tatsache, daß die Aggressine auch eine gewisse infektions-
begünstigende Wirkung auf fremde Keime entfalten. Daß auch dieser
nicht spezifische Teil der Aggressinwirkung bei Versuchen mit großen
Gaben Immunserum nicht zur Geltung kommt, liegt vielleicht daran,
daß die von den Aggressinen nicht neutralisierten Anteile der Bakterio-
tropine des Immunserums den Ausfall der normalen Opsonine ersetzen,
und die in der Bauchhöhle trotz der negativen Leukotaxis regelmäßig
vorhandenen Freßzellen zu energischer Wirkimg gelangen können. Eine
freilich beschränkte Bedeutung der negativen Leukotaxis für die Aggres-
si\ntät wird ferner dadurch wahrscheinlich gemacht, daß auch nicht bak-
terielle Stoffe, wie das Aleuronat, in der ersten Zeit ihrer Wirkung, d. h.
solange die Entzündung, die sie hervorrufen, eine seröse ist, also in den ersten
Stunden nach großen Gaben deutlich aggressiv sind, indem sie nach P a n e
und Lotti (S. 1052) schon dem dritten Teil der sonst infektiösen Ruhr-
bazillengabe zum Wachstum verhelfen. Auch lüer gehen Komplement-
bindung und negative Leukotaxis miteinander Hand in Hand. Andere
j^eröse Entzündimg verursachende Stoffe (Alkohol, Opiumtinktur, Krotonöl,
.Milchsäiu*e, deren infekt ionsbegünstigende Eigenschaften aus Erfahrungen
mit anderen Bakterien bekannt sind'), konnten in Versuchen von Bürgers
und H ö s c h gegenüber Ruhrbazillen nichts ausrichten, obwohl das
Exsudat sich frei von Leukozyten und wenigstens das Milchsäureexsudat
auch frei von bakterizider Wirkung (von Komplement ?) zeigte. Unsere
Vermutung, daß die seröse Entzündiuig an sich aggressiv wirke, ließ sich
also nicht völlig erweisen^). Wie zu erwarten, entfalteten
dagegen alle genannten Stoffe eine defensive Wir-
kung, sobalddieEntzündung, diesieverursachten,
aus der serösen in die eitrige überging. Obwohl die Ver-
suche mit nicht bakteriellen Stoffen nicht ganz eindeutig ausgefallen sind,
80 sind sie doch in der Beziehung bemerkenswert, als sie bezeugen, daß
auch einfache chemische Körj)er zunächst seröse, dann eitrige Entzündung
erregen.
1) Vgl. Infektionslehre.
2) Das seröse Exsudat, das durch V2000 Krotonöl hervorgerufen
worden, schien sogar trotz fehlender antiseptischer Wirkung die Infek-
tion mit Ruhrbazillen zu hemme n. Olivenöl, dessen entzündungser-
regende Wirkung sehr gering ist, tat das nicht trotz (,J 1 i m m s Behauptimg
iDeutsch. Zeitschr. f. Chir. 83, 1906).
Kruse, Mikrobiologie. G8
1074 Kap. XVII, § 331 u. 332.
Man wird daraus schließen dürfen, daß auch die bakteriellen Ent-
zündungsstoffe nicht notwendigerweise zwei verschiedene Bestandteile,
von denen der eine negativ, der andere positiv leukotaktisch wirkt,
enthalten, sondei^i daß die anscheinend entgegengesetzten Wirkungen
einerseits von der Konzentration, andererseits von der Zeit
abhängen. Wie man sich den Mechanismus dieser Erscheinungen vor-
zustellen habe, ist noch nicht klar. Aber man wird wohl ein
Recht haben, die örtliche Leukozytenzuwande-
rung bzw. Neubildung als die Gegenwirkung auf
ihre Verdrängung^) aufzufassen. Ebenso liegt
es nahe, die Veränderung des flüssigen Exsudats,
die gleichzeitig während der Entzündung statt-
findet, die Steigerung seines Ale xin- und Opsonin-
gehalts, durch eine Gegenwirkung auf den Ver-
lust dieser Stoffe im ersten Stadium der Entzün-
dung zu erklären. In der Tat haben wir genug Beweise dafür,
daß die Entzündungsstoffe der Bakterien und ebenso das Aleuronat
Komplement binden (§325u. 326). Wenn wir die wirksamen Bestandteile
im Aleuronat als einheitliche Körper ansehen, hätten wir somit auch
eine gewisse Berechtigung, die komplementbindenden und
entzündungserregenden Bakterienstoffe für iden-
tisch zuhalten. Ebenso könnten wir auch die Hyperleukozytose
im Blut und die Temperatursteigerung als Reaktion
auf die Hypoleukozytose*) und eine lähmende
Wirkung, welche die Fieberstoffe zunächst auf
das Temperaturzentrum äußern, betrachten und
die Fieberstoffe mit den Entzündungsstoffen identifizieren. Ein weiterer
Schritt auf derselben Bahn wäre es nur, wenn wir annähmen, daß es
die gleichen Stoffe seien, die in größten Gaben auch die tödlichen
Lähmungserscheinungen verursachen, die die Endotoxinvergiftung
kennzeichnen.
Unmittelbare Beweise dafür vermißsen wir freilich, wenn wir ab-
sehen von dem Neben- und Nacheinandervorkommen aller dieser Wir-
kungen nach Einverleibung der Bakterienprodukte, und von der Wider-
standsfähigkeit derselben gegenüber den bei der Darstellung benutzten
Verfahren, insbesondere der Anwendimg der Siedehita^. Die Widerstands-
fähigkeit gegen Erhitzen und die Art der Darstellung unterscheidet die
Entzündungsstoffe und Endotoxine auch nicht von den eigentlichen
Impfstoffen (s. u. § 333 ff.), die wir trotzdem von jenen und von-
einander trennen. Und die in dem Hefepreßsaft enthaltenden enzymstischen
1) Von Zerstörung kann wohl nicht gut gesprochen werden (vgl.
S. 1033).
2) Daß diese fast regelmäßig der Hyperleukozytose nach Einführung
von Bakterienstoffen vorhergeht, ist bekannt (vgl. Infektionslehre).
Angriffs-, Beiz- und Impfstoffe. 1075
Wirkungen führen wir auch nicht auf ein einziges Enzym zurück, weil
sie nebeneinander vorkonunen und der Hitze nicht standhalten. Immer-
hin liegen die Dinge doch in unserem Falle etwas anders. Wenn wir auch
den Mechanismus der Endotoxinvergiftung nur unvollkommen kennen,
iio liegt es doch sehr nahe, sie aufzufassen als hervorgebracht durch eine
Steigerung desselben Reizes, der den fieberhaften Zustand bedingt: die
bei kleinen Gaben der Fieberstoffe nur vorübergehende Lähmiuig bleibt
l)ei großen Gaben bestehen. Gleichgültig ist es dabei, ob wir die von den
Bakterien unmittelbar gelieferten Stoffe als die Reiz- bzw. Giftstoffe an-
sehen, welche die Zellen treffen oder die eigentlichen wirksamen Stoffe
erst herleiten aus einer Umwandlung, welche jene ebenso wie überhaupt
viele fremde Stoffe unter dem Einfluß des Organismus — z. B. seiner
Komplemente erfahren (vgl. Anaphylotoxin § 344).
m
Unser Schluß, daß die Entzündungs- und Fieberstoffe im Grunde
nicht verschieden sind von den komplementablenkenden, negativ
leukotaktischen (und temperaturherabsetzenden) Stoffen, die einen
TeU der Aggressine ausmachen, Beizstoffe und Aggres-
sine, also zum Teil dasselbe sind, macht uns die
Tatsache, daß Entzündung \md Fieber Gegenwirkungen gegen
die Infektion sind, verständlich: dadurch reihen sich die nicht-
spezifischen Immunitätsreaktionen den spezifischen an, die, wie wir
gesehen haben und noch weiter verfolgen werden (§ 327, § 333),
ja dem anderen Teil der Aggressine ihren Ursprung verdanken. Beide
Gruppen von Erscheinungen folgen demselben
Gesetz, das man als das biologische Gesetz des horror
vacui bezeichnen könnte, d. h. sie schaffen dort, wo diirch äußere
Eingriffe Lücken in den normalen Bau der Organismen gerissen sind,
Ersatz, imd zwar nicht nur ausreichenden, sondern überreichlichen
Ersatz. Der Unterschied zwischen den spezifischen und nichtspezi-
fischen Gegenwirkungen besteht, abgesehen von der Spezifizität selbst,
in dem schnellen Eintritt und Verlauf der letzteren Beaktion. Wo-
durch sich diese Abweichung erklärt, wissen wir nicht, sicher ist aber,
daß Entzündung und Fieber die eigentliche Immuni-
sierung sehr zweckmäßig ergänzen, indem sie in
der kritischen Zeit, bis sich die echte I m-m u n i t ä t
entwickelt, einen Schutz gegen neue Angriffe
verleihen^).
§ 332. Spezifische Entzfindungsstoffe. Schon S. 916 haben
wir gesehen, daß wir in manchen Fällen neben nichtspezifischen Ent-
zündungs- und Fieberstoffen spezifische annehmen müssen. Diese
1) Vgl. Infektions- nnd Immunitätslehre und besonders die Arbeiten
von Issaeff , Zeitschr. Hyg. 16; R. Pfeiffer und Issaeff eb. 17.
Siehe übrigens dew über die „negative Phase" Gesagte S. 1072 Anm. 1.
68*
1076 Kap. XVII, § 332 u. 333.
zeiclinen sich zum großen Teil dadurch aus, daß sie eigentümliche
Giftwirkungen anderer Art und außerdem auch spezifische (antitoxische)
Immunität und Immunkörper gegen das Gift erzeugen, während das
bei den ersteren nicht bekannt ist, vielmehr höchstens von einer Ge-
wöhnung an sie gesprochen werden kann. So verhütet das Diphtherie-
und Rauschbrandserum nicht nur den Tod durch die betreffenden
Gifte, sondern auch die örtlichen Veränderungen^). Anscheinend
unterscheiden sich diese serös-hämorrhagischen, häufig in Nekrose
auslaufenden Entzündungen dadurch, daß sie das Merkmal einer
Abwehreinrichtung nicht so deutlich an sich tragen, wie die gewöhn-
liche (eitrige) Entzündung. Im Gegenteil scheinen sie mindestens in
ihrer letzten (nekrotischen) Phase das Eindringen von Keimen in das
Gewebe, die Sekundärinfektionen, die meist sog. Selbstinfektionen sind,
zu begünstigen.
Als spezifisch werden gewöhnlich auch die tuberkulösen, rotzigen,
leprösen, aktinomykotischen Entzündungen bezeichnet, bei denen die
Exsudation in den Hintergrund tritt vor den ihr nachfolgenden Neu-
bildungsvorgängen im Gewebe selbst, die sich länger hin-
zuziehen und mit oder ohne Gewebszerfall in Vemarbung zu endigen
pflegen. Nach einer namentlich durch Metschnikoff ange-
bahnten Auffassung handelt es sich auch hier wie bei der gewöhnlichen
(eitrigen) Entzündimg um Gegenwirkungen zweckmäßiger Art, deren
abweichende Charaktere sich vielleicht aus langsamerem Wachstum und
größerer Widerstandsfähigkeit der Infektionserreger erklären (S. 985).
Die „Makrophagen" spielen bei ihnen die Hauptrolle, entsprechend
der längeren Lebensdauer dieser Zellen und ihrem den Leukozyten
fehlenden Wachstums- und Vermehrungsvermögen. EigentümHcher-
weise kommen auch bei anderen, gewöhnlich akute Entzündimgen ver-
ursachenden Infektionserregern, z. B. Milzbrandbazillen und Stephylo-
kokken, gelegentlich derartige „produktive" Entzündungen, ja tuberkel-
ähnliche Bildungen vor (vgl. Infektionslehre).
§ 333. Lysinogene und tropinogene Impfstoffe. Die zweite
Gruppe der Reizwirkungen (vgl. § 331), die eigentlichen spezifischen
Immunitätsreaktionen, wurden zwar zunächst beobachtet nach V^)er-
stehen einer freiwilligen Infektion oder nach „Impfung" mit lebenden
Infektionserregern, sei es, daß sie von selbst ( J e n n e r) oder künst-
lich (P a s t e u r) in irgendeiner Weise abgeschwächt worden waren,
1) Ähnlicher Art sind die örtlichen Veränderungen durch die S. 9'24
beschriebenen Gifte der ödem- und Emphysembazillen. Ob auch sie Anti-
toxine erzeugen, ist noch nicht festgestellt. Auch das Kanin chengift der
Ruhrbazillen erzeugt — allerdings nur vom Blut aus und im Darni —
eine serös-hämorrhagische Entzündung, ist aber wieder ein Immuntoxin.
Angriffs-, Reiz- iind Impfstoffe. 1077
und es ist auch diese Art der Immunisierung bei einer ganzen Reihe
»*on Infektionen — namentlich den durch Spirochäten, Protozoen und
Chlamydozoen verursachten — , die einzige oder wenigstens die beste
geblieben. Trotzdem war das Zustandekommen der Immunität, wenn
man es sich recht überlegte, kaum anders zu deuten, als durch Ver-
mittlung von gelösten „Impfstoffen", und es ist auch mehrfach, freilich
meist in der Form der sogenannten Ketentionshypothese (C h a u -
veau, Wernich), so gedeutet worden, besonders nachdem man
sich überzeugt hatte, daß gewöhnlich schon eine rein
örtliche Infektion hinreicht, um allgemeinen
Impfschutz zu erzielen. Die ersten unmittelbaren Beweise
für die Existenz von Impfstoffen brachten 1887 S a 1 m o n und
Smith für die Hogcholerabazillen, Boux und Chamberland für
das maligne ödem und den Rauschbrand, B e u m e r und P e i p e r
für den Typhus u. a. m. In der Folge gelang es auch bei den aller-
meisten anderen Infektionen.
Eine Ausnahme machen wie gesagt namentlich die Protozoenerkran-
kungen, doch hat in neuester Zeit N o v y *) auch mit Stoffen von Try-
I)anosomen gewisse Erfolge erzielt. Die Impfstoffe lassen sich in der ver-
schiedensten Weise darstellen. Es verlohnt sich aber nicht darauf genauer
einzugehen, weil die Methoden gewöhnlich keine anderen sind, als die bei
der Gewinnung der Gifte (§ 272) imd Angriffsstoffe (§ 320) besjjrochenen.
So enthalten die Impfstoffe denn auch regelmäßig
giftige — mindestens endotoxische — Bestand-
teile neben Angriffs-, Entzündungs- und Fieber-
Stoffen (§ 331). Schon früher (S. 1022) wurde bemerkt, daf3 auch die
von B a i 1 in den Vordergrund gerückte Immunisierung durch tierische
Aggreasine, d. h. durch Exsudate und Körpergifte infizierter Tiere schon
von Roger, geübt worden ist (vgl. K o u x und Chamberland,
Kruse und Pansini). Daß sie auch bei septizämischen Infektionen
zu ersetzen sind durch Kulturaggr essine, wurde, wie wir sahen, durch
^V asser mann, Citron und Pütz gezeigt (S. 1027).
Die Benutzung tierischer Aggressine erscheint einzig möglich für die
^^»ewinnung von immunisierenden Stoffen bei Infektionen, deren EiTeger
nicht züchtbar sind (Chlamydozoen). Indessen hat sie in der von M a c -
fadyen*), Heller und Bertarelli*) angewandten Form gegen-
über der Hunds wut nicht die gewünschten Früchte getragen.
Die zur Gewinnung von gelösten Impfstoffen aus den Bak-
terien erprobten Methoden sind meist schon erwähnt, so das Preßsaft-
verfahren von B u c h n e r imd Hahn, das Gefrierverfahren von M a c -
f a d y e n und R o w 1 a n d , die mechanische Zertrümmerung diu-ch
'Scliütteln (W a s s e r m a n n s. o., B r i e g e r und Mayer*), B a s -
1) Abdruck aus Proceed. Soc. Experim. Biol, and Medic. 4. 42, 1907.
Dialyse in KoUbdiumsäckchen gegen destilliertes Wasser.
2) Zeitschr. allgem. Physiol. 3. 302, 1904, Gefrierverfahren.
3) Zentr. Bakt. 36. 216.
4) Deutsch, med. Woch. 1904. 66 imd 309.
1078 Kap. XVII, § 333.
senge und Mayer ^), Bassenge und Krause*)), das Ausziehen
von ,,Nukleoproteiden*' durch verdünnte Lauge nach Lustig und G a -
leotti, Tavel und Schmitz, das Extrahieren mit Glyzerin nach
Folk, G. und F. Kl em per er, das Ausziehen der Bakterien bei hoher
Temperatur (N e i ß e r und S h i g a ')) , die neuerdings empfohlene Auf-
lösung derselben durch Antiformin (S. 1087), endlich die früher all-
gemein benutzte Filtration alter Kulturen. Man kann aber auch auf die
künstliche Lösung verzichten und sie dem Tierkörper selbst überlassen*),
indem man einfach die durch Chloroform, feuchte Hitze (B e u m e r und
Peiper, R. Pfeiffer, Kolle, Wright, Kruse), trockene
Hitze von 120^ (L ö f f 1 e r *)) oder durch konzentrierte Zucker-, Harnstoff-,
Glyzerinlösungen (E. Levy*), Blumenthal und M a r x n e r) ab-
getöteten Bakterienleiber zur Inm^iunisierung benutzt. Außer diesen
Methoden, die für alle Bakterien brauchbar scheinen, sind noch die Auf-
lösung von Pneinnokokken durch Galle nach Neufeld'), der Tuberkel-
und Milzbrandbazillen durch Lezithin nach M u c h ') , der Typhusbazülen
durch völlig wasserfreie Salzsäure (F. Meyer und Bergeil*), femer
die Verdauung in ihren verschiedenen Formen zu nennen. Die Selhst-
verdauung (Autolyse) bei 37° wurde namentlich von Emmerich und
Low'®), M. Hahn'') bei einzelnen BcJcterien mit Erfolg angewandt,
gibt aber bei Trypanosomen keine Resultate'*). Eine kurze Verdauung
mit Pepsin oder Trypsin schädigt nach Friedberger") die immuni-
sierende Kraft von Cholerabazillenleibern, die Pepsinverdauung die von
Typhusbazillen nach M a 1 1 h e s imd Gottstein'*) nicht erhebUcli,
was die in gewissem Grade bewiesene Möglichkeit, durch Verfüttening
von Paratyphus-, Mäusetyphus-, Coh-, Pest-, Tuberkelbazillen zu immuni-
sieren (Kutscher und Meinecke'*), Löffler'*), Schwartz'").
Fornario '•), Calmette und G u 6 r i n '•) erklärt. Ob die ge-
lösten Impfstoffe auch der längeren Verdauung widerstehen, ist unsicher.
1) Ebenda 1905. 797.
2) Ebenda 1907. 1207.
3) Ebenda 1903. 4.
4) Hierher gehört vielleicht die von Ehrlich und ühlenhuth er-
probte Immunisierung durch lebende Trypanosomen und Spirochaeten,
deren Entwicklimg man durch Trypanrot, Atoxyl oder das neue Ehrlich-
Hatasche Mittel unterbricht.
5) Deutsch, med. Woch. 1904. 913.
6) Zentr. Bakt. 33 und 42; Mediz. KUn. 1906. 16.
7) Zeitschr. Hyg. 34, 1900, vgl. § 8.
8) Medizin. Klinik 1908. 40.
9) Ebenda 1906. 16.
10) Zeitschr. f. Hyg. 31 und 36; Zentr. Bakt. 32.
11) Münch. med. Woch. 1906. 23.
12) M. Meyer, Zeitschr. experim. Pathol. 1, 1906.
13) Zentr. Bakt. 40.
14) Kongr. inn. Mediz. 1907.
15) Zeitschr. f. Hyg. 62, 1906.
16) Festschr. f. v. Leuthold 1, 1906.
17) Zentr. Bakt. Refer. 32. 641, 1903.
18) Annal. Pasteur 1908.
19) Ebenda 1906 und 1907.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1()79
Aus dem Regimen der übrigen Gewinnungsmethoden der Impfstoffe
fällt heraus die von Neufeld ^) angegebene, auf der Bakteriolj^e durch
spezifische Seren begründete: Cholerabazillen, die durch Choleraserum imd
Komplement im Reagensglas völlig in Granula aufgelöst sind, wirken
noch lysinogen, und zwar die ausgewaschenen Granula etwas besser als
die gelöste Substanz. Es wäre von theoretischem Interesse, zu wissen,
ob das Inmiunisierungsvermögen beider Bestandteile erhalten bliebe,
wenn sie nachträglich mit Immunserum übersättigt würden.
Sobald die Übersättigung vor der Bakteriolyse erfolgt, geht es ja nach
Pfeiffer und Friedberger *) verloren, woraus man bekanntlich
auf Identität der lysinogenen und lysinbindenden Gruppen geschlossen
hat (§ 327). Gleichzeitig stellte übrigens Neuf eld fest, daß die „Bak-
terienhülsen'', die nach Behandlung der Cholerabazillen mit Iprozentiger
Kalilauge zurückblieben (§ 13), nicht lysinogen sind. Die Lö-
sung der die Impfstoffe enthaltenden Teile geht also in diesem Falle viel
weiter, als bei der Serumbakteriolyse (im Reagensglas).
Mehrfach wurde auch versucht, die Impfstoffe aus ihren Lösungen
rein darzustellen. Gelungen ist das aber ebensowenig wie bei den Giften,
Allgriffsstoffen und Fermenten. Auch die oben genannten „Nukleopro-
teide" sind offenbar nur Mischungen kleinerer Mengen der wirksamen, aber
ehemisch unbekannten Substanz mit großen Mengen unwirksamer Nukleo-
proteide. Wohl kann man dagegen einiges aussagen über die Wider-
st'andsfähigkeit der Impfstoffe. Im großen und ganzen gilt da
wohl der Satz, daß sie weniger leicht zerstörbar sind als die kräftig wirken-
den Gifte, die Inununtoxine, während sie lungekehrt dewiiu-ch den meisten
Endotoxinen näher stehen. So vertragen sie meist — wie die letzteren und
^ie Angriffsstoffe — , wenn auch nicht ohne gewisse Schädigung die Siede-
iiitze und werden durch längere Anwendung derselben, namentlich
unter hohem Druck, zum größten Teil zerstört (Friedberger
und Moreschi*)) (s. u.). Wahrscheinlich gilt diese Widerstands-
fähigkeit aber nicht für alle Impfstoffe. Zum Teil möchten wir dadurch
die Tatsache erklären, daß man bisher so wenig Glück gehabt hat mit
der Gewinnung der Impfstoffe aus Protozoen, imd daß man auch bei an-
deren Infektionen, wie den durch Strepto-, Pneumokokken und den Septi-
zäoüebakterien verursachten, mittelst der chemischen Immunisierung nur
niedrige Grade von Inununität erzeugen, zum Hochtreiben der Immunität
aber die lebenden Keime nicht entbehren kann. Zum anderen Teil mag
das wohl detrauf beruhen, daß die Impfstoffe in den Leibern der Mikroben
nicht fertig aufgestapelt liegen, sondern — ^ violleicht wieder wie manche
Oifte und Aggressine — erst im Tierkörper gebildet w^erden.
Die Wirksamkeit der Impfstoffe kann auf verschiedene Weise
geprüft werden. Am sichersten, aber auch am umständlichsten ist es
natürlich, die geimpften Tiere durch abgestufte Gaben der
vollvirulenten Erreger auf die Probe zu stellen. Das ist
oft geschehen, noch öfter hat man aber die Eigenschaften des
Serums der immunisierten Tiere als Maßstab
1) Zeitschr. experim. Pathol. 6, 1909.
2) Deutsch, med. Woch. 1902. 25.
3) Zentr. Bakt. 39, 1905; vgl. Agglutinogene.
1080 Kap. XVII, § 333.
der Immunität benutzt. Das ist möglich geworden durch eine
ganze Reihe wichtiger wissenschaftlicher Fortschritte.
Erstens hatten Behring und K i t a s a t o 1890 die Antitoxine im
Bluteerum diphtherie- und tetanusimmuner Tiere entdeckt, damit die auf
Giftschutz beruhende Immrmität erklärt und die ersten sicheren Beispiele
für die Übertragbarkeit der erworbenen Imnnmität, das Bestehen einer
,, passiven'* (Ehrlich) oder ,, Serumimmunität** neben der bis dahin fast
ausschließlich bekannten durch Impfstoffe hervorgerufenen „aktiven*' Im-
munität und die Heilbarkeit einer Infektion bzw. infektiösen Vergiftimg
durch Iramunserum gegeben. Diese Entdeckung wurde in der Folge
erst durch die genaue Methode Ehrlichs (§ 262) in vollem Maße nutzbar
gemacht für die Prüfung der Höhe der antitoxischen Schutzkräfte. Schon
seit 1888 war aber auch — zunächst durch Reagensglasversuche, seit 1890 auch
durch Tierversuche — die Kenntnis antiinfektiöser Stoffe im Blutserum vun
gegen Milzbrandbazillen ( ? ), Metschniko£f\'ibrionen, Pyocyaneusbazillen.
Pneumokokken, Hogcholera-, Typhusbazillen, Choleravibrionen immunisier-
ten Tieren und Menschen durch Nuttall, Behring und Nissen,
C h a r r i n und Roger, die Gebrüder Klemperer, Kruse und
Pansini, Metschnikoff, R. Stern, Zaslein, Klem-
perer und Sobernheim angebahnt worden imd dann (1894) dit^
Zurückführung derselben auf Bakteriolysine diu"ch R. Pfeiffer
und (1897) auf Bakteriotropine (Immunopsonine) — die Namen
selbst stammen von N e u f e 1 d und W r i g h t — durch D e n y s ge-
lungen. Der Mechanismus der bakteriolytischen und opsonischen Wir-
kimg wurde aber erst vollständig geklärt, und die Prüfungsmethoden wur-
den vervollständigt diurch Borde t, Ehrlich und Morgenroth,
N e i ß e r und Wechsberg, Wright, Neufold u. a. Eine
Fehlerquelle, die in den früheren bakteriziden Versuchen mit Iinmunseruni
teilweise eine Rolle gespielt hat, deckten ferner G r u b e r luid
Pfeiffer (1896) in den Agglutininen des Inununserums auf.
Wir gehen auf alle diese Dinge hier nicht näher ein, weil sie in der Inf ektions-
imd Immimitätslehre ausführlich zu besprechen sind, und erwähnen nur,
daß eine strenge Scheidung der antitoxischen und
antiinfektiösen, der bakteriolytischen, (besser mikro-
biziden) und bakteriotropen (basser mikrobi- oder germitropen)
Immunität sich nur ausnahmsweise vornehmen,
und auch die aktive, durch Impfstoffe erworbene
Immunität sich durchaus nicht immer ausschließ-
lich auf die antitoxischen und antiinfektiösen
Eigenschaften des Blutserums der immunen Tiere
zurückführen läßt, sondern häufig während der
Immunisierung erworbene Eigenschaften der Zel-
len daneben mehr oder weniger bedeutungsvoll
zu sein scheinen. Das schließt nicht aus, daß die passive
Immunität, wie die gelungenen Schutz- und Heil versuche mit Iminim-
seiaun lehren, allein auf den Eigenschaften der letzteren beruht, daß
ferner in einzelnen Fällen (Botulismus und Tetanus ?) im Immun-
seruni nur anti toxische Kräfte wirken, in anderen die anti toxischen (Diph-
therie), bakteriolytischen (Cholera) oder bakteriotropen (Pneumokokken.
Streptokokken) Eigenschaf ton des Immunserums im Vordergrunde stehen,
Angriffs-, Reiz- ,und Impfstoffe. 1081
wälirend wieder in anderen, vielleicht den meisten Immunseren, wie na-
mentlich von lins für das Ruhrserum bewiesen worden ist, alle
niö glichenantitoxischen und antiinfektiösen Kräfte
ver einigt sind. Endlich ist der von B a i 1 und seinen Mitarbeitern
Weil usw. gemachte Versuch, noch besondere „antiaggressive" Stoffe
im IiTununserum für deren Wirkung verantwortlich zu machen, gescheitert.
Ich selbst habe zwar schon vor 18 Jahren von Antiaggressinen (ursprüng-
lich ,,Antily8inen") gesprochen (S. 1024), darunter aber nur die gewöhnlichen
liegen die Erreger gerichteten bakteriziden Immunkörper verstanden.
-\iich jetzt könnte ich ihn noch aufrecht erhalten von der Voraus-
setzung ausgehend, daß die Aggressine es sind, auf die
die Immunkörper wirken, und daß sie auch, weil sie mit den
Impfstoffen zusammenfallen, die Inmiunkörj^erbildung anregen (s. u.).
Im übrigen würde ich aber jetzt, entsprechend unseren heutigen Kennt-
iiis-sen von den anti infektiösen I\jäften des Immunserums, unter den Anti-
ajzjH'essinen die mikrobiziden und mikrobitropen Stoffe dos Serums zu-
sammenfassen. Daß ich damit recht habe, wird dadurch bewiesen, daß
B a i 1 s Antiaggr essine der Cholera, des Typhus, der Ruhr wahrscheinlich
nichts anderes sind als Bakteriotropino, die in dem betreffenden Serum
neben den Bakteriolysinen vorhanden sind und bei der von Bail benutzten
Versuchsanordnung in der mit Leukozyten angereicherten Bauchhöhle
vorwiegend zur Geltung kommen*). Eine anscheinende Berechtigung hat
xunächst allerdings die Annahme von iVntiaggrassinen als besonderer
Stoffe neben den gewölinlichen Immunkörpern l)ei den sei>tizämischen
Infektionen (Milzbrand., Hühnercholera, Schweinesouche), weil man hier im
K eagensglas keine deutlichen bakteriziden oder bakteriotropen Wir-
kungen des Immunserums hat feststellen können(S. 1052), indessen bekommt
man doch ein anderes Bild, wenn man die Vorgänge, die i m T i e r k ö r p e r
unter dem Einfluß des Immunserums sich entwickeln, genauer untersuclit.
Schon die Angaben in der Literatur lassen darauf schließen, daß die ge-
steigerte Freßtätigkeit der Phagozyten und viel-
I eicht auch die abtötenden Leistungen der Säfte für
die Erfolge des Serums verantwortlich gemacht werden müssen. Das hat
auch eine von Zeh*) in meinem Laboratorium angestellte Untersuchung
bestätigt. Beim Milzbrandserum wird freilich die Entscheidung dadurch
erschwert, daß das Immunserum bei den kleinen Versuchstieren überhaupt
nur wenig leistet. Wir haben also hier wieder einmal einen Fall, in dem
der Reagensglasversuch — wegen mangelhafter Bindung der Immunköq)er
an die Bakterien außerhalb des Kör|:)ers ? — versagt, das kann uns aber
in der Deutung der Erscheinungen im lebenden Körper, die im wesent-
lichen mit den bei anderen Infektionen beobachteten übereinstimmen, nicht
irre machen. Nebenbei bemerkt haben sich Sauerbeck und euidere
Forscher dazu verleiten lassen, bei diesen Infektionen nicht antiinfektiöse,
sondern antitoxisch eWirkungen im Immunserum anzunehmen.
1) Vgl. die S. 1024 ff. angeführte Literatur über tierische Aggressine,
die Kritik von Sauerbeck, ferner die in meinem Laboratoriiun ge-
machte Arbeit von P a n e und L o 1 1 i (Annali d'igieno sperim. 1907)
über die peritoneale Infektion.
2) Über Wirkungsweise des Milzbrandserums usw. Berner mediz.
Dissert. Bonn 1909.
1082 Kap. XVII, § 333.
Abgesehen davon, daß auch hierfür Reagensglasversuche nicht den min-
desten Anhaltspunkt geben, sprechen die Beobachtungen im infizierten
Gewebe selbst, d. h. das Ausbleiben oder die Beschran-
k u n g des Wachstums im immunisierten Tier, klar da-
gegen. Wenn wir sonach von Antiaggressinen im Sinne B a i 1 s nicht<<
wissen wollen, so ist damit natürlich nicht gesagt, daß nicht vielleicht die
Zukiuift uns noch die Kenntnis von antiinfektiösen Immunkörpern, die
durch einen anderen Mechanismus wirken, als die Lysine und Troj)ine
(z. B. Antileukine oder dgl.) bescheren könnte.
So nötig es nach alledem ist, lytische und tropische neben anti-
toxischen Wirkungen als Ursache der Schutzkraft der Immunsera zu
unterscheiden, so wenig ist damit zunächst noch die Frage entschieden,
ob die Lysine, Tropine und Antitoxine, die in einem und demselben
Serum vorkommen, und ebenso die ihre Bildung anregenden „lysino-
genen", „tropinogenen", „antitoxinogenen*^ Impfstoffe, die in dem
Leibe eines und desselben Bakteriums bzw. Bakterienextrakts vor-
handen sind, wirklich immer verschiedene Stoffe sind. Soviel ist gewiB,
daß wir bisher keine sicheren Mittel haben, sie voneinander getrennt
darzustellen. Wir können höchstens die antitoxinogene (toxische)
Wirkung mancher Impfstoffe z. B. durch Erhitzung vernichten, und
vielleicht gelingt es auch durch diese oder jene Behandlungsmethode
der Impfstoffe, deren tropinogene oder lysinogene Eigenjschaft zu
unterdrücken, wie das hin und wieder bei den agglutinogenen oder lysino-
genen Funktionen der Impfstoffe (§ 335) geglückt sein soll. Das würde
sich aber noch vereinigen lassen mit der Vorstellung, daß die genannten
Impfstoffe ein einziges Molekül bildeten, das zwar aus Seitenketten
von verschiedener Widerstandsfähigkeit und imgleicher Funktion zu-
sammengesetzt wäre, aber durch Vermittlung derselben bindenden
Gruppe sich mit den einzelnen Antikörpern vereinigte und durch die
gleichen Bindegruppen die Antikörper liefernden Zellen zur Sekretion
reizte. Damit würde auch nicht die Tatsache in Widerspruch stehen,
die die meisten Forscher zu einer Trennung der Antitoxine, Lysine
und Tropine^), Agglutinine^) und anderer Antikörper (§ 334) bewogen
hat, daß nämlich die Immunkörper, die mit einem imd demselben
Bakterium hergestellt werden, im Verlauf der Immunisierung nicht
bloß eine quantitativ, sondern auch quaUtativ verschiedene Wirksam-
1) Über die Verschiedenheit von Lysinen und Tropinen vgl.
Bäcker (Zeitechr. f. Hyg. 56), N e u f e 1 d und Hüne (Arb. K. Gesund-
lieitsamt 24) ; N e u f e 1 d und B i c k e 1 (ebenda 27) ; N e u f e 1 d (in
Kolle-Wassermanns Handb. Erg. -Bd. 2. 329, 1908).
2) Über die Verschiedenheit von Lysinen und Agglutininen vgl.
z. B. Castellani (Zeitschr. f. Hyg. 38) ; Wassermann (ebenda
42) ; Friedberger in Kolle-Wassermann 4. 564). S. auch
§ 335.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1083
keit, bald mit lytisclier, bald mit tropischer, antitoxischer oder aggluti-
nierender Kraft entfalten und ebenso bei den einzelnen Tieren und
in den einzelnen Organen derselben verschieden sein können. Denn
auch was die Natur der Antikörper angeht, könnte man ähnliche Vor-
stellungen wie die eben ausgesprochenen verteidigen, indem man an-
nähme, daß die Antikörper liefernden 2jellen je nach Zeit, Tier und
Organ in etwas ungleicher Weise auf denselben ßeiz antworten. Von
diesem Standpunkt aus müßten wir somit dem Impfstoff- wie
dem Immunkörpermolekül eine veränderliche Zusammensetzung
zuschrfeiben^). Der einfacheren Darstellung wegen
bleiben wir hier aber bei der gewöhnlichen An-
nahme, nach der die lysinogenen, tropinogenen
und die an t it oxi n oge n en Impfstoffe ebenso wie
die entsprechenden Immunkörper besondere Stoffe
mit besonderenbindenden Gruppensind, stehen.
Wir können bisher nur eine Tatsache, die dieser Ansicht geradezu
zu widerstreiten scheint. Nach unseren Beobachtungen*) wird nämlich
das Antitoxin, das das sogenannte Kaninchengift der Ruhrbazillen zu
neutralisieren vermag, durch Berührung mit Ruhrbazillen diesen, zugleich
mit allen übrigen Antikörpern, entzogen, ohne daß die damit beladenen
Bazillen dadurch ungiftig würden, ja die Erscheinung bleibt dieselbe, wenn
die Bazillen durch Kochen für Kaninchen ungiftig geworden sind. Hieraus
folgt entweder, daß das Ruhrantitoxin in. den Bazillenleibern Bindegruppen
vorfindet, die nichts mit dem Toxin selbst zu tun haben, oder aber, daß
es mit anderen Antikörpern des Ruhrserums in fester Verbindung steht.
Wir haben hier schon mehrfach von der bindenden Gruppe der
Impfstoffe gesprochen, durch deren Vermittlung sie die Bildung der
Immunkörper in der tierischen Zelle anregen sollte. Das entspricht
der Ehrlich sehen Seitenkettentheorie, über deren Berechtigung
wir uns öfter, zuletzt bei Gelegenheit der Aggressine (§ 327), ausgelassen
haben. Dort haben wir auch die Ansicht verfochten, daß die Impf-
stoffe im wesentlichen mit den freien oder seßhaften Angriffsstoffen
und Bakterienrezeptoren zusammenfallen, ebenso wie die Antitoxin
bindenden Impfstoffe mit den Toxinen (§ 279). Eine einfache Schluß-
folgerung daraus ist, daß die Lysinogene und Tropinogene sich mit den
Lysinen und Tropinen verketten und dadurch nicht nur ihre Aggressivi-
tät (S. 1046), sondern auch ihr Immunisierungs vermögen verlieren müssen
(oder können). In der Tat ist letzteres wenigstens für die Lysinogene der
Cholera von Pfeiffer und Friedberger^) bewiesen worden. Häufig
ist auch der Eeichtum an immunkörperbindenden Gruppen entschei-
1) Vgl. das S. 1111 Gesagte.
2) Vgl. Seit er, Zeitschr. f. Immunitätsforschung 5. 479, 1910.
3) Berl. klin. Woch. 1902. 25; vgl. auch Agglutinogene.
1084 Kap. XVII, § 333 u. 334.
dend für das Imraunisierungsvermögen, so daß virulente Bakterien,
die damit besser ausgestattet sind, sich mehr zur Immunisierung eignen
als abgeschwächte. Daß in dieser Beziehung aber Ausnahmen vor-
kommen und wie diese sich vielleicht erklären, haben wir schon im
§ 327 besprochen. Wenn es dadurch wahrscheinlich wird, daß sich
die Impfstoffe eines und desselben Keimes durch die Menge, in der
sie gebildet werden, sowie durch die Verwandtschaft, die sie zu den
Immunkörper bildenden Zellen und den Immunkörpern selbst zeigen,
unterscheiden können, so haben andere Erfahrungen (S. 1057), auf die
wir bei den Agglutinogenen zurückkommen werden, gelehrt, daß sie
nicht eine einzige Bindengruppe, sondern eine Anzahl von solchen be-
sitzen, die bald nebeneinander in demselben Tiere, bald in verschiedenen
Tieren zur Geltung kommen, daß wir also nicht bloß mit einzelnen, für
jede Art spezifischen lysinogenen und tropinogenen Seitenketten, son-
dern mit einem verwickelten „Rezeptorenapparat" bei den Kleinwesen
selbst wie bei den Immunkörper bildenden Zellen der höheren Organis-
men zu rechnen haben, mit einer Vielheit von Rezeptoren, die nicht
immer völlig spezifisch, sondern zum Teil mehreren Mikrobenarten
gemeinsam sind.
§ 334. Andere Impfstoffe (Antigene). Die Verwicklung wird
dadurch noch viel größer, daß uns das Studium der Eigenschaften
des Serums immunisierter Tiere im Laufe der Zeit bekanntlich noch
mit einer Reihe anderer spezifischer Immun- oder Antikörper bekannt
gemacht hat, denen wahrscheinlich wieder besondere Impfstoffe oder
„Antigene", oder, wenn wir im Sinne der Ehrlich sehen Theorie
sprechen, neue Bakterien- und Zellrezeptoren entsprechen. Es
sind das außer den schon genannten „Verklebungskörpern" oder
Agglutininen (G r u b e r und Durham,R. Pfeiffer) und Agglu-
tinogenen, die „Niederschlagskörper" oder Präzipitine (R. Kraus),
und Präzipitinogene, die komplementbindenden Körper oder Reagine
(Bordet- Gengou sehe Ambozeptoren, Eiweißambozeptoren) und
Reaginogene, die Uberempfindlichkeit erzeugenden Immunkörper oder
Anaphylaxine (anaphylaktische Reaktionskörper, SensibiUsine) und
Anaphylaxogene. Äußerlich betrachtet unterscheiden sich diese Immun-
körper von den bisher betrachteten „Schutzkörpern", abgesehen von
ihren Wirkungen im einzelnen, dadurch, daß sie keine augenscheinlich
für den Tierkörper nützlichen Leistungen entfalten, sondern entweder
für den Verlauf der Infektion bedeutungslos zu sein scheinen, oder aber,
wie die Anaphylaxine, den Tieren sogar schädlich werden. Dieser Um-
stand, wie die Tatsache, daß alle diese Arten von spezi-
fischen „Immunkörpern" auch durch die Behand-
lung der Tiere mit zahllosen anderen im Tier-
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1085
körper nicht vermehrungsfähigen Zellen (Blut-
körpern, Samenfäden usw.) bzw. Zellstoffen (Se-
rum, Milch, Eiweiß usw.) erzeugt werden kön-
nen, hat manche Forscher dazu geführt, die ursprünglich allgemein
angenommene telelogische Betrachtungsweise der Immunität fallen
zu lassen. Uns scheint kein genügender Grund dafür vorzuliegen.
Handelt es sich doch in allen Fällen um Gegenwirkungen,
Jiegeeignet8ind,indentierischen Körper hinein-
gelangte organische Fremdkörper oder Fremd-
stoffe von eigentümlicher organischer Natur
durch Lösung oder Niederschlagen^) aus den
Säften auszuschalten, für den normalen Stoff-
wechsel unschädlich zu machen. Daß gelegentlich,
namentlich durch Übertreibung der Reaktionen, der
Zweck nicht erreicht, ja durch die Gegenwirkung selbst Schaden ge-
stiftet wird, sehen wir sich bei allen sonst durchaus zweckmäßigen
Eimichtungen des Organismus z. B. auch bei der Entzündung und
beim Fieber wiederholen. Nähej können wir hier auf die Verhältnisse
nicht eingehen, weil sie sich auf Erscheinungen im Tierkörper selbst
beziehen, also in der Infektions- und Immunitätslehre zu behandeln sind.
So wenig diese letztgenannten „Immunitätsreaktionen"^) für das
Leben der Mikroben im Tierkörper von Bedeutung zu sein scheinen,
so außerordentlich groß ist die Bedeutung, die sie für die spezifische
Kennzeichnung derselben, für die Diagnose der Mikroben und mikro-
bischen Infektionen, gewonnen haben.
Indem wir dazu übergehen, die Eigenschaften der hier in Betracht
kommenden neuen Antigene im einzelnen zu betrachten, erwähnen
wir nur noch, daß auch hier die Auffassungen der Ehrlich sehen
Seitenkettentheorie über den Bau derselben sich zwar im großen und
ganzen bewährt haben, eine genaue Kenntnis ihrer chemischen Natur
aber trotzdem noch nicht gewonnen worden ist (vgl. § 68). Wir wissen
darüber ebensowenig auszusagen, wie über die Natur der übrigen
Antigene, unter denen sie den Aggressinen bzw. Lysino- und Tropino-
genen sowie Endotoxinen durch ihre Widerstandsfähigkeit gegen
Hitze usw. näher stehen als den (meisten) Immuntoxinen oder En-
1) Vgl. auch die ältere Theorie von Gamaloia(§6) und die neuere
von Vaughan, Nicolle, Fried bergor u. a. (§ 344). Die Be-
zeichnung der organischen Fronidstoffe als fremde ,, Eiweiß körper" erscheint
uns nicht berechtigt, da die Antigene höchstens Seitenketten von solchen
«ind (s. im Text).
2) So genannt im weitesten Sinne des Wortes, im Gegensatz zu
^lon eigentlichen Schutzreaktionen der § 331 u. 333.
1086 Kap. XVn, § 334 u. 335.
zymen. Da auch diese Antigene und die entsprechenden Immunkörper
bisher noch niemals rein dargestellt oder voneinander getrennt worden
sind, können wir auch nicht die Frage, wie sie sich zueinander ver-
halten, mit Sicherheit entscheiden, müssen vielmehr auf das früher
(S, 1082) bezüglich der übrigen Impfstoffe und Schutzkörper Gfesagte
verweisen. Es hat zwar, wie wir gleich sehen werden, nicht an Ver-
suchen gefehlt, die einzelnen Arten der Antigene, z. B. die Agglutinine
mit den Präzipitinen, diese mit den Reaginen und Anaphylaxinen,
die Reagine mit den Ambozeptoren (Lysinen) zusammenzuwerfen,
und wir selbst sind einer noch weitergehenden Zusammenfassung der
Antigene und Antikörper nicht abgeneigt (a. a. 0.), aber so verlockend
diese Vereinfachungen auch sind, so sehr empfiehlt es sich vorläufig,
die Trennung noch aufrecht zu erhalten. Jedenfalls gewinnt auch
die Darstellung dadurch an Klarheit.
§ 335. Agglutinogene. Immunisierende Fähigkeit. Die
meisten Erfahrungen liegen vor über die Antigene der Agglutinine,
die man wie die Angriffsstoffe (S. 1030) als seßhafte oder freie Agglu-
tinogene bezeichnen kann, je nachdem sie in den Mikroben festsitzen
oder aus ihnen in Lösung gegangen sind. Die Möglichkeit, mit ge-
lösten Bakterienstoffen Agglutinine zu erzeugen, ist seit W i d a 1 und
Sicard, Levy und Bruns, Nicolle^), Neißer und
Shiga^), Kraus und Joachim^) u. a. durch zahllose Versuche
mit Filtraten und Extrakten erwiesen worden. Wenn man hierfür
wie für die Gewinnung von Lysinen und Tropinen meist ganze Kul-
turen oder Aufschwenmiungen von Leibern benutzt, so geschieht das,
abgesehen von der größeren Einfachheit des Verfahrens, deshalb,
weil die Immunkörper dann reichlicher gebildet zu werden pflegen.
Wahrscheinlich liegt das aber nur daran, daß die Auflösung der
Bakterien im Tierkörper die Antigene am vollständigsten in Freiheit netzt*).
Aus derselben Ursache erklärt sich auch, daß Filtrate junger Bouillon-
1) Annal. Pasteur 1898; vgl. sonstige Literatur in der sehr voll-
ständigen Bearbeitung der Agglutination von Paltauf (Kolle-
Wassermanns Handb. 4. 646 — 783, 1904 und bei VolkinKraus-
Lovaditis Handb. 2. 623—689, 1909.
2) Deutsch, med. Woch. 1903.
3) Zentr. Bakt. 36. 668, 1904.
4) Wenn nach Seh eil er (Zentr. Bakt. 36. 712) u. a. auf 60« er-
hitzte Bakterien etwas höhere Agglutinations werte ergeben, als lebende
oder chloroformierte, so geschieht das -vielleicht aus einem ähnlichen
Orimde; Deutsch (Annal. Past. 1899) und Gaethgens (Zentr.
Bakt. 48. 240, 1908) haben übrigens durch Immunisierungsv ersuche mit
Blutserun\ bewiesen, daß die Agglutinogene noch bis zu 4 Tagen nach
der Inipfimg von Tieren mit Typhusbazillen im Blutserum kreisen.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1087
kulturen. \del schwächer wirken als die alter, und daß diejenigen künstlichen
Methoden, die die Bakterienleiber am vollständigsten aufschließen, die
größte Menge von Agglutinogenen ergeben^). Da dasselbe aber auch
für die übrigen Antigene, Aggressine und Endotoxine gilt, werden aller-
meist durch die gleiche Behandlung auch die sämtlichen übrigen Anti-
körper erzeugt. Ob esüberhauptmöglichist, wiemanche
Forscher meinen, die Agglutinogene frei von anderen
Antigenen zu gewinnen, ist, wenn man von der Be-
seitigung der empfindlichen Immuntoxine durch
Erhitzen oder chemische Mittel, wie z. B. das neuer-
dings zur Bakterienauflösung und Antigen gewin-
nung empfohlene Antiformin*) absieht, einiger-
maßen fraglich. Die Mitteilungen darüber widersprechen sich sehr.
Einerseits wird behauptet, daß die Agglutinogene widerstandsfähiger
seien als die Lysinogene (B rieger, Schütze und Mayer'), De-
falle*), andererseits das Gegenteil (Friedberger und M o r e -
schi*), Friedberger •)). Friedberger und Moreschi
selbst berichten über Erfahnmgen, die sich schwer nüteinander vereinigen
lassen. So soll Chloroformbehandlung die Agglutinogene der Cholera-,
nicht die der Typhusbazillen vernichten, die mehrtägige Autolyse der
chloroformierten Bazillen aber auch den ersteren die agglutinogene KieSt
zurückgeben. Im allgemeinen darf man wohl sagen, daß das Verhalten
der Agglutinogene gegen äußere Eingriffe wie Hitze» Lösungs- und Fällungs-
mittel ein ähnliches ist, wie das der Aggressine bzw. Lysinogene einerseits
und das der spät ei* zu besprechenden Antigene andererseits. Temperaturen
bis 100® scheinen z. B. auch die agglutininbildende Kraft der Tj'phus-,
Cholera-, Ruhrbazillen usw. nur unbedeutend, solche über 100® — in
feuchtem Zustande, bei 150® in trockenem Zustande — erheblich zu schä-
digen'). Daraus folgt freihch noch nicht die Identität aller dieser Antigene
rnid Antikörper (S. 1082 u. 1086).
1) S. die Darstellungsmethoden § 333.
2) 2% Lösung bis zu einer Stunde einwirkend soll sämtliche Gifte
(auch die der Ruhrbazillen) zerstören, nicht die Agglutinogene. U h 1 e n -
h u t h und X y 1 a n d e r (Berl. klin. Woch. 1908. 28), A 1 t m a n n und
Schultz (Zeitschr. f. Immunität 3, 1909), T s u z u k i (ebenda 4). Selbst
für die Tuberkelbazillen scheint ähnliches zu gelten (M o u s s u und G o u -
pil (Compt. rend. ac. 6. VII. 1908).
3) Deutsch, med. Woch. 1902. 477; 1903. 309 (Aussalzungs verfahren)
vgl. Kraus und Joachim (Zentr. Bakt. 37. 87) über das gleichzeitige
Vorhandensein von Agglutinogenen imd Präzipitinogenen in dem B r i e -
ger-M ay er sehen Ptäparat (s. u. § 342).
4) Annal. Pasteur 1902.
5) Zentr. Bakt. 39.
6) Ebenda 40.
7) Ausnahmen von der Kegel s. u. bei de Rossi. Über die qualita-
tiven Veränderungen der durch erhitzte Bakterien erzeugten Agglutinine
8. u. bei Joes. Über den Verlust der Agglutinierbarkeit der Bakterien
durch Hitze und Säuren § 341. Die agglutini erzeugende Fähigkeit der
Bakterien wird auch durch Säurebehandlung nicht vernichtet (W a s s e r -
mann, Zeitschr. f. Hyg. 42. 271, Kirstein ebenda 46, 236).
1088 Kap. XVII, § 335.
Leider fehlen genaue Vergleiche über das entsprechende Verhalten
der in Filtraten und Auszügen gelösten Agglutinogene gegen Erhitzung,
Säuren u. dgl. Nach N i c o 1 1 e (a. a. O.) würden Filtrate durch Erhitzen
auf 115° zum größten Teil, aber doch nicht ganz ihrer Immunisierungs-
fähigkeit, beraubt. Nach C a r e g a ^) behielte das durch Ausziehen mit
verdünnter Kalilauge aus jungen Bouillonkulturen hergestellte „Nukleo-
albiunin" dieselbe auch nach dem Kochen, während es seine Giftigkeit
verlöre. Das bei der Behandlung ungelöst zurückbleibende „Nuklein''
soll überhaupt kein Agglutinin erzeugen (vgl. S. 945). Ob sie in tierischen
Flüssigkeiten gelöst, wie die tierischen Aggressine (S. 1028) schon durch
Temperaturen von 60® angegriffen werden, wäre noch festzustellen. Durch
Alkohol läßt sich nach Winterberg*) die immunisierende Subst€uiz
der Filtrate, ohne zerstört zu werden, niederschlagen, längere Berührung
mit Alkohol vernichtet sie aber. Über das ungleiche Verhalten der agglu-
tinin bindenden und prä«ipitablen Stoffe werden wir weiter unten
zu berichten haben.
Von vomherein läßt sich annehmen, daß auch der natürliche Zu-
stand, in dem sich die Bakterien befinden, das Vorkommen der Agglu-
tinogene beeinflußt. Weniger kommt wohl da in Betracht der Nähr-
boden, auf dem sie gewachsen sind^), als die ererbte oder duich
Abänderimg erworbene Stammeseigenart.
Man hat schon früh die Beobachtung gemacht, daß die Fähic-
keit, Agglutinin zu bilden, nicht nur bei verschie-
denen Arten, sondern bei verschiedenen Stämmen
derselben Art, bzw. denselben Stämmen unter ver-
schiedenen Bedingungen recht ungleich ist. Bekannt
ist die Schwierigkeit, mit manchen Colibakterien, Kapselbakterien (Bac.
pneumoniae usw.*)), Diphtherie und Pseudodiphtherie, Milzbrand, Hefe*),
Agglutinine zu erhalten. Indessen hängt ein großer Teil nur davon ab,
daß nicht alle Tiere vind nicht alle Verfahren gleich gut zur Immunisierung
geeignet sind. So gelang es späteren Forschem, z. B. bei Pferden durcli
Benutzung erst von abgetöteten, später von lebenden Bazillen gegen
Diphtherie und Pseudodiphtherie spezifische agglutinierende
Seren zu gewinnen*), während das gewöhnliche antitoxische Diphtherie
serum in dieser Beziehung unwirksam ist.
Man hatte zunächst das mangelhafte Bildungsvermögen für Agglu-
tinine mit dem Fehlen der Beweglichkeit in Verbindung ge-
bracht. Das ist natürlich schon unmöglich geworden, seitdem man
für viel unbewegliche Bakterien (Kokken und Bazillen) die stärksten
Agglutinine erzeugt hat, immerhin scheint bei einer und derselben
1) Zentr. Bakt. 34.
2) Zeitschr. f. Hyg. 32, 1899.
3) Vgl. G 1 ä ß n e r , Zeitschr. f. experim. Pathol. 1. 640, 1905.
4) v. Eis 1er und Porges, Zentr. Bakt. 42, 1906 Lit.
5) vorl. Schütze, Zeitschr. f. Hyg. 44, 1903.
6) Schwoner, Wien. klin. Woch. 1902. 48.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1089
Axt das Vorhandensein von Geißeln oder vielleicht besser gesagt
die Beschaffenheit der äußeren Leibesschicht, des Ektoplasmas,
in einem gewissen Zusammenhang mit dem Agglutininbildungsver-
mögen und der Agglutinierbarkeit (§341) zu stehen.
Unter anderen Beispielen dafür gibt D e f a 1 1 e ^) das folgende: Der
Bac. mycoides entwickelt auf Agar täglich neu übertragen schöne
Geißeln und im Tier ein kräftiges Agglutinin, das am stärksten auf ihn
selbst wirkt. Wenn man ihn aber auf Agar zur Sporulation gelangen läßt,
ehe er übergeimpft wird, so bildet er künunerliche Geißeln und Agglu-
tinine, die außerdem fast nur auf die bewegliche Abart einwirken'). N i -
c o 1 1 e und T r 6 n e 1 •) beobachteten auch bei Typhusbazillen
und typhusähnlichen Bakterien, die» bei 42 bzw. 38° ge-
züchtet, unbeweglich geworden waren, Abnahme ihres immunisierenden
Vermögens und ihrer Agglutinierbarkeit, während de R o s s i ^) bei einer
C o 1 i a r t das Immunisierungsvermögen der unbeweglichen (bei 35® ge-
züchteten) Kultur ziemlich unverändert, aber die Agglutinierbcurkeit stcurk
vermindert fand. Letzterer Forscher untersuchte ferner bei einem H e u -
bazillus die Bedeutung der Geißeln für die Agglutininbildung, indem
er die Bewegungsorgane durch Schütteln in Kochsalzlösung und Zentri-
fugierung von den Leibern trennte und nun mit beiden Bestandteilen
sowie mit ganzen Bazillen Tiere immunisierte. Die Geißeln und Leiber
erwiesen sich gleich wirksam und erzeugten zusammen ebensoviel Agglutinin,
wie die unversehrten Bazillen allein. Da die Geißeln durch Kieselgur-
filter hindurchgehen') und bei unbeweglichen Bakterien die durch Aus-
schüttelung gewonnene Flüssigkeit kaum agglutinogen ist, erklärt d e
Rossi die Geißeln für den Sitz der immunisierenden
Substanz in der Flüssigkeit. Nebenbei besaß die geißelhaltige Flüssig-
keit sogar ein etwas stärkeres Bindungsvermögen für Agglutinine,
als die BaziUenleiber. Gegenüber der Erhitzimg*) verhält sich die agglu-
tininbildende und -bindende Kraft der Geißeln und Leiber ganz ähnlich,
d. h. sie wird durch Erwärmimg auf 62° stark herabgesetzt. Auch die
Agglutinierbarkeit steht in einem gewissen Zusammenhange mit dem
Zustand der Geißeln, denn beide bleiben bei Temperaturen bis 65° un-
verändert, und über 65° hinaus, wo die Geißeln zugrunde gehen, wird die
Agglutinierbarkeit stark geschädigt. Abtrennung der Geißeln von den
Körpern der Bazillen (durch Schütteln) bewirkt nur eine Verlangsamung,
sonst keine Beeinträchtigung der Agglutininwirktmg. Inwieweit es sich
in allen diesen Punkten um Ausnahmeverhältnisse handelt, wäre noch
festzustellen.
1) Annal. Pasteur 1892.
2) K i r 8 1 e i n a. a. O. 239 sah keine Unterschiede in dem Immuni-
sierungsvermögen von Prodigiosusbazillen, die durch Züchtung
bei 37° ihre Farbe verloren hatten, sondern nur einen Verlust der Agglu-
tinierbarkeit.
3) Annal. Pasteiu- 1902.
4) Zentr. Bakt. 37. 113.
6) Ebenda 433.
6) Ebenda 40. 565.
Ken 80, Mikrobiologie. G9
1090 Kap. XVII, § 335—337,
Ähnliche Bassenunterschiede sind nun auch, von der Beweglich-
keit abgesehen, vielfach beobachtet worden bei Cholera- und Typhus-
bazillen. Pfeiffer und Friedberger glaubten zunächst, es
bestände ein Parallelismus zwischen Virulenzgrad und Bildungs- bzw.
Bindungsvermögen für Lysine und Agglutinine. Wir haben aber schon
S. 1048 gesehen, daß sich diese Behauptung für die Lysine nicht aufrecht
erhalten läßt. Ebensowenig ist das nach den dort namhaft gemachten
Forschern für die Agglutinine der Fall. Bald erhält man mit weniger
virulenten Bakterien stärkere Agglutinine als mit virulenten, bald
spärliche oder selbst gar keine.
§ 336. Zusammengesetzte Natur der Agglutinogene. Daß
die agglutininerzeugende Substanz eines bestimmten Bakteriums kein
einfacher, nur quantitativ unveränderlicher Stoff ist, haben, abgesehen
von den Bindungsversuchen, auf die wir gleich kommen werden, schon
die Immunisierungsversuche selbst gelehrt. Es zeigte sich nämhch
erstens, daß die Agglutinine, die mit dem gleichen Präparat
von verschiedenen Tierindividuen oder -arten gewonnen waren, das
zugehörige Bakterium und andere Stämme derselben Art zwar stet?
am stärksten, d. h. in den größten Verdünnungen, und alle übrigen
Bakterien gar nicht oder schwächer — ' also wie man zu sagen pflegt,
spezifisch beeinflußten, aber die letzteren keineswegs
immer in dem gleichen Verhältnis, sondern bald dieses,
bald jenes Bakterium mehr agglutinierten. Mußte man hieraus auf
einen zusammengesetzten Bau der Agglutinine mit sogen. „ Haupt "-
imd „N ebenagglutinine n*', d. h. wenn man sich auf den
Standpunkt der Ehrlich sehen Seitenkettentheorie stellt, auf eine
große Mannigfaltigkeit der tierischen Rezeptoren und zugleich
auf eine entsprechend verwickelte Zusammen-
setzung der Agglutinogene aus zahlreichen ver-
schiedenen immunisierenden bzw. bindenden
Gruppen schließen^), so folgt aus den ebenfalls in gewissen Gren-
zen schwankenden Agglutinationswerten, die man mit verschie-
denen Stämmen einer und derselben Bakterienart erhält, daß
auch die Zusammensetzung dieser Agglutinogene veränderlich
ist, also bald diese, bald jene immunisierende Gruppe mehr oder weniger
entwickelt ist^).
1 ) D u r h a ni , Joiu'n. of experim. med. 1901 ; Wassermann.
Zeitschr. f. Hyg. 42 und 286, 1903. Vgl. Anm. 2.
2) Beispiele finden sich in allen größeren Arbeiten über die Aiijgl"-
tination, z. B. bei Kelle und Gotschlich, Zeitsclir. f. Hyg. 4-*
(Vibrionen), Kruse, Rittershaus, Kemp und Metz ebenda
57 (Dysenterie- und Pseudodysenteriebazillen).
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1091
J o o 8 ^) hat sogar den Nachweis geführt, daß man durch einen
einfachen künstlichen Eingriff dergleichen Ändenuigen jeden Augenblick
bewirken kann. Immunisiert man nämlich Tiere nebeneinander mit leben-
den oder auf 60® erhitzten*) lyphuabazillen („a- und /9-Agglutinogenen),
so erhält man Agglutinine (a- und /J-Agglutinine), die beide Zustands-
formen der Bazillen ungleich agglutinieren und ungleiche Widerstands-
kraft gegenüber der Erhitzung bieten. Was den modifizierenden Einfluß
der Temperatur anlangt, so sind die Beobachtungen J o o s ' diu-ch Schel-
ler sowie Kraus und Joachim (a. a. O.) im wesentlichen bestätigt
worden, die Verhältnisse sind aber anscheinend viel verwickelter, als J o o s
es angenommen hatte. So ergaben sich Scheller neue Verschieden-
heiten im Immunisierungsvermögon bei Erhitzung der Bazillen auf 100°
und Kraus imd Joachim auch solche zwischen unerhitzten Bouillon-
filtrat^n imd Kochsalzextrakten (s. u. Präzipitogene § 442).
§ 337. Bindende Fähigkeit der Agglutinogene. Die zweite
Eigenschaft der Agglutinogene neben ihrer immunisierenden besteht
nach der Seitenkettentheorie (§ 327) darin, daß sie die Agglutinine
des Serums binden. In der Tat ist dieses von B o r d e t ^) zuerst
nachgewiesene Bindungsvermögen allseitig zuerkannt worden den
Bakterienleibem selbst, also den seßhaften Agglutinogenen, und
Castellani*) hat daraufhin in meinem Laboratorium die später
nach ihm benannte Absättigungsmethode zur Prüfung
der Agglutinine ausarbeiten können. Durch sie wird gleich-
zeitig bewiesen, daß das Bindungsvermögen ein spezifisches ist, in-
sofern die sämtlichen Haupt- und Nebenaggluti-
nine (S. 1090) nur durch Bakterien derselben Art,
mitdenen das S erumhergestelltist, abgesättigt
werden, die Neb en aggl u ti nin e aber auch ent-
fernt werden können durch heterologe Absättigung d. h.
mit den fremden Bakterien, auf die sie wirken. Ausnahmen (s. u.) be-
stätigen nur die Regel. Länger hat es gedauert, bis auch das Bin-
dungsvermögen der freien (gelösten) Agglutinogene anerkannt
worden ist. Zum Teil hat das allerdings wohl nur daran gelegen, daß
man von der falschen Voraussetzung ausging, die Agglutinine müßten
die Agglutinogene gleichzeitig binden und fällen (§ 341), zum anderen
Teil hat man die quantitativen Verhältnisse, die bei der Absättigung
der Agglutinine auch durch Bakterienleiber eine große Rolle spielen
1) Zentr. Bakt. 33.
2) Nach Eisenberg (Zentr. Bakt. 41. 823) verhalten sich
ebenso Bazillen, deren Agglutinierbarkeit durch Züchtung bei 42° ver-
mindert ist.
3) Annal. Pasteur 1899. 247.
4) Zeitschr. f. Hyg. 40, 1902; vgl. auch unsere in Anm. 2 S. 1090
erwähnte Dysenteriearbeit.
69*
1092 Kap. XVIT, § 337 u. 338.
(s. u.), nicht berücksichtigt, z. B. zu große Mengen von Ä^lutininen
verwandt hat.
So setzten Kraus und v. Pirquet *), Neißer und S h i g a -) ,
Wassermann^), Asakawa^), Eisenberg*), de Rosai*),
Bürgers und H ö s c h ') den vergeblichen Versuchen R a d z i e w s -
kys*), Beljaeffs*), Bails^'*), Picks**) solche entgegen, in denen
der Zusatz spezifischer Bouillonfiltrate oder -extrakte die Agglutinations-
kraft von Typhus-, Ruhr-, Pyocyaneus-Inunimseruni abschwächte oder
ganz aufhob. Wassermann fügte dazu den Nachweis, daß das mit
Immunserum versetzte Pyocyaneusfiltrat ein weit geringeres Agglutinin-
bildungs vermögen besaß als das unvermischte, und Bürgers und
H ö s c h zeigten, daß entgegen der Ansicht von B a i 1 und K i k u c h i *')
die Bazillenextrakte nicht nur die Agglutination henunten, sondern
auch die Agglutinine fest banden, denn der nachträglich in der
Mischung angestellte Bindungsversuch mit Bazillenleibem ließ Agglu-
tinine nur zurückgewinnen, wenn sie im Überschuß zugesetzt worden
waren (vgl. S. 1046).
Denkbar wäre es ja freilich, daß in anderen Fällen — es fehlt
noch an einer genügenden Bearbeitung der Verhältnisse — die freien
Agglutinogene eine schwächere Verwandtschaft
zu den Agglutininen hätten, als die in den Lei-
bern steckenden. Selbst die letzteren geben ja einen Teü der
gebundenen Agglutinine bei entsprechender Behandlung wieder ab.
Hahn imd Trommsdorf**) machten zwar nicht durch Auf-
schwemmen mit Kochsalzlösung bei 37° aus agglutinierten Bakterien
Agglutinine frei, aber wohl geringere Mengen durch Auischwenmien mit
Vioo Normallauge oder -säure. B a 1 1 n e r imd Sagasser**), Land-
steiner und J a g i c^^) fanden aber die Dissoziationsfähigkeit der an
rote Blutkörper und Bakterien gebundenen Agglutinine sogar schon gegen-
über Kochsalzlöflimg in gewissem, freilich manchmal recht geringem Grade
ausgesprochen. Wenn man die Temperatur auf 60® steigert, läßt sie sich
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Zentr. Bakt. 32.
Deutsch, med. Woch. 1903. 4.
a. a. O.
Zeitschr. f. Hyg. 45. 1905.
Zentr. Bakt. 41. 752, 1906.
Ebenda 37. 111; s. o.
Zeitschr. f. Immunitätsforschimg 2, 1909.
Zeitschr. f. Hyg. 34, 1900.
Zentr. Bakt. 33.
Prag. med. Woch. 1901. 17.
Hofmeisters Beitr. 1, 1901.
Arch. f. Hyg. 53, 1905.
Münch. med. Woch. 1900.
Arch. f. Hyg. 51.
Münch. med. Woch. 1902—1904.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1093
nach P. Th. Müller*) leichter nachweisen, und zwar besonders leicht
bei den Agglutininen „geringerer Avidität**, die einem schon ein
mal mit Bakterien behandelten agglutinierenden Serum durch eine
zweite Absorption entzogen werden. Femer sah J o o s *) normale
Typhusbazillen, die mit stcyrk agglutinierten zusammen aufgeschwemmt
waren, der Agglutininwirkung unterliegen, die Agglutinine also von den
schon beladenen auf die nichtbeladenen Bakterien „überspringen'*'). Die
Möglichkeit einer Trennung (die „Reversibilität*') der Agglutinogen-Agglu-
tininbindung wird auch durch die Erfahrungen, die Eisenberg^)
beim Studiimi der Agglutinationshemmung durch sogenannte Proagglu-
tinoide gesammelt hat. Der Enderfolg hängt in erheblichem Maße von den
Massenverhältnissen der Agglutinine und Proagglutinoide imd
der Zeitdauer der Verbindung ab. Je länger die letztere
ist, de»to schwieriger ist ihre Sprengung. Endlich wäre nicht unmöglich,
(laß eine solche im Tierkörper stattfinden könnte. N e i ß e r und
Lubowski •) gelang es in der Tat, wie schon anderen Forschem vor
ihnen, mit stark agglutinierten Bakterien noch Agglutinine zu erzeugen,
wenn auch nicht regelmäßig und in geringeren Mengen als bei Verwendung
normaler Bazillen. Man kann aber selbst hier noch einwenden, daß viel-
leicht nicht genügend auf die vollständige Absättigung der Agglutinogene
mit Agglutinin geachtet worden ist. Vgl. die entsprechenden Beziehungen
zwischen Toxinen und Antitoxinen § 278.
§ 338. Bindnngsgesetz der Agglutinogene. Damit kommen
wir auf die Bindungsgesetze der Agglutinogene. Sie sind zuerst dureh
die Arbeit von Eisenberg und Volk®) festgestellt und später
allenthalben bestätigt worden.
Die Verfasser gingen aus von einer „Agglutinineinheit", d. h. der-
jenigen Serununenge, die gerade hinreichte, um 1 ccm einer Aufschwem-
mung von einer Agarkultur Typhusbazillen in 30 ccm Kochsalzlösiuig
(Einheit der agglutinablen Substanz) zu unvollkommener Agglutination
zu bringen, d. h. darin einen deutlich imd scharf begrenzten Niederschlag mit
leicht getrübter Flüssigkeit darüber zu erzeugen. Um die Menge der
Agglutinine zu prüfen, die von der genannten Bakterieneinheit aus einem
verschieden konzentrierten Serum entzogen werden, wurden je 30 ccm
der Bakterienaufschwemmung in den wechselnden Serumverdünnungen
hergestellt, die Röhrchen 2 Stunden bei 37° und bis zu 24 Stunden bei
Zimmertemperatur (bis zur Klärung) stehen gelassen und in der geklärten
Flüssigkeit die noch vorhandene Agglutininmenge ermittelt. Das Ver-
hältnis der* gebundenen zur dargebotenen Agglutininmenge wurde als
Abeorptionskoeffizient bezeichnet. Beispielsweise ergab sich für die Ein-
heit der agglutininbildenden Substanz:
1) Ar eh. f. Hyg. 51.
2) Zeitschr. f. Hyg. 40.
3) Vgl. Eisenberg und Volk ebenda 40. 160 und 654, 1906.
4) Zentr. Bakt. 41. 464 u. 654, 1906.
5) Ebenda 30, 1901.
6) Zeitschr. f. Hyg. 40.
1094
Kap. X\^T, § 338 u. 339.
s
vord
erum-
ünnung^)
: 10 000
Dargebotene
Agglutininmengo
in Einheiten
Gebundene
Agglutinin menge
in Einheiten
Absorptions-
koeffizient
2
2
20 : 20
: 1000
20
20
20 : 20
: 500
40
40
20 : 20
. 300
67
67
20 ; 20
. 100
200
180
IS : 20
50
400
340
17 : 20
10
2 000
1500
15 : 20
2
10 000
6 500
13 : 20
1
20 000
11000
11 ; 20
Aus dieser und vielen anderen in ähnlicher Richtung verlaufen-
den, wenn auch in jedem Serum etwas verschiedenen Reihen ließ
sich die Regel ableiten, daß bei gleichbleibender Bakte
rienmengemithöhererKonzentrationderAgglu-
tinine die gebundene Menge immer größer, das
Verhältnis der gebundenen zur gebotenen Menge
immer kleiner wird. Regelmäßig waren die Bak-
terien imstande , viel mehr Agglutinin zu binden,
als zu ihrer Agglutination genügte. Nur in einigen Bin-
dungsversuchen mit normalem Serum wurde trotz steigender Serum-
konzentration nur je eine Agglutinationseinheit gebunden. Das ist
theoretisch wichtig, weil es dafür spricht, daß auch die Bindung des
Agglutinogens mit dem Agglutinin unter Umständen in gleichbleiben-
dem Verhältnis erfolgt, wie die Bindung der Toxine an die Antitoxine.
Im allgemeinen ist das aber nicht der Fall, sondern es hängt die
gebundene A ggl u t i n i n me n ge von dem Zahlen-
verhältnis ab, in dem die bindende Substanzzu
dem gebotenen Agglutinin steht.
Daraus ist schon zu folßjem, daß eine Verdoppelung oder Verzehn-
fachung der Bakterienmonge im Bindmigsversuch nicht immer in dem-
selben Verhältnis die Menge der gebundenen Agglutinine vermehrt. In
sehr verdünntem Senim wird das allerdings oft eintreten, nicht aber in
stärkerer Konzentration. Bringt man z. B. im obigen Beispiel zehn Ein-
heiton Bakterien statt einer in reines Serum, so "wiirde das Verhältni»«
der Agglutinogene zu den Agglutininon 1 : 2000, nicht mehr 1 ; 20f)<M'
entsprechen, es wird also ^y^o statt ^Vj^ der vorhandenen Agglutinine
gebunden werden, also eine völlige Absättigung des reinen Serums niclit
zu erzielen sein. J)er Vorsuch bestätigt das. Größeren Erfolg versprielit
das wiederholte Eintragen von Bakterien in konzentriertes Serum, wenn
man durch Ausschleudern für Entfernung der zuerst zugesetzten Bakterien
1) 1 : 1 bedeutet Vollserum.
Angriffs-, Reiz- luid Impfstoffe. 1095
sorgt. Dann ist in obigem Beispiel schon nach der ersten Absättigung
(las Verhältnis heruntergegangen auf 1 : 9000, nach der zweiten a\if etwa
1 : 6000, nach der dritten auf weniger als 2000 (Koeffizient 15 : 20), d. h.
durch wiederholte kleine Absättig ungen haben wir
hier mindestens das gleiche Ergebnis, wie bei ein-
maliger Eintragung einer zehnfachen Menge. Auch
hier bestiitigt die Erfahrung die Erwartung. Entsprechend ist das Er-
crebnis bei Absorption durch geringere Bakterienmengen. Leider stallten
Eisenberg imd Volk nicht fest, ob eine vollständige Ab-
sättigung der Agglutinogene durch Agglutinine
überhaupt möglich, ob also ein bestimmtes Antigen nur ein
bestimmtes Höchstmaß von Agglutinineinheiten aufnehmen kann. Das
hätte man entscheiden können durch Heruntergehen mit der Bakterien-
menge oder durch wiederliolte Absättigung derselben Bakterien mit Serum.
Versuche in letzterer Richtung macliten allerdings Eisenberg und
Volk lind kamen dabei zu dem Ergebnis, daß Bakterien, die schon mit
Agglutininen stark beladen sind, in frischem Serum etwas weniger Agglu-
tinin aufnehmen, als unberührte Bakterien. Bis zur Grenze sind sie auch
hier nicht gegangen. Ein Nobenbefund war, daß stark beladene
Bakterien aus schwachen Lösungen nichts mehr
aufnahmen, sondern einenkleinen Teil ihrer Agglu-
tinine sogar abgaben (s. o. S. 109.3).
Eine praktische Schlußfolgerung aus diesen Bindungsangaben ist
die, daß man zur Absättigung von Agglutininen (s. o. C a s t e 1 1 a n i s
Versuch) entweder das Serum stark, z. B. auf 1 : 100, verdünnt oder
wiederholt absättigt und dabei möglichst große Mengen nimmt ^).
Die Zeit, die zur Absättigung nötig ist, ist meistenteils kurz, nach
Eisenberg und Volk genügen z. B. wenige Minuten, um die
Bindung zu bewerkstelligen. Nach eigenen und fremden Erfahrungen
verlängert man aber die Absättigung besser auf P,4--l Stunde, unter
Umständen auf 24 Stunden, auch ist die Temperatur nicht so un-
wichtig, wie es nach den Angaben von Eisenberg und Volk
scheint. Bruttemperatur ist vorzuziehen.
§ 339. Natur der Agglutinogenbindung. Es fragt sich,
wie man sich theoretisch das aus obigen Untersuchungen sich ergebende
Bindungsgesetz, das deswegen eine besondere Wichtigkeit hat, weil
es in ähnlicher Form auch für andere Antigene
"-> mit Ausnahme der Toxine — . zu gelten scheint, zurechtlegen soll.
Nachdem B o r d e t ^) zuerst die Bindung hämolytischer Antikörper,
weil sie in veränderlichen Verhältnissen erfolgt, mit der Absorption
des Jods durch Stärke oder von Farbe durch färbbare Körper, also
mit einem meist als physikalisch aufgefaßten Vorgang ver-
glichen hatte, wogte der Streit darüber hin und her, ob die Bindung
1) Vgl. unsere Dysenteriearbeit (s. o. Anm. 2, S. 1090).
2) Annal. Pasteur 1900. 225; 1903. 165.
1096 Kap. XVII, § 339 u. 340.
chemischer oder physikalischer Natur sei. Wir entscheiden uns wegen
der Spezifizität der Bindung für die erstere.
Wie Bordet selbst hervorhebt, ist der Streit insofern müßig, als wir
über das Zustandekommen der sogenannten physikalischen AbBorption nichts
Sicheres wissen. Allgemeines Einverständnis herrscht auch darüber, daß
sich die Antikörper bzw. Agglutinine zum großen Teil so fest an die Bak-
terien binden, daß man an eine chemische Bindung denken muß. Selbst
Arrhenius^), der wie Eisenberg*) die Aufnahme der Agglu-
tinine in die BeJcterien als einen „Verteilungsvorgang" zwischen zwei
Lösungsmitteln auffaßt, welcher vom Guldberg-Waage sehen
Gesetz des chemischen Gleichgewichts beherrscht sei und sich in eine ein-
fache mathematische Formel*) fassen lasse, läßt eine nachträgliche
chemische Bindung zu. Von vornherein ist auch natürlich keine Ein-
wendung dagegen zu erheben, daß man die Erfahrungen der , »Kolloid-
chemie" auf die Beziehungen der Antigene zu den Immunkörpern, die
beide zu den Kolloiden gehören, anwendet*) und die Niederschlagsbil-
dungen der Kolloide mit den Agglutininen imd Präzipitinen der Bak-
terien und Bakterienstoffe vergleicht (s. u. § 341). Aber gerade die B i n-
dung der letzteren an die Agglutinine und übrigen Immunkörper hat trotz
einiger Ähnlichkeiten in den quantitativen Verhältnissen etwas B(^
sonderes an sich, nämlich die Arteigentümlichkeit, die „Spezifizi-
tät". Wir erklären sie uns am einfachsten mit bestimmten chemischen
Verwandtschaften oder wie Ehrlich es macht, durch das
Vorhandensein von haptophoren (bindenden) Gruppen. Man wird dabei
nach den früheren Feststellungen über die Trennbeurkeit der Agglutinin-
verbindungen (S. 1092) mit Joes*) vermuten dürfen, daß die Verwandt-
schaft der zahlreichen Bindegruppen der Bakterien (S. 1094) zu den Agglu-
tininen teils stärker, teils schwächer ist, gleichgültig ob man sich den Be-
hauptungen dieses Forschers über die Mitbeteiligung anderer Bestandteile
(Salze) an der Verbindung anschließt oder nicht (§ 340).' Der Zukunft
überlassen bleiben muß es, ob es gelingen wird, für die Agglutinogene
ähnliche „Spektren" zu entwerfen, wie es Ehrlich für die giftigen
Antigene getan hat ( § 264). Dazu wäre vor allem ein genaueres Stu-
dium der Bindekraft der gelösten Agglutinogene
(s. o. S. 1091 ), und iim sie studieren zu können, ihre vollständige
Gewinnung aus den Bakterienleibern nötig. In den
Bouillonfiltraten, selbst aus sehr alten Kulturen, ebenso wie in den Leiber-
extrakten gewinnt man immer nur einen Teil der Agglutinogene in freiem
Zustande*). Die alleinige Prüfung auf Agglutinierbarkeit kann allerdings
Täuschimgen verursachen, weil diese, z. B. dinrch Erhitzung, verloren gehen,
die Bindekraft erhalten bleiben kann (§ 341). Man wird daher, um die
1) Zeitschr. physikal. Cliem. 46, 1904.
2) Zentr. Bakt. 34.
3) Einwendungen gegen diese Formel s. bei N e i ß er , Zentr. Bakt.
36, 1904.
4) Vgl. S. 892 imd die Lit. daselbst.
5) Zeitschr. f. Hyg. 36 und 40.
6) Vgl. Eisenberg imd Volk im Gegensatz zu M a 1 v o z und
N i c o 1 1 e. S. die ähnlichen Verhältnisse bei den Angriffsstoffen S. 1029.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1097
Agglutinogene in Freiheit zu setzen, mv die Methoden anwenden dürfen,
bei denen die Bakterienleiber vollständig und ohne Benutzung von Chemi-
kalien oder höherer Temperatur aufgelöst werden. Nebenbei bemerkt
x^-ürde an derartigen Lösungen vielleicht auch die Frage entschieden werden
können, ob die homologen und heterologen Nebenagglutinine (S. 1090/1)
Seitenketten an demselben Kern sind wie die Hauptagglutinine oder
besondere Stoffe.
§ 340. Veränderungen des Bindungsvermögens der Agglu-
tinogene. Das Bindungsvermögen der Agglutinogene scheint im
allgemeinen gegen künstliche Eingriffe eher noch widerstandsfähiger
zu sein als das immunisierende (vgl. aber S. 1058).
So gelang es Scheller (S. 1086), die nach Joos Vorgang her-
gestellten a- und ^-Agglutinine sowohl durch unerhitzte als durch erhitzte
Typhusbazillen zu absorbieren. Gekochte BaziUen erwiesen sich sogar mit
stärkerem Bindungsvermögen begabt als die anderen. Letzteres kann
freilich nicht regelmäßig sein, denn nach Eisenberg und Volk
schädigt die Erhitzung, wenn sie über 58® hinausgeht, das Bindungs ver-
mögen der Typhusbazillen (im feuchten Zustand) in ziemlich gleicher Weise,
ob sie nun 65,100 oder 144® erreicht*). Aus konzentriertem Serum wird dann
von ihnen kaum die Hälfte der Agglutininmenge entzogen, als wenn sie
unerhitzt sind. Bei hohen Serumverdünnungen treten die Unterschiede
zurück. Behandlung mit verdünnter Salzsäure vernichtet ebensowenig
das Agglutininbildungs- wie das Bindungsvermögen. Ähnliche Versuche
mit gelösten Agglutinogenen fehlen, abgesehen von den schon früher er-
wähnten de R o s s i s '), als Ersatz können auch nicht die mit Fräzipi-
tinogenen gemachten Erfahrungen dienen, da sie im wesentlichen nur die
Fällbarkeit oder Löslichkeit in Alkohol u. dgl. betreffen.
Weit größere Unterschiede im Bindungsvermögen ergeben sich
beim Vergleich verschiedener Stämme einer und deselben Bakterien-
art, mögen sie natürliche oder künstliche Abarten sein. Das hat sich
z. B. bei Typhus-, Paratyphus-, Cholera-, Dysenterie- und Pseudo-
dysenteriebazillen gezeigt. Die Versuche, feste Beziehungen zwischen
der immunisierenden und bindenden Fähigkeit oder auch der Virulenz
der einzelnen Stämme aufzustellen, sind, wie wir schon früher sahen
(S. 1058, 1090), zum großen Teil gescheitert. Wenn man überhaupt von
einer Regel sprechen darf, so hat sie jedenfalls viele Ausnahmen.
So wird man sich auch nicht wundem können, wenn gelegentlich')
das früher von uns aufgestellte Gesetz (S. 1091), nach dem im Castel-
1) Bei den von de Rossi (s. o. S. 1089) studierten Heubazillen
wird das Agglutininbindungs- und Bildungsvermögen schon bei 62° zrun
größten Teil zerstört (Zentr. Bakt. 40. 702, 1906).
2) Vgl. Anm. 1.
3) P o s 8 e 1 1 imd Sagasser, Wien. klin. Woch. 1903 ; Z u p -
n i k und P o s n e r , Prag. med. Woch. 1903 ; Ketsch und L e n t z ,
Festschrift für Koch, 1904.
1098 Kap. X\^I, § 340 u. 341.
1 a n i schon Versuch die sämtlichen Agglutinine durch den Stamm, der
sie erzeugt hat, abgesättigt werden, durchbrochen wird und z. B. die
(heterologen) Nebenagglutinine dabei nicht verschwinden. Man winl
unter diesen Umständen hier wie im Falle der Toxine (§ 279) und
Aggressine (§ 327) den immunkörperbindenden und immunisierenden
Bestandteil des Agglutinogens nicht einfach identifizieren dürfen,
sondern in der früher angegebenen Weise zu Hilfsvorstellungen greifen
müssen.
§ 341. Agglutinierbarkeit. Mit dem Agglutminbildungs- und
-bindungsvermögen sind aber noch nicht alle Eigenschaften der Agglu-
tinogene erschöpft, denn aus ihnen folgt noch nicht ohne weiteres die
Fähigkeit der Bakterien, durch die Agglutinine zu „verkleben", zu
„verklumpen", „auszuf locken", ihre Agglutinierbarkeit. Die
letztere Eigenschaft ist vielmehr in weitem Maße unabhängig von den
ersteren.
Nachgewiesen wurde das zuerst durch Eisenberg imd Volk,
die beobachteten, daß (feuchte) Typhusbazillen nach halbstündigem Er-
hitzen auf 58° normale Bindungs- und Agglutinationsverhältni&4e, aber nach
Anwendung höherer Temperaturen, insbesondere von 100^ nur noch Spuren,
nach solchen von 144° überhaupt keine Agglutinierbarkeit mehr zeigen,
während ihr Bindungsvermögen durch Temperaturen über 58° gleichmäßig!
und lange nicht in demselben Grade geschädigt wird. Bei Cholera-
bazillen wurde freilich selbst durch Erhitzung auf 170° weder Bindungowert
noch Agglutinierbarkeit erheblich herabgesetzt^), dagegen büßten sie die
letztere zum größten Teil — die Typhusbazillon vollständig — ein, wenn
sie in 0,4 — 10 prozentiger Salzsäure eine Stunde bei 37° gehalten und
durch nachlier vorgenommene Neutralisierung von einer weit-ergehenden
Säure Wirkung geschützt wurden'^).
Eisenberg und Friedberger unterscheiden daher am
Agglutinogen eine „bindende" und „fällbare" Gruppe („agglutinier-
bare vSubstanz"), und schreiben der letzteren eine geringere, aber je
1) Porges (Zeitsclir. f. exper. Path. 1, 1905) fand dagegen, dafl
Typhus- imd Cholerabazillen zwischen 65° und 90° ihre Agglutinierbarkeit
verlieren, sie aber bei 100 — 144° wiedergewinnen. Ein hemmender Stoff
(Nuklein?), dessen Einwirkung diu'ch konzentrierte Kochsalzlösung be-
hoben werden kann, soll daran schuld sein; vgl. übrigens die ähnlichen
Verhältnisse bei der Verdaulichkeit § 10.
2) Wassermann (Zeitschr. f. Hyg. 42) bestätigt diesen Befund.
Nach Weil liegt das Optimum der Agglutinierbarkeit für Typhusbazillen
bei 52 — 55°, bei 65° wird sie aufgehoben. Außer Cholerabazillen vertragen
auch Staphylokokken selbst das Erhitzen auf 100° (Zentr. Bakt. 36 u.
37). Vgl. auch de R o s s i s Heubazillen S. 1089. Bei diesen besteht ein
gewisser Zusammenhang zwischen Agglutinierbarkeit und dem Zustand
der Geißeln. Daß die Geißeln selbst bei der Agglutination unverändert
bleiben, zeigten d e R o s s i (Zentr. Bakt. 36. 689) und Hinterberger
(ebenda 45).
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1099
nach der Bakterienart wechselnde Widerstandsfähigkeit gegen schäd-
liche Einflüsse zu^).
Angeregt wurden die beiden Forscher zu diesen Untersuchungen diu*ch
Angaben von W i d a 1 und Sicard, van de Velde, Malvoz
und N i c o 1 1 e über das Ausbleiben der Agglutination bei Bakterien, die
durch Hitze oder Aufenthalt in älteren Kulturen verändert waren. Letzteres
konnten Eisenberg und Volk zwar nicht bestätigen, es kann aber
doch wohl in anderen Fällen zu recht bestehen.
Kälte, Formalin, Sublimat, Chloroform, Thymol u. a. m. sind nach
den oben genannten Forschem ohne Einfluß auf die agglutinierbare Sub-
stanz. Jedoch hat S e 1 1 e r in meinem Laboratorium gefunden, daß
Formalinzusatz zu Typhusbazillenkulturen — in Form des F i c k e r sehen
„Typhusdiagnostikums" — doch deren Agglutinierbarkeit in gewissem
Grade beeinträchtigt. In konzentrierton Gaben und bei längerer Ein-
wirkung werden wohl alle Antiseptika die agglutinierbare Substanz nicht
unberührt lassen. Daß der Alkohol sogar die immunisierende Fähigkeit der
Apghitinogene unter diesen Umständen zerstört, haben wir schon früher
mitgeteilt (S. 1088). Nach Nie olle soll allerdings Alkohol und Äther
die „substance agglutin6e" nicht schädigen, aber er arbeitete in der Weise,
daß er trockene Bakterien mit diesem Stoffe 2 Tage lang auszog imd
den eingedunsteten Extrakt in Bouillon aufgelöst mit agglutinierendem
Serum versetzte imd auf Niederschlagsbildung prüfte. Die letztere kann
übrigens nur dann auf das Vorhandensein agglutinierbarer Substanz bezogen
werden, wenn man diese der ,,präzitierbaren" Substanz gleichsetzt. Vieles
spricht allerdings dafür (s. u. §. 342). Auch nach Pick, Kraus und
V. Pirquet enthält die präzipitierbare Substanz alkohollösliche Be-
standteile.
Vieldeutig erscheint zunächst die von B o r d e t ^) zuerst fest-
gestellte und dann von Nolf, Joes, Friedberger^), Eisen-
berg und Volk, Porges*) studierte Einwirkung der Salze und
anderer kristallisierbarer Körper (wie Zucker, Leuzin)
auf die Agglutination. Völliger Mangel derartiger Stoffe in der
Aufschwemmung verhindert sie, Zusatz selbst kleiner Mengen ruft sie
wieder hervor, höhere Konzentrationen hemmen oder verhindern sie eben-
falls, ohne daß aber eine nachträgliche Verdünnung die Hemmung be-
seitigte. Man hat sich diese Wirkungen verschieden erklärt. Nach Joes
und Po r g e s ist eine gewisse Menge Salz insofern nötig zur Agglutination,
1) Agglutinogene ohne agglutinierbare Gruppe würde man am besten
Agglutinogenoid nennen, wenn das Wort nicht zu fürchterlich klänge.
Agghitinoid, das Kraus vorschlägt, ist schon vergeben an die Abart
des Agglutinins, die eine bindende, aber keine agglutinierende Gruppe
besitzt. Inline weitere Verwicklung besteht darin, daß die bindenden Be-
standteile der Agglutinogene, wie wir oben gesehen, nicht völlig zusammen-
fallen mit den agglutinininerzeugenden. Wir haben hier wieder in ge-
wissem Sinne ähnliche Verhältnisse wie bei den Agressinen bzw. Lysino-
genen (§ 327).
2) Annal. Pasteur 1899.
3) Zentr. Bakt. 30, 1901.
4) Ebenda 40, 1903.
11 00 Kap. XVII, § 341.
als es in die Verbindung des Agglutinogens mit dem Agglutinin, die an sich
löslich ist, eintritt. Friedberger bestreitet das. Jedenfalls ist nach
J o o 8 und P o r g e s um so mehr Salz zum Eintritt der Agglutination
nötig, je mehr agglutinierbare Substanz und je weniger Agglutinin zur Ver-
fügung steht. Nach A s a k a w a soll die Unlöslichkeit des an Globulin
gebundenen Agglutinins in salzfreiem Wcbsser dessen Wirksamkeit bedingen.
Das stimmt aber schon nicht mit den sonst gemacht-en Erfahrungen über
die Fällbarkeit von Agglutininen.
Die Wirkungen der hohen Salzkonzentration sind auch deshalb schwer
zu erklären, weil sie je nach Art der Salze ungleich sind.
Zum Teil wird man nach Eisenberg und Volk eine Beeinflussung
der fällenden Gruppe des Agglutinins (Agglutinoidbildung), zimfi Teil eine
solche des Agglutinogens (Agglutinogenoidbildung) annehmen müssen.
Die Verhältnisse werden dadurch noch verwickelter, daß auch die
fertig agglutinierten Bakterien (am besten Agglutinate.
nicht Fräzipitate zu nennen) nachträglich nicht nur durch Erhitzen auf
70 — 100^, verdünnte Säuren, Alkalien, Formalin, sondern auch durch
konzentrierte Salze voneinander gelöst, „desagglutiniert" werden können.
Die Ähnlichkeit des Verhaltens des Agglutinats mit anderen kolloidalen
Niederschlägen liegt auf der Hand und ist eine wichtige Stütze für die
Identität der Agglutination mit der Präzipitation
(§ 342). Die Spezifizität der miteinander reagierenden Stoffe unterscheidet
aber die Agglutination und Präzipitation von den gewöhnlichen kolloidalen
Niederschlagsbildungen. Daß auch Bakterien durch nichtspe-
zifische Mittel agglutiniert werden können, ändert
daran natürlich nichts. Genannt werden als solche Chrysoidin (B 1 a c h -
stein, Engels^)), Saffranin und Vesuvin, Formalin (50%), Alkohol
(50%), Sublimat ( 1 %o )» Salizylsäure (M a 1 v o z »), B o s s a e r t »),
Kraus und Seng*), Hinterbergeir •)), Chinin, Antipyrin.
Atropin, Morphin, Chloralhydrat, Borsäure, Phenol, Gelatine, Glyzerin,
Organsäfte (Sabrazes \md Brengnes •)), Gununilösung (10%),
Stärkekleister (2%), (Trump p ')), GaUeund Taurocholsäure (Köhler •)),
verdünnte Säuren, Salze von Schwermetallen (M. N e i ß e r und Friede-
m a n n •)). Diese Agglutination wurde melu^ach, weil sie nicht alle
Bakterienarten gleichmäßig betraf, für spezifisch gehalten, die genauere
Nachprüfung zeigte aber in allen Fällen, daß davon nicht die Rede sein
kann. Wahrscheinlich ist oft an der Ausflockung der Bakterien nur der in
der Lösung durch die Chemikalien erzeugte Niederschlag schuld
(Kraus und Seng), wie ja schon Nicolle in Lösungen, die präzi-
pitable Bakteriensubstanz enthielten, durch präzipitierende Immunsera
nicht nur die zugehörigen Bakterien, sondern auch beliebige andere und
1) Zentr. Bakt. 21, 1897.
2) Annal. Pasteur 1897.
3) Ebenda 1898.
4) Wien. klin. Woch. 1899, 1.
5) Zentr. Bakt. 35, 1901.
6) Sog. biol. 25. XI. 1899.
7) Arch. f. Hyg. 33, 1898.
8) Münch. med. Woch. 1903. 32.
9) Ebenda 1904. 19.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1101
nicht belebte feinste Körperchen (Tusche) zur Agglutination brachte. Die
agglutinierende Wirk\ing der Gelatine soll nach Weil^) allerdings nach
einem ähnlichen Mechanismus (unter Bindung usw.) erfolgen wie die eigent-
liche Agglutination.
Interessant ist die von N e i ß e r und Friedemann festgestellte
Tatsache, daß mit Agglutinin beladene, gut ausgewaschene und daher in
destilliertem Wasser gleichmäßig aufschwemmbare Bakterien
durch den Zusatz von Schwermetallsalzen viel leichter agglutiniert werden
als normale Bakterien. Da die Agglutininbakterien auch durch geringe
Mengen von Salzen der Leichtmetalle ausgeflockt werden (s. o. S. 1099),
während das bei normalen Bakterien höchstens in starker Konzentration
der Fall ist, scheint es sich \un ein allgemeines Gesetz zu handeln: die
Agglutinine erhöhen die normale Ausflockungs-
fähigkeit durch Salze. Der Vergleich mit anderen durch Salze
agglutinierb€uren Suspensionen zeigt weiter, daß die normalen Bakterien
sich im großen und ganzen wie Eiweiß-, die Agglutininbakterien wie Mastix-
Arsentrisulfid und andere hjunnlose „inerte" Körper chen verhalten luid daß
die letzteren diirch Mischung mit eiweißartigen Stoffen (Gelatine, Blutegel-
extrakt, Senun, Bakterienextrakt) die Eigenschaften der ersteren an-
nehmen. Es macht also den Eindruck, als ob bei den
-'^ggl^tiiiiiit>akterien derartige „H emmungskörper'
die in den normalen Bakterien wirken, ausge-
schaltet seien. Auch durch Säuren und Alkohol sollen normale
Bakterien so verändert werden, daß sie durch die Salze der Leichtmetalle
ausgeflockt werden. Doch ist diese Eigenschaft nicht beständig. P o r g e s*)
bestätigte diese Befunde im wesentlichen*) und erhielt solche „spontan"
agglutinierenden Bakterien z. B. beim Bac. pneumoniae durch Auskochen
in saurer Lösung, beim Cholerabazillus oft schon dvwch längeres Kochen
in neutraler Lösung. Er glaubt geradezu, daß die Agglutinier-
barkeitder Bakterien von der Menge der in ihnen
erzeugtenProteine abhängig sei.
Man findet sogenannte freiwillige Agglutination
(Pseudoagglutination) von Bakterien, d. h. eine solche,
die in Kochsalzlösungen oder normalen Serumverdünnimgen, also bei
Gegenwart von Salz, nicht aber in destilliertem Wasser beobachtet wird,
nicht selten als zufälligen Befund bei einzelnen Stämmen aller
möglichen Bakterien, kann sie aber auch manchmal auf weniger eingreifende
Weise künstlich hervorrufen, z. B. durch Züchtung auf eiweißfreien Näh-
böden (K i r 8 t e i n *)) oder in Immunserum (Hamburger, Lauben-
heimer, Porges*)). Die freiwillig agglutinierenden Bakterien können
— aber brauchen es nicht zu tun — dem Einfluß des Agglutinins nebenbei
unterliegen, wie Bindungsversuche von P o r g e s und Prantschoff*)
1) Zentr. Bakt. 36 und 37.
2) Zentr. Bakt. 40. 134.
3) Ein näheres Eingehen auf die Beziehungen der Agglutination
zu kolloidalen Reaktionen liegt nicht in unserer Absicht. Man vgl. dazu
Porges a. a. O. und die S. 892 angegebene Literatur.
4) Zeitschr. f. Hyg. 46, 1904.
6) a. a. O.
6) Zentr. Bakt. 41.
1102 Kap. XVII, § 341 u. 342.
und eigene Erfahrungen beweisen. Die Agglutinationsprüfung ist natürlich
bei ihnen erheblich erschwert. Nach Porges und Prantschoff
gelingt es, die Pseudoagglutinierbarkeit solcher Kulturen dadurch vorüber-
gehend auszuschalten, daß man sie kurze Zeit auf 80° erhitzt. Uns selbst
ist das leider nicht geglückt. Einen anderen Nachteil hat die Methode auch
deshalb, weil sie in manchen Fällen die Agglutinierbarkeit durch Agglutinint*
gleichzeitig aufhebt. Die großen Schwankiuigen, die bezüglich des Vor-
kommens der freiwilligen Agglutinierbarkeit beobachtet werden, machen
es übrigens vm wahrscheinlich, daß es sich hier um eine Verarmxuig an Eiweiß
handelt. Wir selbst haben sie in einer Analyse an Ruhrbazillen nicht ge-
funden. Eher mag ein unbekannter in geringer Menge gebildeter Stoff an
dieser Erscheinung beteiligt sein.
Die Agglutinierbarkeit durch Immunserum wird, wie man sieht,
nicht bloß durch äußere Eingriffe beeinflußt, sondern ist auch eine
Eigenschaft, die je nach der Herkunft der Bakterien und ihrer
Stammes- bzw. Arteigentümlichkeit wechselt. Neben dem eben be-
sprochenen freiwillig agglutinierbaren kommen nicht oder schwer
agglutinierbare Stämme, z. B. bei Typhusbazillen
vor. Manche frisch von Typhusfällen oder aus Wasser gezüchtete
Kulturen zeigen diese Eigenschaft (Widal und Sicard, Sac-
quepeei), Remy^), Nicolle und Trenel»), P. Th. Müller*))
Häufig gewinnen die Bazillen ihre normale Agglutinierbarkeit früher
oder später wieder.
Nach B a i 1 *) sind z. B. xmmittelbar aus der Bauchhöhle von Meer-
schweinchen entnommene „Exsudatbakterien" kaum agglutinierbar, die
erste Kulturgeneration aber schon wieder in gewöhnlicher Weise. Züchtung
bei 42^ vermindert nach Ni c o 1 1 e imd Tr6nel') u. a. gleichzeitig die
Beweglichkeit und die Agglutinierbarkeit der Typhusbazillen, ebenso
Züchtung des Prodigiosus bei 37° nach Kirstein gleichzeitig Farb-
bildungsvermögen und Agglutinierbarkeit. Nach Streit') sind die üp-
pigen schleimbildenden Kulturen der Aerogenesgruppe durclischnittlich
weniger agglutinabel als die dünner wachsenden. Allerdings zeigen aucli
die letzteren immer noch einen gewissen Widerstand gegen die Agglutination
(8. 1088).
Als eine Angewöhnung der Bakterien an Agglu-
tinine oder vielleicht besser als Immunisierung
1) Annal. Pasteur 1901.
2) Ebenda 1901.
3) Ebenda 1902.
4) Münch. med. Woch. 1903. 2.
5) Prag. med. Wocli. 1901. 7 und 12.
6) a. a. O. bestätigt von Eisenberg und für Colibazillen von
du K o s 8 i , Zentr. Bakt. 37. 113; vgl. auch D e f a 1 1 e (bewegliche und
woniger bewegliche Abart des Bac. mycoides S. 1089). Erfolglose Versuche
in derselben Richtung machte Kirstein.
7) Zentr. Bakt. 40.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1103
{ § 330) gegen dieselben ist die Verringerung der Agglutinier barkeit
zu betrachten, die R a n s o m und Katashima^), Bail'),
Walker*), P. Th. Müller, Laubenheimer*), Kirstein,
Morello*), Marshall und K n o x •) bei Züchtung von Cholera-
und Typhus-, Pyocyaneus-, Pseudodysenteriebazillen in mit Zusatz von
agglutinierendem Serum versehenen Nährböden beobachteten. Daß dieser
Erfolg dabei nicht immer, sondern ausnahmsweise selbst Steigerung der
Agglutinierbarkeit (Tarchetti'), gelegentlich auch freiwillige Agglu-
tinierbarkeit auftrat, sei nebenbei bemerkt.
Nicht immer sind leider die übrigen Eigenschaften der Bakterien,
das Immunisierungs- und Bindimgsvermögen bei diesen bezüglich der
Agglutinierbarkeit in der einen oder anderen Richtung von der Norm
abweichenden Bakterien geprüft worden. Schon die vorliegenden
— meist früher erwähnten — . Angaben zeigen aber, daß feste Be-
ziehungen zwischen den drei Eigenschaften nicht
vorhanden sind.
So fanden z. B. Pfeiffer und Friedberger (S. 1047) bei
virulenten Cliolerabazillen geringere Agglutinierbarkeit, stärkeres Agglu-
tininbindungs- und Bildungsvermögen als bei abgeschwächten, Händel
(S. 1048) bei stark abgeschwächten Cholerakuren Erhaltiuig der Agglu-
tinierbarkeit und der Bindekraft, aber Verlust der Immunisierungsfähigkeit,
Eisenberg und Volk bzw. Wassermann bei manchen Typhus-
bazillen völligen Verlust der Agglutinierbarkeit und Erhaltung des Binde-
bzw. Bildungsvermögens, C o 1 e *) umgekehrt bei Typhusbazillen gleich-
zeitig Steigerung der Agglutinierbarkeit und des Bindungsvermögens.
Letzteres scheint häufiger vorzukommen als erst eres (vgl. B a i 1 ,
Müller).
§ 342. Präzipitogene. Bald nach der Entdeckung der Agglu-
tination oder Ausflockung der Bakterien erfolgte die der Präzipitation
oder Fällung ihrer gelösten Produkte durch ß. Kraus®).
Zunächst zeigte sich, daß ältere Bouillonfiltrate von
Typhus-, Cholera-, Pestbazillen diu'ch Zusatz der zugehörigen s])ezifischen
Immunseren, und zwar nur durch solchen etwa im Verhältnis von 5 : 1 — 0, 1 cm,
nach kürzerer oder längerer Zeit, manchmal erst in 24 — 48 Stunden getrübt
^^'^l^den und Niederschläge absetzten. Nicht alle Bakterien und Immunseren
1) Deutsch, med. Woch. 1898. 293.
2) Arch. f. Hyg. 42, 1902.
3) Ref. Zentr. Bakt. 32.
4) Dissert. Gießen 1903.
5) Annali d'igiene 1904.
6) Joum. of medic. research. 15, 1906.
7) Bei Pal tauf a. a. O. S. 756.
8) Zeitschr. f. Hyg. 46.
9) Wien. klin. Woch. 1897. 32; ebenda 1901, 29; Zeitschr. f. Heilk.
23, 1902; „Über spezifische Niederschläge" in K o 1 1 e - W a s s e r -
mann 8 Handb. 4. 592—644,
1096 Kap. XVII, § 339 u. 340.
chemischer oder physikaUscher Natur sei. Wir entscheiden uns wegen
der Spezifizität der Bindung für die erstere.
Wie Bordet selbst hervorhebt, ist der Streit insofern müßig, als wir
über das Zustandekommen der sogenannten physikalischen Absorption nichts
Sicheres wissen. Allgemeines Einverständnis herrscht auch darüber, daß
sich die Antikörper bzw. Agglutinine anim großen Teil so fest an die Bak-
terien binden, daß man cui eine chemische Bindung denken muß. Selbst
Arrhenius^), der wie Eisenberg') die Aufnahme der Agglu-
tinine in die Bakterien als einen „Verteilungsvorgang" zwischen zwei
Löbungsmitteln auffaßt, welcher vom Guldberg-Waage sehen
Gesetz des chenüschen Gleichgewichts beherrscht sei und sich in eine ein-
fache mathematische Formel*) fassen lasse, läßt eine nachträgliche
chemische Bindung zu. Von vornherein ist auch natürlich keine Ein-
wendung dagegen zu erheben, daß man die Erfahrungen der „Kolloid-
chemie ^* auf die Beziehungen der Antigene zu den Immunkörpern« die
beide zu den Kolloiden gehören, anwendet^) und die Niederschlagsbil-
dungen der Kolloide mit den Agglutininen imd Präzipitinen der Bak-
terien und Bakterienstoffe vergleicht (s. u. § 341). Aber gerade die Bin-
dung der letzteren an die Agglutinine und übrigen Immunkörper hat trotz
einiger Ähnlichkeiten in den quantitativen Verhältnissen etwas Be-
sonderes an sich, nämlich die Arteigentümlichkeit, die „Spezifizi-
tät**. Wir erklären sie uns am einfachsten mit bestimmten chemischen
Verwandtschaften oder wie Ehrlich es macht, durch das
Vorhandensein von haptophoren (bindenden) Gruppen. Man wird dabei
nach den früheren Feststellungen über die Trennbarkeit der Agghitinin-
verbindungen (S. 1092) mit Joos*) vermuten dürfen, daß die Verwandt-
schaft der zahlreichen Bindegruppen der Bakterien (S. 1094) zu den Agglu-
tininen teils stärker, teils schwächer ist, gleichgültig ob man sich den B^
hauptungen dieses Forschers über die Mitbeteiligung anderer Bestandteile
(Salze) an der Verbindung anschließt oder nicht (§ 340).' Der Zukunft
überlassen bleiben muß es, ob es gelingen wird, für die Agglutinogene
ähnliche ,, Spektren" zu entwerfen, wie es Ehrlich für die giftigen
Antigene getan hat ( § 264). Dazu wäre vor allem ein genaueres Stu-
dium der Bindekraft der gelösten Agglutinogene
(s. o. S. 1091), und um sie studieren zu können, ihre vollständige
Gewinnung aus den Bakterienleibern nötig. In den
Bouillonfiltraten, selbst aus sehr alten Kulturen, ebenso wie in den Leiber-
extrakten gewinnt man immer nur einen Teil der Agglutinogene in freiem
Zustande*). Die alleinige Prüfung auf Agglutinierbarkeit kann allerdings
Täuschungen verursachen, weil diese, z. B. durch Erhitzung, verloren gehen,
die Bindekraft erhalten bleiben kann (§ 341). Man wird daher, um die
1) Zeitschr. physikal. Chem. 46, 1904.
2) Zentr. Bakt. 34.
3) Einwendungen gegen diese Formel s. bei N e i ß e r , Zentr. Bakt.
36, 1904.
4) Vgl. S. 892 und die Lit. daselbst.
5) Zeitschr. f. Hyg. 36 und 40.
6) Vgl. Eisenberg und Volk im Gegensatz zu M a 1 v o z und
N i c o 1 1 e. S. die ähnlichen Verhältnisse bei den Angriffsstoffen S. 1029.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1097
Agglutinogene in Freiheit zu setzen, mir die Methoden anwenden dürfen,
bei denen die Bakterienleiber vollständig und ohne Benutzung von Chemi-
kalien oder höherer Temperatur aufgelöst werden. Nebenbei bemerkt
\«ürde an derartigen Lösungen vielleicht auch die Frage entschieden werden
können, ob die homologen und heterologen Nebenagglutinine (S. 1090/1)
Seitenketten an demselben Kern sind wie die Hauptagglutinine oder
besondere Stoffe.
§ 340. Veränderungen des Bindungsvermögens der Agglu-
tinogene. Das Bindungsvermögen der Agglutinogene scheint im
allgemeinen gegen künstliclie Eingriffe eher noch widerstandsfähiger
zu sein als das immunisierende (vgl. aber S. 1058).
So gelang es Scheller (S. 1086), die nach Joos Vorgang her-
gestellten a- und J5-Agglutinine sowohl durch unerhitzte als durch erhitzte
Ty-phusbazillen zu absorbieren. Gekochte Bazillen erwiesen sich sogar mit
stärkerem Bindungsvermögen begabt als die anderen. Letzteres kann
freilich nicht regelmäßig sein, denn nach Eisenberg und Volk
schädigt die Erhitzung, wenn sie über 58® hinausgeht, das Bindungs ver-
mögen der Typhusbazillen (im feuchten Zustand) in ziemlich gleicher Weise,
ob sie nun 65,100 oder 144® erreicht^). Aus konzentriertem Serum wird dann
von ihnen kaum die Hälfte der Agglutininmenge entzogen, als wenn sie
anerhitzt sind. Bei hohen Serumverdünnungen treten die Unterschiede
zurück. Behandlung mit verdünnter Salzsäure vernichtet ebensowenig
das Agglutininbildungs- wie das Bindungsvermögen. Ähnliche Versuche
mit gelösten Agglutinogenen fehlen, abgesehen von den schon früher er-
wähnten de R o s 8 i s *), als Ersatz können auch nicht die mit Präzipi-
tinogenen gemachten Erfahrungen dienen, da sie im wesentlichen nur die
Fällbarkeit oder Löslichkeit in Alkohol u. dgl. betreffen.
Weit größere Unterschiede im Bindimgsvermögen ergeben sich
beim Vergleich verschiedener Stämme einer imd deselben Bakterien-
art, mögen sie natürliche oder künstliche Abarten sein. Das hat sich
z. B. bei Typhus-, Paratyphus-, Cholera-, Dysenterie- und Pseudo-
dysenteriebazillen gezeigt. Die Versuche, feste Beziehungen zwischen
der inmnmisierenden und bindenden Fähigkeit oder auch der Virulenz
der einzelnen Stämme aufzustellen, sind, wie wir schon früher sahen
(S. 1058, 1090), zum großen Teil gescheitert. Wenn man überhaupt von
einer Regel sprechen darf, so hat sie jedenfalls viele Ausnahmen.
So wird man sich auch nicht wundem können, wenn gelegentlich')
das früher von uns aufgestellte Gesetz (S. 1091), nach dem im Castel-
1) Bei den von de Rossi (s. o. S. 1089) studierten Heubazillen
wird das Agglutininbindungs- luid Bildungsvermögen schon bei 62° zum
größten Teil zerstört (Zentr. Bakt. 40. 702, 1906).
2) Vgl. Anm. 1.
3) Posselt imd Sagasser, Wien. klin. Woch. 1903; Zup-
nik imd Posner, Prag. med. Woch. 1903; Ketsch und Lentz,
Festschrift für Koch, 1904.
1098 Kap. XVII, § 340 u. 341.
1 a n i sehen Versuch die sämtliclien Agglutinino durch den StAmtn, dor
sie erzeugt hat, abgesättigt werden, durchbrochen wird und z. B. dio
(heterologen) Xebenagglutinine dabei nicht verschwinden. Man winl
unter diesen Umständen hier wie im Falle der Toxine (§ 279) und
Aggressine (§ 327) den immunkörperbindenden und immunisierenden
Bestandteil des Agglutinogens nicht einfach identifizieren dürfen,
sondern in der früher angegebenen Weise zu Hilfsvorstellungen greifen
müssen.
§ 341. Agglutinierbarkeit. Mit dem Agglutininbildungs- und
-bindungsvermögen sind aber noch nicht alle Eigenschaften der Agglu-
tinogene erschöpft, denn aus ihnen folgt noch nicht ohne weiteres die
Fähigkeit der Bakterien, durch die Agglutinine zu „verkleben", zu
„verklumpen", „auszuf locken", ihre Agglutinierbarkeit. Die
letztere Eigenschaft ist vielmehr in weitem Maße imabhängig von den
ersteren.
Xachgewierfen wurde das zuerst durch Eisenberg und Volk,
die beobachteten, daß (feuchte) Typhusbazillen nach halbstündigem Er-
hitzen auf 58° normale Bindungs- und Agglutinationsverhältni&se, aber nach
Anwendung höherer Temperaturen, insbesondere von 100°, nur noch Spuren,
nach solchen von 144° überhaupt keine Agglutinierbarkeit melir zeigen,
während ihr Bindungsvermögen durch Temperatiu'en über 58° gleichmäßig
und lange nicht in demjelben Grade geschädigt wird. Bei Cliolera-
bazillen wurde freilich selbst durch Erhitzung auf 170° weder Bindxmg^wert
noch Agglutinierbarkeit erheblich herabgesetzt^), dagegen büßten sie die
letztere zum größten Teil — die lYphusbazillen vollständig — ein, wenn
sie in 0,4 — 10 prozentiger Salzsäure eine Stiuide bei 37° gehalten und
durch nachher vorgenommene Neutralisierung von einer weitergehenden
Säurewirkung geschützt wurden*).
Eisenberg und Friedberger unterscheiden daher am
Agglutinogen eine „bindende" imd „fällbare" Gruppe („agglutinier-
bare Substanz"), und schreiben der letzteren eine geringere, aber je
1) Porges (Zeitschr. f. exper. Path. 1, 1905) fand dagegen, daß
Typhus- und Cliolerabazillen zwischen 65° imd 90° ihre Agglutinierbarkeit
verlieren, sie aber bei 100 — 144° wiedergewinnen. Ein hemmender Stoff
(Jsuklein?), dessen Einwirkung durch konzentrierte Kochsalzlösung be-
hoben werden kann, soll daran schuld sein; vgl. übrigens die ähnlichen
Verhältnisse bei der Verdaulichkeit § 10.
2) Wassermann (Zeitschr. f. Hyg. 42) bestätigt diesen Befund.
Xacli Weil liegt das Optimum der Agglutinierbarkeit für Typhusbazillen
>>ei 52 — 55°, bei 65° wird sie aufgehoben. Außer Cholerabazillen vertragen
auch Staphylokokken selbst das Erhitzen auf 100° (Zentr. Bakt. 36 n.
37). Vgl. auch de Rossis Heubazillen S. 1089. Bei diesen besteht ein
gewisser Zusammeiiliang zwischen Agglutinierbarkeit und dem Zust^ind
der Geißeln. Daß die Ueißeln selbst bei der Agglutination imverändert
bleiben, zeigten d e R o s s i (Zentr. Bakt. 36. 689) und Hinterberger
(ebenda 45).
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1099
nach der Bakterienart wechselnde Widerstandsfähigkeit gegen schäd-
liche Einflüsse zu^).
Angeregt wurden die beiden Forscher zu diesen Untersuchungen diurch
Angaben von W i d a 1 und Sicard, van de Velde, Malvoz
und N i c o 1 1 e über das Ausbleiben der Agglutination bei Bakterien, die
durch Hitze oder Aufenthalt in älteren Kulturen verändert waren. Letzteres
konnten Eisenberg und Volk zwar nicht bestätigen, es kann aber
doch wohl in anderen Fällen zu recht bestehen.
Kälte, Formalin, SubHmat, Chloroform, Thymol u. a. m. sind nach
den oben genannten Forschem ohne Einfluß auf die agglutinierbare Sub-
stanz. Jedoch hat S e 1 1 e r in meinem Laboratorium gefunden, daß
Formalinzusatz zu Typhusbazillenkulturen — in Form des F i c k e r sehen
„Typhusdiagnostikums" — doch deren Agglutinierbarkeit in gewissem
Grade beeinträchtigt. In konzentrierten Gaben und bei längerer Ein-
wirkung werden wohl alle Antiseptika die agglutinierbare Substanz nicht
unberührt lassen. Daß der Alkohol sogar die immunisierende Fälligkeit der
Agglutinogene unter diesen Umständen zerstört, haben wir schon früher
mitgeteilt (S. 1088). Nach N i c o 1 1 e soll allerdings Alkohol und Äther
die ,,sub8tance agglutinöe" nicht schädigen, aber er arbeitete in der Weise,
daß er trockene Bakterien mit diesem Stoffe 2 Tage lang auszog und
den eingedunsteten Extrakt in Bouillon aufgelöst mit agglutinierendem
Serum versetzte und auf Niederschlagsbildung prüfte. Die letztere kann
übrigens nur dann auf das Vorhandensein agglutinierbarer Substanz bezogen
werden, wenn man diese der ,,präzi tierbaren'* Substanz gleichsetzt. Vieles
spricht allerdings dafür (s. u. §. 342). Auch nach Pick, Kraus und
V. Pirquet enthält die präzipitierbare Substanz alkohollösliche Be-
standteile.
Vieldeutig erscheint zunächst die von B o r d e t *) zuerst fest-
gestellte tmd dann von Nolf, Joos, Friedberger'), Eisen-
berg ouid Volk, Porges*) studierte Einwirkung der Salze und
anderer kristallisierbarer Körper (wie Zucker, Leuzin)
auf die Agglutination. Völliger Mangel derartiger Stoffe in der
Aufschwemmung verhindert sie, Zusatz selbst kleiner Mengen ruft sie
wieder hervor, höhere Konzentrationen hemmen oder verhindern sie eben-
falls, ohne daß aber eine nachträgliche Verdünnung die Hemmung be-
seitigte. Man hat sich diese Wirkungen verschieden erklärt. Nach Joos
und Po r g e s ist eine gewisse Menge Salz insofern nötig zur Agglutination,
1) Agglutinogene ohne agglutinierbare Gruppe würde man am besten
Agglutinogenoid nennen, wenn das Wort nicht zu fürchterlich klänge.
Agglutinoid, das Kraus vorschlägt, ist schon vergeben an die Abart
des Agglutinins, die eine bindende, aber keine agglutinierende Grup]^e
V)esitzt. Sine weitere Verwicklung besteht darin, daß die bindenden Be-
standteile der Agglutinogene, wie wir oben gesehen, nicht völlig zusammen-
fallen mit den agglutinininerzeugenden. Wir haben hier wieder in ge-
wissem Sinne ähnliche Verhältnisse wie bei den Agressinen bzw. Lysino-
genen {§ 327).
2) Annal. Pasteur 1899.
3) Zentr. Bakt. 30, 1901,
4) Ebenda 40, 1903.
1108 Kap. XVII, § 343.
folgende aber erst von B o r d e t und 6 e n g o u *) durch Anwendung
einer bestimmten Methodik entdeckt worden.
Diese ist seitdem fast ausschließlich zum Nachweis der Reagine iind
Keaginogene genutzt worden und besteht darin, daß die Mischung der be-
treffenden Immunseren und Antigene mit komplementhaltigem, d. h.
frischem Normalserum, z. B. von Meerschweinchen, in Berührung gebracht
und dann mit gewaschenen roten Blutkörpern (z. B. vom Hammel) und
einem dagegen gerichteten hämolytischen Ambozeptor (Serum von Ka-
ninchen, (lie mit Hammel blutkörpem behandelt worden sind) versetzt wird.
Die Reaginogen-Keaginverbindung entfernt das Komplement aus dem
hämolytischen System (Komplement -f Ambozeptor -f Blutkörper) und
verhindert oder hemmt dfikdiu-ch die Hämolyse. Statt der von B o r d e t
und G e n g o u ursprünglich benutzten Bakterienleiber emp-
fehlen Wassermann und Brück') Schüttelextrakte
lebender Bakterien ; L e u c h s und Schöne*) erhielten aber noch
bessere Ergebnisse, wenn sie die Bakterien erst 6 — 24 Stunden auf 60"
erhitzten und dann bei Zimmertemperatur 24 — 48 Stunden schüttelten.
Altmann*) mit Antiforminauflösungen (§ 12).
Crendiropoulo ^) zeigte, daß das Immunserum, wenn es mit
t<»ten oder lebendigen Cholerabazillen in Berührung gebracht worden ist.
nicht nur in dem Teil, der sich an die Bazillenleiber gebunden hat und durch
Zentrifugieren zu gewinnen ist, die Komplementablenkung vollzieht, son-
dern auch in dem darüber stehenden gelösten Anteil. Offenbar entzieht
es den Bakterien einen Teil der mit ihm zusammen wirkenden Reasri-
nogene. Die Bindung des Komplements erfordert eine
gewisse Zeit.
Statt des gewöhnlich benutzten hämolytischen Systems kann man
auch ein anderes, statt eines hämolytischen auch ein bakteriolytisches
wählen (B o r d e t und Gengou, Neufeld luid Händel s. u.).
statt des Meerschweine) lenserums das Normalserum eines anderen Tieres
benutzen luid die Bindung des Komplementes, statt wie gewöhnlich bei 37 •,
in der Kälte vornehmen (Neuf eld und Händel), um festzustellen,
welcher Art die Komplemente sind, die von der
Antigen-Immunkörperverbindung verankert wer-
den. Bisher sind aber solche Versuche nur in kleinem Umfange vorge-
nommen worden.
Läßt man bei dieser oder jener Anordnung das Immunserum fort, so
erhält man keine Hemmung der Hämolyse, vorausgesetzt, daß man nicht
zu große Mengen des Antigens nimmt, denn wie gesagt, binden größere
Mengen von Bakterien bzw. Bakterienstoffen ebenfalls Komplement*).
1) Annal. Pasteur 1901.
2) Med. Klinik 1905. 55.
3) Zoitschr. f. Hyg. 60, 1908 mit Litesratiu*; vgl. auch Axarait,
Zentr. Bakt. 42: Weil vmd Axamit, Berl. klin. Woch. 1906. 53.
4) Zentr. Bakt. 54, 1910.
5) Annal. Pasteur 1909.
6) Auch von Immunserum gilt das häufig. Es sind daher immer
Kontrollen mit abgestuften Giengen von Antigenen bzw. Imraunsenun
anzusetzen. Diese dienen auch dazu, etwa bestehende hämolytische Wir-
kungen dos Antigens selbst (s. Bakterienhämolysine § 312) festzustellen.
Angriff rt-y Reiz- und Impfstoffe. 1109
Je nach der Bakterienart, deren Immunserum und wahrschein-
lich auch der Darstellungsart der Bakterienpraparate wechselt das
Mengenverhältnis, in dem diese ohne und mit Serum (hämolytisches)
Komplement ablenken. Einen ziemlich geringen Unterschied (1 : 2—3)
haben wir selbst bei Versuchen mit dem Dysenteriebazillus, A x a m i t
und Crendiropuoulo bei solchen mit dem Cholerabazillus ge-
funden, sehr viel bedeutendere, a. B. L e u c h s und Schöne, beim
Typhnsbazilius. Ob die Komplementbindung durch große Mengen von
Bakterienstoffen, die man auch eine nichtspezifische nennen könnte,
wesensgleich ist der spezifischen, die durch kleine Mengen dieser Stoffe
mit Immiuiserum zusammen ausgeübt wird, bleibt noch strittig (§ 325).
Die Ehrl ich sehe Schule spricht, wie wir sahen, im ersteren Fall von
Absorption, im letzteren von chemischer Bindung, läßt auch das Kom-
plement nicht unmittelbar an die Bakterienstoffe, sondern an die
Immunkörper herantreten, die mit je einer bindenden Gruppe für das
Antigen und das Komplement ausgestattet sein sollen („Ambozep-
toren"). B o r d e t erklärt umgekehrt den Einfluß der Immunkörper
nur als eine Begünstigung der Komplementaufnahme durch die Anti-
gene. Wir möchten dem beistimmen, während wir mit Ehrlich
der Ansicht zuneigen, daß Immunkörper und Antigen sich hier rie
überall durch bindende Gruppen vereinigen. Dadurch wird ja die
Spezifizität der Bakterien genügend gewährleistet.
Was die Beschaffenheit der spezifischen Reaginogene anlangt, so
scheinen sie ebenso widerstandsfähig, z. B. gegen Erhitzen, Antiformin
zu sein vne die nichtspezifischen komplementbindenden Bakterien-
stoffe, lassen sich auch in der gleichen Weise wie die meisten anderen
Antigene aus den Bakterien darstellen*). Das erschwert natürlich die
Entscheidimg der Frage, ob die Reaginogene eigenartige Stoffe sind
oder mit anderen Antigenen zusammenfallen. Am nächsten liegt es,
die B o r d e t sehen Ambozeptoren den bakterioljrtischen und ihre
Antigene den Ijrsinogenen — mit anderen Worten im wesentlichen
unseren Aggressinen — gleichzustellen. Das hat man darum oft getan
und dementsprechend mittelst des Bordet-Gengou sehen Kom-
plementablenkungsverfahrens auch die Schutzkraft von Immunseren
zu bestimmen gesucht. Bei näherer Prüfung haben sich aber aller-
hand Widersprüche ergeben: es besteht durchaus kein Parallelismus
zwischen Komplementbindungsvermögen imd lytischer Kraft der Seren
1) Ob die Lösliehkeit in 85% Alkohol, die nach Levaditi und
Mutermilch (Soc. biol. 1908) für die Reaginogene der Cholera be-
steht, ein sie besonders auszeichnendes Merkmal ist, wäre noch auszu-
machen. Über Alkohollöftlichkeit von Antigenen s. o. S. 1106.
1096 Kap. XVII, § 339 u. 340.
chemischer oder physikalischer Natur sei. Wir entscheiden uns wegen
der Spezifizität der Bindung für die erstere.
Wie B o r d e t selbst hervorhebt, ist der Streit insofern müßig, als wir
über das Zustandekommen der sogenannten physikalischen Absorption nichts
Sicheres wissen. Allgemeines Einverständnis herrscht auch darüber, daß
sich die Antikörper bzw. Agglutinine zum großen Teil so fest an die Bak-
terien binden, daß man an eine chemische Bindung denken muß. Selbst
Arrhenius '), der wie Eisenberg •) die Aufnahme der Agglu-
tinine in die Bakterien als einen „Verteilungsvorgang" zwischen zwei
Löbungsmitteln auffaßt, welcher vom Guldberg-Waage sehen
Gesetz des chemischen Gleichgewichts beherrscht sei und sich in eine ein-
fache mathematische Formel') fassea lasse, läßt eine nachträgliche
chemische Bindimg zu. Von vornherein ist auch natürlich keine Ein-
wendung dagegen zu erheben, daß man die Erfahrungen der „Kolloid-
chemie" auf die Beziehungen der Antigene zu den Immunkörpern, die
beide zu den Kolloiden gehören, anwendet*) und die Niederschlagsbil-
dungen der Kolloide mit den Agglutininen und Präzipitinen der Bak-
terien und Bakterienstoffe vergleicht (s. u. § 341). Aber gerade die Bin-
dung der letzteren an die Agglutinine und übrigen Immunkörper hat trotz
einiger Ähnlichkeiten in den quantitativen Verhältnissen etwas Be-
sonderes an sich, nämlich die Arteigentümlichkeit, die „Spezifizi-
tät'*. Wir erklären sie uns am einfachsten mit bestimmten chemischen
Verwandtschaften oder wie Ehrlich es macht, durch das
Vorhandensein von haptophoren (bindenden) Gruppen. Man wird dabei
nach den früheren Feststellungen über die Trennbarkeit der Agglutinin-
verbindungen (S. 1092) mit Joes*) vermuten dürfen, daß die Verwandt-
schaft der zahlreichen Bindegruppen der Bakterien (S. 1094) zu den Agglu-
tininen teils stärker, teils schwächer ist, gleichgültig ob man sich den Be-
hauptungen dieses Forschers über die Mitbeteiligung anderer Bestandteile
(Salze) an der Verbindung anschließt oder nicht (§ 340).* Der Zukunft
überlassen bleiben muß es, ob es gelingen wird, für die Agglutinogene
ähnliche „Spektren" zu entwerfen, wie es Ehrlich für die giftigen
Antigene getan hat ( § 264). Dazu wäre vor allem ein genaueres Stu-
dium der Bindekraft der gelösten Agglutinogene
(s. o. S. 1091 ), und um sie studieren zu können, ihre vollständige
Gewinnung aus den Bakterienleibern nötig. In den
Bouillonfil traten, selbst aus sehr alten Kulturen, ebenso wie in den Leiber-
extrakten gewinnt man immer nur einen Teil der Agglutinogene in freiem
Zustande*). Die alleinige Prüfung auf Agglutinierbarkeit kann allerdings
Täuschungen verursachen, weil diese, z. B. durch Erhitzung, verloren gehen,
die Bindekraft erhalten bleiben kann (§ 341). Man wird daher, um die
1) Zeitschr. physikal. Cliem. 46, 1904.
2) Zentr. Bakt. 34.
3) Einwendungen gegen diese Formel s. bei N e i ß e r , Zentr. Bakt.
36, 1904.
4) Vgl. S. 892 imd die Lit. daselbst.
5) Zeitschr. f. Hyg. 36 und 40.
6) Vgl. Eisenberg imd Volk im Gegensatz zu M a 1 v o z und
N i c o 1 1 e. S. die ähnlichen Verhältnisse bei den Angriffsstoffen S. 1029.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1097
Agglutinogene in Freiheit zu setzen, mu* die Methoden anwenden dürfen,
*>ei denen die Bakterienleiber vollständig und ohne Benutzung von Chemi-
kalien oder höherer Temperatur aufgelöst werden. Nebenbei bemerkt
würde an derartigen Lösungen vielleicht auch die Frage entschieden werden
können, ob die homologen und heterologen Nebenagglutinine (S. 1090/1)
Seitenketten an demselben Kern sind wie die Hauptagglutinine oder
bcssondere Stoffe.
§ 340. Veränderungen des Bindungsvermögens der Agglu-
tinogene. Das Bindungsvermögen der Agglutinogene scheint im
allgemeinen gegen künstliche Eingriffe eher noch widerstandsfähiger
zu sein als das immunisierende (vgl. aber S. 1058).
So gelang es Scheller (S. 1086), die nach Joes Vorgang her-
gestellten a- und ^-Agglutinine sowohl durch unerhitzte als durch erhitzte
Typhusbazillen zu absorbieren. Gekochte Bazillen erwiesen sich sogar mit
stärkerem Bindungsvermögen begabt als die anderen. Letzteres kann
freilich nicht regelmäßig sein, denn nach Eisenberg und Volk
schädigt die Erhitzung, wenn sie über 58^ hinausgeht, das Bindungs ver-
mögen der Typhusbazillen (im feuchten Zustand) in ziemlich gleicher Weise,
ob sie nun 65,100 oder 144° erreicht^). Aus konzentriertem Serum wird dann
von ihnen kaum die Hälfte der Agglutininmenge entzogen, als wenn sie
anerhitzt sind. Bei hohen Senimverdünnungen treten die Unterschiede
zimick. Behandlung mit verdünnter Salzsäure vernichtet ebensowenig
das Agglutininbildungs- wie das Bindungsvermögen. Ähnliche Versuche
mit gelösten Agglutinogenen fehlen, abgesehen von den schon früher er-
wähnten de K o s s i s *), als Ersatz können auch nicht die mit Präzipi-
tinogenen gemachten Erfahrungen dienen, da sie im wesentlichen nur die
Fällbarkeit oder Löslichkeit in Alkohol u. dgl. betreffen.
Weit größere Unterschiede im Bindungsvermögen ergeben sich
beim Vergleich verschiedener Stämme einer und deselben Bakterien-
art, mögen sie natürliche oder künstliche Abarten sein. Das hat sich
z. B. bei Typhus-, Paratyphus-, Cholera-, Dysenterie- imd Pseudo-
dysenteriebazillen gezeigt. Die Versuche, feste Beziehungen zwischen
der immunisierenden und bindenden Fähigkeit oder auch der Virulenz
der einzelnen Stämme aufzustellen, sind, wie wir schon früher sahen
(S. 1058, 1090), zum großen Teil gescheitert. Wenn man überhaupt von
einer Regel sprechen darf, so hat sie jedenfalls viele Ausnahmen.
So wird man sich auch nicht wundem können, wenn gelegentlich')
das früher von uns aufgestellte Gesetz (S. 1091), nach dem im Castel-
1) Bei den von de Rossi (s. o. S. 1089) studierten Heubazillen
wird das Agglutininbindungs- und Bildimgs vermögen schon bei 62® zum
größten Teil zerstört (Zentr. Bakt. 40. 702, 1906).
2) Vgl. Anm. 1.
3) P o s s e 1 1 tmd Sagasser, Wien. klin. Woch. 1903; Z u p -
n i k und P o s n e r , Prag. med. Woch. 1903 ; Ketsch und L e n t z ,
Festschrift für Koch, 1904.
1098 Kap. X\m, § 340 u. 341.
1 a n i sehen Versuch die sämth'chen Agghitinine durch den Stamm, der
sie erzeugt hat, abgesättigt werden, durchbrochen x^-ird und z. B. die
(heterologen) Nebonagghitinine dabei nicht verschwinden. Man winl
unter diesen Umständen hier wie im Falle der Toxine (§ 279) und
Aggressine (§ 327) den imraunkörperbindenden und immunisierenden
Bestandteil des Agglutinogens nicht einfach identifizieren dürfen,
sondern in der früher angegebenen Weise zu Hilfsvorst^llungen greifen
müssen.
§ 341. Agglutinier barkeit. Mit dem Agglutininbildungs- und
-bindungsvermögen sind aber noch nicht alle Eigenschaften der A^lu-
tinogene erschöpft, denn aus ihnen folgt noch nicht ohne weiteres die
Fähigkeit der Bakterien, durch die Agglutinine zu „verkleben", zu
„verklumpen", „auszuflocken", ihre Agglutinierbarkeit. Die
letztere Eigenschaft ist vielmehr in weitem Maße unabhängig von den
ersteren.
Nachge\Weden wurde das zuerst durch E i s e n b e r g imd Volk,
die beobachteten, daß (feuchte) Typhusbazillen nach halbstündigem Er-
hitzen auf 58° normale Bindungs- und Agglutinationsverhältnisje, aber nach
Anwendung höherer Temperaturen, insbesondere von 100®, nur noch Spuren,
nach solchen von 144° überhaupt keine Agglutinierbarkeit mehr zeigen,
während ihr Bindungsvermögen diurch Temperatiu'en über 58° gleichmäßig
und lange nicht in demielben Grade gescliädigt wird. Bei Cholera-
bazillen wurde freilich selbst durch Erliitzung auf 170° weder Bindungowert
noch Agglutinierbarkeit erheblich herabgesetzt^), dagegen büßten sie die
letztere zum größten Teil — die Ty]:)husbazillen vollständig — ein, wenn
sie in 0,4 — 10 prozentiger Salzsäure eine Stunde bei 37° gehalten und
durch nachher vorgenommene Neutralisierung von einer weitergehenden
Säurewirkung geschützt wurden*).
Eisenberg und Friedberger unterscheiden daher am
Agglutinogen eine „bindende" und „fällbare" Gruppe („agglutinier.
bare Substanz"), und schreiben der letzteren eine geringere, aber je
1) Porges (Zeitschr. f. exper. Path. 1, 1905) fand dagegen, daß
Typhus- und Cholerabazillen zwischen 65 ^^ \md 90® ihre Agglutinierbarkeit
verlieren, sie aber bei 100 — 144° wiedergewinnen. Ein hemmender Stoff
(N'uklein?), dessen Einwirkung durch konzentrierte Kochsalzlösung be-
hoben werden kann, soll daran schuld sein; vgl. übrigens die ähnlichen
Verhältnisse bei der Verdaulichkeit § 10.
2) Wassermann (Zeitschr. f. Hyg. 42) bestätigt diesen Befund.
Nach Weil liegt das Optimum der Agglutinierbarkeit für Typhusbazillen
bei 52 — 55**, bei 65° wird sie aufgehoben. Außer Cholerabazillen vertragen
nuoh Staplwlokokken selbst das Erhitzen auf 100° (Zentr. Bakt. 36 u.
37). Vgl. auch de Rossis Heubazillen S. 1089. Bei diesen besteht ein
gewisser Zusammenhang zwischen Agglutinierbarkeit und dem Zustand
der Geißeln. Daß die (reißein selbst bei der Agglutination imverändert
bleiljen, zeigten d o R o s s i (Zentr. Bakt. 36. 689) und Hinterberger
(ebenda 45).
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1099
nach der Bakterienart wechselnde Widerstandsfähigkeit gegen schäd-
liche Einflüsse zu^).
Angeregt wurden die beiden Forscher zu diesen Untersuchungen durch
Angaben von W i d a 1 und Sicard, van de Velde, Malvoz
und !Nr i c o 1 1 e über das Ausbleiben der Agglutination bei Bakterien, die
durch Hitze oder Aufenthalt in älteren Kulturen verändert waren. Letzteres
konnten Eisenberg und Volk zwar nicht bestätigen, es kann aber
docH wohl in anderen Fällen zu recht bestehen.
Kälte, Formalin, Sublimat, Chloroform, Thymol u. a. m. sind nach
den oben genannten Forschem ohne Einfluß auf die agglutinierbare Sub-
stanz. Jedoch hat S e 1 1 e r in meinem Laboratorium gefunden, daß
Formalinzusatz zu Typhusbazillenkulturen — in Form des Ficker sehen
„Typhusdiagnostikums" — doch deren Agglutinierbarkeit in gewissem
Grade beeinträchtigt. In konzentrierten Gaben und bei längerer Ein-
wirkung werden wohl alle Antiseptika die agglutinierbare Substanz nicht
unberührt lassen. Daß der Alkohol sogar die immunisierende Fähigkeit der
Agglutinogene unter diesen Umständen zerstört, haben wir schon früher
mitgeteilt (S. 1088). Nach Nicolle soll allerdings Alkohol und Äther
die ,,substance agglutin^e" nicht schädigen, aber er arbeitete in der Weise,
daß er trockene Bakterien mit diesem Stoffe 2 Tage lang auszog und
den eingedunsteten Extrakt in Bouillon aufgelöst mit agglutinierendem
Serum versetzte imd auf Xiederschlagsbildung prüfte. Die letztere kann
übrigens nur dann auf das Vorhandensein agglutinierbarer Substanz bezogen
werden, wenn man diese der ,,präzitierbaren" Substanz gleichsetzt. Vieles
spricht allerdings dafür (s. u. §. 342). Auch nach Pick, Kraus und
v. Pirquet enthält die präzipitierbare Substanz alkohollösliche Be-
standteile.
Vieldeutig erscheint zunächst die von B o r d e t *) zuerst fest-
gestellte und dann von Nolf, Joes, Friedberger^), Eisen-
berg und Volk, Porges*) studierte Einwirkung der Salze und
anderer kristallisier barer Körper (wie Zucker, Leuzin)
auf die Agglutination. Völliger Mangel derartiger Stoffe in der
Aufschwemmung verhindert sie, Zusatz selbst kleiner Mengen ruft sie
wieder hervor, höhere Konzentrationen hemmen oder verhindern sie eben-
falls, ohne daß aber eine nachträgliche Verdünnung die Hemmung be-
seitigte. Man hat sich diese Wirkungen verschieden erklärt. Nach J o o s
und Po r g e s ist eine gewisse Menge Salz insofern nötig ziu» Agglutination,
1) Agglutinogeno ohne agglutinierbare Gruppe würde man an\ besten
Agglutinogenoid nennen, w^enn das Wort nicht zu fürchterlich klänge.
Agglutinoid, das Kraus vorschlägt, ist schon vergeben an die Abart
des Agglutinins, die eine bindende, aber keine agglutinierende Grup]^e
besitzt. Eine weitere Verwicklung besteht darin, daß die bindenden Be-
standteile der Agglutinogene, wie wir oben gesellen, nicht völlig zusammen-
fallen mit den agglutinininer zeugenden. Wir haben hier wieder in ge-
wissem Sinne ähnliche Verhältnisse wie bei den Agressinen bzw. Lysino-
genen (§ 327).
2) Annal. Pasteur 1899.
3) Zentr. Bakt. 30, 1901.
4) Ebenda 40, 1903.
1114 Kap. XVII, § 344.
§ 344. Anaphylaxogene. Spezifische Uberempfindlichkeit für
bakterielle Stoffe wurde zuerst 1890 von R. Koch bei Tieren und
namentlich Menschen, die auch nur Spuren tuberkulöser Verände-
rungen im Körper trugen, nach Einspritzung von Tuberkulin beobachtet
(§ 304): Gaben, die sonst ganz ohne Wirkung blieben, riefen hier
starke örtliche und allgemeine Reaktionen, ja,
wenn sie groß genug waren, den Tod hervor. Später hat man gefunden,
daß man statt der subkutanen Prüfung mit Tuberkulin auch die intra-
kutane Impfung, die Einreibung in die Haut, die Einträufelung in den
Bindehautsack benutzen kann (kutane, perkutane, Ophthahnoreak-
tion usw.) imd daß die Überempfindlichkeit auch die Folge ist nicht
bloß von Infektionen mit lebenden Tuberkelbazillen, sondern schon
von Behandlung mit Tuberkidin selbst unter der Voraussetzung, daß
man die Behandlung in bestimmter Weise, nämlich mit kleinen Gaben
vornimmt^). Auch mit zahlreichen anderen Bakteriengiften hat man
Überempfindlichkeit hervorgerufen.
Hierher gehört zunächst die Überempfindlichkeit rotziger Tiere
gegen Mallein (Malleinprobe S. 987). vielleicht auch die der Leprakranken
gegen Nastin (Deycke 1905), der Vaccinierten gegen stark verdünnte
oder sterilisierte Lymphe (Knöpfelmacher 1907), sowie die etwas
zweifelhafteren Erscheinungen, die bei Diphtheriekranken und -Rekon-
valeszenten durch Diphtheriegift hervorgerufen werden (Schick, Entz
1908) u. a. m. Überempfindlichkeit gegen letzteres Gift hatte B ehri ng
schon lange vorher*) bei Immunisierungsversuchen an Tieren beobachtet.
Sie ist bei Meerschweinchen so groß, daß sie bei wiedlBrholter Darreichung
kleinster Gaben schon zugrunde gehen, wenn die Geseuntmenge 400 mal
kleiner ist als diejenige, die bei einmaliger Einspritzung genügt, um den
Tod hervorzurufen. Ähnliche Verhältnisse bestehen beim Tetanusgift
nach Brieger, Behring und W 1 a d i m i r o f f •) u. a. Auch hier
zeigen sich große Unterschiede bei den einzelnen Tieren, die der Behand-
hmg unterworfen werden, insofern z. B. nach Knorr *) die für das Gift
am meisten empfänglichen Meerschweinchen schon durch kleinste Gaben
überempfindlich werden, die viel weniger empfänglichen Kaninchen aber
nicht, und die zur Gewinnung von Keilserum mit Gift behandelten Pferde
der Regel nach lange Zeit die Einspritzungen vertragen, aber ausnahmsweise
und scheinbar plötzlich überempfindlich werden können. Dabei tritt oft,
und zwar weniger bei den kleinen als bei den großen Tieren, die wichtige
Tatsache ans Licht, daß ein reichlicher Gehalt des Blutes
anAntitoxindurchausverträglichistmitderÜber-
empfindlichkeit gegen das Gift. Auch bei Impfung großer
1 ) I-i ö w e n s t e i n und Rappaport, Zeitschr. f. Tuberk. 5,
1904.
2) Deutsch, med. Woch. 1893. 48 und 1898. 42 B und K i t a s h i m » ,
Berl. klin. Woch. 1901. 6; vgl. auch Kretz' paradoxe R-eaktion S. 898.
3) Zeitschr. f. Hyg. 15. 414, 1893.
4) Habilitationsschrift Marburg 1895.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1115
und Ideiner Tiere mit den Stoffen solcher Bakterien, die man gewöhn-
lich als Endotoxinbildner bezeichnet, hat man gelegentlich Überempfind-
lichkeit beobachtet. So sah A. W o 1 f f ^) Kaninchen wiederholte Ein-
spritzungen in die Venen oder in die Bauchhöhle, ohne daß eine Steigerung
der Bakteriengaben stattgefunden hatte, immer schlechter vertragen und
schließlich fast ohne Inkubationszeit in wenigen Minuten oder Stunden
unter gewaltiger Atembeklemmxing und Krämpfen eingehen. Wir selbst
beobachteten bei Pferden \md Eseln, die intravenös gegen Typhus oder
Ruhr immunisiert wurden, hier und da die gleichen gefährlichen Erschei-
nungen, ebenso Kraus und Stenitzer *) bei Typhus- und Para-
typhusziegen, femer R o s e n a u und Anderson ') bei Meerschwein-
chen, die sie mit Extrakten von Coli-, Typhus-, Heu-, Milzbrand-, Tuberkel-
bazillen*) oder Hefepilzen, Kraus imd Dörr *) bei solchen, die sie mit
Auszügen von Ruhr- imd Typhusbazillen und Vibrionen behandelt hatten.
Weil und Braun*) haben zwar die letzten Versuche nicht bestätigen
können, das liegt aber ncKjh Holobut')an ihrer Methodik. Am sichersten
jreht man, wenn man sehr kleine Mengen auf 70** erhitzter Bakterienauf-
schwemmung Meerschweinchen 10 Tage hintereinander unter die Haut
einspritzt und dann etwa nach 3 Wochen eine größere Gabe in das Blut
einführt. Wir konnten das für eine ganze Reihe von Bakteriengiften be-
stätigen*). Bei anderen Tieren, z. B. Hunden, ist es nach Kraus und
B i e d 1 •) schwieriger, diese Überempfindlichkeit gegen Endotoxine zu er-
zeugen, und ihre Spezifizität ist noch nicht über allen Zweifel gestellt. Viel-
leicht besteht sie aber auch hier, wenn man den quantitativen Verhält-
nissen Rechnung trägt. Das dürfte überhaupt in allen solchen Versuchen
— auch beim Meerschweinchen *°) — nicht außer acht gelassen werden.
Längst bekannt ist das ja geworden dm*ch die bei der Tuberkulinreak-
tion gemachten Erfahrungen (§ 304).
Wie haben wir nun die Uberempfindlichkeit gegen Bakteriengifte
zu deuten? Daß sie nichts unmittelbar zu tun hat mit den aggressiven
Wirkungen, d. h. der Überempfindlichkeit gegen die Infektion
hervorrufenden Leistungen der Bakt^ricnstoffe (§ 319 ff.), wie es manch-
mal behauptet worden ist, kann kaum einem Zweifel unterUegen, denn
der aggressive Zustand kennzeichnet sich durch seine schnelle Ent-
stehung und sein allermeist ebenso schnelles Vorübergehen. Alle Be-
obachter stimmen ja darin überein, daß sich die überempfind-
1) Zentr. Bakt. 37. 576.
2) Wien. klin. Woch. 1908. 18. ,
3) Ref. Bull. Annal. Pasteur 1907. 855.
4) Vgl. die Versuche B a i 1 s mit lebenden Tuberkelbazillen und
Tuberkulin (Wien. klin. Woch. 1904. 30) und die von R i s t mit Diphtherie-
bazillenloibem (Soc. biol. 1903. 25).
5) Wien. klin. Woch. 1908. 28.
6) 3. Tagg. Verein f. Mikrobiol. Zentr. Bakt. lief er. 44, Beil. 1909.
7) Zeitschr. f. Immimitätsforschg. 3. 639, 1909. Vgl. ebenda 4. 607.
8) Bookmann, Gießener mediz. Dissert., 1910.
9) 3. Tagg. f. Mikrobiol. s. o. Anm. 6 und u. S. 1121.
10) Vgl. Ho 1 o b u t gegen D e 1 a n o e (These de Montpellier 1909).
1096 Kap. XVII, § 339 u. 340.
chemischer oder physikaüscher Natur sei. Wir entscheiden uns wegen
der Spezifizität der Bindung für die erstere.
Wie Bordet selbst hervorhebt, ist der Streit insofern müßig, als wir
über das Zustandekommen der sogenannten physikalischen Absorption nichU
Sicheres wissen. Allgemeines Einverständnis herrscht auch darüber, daß
sich die Antikörper bzw. Agglutinine zum großen Teil so fest an die Bak-
terien binden, daß man an eine chemische Bindung denken muß. Selbst
Arrhenius*), der wie Eisenberg') die Aufnahme der Agglu-
tinine in die Bakterien als einen „Verteilungsvorgang" zwischen zwei
Löbungsmitteln auffaßt, welcher vom Guldberg-Waage sehen
Gesetz des chemischen Gleichgewichts beherrscht sei imd sich in eine ein-
fache mathematische Formel') fassen lasse, läßt eine nachträgliche
chemische Bindung zu. Von vornherein ist auch natürlich keine Ein-
wendung dagegen zu erheben, daß man die Erfahrungen der „Kolloid-
chemie" auf die Beziehungen der Antigene zu den Immunkörpern, die
beide zu den Kolloiden gehören, anwendet^) und die Niederschlagsbil-
dungen der Kolloide mit den Agglutininen und Präzipitinen der Bak-
terien und Bakterienstoffe vergleicht (s. u. § 341). Aber gerade die B i n-
dung der letzteren an die Agglutinine und übrigen Inunimkörper hat trotz
einiger Ähnlichkeiten in den quantitativen Verhältnissen etwas Be-
sonderes an sich, nämlich die Arteigentümlichkeit, die „Spezifizi-
tät". Wir erklären sie uns am einfachsten mit bestinunten chemischen
Verwandtschaften oder wie Ehrlich es macht, durch das
Vorhandensein von haptophoren (bindenden) Gruppen. Man wird dabei
nach den früheren Feststellungen über die Trennbarkeit der Agglutinin-
verbindungen (S. 1092) mit Joes*) vermuten dürfen, daß die Verwandt-
schaft der zahlreichen Bindegruppen der Bakterien (S. 1094) zu den Agglu-
tininen teils stärker, teils schwächer ist, gleichgültig ob man sich den Be-
hauptungen dieses Forschers über die Mitbeteiligung anderer Bestandteile
(Salze) an der Verbindung anschließt oder nicht (§ 340).* Der Zukunft
überlassen bleiben muß es, ob es gelingen wird, für die Agglutinogene
ähnliche „Spektren" zu entwerfen, wie es Ehrlich für die giftigen
Antigene getan hat ( § 264). Dazu wäre vor allem ein genaueresStu-
dium der Bindekraft der gelösten Agglutinogene
(s. o. S. 1091), und um sie studieren zu können, ihre vollständige
Gewinnung aus den Bakterienleibern nötig. In den
Bouillonfiltraten, selbst aus sehr alten Kulturen, ebenso wie in den Leiber-
extrakten gewinnt man immer nur einen Teil der Agglutinogene in freiem
Zustande*). Die alleinige Prüfung auf Agglutinierbarkeit kann allerdingB
Täuschungen verm^achen, weil diese, z. B. diu'ch Erhitzung, verloren gehen,
die Bindekraft erhalten bleiben kann (§ 341). Man wird daher, um die
1) Zeitschr. physikal. Chem. 46, 1904.
2) Zentr. Bakt. 34.
3) Einwendungen gegen diese Formel s. bei N e i ß e r , Zentr. Bakt.
36, 1904.
4) Vgl. S. 892 imd die Lit. daselbst.
5) Zeitschr. f. Hyg. 36 und 40.
6) Vgl. Eisenberg imd Volk im Gegensatz zu M a 1 v o z und
N i c o 1 1 e. S. die ähnlichen Verhältnisse bei den Angriffsstoffen S. 1029.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1097
Agglutinogene in Freiheit zu setzen, nur die Methoden anwenden dürfen,
l)ei denen die Bakterienleiber vollständig und ohne Benutzung von Chemi-
kalien oder höherer Temperatur aufgelöst werden. Nebenbei bemerkt
würde an derartigen Lösungen vielleicht auch die Frage entschieden werden
können, ob die homologen und heterologen Nebenagglutinine (S. 1090/1)
Seitenketten an demselben Kern sind wie die Hauptagglutinine oder
bpsondere Stoffe.
§ 340. Yeränderuiigen des Bindungsyermögens der Agglu-
tinogene. Das Bindungsvermögen der Agglutinogene scheint im
allgemeinen gegen künstliche Eingriffe eher noch widerstandsfähiger
ztt sein als das immunisierende (vgl. aber S. 1058).
So gelang es Scheller (S. 1086), die nach Joos Vorgang her-
gestellten a- und ^-Agglutinine sowohl durch unerhitzte als durch erhitzte
Typhusbazillen zu absorbieren. Gekochte Bazillen erwiesen sich sogar mit
£!tärkerem Bindungsvermögen begabt als die anderen. Letzteres kann
freilich nicht regelmäßig sein, denn nach Eisenberg und Volk
schädigt die Erhitzung, wenn sie über 58® hinausgeht, das Bindungs ver-
mögen der Typhusbazillen (im feuchten Zustand) in ziemlich gleicher Weise,
ob sie nun 65,100 oder 144® erreicht*). Aus konzentriertem Serum wird dann
von ihnen kaum die Hälfte der Agglutininmenge entzogen, als wenn sie
imerhitzt sind. Bei hohen Serumverdünnungen treten die Unterschiede
zurück. Behandltmg mit verdünnter Salzsäure vernichtet ebensowenig
das Agglutininbildungs- wie das Bindungsvermögen. Ähnliche Versuche
mit gelösten Agglutinogenen fehlen, abgesehen von den schon früher er-
wähnten de R o s s i s *), als Ersatz können auch nicht die mit Präzipi-
tinogenen gemachten Erfahrungen dienen, da sie im wesentlichen nur die
Fällbarkeit oder Löslichkeit in Alkohol u. dgl. betreffen.
Weit größere Unterschiede im Bindungsvermögen ergeben sich
beim Vergleich verschiedener Stämme einer und deselben Bakterien-
art, mögen sie natürliche oder künstliche Abarten sein. Das hat sich
z. B. bei Typhus-, Paratyphus-, Cholera-, Dysenterie- und Pseudo-
dysenteriebazillen gezeigt. Die Versuche, feste Beziehungen zwischen
der immunisierenden und bindenden Fähigkeit oder auch der Virulenz
der einzelnen Stämme aufzustellen, sind, wie wir schon früher sahen
(S. 1058, 1090), zum großen Teil gescheitert. Wenn man überhaupt von
emer Kegel sprechen darf, so hat sie jedenfalls viele Ausnahmen.
So wird man sich auch nicht wundem können, wenn gelegentlich*)
das früher von uns aufgestellte Gesetz (S. 1091), nach dem im Castel-
1) Bei den von de Rossi (s. o. S. 1089) studierten Heubazillen
wird das Agglutininbindungs- und Bildungs vermögen schon bei 62° zum
größten Teil zerstört (Zentr. Hakt. 40. 702, 1906).
2) Vgl. Anm. 1.
3) Posselt und Sagasser, Wien. klin. Woch. 1903; Zup-
n i k und P o s n e r , Prag. med. Woch. 1903; H e t s c h und L e n t z ,
Festschrift für Koch, 1904.
1098 Kap. X\^I, § 340 u. 341.
1 a n i sehen Versuch die säinth'chen Agglutinine durch den Stamm, der
sie erzeugt hat, abgesättigt werden, durchbrochen wird und z. B. die
(heterologen) Nebenagglutinine dabei nicht verschwinden. Man wird
unter diesen Umständen hier wie im Falle der Toxine (§ 279) imd
Aggressine (§ 327) den immimkörperbindenden und immunisierenden
Bestandteil des Agglutinogens nicht einfach identifizieren dürfen,
sondern in der früher angegebenen Weise zu Hilfsvorstellungen greifen
müssen.
§ 341. Agglutinierbarkeit. Mit dem AgglutininbildiingB- und
-bindungsvermögen sind aber noch nicht alle Eigenschaften der Agglu-
tinogene erschöpft, denn aus ihnen folgt noch nicht ohne weiteres die
Fähigkeit der Bakterien, durch die Agglutinine zu „verkleben", zu
„verklumpen", „auszuflocken", ihre Agglutinierbarkeit. Die
letztere Eigenschaft ist vielmehr in weitem Maße unabhängig von den
ersteren.
Nachgewieden wm-do das zuerst durch E i s e n b o r g und Volk,
die beobachteten, daß (feuchte) Typhusbazillen nacli halbstündigem Er-
hitzen auf 58° normale Bindungs- luid Agglutinationsverhältnis^e, aber nach
Anwendung höherer Temperatiu-en, insbesondere von 100^ niu* noch Spuren,
nach solchen von 144° überhaupt keine Agglutinierbarkeit mehr zeigen,
während ihr Bindungsvermögen durch Temperatm-en über 58° gleichmäßig
und lange nicht in demielben Grade geschädigt wird. Bei Cliolera-
bazillen wurde freilich selbst durch Erhitzung auf 170° weder Bindungswert
noch Agghitinierbarkeit erheblich herabgesetzt^), dagegen büßten sie die
letztere zum größten Teil — die Typhusbazillon vollständig — ein, wenn
sie in 0,4 — 10 prozentiger Salzsäure eine Stiuide bei 37° gehalten und
durch nachher vorgenommene Neutralisienmg von einer weitergehenden
Säurewirkimg geschützt wurden*).
Eisenberg und Friedberger unterscheiden daher am
Agglutinogen eine „bindende" und „fällbare" Gruppe („agglutinier-
bare Substanz"), und schreiben der letzteren eine geringere, aber je
1) Porges (Zeitschr. f. exper. Path. 1, 1905) fand dagegen, daß
Typhus- \md Cliolerabazillen zwischen 65*^ und 90° ihre Agglutinierbarkeit
verlieren, sie aber bei 100 — 144° wiedergewinnen. Ein hemmender Stoff
(Nuklein?), dessen Einwirkung durch konzentrierte Kochsalzlösung be-
hoben werden kann, soll daran schuld sein; vgl. übrigens die ähnlichen
Verhältnisse bei der Verdaulichkeit § 10.
2) Wassermann (Zeitschr. f. Hyg. 42) bestätigt diesen Befund.
Nach Weil liegt, das Optimum der Agglutinierbarkeit für Typhusbazillen
bei 52 — 55°, bei 65° wird sie aufgehoben. Außer Cholerabazillen vertragen
auch Staphylokokken selbst das Erhitzen auf 100° (Zentr. Bakt. 36 n.
37). Vgl. auch de R o s s i s Heubazillen S. 1089. Bei diesen besteht ein
gewisser Zusammenhang zwischen Agglutinierbarkeit und dem Zustand
der Geißeln. Daß die Geißeln selbst laei der Agglutination imverändert
bleiben, zeigten d e R o s s i (Zentr. Bakt. 36. 689) und Hinterberger
(ebenda 45).
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1099
nach der Bakterienart wechselnde Widerstandsfähigkeit gegen schäd-
liche Einflüsse zu^).
Angeregt wurden die beiden Forscher zu diesen Untersuchungen durch
Angaben von W i d a 1 und Sicard, van de Velde, Malvoz
und N i c o 1 1 e über das Ausbleiben der Agglutination bei Bakterien, die
durch Hitze oder Aufenthalt in älteren Kulturen verändert waren. Letzteres
konnten Eisenberg imd Volk zwar nicht bestätigen, es kann aber
doch wohl in anderen Fällen zu recht bestehen.
Kälte, Formalin, Sublimat, Chloroform, Thyinol u. a. m. sind nach
den oben genannten Forschem ohne Einfluß auf die agglutinierbare Sub-
stanz. Jedoch hat S e 1 1 e r in meinem Laboratorium gefunden, daß
Formalinzusatz zu Typhusbazillenkulturen — in Form des Ficker sehen
..Typhusdiagnostikums" — doch deren Agglutinierbarkeit in gewissem
Grade beeinträchtigt. In konzentrierten Gaben und bei längerer Ein-
wirkung werden wohl alle Antiseptika die agglutinierbare Substanz nicht
imberührt lassen. Daß der Alkohol sogar die immunisierende Fälligkeit der
Agghitinogene unter diesen Umständen zerstört, haben wir schon früher
mitgeteilt (S. 1088). Nach N i c o 1 1 e soll allerdings Alkohol und Äther
die „substance agglutin^e" nicht schädigen, aber er arbeitete in der Weise,
daß er trockene Bakterien mit diesem Stoffe 2 Tage lang auszog und
den eingedunsteten Extrakt in Bouillon aufgelöst mit agglutinierendem
Senun versetzte und auf Niederschlagsbildimg prüfte. Die letztere kann
übrigens nur dann auf das Vorhandensein agglutinierbarer Substanz bezogen
werden, wenn man diese der ,,präzi tierbaren** Substanz gleichsetzt. Vieles
spricht allerdings dafür (s. u. §. 342). Auch nach Pick, Kraus und
V. Pirquet enthält die präzipitierbare Substanz alkohol lösliche Be-
standteile.
Vieldeutig erscheint zunächst die von B o r d e t ^) zuerst fest-
gestellte und dann von Nolf, Joes, Friedberger''), Eisen-
berg und Volk, Porges*) studierte Einwirkung der Salze und
anderer kristallisierbarer Körper (wie Zucker, Leuzin)
auf die Agglutination. Völliger Mangel derartiger Stoffe in der
Aufschwemmung verhindert sie, Zusatz selbst kleiner Mengen ruft sie
wieder hervor, höhere Konzentrationen hemmen oder verhindern sie eben-
falls, ohne daß aber eine nachträgliche Verdünnung die Hemmung be-
seitigte. Man hat sich diese Wirkungen verschieden erklärt. Nach J o o s
und Po r g e s ist eine gewisse Menge Salz insofern nötig zur Agglutination,
1) Agghitinogene ohne agglutinierbare Gruppe würde man am besten
Agglutinogenoid nennen, wenn das Wort nicht zu fürchterlich klänge.
Agglutinoid, das Kraus vorschlägt, ist schon vergeben an die Abart
des Agglutinins, die eine bindende, aber keine agglutinierende Grup]^e
besitzt. $ine weitere Verwicklung besteht darin, daß die bindenden Be-
standteile der Agghitinogene, wie wir oben gesehen, nicht völlig zusammen-
fallen mit den agglutinin inerzeugenden. Wir haben hier wieder in ge-
wissem Sinne ähnliche Verhältnisse wie bei den Agressinen bzw. Lysino-
genen (§ 327).
2) Annal. Pasteur 1899.
3) Zentr. Bakt. 30, 1901.
4) Ebenda 40, 1903.
1120 Kap. XVII. § 344.
blutige, in ein bis mehreren Tagen zum Tode führende Darmentzündung durch
die übrigen anaphylaktischen Gifte — so z. B. auch diirch größere Gaben Pep-
tons — von uns und anscheinend auch von anderen nicht erhalten worden ist
(vgl. aber Schittenhelm und Weichardt Münch. med. Woch. 1910.34).
Vergleicht man alle diese Angaben über anaphylaktische Gifte
miteinander, so bekommt man allerdings den Eindruck, daß es auf
verschiedene Weise gelingt, aus allen möglichen, auch nicht bakteriellen
„Eiweißstoffen" bzw. verwickelt gebauten „Antigenen*' durch Verdauung,
Fäulnis, Seriim-(Komplement?)Einwirkimg imd chemische Behand-
lung Körper zu gewinnen, die eine der anaphylaktischen wenigstens
sehr ähnUche Vergiftimg verursachen. Rein dargestellt ist bisher
davon nur das S e p s i n durch Bergmann und Schmiede-
b e r g (S. 810), sowie F a u s t (S. 816). Daß es in jedem Fall und allein
in Frage käme, wollen wir damit aber nicht etwa sagen. Wir können
uns ganz gut denken, daß verschiedene Eiweißabkömmlinge
die gleichen physiologischen Eigenschaften besitzen.
Sehr zweifelhaft erscheint es uns femer, ob sich die samtlichen,
bisher meist auf Endotoxine zujrückgeführten Vergiftungserscheinungen
bei Infektionskrankheiten, wie es Vaughan, Nicolle, Frledberger
u.a. wollen, durch die Wirkungen des „ Apotoxins" oder „ Anaphylatoxins
erklären lassen^). Hin und wieder wird es ja in Betracht kommen.
Daß bei seiner Entstehung Senimbestandteile, vielleicht anch
das sog. Komplement selbst, eine Rolle spielen, ist wohl sicher, aber
bisher ist es kaum zu entscheiden, durch welche Antikörper diese „Kom-
plementbindung" vermittelt wird, namentlich auch nicht, ob die ..Ana-
phylaxine"mit den Präzipitinen, Reaginen oder Lj^inen völlig zu identifi-
zieren sind (vgl. S. 1111). Das gleiche gilt von der Natur der Anaphylaxo-
gene. Ihre wesentliche Übereinstimmimg mit den übrigen Antigenen in
allen äußeren Eigenschaften, z. B. was Verhalten gegen Erhitzungund Ver-
dauung anlangt^), ist darum doch nicht zu leugnen, beweist ja aber, wie
wir bei jenen immer wieder gesehen, nichts für die wirkliche Identität.
Wir begnügen uns mit diesen Bemerkungen über die Anaphylaxogene
bzw. Anaphylaxie und verweisen im übrigen auf die Literatur (S. 1116
Anm. 2), die zeigt, daß noch viele ungelöste Widersprüche vorliegen.
Hier nur noch einige Bemerkimgen, die für die experimentelle Behand-
lung der Frage von Bedeutung sind. Vor allem wichtig ist das sehr un-
gleiche Verhalten der einzelnen Versuchstiere. Am besten eignet sicli
1) Fieber, das nach Friedberger durch kleine Gaben Anaphyla-
toxins erzeugt werden soll, haben wir z. B. nicht beobachtet.
2) Vgl. dazu namentlich bei D ö r r a. a. O. (1910). Nur die Impfjrifte
(der Diphtherie, dee Tetanus) machen eine Ausnahme. Nach Dörr wäre
sie nur scheinbar, insofern die wirklichen Anaphylaxogene den Toxinen mir
beigemengt wären. Das stimmt aber nicht mit Behrings Angahe.
daß Antitoxinbeigabe den Eintritt der Überempfindliehkeit verhindere.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1121
zu Anaphylaxieversuchen anscheinend das Meerschweinchen. Es ist schon
durch eiiunalige ganz winzige Gaben von Eiweiß u. dgl., die subkutan ver-
abreicht werden, überempfindlich zu machen, während zur Hervomifung
des anaphylaktischenVergiftungsbildeä, d. h. zur „Reinjektion*\ eine sehr
\*iel (z. B. 1000 mal) größere Gabe — am besten intravenös zu verabreichen —
nötig ist. Die Bakterienanaphylaxie verlangt allerdings gewöhnlich eine
wiederholte, z. B. 3 — 9 Tage lange Vorbehandliing mit abgetöteten Leibern
von Extrakten, bei lebenden Bakterien reicht aber (nur, wenn sie sich im Kör-
per vorübergehend vermehren können?), eine einmalige Infektion aus
(Bockmann). Passive Übertragung des anaphylaktischen Zustandss gelingt
leicht von Meerschweinchen auf Meerschweinchen, aber auch oft von
anderen Tieren auf diese. Das Vergiftungsbild besteht in starker Auf-
regimg, Juckreiz, Atemnot mit vertiefter unterbrochener Atmung, Krämp-
fen und Tod in wenigen Minuten bis Stunden. Bei leichteren Vergiftungen
haben wir den von H. Pfeiffer behaupteten Temperatiirabfall als wich-
tiges Merkmal bestätigt. Allerdings muß er spätestens in einer halben
Stunde eintreten und — bei schnellster Ausführung der Operation —
mehr als 2° betragen. Beim Tode findet man die Lunge mehr oder wenic^er
in Exsprrationsstelhmg (Lungenblutung durch I^ampf der Bronchiolen,
der durch Atropin verhütet werden kann ; A u e r und Lewis, Biedl
und Kraus). Regelmäßig besteht eine mehr oder weniger ausgesprochene
Kompl ementverarmung des Blutes (F r i e d b e r g e r). Bei
überempfindlichen Tieren beobachtet man die Antanaphylaxio, d. h.
das Ausbleiben der Vergiftiuig in der ersten Zeit — unter Umständen
wochenlang — bei einer wiederholten Prüfvmg mit Antigen.
Kaninchen sind viel weniger brauchbar, weil sie weniger be-
ständig und nur auf größere Gaben und schließlich sogar auch nicht spezi-
fisch reagieren, sich schwerer passiv anaphylaktisch machen lassen, sowie
seltener Antianaphylaxie zeigen. Die Vergiftung ist sonst eine ähnliche.
Hunde bieten dagegen ein ganz anderes Vergiftungsbild dar : sie werden
nach einem Stadiiun der Aufregung mit (oft blutigem) Brechen, Abgang
von Kot und Urin, schlaff, fast soporös, sterben aber niemcds in diesem
Zustand. Dyspnoe fehlt; das Blut verliert seine Gerinnbarkeit und Leuko-
zyten, wahrend Bluttplättchen und Lymphozyten reichlicher auftreten.
Als hauptsächlichste Ursache der Erscheinungen ermittelten Biedl luid
Kraus eine Blutdrucksenkung, die durch Lähmung der periphe-
rischen Gefäßzentren (namentlich der Baucheingeweide) erklärt wird. Chlor-
barium soll sie verhüten. A r t h u s schildert die anaphylaktische Vergiftiuig
ähnlich, hält sie aber für nicht spezifisch. Die sehr ungleiche Empfindlichkeit
der Hunde erschwert nach imserer Erfahrung das Arbeiten mit ihnen sehr.
Zu praktischen diagnostischen Zwecken läßt sich die Bakterien-
anaphylaxie, wenn man von den Tuberkulin- und Malleinreaktionen
in ihren verschiedenen Formen (S. 1114) absieht, bisher kaum ver-
wenden. Jedenfalls steht sie hinter der Agglutination (imd Kom-
plementbindung) vorläufig noch zurück (vgl. Ascoli^), Bockmann
a. a. 0.). Bei der Eiweiß anaphylaxie liegen die Dinge günstiger^).
1) Compt. rend. soc. biol. 65. 611. 1908.
2) Uhlenhuth und Händel, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 4.
Kruse, Mikrobiologie. 71
1096 Kap. XVII, § 339 u. 340.
chemischer oder physikalischer Natur sei. Wir entscheiden uns wegen
der Spezifizität der Bindung für die erstere.
Wie Borde t selbst hervorhebt, ist der Streit insofern müßig, als wir
über das Zustandekommen der sogenannten physikalischen Absorption nicht«
Sicheres wissen. Allgemeines Einverständnis herrscht auch darüber, daß
sich die Antikörper bzw. Agglutinine zum großen Teil so fest an die Bak-
terien binden, daß man an eine chemische Bindung denken muß. Selbst
Arrhenius*), der wie Eisenberg*) die Aufnahme der Agglu-
tinine in die Bakterien als einen „Verteilungsvorgang" zwischen zwei
Lösungsmitteln auffaßt, welcher vom Guldberg-Waage sehen
Gesetz des chemischen Gleichgewichts beherrscht sei und sich in eine ein-
fache mathematische Formel') fassen lasse, läßt eine nachträgliche
chemische Bindiuig zu. Von vornherein ist auch natürlich keine Ein-
wendimg dagegen zu erheben, daß man die Erfahrungen der „Kolloid-
chemie** auf die Beziehungen der Antigene zu den Inununkörpem, die
beide zu den Kolloiden gehören, anwendet^) und die Niederschlagsbil-
dungen der Kolloide mit den Agglutininen und Präzipitinen der Bak-
terien und Bakterienstoffe vergleicht (s. u. § 341). Aber gerade die B i n -
düng der letzteren an die Agglutinine und übrigen Immunkörper hat trotz
einiger Ähnlichkeiten in den quantitativen Verhältnissen etwas Be-
sonderes an sich, nämlich die Arteigentümlichkeit, die „Spezifizi-
t ä t**. Wir erklären sie \ms am einfachsten mit bestinunten chemischen
Verwandtschaften oder wie Ehrlich es macht, durch das
Vorhandensein von haptophoren (bindenden) Gruppen. Man wird dabei
nach den früheren Feststellungen über die Trennbarkeit der Agglutinin-
verbindimgen (S. 1092) mit Joos*) vermuten dürfen, daß die Verwandt-
schaft der zahlreichen Bindegruppen der Bakterien (S. 1094) zu den Agglu-
tininen teils stärker, teils schwächer ist, gleichgültig ob man sich den Be-
hauptungen dieses Forschers über die Mitbeteiligung anderer Bestandteile
(Salze) an der Verbindung anschließt oder nicht (§ 340).' Der Zukunft
überlassen bleiben muß es, ob es gelingen wird, für die Agglutinogene
ähnliche „Spektren** zu entwerfen, wie es Ehrlich für die giftigen
Antigene getan hat ( § 264). Dazu wäre vor allem ein genaueres Stu-
dium der Bindekraft der gelösten Agglutinogene
(s. o. S. 1091), und um sie studieren zu können, ihre vollständige
Gewinnung aus den Bakterienleibern nötig. In den
Bouillonfiltraten, selbst aus sehr alten Kulturen, ebenso wie in den Leiber-
extrakten gewinnt man immer nur einen Teil der Agglutinogene in freiem
Zustande*). Die alleinige Prüfimg auf Agglutinierbarkeit kann allerdings
Täuschungen verursachen, weil diese, z. B. durch Erhitzung, verloren gehen,
die Bindekraft erhalten bleiben kann (§ 341). Man wird daher, um die
1) Zeitschr. physikal. Chem. 46, 1904.
2) Zentr. Bakt. 34.
3) Einwendimgen gegen diese Formel s. bei N e i ß e r , Zentr. Bakt.
36, 1904.
4) Vgl. S. 892 und die Lit. daselbst.
5) Zeitschr. f. Hyg. 36 und 40.
6) Vgl. Eisenberg und Volk im Gegensatz zu M a 1 v o z und
N i c o 1 1 e. S. die ähnlichen Verhältnisse bei den An griffsst offen S. 1029.
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1097
Agglutinogene in Freiheit zu setzen, nur die Methoden anwenden dürfen,
\m denen die Bakterienleiber vollständig und ohne Benutzung von Chemi-
kalien oder höherer Temperatur aufgelöst werden. Nebenbei bemerkt
würde an derartigen I^ösungen vielleicht auch die Frage entschieden werden
können, ob die homologen und heterologen Nebenagglutinine (S. 1090/1)
Seitenketten an demselben Kern sind wie die Hauptagglutinine oder
besondere Stoffe.
§ 340. Veränderungen des BindungsvermSgens der Agglu-
tinogene. Das Bindungsvermögen der Agglutinogene scheint im
allgemeinen gegen künstliche Eingriffe eher noch widerstandsfähiger
zu sein als das immunisierende (vgl. aber S. 1058).
So gelang es Scheller (S. 1086), die nach Joos Vorgang her-
gestellten a- und J-Agglutinine sowohl durch unerhitzte als durch erhitzte
T3r^husbazillen zu absorbieren. Gekochte Bazillen erwiesen sich sogar mit
stärkerem Bindungsvermögen begabt als die anderen. Letzteres kann
freilich nicht regelmäßig sein, denn nach Eisenberg und Volk
schädigt die Erhitzung, wenn sie über 58^ hinausgeht, das Bindungsver-
mögen der Typhusbazillen (im feuchten Zustand) in ziemlich gleicher Weise,
ob sie nun 65,100 oder 144° erreicht^). Aus konzentriertem Serum wird dann
von ihnen kaum die Hälfte der Agglutininmenge entzogen, cds wenn sie
anerhitzt sind. Bei hohen Serumverdünnungen treten die Unterschiede
zurück. Behandlung mit verdünnter Salzsäure vernichtet ebensowenig
das Agglutininbildungs- wie das Bindungsvermögen. Ähnliche Versuche
mit gelösten Agglutinogenen fehlen, abgesehen von den schon früher er-
wähnten de R o 8 s i s *), als Ersatz können auch nicht die mit Präzipi-
tinogenen gemachten Erfahrungen dienen, da sie im wesentlichen nur die
Fällbarkeit oder Löslichkeit in Alkohol u. dgl. betreffen.
Weit größere Unterschiede im Bindungsvermögen ergeben sich
beim Vergleich verschiedener Stämme einer und deselben Bakterien-
art, mögen sie natürliche oder künstliche Abarten sein. Das hat sich
z. B. bei Typhus-, Paratyphus-, Cholera-, Dysenterie- und Pseudo-
dysenteriebazillen gezeigt. Die Versuche, feste Beziehungen zwischen
der immunisierenden und bindenden Fähigkeit oder auch der Virulenz
der einzelnen Stämme aufzustellen, sind, wie wir schon früher sahen
(S. 1058, 1090), zum großen Teil gescheitert. Wenn man überhaupt von
einer Regel sprechen darf, so hat sie jedenfalls viele Ausnahmen.
So wird man sich auch nicht wundem können, wenn gelegentlich')
das früher von ims aufgestellte Gesetz (S. 1091), nach dem im Castel-
1) Bei den von de Rossi (s. o. S. 1089) studierten Heubazillen
wird das Agglutininbindungs- tmd Bildungsvermögen schon bei 62° zum
größten Teil zerstört (Zentr. Bakt. 40. 702, 1906).
2) Vgl. Anm. 1.
3) Posselt luid Sagasser, Wien. klin. Woch. 1903 ; Z u p -
n i k und P o s n e r , Prag. med. Woch. 1903; H e t s c h und L e n t z ,
Festschrift für Koch, 1904.
1098 Kap. XWI, § 340 u. 341.
1 a n i sehen Versuch die sämth'chen Aggkitinine durch den Stemm, dor
sie erzeugt hat, abgesättigt werden, durchbrochen wird und z. B. du*
(heterologen) Nebenagghitinine dabei nicht verschwinden. Man winl
unter diesen Umständen hier wie im Falle der Toxine (§ 279) und
Aggressine (§ 327) den immunkörperbindenden und immunisierenden
Bestandteil des Agglutinogens nicht einfach identifizieren dürfen,
sondern in der früher angegebenen Weise zu Hilfsvorstellungen greifen
müssen.
§ 341. Agglutinierbarkeit. Mit dem Aggiutininbildung?- und
-bindungsvermögen sind aber noch nicht alle Eigenschaften der Agglu-
tinogene erschöpft, denn aus ihnen folgt noch nicht ohne weiteres die
Fähigkeit der Bakterien, durch die Agglutinine zu „verkleben", zu
„verklumpen", „axiszuflocken", ihre Agglutinierbarkeit. Die
letztere Eigenschaft ist vielmehr in weitem Maße unabhängig von den
ersteren.
Nachgewierfen wiu'do das zuerst diurch E i s e n b e r g und Volk»
die beobachteten, daß (feuchte) Typhusbazillen nach halbstündigem Er-
hitzen auf 58° normale Bindungs- und Agglutinationsverhältnis^e, aber nach
Anwendimg höherer Temperaturen, insbesondere von 100**, nur noch Spuren,
nach solchen von 144° überhaupt keine Agglutinierbarkeit mehr zeigen,
während ihr Bindungs vermögen durch Temperaturen über 58° gleichmäßig
und lange nicht in dem selben Grade geschädigt wird. Bei Gliolera-
bazillen wurde freilich selbst diu'ch Erhitzung auf 170° weder Bindungowert
noch Agglutinierbarkeit erheblich herabgesetzt^), dagegen büßten sie die
letztere zum größten Teil — die Typhusbazillen vollständig — ein, wenn
sie in 0,4 — 10 prozentiger Salzsäure eine Stinide bei 37° gehalten luid
durch nachher vorgenommene Neutralisierung von einer weitergehenden
Säurewirkung geschützt wurden*).
Eisenberg und Friedberger unterscheiden daher am
Agglutinogen eine ,, bindende" und „fällbare" Gruppe („agglutinier-
bare Substanz"), und schreiben der letzteren eine geringere, aber je
1) Porges (Zeitöclir. f. exper. Path. 1, 1905) fand dagegen, daß
Typhus- \md Cliolcrabazillen zwischen 65° imd 90° ihre Agglutinierbarkeit
verlieren, sie aber bei 100 — 144° wiedergewinnen. Ein hemmender Stoff
(Nuklein?), dessen Einwirkung durch konzentrierte Kochsalzlösung be-
hoben werden kann, soll daran scliuld sein; vgl. übrigens die ähnlichen
Verhältnisse bei der Verdaulichkeit § 10.
2) Wassermann (Zeitschr. f. Hyg. 42) bestätigt diesen Befund.
Xach Weil liegt das Optimum der Agglutinierbarkeit für Typhusbazillen
bei 52 — 55°, bei 65° wird sie aufgehoben. Außer Cholerabazillen vertragen
auch Stapliylokokken selbst das Erhitzen auf 100° (Zentr. Bakt. 36 n.
37). Vgl. auch de Rossis Heubazillen S. 1089. Bei diesen besteht ein
gewisser Zusammenhang zwischen Agglutinierbarkeit und dem Zustand
der Geißeln. Daß die («eißeln selbst bei der Agglutination imverändert
bleiben, zeigten d e R o a s i (Zentr. Bakt. 36. 689) und Hinterberger
(ebenda 45).
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe. 1099
nach der Bakterienart wechselnde Widerstandsfähigkeit gegen schäd-
liche Einflüsse zu^).
Angeregt wurden die beiden Forscher zu diesen Untersuchungen durch
Angaben von W i d a 1 und Sicard, van de Velde, Malvoz
und N i c o 1 1 e über das Ausbleiben der Agglutination bei Bakterien, die
durch Hitze oder Aufenthalt in älteren Kulturen verändert waren. Letzteres
konnten Eisenberg und Volk zwar nicht bestätigen, es kann aber
doch wohl in anderen Fällen zu recht bestehen.
Kälte, Formalin, Sublimat, Cliloroform, Thymol u. a. m. sind nach
den oben genannten Forschem ohne Einfluß auf die agglutinierbare Sub-
stanz. Jedoch hat S e 1 1 e r in meinem Laboratoriiun gefunden, daß
Formalinzusatz zu Typhusbazillenkulturen — in Form des Ficker sehen
„Typhusdiagnostikums*^ — doch deren Agglutinierbarkeit in gewissem
Gr€ide beeinträchtigt. In konzentrierton Gaben und bei längerer Ein-
wirkung werden wohl alle Antiseptika die agglutinierbare Substanz nicht
unberührt lassen. Daß der Alkohol sogar die immunisierende Fähigkeit der
Ap^hitinogene unter diesen Umständen zerstört, haben wir schon früher
mitgeteilt (S. 1088). Nach Nie olle soll allerdings Alkohol und Äther
die „substance agglutinöe" nicht schädigen, aber er arbeitete in der Weise,
daß er trockene Bakterien mit diesem Stoffe 2 Tage lang auszog und
den eingedunsteten Extrakt in Bouillon aufgelöst mit agglutinierendem
Serum versetzte \md auf Niederschlagsbildung prüfte. Die letztere kann
übrigens nur dann auf das Vorhandensein agglutinierbarer Substanz bezogen
werden, wenn man diese der ,,präzitierbaren" Substanz gleichsetzt. Vieles
spricht allerdings dafür (s. u. §. 342). Auch nach Pick, Kraus und
V. Pirquet enthält die präzipitierbare Substanz alkohollösliche Be-
standteile.
Vieldeutig erscheint zunächst die von B o r d e t ^) zuerst fest-
gestellte imd dann von Nolf, Joes, Friedberger''), Eisen-
berg imd Volk, Porges*) studierte Einwirkung der Salze und
anderer kristallisierbarer Körper (wie Zucker, Leuzin)
auf die Agglutination. Völliger Mangel derartiger Stoffe in der
Aufschwemmung verhindert sie, Zusatz selbst kleiner Mengen ruft sie
wieder hervor, höhere Konzentrationen hemmen oder verhindern sie eben-
falls, ohne daß aber eine nachträgliche Verdünnung die Hemmung be-
seitigte. Man hat sich diese Wirkungen verschieden erklärt. Nach Joes
und Po r g e s ist eine gewisse Menge Salz insofern nötig zur Agglutination,
1) Agglutinogene ohne agglutinierbare Gruppe würde man am besten
Agglutinogenoid nennen, wenn dew Wort nicht zu fürchterlich klänge.
Agglutinoid, das Kraus vorschlägt, ist schon vergeben an die Abart
des Agglutinins, die eine bindende, aber keine agglutinierende Grvij)]'>e
besitzt. Bine weitere Verwicklung besteht darin, daß die bindenden Be-
standteile der Agglutinogene, wie wir oben gesellen, nicht völlig zusammon-
fallen mit den agglutinininerzeugenden. Wir haben hier wieder in ge-
wissem Sinne ähnliche Verhältnisse wie bei den Agressinen bzw. Lysino-
genen (§ 327).
2) Annal. Pastem- 1899.
3) Zentr. Bakt. 30, 1901.
4) Ebenda 40, 1903.
1 1 26 Kap. XVIII, § 345.
im Tierblut ganz anders aus wie in Bouillon; hier wachsen lange Fäden
ohne Scheide, dort kurze Stäbchenketten mit Kapseln; der Essig-
bazillus bildet üppige Decken auf saurem Bier mit zahlreichen wunder-
samen Involutionsformen, in unseren künstlichen Nährböden gedeiht
er dagegen spärlich imd meist als kurzes Stäbchen; der Prodigiosus
entwickelt bei 37** keinen oder sehr wenig Farbstoff, bei mittleren
Temperaturen seine prächtigen scharlachroten Käsen. Es sind dies
die Standorts- oder Ernährungsmodifikationen
NägeliSjdie zwar auch bei den Mikroben regelmäßig dem ursprüng-
lichen Typus weichen, wenn die Übertragung in die passenden Lebens-
bedingungen rechtzeitig erfolgt, die aber bei fortgesetzter Züchtung
unter den veränderten Bedingungen dauerhaft werden können. So
verliert der Milzbrandbazillus häufig genug durch künstliche Kultur
die Fähigkeit, in charakteristischer Weise oder überhaupt im Tier-
körper zu 'wachsen, d. h. er wird weniger virulent, so büßt der Prodi-
giosus bei 37° schließlich sein Pigmentierungsvermögen völlig ein.
Man kann hier zwei Arten von Einwirkungen imterscheiden. Sind die
neuen Lebensbedingungen der Entwicklung der Keime an sich nicht
ungünstig, so vollzieht sich allmählich eine Anpassung an die-
selben, die unter Umständen, aber nicht immer eine Rückkehr zur
alten Lebensweise erschwert oder unmöglich macht. So gewinnt der
virulente Pneimiokokkus durch Züchtung in künstlichen Nährböden
in seiner Wachstumskraft auch dann, wenn er seine
Infektiosität verliert. So verstärkt der menschenpathogene
Streptokokkus durch fortgesetzte Übertragung auf Mäuse zwar seine
Virulenz für diese und oft auch für andere Tierarten, verliert
aber seine Lifektiosität für den Menschen. Wirken umgekehrt
die neuen Lebensbedingungen wachstumshemmend oder offensichtlich
schädigend, so spielt bei der Abänderung die Entartung des
Protoplasmas wieder eine Rolle. Daß dem wirklich so ist, dafür
sprechen außer dem ammittelbaren Augenschein auch die Erfahrungen,
die z. B. beim Milzbrandbazillus bei Züchtung in höheren Tempera-
turen gemacht worden sind (s. u. Dieudonne § 352). Je nach-
dem man die höheren Temperaturen allmählich oder plötzlich ein-
wirken läßt, erhält man Entartung mit Virulenzabschwächimg oder An-
passung ohne Abschwächung.
Wir kommen damit auf die absichtliche Hervorrufung von Ab-
änderungen durch Einwirkung schädlicher Einflüsse,
wie hohe Temperaturen, der trockene Zustand, desinfizierende Mittel
sie ausüben. Seitdem namentlich P a s t e u r dieses Verfahren an-
gewandt hat, um Virulenzabschwächung zu bewirken, hat man es
vielfach benutzt, um den Verlust dieser oder jener Eigenschaft bei
Veränderlichkeit der Klein wesen. 1127
Kieinwesen künstlich herbeizuführen. Bald handelt es sich um kurz-
daaernde Einwirkung stärkerer oder länger dauernde schwächerer
Mittel. Der Erfolg — auch was die Beständigkeit der Umwandlung
anlangt — ist je nach der Art der Klein wesen imd der betreffenden
Eigenschaften sehr imgleich. Am leichtesten ist auf diese Weise an-
scheinend die Virulenz zu beeinflussen. Selbst Sporen verfallen der
Abänderung, wenn sie auch naturgemäß widerstandsfähiger sind als
vegetative Formen.
Man muß es sich deswegen zur Regel machen, da, wo man mit schwachen
Mitt-eln auszukommen sucht, die Kulturen so häufig überzuimpfen, daß
überhaupt keine Sporen gebildet werden. Bei Pasteurs Abschwächiuigs-
methode für Milzbrand (bei 42 — 43") wird deshalb täglich auf neue Bouillon
übertragen. Umgekehrt ist die Überimpfung auf S0° erhitzten, d. h. nur
fiporenhaltigen Materials ein gutes Verfahren, um die Beständigkeit der
Merkmale in künstlichen Kulturen von Anaerobiern zu gewährleisten,
weil die Sporen zu Abänderungen durch den Einfluß der eigenen Stoff -
Wechselprodukte weniger neigen (Bredemann s. u.).
Manchmal wird ein Erfolg der Behandlung mit schädigenden Mitteln,
ebenso wie bei der Verwendung alter Kulturen nur dadurch vorgetäuscht,
daß die Schädlichkeit die Zahl der lebenden Keime und dadurch deren
Leistung herabsetzt oder aber nur die individuellen Fähigkeiten beeinträch-
tigt. Die Prüfung des auf passenden Nährboden übertragenen Materials
zeigt dann, daß die Abänderung überhaupt nicht vererbt wird. Ob das
eine oder andere geschieht, ob die Vererbung nur für wenige oder viele
(ienerationen gilt, immer hat man ein Recht, die Abänderung als eine mehr
oder weniger tiefgreifende Entartung aufzufassen. Ausnahmsweise wird
freilich nach Einwirkung einer Schädlichkeit die Eigenschaft, die man zu
beeinflussen sucht, nicht abgeschwächt, sondern verstärkt. Einige der-
artige Fälle, die die Virulenz betreffen, haben wir schon S. 1086 erwähnt,
und die Erklärung darin gefunden, daß gelegentlich Wider-
standskraft gegen äußere Schädlichkeiten und das
Angriffsvermögen im Tierkörper miteinander pa-
rallel gehen. Durch die Erhitzvmg, Trocknung u. dgl. werden also nur
die weniger tüchtigen Individuen ausgeschaltet, die tüchtigen aber nicht
geschädigt. Die Entartung bleibt ebenfalls aus, wenn, wie in den obigen
Beispielen beim Milzbrand die schädigenden Einflüsse so allmählich
zur Wirksamkeit gelangen, daß die Mikroben sich ihnen anzupassen lernen.
Den Entartungsformen stehen jedenfalls sehr nahe diejenigen
morphologischen Veränderungen, die man seit lange als „Involutions-
formen'* zu bezeichnen pflegt, mit M a a ß e n aber auch als „terato-
logische Wuchsformen" bezeichnen könnte. Auf die Bedingungen
ihrer Entstehung und ihrer Vererbungsfähigkeit kommen wir gleich
zurück.
Welche der hier besprochenen durch den Versuch im Ijabora-
torium nachgewiesenen Möglichkeiten die Abänderung unter natür-
lichen Bedingimgen, die Bildung natürlicher Varie-
1128 Kap. XVIII, § 545 u- 346.
täten (§357) herbeiführen, muß dahingestellt bleiben. Selbstverständlich
kommen hier auch die freiwilligen Abänderungen (s. o.) in Betracht.
Sehr wahrscheinlich ist es, daß für die Entstehimg der Abarten und
Arten bei den Mikroben der Einfluß der Isolierung eine ähnliche
Bedeutung hat wie bei den höheren Organismen (s. u.).
Im folgenden sollen die Abänderungen besprochen werden, welche
die einzelnen Eigenschaften der Mikroben erfahren^). Wir können
dabei freilich nicht a 1 1 e in der Literatur niedergelegten Beobachtungen
berücksichtigen, weil sie oft nicht genügend gesichert sind. Das betrifft
namentlich die Angaben über Umzüchtungen von bestimmten patho-
genen Bakterien (Typhus, Milzbrand) in bestimmte nichtpathogene
(Coli, Heubazillen) und umgekehrt. Wenn sie früher am einfachsten
durch mangelhafte Technik zu erklären waren, so hat sich
im Lauf der Zeit herausgestellt, daß selbst das lange für un-
fehlbar gehaltene Plattenverfahren nicht dieses
unbedingte Vertrauen verdient, weil es nicht immer die
Trennung der Keime, die Reinkultur gewährleistet. Wohl in jedem
Laboratorium sind derartige Beobachtungen gemacht worden, die
dafür sprechen, daß namentlich die Kolonien der ersten Platten-
generation noch zum Teil Mischkolonien sein können. Die Be-
nutzung sogenannterelektiver Nährböden scheint
die Entstehung solcher zu begünstigen.
So ist es ganz gewöhnlich, daß Diphtheriebazillen, die
von Ixifflersenimplatten isoliert werden, sich naeht<räglich — aber durch-
aus nicht stets schon bei der zweiten oder dritten Übertragung — mit
Strepto- oder Pneumokokken vermengt zeigen. Überall da, wo das zu
untersuchende Material eine schlecht wachsende Bakterienart in über-
wiegender Menge neben einer gutwachsenden Art enthält, sind die Rein-
kulturen der letzteren verdächtig, mit den ersteren verunreinigt zu sein.
Unseres Erachtens hat das Übersehen dieser Tatsachen so lange die scharfe
Trennung der H ü p p e sehen Milchsäurebakterien, die der
Aerogenesgruppe angehören, von den echten Milchsäurekeimen, die Strepto-
kokken sind (S. 285 ff.), gehindert. Auf ebensolche Beimischungen zurück-
zuführen ist aller Wahrscheinlichkeit nach die „Umzüchtung" des B a e.
alcaligenesin Typhusbazillen, die Altschüler *) und D ö b o r t ')
bewerkjtelligt haben wollen (Berghaus*), Conradi*), Boit*),
1) Vgl. Kruse ,, Variabilität" in F 1 ü g g e s Mikroorganism. 3. Aufl.
1. 475, 1896. Auch E. Gotschlich in Kolle-Wassermanns
Handb. 1. 123, 1903 imd Erg.-Bd. 2. 22, 1907.
2) Münch. med. Woch. 1904. 20.
3) Arch. f. Hyg. 52, 1905.
4) Hyg. Rundschau 1905. 15 imd 23.
5) Münch. med. Woch. 1905. 38.
6) Einf. 11. sich. Identifik. der Typhusbaz. Jena 1905.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1129
Trommsdorf*), Terburgh*), G a e t h g en 3 •)). Ebenso ist
die Überführung des Dysenteriebazillus in den Pseudodysenteriebazillus
durch S h i g a *) zu beurteilen (L e n t z *) , Kruse). Für mich besteht
kein Zweifel» daß auch die merkwürdigen Angaben Dunbars*) über
Züchtung von allen möglichen Bakterien und Pil-
zen aus grünen Algen auf ähnlichen Fehlerquellen beruhen, ob-
wohl der Verfasser sich viele Mühe gegeben hat, solche auszuschalten.
So sehr ich überzeugt bin, daß wir in der Mikrobiologie noch manche Über-
raschimgen erleben werden, so sehr muß doch verlangt werden, daß so
umstürzende Neuenuigen besser gegen die Kritik geschützt werden, ehe
sie den Anspruch erheben dürfen, als Entdeckungen anerkannt zu werden.
Was die Variabilität der Buttersäure- bzw. Hauschbrandbazillen
angeht, so ist das letzte Wort über den Grad derselben noch nicht ge-
sprochen. Während Graßberger und Schattenfroh (und auch
Bredemann) an diesen Bakterien die bedeutendsten morphologischen
und physiologischen Abänderungen vor sich gehen lassen, ist v. H i b 1 e r
nicht geneigt, so weit zu gehen, sondern erklärt sie mindestens zum Teil
durch Versuchsfehler, d. h. durch Verunreinigungen des Ausgangsmaterials
mit fremden Anaeroben (§ 113).
§ 346. Form und Größe. Allgemein anerkannt ist heutzutage,
daß Größe und Form der Mikrobien nicht unerheblichen Abweichungen
unterliegen, die teils als „individuelle" unter den gewöhnlichen Be-
dingungen erscheinen, teils als „Emährungsmodifikationen" oder
„Entartungsformen" bei Veränderungen der äußeren Lebensbedingun-
gen auftreten (s. o. § 345). Ebenso ist bewiesen, daß in nicht wenigen
Fällen diese Abänderungen erblich werden können.
So haben Kruse und Pansini') Pneumoniekokken,
die vom Tier gewonnen in Form lanzettförmiger Kokken wuchsen, durch
mehr als 100 Übertragungen auf künstliche Nährboden
in Streptokokken umgewandelt, die sich von Eiterstreptokokken morpho-
logisch nicht unterscheiden ließen und diesen Charakter bewahrten. Andere
Male gelangten sie schon viel früher zu demselben Ergebnis, in einigen
Fällen blieben die Versuche vergeblich, oder die erhaltenen Abänderungen
waren nicht beständig. Bei dieser Gelegenheit trat die Wahrheit des Satzes,
daß die Neigung zu variieren selbst bei Bakterien
derselben Art außerordentlichen Schwankungen
unterliegt, recht deutlich zutage. Von anderen Abweichungen,
z. B. dem Auftreten bazillärer Formen, sprechen wir hier erst, wenn wir
die natürlichen Abarten der Pneumoniekokken und anderer
Mikroben behandeln (s. u. § 357). Bei pyogenen Streptokokken
1) Münch. med. Woch. 1905. 35.
2) Zentr. Bakt. 40, 1905.
3) Arch. f. Hyg. 62.
4) Zeitschr. f. Hyg. 41.
5) Ebenda 43, 1903.
6) Zur Frage der Stelhmg der Bakterien, Hefen und Schimmelpilze
im System 1907.
7) Zeitschr. f. Hyg. 11, 1891.
1130 Kap. XVin, § 346.
kommen auch manchmal Abänderungen vor (Pasquale *)). Neuer-
dings behauptet sogar Schereschewsky •), der Streptococcus
pyogenes verwandele sich in Blutnährböden in Pneiunokokken ( ?). Was
sporenbildende Bakterien anlangt, so ist bekannt, daß freiwillig und nament-
lich nach Pasteurs Methode abgeschwächte Milzbrandbazil-
len auch in ihrem äuJßeren Ansehen von virulenten Bazillen abzuweichen
pflegen. Selbst Sporen unterliegen, wenn auch lemgsamer, schädigenden
Einflüssen. So sah Scagliosi ') Milzbrandsporen nach 10 Jahre langer
Aufbewahrung in trockenem Zudtcmde nur künmaerlich und nicht mehr
in Fäden wachsen.
Viel größer als die Veränderlichkeit der aeroben scheint die der streng
anaeroben Sporenbildner, insbesondere aus der Gruppe der Butter-
säurebakterien zu sein. Graßberger und Schatten-
froh stellten, wie wir schon sahen ( § 113), zwei Typen, die des beweglichen
mit schlanken und des unbeweglichen Buttersäurebazillus mit pliunpen
Formen auf, die sich mehr oder weniger schwer ineinander überführen
lassen. Dasselbe wie für die nichtpathogenon gilt für die pathogenen
Anaerobier, die Rauschbrand-, Gasbrand- und vielleicht
auch für die Tetanusbazillen (s. u. Sporen § 347). Sehr merk-
würdig ist die Angabe mehrerer Forscher, vor allem Bredemanns,
daß der Bac. amylobacter unter Bedingungen, die noch nicht vollständig
festgestellt sind, kokkoide Elemente, „Mikrooidien", bilde, die
sich auch in vielen anderen Beziehungen — Sporenbildung, Sauerstoff-
bedürfnis, Gärvermögen — von den typischen Buttersäurebazillen unter-
scheiden, luid übrigens viele Generationen hindurch als solche fortpflanzen
lassen sollen (S. 355).
Unter den nicht sporenbildenden Bazillen sind es die „Pigmentbak-
terien", der Pyocyaneus und Prodigiosus, deren Veränderlicli-
keit am frühesten festgestellt wurde (§3). Guignard und C h a r r i n ,
Wasserzug, Kubier und Verfasser fanden ziemlich übereinstim-
mend, daß man durch wachstumshemmende Zusätze (Bor-
säure, Kaliumbichromat, Weinsäure usw.) die Form dieser Bakterien in der
Weise verändern kann, daß sie statt kurzer lange, oft verdickte imd ge-
wundene und dadurch spirillenähnliche Stäbchen und Faden
bilden. Offenbar ist das Ausbleiben der Teilungen trotz Fortschreiten?
des Wachstums daran schuld. Diu*ch systematische Züchtimg gelingt es
manchmal, diese Abänderungen dauerhaft zu machen, so daß sie bei l ber-
tragiingen auf die üblichen Nährböden nicht mehr verschwinden. Wahr-
scheinlich sind auch manche andere Bakterien in ähnlicher Weise zu be-
einflussen. Mindestens ist das Vorkommen von ähnlich gebildeten oder
mehr rundlich oder spindelartig oder auch ganz un-
regelmäßig gestalteten, z. B. gewoihartig ver-
zweigten ,,R iesenformen" bei sehr zahlreichen Bazillen und
Spirillen, gelegentlich auch bei Kokken (Streptokokken s. o.) beobachtet
worden, zunächst in alten Kulturen, dann bei gewissen Arten
wie den Essigbakterien bei bestimmten Temperaturen
(Hansen) oder, wie bei Pest-, Rotz-, Diphtherie-, Leucht-, Meere*^-
bakterien auf einzelnen Nährböden. Unter dem Namen der
1) Zieglers Beitr. 12. 499, 1892.
2) Zentr. Bakt. 49. 72, 1909.
Veränderlichkeit der Kleinwesen.. 1131
unregelmäßigen Bildungen, I n v o 1 u t i o n b f o r m en
(X ä g e 1 i) oder teralogischen Wuchsformen (Maaßen),
der Heteromorp hosen, haben wir sie schon früher erwähnt ( § 3)
und an der Hand der Arbeiten von Gamaleia, Maaßen, Haxn<
m er 1 ^) u. a. den maßgebenden Einfluß erörtert, den neben der Stammes-
anli^e der Salzgehalt der Nährböden auf die Entstehung
derselben ausübt. Nur M a a ß e n scheint allerdings auf die uns hier
wesentlich interessierende Frage eingegangen zu sein, ob sich diese
Formen vererben. Er verneint das, ja kommt imigekehrt zu dem
Schluß, daß sich eher eine Anpassung an den salzhaltigen
Nährboden bemerkbar mache, indem bei fortge-
setzter Übertragung die Zahl der Riesenformen
zurückgehe. Auch H a m m e r 1 neigt dazu, weil er beobachtete,
daß aus den Kulturen der Cholerabazillon die kugeligen Invohi-
tionsformen, die sich unter dem Einfluß der Salze zuerst massenhaft gebildet
hatten, fast vollständig verschwanden imd normalen Kommaformen und
Spirillen Platz machten. Die Verhandlungen über diese Frage sind offen-
bar noch nicht geschlossen. Sicher ist eine vererbbare Veränderlichkeit
nachgewiesen für die Bakterien der Aerogenesgruppe, nament-
lich durch die unter meinen Augen ausgeführten Untersuchungen von
Wilde *). Entsprechend der Wandlung, welche Kolonien- und Schleim-
bildung bei diesen Bakterien durchmachen (s. u. § 351), vollziehen sich
morphologische Veränderungen in der Weise, daß di e ursprünglich
fast kugligen, plumpen und dicken Stäbchen kleiner
und schlanker werden. Schließlich wird die Abänderung be-
ständig. So erklärt es sich wohl, daß die offenbar lange fortgezüchteten
Stämme dieser Gruppe, die ich in meinem Königaberger Laboratorium
vorfand, bei der mikroskopischen Prüfung gar keine Ähnlichkeit mit dem
ursprünglichen Typus zeigten, sondern durchaus „Colibazillen" glichen.
Auch bei den Ruhrbazillen, die ich jahrelang fortgezüchtet habe,
konnte ich hin und wieder ähnliche Veränderungen beobachten. Bei der
Coli-Typhusgruppe, die die bewegliche Formen umfaßt, liegen
die Verhältnisse anscheinend auch nicht viel anders. Wie die einzelnen
Individuen einer und derselben Kultur bald plump, bald schlank sind,
so gibt es Arten und Abarten, die vorwiegend diese oder jene Form zeigen.
B a r b er ») hat, wie wir schon früher erwähnt (S. 1125), für TH^phus- und
Colibazillen nachgewiesen, daß man unmittelbar durch Aus-
wahl schlanker Individuen unter dem Mikroskop
Rassen mit denselben Eigenschaften erhalten kann.
Über Abänderungen der Pest-, Diphtherie- \md Tuberkel-
bazillen ^) wird bei den natürlichen Varietäten zu reden sein (§ 357).
Die letzteren beiden zeichnen sich zum Teil schon in den gewöhnlichen
Nährböden durch Verzweigungen (s. o.) aus. Daß die Neigung
zu Verzweigungen in gewissem Grade erblich ist, beobachtete auch L e -
1) Zentr. Bakt. 41 imd 42, 1906.
2) Bonner mediz. Dissertation 1896.
3) Kansas University Science Bull. 1907. 4, ref. Zentr. Bakt. 2. Abt.
23. 222.
4) Über die Verwandhmg der säurefesten bazillären Form der Tuber-
kelbazillen in die gramfeste kömige s. Much S. 13.
1 132 Kap. XVIII, § 346 u. 347.
peschkin*) bei einem „B&c. Bereetnevi", der (^fenbar einen Über-
gang zu den Strahlenpilzen bildet. Denn die Nachkommen ver-
zweigter Individuen wiesen viel hävifiger diese Merkmale auf, als die von
unverzweigten .
Während man unmittelbar nach der Entdeckung des Cholera-
vibrio großen Wert auf die bestimmte Form und Größe desselben legte
und glaubte, ihn schon dadurch von ähnlichen Vibrionen trennen zu kön-
nen, wies zunächst F i r t s c h *) am Spirillum Finkler-Prior
(„Vibrio Proteus") nach, daß er sich in morphologische Ab-
arten von mehr oder minder großer Beständigkeit
spalten läßt. Dasselbe gelang mir*) beim Choleravibrio. Nacli
längerem Aufenthalt in Brunnenwasser wurden aus ihm zwei dauerhafte
Varietäten herausgezüchtet, von denen die eine regelmäßig plumpe, die
andere lange, schlanke Komm«« bildete. Später isolierte ich ähnliche
Spielarten aus sehr alten Cholerakultiwen, deren Zurückfühnmg auf den
alten Typus erst mittelst zahlreicher Übertragungen auf Meerschweinchen
glückte (vgl. Metschnikoff *)). Gewöhnlich sind die atypischen
Formen weniger beständig (Friedrich*)).
Aus einer Hefekultur konnte B a r b e r ebenso wie beim
Typhus (s. o.) durch mikroskopische Isolierung eine Abart mit pe-
streckten Zellen züchten. Eine ähnliche, aber nicht dauerhafte
Abänderung hatte Hansen schon früher in Gelatineplatten beobachtet.
Der Polymorphismus und Generationswechsel
vieler Protozoen, z. B. der menschlichen und tierischen Malaria-
parasiten, gehört nicht zu den Veränderungen, die wir hier b^prechen
wollen, weil er nur der regelmäßigen Entwicklung dieser
Parasiten entspricht (S. 1122). Wohl würde aber eine Veränderlichkeit in
unserem Sinne vorliegen, wenn die einzelnen Arten oder Abarten der Ma-
lariaerreger wirklich imstande wären, ineinander überzugehen.
Das ist in der ersten Zeit nach ihrer Entdeckung \ielfach behauptet, aber
ebensooft und mit guten Gründen bestritten worden. In der Tat liegt es
näher, die betreffende Tatsache durch Mischinfektion z. B. mit den Tert-ian-
und Quartan-, bzw. Tropikaparasiten zu erklären. Immerhin gibt es Fälle,
in denen diese Deutung recht gezwimgen erscheint*)
§ 347. Sporen. Zur Sporenbildung ist außer gewissen äußeren
Voraussetzungen, wie Temperatur, Sauerstoffzutritt, Erschöpfung der
Nährböden usw. (§ 38), noch eine innere Anlage des Bakterienleibes
bzw. Pilzleibes vonnöten, die nur einer beschränkten Zahl von Arten
zukommt. Die Erfahrung hat gelehrt, daß alle diejenigen
Mittel, die geeignet sind, die Entwicklung von
Sporen zu stören, auch zum erblichen Verlust
des Sporenbildungsvermögen-s führen. Rückschläge
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 641, 1904.
2) Arch. f. Hyg. 8.
3) Kruse, Zeitschr. f. Hyg. 17. 36.
4) Annal. Pastetu* 1894. 5 und 8.
5) Arb. K. Gesundheitsamts 8.
6) Vgl. z. B. A. Plehn, Deutsch, med. Woch. 1907. 30.
Veränderlichkeit der Klein wesen. 1133
sind sehr oft möglich und lassen sich durch die umgekehrte Behand-
lung befördern.
Den Verlust der Sporen bedingt z. B. die Züchtung bei zu
hohen (42®) und bei zu niederen Temperaturen, oft
genügt schon andauernde Kultur in Gelatinestich oder mit
Zusätzen von wachstumshemmenden Stoffen ( Ka-
liumbichromat, Karbol, Sublimat), ja schon von Glyzerin und Trau-
benzucker in der üblichen Menge (Seit er). Die Versuche sind
meist am Milzbrandbazillus angestellt worden (Chamber-
l a n d und R o u x *), R o u x *), K. B. L e h m a n n '), Behring*),
P h i s a 1 i X ")) ; aber auch andere Aerobier, z. B. Heubazillen, ver-
fallen den gleichen Einflüssen (Selter*), Garbowski')), während
die Verhältnisse bei Antwrobiem, mindestens was die Einwirkimg der letzt-
genannten Nährstoffe anlangt, verwickelter zu liegen scheinen'). Syste-
matische Versuche, den Anaerobiem das Sporenbildiuigs vermögen zu
nehmen, liegen bisher kaum vor. Man kann vorläufig aber doch nach
eigenen und fremden Erfahrungen sagen, daß auch Anaerobier-
stämme derselben Art oft eine recht ungleiche Nei-
gung zur Sporenbildung zeigen, d. h. das Sporenbildungs-
vermögen zum Teil oder ganz einbüßen und ebenso wiedergewinnen
können; auch über die Bedingungen, unter denen das eine oder andere ge-
schieht, haben wir einige, freilich nur grob empirische Kenntnisse. Nach
Graßberger und Schattenfroh (S. 353 u. 357) gibt es „dena-
turierbare" Buttersäurebakterien, d. h. solche, die namentlich bei Übertragung
auf feste zuckerhaltige Nährböden neben einer Änderung ihrer Form
(s. o. § 346), neben dem Verlust ihrer Beweglichkeit (§ 348) auch einen
Verlust ihrer Fähigkeit zur Sporenbildiing erleiden, und andererseits solche,
die nicht denaturierbar sind („bewegliche Buttorsäurebazillen"). Auf
alkalischem Stärkekleisteragar gelang es ihnen'),
den „unbeweglichen Buttersäurebazillus", ebenso
wie Albrecht*®) den unbeweglichen und sporenlosen
Oasphlegmonebazillus wieder zu kräftiger Ver-
sporung anzuregen. Auch reine Eiweißnährböden erwiesen sich
übrigens dazu als brauchbar"). B redemann**) ist der Ansicht (vgl.
S. 355), daß die Unterscheidung zwischen denaturierbaren und nicht dena-
turierbaren Buttersäurebazillen nicht aufrecht zu erhalten ist, weil er selbst
1) Compt. rend. ac. sc. 96. 1090.
2) Annal. Pasteur 1890.
3) Münchn. med. Woch. 1887. 25.
4) Zeitschr. f. Hyg. 6. 125 und 7. 181.
5) Bull, m6d. 1892. 25.
6) Zentr. Bakt. 37, 1904.
7) Ebenda 2. Abt. 19 und 20.
8) Vgl. über die Bedingungen der Sporenbildung namentlich v. H i b -
1er, Untersuchungen über pathogene Anaeroben 1908. S. 185 ff.
9) Arch. f. Hyg. 37.
10) Arch. f. klin. Chir. 67, 1902.
11) Passini, Wien. klin. Woch. 1906. 627; Graßberger und
Schattenfroh, Arch. f. Hyg. 60, 1907 imd v. H i b 1 e r a. a. O.
12) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 406.
1134 Kap. XVIII, § 347 u. 348.
Kulturen des „beweglichen Buttersäurebazillus" in der Hand gehabt hat,
die unbeweglich wcuren und keine Sporen bildeten. In diesen FäUen glückte
es ihm, auf mit Kreide eingeriebenen Kartoffeln die
Sporenbildung wieder hervorzurufen. Auf gewöhn-
lichem Traubenzuckeragar lassen sich dann diese wie andere Stamme
leicht weiterzüchten, jedoch nur dann mit Erhaltung des Sporenbildungs-
vermögen3, wenn man die Sporen allein überimpft,
d. h. das Impfmaterial regelmäßig vorher 5 Minuten auf 80" erhitzt (S 1127).
Mit Hilfe mikroskopischer Auslese ist es Barbar (S. 1131)
gelungen, bei Bac. megatherium eine sporenlose Abetrt zu züchten.
Er schließt daraus wohl nicht ganz mit Recht auf die maßgebende Be-
deutung der Mutation. Auch P r e i s z ') isoliert« aus einer und der-
selben Milzbrandkultur neben Bazillen, die leicht Sporen bildeten,
solche, die es nicht taten.
Wenn die Neigung zur Bildung von Sporen variabel ist, so ist
die Größe, Stellung und Form der Sporen^), die Art ihrer Auskeimung^),
ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlichkeiten*) wahrscheinlich
ebenso veränderlich. Dafür sprechen die Schwankungen, die in allen
diesen Beziehungen bei den einzelnen Individuen derselben Kultur
beobachtet werden, sowie die Erfahrungen, die man an verschiedenen
Stämmen derselben Art gemacht hat (s. u. natürliche Varietäten § 357).
Das schließt nicht aus, daß die Abweichungen geringer werden, wenn
man die Stämme längere Zeit unter gleichen Bedingungen züchtet
und dann vergleicht, wie es Bredemann getan hat.
Daß Sporen bildende Hefezellen (Saccharomyces) die Fähig-
keit, Sporen zu bilden, dauernd verlieren können, ist eine alte Er-
fahrung. So erwähnt Hansen^) eine Abart des S. Pastorianus I,
die schon 12 Jahre lang diese Eigenschaft beibehalten habe. Ja, nach
demselben Forscher läßt sich gerade diese Abänderung sicherer be-
herrschen als die anderer Eigenschaften.
Die genannte Varietät wurde erhalten durch Züchtung in Bierwürze
bei einer Temperatur, die höher war als das Tomperatunmaximum für die
Sporenbildung. Andere ähnliche Spielarten entstanden aber anscheinend
freiwillig (S. Ludwigii, Marxianus*), Schizosaccharomyces octosporus^)),
waren allerdings nicht ebenso beständig, ließen sich z. B. in sporen-
bildende zurückverwandeln diu'ch Übergang von Bierwürze zu Trauben-
zuckernährböden oder durch trockene Hitze, die die vegetativen Formen
vernichtete und die noch vereinzelt gebildete Sporen übrig ließ.
1) Zentr. Bakt. 35. 6.
2) Vgl. hier v. Hibler, Bredemann a. a. O.
3) Ebenda und Caspari, Arch. f. Hyg. 42, 1902.
4) Compt. rend. trav. labor. Carlsburg 511, 1900; ref. Zentr. Bakt.
2. Abt. 7. 199.
5) Vgl. Anm. 4.
6) S. bei Kl ö c k e r , Gärungsorganismen 1900, S. 194.
7) B e i j e r i n c k , Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 637, 1898.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1135
§ 348. Beweglichkeit. Mehr oder minder vollständiger Ver-
lust der Beweglichkeit^) wiid nach unseren eigenen Erfahrungen gar
nicht selten an Laboratoriumskulturen, z. B. von Typhus, Cholera
beobachtet. Besonders berichten über unbewegliche Stämme des
Micrococcus agilis und der Sarcina mobilis Lehmann und N e u -
mann, des Typhusbazillus Stephens^), des Colibazillus V i 1 -
linger^) imd Bar b er (S. 1131), des Choleravibrio Bonhoff*).
Teils handelt es sich um Abänderungen, die offenbar im Laufe der
künstlichen Züchtung aus den älteren Nährböden aufgetreten sind,
teils um Entartungsformen, die durch Kultur in karbolhaltiger Bouil-
lon bei 42° (V i 1 1 i n g e r) erhalten, teils um Rassen, die durch mikro-
skopische Auslese (B a r b e r) gewonnen wurden.
Aber auch der umgekehrte Fall, das Auftreten von Beweglichkeit
bei sonst unbeweglichen Bakterien, ist beschrieben worden. Wir können
allerdings vorläufig noch nicht glauben, daß die auffallende Behaup-
tung von A. M e y e r ^) und Ellis®), alle Kokken und Ba-
zillen seien mit Geißeln ausgestattet und beweg-
lich, den Tatsachen entspreche, aber kaum einen Zweifel läßt zu die
Beobachtung von Zierler '^), Lehmann und N e u m a n n ,
nach der der Bac. implexus, der sich jahrelang unbeweglich gezeigt
habe, später lebhaft beweglich geworden sei. Es liegt freilich hier
der Gedanke an einen Rückschlag nahe genug. Ausgeschlossen
scheint ein solcher dagegen nach unseren bisherigen Kenntnissen beim
Ruhrbazillus, von dem ein Stamm nach M ü h 1 m a n n ®) in stark
alkahscher Bouillon fortgezüchtet, zu wiederholten Malen, aber immer
nur vorübergehend, eine „typhöse Beweglichkeit" in Traubenzucker-
bouillon oder Agar gezeigt haben soll. Die sogenannte Beweglichkeit
der „homogenen" Tuberkelbazillen Arloings und Courmonts
ist wohl nichts anderes als Molekularbewegung^), die ja auch sonst
oft mit Eigenbewegung verwechselt worden ist.
Ob die Zahl und namentlich dieAnordnungderGeißeln
ebenfalls erheblichen Abänderungen unterliegt in dem Sinne, daß ein
1) Über die Beeinflussung der Beweglichkeit durch j)hysikalischo
und chemische Einflüsse vgl. § 46 u. 56.
2) Ref. Bull. Pasteur 1905. 241.
3) Arch. f. Hyg. 21.
4) Arch. f. Hyg. 22. 28.
5) Zentr. Bakt. 31.
6) Ebenda 33 und ebenda 2. Abt. 9 und 11.
7) Arch. f. Hyg. 34.
8) Arch. f. Hyg. 69, 1908.
9) Vgl. C. Frank el, Hyg. Rundschau 1900. 630; R o m b e r g ,
Deutsch, med. Woch. 1901. 18/19.
1136 Kap. XVni, § 348—350.
Übergang vom monotrichen zum lophotrichen oder peritrichen Typus
und umgekehrt möglich wäre, ist noch nicht ausgemacht. Im allge-
meinen scheint es sich hier um recht bestandige Charaktere zu
handeln (§ 359).
§ 349. Znsammensetzung des Mikrobenleibes. Mikro-
eheniische Reaktionen. Über die Schwankimgen in der chemischen
Zusammensetzung der Körper der Bakterien und Pilze imd ihre Ab-
hängigkeit von dem Entwicklungszustande und der Ernährung wurde
schon früher gehandelt (S. 59). Wenn wir den ungleichen Gehalt von
verschiedenen Rassen derselben Art an Schleim (§ 351), ihre ungleiche
Ausstattung mit fermentativen Kräften (§ 353), ihre ungleiche Wider-
standsfähigkeit (§ 350) und Reaktionsfähigkeit gegenüber Schädlich-
keiten (s. o.) bedenken, wird es wahrscheinlich, daß sie auch in ihrem
chemischen Aufbau mehr oder weniger erheblich voneinander ab-
weichen können. Mit Hilfe der groben chemischen Analyse wird das
aber nur ausnahmsweise, z. B. im ersteren Fall, nachweisbar sein. Es
fehlt übrigens an Untersuchungen darüber.
Hin und wieder hat man bei verschiedenen Rassen derselben Art
Unterschiede in ihrem mikrochemischen Verhalten (vgl.
Kap. I), namentlich in ihrer Säurefestigkeit (vgl. § 19) ge-
funden. So sollen Bakterien bzw. Strahlenpilze durch Züchtung in
fetthaltigen Nährböden säurefest werden (Bienstock^), Gott-
stein ^), Potet, Pellegrino^)) und umgekehrt Leprabazillen
in künstlichen Kulturen meist ihre Säurefestigkeit verlieren (D e y c k e
und Reschad-Bey *)). (Srewöhnlich handelt es sich aber wohl
hier um eine nicht beständige Emährungsmodifikation (Fettnahrung?)
und im Falle der Lepra wohl um Verunreinigungen, die mit den eigent-
lichen Erregem der Lepra nichts zu tun haben. Gerade Strahlenpilze
kommen als Verunreinigungen häufiger in Betracht, als man gewöhn-
lich annimmt, da sie in der Luft weit verbreitet sind imd zum Teil
hohe Temperaturen vertragen. Die Möglichkeit der Entstehung säure-
fester und nicht säurefester Spielarten einer und derselben Art ist
freilich von vornherein um so weniger abzuleugnen, als säurefeste
Mikroben, z. B. die Tuberkelbazillen, anscheinend gewisse Stadien der
Entwicklimg durchlaufen, in denen sie nicht säurefest sind (vgl.
M u c h u. a. S. 45, Anm. 1). Ob das bei anderen Bakterien auch für
1) Fortschr. d. Mediz. 1886. 6.
2) Ebenda 1886. 8.
3) Annali d'igiene 1906.
4) Deutsch, med. Woch. 1905. 13/14. Vgl. aber die neuesten offenbar
besser gelungenen Züchtungsversuche mit Leprabazillen von Kedrowsky
und Küster (1910).
Veränderlichkeit der Klein weaen. 1137
die Gramfestigkeit (§ 18) gilt, wäre zu erwägen. Dadurch
würden sich dann vielleicht manche widerstreitende Angaben in der
Literatur über die Fähigkeit gewisser Bakterien, sich nach Gram
zu färben, erklären lassen. Vorläufig dünkt es uns freilich wahrschein-
licher, daß diese Abweichungen durch die etwas unregelmäßigen Er-
gebnisse des Färbeverfahrens selbst bedingt werden. Daß die Gram-
festigkeit eine Eigenschaft ist, die bei manchen Bakterienarten stärker
ausgesprochen ist als bei anderen, ist sicher, ebenso, daß absterbende
Formen leichter entfärbbar sind als Bakterien auf der Höhe ihrer
Entwicklung.
§ 350. Widerstandsfähigkeit. Daß die einzelnen
Individuen derselben Kultur, und zwar sowohl
im ve g e t a t i V en als im S p o r e n z u s t a n d, ungleiche
Widerstandsfähigkeit gegen schädliche Ein-
flüsse, z.B. ihre eigenen S t o f f w e ch s e 1 p r o duk t e^),
ferner künstliche an t i s e p t i s c h e Zusätze, Er-
hitzung und Trocknung besitzen, ist eine all-
tägliche Erfahrung, ebenso daß es namentlich unter den
Sporenbildnem natürliche Rassen ungleicher Widerstandsfähigkeit^)
gibt. Die Desinfektionspraxis muß damit rechnen. Aber auch die
künstliche Heranziehimg widerstandsfähiger und andererseits wider-
standsloser Spielarten ist mehrfach gelungen.
Nach der leuige dauernden Einwirkung höherer Temperaturen oder
antiseptischer Mittel zum Zwecke der Abschwächung von Bakterien beob-
achtete Smirnow') regelmäßig eine größere Empfindlichkeit gegen
Desinfektionsmittel- Nach Behring*) trifft das freilich nicht immer zu
(S. 1067). Garbowski*) beobachtete eine Herabsetzung der Wider-
standsfähigkeit auch bei Sporen von Saprophyten nach Behandlimg mit
physikalischen und chemischen Mitteln. Findet die Einwirkimg der ent-
wicklungshemmenden Einflüsse allmählich statt, so macht sich sogar eine
Anpassung geltend. Das haben Galeotti«), Dieudonnö') für
Milzbrand- und Prodigiosusbazillen gegenüber Temperaturen von 40—42°,
1) Vgl. das allmähliche Absterben der Keime in den Kulturen
§ 36 u. 37.
2) Esmarch, Zeitschr. f. Hyg. 1, Geppert, Berl. klin. Woch.
1889. 36 und 1890. 12, Weil, Zentr. Bakt. 30, Kokubo, ebenda 34
berichten über Milzbrandsporen, Dannappel, Zentr. Bakt. 2. Abt.
8. 841, 1900 über zahlreichen Sporenarten.
3) Zeitschr. f. Hyg. 4.
4) Ebenda 6.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 19 und 20.
6) Sperimentale 1892.
7) Arb. Gesundheitsamt 9.
Kruse, Mikrobiologie. 72
1 1 32 Kap. XVIII, § 346 u. 347.
peschkin *) bei einem „Bac. Bereetnevi", der offenbar einen Über-
gang zu den Strahlenpilzen bildet. Denn die Nachkommen ver-
zweigter Individuen wiesen viel häufiger diese Merkmale auf, als die von
unverzweigten .
Während man unmittelbar nach der Entdeckung des Cholera-
vibrio großen Wert auf die bestimmte Form und Größe desselben legte
und glaubte, ihn schon dadurch von ähnlichen Vibrionen trennen zu kön-
nen, wies zunächst Firtsch *) am Spirillum Finkler-Prior
(,, Vibrio Proteus") nach, daß er sich in morphologische Ab-
arten von mehr oder minder großer Beständigkeit
spalten läßt. Dasselbe gelang mir') beim Choleravibrio. Nach
längerem Aufenthalt in Brunnenwasser wurden aus ihm zwei dauerhafte
Varietäten herausgezüchtet, von denen die eine regelmäßig plumpe, die
andere lange, schlanke Kommas bildete. Später isoliert-e ich ähnliche
Spielarten aus sehr alten Cholerakultiwen, deren Zurückführung auf den
alten Typus erst mittelst zahlreicher Übertragungen auf Meerschweinchen
glückte (vgl. Metschnikoff *)). Gewöhnlich sind die atypischen
Formen weniger beständig (Friedrich*)).
Aus einer Hefekultur konnte B a r b e r ebenso wie beim
Typhus (s. o.) durch mikroskopische Isolierung eine Abart mit ge-
streckten Zellen züchten. Eine ähnliche, aber nicht dauerhafte
Abänderung hatte Hansen schon früher in Gelatineplatten beobachtest.
Der Polymorphismus und Generationswechsel
vieler Protozoen, z. B. der menschlichen und tierischen Malaria-
parasiton, gehört nicht zu den Veränderungen, die wir hier besprechen
wollen, v^eil er nur der regelmäßigen Entwicklung dieser
Parasiten entspricht (S. 1122). Wohl würde aber eine Veränderlichkeit in
unserem Sinne vorliegen, wenn die einzelnen Arten oder Abarten der M a -
lariaerreger wirklich imstande wären, ineinander überzugehen.
Das ist in der ersten Zeit nach ihrer Entdeckung ^nelfach behauptet, aber
ebensooft und mit guten Gründen bestritten worden. In der Tat liegt es
näher, die betreffende Tatsache durch Mischinfektion z. B. mit den Tertian-
imd Quartan-, bzw. Tropikaparasiten zu erklären. Immerhin gibt es Fälle,
in denen diese Deutung recht gezwungen erscheint •)
§ 347. Sporen. Zur Sporenbildung ist außer gewissen äußeren
Voraussetzungen, wie Temperatur, Sauerstoffzutritt, Erschöpfung der
Nährböden usw. (§ 38), noch eine innere Anlage des Bakterienleibes
bzw. Pilzleibes vonnöten, die nur einer beschränkten Zahl von Arten
zukommt. Die Erfahrung hat gelehrt, daß alle diejenigen
Mittel, die geeignet sind, die Entwicklung von
Sporen zu stören, auch zum erblichen Verlust
des Sporenbildungsvermögens führen. Rückschläge
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 641, 1904.
2) Arch. f. Hyg. 8.
3) Kruse, Zeitschr. f. Hyg. 17. 36.
4) Annal. Pasteur 1894. 5 und 8.
5) Arb. K. Gesundheitsamts 8.
6) Vgl. z. B. A. P 1 e h n , Deutsch, med. Woch. 1907. 30.
Veränderlichkeit der Klein wesen. 1133
sind sehr oft möglich und lassen sich durch die umgekehrte Behand-
lung befördern.
Den Verltist der Sporen bedingt z. B. die Züchtung bei zu
hohen (42'*) und bei zu niederen Temperaturen, oft
genügt schon andauernde Kultur in Gelatinestich oder mit
Zusätzen von wachstumshemmenden Stoffen ( Ka-
liumbichromat, Karbol, Sublimat), ja schon von Glyzerin und Trau-
benzucker in der üblichen Menge (S e 1 1 e r). Die Versuche sind
meist am Milzbrandbazillus angestellt worden (Chamber-
1 a n d und R o u x *), R o u x *), K. B. L e h m a n n '), Behring*),
P h i s a 1 i X •)); aber auch andere Aerobier, z. B. Heubazillen, ver-
fallen den gleichen Einflüssen (Seiter*), Garbowski')), während
die Verhältnisse bei Anaerobiem, mindestens was die Einwirkung der letzt-
genannten Nährstoffe anlangt, verwickelter zu liegen scheinen* ). Syste-
matische Versuche, den Anaerobiem das Sporenbildungs vermögen zu
nehmen, liegen bisher kaum vor. Man kann vorläufig aber doch nach
eigenen und fremden Erfahrimgen sagen, daß auch Anaerobier-
stämme derselben Art oft eine recht ungleiche Nei-
gung zur Sporenbildung zeigen, d. h. das Sporenbildungs-
vermögen zum Teil oder ganz einbüßen und ebenso wiedergewinnen
können; auch über die Bedingiuigen, imter denen das eine oder andere ge-
schieht, haben wir einige, freilich nor grob empirische Konntnis3e. Nach
Graßberger und Schattenfroh (S. 353 u. 357) gibt es „dena-
turierbare" Buttersäurebakterien, d. h. solche, dienamentlich bei Übertragung
auf feste zuckerhaltige Nährböden neben einer Änderung ihrer Form
(s. o. § 346), neben dem Verlust ihrer Beweglichkeit (§ 348) auch einen
Verlust ihrer Fähigkeit zur Sporenbildung erleiden, und andererseits solche,
die nicht denaturierbar sind („bewegliche Buttersäurebazillen"). Auf
alkalischem Stärkekleisteragar gelang es ihnen'),
den „unbeweglichen Buttersäurebazillus", ebenso
wie Albrecht ^°) den unbeweglichen und sporenlosen
Gasphlegmonebazillus wieder zu kräftiger Ver-
sporung anzuregen. Auch reine Eiweißnährböden erwiesen sich
übrigens dazu als brauchbar**). Bredemann**) ist der Ansicht (vgl.
S. 355), daß die Unterscheidung zwischen denaturierbaren und nicht dena-
turierbaren Buttersäurebazillen nicht aufrecht zu erhalten ist, weil er selbst
1) Compt. rend. ac. sc. 96. 1090.
2) Annal. Pasteur 1890.
3) Münchn. med. Woch. 1887. 25.
4) Zeitschr. f. Hyg. 6. 125 und 7. 181.
5) Bull. med. 1892. 25.
6) Zentr. Bakt. 37, 1904.
7) Ebenda 2. Abt. 19 und 20.
8) Vgl. über die Bedingungen der Sporenbildung namentlich v. H i b -
1er, Untersuchungen über pathogene Anaeroben 1908. S. 185 ff.
9) Arch. f. Hyg. 37.
10) Arch. f. klin. Chir. 67, 1902.
11) Passini, Wien. klin. Woch. 1906. 627; Graßberger imd
Schattenfroh, Arch. f. Hyg. 60, 1907 imd v. H i b 1 e r a. a. O.
12) Zentr. Bakt. 2. Abt. 23. 405.
1134 Kap. XVIII, § 347 u. 348.
Kulturen des „beweglichen Buttersäurebazillxis" in der Hand gehabt hat,
die unbeweglich waren und keine Sporen bildeten. In diesen Fällen glückte
es ihm, auf mit Kreide eingeriebenen Kartoffeln die
Sporenbildung wieder hervorzurufen. Auf gewöhn-
lichem Traubenzuckeragar lassen sich dann diese wie andere Stämme
leicht weiterzüchten, jedoch nur dann mit Erhaltung des Sporenbildimgs-
vermögens, wenn man die Sporen allein überimpft,
d. h. das Impfmaterial regelmäßig vorher 5 Minuten auf 80® erhitzt (S 1127).
Mit Hilfe mikroskopischer Auslese ist^ Barber(S. 1131)
gelungen, bei Bac. megatherium eine sporenlose Abcu't zu züchten.
Er schließt daraus wohl nicht ganz mit Recht auf die maßgebende Be-
deutung der Mutation. Auch P r e i s z ') isoliert« aus einer und der-
selben Milzbrandkul tur neben Bazillen, die leicht Sporen bildeten,
solche, die es nicht taten.
Wenn die Neigung zur Bildung von Sporen variabel ist, so ist
die Größe, Stellung und Form der Sporen^), die Art ihrer Auskeimung^),
ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlichkeiten^) wahrscheinlich
ebenso veränderlich. Dafür sprechen die Schwankungen, die in allen
diesen Beziehungen bei den einzelnen Individuen derselben Kultur
beobachtet werden, sowie die Erfahrungen, die man an verschiedenen
Stämmen derselben Art gemacht hat (s. u. natürliche Varietäten § 357).
Das schließt nicht aus, daß die Abweichungen geringer werden, wenn
man die Stämme längere Zeit unter gleichen Bedingungen züchtet
und dann vergleicht, wie es Bredemann getan hat.
Daß sporenbildende Hefezellen (Saccharomyces) die Fähig-
keit, Sporen zu bilden, dauernd verlieren können, ist eine alte Er-
fahrung. So erwähnt Hansen^) eine Abart des S. Pastorianus I,
die schon 12 Jahre lang diese Eigenschaft beibehalten habe. Ja, nach
demselben Forscher läßt sich gerade diese Abänderung sicherer be-
herrschen als die anderer Eigenschaften.
Die genannte Varietät wurde erhalten durch Züchtung in Bierwürze
bei einer Temperatur, die höher war als das Temperaturmaximum für die
Sporenbildung. Andere ähnliche Spielarten entstanden aber anscheinend
freiwillig (S. Ludwigii, Marxianus*), Schizoaaccharomyces oetosporus")),
waren allerdings nicht ebenso beständig, ließen sich z. B. in sporen-
bildende zurückverwandeln durch Übergang von Bierwürze zu Trauben-
zuckemährböden oder durch trockene Hitze, die die vegetativen Formen
vernichtete und die noch vereinzelt gebildete Sporen übrig ließ.
1) Zentr. Bakt. 35. 6.
2) Vgl. hier v. Hibler, Bredemann a. a. O.
3) Ebenda und Caspari, Arch. f. Hyg. 42, 1902.
4) Compt. rend. trav. labor. Carlsburg 511, 1900; ref. Zentr. Bakt.
2. Abt. 7. 199.
5) Vgl. Anm. 4.
6) S. bei K 1 ö c k e r , Gärungsorganismen 1900, S. 194.
7) Beijerinck, Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 637, 1898.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1135
§ 348. Beweglichkeit. Mehr oder minder vollständiger Ver-
lust der Beweglichkeit^) wird nach unseren eigenen Erfahrungen gar
nicht selten an Laboratoriumskulturen, z. B. von Typhus, Cholera
beobachtet. Besonders berichten über unbewegliche Stämme des
Micrococcus agilis imd der Sarcina mobilis Lehmann und N e u -
mann, des Tjrphusbazillus Stephens^), des Colibazillus V i 1 -
li n g e r ^) und B a r b e r (S. 1131), des Choleravibrio B o n h o f f *).
Teils handelt es sich um Abändenmgen, die offenbar im Laufe der
künstlichen Züchtung aus den älteren Nährböden aufgetreten sind,
teils um Entartungsformen, die durch Kidtur in karbolhaltiger Bouil-
lon bei 42® (V i 1 1 i n g e r) erhalten, teils um Rassen, die durch mikro-
skopische Auslese (B a r b e r) gewonnen wurden.
Aber auch der umgekehrte Fall, das Auftreten von Beweglichkeit
bei sonst unbeweglichen Bakterien, ist beschrieben worden. Wir können
allerdings vorläufig noch nicht glauben, daß die auffallende Behaup-
tung von A. M e y e r ^) und Ellis®), alle Kokken und Ba-
zillen seien mit Geißeln ausgestattet und beweg-
lich, den Tatsachen entspreche, aber kaum einen Zweifel läßt zu die
Beobachttmg von Zierler'), Lehmann und N e u m a n n ,
nach der der Bac. implexus, der sich jahrelang unbeweglich gezeigt
babe, später lebhaft beweglich geworden sei. Es liegt freilich hier
der Gedanke an einen Rückschlag nahe genug. Ausgeschlossen
scheint ein solcher dagegen nach unseren bisherigen Kenntnissen beim
Ruhrbazillus, von dem ein Stamm nach M ü h 1 m a n n ®) in stark
alkalischer Bouillon fortgezüchtet, zu wiederholten Malen, aber immer
nur vorübergehend, eine „typhöse Beweglichkeit" in Traubenzucker-
bouillon oder Agar gezeigt haben soll. Die sogenannte Beweglichkeit
der „homogenen" Tuberkelbazillen Arloings und Courmonts
ist wohl nichts anderes als Molekularbewegung®), die ja auch sonst
oft mit Eigenbewegung verwechselt worden ist.
Ob die Z a h 1 und namentlich dieAnordnungderGeißeln
ebenfalls erheblichen Abänderungen unterliegt in dem Sinne, daß ein
1) Über die Beeinflussung der Beweglichkeit durch physikalische
und chemische Einflüsse vgl. § 46 u. 56.
2) Ref. Bull. Pastetir 1905. 241.
3) Arch. f. Hyg. 21.
4) Arch. f. Hyg. 22. 28.
5) Zentr. Bakt. 31.
6) Ebenda 33 und ebenda 2. Abt. 9 und 11.
7) Arch. f. Hyg. 34.
8) Arch. f. Hyg. 69, 1908.
9) Vgl. C. Fränkel, Hyg. Rundschau 1900. 630; R o in b e r £? ,
Deutsch, med. Woch. 1901. 18/19.
1136 Kap. XVIII, S 348—350.
Übergang vom monotrichen zum lophotrichen oder peritrichen T3rpus
und umgekehrt möglich wäre, ist noch nicht ausgemacht. Im allge-
meinen scheint es sich hier um recht bestandige Charaktere zu
handeln (§ 359).
§ 349. Zusammensetzong des Mikrobenleibes. Mikro-
cheniische Reaktionen. Über die Schwankungen in der chemischen
Zusammensetzung der Körper der Bakterien und Pilze und ihre Ab-
hängigkeit von dem Entwicklungszustande und der Ernährung wurde
schon früher gehandelt (S. 59). Wenn wir den ungleichen Gehalt von
verschiedenen Rassen derselben Art an Schleim (§ 351), ihre ungleiche
Ausstattung mit fermentativen Kräften (§ 353), ihre ungleiche Wider-
standsfähigkeit (§ 350) imd Reaktionsfähigkeit gegenüber Schädlich-
keiten (s. o.) bedenken, wird es wahrscheinlich, daß sie auch in ihrem
chemischen Aufbau mehr oder weniger erheblich voneinander ab-
weichen können. Mit Hilfe der groben chemischen Analyse wird das
aber nur ausnahmsweise, z. B. im ersteren Fall, nachweisbar sein. Es
fehlt übrigens an Untersuchungen darüber.
Hin und wieder hat man bei verschiedenen Rassen derselben Art
Unterschiede in ihrem mikrochemischen Verhalten (vgl.
Kap. I), namentlich in ihrer Säurefestigkeit (vgl. § 19) ge-
funden. So sollen Bakterien bzw. Strahlenpilze durch Züchtung in
fetthaltigen Nährböden säurefest werden (Bienstock^), Gott-
stein ^), Potet, Pellegrino^)) und umgekehrt Leprabazillen
in künstlichen Kulturen meist ihre Säurefestigkeit verlieren (D e y c k e
und Reschad-Bey *)). Gewöhnlich handelt es sich aber wohl
hier um eine nicht beständige Emährungsmodifikation (Fettnahrung?)
und im Falle der Lepra wohl um Verunreinigungen, die mit den eigent-
lichen Erregem der Lepra nichts zu tun haben. Gerade Strahlenpilze
kommen als Verunreinigungen häufiger in Betracht, als man gewöhn-
lich annimmt, da sie in der Luft weit verbreitet sind und zimi Teil
hohe Temperaturen vertragen. Die Möglichkeit der Entstehung säure-
fester und nicht säurefester Spielarten einer und derselben Art ist
freilich von vornherein um so weniger abzuleugnen, als säurefeste
Mikroben, z. B. die Tuberkelbazillen, anscheinend gewisse Stadien der
Entwicklimg durchlaufen, in denen sie nicht säurefest sind (vgl.
M u c h u. a. S. 45, Anm. 1). Ob das bei anderen Bakterien auch für
1) Fortschr. d. Mediz. 1886. 6.
2) Ebenda 1886. 8.
3) Annali d'igiene 1906.
4) Deutsch, med. Woeh. 1905. 13/14. Vgl. aber die neuesten offenbar
besser gelungenen Z ü chtungsversuche mit Leprabazillen von Kedrowsky
und Küster (1910).
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1137
die Gramfestigkeit (§ 18) gilt, wäre zu erwägen. Dadurch
würden sich dann vielleiclit manche widerstreitende Angaben in der
Literatur über die Fälligkeit gewisser Bakterien, sich nach Gram
zu färben, erklären lassen. Vorläufig dünkt es uns freilich wahrschein-
licher, daß diese Abweichungen durch die etwas unregelmäßigen Er-
gebnisse des Färbeverfahrens selbst bedingt werden. Daß die Gram-
festigkeit eine Eigenschaft ist, die bei manchen Bakterienarten stärker
ausgesprochen ist als bei anderen, ist sicher, ebenso, daß absterbende
Formen leichter entfärbbar sind als Bakterien auf der Höhe ihrer
Entwicklang.
§ 350. Widerstandsfähigkeit. Daß die einzelnen
Individuen derselben Kultur, und zwar sowohl
im V e g e t a t i V e n als im S p o r e n z u s t a n d, ungleiche
Widerstandsfähigkeit gegen schädliche Ein-
flüsse, z.B. ihre eigenen S t o f f we ch s e 1 pr odu k t e^),
ferner künstliche antiseptische Zusätze, Er-
hitzung und Trocknung besitzen, ist eine all-
tägliche Erfahrung, ebenso daß es namentlich unter den
Sporenbildnem natürliche Rassen ungleicher Widerstandsfähigkeit^)
gibt. Die Desinfektionspraxis muß damit rechnen. Aber auch die
künstliche Heranziehimg widerstandsfähiger und andererseits wider-
standsloser Spielarten ist mehrfach gelungen.
Nach der lange dauernden Einwirkung höherer Temperaturen oder
antiseptischer Mittel zum Zwecke der Abschwächung von Bakterien beob-
achtete S m i r n o w ') regelmäßig eine größere Empfindlichkeit gegen
Desinfektionsmittel. Nach Behring*) trifft das freilieh nicht immer zu
(S. 1067). Garbowski*) beobachtete eine Herabsetzung der Wider-
standsfähigkeit auch bei Sporen von Saprophyten nach Behandlung mit
ph3^ikalisch6n und chemischen Mitteln. Findet die Einwirkung der ent-
wicklungshemmenden Einflüsse allmählich statt, so macht sich sogar eine
Anpassung geltend. Das haben Galeotti*), Dieudonn6') für
Milzbrand- und Prodigiosusbazillen gegenüber Temperaturen von 40 — 42°,
1) Vgl. das allmähliche Absterben der Keime in den Kulturen
§ 36 u. 37.
2) Esmarch, Zeitschr. f. Hyg. 1, Geppert, Berl. klin. Woch.
1889. 36 imd 1890. 12, Weil, Zentr. Bakt. 30, Kokubo, ebenda 34
berichten über Milzbrandsporen, Dannappel, Zentr. Bakt. 2. Abt.
8. 841, 1900 über zahlreichen Sporenarten.
3) Zeitschr. f. Hyg. 4.
4) Ebenda 6.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 19 imd 20.
6) Sperimentale 1892.
7) Arb. Gesundheitsamt 9.
Kruse, Mikrobiologie. 72
1138 Kap. XVIII, § 350 u. 3öl.
KoBsiakoff^), Trambusti und Galeotti für Saprophyten
und Parasiten gegenüber Sublimat, Borsäure, Borax, Danysz*) für
Milzbrandbazillen gegenüber Arsenik, Sohierbeck') für Milchsäure-
bazillen gegenüber Karbolsäure, Effront*), Rothenbach") u. a.
für Hefe gegenüber Flußsäure luid ihren Salzen, Milch- und andere Sauren,
Formaldehyd usw., P u 1 b t •) und Meißner') u. a. für Schimmel-
pilze gegenüber allerhand Giften, M e s n i 1 imd Brimont*) für Try-
pajiosomen gegenüber Tartarus stibiatus festgestellt. Der Mechanis-
mus dieser Gewöhnung an Gifte ist anscheinend ver-
wickelter, als man es sich im allgemeinen vorstellt (S. 188), denn sie gilt
mindestens in vielen daraufhin geprüften Fällen nur für das betreffende
einzelne Gift, während die Widerstandsfähigkeit für andere Gifte divch
die Behandlung sogar verringert sein kann*). Von der merkwürdigen
Steigerung der Wachstiuns- und Gärungsenergie durch die E f f r o n t sehe
Behandlung der Hefe (S. 182) und der vermehrten Schleimbildung (Kapsel-
bildung) bei den an Arsenik angepaßten Milzbrandbazillen (D a n y s z
S. 9) haben wir schon früher gesprochen. Die Anp&ssiuig an mangelhafte
Nährböden (§ 351), an Sauerstoff Spannungen, die ursprünglich nicht ver-
tragen werden ( § 352), an Alexine im Reagensglas ( § 330) oder die Abwehr-
kräfte im lebenden Tier ( § 356) behandeln wir ebenfalls an anderen Stellen.
§ 351. Wachstnm in kfinstlichen Nährböden and Kolonie-
formen. Peptonisierungsvermögen und Schleimbildang. Was
man als Kulturmerkmale der Kleinwesen zu bezeichnen pflegt,
sind keine individuellen Charaktere, sondern Massenwirkungen. Eine
„Kulturgeneration" setzt sich, wenn wir ihr Alter nur zu einem Tage
annehmen und den Zeitraum von einer Teilung bis zur anderen auf
eine halbe bis eine Stunde berechnen, aus 24 — 48 Einzelgenerationen
zusammen (vgl. § 36). Die Kolonie auf der Platte kann man sich im
allgemeinen aus einem einzigen Keim hervorgegangen denken, die
Beagensglaskultur in Gelatine, die Bouillonkultur erwächst aber aus
der Nachkommenschaft einer großen Zahl von Keimen. Diese Be-
merkungen sind nötig, um die Bedeutung der Kulturmerkmale zu
kennzeichnen. Eigentlich individuelle Abweichungen
verschwinden in der gewöhnlichen Kultur fast
1) Annal. Pasteur 1887.
2) Annal. Pasteur 1900.
3) Arch. f. Hyg. 38.
4) Vgl. Kochs Jahresber. 1891 ff.
5) Ebenda 1896.
6) Pringsheims Jahresber. 37, 1902.
7) Dissertation Leipzig 1903, ref. Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 153.
8) Soc. biol. 9. V. 1908. Im Keagensglasversuche bestätigt. Die
Atoxylf estigkeit usw. der Trj'pfimosomen (Ehrlich S. 1 88) ist nicht im
Reagensglas nachzviweisen. Vgl. übrigens S. 662, Anm. 1.
9) Man könnte daran denken, daß sich daraus die abweichenden
Erfahrungen Smirnows erklären.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1139
vollständig, höchstens kann aus einer Verzögerung des Wachs-
tums auf eine Schwächung der Entwicklungsenergie der verimpften
Keime geschlcMssen werden. In der Regel werden nur solche Abände-
rungen in den Eigenschaften der Kultur zum Ausdruck kommen, die
auf eine größere Beihe von Glenerationen vererblich sind. Es erhöht
entschieden den Wert der Wachstumscharaktere, daß man aus den
mit bloßem Auge oder mit schwacher Vergrößerung wahrnehmbaren
Unterschieden schon auf erbliche Abänderungen schließen kann. Die
Eigenschaften der Plattenkolonien sind für die Beurteilung
der stattgehabten Veränderungen aber natürlich viel wichtiger, als die
Reagensglaskulturen, weil sich in diesen letzteren die
Variationen leicht gegenseitig aufheben.
Entsprechend dem oben ausgesprochenen Satze, daß in Kulturen,
die beständig im jungen Zustand weiter verimpft werden,
nur individuelle Abweichungen auftreten, finden wir im Aussehen
der Kolonien auf den daraus angelegten Platten überhaupt keine
abschätzbaren Unterschiede; ist das Kulturmaterial, das zur Zucht
dient, älter, so stellen sich solche sehr häufig heraus.
Die ersten derartigen Beobachtungen wurden veröffentlicht in bezug
auf Bac. proteus von Häuser^), auf Finkler-Priors
Spirillum von G r u b e r und Firtsch*). Sanfelice'*) hat
die verschiedenen Formen der Proteuskolonion*) und auch eine
Reihe von anaeroben Fäulnisbakterien mit ähnlichen
Eigenschaften der Kolonien genau beschrieben. Die Erscheinung ist aber
eine noch viel mehr verbreitete, wenn sie auch bisher wenig Beachtung
gefunden hat. Der Prodigiosui, Pyocyaneus, das C h o -
leraspirillum, der Typhus-, Ruhr- und der P n e u -
moniebazillus mit ihren Verwandten, Pestbazillen usw.
weisen auch eine gewisse Variabilität der aus der Nachkomm enschjift eines
einzigen Keims hervorgegangenen Kolonien auf, wenn man zur Aussaat
auf Platten alte Kultiu*en benutzt.
Den Unterschieden der Kolonien liegen verschiedene Eigentüm-
lichkeiten zugrunde: in den meisten Fällen genügt es, Ungleichheiten
in der Wachstumsschnelligkeit und im Verfltis-
sigungs vermögen, d. h. also in der Produktion eines peptoni-
sierenden Ferments anzimehmen. Beim Friedländerschen Bakterium
wechselt das Schleimbildungsvermögen (Wildea. a. 0.).
Daneben kommen aber noch in Betracht morphologische Verhältnisse,
die Größe der lindividuen, dieFestigkeitihrerVerbände
1) Fäulnisbakterien, Leipzig 1885.
2) Arch. f. Hyg. 8.
3) Annali d'igiene 1890.
4) Vgl. auch Jäger über die Kolonien des Bac. proteus fluores-
cens (Zeitschr. f. Hyg. 12).
72*
1140 Kap. XVIIl, § 351.
(Ketten, Fäden), welche die Kömelnng und Umrandung der Kolonien
beeinflussen.
Die Kolonien eines und desselben Mikroorganismus auf ver-
schiedenen Nährböden weichen sehr voneinander ab, wahr-
scheinlich schon wegen der durchaus verschiedenen physikaliBchen
Verhältnisse. Praktisch wichtig, aber lange nicht genug
gewürdigt sind die Unterschiede besonders auf den scheinbar
gleich oder doch ähnlich zusammengesetzten Nährböden.
Nehmen wir z. B. die gewöhnliche Fleischwasserpeptonnährgelatine,
so bedingt die Art der Herstellung schon ganz erhebliche Unterschiede,
selbst wenn die Ursprangsstoffe in den gleichen Mischungsverhältnissen
angewendet werden. Die Zeitdauer des Kochens der Geistine
beeinflußt bekanntlich die Festigkeit des Nährbodens und die letztere
wiederum die Form der Kolonien. Der Typhusbazillus z. B., der in fester
Gelatine glattrandige zusammenhängende Kolonien bildet, wächst auf
einer weicheren wie ein Proteus mit zahlreichen korkzieher- und haar-
artigen Ausläufern und ähnelt im Strich nicht einem glatten Bande, sondern
einer Bürste*).
Andere Unterschiede treten auf bei Ungleichheiten des A 1 k a 1 e s -
zenzgrades oder des Gelatinegehalts des Nährbodens. So
hängt z. B. das Oberflächenwachstum in Stichkulturen beim
Typhusbazillus und ähnlichen Badcterien außerordentlich von diesen Dingen
ab, ebenso die Stärke der Gelatineverflüssigung bei
allen peptonisierenden Bakterien. Das Aussehen der Kolonien und Stich-
kulturen erleidet dadurch natürlich erhebliche Veränderungen (Cholera,
Milzbrand). Auch die Zusammensetzung des Fleischsaftes
ist nicht gleichgiltig: feinere, uns imbekannte Schwankungen darin können
ein verschiedenes Aussehen der Kulturen, namentlich eine ganz erbeblich
ungleiche Üppigkeit des Wachstums (Pneumokokken) bedingen. So erklären
sich wohl zmn großen Teil die abweichenden Angaben mancher Autoren
über das Wachstmn von Pneumokokken und Streptokokken in Bouillon
(Kruse und Pansini»), Pasquale •)). Ähnliche Unterschiede
gelten bezüglich der Kulturen auf Agar (Pneumokokken), Kartoffeln
(Typhus) usw. Ganz besonders wird auch das Schleimbildungsverinögen
durch die Anwesenheit bestimmter Nährstoffe im Nährboden beeinflußt.
So konnte z. B. Hlava*) pathogene Streptokokken durch Züchtung in
1) Rosen thal, D. Arch. f. klin. Med. 55; K 1 i e , Zentr. Bakt.
20, 1896; Piorkowski, Berl. klin. Woch. 1899. 145; eigene Beob-
achtungen.
2) Zeitschr. f. Hyg. 11. Ob der von Pane (Zentr. Bakt. 40. 279)
beschriebene schleimbildende Bazillus, wie er meint, eine Abänderung
des Pneumokokkus ist, bleibt sehr fraglich. Er fand sich in einem Esel,
der mit Pnemnokokken immunisiert worden war. Stäbchenbildung kommt
freilich bei Pneiunokokken besonders auf eigenem Nährboden häufig vor,
ebenso Schleimbildung (,,Str. mucosus**).
3) Zieglers Beitr. 12, 1893.
4) Zentr. Bakt. 32.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1141
Bouillon oder Agar mit 14% Rohrzucker in leuconostocartige Formen
verwandeln (vgl. Schleimgärung S. 409).
Man kann von vornherein erwarten, daß diese Abänderungen
mindestens zum Teil und zuweilen sich vererben, besonders dann,
wenn die in den alten Kulturen oder in bestimmten Nährböden wirk-
samen Einflüsse wieder und wieder zur (Jeltung kommen. In ähnlichem
Sinne werden auch schädliche Einwirkungen anderer Art, z. B. höhere
Temperaturen, Antiseptika u. dgl., die ursprünglichen Wachstums-
eigenschaften beeinflussen können. Außerdem kämen dann dazu noch
die bisher ihrer Natur nach unbekannten „freiwilligen" Variationen
aus inneren Ursachen (Mutationen s. o. S. 1123).
In der Tat hat man bei fast allen Mikrobien dercu'tiges beobachtet.
So weiß man namentlich durch unsere umfassende Untersuchung über
Pneumokokken, daß diese bei fortgesetzter Züchtung in künst-
lichen Nährböden nicht nur üppiger wachsen, sondern auch in den Formen
ihrer Kolonien den pyogenen Streptokokken immer ähnlicher werden. Von
den Meningokokken und den Gonokokken ist es bekannt, daß sie
ursprünglich nur auf Nährböden mit Serumzusatz, später auch ohne
solchen üppig wachsen. Auch Diphtherie-, Tuberkelbazillen
u. a. m. verbessern ihr Wachstum mit der Zeit. Anspruchsloser in ihren
Bedürfnissen werden nach Inghilleri ^) die Pestbazillen diirch
den Aufenthalt im Wasser, so daß sie sogar mit den sog,
Wasserbakterien, die darin zu wachsen vermögen, in Wettbewerb treten
Icönnen (vgl. auch Kruse •)). Während die Bakterien in diesen Fällen
sich dem künstlichen Nährboden anzupassen scheinen,
erhält man bei anderen, z. B. Milzbrand-, Fluorescens-*), Cholerabazillen,
Staphylokokken, manchen Streptokokken^) vielfach den Eindruck, daß sie
mindestens bei der gewöhnlichen Art der Übertragung — von älteren
Kulturen — an Entwicklungskraft einbüßen. Zumal wenn hier
gleichzeitig das Verflüssigungsvermögen für Gelatine abnimmt, ändert sich
auch die Form der Kolonien. Solch ein dauernd „atypisches Wachstum"
ist oft gesehen worden, besonders bei in der einen oder anderen Weise ab-
geschwächtem Milzbrand (Bongert*), Scagliosi*), eigene
Beobachtungen), bei Cholera, z. B. nach Aufenthalt im Wasser
(Kruse ■)). Nachdem Liborius') beobachtet hatte, daß viele Bak-
terien bei Wachstum ohne Sauerstoffzutritt und einzelne in Nährböden,
denen reduzierende Stoffe wie Traubenzucker zugesetzt worden sind, die
Oelatine langsamer oder gar nicht verflüssigen,
hat Sanfelice') durch fortgesetzte anaörobe Züch-
1) Annali d'igiene 1903.
2) Zeitschr. f. Hyg. 17.
3) Vgl. z. B. Matsuschita, Zentr. Bakt. 28. 303, 1900.
4) Vgl. S c h e i b , Zeitschr. f. Geburtsh. 58.
5) Zentr. Bakt. 34.
6) Ebenda 37.
7) Zeitschr. f Hyg. 1. 156
8) Annali d'igiene 1892.
1134 Kap. X\^II, § 347 u. 348.
Kulturen des „beweglichen Butt^rsäurebazillus" in der Hand gehabt hat,
die unbeweglich waren und keine Sporen bildeten. In diesen Fallen glückte
es ihm, auf mit Kreide eingeriebenen Kartoffeln die
Sporenbildung wieder hervorzurufen. Auf gewohn-
lichem Traubenzuckeragar lassen sich dann diese wie andere Stamme
leicht weiterzüchten, jedoch nur dann mit Erhaltimg des Sporenbildungs-
vermögen3, wenn man die Sporen allein überimpft,
d. h. das Impfmaterial regelmäßig vorher 5 Minuten auf 80° erhitzt (S 1127).
Mit Hilfe mikroskopischer Auslese ist es Barber(S. 1131)
gelungen, bei Bac. megatherium eine sporenlose Abart zu züchten.
Er schließt daraus wohl nicht ganz mit Recht auf die maßgebende Be-
deutung der Mutation. Auch P r e i s z ') isoliert« aus einer und der-
selben Milzbrandkultur neben Bazillen, die leicht Sporen bildeten,
solche, die es nicht taten.
Wenn die Neigung zur Bildung von Sporen variabel ist, so ist
die Größe, Stellung und Form der Sporen^), die Art ihrer Auskeimung^),
ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlichkeiten*) wahrscheinlich
ebenso veränderlich. Dafür sprechen die Schwankungen, die in allen
diesen Beziehungen bei den einzelnen Individuen derselben Kultur
beobachtet werden, sowie die Erfahrungen, die man an verschiedenen
Stämmen derselben Art gemacht hat (s. u. natürliche Varietäten § 357).
Das schließt nicht aus, daß die Abweichungen geringer werden, wenn
man die Stämme längere Zeit unter gleichen Bedingungen züchtet
und dann vergleicht, wie es Bredemann getan hat.
Daß sporenbildende Hefezellen (Saccharomyces) die Fähig-
keit, Sporen zu bilden, dauernd verlieren können, ist eine alte Er-
fahrung. So erwähnt Hansen^) eine Abart des S. Pastorianus I,
die schon 12 Jahre lang diese Eigenschaft beibehalten habe. Ja, nach
demselben Forscher läßt sich gerade diese Abänderung sicherer be-
herrschen als die anderer Eigenschaften.
Die genannte Varietät wurde erhalten durch Züchtung in Bierwürze
bei einer Temperatur, die höher war als das Temperaturmaximum für die
Sporenbildung. Andere ähnliche Spielarten entstanden aber anscheinend
freiwillig (S. Ludwigii, Marxianus*), Schizosaccharomyces octoeporus')),
waren allerdings nicht ebenso beständig, ließen sich z. B. in sporen-
bildende zurückverwandeln durch Übergang von Bierwürze zu Trauben-
zuckernährböden oder durch trockene Hitze, die die vegetativen Formen
vernichtete und die noch vereinzelt gebildete Sporen übrig ließ.
1) Zontr. Bakt. 35. 6.
2) Vgl. hier v. Hibler, Bredemann a. a. O.
3) Ebenda und Caspari, Arch. f. Hyg. 42, 1902.
4) Compt. rend. trav. labor. Carlsburg 511, 1900; ref. Zentr. Bakt.
2. Abt. 7. 199.
5) Vgl. Anm. 4.
6) S. bei K 1 ö c k e r , Gärungsorganismen 1900, S. 194.
7) Beijerinck, Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 637, 1898.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1135
§ 348. Beweglichkeit. Mehr oder minder vollständiger Ver-
lust der Beweglichkeit^) wird nach unseren eigenen Erfahrungen gar
nicht selten an Laboratoriumskulturen, z. B. von Typhus, Cholera
beobachtet. Besonders berichten über unbewegliche Stämme des
Micrococcus agilis und der Sarcina mobilis Lehmann und N e u -
mann, des Typhusbazillus Stephens^), des Colibazillus V i 1 -
1 i n g e r ^) und B a r b e r (S. 1131), des Choleravibrio B o n h o f f *).
Teils handelt es sich um Abänderungen, die offenbar im Laufe der
künstlichen Züchtung aus den älteren Nährböden aufgetreten sind,
teils um Entartungsformen, die durch Kultur in karbolhaltiger Bouil-
lon bei 42® (Villinge r) erhalten, teils um Rassen, die durch mikro-
skopische Auslese (B a r b e r) gewonnen wurden.
Aber auch der umgekehrte Fall, das Auftreten von Beweglichkeit
bei sonst unbeweglichen Bakterien, ist beschrieben worden. Wir können
allerdings vorläufig noch nicht glauben, daß die auffallende Behaup-
tung von A. M e y e r ^) und Ellis^), alle Kokken und Ba-
zillen seien mit Geißeln ausgestattet und beweg-
lich, den Tatsachen entspreche, aber kaum einen Zweifel läßt zu die
Beobachtung von Zierler'), Lehmann und N e u m a n n ,
nach der der Bac. implexus, der sich jahrelang unbeweglich gezeigt
habe, später lebhaft beweglich geworden sei. Es liegt freilich hier
der Gedanke an einen Rückschlag nahe genug. Ausgeschlossen
scheint ein solcher dagegen nach unseren bisherigen Kenntnissen beim
Kuhrbazillus, von dem ein Stamm nach Mühlmann®) in stark
alkalischer Bouillon fortgezüchtet, zu wiederholten Malen, aber immer
nur vorübergehend, eine „typhöse Beweglichkeit" in Traubenzucker-
bouillon oder Agar gezeigt haben soll. Die sogenannte Beweglichkeit
der „homogenen" Tuberkelbazillen Arloings und Courmonts
ist wohl nichts anderes als Molekularbewegung®), die ja auch sonst
oft mit Eigenbewegung verwechselt worden ist.
Ob die Z a h 1 und namentlich dieAnordnungderGeißeln
ebenfalls erheblichen Abändenmgen unterliegt in dem Sinne, daß ein
1) Über die Beeinflussung der Beweglichkeit durch physikalische
und chemische Einflüsse vgl. § 46 u. 56.
2) Ref. Bull. Pasteur 1905. 241.
3) Arch. f. Hyg. 21.
4) Arch. f. Hyg. 22. 28.
5) Zentr. Bakt. 31.
6) Ebenda 33 und ebenda 2. Abt. 9 und 11.
7) Arch. f. Hyg. 34.
8) Arch. f. Hyg. 69, 1908.
9) Vgl. C. Fränkel, Hyg. Rundschau 1900. 630; Romberg,
Deutsch, med. Woch. 1901. 18/19.
1136 Kap. XVIII, § 348—350.
Übergang vom monotrichen zum lophotrichen oder peritrichen Typus
und umgekehrt möglich wäre, ist noch nicht ausgemacht. Im allge-
meinen scheint es sich hier um recht beständige Charaktere zu
handeln (§ 359).
§ 349. Zusammensetzung des Mikrobenleibes. Mikro-
chemische Reaktionen. Über die Schwankungen in der chemischen
Zusammensetzung der Körper der Bakterien und Pilze und ihre Ab-
hängigkeit von dem Entwicklungszustande und der Ernährung wurde
schon früher gehandelt (S. 59). Wenn wir den ungleichen Gehalt von
verschiedenen Rassen derselben Art an Schleim (§ 351), ihre ungleiche
Ausstattung mit fermentativen Kräften (§ 353), ihre imgleiche Wider-
standsfähigkeit (§ 350) und Reaktionsfähigkeit gegenüber SchädUch-
keiten (s. o.) bedenken, wird es wahrscheinlich, daß sie auch in ihrem
chemischen Aufbau mehr oder weniger erhebUch voneinander ab-
weichen können. Mit Hilfe der groben chemischen Analyse wird das
aber nur ausnahmsweise, z. B. im ersteren Fall, nachweisbar sein. Es
fehlt übrigens an Untersuchungen darüber.
Hin und wieder hat man bei verschiedenen Rassen derselben Art
Unterschiede in ihrem mikrochemischen Verhalten (vgl.
Kap. I), namentlich in ihrer Säurefestigkeit (vgl. § 19) ge-
funden. So sollen Bakterien bzw. Strahlenpilze durch Züchtimg in
fetthaltigen Nährböden säurefest werden (Bienstock^), Gott-
stein ^), Potet, Pellegrino*)) imd umgekehrt Leprabazillen
in künstlichen Kulturen meist ihre Säurefestigkeit verlieren (D e y c k e
und Reschad-Bey *)). Gewöhnlich handelt es sich aber wohl
hier um eine nicht beständige Emährungsmodifikation (Fettnahnmg?)
und im Falle der Lepra wohl um Verunreinigungen, die mit den eigent-
lichen Erregem der Lepra nichts zu tun haben. Gerade Strahlenpilze
kommen als Verunreinigungen häufiger in Betracht, als man gewöhn-
lich annimmt, da sie in der Luft weit verbreitet sind und zum Teil
hohe Temperaturen vertragen. Die Möglichkeit der Entstehung säure-
fester und nicht säurefester Spielarten einer imd derselben Art ist
freilich von vornherein um so weniger abzuleugnen, als säurefeste
Mikroben, z. B. die Tuberkelbazillen, anscheinend gewisse Stadien der
Entwicklung durchlaufen, in denen sie nicht säurefest sind (vgl.
M u c h u. a. S. 45, Anm. 1). Ob das bei anderen Bakterien auch für
1) Fortschr. d. Mediz. 1886. 6.
2) Ebenda 1886. 8.
3) Annali d'igiene 1906.
4) Deutsch, med. Woch. 1905. 13/14. Vgl. aber die neuesten offenbar
besser gelungenen Z ü chtungsversuche mit Leprabazillen von Kedrowsky
und Küster (1910).
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1137
die Gramfestigkeit (§ 18) gilt, wäre zu erwägen. Dadurch
würden sich dann vielleicht manche widerstreitende Angaben in der
Literatur über die Fähigkeit gewisser Bakterien, sich nach Gram
zu färben, erklären lassen. Vorläufig dünkt es uns freilich wahrschein-
licher, daß diese Abweichungen durch die etwas unregelmäßigen Er-
gebnisse des Färbeverfahrens selbst bedingt werden. Daß die Gram-
festigkeit eine Eigenschaft ist, die bei manchen Bakterienarten stärker
ausgesprochen ist als bei anderen, ist sicher, ebenso, daß absterbende
Formen leichter entfärbbar sind als Bakterien auf der Höhe ihrer
Entwicklung.
§ 350. Widerstandsfähigkeit. Daß die einzelnen
Individuen derselben Kultur, und zwar sowohl
im vegetativen als im S p or e n z u s t a n d, ungleiche
Widerstandsfähigkeit gegen schädliche Ein-
flüsse, z.B. ihre eigenen S t o f f we ch s e 1 p r o d u k t e^),
ferner künstliche a n t i s e p t i s c h e Zusätze, Er-
hitzung und Trocknung besitzen, ist eine all-
tägliche Erfahrung, ebenso daß es namentlich unter den
Sporenbildnem natürliche Rassen ungleicher Widerstandsfähigkeit^)
gibt. Die Desinfektionspraxis muß damit rechnen. Aber auch die
künstliche Heranziehung widerstandsfähiger und andererseits wider-
standsloser Spielarten ist mehrfach gelimgen.
Nach der lange dauernden Einwirkung höherer Temperaturen oder
antiseptischer Mittel zum Zwecke der Ahschwächung von Bakterien beob-
achtete Smirnow ') regelmäßig eine größere Empfindlichkeit gegen
Desinfektionsmittel. Nach Behring*) trifft das freilich nicht immer zu
(S. 1067). Garbowski*) beobachtete eine Herabsetzung der Wider-
standsfähigkeit auch bei Sporen von Saprophyten nach Behandhuig mit
physikalischen und chemischen Mitteln. Findet die Einwirkung der ent-
wicklungshemmenden Einflüsse allmählich statt, so macht sich sogar eine
Anpassung geltend. Das haben Galeotti*), Dieudonn^^) für
Milzbrand- und Prodigiosusbazillen gegenüber Temperattiren von 40 — 42®,
1) Vgl. das allmähliche Absterben der Keime in den Kxilturen
§ 36 u. 37.
2) Esmarch, Zeitschr. f. Hyg. 1, Geppert, Berl. klin. Woch.
1889. 36 und 1890. 12, Weil, Zentr. Bakt. 30, Kokubo, ebenda 34
berichten über Milzbrandsporen, Dannappel, Zentr. Bakt. 2. Abt.
8. 841, 1900 über zahlreichen Sporenarten.
3) Zeitschr. f. Hyg. 4.
4) Ebenda 6.
5) Zentr. Bakt. 2. Abt. 19 und 20.
6) Sperimentale 1892.
7) Arb. Gesundheitsamt 9.
Kruse, Mikrobiologie. 72
1 132 Kap. XVIII, § 346 u. 347.
peschkin*) bei einem ,,Bac. Berestnevi", der offenbar einen Über-
gang zu den Strahlenpilzen bildet. Denn die Nachkommen ver-
zweigter Individuen wiesen \'iel häufiger diese Merkmale auf, als die von
un verzweigten .
Während man immittelbar nach der Entdeckung des Cholera-
vibrio großen Wert auf die bestimmte Form tmd Größe desselben legte
und glaubte, ihn schon dadurch von ähnlichen Vibrionen trennen zu kön-
nen, wies zunächst F i r t s c h *) am Spirillum Finkler-Prior
(„Vibrio Proteus") nach, daß er sich in morphologische Ab-
arten von mehr oder minder großer Beständigkeit
spalten läßt. Dasselbe gelang mir') beim Choleravibrio. Nach
längerem Aufenthalt in Brunnenwasser wurden aus ihm zwei dauerhafte
Varietäten herausgezüchtet, von denen die eine regelmäßig plumpe, die
andere lange, schlanke Kommas bildete. Später isoliert« ich ähnliche
Spielarten aus sehr alten Cholerakulturen, deren Zurückführung auf den
alten Typus erst mittelst zahlreicher Übertragungen auf Meerschweinchen
glückte (vgl. Metschnikoff *)). Gewöhnlich sind die atypischen
Formen weniger beständig (Friedrich *)).
Aus einer Hefekultur konnte B a r b e r ebenso wie beim
Typhus (s. o.) durch mikroskopische Isolierung eine Abart mit ge-
streckten Zellen züchten. Eine ähnliche, aber nicht dauerhafte
Abänderung hatte Hansen schon früher in Gelatineplatten beobachtet.
Der Polymorphismus und Generationswechsel
vieler Protozoen, z. B. der menschlichen und tierischen Malaria-
parasiten, gehört nicht zu den Veränderungen, die wir hier besprechen
wollen, weil er nur der regelmäßigen Entwicklung dieser
Parasiten entspricht (S. 1122). Wohl würde aber eine Veränderlichkeit in
unserem Sinne vorliegen, wenn die einzelnen Arten oder Abarten der Ma-
lariaerreger wirklich imstande wären, ineinander überzugehen.
Das ist in der ersten Zeit nach ihrer Entdeckimg \'ielfach behauptet, aber
ebensooft und mit guten Gründen bestritten worden. In der Tat liegt es
näher, die betreffende Tatsache durch Mischinfektion z. B. mit den Tertian-
und Quartan-, bzw. Tropikapareusiten zu erklären. Immerhin gibt es Fälle,
in denen diese Deutung recht gezwungen erscheint*)
§ 347. Sporen. Zur Sporenbildung ist außer gewissen äußeren
Voraussetzungen, wie Temperatur, Sauerstoffzutritt, Erschöpfung der
Nährböden usw. (§ 38), noch eine innere Anlage des Bakterienleibes
bzw. Pilzleibes vonnöten, die nur einer beschränkten Zahl von Arten
zukommt. Die Erfahrung hat gelehrt, daß alle diejenigen
Mittel, die geeignet sind, die Entwicklung von
Sporen zu stören, auch zum erblichen Verlust
des Sporenbildungsvermögei>s führen. Rückschläge
1) Zentr. Bakt. 2. Abt. 12. 641, 1904.
2) Arch. f. Hyg. 8.
3) Kruse, Zeitschr. f. Hyg. 17. 36.
4) Annal. Pa.steur 1894. 5 und 8.
5) Arb. K. Gesundheitsamts 8.
6) Vgl. z. B. A. Plehn, Deutsch, med. Woch. 1907. 30.
Veränderlichkeit der Klein wesen, 1 147
Gelegentlich kommen auch streng anaerobe Strepto- und Pneumo-
kokken vor. In einem solchen Falle gelang Bolognesi ^) schließlich
doch die Kultur bei Sauerstoffzutritt.
§ 353. Zersetzungen und Zersetzungsstoffe. Die Veränder-
lichkeit des Verflüssigungs- (Peptonisierungs-) und Schleimbildungs-
vermögens wurde schon früher besprochen (§ 351). In ähnlicher Weise
können auch andere, ja wahrscheinlich alle anderen fermentativen
Vorgänge Abänderungen unterliegen. Hand in Hand mit den eiweiß-
lösenden Enzymen pflegt auch das Labenzym der Mikroben ver-
loren zu gehen. Eine mehr oder minder vollständige Einbuße der
ursprünglich vorhandenen Fähigkeit, Milch gerinnen zu lassen, ist
aber auch bei nicht labbildenden Bakterien, z, B. Streptokokken, Coli-
und Aerogenesbazillen, wenn sie auf einem gewöhnlichen, von Milch-
zucker freien Nährboden gezüchtet werden, häufig zu beobachten.
Hier leidet offenbar das Vermögen, den Milchzucker in milch- oder
essigsaure bzw. gemischte Gärung zu versetzen (§ 97 u. 98 ff., 112).
In der Literatur sind zahlreiche Versuche, das Gärvermögen von Bak-
terien und Pilzen gegenüber diesen und anderen Zuckerarten bzw.
Glykosiden, ebenso wie alle möglichen anderen fermentativen Eigen-
schaften zu beeinflussen, niedergelegt. Sie haben aber recht ungleiche
Ergebnisse gehabt, unseres Erachtens nur ein Beweis dafür, daß die
Fähigkeit, Gärungsenzyme zu bilden, bald mehr,
bald weniger beständig ist.
Erhebliche Abänderungen beobachteten Orotenfelt*), Rodot
und R o u X •), M a 1 v o z *), S c h i e r b e c k *), T h. G r u b e r •),
Klotz'), M. Neißer und Massini'), Burk*), Sauer-
be c k *°) und Verfasser bei Bakterien aus der Gruppe der Aerogenos-
und Oolibazillen, und zwar zeigten sich diese — nach Züchtung
in ungünstigen, z. B. karbolhaltigen Nährböden — teils in einer Ab-
nahme, teils — nach systematischer Anpassung an Nährböden, die
vergärbare Stoffe enthielten — in einer Zunahme der Gärkraft (oder
des hydrolytischen Vermögens). Manchmal entspricht einer Zunahme
des Vermögens, saure Gärungen zu bewirken, eine
Abnahme des Schleimbildungs Vermögens (Th. Gru-
1) Zentr. Bakt. 43. 112.
2) Fortschr. d. Med. 1889. 4.
3) Bull. m6d. 1892. 865.
4) Recherches bactöriol. s. 1. fidvre typhoide. Bruxelles 1892; vgl.
auch die Literatur bei Kießling, Hyg. Rundschau 1893. 17.
5) Arch. f. Hyg. 38.
6) Zentr. Bakt. 2. Abt. 9. 786.
7) Joum. of infect. diseas. 1906.
8) Arch. f. Hyg. 61, 1907.
9) Arch. f. Hyg. 65.
10) Zentr. Bakt. 50, 1909.
1134 Kap. XVIII, § 347 u. 348.
Kulturen des „beweglichen Buttersäurebazillus" in der Hand gehabt hat.
die unbeweglich waren und keine Sporen bildeten. In diesen Fällen glückte
es ihm, auf mit Kreide eingeriebenen Kartoffeln die
Sporenbildung wieder hervorzurufen. Auf gewöhn-
lichem Traubenzuckeragar lassen sich dann diese wie andere Stamme
leicht weiterzüchten, jedoch nur dann mit Erhaltung des Sporenbildungs-
vermögens, wenn man die Sporen allein überimpft,
d. h. das Impfmaterial regelmäßig vorher 5 Minuten auf 80* erhitzt (S 1127).
Mit Hilfe mikroskopischer Auslese ist es Barber (S. II31)
gelungen, bei Bac. megatherium eine sporenlose Abart zu züchten.
Er schließt daraus wohl nicht ganz mit Recht auf die maßgebende Be-
deutung der Mutation. Auch Preisz ^) isoliert« aus einer und der-
selben Milzbrandkultur neben Bazillen, die leicht Sporen bildeten,
solche, die es nicht taten.
Wenn die Neigung zur Bildung von Sporen variabel ist, so ist
die Größe, Stellung und Form der Sporen^), die Art ihrer Anskeimung^),
ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlichkeiten*) wahrscheinlich
ebenso veränderlich. Dafür sprechen die Schwankungen, die in allen
diesen Beziehungen bei den einzelnen Individuen derselben Kultur
beobachtet werden, sowie die Erfahrungen, die man an verschiedenen
Stämmen derselben Art gemacht hat (s. u. natürliche Varietäten § 357).
Das schließt nicht aus, daß die Abweichimgen geringer werden, wenn
man die Stämme längere Zeit unter gleichen Bedingungen züchtet
und dann vergleicht, wie es Bredemann getan hat.
Daß sporenbildende Hefezellen (Saccharomyces) die Fähig-
keit, Sporen zu bilden, dauernd verUeren können, ist eine alte Er-
fahrung. So erwähnt Hansen^) eine Abart des S. Pastorianus I,
die schon 12 Jahre lang diese Eigenschaft beibehalten habe. Ja, nach
demselben Forscher läßt sich gerade diese Abänderung sicherer be-
herrschen als die anderer Eigenschaften.
Die genannte Varietät wurde erhalten durch Züchtung in Bierwürze
bei einer Temperatur, die höher war als das Tomperaturmaximum für die
Sporenbildung. Andere ähnliche Spielarten entstanden aber anscheinend
freiwillig (S. Ludwigii, Marxianus*), Schizosaccharomyces octosporus^)).
waren allerdings nicht ebenso beständig, ließen sich z. B. in sporen-
bildende zurückverwandeln dwch Übergang von Bierwürze zu Trauben-
zuckernährböden oder durch trockene Hitze, die die vegetativen Formen
vernichtete und die noch vereinzelt gebildete Sporen übrig ließ.
1) Zentr. Bakt. 35. 6.
2) Vgl. hier v. Hibler, Bredemann a. a. O.
3) Ebenda und C a s p a r i , Arch. f. Hyg. 42, 1902.
4) Compt. rend. trav. labor. Carlsbiu-g 511, 1900; ref. Zentr. Bakt.
2. Abt. 7. 199.
5) Vgl. Anm. 4.
6) S. bei K 1 ö c k e r , Gärungsorganismen 1900, S. 194.
7) Beijerinck, Zentr. Bakt. 2. Abt. 4. 637, 1898.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1135
§ 348. Beweglichkeit. Mehr oder minder vollständiger Ver-
lust der Beweglichkeit^) wird nach unseren eigenen Erfahrungen gar
nicht selten an Laboratoriumskulturen, z. B. von Typhus, Cholera
beobachtet. Besonders berichten über imbewegliche Stämme des
Micrococcus agiUs und der Sarcina mobilis Lehmann und N e u -
mann, des Typhusbazillus Stephens^), des Colibazillus V i 1 -
linger^) und Barber (S. 1131), des Choleravibrio Bonhoff*).
Teils handelt es sich um Abänderungen, die offenbar im Laufe der
künstlichen Züchtung aus den älteren Nährböden aufgetreten sind,
teils um Entartungsformen, die durch Kultur in karbolhaltiger Bouil-
lon bei 42° (Villinge r) erhalten, teils um Rassen, die durch mikro-
skopische Auslese (Barber) gewonnen wurden.
Aber auch der umgekehrte Fall, das Auftreten von Beweglichkeit
bei sonst unbeweglichen Bakterien, ist beschrieben worden. Wir können
allerdings vorläufig noch nicht glauben, daß die auffallende Behaup-
tung von A. M e y e r ^) und Ellis®), alle Kokken und Ba-
zillen seien mit Geißeln ausgestattet und beweg-
lich, den Tatsachen entspreche, aber kaum einen Zweifel läßt zu die
Beobachtung von Zierler'), Lehmann und N e u m a n n ,
nach der der Bac. implexus, der sich jahrelang imbeweglich gezeigt
habe, später lebhaft beweglich geworden sei. Es hegt freilich hier
der Gedanke an einen Rückschlag nahe genug. Ausgeschlossen
scheint ein solcher dagegen nach unseren bisherigen Kenntnissen beim
Ruhrbazillus, von dem ein Stamm nach M ü h 1 m a n n ®) in stark
alkalischer Bouillon fortgezüchtet, zu wiederholten Malen, aber immer
nur vorübergehend, eine „typhöse Beweglichkeit" in Traubenzucker-
bouillon oder Agar gezeigt haben soll. Die sogenannte Beweglichkeit
der „homogenen** Tuberkelbazillen A r 1 o i n g s und Courmonts
ist wohl nichts anderes als Molekularbewegung^), die ja auch sonst
oft mit Eigenbewegung verwechselt worden ist.
Ob die Z a h 1 und namentlich dieAnordnungderGeißeln
ebenfalls erheblichen Abänderungen unterliegt in dem Sinne, daß ein
1) Über die Beeinflussung der Beweglichkeit durch pliysikaHsche
und chemische Einf Hisse vgl. § 46 u. 56.
2) Ref. Bull. Pasteur 1905. 241.
3) Arch. f. Hyg. 21.
4) Arch. f. Hyg. 22. 28.
5) Zentr. Bakt. 31.
6) Ebenda 33 und ebenda 2. Abt. 9 und 11.
7) Arch. f. Hyg. 34.
8) Arch. f. Hyg. 69, 1908.
9) Vgl. C. Frank el, Hyg. Rundschau 1900. 630; R o m b e r g ,
Deutsch, med. Woch. 1901. 18/19.
1136 Kap. XVIII, § 348—350.
Übergang vom monotrichen zum lophotrichen oder peritrichen Typus
und umgekehrt möglich wäre, ist noch nicht ausgemacht. Im allge-
meinen scheint es sich hier um recht beständige Charaktere zu
handeln (§ 359).
§ 349. Zusammensetzung des Mikrobenleibes. Mikro-
chemische Reaktionen. Über die Schwankungen in der chemischen
Zusammensetzung der Körper der Bakterien und Pilze und ihre Ab-
hängigkeit von dem Entwicklungszustande imd der Ernährung wurde
schon früher gehandelt (S. 59). Wenn wir den ungleichen Gehalt von
verschiedenen Rassen derselben Art an Schleim (§ 351), ihre ungleiche
Ausstattung mit fermentativen Kräften (§ 353), ihre ungleiche Wider-
standsfähigkeit (§ 350) und Reaktionsfähigkeit gegenüber Schädlich-
keiten (s. o.) bedenken, wird es wahrscheinlich, daß sie auch in ihrem
chemischen Aufbau mehr oder weniger erhebüch voneinander ab-
weichen können. Mit Hilfe der groben chemischen Analyse wird das
aber nur ausnahmsweise, z. B. im ersteren Fall, nachweisbar sein. Es
fehlt übrigens an Untersuchungen darüber.
Hin und wieder hat man bei verschiedenen Rassen derselben Art
Unterschiede in ihrem mikrochemischen Verhalten (vgl.
Kap. I), namentlich in ihrer Säurefestigkeit (vgl. § 19) ge-
funden. So sollen Bakterien bzw. Strahlenpilze durch Züchtung in
fetthaltigen Nährböden säurefest werden (Bienstock^), Gott-
stein ^), Potet, Pellegrino^)) und umgekehrt Leprabazillen
in künstlichen Kulturen meist ihre Säurefestigkeit verlieren (D e y c k e
und Reschad-Bey *)). Gewöhnlich handelt es sich aber wohl
hier um eine nicht beständige Emährungsmodifikation (Fettnahrung?)
und im Falle der Lepra wohl um Verunreinigungen, die mit den eigent-
lichen Erregem der Lepra nichts zu tun haben. Gerade Strahlenpilze
kommen als Verunreinigungen häufiger in Betracht, als man gewöhn-
lich annimmt, da sie in der Luft weit verbreitet sind und zum Teil
hohe Temperaturen vertragen. Die Möglichkeit der Entstehung säure-
fester und nicht säurefester Spielarten einer und derselben Art ist
freilich von vornherein um so weniger abzuleugnen, als säurefeste
Mikroben, z. B. die Tuberkelbazillen, anscheinend gewisse Stadien der
Entwicklung durchlaufen, in denen sie nicht säurefest sind (vgl.
M u c h u. a. S. 45, Anm. 1). Ob das bei anderen Bakterien auch für
1) Fortschr. d. Mediz. 1886. 6.
2) Ebenda 1886. 8.
3) Annali d'igiene 1906.
4) Deutsch, med. Woch. 1905. 13/14. Vgl. aber die neuesten offenbar
besser gelungenen Z ü chtungsversuche mit Leprabazillen von Kedrowsky
und Küster (1910).
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1151
§ 355. Giftigkeit. Die Veränderlichkeit der Giftbildung'^bei
verschiedenen Stammen einer und derselben Bakterienart ist eine längst
bekannte Tatsache. Meist handelt es sich dabei nur um quantitative,
manchmal aber, wenigstens anscheinend, auch um qualitative Unter-
schiede, d. h. um das Auftreten bestimmter Gifte bei einigen Stämmen,
die bei anderen fehlen. Dahin gehören namentlich die hämolytischen
(vgl. Cholerabazillen, El-Tor § 312) und die akut wirkenden Gifte
(Typhus § 286, Cholera § 284). Aber auch die Giftigkeit eines und
desselben Stammes wechselt, indem sie entweder — z. B. bei fort-
gesetzter Kultur in den gewöhnUchen Nährböden — abnimmt oder
namentlich bei Züchtung unter bestimmten für die Giftbildung gün-
stigen Bedingungen zunimmt. Die Angaben über die Beschaffenheit
dieser Bedingungen wechseln sehr, vielfach wird behauptet, der Durch-
gang durch den Tierkörper verstärke die Giftigkeit (§ 271). Als Regel
darf das aber wohl nicht gelten, die Analogie mit der Virulenz besteht
jedenfalls nicht zu Recht, eher darf man das Gegenteil erwarten, da
beide Eigenschaften ja sogar — wenigstens bei den Immungiften —
einander entgegengesetzt zu sein pflegen (§ 268). Nur die gewöhn-
lichen Endotoxine nehmen manchmal (S. 948) und die Hämolysine
öfters (vgl. Staphylokokken und Streptokokken § 312) gleichzeitig mit
der Virulenz zu und ab. Eigentümlich und noch nicht aufgeklärt sind
die gewissermaßen individuellen Schwankungen in der Giftbildung,
die z. B. beobachtet werden, wenn man eine Reihe von ganz gleich
zusammengesetzten Nährflüssigkeiten mit derselben Kultur beimpft.
Ob hier vererbliche Mutationen oder bloß Emährungsmodifikationen
infolge oligodynamischer Einflüsse vorliegen, verdiente weiter ver-
folgt zu werden.
§ 356. Infektiosität, Angriffsstoffe und andere Impfstoffe.
Kaum eine Eigenschaft der Mikroben ist so leicht zu beeinflussen
bzw. so veränderlich, wie die Fähigkeit, im lebenden Tierkörper zu
wachsen, die sogenannte Virulenz (Infektiosität § 51) und die damit
zusammenhängende Bildung der Angriffsstoffe (§ 319 ff.), sowie die
der übrigen Impfstoffe (§ 334 ff.), die anscheinend nichts unmittel-
bar mit der Virulenz zu tun haben. Die ausführliche Besprechung
der bisher beobachteten Abänderungen wird zweckmäßiger verbunden
mit der Darstellung der allgemeinen Erscheinungen der Infektion und
der sogenannten Immunisierungsverfahren (vgl. Infektions- und Im-
munitätslehre). Bemerkt wurde aber schon (§ 330), daß die haupt-
sächlichsten Methoden zur Erzielimg von Abänderungen auch hier in
Frage kommen : erstens die Benutzung schädigender,
physikalischer und chemischer Einflüsse, wie
Hitze, Trockenheit, Druck, Belichtung, Elektrizität, entwicklungs-
1152 Kap. XVIII, § 366 u. 367.
hemmender Stoffe, die künstlich zu den Mikroben zugesetzt werden
oder freiwillig in alten Kulturen entstehen, zweitens die Anpas-
sung^), sei es nun an saprophytische, sei es an parasitäre Be-
dingimgen. Hierzu gehört z. B. die von uns a. a. 0. schon besprochene
Angewöhnung an Alexine und Immunkörper im Reagensglas, femer
die gerade bei Protozoen (Malariaplasmodien, Piroplasmen, Try-
panosomen und Spirochäten) sehr häufige, aber auch bei
Typhusbazillen, Meningokokken, Gonokokken
und anderen Bakterien beobachtete beschränkte Anpas-
sung an den Tierkörper, die sich in den sogenannten latenten
Infektionen des Blutes, der Gallen- und Harn-
blase, des Rachens, der Harnröhre, der Erscheinung
der sog. Keim- oder Bazillenträger äußert. Die Beurteilung
der Veränderungen, die an den Infektionserregern selbst dabei vor sich
gehen, wird dadurch erschwert, daß sehr gewöhnlich während der
Infektion auch der Tierkörper^) sich an die Parasiten anpaßt (§ 52
u. 53). Drittens ist auch die freiwillige, scheinbar plötzliche Ver-
änderung, die sogenaimte Mutation, beobachtet und praktisch
benutzt worden. Während der erstere Weg gewöhnlich, wenn aueh^iicht
immer (S. 10C8) zu einer Abschwächung der Virulenz führt, erhält man
durch Anpassung imd Mutation bald Abschwächung, bald Verstärkung.
Wie es nicht zu bezweifeln ist, daß man auf dem einen oder anderen
Wege von infektiösen Mikroben Rassen erziehen kann, die ihre Viru-
lenz völlig verloren haben und also die Merkmale von echten Sapro-
phyten besitzen, so haben wir auch gewisse Anhaltpunkte dafür, daß
man sogenannte Saprophyten soweit verändern kann,
daß sie als Infektionserreger erscheinen. Am
leichtesten gelingt die Erziehung zu pflanzlichen Parasiten (Vin-
cent*), Laurent^), Lepoutre*)), vielleicht deswegen, weil
die Widerstände des lebenden Grewebes hier weniger groß sind. Damit
stimmt ja auch überein die Tatsache, daß die Pflanzenparasiten die
nächste Verwandtschaft mit Saprophyten haben*). Aus demselben
Grunde würden dann auch für niedere Tiere und Kaltblüter Saprophyten,
z. B. phosphoreszierende und andere Wasserbazillen, Heubakterien,
leichter zu Parasiten werden*). Man hat aber durch Versuche an
1) Vgl. auch Eisenberg, Zentr. Bakt. 46, 1907. Über Veränder-
lichkeit anderer Antigene s. § 330 und bei Altmann imd Rauth.
Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 7, 1910. Über Mutation von solchen s.
unsere Erfahrungen, Zeitschr. Hyg. 57, 480.
2) Annal. Paateur 1898, 12.
3) Ebenda 1899.
4) Ebenda 1902.
5) S. z. B. L a m b o 1 1 e ebenda 1902. Vgl. § 74 u. 309,
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1153
höheren warmblütigen Tieren gezeigt, daß manche gewöhnliche Sapro-
phyten, wie Heabazillen und Prodigiosus, für diese in gewissem Grade
infektiös werden können. Scharfe Grenzen zwischen
Parasiten imd Saprophyten bestehen eben nir-
gends, die Fähigkeit, Aggressine zu bilden, ist ebenso weit ver-
breitet, wie die andere Antigene zu bilden.
Einige weitere Bemerkungen über Verändenmgen der Virulenz
unter natürlichen Bedingungen geben wir im nächsten Abschnitt.
§ 357. NatQrliche Abarten^) und Arten. Es ist von vorn-
herein zu erwarten, daß die natürliche Züchtung in ähnlicher Weise
Abarten erzeugen wird, wie die künstliche. Die Erfahrung hat das
auch immer mehr bestätigt. Hier sollen nur einige Beispiele dafür
angeführt werden.
Besonders groß ist die Zahl der Varietäten des Pneumonie-
coccus (Strept. lanceolatus). Durch Vergleich von 84 frisch isolierten
Stämmen desselben haben Kruse und Pansini *) festgestellt, daß
sie sich nicht nur in ihrem pathogenen, sondern auch in morphologischen
und physiologischen Charakteren voneinander vielfach imterscheiden.
Scharfe Grenzenzwischen den einzelnen Spielarten
aufzustellen ist nicht möglich, d a a 1 1 e Ü b er g ä n g e
zwischen ihnen vorkommen. Die Züchtung unter gleichen
Bedingungen brachte die Abweichungen, auch die Neigung, bazilläre Formen
zu bilden, zum großen Teil zum Verschwinden, wobei der ursprüngliche
Typus verschwand und eine immer deutlichere Annäherung an den
Streptococcus pyogenes eintrat (vgl. S. 286, 1129 u. 1141).
Dieser letztere bietet nach Pasquale') u. a. ähnliche Verhältnisse
dar, desgleichen nach Kruse (S. 286) der dritte im Bunde, der
Streptococcus lacticus (Enterococcuö). Dabei sind
diese drei Arten selbst wieder durch zahlreiche Übergänge miteinander
und auch mit den verflüssigenden luid streng anaeroben Streptokokken
(S. 1147) verbunden, so daß man im einzelnen Falle oft schwer sagen
kann, zu welcher Art man einen Streptococcus rechnen soll. Auch
t5bergänge zu den „langen Milchsäurebazillen** (s. u,) kommen vor. Eine
obenfalls veränderliche Art ist die des Staphylo-
coccus pyogenes, dessen gefärbte Varietäten ja schon z. T. in einander
übergeführt wiu'den (S. 1150), und der auch von den saprophy tischen
Staphylokokken der Haut, Schleimhäute und Außenwelt nicht scharf zu
trennen ist (vgl. S. 996).
Sehr wahrscheinlich ist es, daß es unter den infektionstüchtigen
Meningo- und Gonokokken unschuldige Spielarten gibt, nicht
zu reden von denjenigen „Pseudomeningokokken", die sich schon durch
die Reaktionen in Zuckernährböden von ihnen trennen lassen (S. 349).
1) Im folgenden ist, wie in den vorhergehenden Abschnitten, nicht
unterschieden worden zwischen Abc^rten, Varietäten, Spielarten, Rikssen,
2) Zeitschr. f. Hyg. 11, 1891.
3) Zieglers Beitr. 12, 1893.
Kruse, Mikrobiologie. 73
1154 Kap. XVIII, ! 357.
Unter den sporenbildenden Bazillen sind die Aerobier
meist untereinander so nahe verwandt, daß man die herkömmliche Schei-
dung in Bac. snbtilis, meeentericus, mycoides usw. kaum mit Sicherheit
durchführen kann. Selbst das Vorhandensein oder Fehlen der Geißeln
i3t ja auch nicht mehr als ein unveränderliches Merkmal zu betrachten
(s. o. S 1135). Der Milzbrandbazillus scheint durch seine Patho-
genität allerdings gut charakterisiert; diese wechselt übrigens, wie w
selbst gegenüber entgegengesetzten Behauptungen feststellen müssen,
auch unter natürlichen Bedingungen recht bedeutend. Auch das Vorkom-
men ganz aWrulenten Milzbrands ist mehrfach behauptet worden, teils
auf Grund der sonst übereinstimmenden Merkmale, teils weil mit diesen
Kulturen gegen Milzbrand immunisiert werden konnte (H ü p p e und
Wood*), Chauveau und Phisalix). Die Sache bleibt zweifel-
haft, aber die Möglichkeit erheblicher Abändenuigen, auch nach der kul-
turellen Seite hin, ist nach den Erfahrungen, die man an Laboratoriimi-
kulturen gemacht hat, kaum zu bestreiten. Auf die früher öfter als charak-
teristisch hingestellte Art der Sporenbildung und Keimung
ist wohl nicht allzuviel ixi geben (S. 417, Anm. 2 und S. 1134).
Den meisten Untersuchem ist, wie wir schon oft in diesem Kapitel
sahen, die große Veränderlichkeit der sporenbildenden Anae-
rob i e r , insbesondere aus der Gruppe der Buttersäure- und
Hauschbrandbazillen, aufgefallen, sie wird auch von B r e d e -
mann (§ 113) zugegeben, dem es freilich gelungen ist, dieursprüng-
lich bei seinen zahlreichen Stämmen vorhandenen
Unterschiede durch entsprechende Behandlung und
darauf folgende systematische Kultur in den glei-
chen Nährböden auf einen und denselben Typus,
den des Bac. amylobacter, zurückzuführen.
Als eine natürliche Gruppe, deren Mitglieder aber unter sich wesent-
lich in physiologischer Beziehung viele Unterschiede zeigen, ist zu be-
trachten die der „langen Milchsäurebazillen", die unter dem Namen des
Bac acidophihis, bifidus, vaginalis, der Boas-Opplerschen Bazillen auf den
menschlichen Schleimhäuten, als Bac. acidificans longissimus, Delbrückii,
lactis acidi, bulgaricus, Lindneri, Saccharobac. Pastorianus usw. in gären-
den Flüssigkeiten vorkommen (S. 287, s. auch oben Str. lacticus).
Ebenfalls der Hauptsache nach saprophytische Arten von großer
Variabilität sind der Proteusbazillus Hauser (Bact. vulgare
Lehmann und N e u m a n n) , und Bac. oloacae Jordan, der
Bac. fluorescensliquefaciens (einschließlich des Pyocyaneui^)
und non liquefaciens und selbst der Prodigiosus"), der
Bac. faecalis alcaligenej Petruschkys'), zu denen
wahrscheinlich der Bac. lactis innocuus Kruses und a q u a t i -
lis sulcatus Weichselbaums gehören und die nur künstlich
zu trennende Gruppe des Bact. coli (commune) und des Bact. (lac-
1) Berl. klin. Woch. 1889. 16.
2) Vgl. Luckhardt, Freiburger med. Dissert. 1901, H e f -
f eran , Zentr. Bakt. 2. Abt. 11, 1903 und 1. Abt. 41, 1906; B er tarelU,
Zentr. Bakt. 1. Abt. 34, 1903.
3) Vgl. K l i m e n k o , Zentr. Bakt. 43. 766, 1907.
Veränderliohkeit der Kleinweeen. 1155
tis) a^rogenes Escherioh. Auch an Übergängen zwischen diesen
Arten mangelt es nicht ^).
Mit den letzten beiden Gruppen kommen wir zu den pathogenen
des Typhus- und der Dysenterie-, des Paratyphus- und
der Pseudodysenteriebazillen. Die beiden ersteren Arten
sind weniger der Veränderlichkeit ausgesetzt als die letzteren, indessen
kommen auch bei ihnen natürliche Spielartenvor, diesich
z. B. durch Beweglichkeit, Körperform, Giftigkeit,
Aggressivität und andere antigene Eigenschaften
( § 330) voneinander unterscheiden. Bei den Paratyphus-
imd Pseudodysenteriebazillen sind derartige Spielarten so beständig, daß
11^^ geglaubt hat, sie mit besonderen Untemamen (cun besten mit den
Buchstaben A, B usw. ) bezeichnen zu müssen. Wenigstens bei den Pseudo-
d3rsenteriebazillen scheint diese Beständigkeit aber nicht immer vorhanden
zu sein, so daß man in einer und derselben Epidemie verschiedene dieser
Rassen nebeneinander antrifft. Namentlich in sporadischen
Fällen findet man abweichende Typen*). Das er-
innert daran, daßauch gerade die am meisten atypi-
schen Typhus-, Peat- und Cholerakulturen (s. u.)
von vereinzelten Fällen oder aber von sogenannten
Bazillenträgern stammen.
Durch ihre verhältnismäßige Abgeschlossenheit gegenüber anderen
Arten und zugleich durch die Anpassungsformen, die sie in
den einzelnen Tierarten annehmen, zeichnen sich aus die
Bazillen der hämorrhagischen SeptizämioHüppes,
von denen wir freilich jetzt als wesentlich verschieden die der H o g -
Cholera- ( Paratyphus- )Bazillen abtrennen müssen. Kleinere Unter-
schiede bestehen übrigens auch hier bei einer und derselben Unterart, z. B.
unterscheidet Klein') bei den Pestbazillen die „Menschenpesf
mit längeren, von der ,, Rattenpest" mit eiförmigen Stäbchen, luid G o t -
schlich^) züchtete aus chronischen Pestfällen atypische Bazillen.
Ja wenn wir in der Geschichte zurückgehen, so finden wir indem
„schwarzen Tod** des 14. Jahrhunderts eine Pest-
epidemie, die so sehr von den heutzutage gewöhn-
lichen abweicht, daß wir das vielleicht auf quali-
tative nicht bloß quantitative Änderungen der Viru-
lenz zurückführen dürfen. Eine Analogie ist vielleicht ge-
geben in einer Beobachtung Martinis *), nach der es möglich wäre,
auf dem Wege des Tierversuches eine Spielart des Pestbazilliis zu erzeugen,
die vorzüglich zum Wachstum in den Lungen geeignet ist.
Die hämoglobinophilen Bazillen der Influenza-
gruppe bilden ebenfalls eine sehr natürliche und geschlossene Art, ja
1) Vgl. hierzu Kruse in Flügges Mikroorg. 3. Aufl. 2. Bd. 1896
luid Lehmann und Neumann, Grundriß, 4. Aufl. 1907.
2) Vgl. Kruse, Deutsch, med. Woch. 1907. 8.
3) Vgl. Klein, Report Medic. offic. Local Government board,
1904, Nr. 32.
4) Zentr. Bakt. Refer. 38 Beiheft S. 100, 1906; vgl. auch Shi-
b a y a m a , Zentr. Bakt. 38.
5) Kim. Jahrb. 9.
78*
1156 Kap. XVIII, § 367 u. 368.
wir können hier vorläufig trotz dem Vorkommen mancher morpho]og»chen
Abänderungen, die aber nicht beständig zu sein scheinen („Pseudoinüiienza'')
selbst durch die üblichen Serumreaktionen keine Einteilung in Unterarten
durchführen, obwohl wir durch die eigentümliche Ver-
breitung der Bazillen und die Berü c]^k sichtigung
der epidemiologischen Verhältnisse gezwungen
sind, das Bestehen von solchen neben den eigent-
lichen Influenzabazillen anzunehmen.
Engste Beziehungen bestehen ebenso zwischen den Bazillen
des Schweinerotlaufs, der Mäuseseptizämie und
des Erysipeloids (F. J. Rosenbach ^)), ohne daß man doch
imstande wäre, sie vollständig miteinander zu identifizieren.
Lange bekannt sind Spielarten der Rotz- und Diph-
theriebazillen. Bei der letzteren ergeben sich aus den Schwan-
kungen der Tiervirulenz, der Form und Färbbarkeit (Polkömer) sogar
erhebliche Schwierigkeiten für die Trennung der Erreger der Diphtherie
von den mehr oder weniger harmlosen Pseudodiphtherie- und
Xerosebazillen. Selbst in einer und derselben Epidemie findet
man, wie bei der Pseudodysenterie, gelegentlich verschiedene T3rpen').
Von den Unterarten oder Rassen der Tuberkelbazillen
haben wir schon gesprochen (S. 1143).
Selbst die epidemiologisch so gut charakterisierte asiatische
Cholera zeigt gewisse Unterschiede in der Beschaffenheit ihrer Er-
reger, wenn diese avich über gewisse Grenzen nicht hinauszugehen schei-
nen'). Am auffälligsten sind die Schwankungen in der Giftproduktion
namentlich in der Bildung der ohne Inkubation wirksamen Toxine (§ 284)
und Hämolysine (vgl. Vibrio El-Tor S. 1001).
Bei den Strahlenpilzen scheinen ebenfalls natürliche Spiel-
arten vorzukommen, jedoch ist die Feststellimg der Tatsache dadurch
bisher erschwert gewesen, daß man sich gewöhnt hat, von einer ein-
zigen Aktinomykose der Rinder imd der Menschen zu sprechen,
ohne dieMöglichkeitzu berücksichtigen, daßbeijederTier-
art mehrere Arten dasselbe KrankheitsbiLd hervor-
rufen können.
Das Vorkommen zahlreicher natürlicher Varietäten mit abweichenden
Formen, Wachstumsweisen imd Leistungen unter den Hefen ist seit
Hansens Forschiuigen eine Tat-sache, mit der die Brauereitechnik zu
rechnen versteht ( § 86, 94 — 96). Eine Abgrenzung der Arten wird dadurch
sehr erschwert.
Unter den Schimmelpilzen ist ähnliches bekannt, z. B.
von den Favuserregern (vgl. Plaut S. 1150 Anm.).
Die noch zweifelhafte Frage nach der Artzusammengehörigkeit
der Malariaparasiten haben wir schon früher gestreift (S. 1132).
Sehr in die Augen fällt aber die Anpassungsfähigkeit
1) Zeitschr. f. Hyg. 63, 1909.
2) Z u p n i k , Prag. med. Woch. 1902. 30—34, Schick und Er-
s e 1 1 i g Wien. klin. Woch. 1903. 35.
3) K o 11 e und Gotschlich, Zeitschr. f. Hyg. 44; Bürgers,
Hyg. Rundschau 1910. 4.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1157
anderer Protozoen, namentlich der Trypano-
somen an verschiedene Tierarten. Ebenso sind Viru-
lenzschwankungen bei Spirochäten allgemein anerkannt. Be-
sonders bemerkenswert sind die der Spir. pallida. Die historische
wie die geographische Pathologie der Syphilis spricht dafür, daB be-
trächtliche Abänderungen dieser Krankheit vorgekommen sind und
noch bestehen. Sie allein durch Veränderlichkeit der Krankheits-
erreger zu erklären, dünkt uns freilich völlig immöglich. Das betrifft
namentlich auch die Nachkrankheiten der Syphilis, wie Tabes und
Paralyse^).
Auch die ganz imbekannten oder als filtrierbare Virus
bzw. Chlamydozoen bezeichneten Erreger vieler Infektions-
krankheiten verändern, wie epidemiologische Beobachtungen beweisen,
ihre Virulenz sowohl nach der quantitativen als qualitativen Seite
hin. Das wichtigste Beispiel dafür bietet die Umwandlung der
Menschenpocken in das Kuhpockenvirus, die durch
natürliche Übertragung ebenso möglich ist wie durch künstUche.
§ 358. Entstehen und Verschwinden von Krankheits-
erregern in der Geschichte. Viel umstrittener als die Verände-
rungen von Krankheitserregern nach Ort imd Zeit, für die wir im vorste-
henden manche Beispiele gebracht, sind bei den Infektionserregern fol-
gende Fragen, die wir hier wenigstens kurz berühren müssen: erstens fragt
man, ob — in geschichtlicher Zeit — Infektionskrankheiten bzw.
Epidemien selbständig, d. h. ohne Beziehung zu früherem Vorkommen
(„autochthon"), entstanden sind und noch entstehen, zweitens, ob sie
umgekehrt auch freiwillig verschwinden, d. h. für immer vergehen
oder wenigstens zeitweise sich gewissermaßen erschöpfen können.
Von vornherein besteht natürlich die erstere MögUchkeit zu Recht,
das entbindet tms aber nicht, für jeden einzelnen Fall die Wahrschein-
lichkeit des Vorkommens zu prüfen.
Das Auftreten der asiatischen Cholera im 19. Jahrh\indert wird man
am ehesten geneigt sein, so zu erklären*). Strenge Beweise dafür haben
wir aber nicht. Weit besser begründet erscheint uns aber die Annahme,
daß noch heutzutage und allenthalben andere Infektionskrankheiten ent-
stehen, so der Schweinerotlauf, die einzelnen Formen der hämor-
rhagischen Septizämie und vor allem die Pneumonie.
Ein Recht dazu gibt uns das Vorkommen mehr oder weniger, manchmal
auch gar nicht abgeschwächter Erreger in der Außenwelt oder auf der
Schleimhaut der gesunden Tiere selbst, und daneben die epidemiologische
1) Näheres in der Infektionslehre.
2) Vgl. R. Pfeiffer, Neufeld und Bürgers in der Erörte-
rung über Cholera auf d. Naturf. Versamml. in Königsberg 1910. 28. Abteil.
1158 Kap. XVin, § 358 u, 369.
Erfahrung, d. h. die Unmöglichkeit, manche der betreffenden Krankheits-
imd Seuchenaiisbrüche auf frühere Vorkommen zurückzufüliren. In letz-
terer Beziehiing wird man freilich nicht vorsichtig genug sein dürfen, wie
das Beispiel des Typhus uns gelehrt hat, bei dem heutzutage nach der
Entdeckung der Bazillenträger wohl niemand mehr so kaltblütig;
wie früher seine autochthone Entstehung zulassen wird. Das „Wildwerden"
des Colonbazillus und seine Umwandlung in Typhusbazillen ist fiir iind
nach wie vor eine Vorstellung, die uns ebenso abenteuerlich vorkommt,
wie die „Verkrünunung** desselben Bazillus zur Kommaform und seine
Verwandlung in den Cholerabazillus. Auch ein Übergang der Pseudo-
diphtheriebazillen in die Diphtheriebazillen vorauszusetzen,
geben uns die Tatsachen bisher kein Recht. Aber mindestens bei der
menschlichen Pneumonie liegen die Dinge denn doch so, daß man sie ganz
allgemein als „Selbstinfektion" gelten lassen muß (vgl. Infektionslehre).
Das schließt natürlich nicht aus, daß unter günstigen Umstanden eine selb-
ständige Pneumonieinfektion der Ausgangspimkt für andere, für eine
Epidemie werden kann. Besonders im kindlichen Alter wird man
eine derartige nachträgliche Ausbreitung auch bei anderen Selbst-
infektionen, z. B. vom Darmkanal, nicht für unwahrscheinlich
halten dürfen. Das wird ja auch von der durch Colibazillen verursaditen
Kälberruhr C. O. Jensen mit gutem Grund behauptet.
Das freiwillige Aussterben einer Infektions-
krankheit, ist ein Fall, dessen Vorkommen
bisher nur ausnahmsweise^) f es tge st e 1 It worden
ist. Er ist auch deswegen nicht wahrscheinlich, weil die Voraus-
setzung dafür wäre, daß die doch an verschiedenen Orten in
größeren Mengen verbreiteten Erreger annähernd gleichzeitig durch
Mutation eine Verringerung ihrer Virulenz erführen. Auch das Aus-
sterben der Arten innerhalb geologischer Epochen pflegt man ja
im wesentlichen durch die Ungunst der Verhältnisse, den „Kampf
ums Dasein" zu begründen. Trotzdem ist man mehrfach geneigt
gewesen, für das allmähliche oder plötzliche Verschwinden von
Epidemien eine wenn auch nur zeitweilige „Erschöpfung" des Virus
verantwortlich zu machen.
In der Tat könnte man dafür gewisse experimentelle Erfahrungen
als Analogien anführen, so soll, van andere zweifelhafte oder widerlegte
Ergebnisse zu übergehen*), die fortgesetzte Übertragung von Hühner-
spiroc hüten auf Hühner (Salirabeni und Marchoux,Leva-
tl i t i) , die der Maul- und Klauenseuche von Ferkel auf Ferkel
1) Dahin gehört der sog. englische Schweiß, der nur von 1486— 1.'>«'>1
opidemisch beobachtet worden ist. Sehr nahe steht ihm allerdings der
SchweißfricHel, der seit der Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt ist. Vsl.
Hirsch Handb. d. histor. geogr. Pathol. 1. 61, 1881.
2) Die indische Pest komm ission widerlegte z. B. die Behauptunjr.
(laß die Pest durch Übertragung von Ratte auf Ratte an Virulenz einbüße
(Journ. of hyg. 1906. 496).
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1159
(L ö f f 1 e r) und selbst die der Kuhpooken von Kalb auf Kalb^)
schließlich deren Infektiosität (auch für dieselben Tiere) herabsetzen. Um
sie zu erhalten, ist es nötig, mit dem Tier zu wechseln, z. B. die Spiro-
chäten auf ihre niederen Wirte*), die Maul- und Kllauenseuche auf Rinder'),
die Kuhpocken auf Menschen zu überpflanzen. Die Übertragung der In-
fektion des Küstenfiebers gelingt sogar sicher nicht, wenn man
die Piroplasmen vom ersten infizierten Rind auf ein zweites Rind ver-
impft, der Keim muß viebnehr hier erst wieder auf Zecken übergehen,
um seine Virulenz wiederzuerlangen (R. Koch). Trotz diesen Beispielen
wird man sich hüten müssen, daraus weitgehende Schlüsse auf die Ver-
haltnisse bei anderen Infektionserregern zu ziehen imd etwa für Typhus,
Cliolera, Ruhr und Pest, wie man es früher häufig getan hat, die Notwendig-
keit eines „saprophy tischen Stadiums" zur Forterhaltung oder Wieder-
belebimg der Virulenz anzunehmen.
§ 359. Einteilung und Abstammung der Mikroben. Die
Richtung, in der sich die natürlichen und künstlichen Abänderungen
der Mikroben bewegen, sind geeignet, uns über die verwandtschaft-
lichen Beziehungen der einzelnen Arten aufzuklären und uns so die
xlafstellung eines natürlichen Systems der Mikroorganismen zu er-
leichtem. Immerhin sind wir nodh weit von diesem Ziel entfernt.
Keinem Zweifel unterliegt es allerdings, daß die Unterteilung
der Mikroben in die drei Klassen der Bakterien (Schizomyzeten), Pilze
und Protozoen, femer die der Bakterien in Kokken, Bazillen und
Spirillen berechtigt ist. Auch die Zugehörigkeit der Sproßpilze zu den
fadenbildenden Pilzen ist längst anerkannt, und deren System sowie
das der Protozoen in den Qrundzügen festgestellt. Durch neuere
Forschimgen erscheint freilich die selbständige Stellung der Sporo-
zoen imd namentlich ihre Unterordnung, der Hämosporidien,
immer mehr bedroht. Wir gehen auf die wegen imgenügender Beob-
achtungen noch im Fluß befindliche Frage hier nicht weiter ein, son-
dern beschränken uns im folgenden auf die verwandtschaft-
lichen Beziehungen der Bakterien zueinander
und zu den ihnen nahestehenden Klassen. Man
darf wohl sagen, daß nach drei Richtungen, nämlich
nach den Algen, den Pilzen und den Protozoen
hin Verwandtschaften bestehen.
Die Schizophyzeen (Phykochromazeen) hatte schon F. C o h n
mit den Bakterien (Schizomyzeten Nägelis) zu einer Gruppe der
1) Die Entartung der huminisierten, d. h. von Mensch auf Mensch
fortgepflanzten Ljrmphe wird dagegen wohl mit Recht bestritten. Min-
destens ist sie nicht nötig (vgl. Paul in Kraus und Levaditis
Handb. 1. 696 ff., 1908).
2) Marchoux, Soc. biol. 12. X. 1907.
3) Löffler, Deutsch, med. Woch. 1906. 31.
1 160 Kap. XVm, § 359.
Scliizopli3rten oder Spaltpflanzen vereinigt und die einzelnen Gattungen
derselben miteinander in Parallele gestellt^). Das Fehlen der Zell
kerne, das trotz den immer wieder gemachten Versuchen, das Gegenteil
zu beweisen, bei beiden Klassen als sicher betrachtet werden kann
(Kap. I), die gleichen Formen bei beiden, die Teilung durch Spaltung
läßt allerdings deutlich ihre Verwandtschaft erkennen. Unterschiede
bestehen vor allem in der Kleinheit der Zellen, dem Fehlen von Chloro-
phyll amd Phykozyan, dem Vorhandensein von Sporen und Geißeln
bei den Bakterien, in der Zusammensetzung ihrer Membran und ihrer
Ernährungsweise. Manche gewöhnlich zu den Bakterien gestellte
Wesen, die Beggiatoen und andere farblose Schwefelbak-
terien (§ 208), femer die roten Schwefel- und Purpurbak-
terien (§ 209), die Leptothrix, Cladothrix, Phragmidiothrix, Gallio-
nella usw. (vgl. Eisenbakterien § 216), anscheinend auch das
Azotobacter (S. 630 ff.), stehen den Spaltalgen durch Größe, Poly-
morphismus und zum Teil wenigstens durch das Vorhandensein einer
Art von Zentralkörper (Bütschli S. 47, Anm. 2), sowie
einer Beweglichkeit ohne Geißeln noch näher. Wir
möchten vorschlagen, sie ge^'adezu Phykobakterien*) (Algen-
bakterien) zu nennen, von ihnen aber als besondere Unterordnungen
die farblosen Schwefelbakterien und Purpurbak-
terien abzutrennen.
Durch den Besitz eines chlorophyllgrünen Farbstoffes den Algen,
in ihren übrigen Eigenschaften aber völlig den Bakterien verwandt,
erscheinen die noch wenig bekannten Chlorophyllbakterien
(grüne Bakterien S. 779).
Es fragt sich nun freilich, ob man es hier überall mit natürlichen,
von den eigentlichen Bakterien in ihrer Entwicklung unabhängigen Ab-
teilungen zu tun hat. Wenn wir von den Phykochromazeen annehmen,
daß sie mit den Bakterien eine einfache, etwa kokkoide Urform ge-
meinöam haben, sich aber von dieser aus unabhängig — wenn auch mit
auffälligem Parallelismus der Form — weiter entwickelt haben, so könnten
wir das auch von den Purpurbakterien, die ja einen ähnlichen Formenkreis
durchlaufen und von den (farblosen) Schwefelbakterien und Chlorophyll-
bakterien, bei denen durch neuere Untersuchungen die gleiche Man-
nigfaltigkeit der Formen immer wahrscheinlicher wird, eben-
falls zugeben. Eine Schwierigkeit besteht freilich insofern, als es schwefel-
haltige und nicht schwefelhaltige Purpiu-bakterien gibt, und damit such
nähere Beziehungen der farblosen xmd gefärbten Schwefelbakterien nicht
1) Vgl. auch O. K i r c h n e r , Schizophyzeen in Engl er-Prantl,
Pflanzenfamilien 1. Abt. 1898.
2) Die M i g u 1 a sehe Bezeichnung Chlamydobakterien paßt nicht,
weil eine Scheide oft fehlt. Die Strahlenpilze, die M i g u 1 a zu ihnen
stellt, haben gar nichts mit ihnen zu tim (s. weiter unten im Text).
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1161
unwahrscheinlich sind. Bei den Phykobakterien überwiegen bisher die
langgestreckten und polymorphen Arten so sehr, daß man geneigt sein
könnte, sie von echten Bazillen abzuleiten, immerhin ist es mög-
lich, daß auch sie sich in einer fünften parallelen
Reihe von derselben Stammform aus entwickelt
haben. Vielleicht gehört das Azotobakter chroococcum, die Nitrobak-
terien Winogradskys (§ 196) und das Achromatium Schewia-
koffs*) sowie gewisse große Spirillen zu derselben Entwick-
lungcsreihe. Uns scheint es vorläufig näher zu liegen, bei den genannten
Unterordnungen einen solchen Parallelismus anzunehmen, als voraus-
zusetzen, daß die einzelnen Bakterienformen (Kokken, Bazillen, Spirillen)
etwa durch eine in der gleichen Richtimg sich bewegende „Mutation" in
Schwefel-, Purpur-, Chlorophyll- luxd Algenbakterien sich verwandelt,
oder daß Spaltalgen sich zu Algenbakterien zurückgebildet haben.
Die verwandtschaftlichen Beziehungen der Bakterien zu den
Pilzen werden vor allem durch die Familie der Strahlenpilze
(Aktinomyzeten, früher vielfach Streptotricheen genannt)
begründet. Die Ähnlichkeit der letzteren mit Fadenpibsen ist wegen
ihres myzelartigen Wachstums mit echten Verzweigimgen, der Aus-
bildung von Conidien, Lufthyphen u. dgl. nicht zu verkennen. Anderer-
seits sind sie durch eine ganze Reihe von Zwischengliedern mit den
Tuberkel-, Diphtherie-, Rotz- und Rotlaufbazillen verbunden^), und
von den Fadenpilzen durch wichtige Merkmale, ihre Kleinheit und
vor allem die ganze Struktur ihres Zelleibes geschieden. Deswegen
ist es unseres Erachtens unrichtig, mit Lehmann imd N e u m a n n
hier von einer „Hyphomyzetenfamilie" zu sprechen. Die Ähnlichkeit
mit den Hyphomyzeten ist vielmehr, wie ich früher schon gezeigt
habe'), nur eine äußerliche, oder, um die Beziehungen beider auszu-
drücken, die Wahrscheinlichkeit, daß die Stammesgeschichte der echten
Pilze durch die Strahlenpilze hindurch auf diese Bakterien (Bazillen)
zurückführt, erscheint mir gering, Man würde, um diese Beziehungen
auszudrücken, die Familie der Strahlenpilze samt den Tuberkel- und
Diphtheriebazillen usw. besser unter dem Namen der Mykobak-
terien^) zusammenfassen.
Wenn wir auch vorläufig ein Recht haben, die echten Pilze von
einer bakterienähnlichen Urform herzuleiten, weil die Bakterien die
einfachsten bisher bekannten Lebewesen sind, so haben sie sich doch
wahrscheinlich imabhängig, wenn auch in auffällig paralleler Formen-
reihe, mit den Strahlenpilzen entwickelt.
1) S. bei Migula, System der Bakterien 2. Bd. 1037, 1900.
2) S. bei Kruse in Flügges Mikroorganismen 2. Bd.
3) a. a. O. S. 50.
4) Bei Lehmann und N e u m a n n ist Mycobacterium ein
Gattungsname für die säiu'efesten Bazillen.
1162 Kap. XVIII, § 359.
Eine weitere Ähnlichkeit wäre nach Migula^)in der Sporenbildung
voa Saccharomj^eten und Bakterien, sowie in der Zellteilung von Schizo-
sacharomyoes und Bakterien gegeben. Man kann das zugestehen, ohne
daraus verwandtschaftliche Beziehungen herzuleiten. Die Unterschiede
zwischen den Sproßpilzen und Bakterien sind denn doch zu groß — man
denke an Sprossung, Membran und Zellkerne bei den ersteren — und
die Verwandtschaft zwischen Sproß- und anderen Pilzen zu eng.
Erst recht können wir uns mit den in älterer und neuerer Zeit ge-
machten Versuchen nicht befreunden, die Bakterien als entartete Pilze')
zu betrachten, die Bazillen als „Oidien", die hin und wieder bei allen mög-
lichen Bakterien beobachteten Verzweigiuigen als Rückschläge auf pilz-
artige Zustände zu bezeichnen (A. Meyer ')). Gelegentlich ist ja nichts
einzuwenden gegen die Zurückführung einfacher auf verwickelte Formen,
es liegt aber kein Grund dafür vor, es bei einer unter so verschieden«!
Bedingungen so weit verbreiteten und in so frühen Zeiten vorkommenden
Abteilung von Organismen zu tun. Und vor allem, wo sollen wir denn
diese Urformen für die höheren Organismen suchen, wenn nicht bei den
niederen ? Ein früher dagegen angeführter Grund, die saprophytiache
Lebensweise der Bakterien habe als Voraussetzung das Vorhandensein
organischer Substanz, ist nicht mehr stichhaltig, seitdem wir wissen, wie-
viel Bakterien von den einfachsten Stoffen, zum Teil sogar rein minera-
lischen Stoffen (vgl. S. 120) sich nähren können. Selbstverständlich ist
dvirch die Annahme, daß wir es in den Bakterien mit den niedersten Wesen
zu tun haben, von deren Stammform aus die höheren sich vielleicht sämt-
lich entwickelt haben, nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, daß sie sich
bis in die Jetztzeit hinein auch in ihrem eigenen Kreis fortentwickelt haben.
Die Ähnlichkeit der Bakterien mit Protozoen ist schon lange
aufgefallen.
Namentlich die Form, Sporen- und Geißelbildung ist es, die sie an
die Seite der Flagellaten zu stellen scheint. Auch die endogenen Sporen
der Bakterien hat man in den Zysten der Monas guttula und Chromulina
nebulosa wiederfinden wollen. Sieht man sich die Dinge näher an, so findet
man freilich genug Unterschiede. Vor allem fehlt die höhere Organisation
der stets kernhaltigen Protozoen den Bakterien. Wert hat man auch ge-
legt auf die Verhältnisse der Membran, durch die sich die Bakterien den
Pflanzen nähern sollen, und die Anheftimig der Geißeln. Ob das aber be-
rechtigt ist, möchten wir bezweifeln, die mikroskopischen Bilder, die be-
weisen sollen, daß die Bakteriengeißeln an der Membran endigen, nicht am
Protoplasma, könnten doch auf Täuschung beruhen. Auch die Membran
ist keineswegs bei allen Bakterien nachzuweisen ( § 20).
Neuerdings ist namentlich von zoologischer Seit« die Verwandt-
schaft der Spirochäten mit den Protozoen behauptet worden. Auf-
fallend ist freilich, abgesehen von der äußeren Ähnlichkeit durch die
spiralige Drehung der Körperachse die Übereinstinmiung in der Lebens-
1) System der Bakterien 1. 238, 1897.
2) Für andere Klein wesen, die ebenfalls herangezogen worden siiul,
pilt natürlich das gleiche (vgl. Ward, Annal. of botany 1898).
3) Vgl. Lit. S 39 u. 48. Auf S. 8 Anm. 8 muß es heißen Zentr. Bakt 30.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1163
weise, nämlich die Form des Farasitismiis, die oft mit Wirtswechsel
verbxmden ist. Aber der letztere Umstand kann um so weniger maß-
gebend sein, als in anderer Beziehimg große Unterschiede bestehen.
Fehlen doch saprophytische Vertreter den Trypanosomen ganz, und
ähneln doch auch die Immunitätereaktionen der Spirochäten viel mehr
denen der Bakterien. Auch die spiralige Form ist kein besonderes Merk-
mal der Trypanosomen und Spirochäten, sondern findet sich außer bei den
Spirillen noch bei Purpurbakterien und Phykochromazeen. Wichtiger wäre
es, wenn die Spirochäten auch mit Kernen, undulierender Membran und
endständigen Geißehi versehen wären, sowie sich der Länge nach teilten,
wie die Trypanosomen. Darüber ist aber leider kein Einverständnis er-
zielt worden. Im Gegenteil, Kerne sind überhaupt noch nicht bei Spiro-
chäten nachgewiesen worden. Die Mehrzahl der Forscher leugnen Längs-
teilung und undulierende Membran bei ihnen, einige wollen sogcur peri-
trische Begeißelung gesehen haben. Auch die von N e u f e 1 d besonders
betonte Widerstandslosigkeit der Spirochäten gegen bestimmte Lösungs-
mittel (Galle usw.) ist vielen Bakterien eigen (§ 8 u. 13). Die Mehrzahl
der Bakteriologen und auch eine Anzahl von Zoologen hält danun an der
Verwandtschaft der Spirochäten mit den Spirillen, also den Bakterien feet^).
Wir haben es also vielleicht auch hier wieder, wie bei Strahlenpilzen, nur
mit einer Annäherung der Bakterien an die Form einer anderen Klasse,
einer parallelen, aber unabhängigen Entwicklung zu tun. Wenn eine be-
sondere Bezeichnung der Spirochäten noch nötig wäre, könnte man sie
Zoobakterien nennen, in Analogie mit den Phyko- und Mykobak-
terien. Die Trennung der Spirochäten von den Trypanosomen hindert
natürlich nicht, verwandtschaftliche Beziehungen zwischen ihnen bzw.
zwischen Bakterien und Protozoen. Wahrscheinlich ist aber die Abzweigung
der Flagellaten von den Bakterien viel früher erfolgt, entweder von der
t^rform oder von der Pseudomonaaform (s- u.) aus.
Für die Einteilung der eigentlichen Bakterien lassen sich außer
Unterschieden der Form, die zur Trennung der Kokken, Bazillen und
Spirillen führen, folgende Merkmale benutzen: Erstens scheidet das
Vorhandensein von einer, zwei oder drei Wachstumsrichtungen be-
kanntlich die Kokken in Kettenkokken (Streptokokken), Tafelkokken
(Tetragenus, Merismopoedia, Micrococcus), Packetkokken (Sarzinen).
Bei vielen Arten (Gono-, Meningo-, Staphylokokken) bleibt man im
Zweifel, ob sie zu den Tctfel- oder Packetkokken zu rechnen sind, wohl nur
deswegen, weil sie sich zu frühzeitig voneinander lösen oder gegeneinander
verschieben. Ob es Kokken gibt, die nach beliebigen Richtungen wachsen
imd sich teilen können, die also keinen irgendwie nach Achsen geordneten
Hau besitzen, int ungewiß.
Die Bazillen und Spirillen reihen sich den Streptokokken durch
ihren einachsigen Bau an.
1) Vgl. N o v y und Knapp, Journ. of infect. disoas. 1906. 303;
Hart mann, Zentr. Bakt. Ref. Beilage zu Bd. 42 S. 72 und Erörtonmg
dazu S. 96ff. S w o 11 e n g r e b e 1 , Zentr. Bakt. 49. 529, 1909.
1164 Kap. XVni, § 359.
Allerdings liegen mehrere Beobachtungen vor, die eine Längs-
spaltung nicht nur bei Streptokokken, sondern auch bei Bazillen
beweisen sollen^), aber entweder handelt es sich da um sehr seltene wirk-
lich pleomorphe Arten (Hashimoto, Matzuschita), oder uro
imregelmäßige Bildungen (echte Verzweigung), die gelegentlich —als
Folge abnormer Wachatumsreize ? — bei einzelnen Individuen aller mög-
lichen Bakterienarten auftreten (S. 8), oder wohl an einer nicht ganz
einwandfreien Deutung des gesehenen Bildes. So habe ich selbst sicher
festgestellt'), daß die so oft beobachtete pc^allele Lage von Diphtherie-
bazillen dadurch entsteht, daß ein Bazillus, der sich regelmäßig quer ge-
teilt hat, an der Teilungsstelle zusanmienknickt. Vielleicht ist es bei Tnber-
kelbazillen') ähnlich.
An der Regel kann all das nichts ändern und darum wohl ebenso-
wenig an dem Schluß, daß Bazillen und Spirillen stam-
me sge seh i cht li ch sich von den Streptokokken
ableiten.
Ein zweites Merkmal, das man zur Einteilimg viel benutzt hat,
ist das Fehlen und Vorhandensein sowie die Anordnung der Geißeln.
A. Fischer und M i g u 1 a haben darauf sogar eine ganze Anzahl
von Gattungen gegründet. Leider ist aber die Beweglichkeit
ein ziemlich unbeständiger Charakter bei den Bakterien (s. o. S. 1135),
so daß dies Einteilimgsmerkmal sehr an praktischem Wert verliert.
Einen wissenschaftlichen behält es aber doch, und wenn man den
Hauptwert auf die Anordnung der Geißeln — am Pol und
an den Seiten — legt, kommt man auch vielleicht zur Aussonderung
einiger natürlicher Gruppen. Als eine solche möchte ich besonders
bezeichnen die Pseudomonas Migulas, d. h. die durch Pol-
geißeln gekennzeichneten sporenfreien gramnegativen Bazillen, die den
Hauptteil der sogenannten Wasserbakterien, phosphoreszierenden und
Pigmentbazillen (Fluorescens usw.), ausmachen und auch den Bac.
faecalis alcaligenes (s. o. S. 1154) die KnöUchenbakterien und vielleicht
auch einige isolierter stehende Formen umfassen.
Weniger Bedeutung hat wohl die Zahl der Geißeln, inunerhin ist
sie beständig genug, um z. B. die „monotrichen** von den „lophotrichcn'*
(M e s s e a) Spirillen zu trennen. Da die Spirillen sämtlich
und auch die Spirochäten wahrscheinlich*) sämt-
lich Geißeln am Pol zu besitzen scheinen, und sie auch
sonst Beziehungen zu den W as s er b az i 1 1 en haben,
1) Vgl. z. B. Babes, Zeitschr. f. Hyg. 20, 1895; Stolz, Zentr.
Bakt. 24;Ha8himoto, Zoitschr. f. Hyg. 31, 1899; Matzuschita,
Zentr. Bakt. 2. Abt. 9.
2) Flügges Mikroorganismen 2. Bd. S. 459. 1896.
3) Vgl. C. Fränkel, Hyg. Rundschau 1900. 617 ff.
4) Vgl. 0. Fränkel imd Zettnow, Zentr. Bakt. Refer. 42
Beil. S. 96 n. 97.
Veränderlichkeit der Kleinwesen. 1165
leitet man sie vielleicht am besten von den Pseudo-
monaden ab. Vielleicht stammen auch die niedrig-
sten Flagellaten von P s eu d o m o n ad en und nicht
von tieferstehenden kokkoiden Bakterien ab. Form
und Begeißelung sind ja ähnlich genug. Das Vorkommen monadenartiger
Formen bei anderen Bakterien^) spricht nicht dagegen. Diesen polgeiß-
liehen Bakterien gegenüber stehen die seitengeißligen („peritrichen") Bazillen
der Subtilis-, Anaerobier-, Proteus-, Cloacae- luid Coli-(Typhus- und
Paratj^hus-) Gruppe. Das Vorhandensein von unbeweglichen Sporen-
bildnern (z. B. Milzbrandbazillen), die dem Heubazillus offenbar nahe ver-
wandt sind, und sporenfreien Bazillen (Aerogenes- und Dysenteriegruppe),
die den Colibazillen sonst sehr nahe stehen, veranlaßt vma aber gerade
hier, die Beweglichkeit ab) Einteilungsprinzip, nicht schematisch anzu-
wenden. Die Möglichkeit liegt sehr nahe, daß die unbeweglichen
Bakterien ihre Beweglichkeit nur verloren haben,
also von beweglichen Formen abstammen. Nicht überall sonst ist das
aber anzunehmen, denn es wird z. B. kaum ein Zufall sein, daß gerade
die große Mehrzahl der Kokken unbeweglich ist. Da
die Ausbildung von Bewegimgsorganen immerhin eine höhere Organisa-
tion voraussetzt, kann man umgekehrt daraus schließen, daß die Kok-
ken die einfachsten Bakterien sind.
Das Sporenbildungsvermögen ist schon von d e
B a r 7 und dann immer wieder für die Einteilung der Bakterien be-
nutzt worden. Daß es ein wichtiges Merkmal darstellt und praktisch
weit brauchbarer ist, als die Beweglichkeit, ist zweifellos, und wird
auch dadurch nicht widerlegt, daß manche Formen die Fähigkeit,
Sporen zu bilden, verlieren können (§ 347) und wahrscheinlich auch
verloren haben.
Wir würden uns deshalb auch Lehmann und N e u m a n n ,
welche die sporenbildenden Stäbchen in der Gattung „Bacillus** und die
nicht sporenbildenden in der zweiten ,,Bacterium** vereinigen, anschließen,
wenn nicht diese beiden Namen schon so oft und in ganz verschiedenem
Sinne gebraucht worden wären. Unmöglich ist es dagegen, die Form,
Lage und Auskeimungsart der Sporen mit Hüppe, Fischer u. a.
zur weiteren Einteilung zu benutzen,- da diese Eigenschaften zu unbe-
ständig sind (S. 1154). Das wenn auch seltene Vorkommen von Sporen
bei Kokken und Spirillen läßt darauf schließen, daß die Fähigkeit
zur S-porenbildung an manchen Stellen der Entwick-
lungsreihe unabhängig entstanden ist, denn an eine
stammesgeschichtliehe Zusammengehörigkeit aller dieser Sporenbildner
und an eine parallele Entwicklung derselben mit den übrigen nicht sporen-
bildenden Bakterien ist wohl kaum zu denken. Dazu ist die Eigenschaft
der Sporenbildung doch zu beständig imd gibt ihrem Eigentümer einen
zu großen Vorteil im Kampf ums Dasein, als daß man annehmen dürfte,
die sporenbildenden Zwischenglieder zwischen den jetzt bekannten Sporen -
bildnem wären gänzlich umgewandelt oder ausgestorben.
1) Russell, Zeitechr. f. Hyg. 11. 201.
1166 Kap. XVin, § 359.
Eine für die Einteilung der Bakterien unseres Erachtens sehr
bedeutsame Eigenschaft ist femer ihr Verhalten zur Gram-
schen Färbung, die ja wohl von der Zusammensetzung ihrer
Leibessubstanz abhängt (§ 18). Das anzuerkennen zwingt uns die Tat-
sache, daß die gramfesten Bakterien auch in anderen Beziehemgen
sehr natürliche Gruppen bilden, wir erinnern an die Streptokokken,
Staphylokokken und Sarzinen, langen Milchsäurebazillen, Heubazillen.
Anaerobier und schließlich die große Masse unserer Mykobakterien
(S. 1161).
Wir denken uns den Zusammenhang so, daß von den Streptokokken
einerseits Staphylokokken und Sarzinen, andererseits die langen Milch-
säurebazillen und von diesen letzteren erstens die Mykobakterien und zwei-
tens die sporenbildenden Bazillen (Heubazillen und Anaerobier) sich ab-
leiten. Da ^^dr sahen, daß die Kokken meist*) gramfest sind, haben wir
vielleicht ein Recht, dieses Merkmal ebenso wie dieUnbe-
weglichkeit als ursprünglich vorhanden zu betrach-
ten, und für die gramnegativen Bakterien einen
nachträglichen Verlust dieser Eigenschaft anzu-
nehmen*). So würden die Meningo- \ind Gonokokken von den Staphylo-
kokken, die wenigen gramnegativen Streptokokken, Heubazillen und
Mykobakterien von den grampositiven Mitgliedern der betreffenden Gruppe
abstammen. Die große Mctöse gramnegativer Bazillen könnt« man dann
entweder ebenfalls auf die granmegativen Streptokokken oder auf die
grampositiven „langen'* Milchsäurebazillen und die sämtlich gram-
negativen Spirillen auf die schon granuiegativ gewordenen Pseudomonaden
zurückzuführen. Ob eine Umwandlung von granuiegativen — ein Rück-
schlag — in gramfeste Formen stattgefunden hat, mag dahingestellt bleiben.
Das Vorkommen einiger gramfester Kapselbazillen könnt« als Beweis
dafür gelten, wenn nicht diese wie die ganze Aerogenesgruppe etwa un-
mittelbar von den langen Milchsäurebazillen abstanunen.
Daß die säurefesten Bakterien zu den Mykobakterien und
zusammen gehören, wird allgemein anerkannt.
Als letztes und in praktischer Beziehung recht wichtiges Ein-
teilungsprinzip können schließlich die biochemischen Eigen-
schaften gelten. Dagegen halte ich den Versuch 0. Jensens*),
„physiologische" Merkmale als wesentliche Unterlage für die Klassifi-
zierung zu benutzen und die morphologischen Unterschiede dahint<*r
1) Nach Winslow, Systemati c relationships of the Coccaccae
Xow York 1909 sollen allerdings die meisten saprophytischen Kokken
(Metacoccaceae) gramnegativ sein, nur die parasitischen (Paracoccaceae)
meist grampositiv.
2) Dafür spricht z. B. die Beobachtung Omelianskys (Zentr.
Bakt. 2. Abt. 19, 1907), daß die entschieden ältere Nitrosomonas gram-
positiv, die Nitromonas gramnegativ ist.
3) Hauptlinien des natürlichen Bakteriensystems Zentr. Bakt. 2. Abt.
22, 1909. Dort auch die übrigen zahlreichen neuen Benennungen.
Veränderlichkeit der Kleinweeen. 1167
znrückzastellen, im allgemeinen nicht für berechtigt. Nur da, wo die
Emährmigsweise so eigentümliche Abweichungen zeigt, wie bei den
Purpur-, Schwefel-, Chlorophyllbakterien (s. o.), können wir mit großer
Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sich die Mannigfaltigkeit der
Formen erst nachträglich entwickelt hat, also die morphologischen
sekundäre Unterschiedsmerkmale gegenüber den biochemischen sind.
Wir sind daher auch geneigt, Jensen zuzustimmen, wenn er die
„autotrophen", d. h. von anorganischen Kohlen- und Stickstoff Verbindungen
aich nährenden Bakterien (S. 109 Anm., 116 u. 120), die er, je nachdem
sie Sumpfgas, Kohlenoxyd, Wasserstoff, Schwefelwasserstoff oder Kohlen-
säure allein neben Anunoniak oder salpetriger Säure assimilieren, als M e -
thano-, Carboxydo-, Hydrogeno-, Sulfo-, Nitro-
und Nitrosomonas bezeichnet, von den anderen Bakterien abtrennt.
Ihr bisher nur mangelhaft entwickeltes Studium erlaubt uns aber noch
nicht mit Sicherheit, uns darüber auszusprechen, ob sie zusanmien eine
natürliche Gruppe bilden oder sich scharf voneinander unterscheiden oder
Übergänge zu anderen nicht autotrophen Bakterien zeigen. Die Mög-
lichkeit liegt doch noch vor, sie von letzteren abzuleiten, z. B. in die Nähe
der Pseudomonaden zu stellen^), denn wir können luis vorstellen, daß sie
wenigstens zum Teil sich erst nachträglich an die autotrophe Ernährung
angepaßt haben. Wenn Jensen sie als die ältesten Bakterien
bzw. organischen Wesen überhaupt betrachtet, so ist das
vielleicht richtig, aber nicht dadurch zu beweisen, daß sie sich in einer
Zeit entwickelt haben müssen, wo nvir anorganische Nährstoffe zur Ver-
fügung standen. Denn ihr Erscheinen setzt doch, wenn
anders wir an der Urzeugung festhalten wollen, dau
V^o rhandensein organischer Stoffe voraus. W«« die
Gruppierung der übrigen Bakterien anlangt, so stimmt luisere eigene Auf-
fassung vielfach, aber nicht in allen Punkten mit der Jensens überein,
so z. B. auch in der Trennung der pol- und seitengeißligen Formen. Be-
merkenswert erweise ist die Art der Begeißlung aber gerade ein morpho-
logisches Merkmal. Auch sonst ist Jensen nicht folgerichtig, denn er
läßt sich diurch die doch rein äußerliche Fähigkeit, Verzweigungen zu
bilden, dazu verleiten, die Knöllchenbakterien (Rhizomonas) als die Stamm-
väter der Strahlenpilze und anderer Mykobakterien, sowie der echten
Pilze anzusehen. Wir halten wie gesagt im allgemeinen die biochemischen
Merkmale nicht für wichtig genug, um die Grundlage der Gruppierung
abzugeben. Unseres Erachtens sind die so mannigfaltigen fer-
mentativen Fähigkeiten ihrer Anlage nach bei den
allermeisten Formen verbreitet (S. 1149) und ihre Spe-
zialist isohe Ausbildung bei den einzelnen Arten
beweist nichts gegen die Verwandtschaft dieser
letzteren mit anderen ihnen morphologisch nahe-
stehenden Formen. So bleiben die Sproßpilze im großen und
ganzen eine sehr natürliche Gruppe, obwohl nur einzelne von ihnen Alkohol
erzeugen. Trotzdem sind die biochemischen Eigentümlichkeiten hin und
1) Ob die beweglichen unter ihnen alle am Pole Geißeln tragen,
^teht dahin, ebenso ist das Verhalten zur Gramfärbung verschieden (s. o.).
1168 Kap. XVIII, ! 359.
wieder als EinteilungsmerkmeJe zu gebrauchen. 80 trennt clas Verhalten
zum Sauerstoff die meisten sporenbildenden Aerobier (Heubazillen
usw. ) von den Anaerobiern, der Besitz peptonisierenderFer-
ni e n t e die Proteus- und Cloacaegruppe von der Coli- und Aerogene6gnip[M^
usw. Wichtiger aber ist noch, daß auch die schon durch morphologische
Charckktere (s. o.) gekennzeichneten Gruppen sich durch die Gleichmäßig-
keit ihrer physiologischen Merkmale oft als natürlich erweisen. So kenn-
zeichnet sich die große Masse der Streptokokken durch ihre Fähig-
keit, Milchsäuregärung zu bewirken und stimmt auch in
dieser Beziehung überein mit der ihnen so verwandten Gruppe der langen
Milchsäurebazillen (§ 97 u. 99). Umgekehrt scheiden sich die
Heubazillen von den Anaerobiern, von anderem abgesehen, auch durch
ihr Verhalten zu den Kohlenhydraten (vgl. Buttersäure-
gärung § 113). Auch die sonst so verschiedenen einzelnen Mitglieder der
Proteus-, Cloacae-, Coli- bzw. Aerogenesgruppe
ähneln sich darin, daß sie den Traubenzucker sämtlich in
(saure) Gärung versetzen (§ 112) und stehen dadurch den
Pseudomonaden geschlossen gegenüber, die gewöhnlich kein Gär-
vermögen besitzen. Das Gärvermögen für Kohlenhydrate
treffen wir allerdings auf fast jeder Stufe der Ent-
wicklung in beschränktem Grade an, besonders gut aus-
gebildet aber außer in den ebengenannten Gruppen nur bei Pilzfamilien.
Dagegen findet die Fähigkeit, Eiweißstoffe mit oder ohne
Beihilfe peptonisierender Fermente zu zerlegen, fast in allen
Gruppen ausgezeichnete Vertreter. In vielleicht etwas
geringerem Grade gilt das auch von dem für das Aussehen der Kolonien
immer so wichtigen Schleimbildungsvermögen (s. Schleim-
gärung § 128). Die durch ihre Pseudoplasmodien luid großen Fnicht-
körper sehr merkwürdigen Myxobakterien (S. 409) könnten sich
als Sporenbildner, ziunal sie sämtlich Stäbchen zu sein scheinen, von den
übrigen sporenbildendon Bazillen abzweigen.
Auch der Parasitismus, die Fähigkeit, Angriffs- und andere
Impfstoffe zu bilden, kann sich in allen Klassen und Gruppen der Mikro-
bien anscheinend unabhängig entwickeln (§ 356). Immerhin ist e3 wohl
kein Zufall, daß die große Mehrzahl der bakteriellen
Krankheitserreger zu den gramnegativen, höch-
stens seitcngeißligen oder unbeweglichen Bazillen
gehört. Obwohl sie sich meist durch mangelhafte Entwicklung fermen-
tativer Eigenschaften auszeichnen, werden wir sie der Coli- und Aerogenes-
gruppe anschließen, zu der sie zum Teil ja (Typhus, Dysenterie) die engsten
Beziehungen haben. Die große Ordnung der Sporozoenist
sogar ganz parasitisch. Vielleicht gehören zu ihnen die eben-
falls bisher nur als Parasiten gefundenen C h 1 a m y d o z o e n v. Pro-
wazeks, die sog. unsichtbaren oder filtrierbaren Virus der Pocken, Schal-
pocken, Maul- und Klauen-, Bnistseuche, Rinderpest, des Gelbfiebers,
der Hühnerpest, der Hundswut, des Epithelioma contagiosum der Vögel
imd Menschen, des Trachoms usw. (S. 2, Anm. 2; S. 3, Anm. 1).
In folgender Übersicht machen wir den Versuch, die eben be-
sprochenen ßtammesgeschichtlichen Beziehiingen der Kleinwesen 2^"
sammenzufassen. Für die Abteilung der Pilze, Protozoen und einig«!
Veränderlichkeit der Kleinwesen.
1169
kleinerer Bakteriengruppen lassen wir, wie man aus den beigefügten
Fragezeichen sieht, ausdrücklich mehrere Möglichkeiten offen. Wenn
es sich machen ließe, die Übersicht im Baume, statt auf der Fläche
des Papiers anzuordnen, würde man die Beziehungeo natürlich noch
anschaulicher gestalten können.
Stommesgeschichte der K/einmesen.
Kokkoidc Urform der LebcLuesan
(unbeweglich, gram fest.)
Spaltafqen
Phvffobahlencn
y
Schivelelbafitericn
Purpurbokterien
Chlorophy/i'bakterien
Kokken
Sarzinen und
Mikrokokken
Ffagellaten >
(Protozoen)
autotrophe Bakterien 1
Streptokokken
grampositiue 5tn
gramposiliue Bazillen
(lange jyjiich^üurebuzii'en)
gramnegatiue Str.
autotrophe Bobler-en ?
gramnegatiue Baziiien
P
/
seitengeiasi'ige
Mykobakterien Sforcnhin/ner
(Strahlenpnz e)
Rerobier
(Heubazillen u üergl)
poigeissliqe
( Pseudomonas )
I- :üQcilafcn '^
Spirillen (Protozoon)
Cn-i u. Htro^jenes
.Yivxobakterien
RnaeroLfer
fyprius. üyscnierie
Sp.TodiJctcn (Z'jobük!t'rier )
Septizömiebakterieo
Jnflucrzabazi. 'cn
Kruse, Mikrobiologie.
74
Stichwörterverzeiclinis.
Die Zahlen hinter den Stichwörtern bedeuten die Seiten, wo nicht S oder Kxp. vorgeseUt
ist. Eine auBführliche Inhaltsanfi^abe der einzelnen Kapitel und Paragraphen findet eich im Inhalt«-
verseichnis (vom). Kl. ist die Abkürzung für Kleinwesen, Bac. für Bacillus. Bact. für Bacterium,
Bakt. für Bakterien.
Abschwäch ung § 330, 353,
355—358.
Absorption von Farbstoffen
41, Fermenten 755, Giften 878,
— Wirkung der Antitoxine 891,
des Komplements 1050, der Ly-
sinoge 1054, der Agglutinogene
1095.
Abstammung der Kl. § 359.
Abwasser, Reduktion im —
480, Reinigung und Selbstreini-
gung des — 570, 574.
Abwehrstoffe der Tiere 172,
1021, 1036, 1041, 1049, 1062,
1063.
Acidophilus, Bac. 288, 1154.
Aerobiose 96.
Aerogenesbazillen, Grup-
pe der — , als Erreger saurer Gä-
rimg § 97 — 112ff., ihre Unterschei-
dung durch Säure- und Gasbil-
dung 346. 419. s. Kapselbazillen.
Aerotropismus 183.
Äpfelsäure, Vergärung 444.
Agglutinogene § 335 — 341.
Aggressine § 319—330.
Aggressinoide 1059.
Aktinomj^ces siehe Strahlen-
pilze.
Albumosen s. Proteinstoffe,
giftige — s. Gifte.
Alcaligenosbazillen 393
(Anm. 1), Ammoniakbildung durch
— 542, VeränderHchkeit 1128.
Aldehyde, Nebenerzeugnisse der
alkoholischen Gärung 261, der
Milchsäuregärung 234, der Oxy-
dation 394, 430, 451, der Eiwei'ß-
spaltung 533.
A 1 e X i n e s. Abwehrstoffe.
Algen, Kolonien von — 1144,
Verwandtschaft mit Bakterien
1159.
Algenbakterien 1 160.
Algenpilze 79, 84.
Alinitbakterien 627.
Alkalien, Wirkung auf Klein-
wesen 34, 62, 63, 66, auf Fermente
766, Gehalt der Kl. an — 86,
Bedarf an — 94. Vgl. Darstellung
der Gifte § 272.
Alkaloide, Ernährung mit —
112, Entstehung 462, Wirkung
auf tryp tische Fermente 493.
Alkohol, Ernährung mit — 116.
Zersetzung der niederen — § 133
bis 136, der höheren — § 131 u.
132, Bildung von Alkohol durch
Hefe und Pilze (Alkoholgärung)
§ 84— 96 a, durch Bakterien § 104,
aus Eiweiß § 173. Vgl. Mannit-
und Glyzeringärung.
Alkoholase 429.
Ambozeptoren, Bindung durch
Angriffsstoffe § 324, Bildung
durch Lysinogene § 333, Ei-
weiß — § 343.
Ameisensäure, Ernährung in.
— 116, 437,Bildungvon — 331,508.
Amine, als Nahrung 111, s. Pto-
maine.
Aminazidase 498, 517, 544.
Aminosäuren, Gehalt der Kl.
an — 71, Emälirung mit — lH.
115, 119, Bildung aus Eiweiß
§ 165 u. 166, Spaltung der -
§ 167—175.
Ammoniak, Salze des — zur
Ernährung 110, Bildung aus
Eiweiß 484, 524, aus Salpeter-
säure 612, aus Amidcn 589, Harn-
säure 593, Harnstoff 595.
Stichwörterverzeichnis .
1171
Amöben, Verdauung 500, Gifte 991.
Amygdalin, Spaltung 454, 455,
458, 459.
A my 1 a 8 e 219.
Amylalkohol, Oxydation d. —
428, Bildung 535.
Amylobacter s. Clostridien.
Amylomyces 283.
A ni y 1 o z y m a , Bac. 351, 360.
Anaerobier 96 s. Buttersäure-
garung § 113—115, Fäulnis § 168
u. 180.
Analysen, Ergebnisse der che-
mischen — von Kl. 51, Schlüsse
daraus 56.
Anaphylaxogene § 344.
A n ap h y 1 a t o X i n 1119.
Angriffsstoffe § 319—330.
Anhydridbildung 208, 698.
Anpassung Kap. XVIII.
Antagonismus 161.
Antagonistisches Serum 1050
Anm.
An ti agr essine 1081.
Antibakterizide Wirkungen
§ 323.
Antibiose 165.
Antifermente 28, 772.
Antiformin, Auflösung durch
— 33, — Impfstoffe 1078, 1087,
1108.
Antigene im allgemeinen 209,
giftige — § 262, 275, aggressive —
§ 327, 331, 333, die übrigen —
§ 334—344.
Antikomplementwirkun-
gen § 325 und 343.
Antilytische Wirkungen § 324.
Antiopsonische Wirkungen
§ 322.
Antitoxine s. Gegengifte.
Antiseptika §57. Vgl. Desin-
fektion und Gifte.
Antophysa 664.
Apotoxin 1118.
A r a b i n , Bildung 412.
Arabinose s. Pentosen.
Arginase 494, 497.
Aroma, Bildung 533.
Aromatische Stoffe, Ernäh-
rung mit — 111, Hemmung des
Waclistums durch — 159, Um-
wandlung von — Kap. VIII, Bil-
dung von — aus Eiweiß § 168 ff.,
s. Indol, Skatol, Phenol.
Arsen, Roduktion von — 661.
Aschenbestandteile in Kl.
88, Bedarf der Kl. an — 92.
Ascococcus 408.
Asparagin, Ernähnmg mit —
110, 115, Spaltung von — 515,
526.
Assimilation s. Aufbau, Koh-
lensäure, Stickstoff usw.
Atmungsfiguren 100, 185.
Atmung Kap. XIII § 218—223,
§ 225—227.
Atoxyl 189, 662 Anm., 1078
Anm. 4, 1138 Anm. 8.
A t r ep s i e 1064.
Atrepsine 212.
A u f b a u im allgemeinen § 66, der
Kohlenhydrate § 128—130, § 229,
der Fette § 152 u. 230, der Gly-
koside § 163, des Eiweißes § 231.
Aufgaben der Ernährung 124.
Ausnützung der Nahrung § 232
bis 236.
Auswahl der Nährstoffe diu*ch
Kl. 191.
Autointoxikation der Kl.
§ 47, durch Kl. 806, 808.
Autolyse §9u. 166, als Ursache
der Selbstvergiftung 159.
Autotrophe Keime 1167.
Auxanographische Methode
746.
Azetolase 429.
Azeton, Nebenerzeugnis der
Milchsäuregärung 334, derEiweiß-
zersetzung 533.
Azetonhefe 255, -bakterien
515.
Azetylmethylkarbi n o 1
335.
Azotobacter 630, Stellung im
System 1160.
Bacillus, Stellung im System
der Bakterien § 359. Die einzelnen
Arten des Bazillus s. unter ihrem
Artnamen, z. B. Bac. alcaligenes
unter Alcaligenes. Nur besonders
wichtige Keime und Stellen sind
angeführt, im übrigen sind die
Abschnitte nachzusehen, die von
den einzelnen Leistungen han-
deln, also z. B. unter Milch-
säuregärung, Stärkeverzuokerung.
B a c t e r i u m vgl. Bacilhis.
Bakterien, Bau imd mikro-
chemisches Vorhalten der — Kap.I,
Natur der -zelle 45, -blasen
409, 414, -gesellschaften 186,
-niveaus 100, 185, -filter s.
biologisclie Filter, -proteine 63,
74*
1172
Stichwörterverzeichnis.
907, -System und -abstammung
§ 359.
Bakteriolyse durch Serum
28, 1045, 1049, 1053.
Bakteriolysine s. Lysino-
gene.
Baktoriopurpurin 780.
Bakteriotropin s. Tropino-
gene und Opsonine.
ßakteroiden 9, 619.
Baldriansäure, Bildung aus
Kohlenhydraten 334, aus Milch-
säure 441, aus Eiweiß 508.
Bau der Kl. 1.
Baustoffe der Kl. 125 s. Auf-
bau.
Bazillen s. Bacillus, -träger 1152.
1155.
Befruchtung, primitive bei
Bakterien 2 (Anm. 1), Bedingun-
gen der — bei Protozoen 139.
i^eggiatoa, 643.
Bernsteinsäure, Bildung aus
Kohlehydraten 329, aus Eiweiß
516, 543, Zersetzung der —
442, 516.
Betriebsstoffe 125.
Bewegung, Wirkung der — auf
Ernährung und Loben 148» auf
Fäulnis 580, Beeinflussung der —
durch physikalische Reize 154,
— diu*cli chemische Reize 183, —
der Algonbakterien durch Gleiten
116'J, Veränderlichkeit der — §
348, Einteilung der Bakterien
nach den -organen.
Bienen, Faulbrut 583.
Bierbrauerei § 94.
Bif idus, Bac. 288, 1154.
Biologische Filter 571, 582.
Bios 167.
Bioskopische Methode 1016.
Bitterstoffe, Entstehung bei
der Eiweißspaltung 526, 536, 555.
Bituminöse Stoffe, Entstehung
383.
B 1 u t g i f t e 994.
Blutkörper, rote als Zusatz
zu Nährböden 108, 190, 1066
(Amn. 1), Lösimg der — durch
(iifte § 312—315, Verklebung der-
selben § 316, weiße — , Zer-
störung derselben durch Gifte
§ 317, Wirkung als Exaudatzellen
und Phagozyten § 322 u. 331.
Boden, Zersetzungen im — 446,
569, 581, Nitrifikation im —
598, Denitrifikation im — 617,
Stickstoffbindung im — 618, 625.
626, 633, — als Zusatz zur Kultur
605, 631, bakteriologische Unter-
suchung des — 633 (Anm.).
Boocopricus, Bac. — 424.
Bordet- Gengou sehe Anti-
körper § 343.
Botrytis 225, 470.
Bouquetstoffe 261, 533.
Bradsot 924.
Brandpilze, Gift 998.
Branntweinbrennerei 2s2.
Brenzwein säure, Vergärung:
442.
Brom Verbindungen 666.
Brot, Sauerteiggärung des — 327.
Mehlteiggänmg 338, schleimige>
— 407 gefärbtes — 789.
Bulgariens, Bac. — 288, 297,
1154, s. Yoghurt.
Butterbereitung 339.
Buttersäure, — Gärung drr
Kohlenhydrate § 113—116, -pä-
rung der Milchsäure 439, -garunjr
des Eiweißes 508, Vergärung cUr
— 443, -bakterien s. Clostridien,
Veränderlichkeit (Kap. XVIII).
Butylalkohol, — Gärung der
Kohlenhydrate § 115, — aus Gly-
zerin und Mannit 423, aus Eiweili
535.
Castellanischer Vorsuch ^'91.
Caucasicus, Bac. — 287.
C er o 1 i n 73.
Chemische Zusammenset znn/i
der Kl. Kap. TT, Zerstörung der
Kl. durch — Einflüsse § 6—10.
— Ernähnmgsreize 178, — Be-
wegungsreizo 183.
Chemismus, Beziehungen zum
Bau 1, 8. Stoffwechsel.
Chemorezeptoren 189, 211.
Chemotaxis für Bakterien usw.
183, — für Leukozyten 911, 1<'34,
1072.
Chemotropin 1039.
Chemotropismxis 183.
Chinin, Keizwirkung 181, 772-
Chitin in Kl. 83, Zersetzung des
— 112.
Chlamydozoen 2, 3, St^lluni:
im System 1168, Gifte 993.
Chlor, Veränderungen von -vor-
bindimgon 666, auflösende AVir-
kung des — im Chlorkalk uiwi
Antiformin 33, — zerstört Tubor-
kelgift 983, s. Salze.
Stichwörterverzeichnis.
1173
Ch loroform bei Fermentierun-
gen 770.
Chlorophyllbakterien 780, 1160.
Cholerabazillen, Milch-
säurebildung 307, Eiweißspaltung
und Nitrosoindolreaktion 521,
Gifte der — 925, Granulabildung
der — in Serum 30. Angriffsstoffe
1026, Bindung der Arabozeptoren
an — 1047, — u. Leuchtbakt. 748.
Cholera infantum 807, 963,
976, 1158.
Cholera nostras s. Cholera
infantum, Peiratyphus-, Proteus-
gift.
Cholestearin, in Kl. 73, Aus-
fällung des — 689, Wirkung des
— auf Gifte 877, 1009.
C h o 1 i n , Spaltung 588.
Chromatin 47.
C h r o m a t o 1 y 8 e 12.
Chromopare Bakterien 787.
Chroraophore Bakterien 787.
C 1 o a c a e , Bac. — als Säurelab-
bildner 289, sein Gärungsvermö-
gen 303, 315, 318, 327, 332, Säure-
und Gasbildung 347.
Clostridien als Ursache der
Buttersäuregärung § 113 — 115, der
Pektinvergärung § 75, Zellulose-
vergärung § 117, der Fäulnis
§ 268, der Stickstoffbindung § 302,
Stärkebildung in ihnen § 130,
Oxydationen durch — 448.
Colibazillen und ihre Gruppe
als Erreger saurer Gärung § 97
bis 110, Säurung und Gasbildung
durch — 345, Eiweißspaltung
durch — 537, Gifte der — 944.
Crenothrix 663, vgl. Algen-
bakterien.
Cyanogenes, Bac. 783.
Cyanophyzeen, Verwandt-
schaft mit Bakterien 1159.
I> a n y 3 z scher Versuch 849, 883,
885.
Darm, Gärung im — 374, Fäulnis
im — 570.
Dauerhefe 255.
Dauerzustände ( Sporen) Be-
dingungen ihrer Bildung 137,
Veränderlichkeit der — § 347.
Degenerationsformen §3.
Denitrifikation 606.
Desinfektion, durch physi-
kalische Mittel § 42—45, durch
chemische § 57, vgl. sichtbare Zer-
störung der Kl. durch mecha-
nische § 5 und chemische Einflüsse
§ 6 — 16, Veränderlichkeit der
WidersUndsfähigkeit § 350. S.
auch Antiseptika, Gifte.
Destilliertes Wasser, Wir-
kimg 37.
Deuterotoxine 841.
D ex trän 81, 409.
Dextrin, Verzuckerung 222, Ver-
gärung 247, 303, 354.
Dextrose s. Hexosen.
Diaminosäuren, Bildung aus
Eiweiß 530, Spaltung 522.
Diastase 214.
Dichtigkeit der Nährböden,
Einfluß der — auf Wachstum
139, auf Fermentienmg 758.
Diphtheri ebazillen, Säure-
bildung 341. Gift der — § 261
bis 267, Stelliuig im System
1161.
Disa cell aride, Hydrolyse der
— 231, Vergärung der — 247,
301, 354.
Druck, Einfluß auf Ernährung
150, auf Bewegungen 155.
Drusen der Strahlenpilze usw. 8.
Durchgängigkeit des Plas-
mas 4, 42.
Dysenterie s. Ruhr.
Bier, Fäulnis der — 566. Gift-
bildung der Cholerabazillen in —
927.
Eigengifte der Kl. im allge-
meinen 791, § 268—280, im be-
sonderen § 281 ff.
Einteilung der Hefen § 86,
der Kleinwesen § 359, der Stoff-
wechselvorgänge Kaj). V.
Eisen, Bedarf an — 95, -bak-
terien 663.
Eiweißstoffe, Gehalt der Kl.
an — § 25, Bedarf der Kl. an —
§ 32 u. 33, Wandlungen der —
im Stoffwechsel Fvap. IX.
E k t o e n z V m e 750.
E k t o p 1 a s m a 10, 46, Beziehun-
gen der -hvportrophie zur Viru-
lenz 1062, 1067.
Ektotoxine 868.
Elastikotroj)ismus 154.
Elektrizität, Einfluß auf Er-
nährung 152, auf Bewegungen
156, auf Fermente 765, auf
die Toxine und Antitoxine 870,
891.
1174
Stichwörterverzeichnis.
E m u 1 s i n der Hefe 455, der
Schimmelpilze 457, der Bakterien
459.
Emphysembazillen, als Er-
reger von Buttersäuregärung 352,
357, Gifte 924.
Enantibiose 171.
Endoenzyme 750.
Endotoxine 868, 907, 1118.
Endotryptase 495.
Energiewechsel Kap. XIII.
Enteritidisbazi llen s. Para-
typhus.
Enterococcus 285, 336, s.
Streptokokken.
Enterokinase 494.
Entzündungsstoffe § 280,
§ 331, spezifische — § 332.
Enzyme Kap. XIV.
Epitoxonoide 849, 883, 885.
Erdöl 384.
Erepsin 493. 496, 537.
Ergotismus 989.
Ermüdungsgifte 918, 1119.
Ernährung, Wege der — 3,
Mittel zur — Kap. III, weitere
Bedingungen der — Kap. IV,
Einfluß der — auf Farbstoffbil-
dung 785, Giftbildung 866.
Erschöpfung der Nahrung als
Todesursache 134, 157, — Theorie
der Immunität 1066.
Erschütterung, Einfluß auf
Ernährung 148, auf alkoholische
Gärimg 267.
Erysipeloid 1156.
Erythrit, Vergärung 424.
Essigsäure als Nahrungsstoff
116, -gärung (anaerobe) der
Kohlenliydrate 312, -gärung
(aerobe) des Alkohols 428, — im
Gewerbe 432, -gärung der Milch-
säure 441, der Bernsteinsäure und
Glyzerinsäure 443, der Äpfel- und
Weinsäure 444, der Zitronensäure
445, des Eiweißes 508.
Exsudat s. Alexine, Leukine,
Leukozidine, Opsonine, Phago-
zytose.
Farbreaktionen, Schlüsse aus
— auf die Natur der Bakterienzelle
45, Veränderlichkeit der — 1136.
Farbstoffe, als Kernfärbungs-
mittel 38, zur Fettfärbung 48,
— binden (Jifte 879, 909, 968,
Bildung von — aus Glykosiden
454, 459, durch Oxvdation 469,
Reduktion von — durch Bak-
terien 473, — der Bakterien und
Pilze Kap. XV, Zusätze von —
zu Nährböden 345, 473.
Faulkammer verfahren 381,
573.
Fäulnis im allgemeinen 502,
durch Reinkulturen von Anaero-
ben 504, durch Proteusbazillen
510, gemischte (natürliche) — und
Verwesung § 179—188.
Fäulniswidrige Mittel § 57,
§ 184—187.
Fett, färbbares in Kl. 48, — als
Bestandteil des Körpers 78, Er-
nährung mit — 116, Umwand-
lung des — im Stoffwechsel! 137,
138, 149— 151, Bildung von— 701,
giftiges — 821. S. Lipoide.
Fettsäuren, Ernährung mit
115, Verwandlung der — im Stoff-
wechsel § 139—152, Bildung von
— bei der Zersetzung der Kohlen-
hydrate § 90, 97—117, § 119,
123—125, der Alkohole. Fette od.
Fettsäuren Kap. VII, des Eiweiße!^
508 ff., Darstellung der flüchtigen
— 312 Anm., — als Gifte 807.
Fioberstoffe § 280, § 331.
Filter, Wirkung auf Zersetzungen
571, 581, auf Enzyme 755, auf
Gifte 872, Scheidung der Toxone
und Toxine durch — 840.
Filtrierbare Virus 8. Chla-
mydozoen.
Fischgifte 975.
Flachsröste 227.
Flagellaten, Verwandtschaft
zu Bakterien 1162.
Fleisch, Fäubiis § 180, Vergif-
tungen durch — 586, 941.
Fleischoxtraktstoffe, Spal-
tungen § 192.
Fluoreszierende Bakte-
rien 783, Eiweißspaltung durch
— 526, Stellung der — im System
1164.
Fluoreszierende Farb-
stoffe, photodynamische Ein*
flüsse 154, — von Bakterien 783.
Fluorsalze, Reizwirkung l^'--
Formaldehyd, Ernährung mit
116, — als Oxydationsprodukt
394, Wirkung auf Fermente 492.
770, — in der Luft 122 (Anm).
F o r m e n der Kl. Kap. I, unregel-
mäßige (Degenerations-) — §
Veränderlichkeit der — § 346.
3,
Stichwörterverzeichnis.
1175
Fossile Hölzer, Bakterien darin
381.
F T eßzellen s. Phagozytose.
Fr oschlaich 405, 409.
Fruktose Bildung 425, Reduk-
tion zu Mannit 399, s. Hexosen.
Fusarium, Gift 481.
Fuselöl 260, 534.
e alak tan 411.
G alaktase 551.
Cialaktose s. Hexosen.
G & 1 1 e , Lösung der Kl. durch — 17,
giftwidrige Wirkung der — 877.
O aliensäuren, Spaltung 589.
G allensteine, Bildung 589.
G a 1 1 i o n e 1 1 a 664.
G ärungen (Spaltungs-) im all-
gemainen § 61 u. 62, § 223 u. 224,
im besonderen s. die einzelnen
Kapitel VI—XI.
Gärungsenzyme § 224 a.
Gärungsgewerbe § 75, § 94
bis 96 a, 111, 116, 136, 150, 156
bis 158, 178.
G a 8 e , zur Ernährung 96, 112, 116,
120, Bildung von — s. bei den
einzelnen Gärungen, Verwertung
zur Unterscheidung der Bakterien
§ 112, Analyse der — § 221.
Gasphlegmone s. Emphysem.
G egengifte der Kl. gegen Gifte
in Nährböden § 57, spezifische —
(Antitoxine) gegen die Gifte der
Kl. im allgemeinen § 275—278,
gegen Diphtheriegift § 262—267.
Vgl. auch die einzelnen Gifte § 281
bis 318, nicht spezifische — § 274.
Ge genwirkungen, wechsel-
seitige der Wirte und Parasiten
§ 53.
Geißeln, Brauchbarkeit zur Ein-
teilung der Bakterien 1164, Verän-
derlichkeit der — § 348. f.
G e 1 a s e 225.
Gelatineverflüssigung § 165 u.
166, Veränderlichkeit der — § 351.
Genußmittel s. Gärungsge-
werbe.
Geologie, Beziehungen der Bak-
terien zur — § 118, vgl. aucli
598, 656, 664, 666.
Geotropismus 154.
Gerberei 566.
Gerbstoffe, Veränderungen 464.
Gerinnung des Kaseins dui'ch
Säure 342, durch Lab 547, 698, —
des Blutes imd Eiweißes durch
Bakterien 551, 101 8, des Bakterien-
leibes durch Gifte 38.
Geruchstoffe 533.
Geschichte der Krankheits-
erreger § 358, Stammes der Kl.
§ 359.
Geschlechtliche Fortpflan-
zung s. Befruchtung.
Geschmackstoffe 533.
Geschwülste, bösartige 990.
Gewicht, spezifisches der Bak-
terien 57.
Giemsafärbung 47.
Gifte für Kl. § 57, Lösungserschei-
nungen durch — § 6 — 16, Reiz-
wirkungen durch — § 3 u. 4, § 55,
— der Kl. für höhere Wesen
§ 51 Kap. XVI, — für sich selbst
§ 47, für andere Kl. § 48, Reiz-
wirkiuigen der — für Tiere § 53,
279,331. (Vgl. Gegengifte). Einfluß
von — au^ Fermente 769, flüch-
tige — 971, harzartige — 989.
Giftspektren 841.
Glaziale Bakterien 146.
G 1 u k a s e 237.
Glukazetase 264.
Glykogen in Kl. 82, Verzuckerung
des — 223.
Glykokoll, Zersetzung 592.
G 1 y k o 1 , Oxydation 425.
Glykolsäure, Vergänmg 442.
Glykonsäuregärung 386.
Glykose s. Hexosen.
Glykoside, Wcmdlungen Kap.
VJII.
Glykuronsäure, Bildung 386,
Vergärung 445.
Glyzerin, Lösiuig der Kl. durch
— 19, Ernährung mit — 115, 118,
Bildung des — 328, Vergärung
§ 131, Säurung 340, Verbrennung
§ 132, Benutzung des — ziu* Dar-
stelliuig von Enzymen § 240,
Giften § 272 oder Impfstoffen
§ 333.
Glyzerinsäure, Vergärung 443.
Glyzerose, Vergärung 250, Bil-
dung 394.
Gonokokken, Sävirebildxmg
350, Gift 964.
Gramfestigkeit 40, Zusam-
menhang der — mit Endotoxin-
bildung 915, mit Aggressinbildung
1030.
Granulabildung im Serum
29.
Granulase 220.
1176
Stichwörterverzeichnis.
Granulobacters. Clostridien.
Granulome § 332.
Größe der Kl. § 1, Veränderlich-
keit der — § 346.
Grubengas s. Sumpfgas.
Grüne Bakt. s. Chlorophyllbakt.
G u a n a s e 494, 497.
G u a n i n , Zersetzung 594.
Gummi in Kl. 80, Verflüssigung
des — 224, Vergärung des — 374,
Bildung des — 404.
G u m m o s i 8 408.
Gurken, Gärung der sauren — 337.
adromase 230, 465.
Hämoglobin liebende Bakte-
rien 108, 190, 1066 (Anm.), —
lösende Bakterien § 312.
Hämolysine der Bakterien
§ 312--'315.
Hämorrhagische Septizämie,
Gift § 290, Anpassung 1155.
Hanfröste 227.
Haptotropismus 154.
Harnsäure, Spaltung 593.
Harnstoff, Ernährung mit —
111, 117, Vergärung 595.
Harzartiges Gift 989, — Bit-
terstoff 536.
Hefen, Zusammensetzung § 23,
Arten und Rassen nach ihrem
hydrolytisehem und Gärvermö-
gen geordnet 247, Gifte der —
715, alkoholische Gärung durch
— § 84 — 96 a, Selbstverdauung
der — § 166, Eiweißspaltung
durch — § 173, Stellung im Sy-
stem S. 1159, 1162.
Heilserum 1080, s. Gegengifte,
Lysino- und Tropinogene.
Hemmungsstoffe 28, 209, 268,
769, 877, 1098, 1101.
Heteromorphismus 7.
Heu, Selbsterhitzung 462.
Heubazillen, Gärungen diu*ch
— 290, 441, oxydierende Wirkun-
gen 394, 440, Bildung von Zellu-
lose 416, Eiweißspaltung 525, Gifte
975.
H e X o s e n , zur Ernährung 115,
Verhalten ziu* alkoholischen Gä-
rung 249, 258, zur Milclisäuregä-
rung 292, 299, zur schleimigen
Gärung 409, Bildung von — diu-ch
Hydrolyse § 70— 83 a.
H i 1 f s s t o f f e der Kl. 209.
Hippursäure, Spaltung 589.
Hog Cholera s. Schweinepest.
Holz, Zersetzung seiner Bestand-
teile 380, 465, vgl. Huinusstoffe.
Humusstoffe, Ernährung mit
— 112, 118, Entstehung 381, 557,
661, Veränderungen der — 464.
Hühnercholera, Gift § 29U.
Hundswut 994, 1168.
Hungertod 134.
Hydrolysen im allgemeinen
§ 60 u. 228, der Kohlenhydrate
§ 69— 83a, der Fette § 137 u. 13S.
der Glykoside § 153—156 u. 158,
der Proteinstoffe § 165 u. 166, des
Lezithins § 109, der Säureamide
§ 191.
Hydrotropismus 183.
Hypertrophie des Ektoplas-
mas 10, 1041, 1062, — der Rezep-
toren 1047, 1060.
Immunität § 331 u. 333, atrep-
tische — 1064 Auffassung der —
1112.
Immunitätslehre = Fort-
setzung dieses Werkes vgl. Vor-
wort.
Immuntoxine s. Iinpfgifte.
Impfgifte 792, 838, 880.
Impfstoffe 176 u. Kap. XHl
§ 327, 331, 333—349.
Indigo, Reduktion durch Bak-
terien 477, -gärung 459.
Indol, Bildung 507, 511, 521,
625, 538, — als Gift 808.
Infektion 171.
Infektionslehre = Fort-
setzung dieses Werkes vgl. Vor-
wort.
Infektiosität s. Virulenz.
Influenzabazillen 1155, Be-
darf an Hämoglobin u. a. 1^8.
190, 1066 Anm., Gift der — 977.
Ingwerwein 283, 337, 405.
Intramolekulare Oxydation
§ 62, § 223 u. 224.
Inulinase 223.
Invertase 232.
Involutionsformen 7.
Jahreszeiten, Abhängigkeit
der Giftbildung von den — 989.
Javellesche Lau£;e 34.
Jod, Wirkung auf Bakterien o. 4J.
Gift Zerstörung durch — § 174, \ er-
änderungender -Verbindungen 666.
Kadaverin 522, 815.
Kaffeegärung 461.
Stichwörterverzeichnis.
1177
Kakaogärung 461.
Kalksti ckstoff, Zersetzung
595.
Kälteli ebende Bakterien 146.
Kapselbazillen 408, 1088,
1102, 1104, 1113, s. Aeroge-
nes.
Kapseln der Kl. 9, 408, 1038,
1040, 1044.
Karotine 781.
Kartoffeln, Gifte in— 481, 819.
Kartoffelbazillen s. Heu-
bazillen.
K a s e a s e 492.
Käse, Reifung 551, Gifte in —
818.
Katalase 471.
Kef yr § 82, 96 a, 111.
Keratin, Zersetzung 1 12.
Kern der Bakterien 2, 38, 45, 1160.
Keuchhusten, Gift 978, s.
Hämoglobin.
Kieselsäure, als Nährboden-
grundlage 600.
Klassifikation der Hefen
§ 86, der Kl. § 359.
Knöllchenbakterien 618.
Koagulation s. Gerinnung.
Kobragift, Lösung von Kl.
diu*ch — 18, Neutralisierung der
Alexine durch — 1043.
Koffein, Wirkung 8, 12.
Kohle, Entstehung 381, Absorp-
tion von Giften durch — 878.
Kohlenhydrate, Verwand-
lungen im Stoffwechsel Kap. VI,
Aufbau von — § 128—130, § 229.
Kohlenoxyd, als Nahrung 116.
Kohlensäure, als Nahrung
120, 601, 648, 649, Bildung von —
671, Nachweis von — 676, Wir-
kung der — unter Druck 151.
Kohlenstoff, Gehalt der Kl.
an — 54, Bedarf an — 114.
Kohlenwasserstoffe, als
Nahrung 116.
Kokken, Stellung im System
§ 359, s. Strepto-, Pneumo-, Sta-
phylo-, Entere-, Lacto-, Gono-,
Meningokokken, Sarcina.
Kolagärung 461.
Kolben der Strahlenpilze usw. 8.
Kolloide, bei der Ferment ierung
768, bei der Entgiftung 878, Gifte,
Antitoxine, Antigene als — § 277.
Kolonien 139, Veränderlichkeit
der — 1138, eekvmdäre — 167,
Pseudo — 186.
Kommensalismus 173.
Komplement, Bindung des —
§ 325, 326, 331, 343, 344.
Kondensationen von Stof-
fen, § 65 u. 228 b.
Konfiguration des Moleküls.
Bedeutung der — 249, 426, 456,
772.
Konzentration der Nähr-
stoffe 139, — der fermentier baren
Stoffe 758, — der Immuntoxine
893, — der Endo toxine 862 (Anm.
3).
Körnerfärbung 47.
Kraftleistungen der Kl.
736.
Kraftwechsel in Beziehung
zum Stoffwechsel Kap. XIII.
Krankheitserregung §51.
Kroatin, Zersetzung 593.
Kreatinin, Zersetzung 593.
Kropf 994.
Kumys § 96 a und 111.
Kwass § 96 a und 111.
liabenzym 547.
Lackmus, Reduktion des — 473,
-gärung 461, -mölke 339, -milch
340.
Lactobacillus 286.
Lactococcus 285.
La k k a s e 467.
Laktase 240. 457.
Laktazidase 264.
Laktolase 304.
Lambi c § 96 a u. 111.
Lanceolatus, Streptococcus
— s. Pneumokokken.
Lange Milchsäurebazillen 287,
§ 99 — 102, Bedeutimg im (be-
werbe § 111, — im System 1154,
1166.
Langmilch 406.
Latente Infektionen 173, 1152.
Lävulose 8. Fruktose.
Leben und Tod 130.
Leben (egyptisches) § 82, 96 a,
111.
Leichen, Fäulnis der — 569.
Leistungen der Kl. 124, Kraft
— § 237.
Leptothrix 663, s. Algenbak-
terien.
Leuchtbakterien 743.
Leuconostoc 405, 409.
L e u k i n o 1041 (Anm. 3).
Leukotaxis s. Chemotaxis.
Leukozidine § 317.
1178
St ich Wörter Verzeichnis.
Leukozyten s. Chemotaxis,
Leukozidine, Phagozytose.
L e z i t h i n in Kl. 73, Spaltung des
— 588, Lösung durch — 18, s.
Lipoide.
Licht, Entwicklung von — 743,
Einfluß des — auf Ernährung und
Leben 152, auf Bewegung 154, auf
Ranzigwerden der Butter 450, auf
Fäulnis und Verwesung (Selbst-
reinigung) 579, auf Fermente 765,
auf Farbstoffe 785, auf Gifte 876,
auf Virulenz 1068.
L i g n i n , Zersetzung 465.
L i p a s e n 435.
Lipochrome 781.
Lipoide, Einwirkung auf Kl. 16,
auf Gifte 877 auf Luesserimi 1113.
Lithiumsalze, Wirkung 8.
Lösungsmittel für Bakterien
§ 6-15.
Luft, Nährstoffe in der — 122, s.
Sauerstoff, Druck, Gase.
Lysine s. Lysinogene, Hämolj^sine.
Lysinogone (Angriffs- und
Impfstoffe) § 327, 333, 334.
Iflais, als Ursache der Pellagra 989.
Makrophagen 1070.
Mal tase 237, 457.
Maltoglukase 237.
Maltonwein 279.
Maltose, Hydrolyse 237, Ver-
gärung 247, 301, 354.
Mangan, Bedarf an — 95, Ab-
scheidung von — 665, Beteiligung
an Enzymwirkungen 757, 768.
M a n n i t , Gehalt d. Kl. an —
83, Ernährung mit — 115, -gärung
328, 397. 402, -Vergärung § 131.
Mannose s. Hexoson.
Massengesetz 890, 899.
Mäusetyphus, Gift 942, vgl.
Paratyphus.
M azun § 82, 96 a, 111.
Mechanische Zerstörung der Kl.
10, 869,— Wirkung der Kl. 859, 993.
M ehlteiggärung 338.
Melanin 384, 387. 469, 782.
Membran der Bakterien 4, 45,
-Stoffe der Kl. 78.
Meningokokken, Säurebil-
dung 349, Gift 963.
Merkaptan, Bildung 641, 643.
M e t a b i o s e 168.
Metalle, Bedarf an — 92, Betei-
ligung von — an der Ferment Wir-
kung 767.
Metarabin 412.
Methylalkohol, Bildung 424.
Oxydation 428.
Methylenblau, Reduktion des
— 474, 478, vgl. Farbstoffe.
Methylglykosid 456.
Micrococcus s. Staphylo-, (io-
no-, Meningokokken, Sarcina.
Miesmuschelgift 817, 1116.
Mikroaerophilie 100.
Mikrochemisches Verhalten
der Kl. Kap. I, Veränderlichkeit
desselben § 349.
Mikrooidien 355.
Mikrophagen 1070.
Milch, milchsaure Gärung der —
283, buttersaure Gärung 352.
Reduktionen in der — 480, Lab-
gerinnung 547, Fäulnis 565, Mol-
kereiprodukte § 111 u. 178, Lak-
mus als Nährboden 340.
Milchsäure, -gärimg § 97 bis
111, Vergärung der — 439, — aus
Eiweiß 509.
Milchzucker, Hydrolyse § 82.
milchsaure Gärung des — § 99
bis 102, buttersaure Gärung des
— § 113—116, Benutzung von -
-Nährböden 342, 345.
Milchzuckerhefen 241.
Milzbrandbazillen, Granula-
tionen im Serum 29, Protein der
— 63, Gift der — 954, s. auch
Veränderlichkeit der — Kap.
XVIII.
Mineralstoffe in Kl. 85, Be-
darf an — 92 s. Metalle.
Miso 283.
Molkerei wesen § 111 u. 178.
Morphologie der Kl. 1, 45.
Mutation 1123.
Mutualismus 173.
Muzin, Bildung von — 71, 414.
Mykoprotein 62.
Mykorrhizen 625.
Myxobakterien 409, 4 14, 1 168.
Nährstoffe der Kl. Kap. H^-
Nahrungsmangel als Todes-
ursache für Kl. 134, 167, für ihre
Wirte 171.
N a h r u n g s s p e n d e r , Kl. a^«*
— 177.
N a p h t h a 384.
N a s t i n 78.
Natürliche Abarten und Arten
§ 357, — System der Bakterien
§ 359.
Stichwörterverzeichnis.
1179
Nekrotisierende Wirkung
von Giften § 318 u. 332.
Neubildungen 990, § 332.
Neurin 588, 817.
N e V 8 k i a ramosa 408.
Nitragin 624.
Nitrate, Ernährung mit — 112,
Bildung von — § 196, Zersetzung
von — § 197—200.
Nitrifikation § 196.
Nitrite s. Nitrate, Giftwirkung
der — 803.
Nitrobakterien 599.
N o b i 1 i 8 , Bac. 553.
Nuklease 494, 496.
Nuklein in Kl. 65, giftiges — der
Cholerabazillen 929, CoUbazillen
945.
Nukleinsäure, Spaltung 494,
496.
Nukleoproteide der Kl. 66,
^ giftige — 869, 929 usw.
Nutrirezeptoren 211, 1064.
Nutrose nährböden 342.
Nützliche Parasiten 173, —
Stoffe, Erzeugung durch Klein-
wesen 177/ vgl. Gärungsgewerbe.
Obst, Fäulnis 459, 567.
Ödembazillen, erzeugen But-
tersäuregärung 352, 356, Fäulnis
506, Gifte 924.
O i d i e n , pathogene 248, Gifte 990.
Oligocarbophilus, Bac. 122.
Oligodynamische Wirkun-
gen 37, 187.
Oligonitrophile Bakterien
.113, 627.
Önoxydase 470.
Oospora, Gift 990.
Opsonine (od. Tropine) § 322,
§ 333.
Organgifte § 318.
Organisation, chemische —
der Zelle 50, 209.
Organische Basen § 259.
Organvirulenz 175, 1065.
Orseillegärung 461.
Osmotischer Druck 3, —
Ströme 150.
Osmotropismus 183.
Oxalsäure, -gärung der Koh-
lenhydrate 389, -bildung aus
Fetten 447, aus Eiweiß 531, Ver-
gärung der — 442.
Oxydasen § 222.
Oxydation im allgemeinen § 62,
§ 218—227, der Kohlenhydrate
§ 119—123, der Alkohole § 132
bis 136, der Fette und Fettsäuren
§ 149 u. 150, der Glykoside usw.
§ 156—159, der Eiweißstoffe
§ 176 ff., der Harnsäure § 193,
des Ammoniaks § 196, des
Schwefels und seiner Verbindun-
gen § 207—210, des Eisens § 216.
Ozaena bazillen s. Kapselbazillen.
Pantotrophus, Bac. 117.
Paracolibazillens. Coli- und
Paratyphusbazillen.
Paradysenterie s. Pseudo-
dysenterie.
Paraffin, Ernährung mit —
116.
Paraputrificus, Bac. 357.
Paratyphusbazillen, Zucker-
vergärung durch — 326, Säure- u.
Gasbildung 344, Gifte 941.
Pararabin 412.
Parasitismus §51 — 53.
Pasteuria ramosa 409.
Pediculatus, Bac. 405.
Pektinase 225.
Pektinvergärung 227.
Pellagra, Gift der — 989.
Pentosane, Veränderungen § 73,
74 u. 117.
P e n t o 8 e n in Kl. 65, zur Ernäh-
rung 115, Verhalten zur Hefe 250,
zu Milchsäurebakterien 292, 299,
zu Paratyphusbazillen 344, Strep-
tokokken 348, zu Buttersäure-
bazillen 354.
Pepsinsalzsäure, Verdau-
ung der Bakterien durch — 23,
Zerstörung der Gifte imd Impf-
stoffe durch — 877, 1078.
Peptische Enzyme 487.
Peptolytische Bakterien 537.
Peptone, zur Ernährung 109,
114, 119, Bildung von — § 165 u.
166, Spaltung von -- § 67—75,
giftige — 874, 1119, s. Protein-
stoffe.
Peptonisieronde Bakterien
der Milch 524, 974.
Peptonisierungsv ermö-
gen § 165 u. 166, Veränderlich-
keit der — §351 .
Peptotoxin 819.
Peroxydasen 466.
Pestbazillen, bilden Milch-
säure 308, Gifte 952, inWasser 1141.
Pflanzenkrankheiten, Gifte
991, Erreger von — 226, 1153.
1180
Stichwörterverzeichnis.
Phagotaxis 1035.
Phagozytose § 322.
Phenole Bildung 512, 525, 538.
Philothion 654.
P h 1 o g o s i n 820.
Phosphor, Bedarf an — 92,
Wandlungen des — 658.
Phosphorsäure, Abspaltung
aus Kasein 540, bei der Selbst-
verdauung 495, Synthesen aus —
usw. 263. Vgl. Nukleasen, Phos-
phor.
Photobakterien 743.
Photodynamische Wirkung 159.
Photographische Leistun-
gen des Bakterienlichtes 747.
Phykochromazeen s. Cyano-
phyzeen.
Phylogenese der Kl. § 359.
Pigmente der Kl. Kap. X.V.
Plasmodiophora, Gift 992.
P 1 a s m o 1 y s e 3.
P 1 a s m o p t y 8 e 6.
Plastingebilde 48.
Pneumokokken, Wachstum
und Tod 130, 157, Säurebildung
349, Gifte 958, als Pneumonie-
erreger 1157.
Pneumoniebazillen siehe
Kapselbazillen, Aerogenes.
Polkörner 6.
Pomb e § 96 a, 111.
Präzipitogene § 342.
Preßsaft herstellung 254.
Prodigiosusbazillen, Farb-
stoff 781, Gifte 975.
P r o j) i o n s ä u re , -gärung der
Kohlenhydrate 324, der Milch-
säure 441, B ernst einsä\u*e 443,
der Apfelsäure 444, der Weinsäure
444, des Eiweißes 508, -bildung
aus Propylalkohol 428, 429.
Propylalkohol, Bildung 371,
Oxydation 428, 429.
Proteinochrom 540.
Proteinstoffe, Gehalt der Kl.
an — 61, Bedeutung der — für
Milchsäuregärung 297, Wandlun-
gen der — Kap. IX, Aufbau der
- §231.
Proteolytische Enzyme §165
u. 100.
Protousbazillen, als Säure-
labbildner 289, — als Vergär er der
Kohlonhvdrate 347, — bei der
Fäulnis 510, 563, Gifte der — 971.
Protoplasma, -tätigkeit im
(Gegensatz zur Fermentierung 208,
209 usw., s. Organisation und
Zelle.
Prototoxine 841, 883, 889.
Protozoen, Verwandtschaft mit
Bakterien 1162 Gifte der — § 310,
s. Amöben.
Pseudoagglutination HCl.
Pseudodiphtheriebazillen.
Säurebildung 341, Gifte der — 98S.
Pseudodysenterie s. Ruhr.
Pseudinfluenza 1156.
Pseudokolonien 186.
Pseudomonas 1164.
Pseudotuberkulose, Baz.
der — 343 (Anm. 1), Angriffsstoffe
der — 1022.
Psychrophile Keime 146.
P t o m a i n e 809.
Purinbasen, Vorkommen in
Kl. 66, Enstehung der — 46J.
Spaltung der — 593.
Purpurbakterien 647, 1160.
Putreszin 522.
Putride Intoxikation 809, 914,
1119.
Putrificusbazillen, Gäninu
durch — 356, Fäulnis durch —
507, 563, Gifte der — 925.
Pyocyanase, Wirkung auf Kl.
13, 159, 498, —auf Bakteriengifte
876, Giftigkeit der — 971.
Pyocyaneusbazillen, Ei-
weißspaltung 526, Farbstoffe 78*2,
Gifte der — 969.
Pyocyanin 782.
Radiumstrahlen 152.
Raffinose, Hydrolyse 243, Ver-
gärung durch Hefe 247, durch
Milchsäurebakterien 302, 345, 34S.
Ragi 283.
Kauschbrandbazillen er-
regen Buttersäuregärung 352, 35 1,
Fäulnis 504 ff. Gifte der - 9^2.
R a u 1 i n sehe Nährlösung 89.
Razemische Verbindungen,
Spaltung 191.
Reaktion der Nährböden, Ein-
fluß auf Ernährung 143, auf Fäul-
nis 575, auf Fermentierungen 766,
vgl . G egen Wirkungen .
Reduktasen 698.
Reduktion diu-ch Kl. im al^r
meinen § 63 u. 228a, der Kohlen-
hydrate (Mannitgärung) § 1-^ ^'^
126, der Fette und Fettsäuren
§ 151, der Farbstoffe § 161, - J"
Milch und Abwasser § 162, bei dir
Stichwörterverzeichnis.
1181
Fäuhiis § 168, 169, bei Gärungen
§ 224, beim Stoffaufbau § 229 bis
231.
Reifen des Weines 448, des Käses
551.
Reinzucht der Hefe, Ver-
wendung in der Brauerei usw. 273.
Reizstoffe der Wirte und Para-
siten 175, — der Parasiten § 331,
eigene und fremde Stoffwechsel-
nrodukte und Gifte als — für die
Ernährung § 49, 50, 53, 55.
Reversibilität der Ferment-
wirkungen 775, der Toxin- und
Antitoxinveränderungen 857, der
Toxin- u. Antitoxinverbindungon
888, 893, der übrigen Antigen- Anti-
körperverbindungen 1056, 1092.
Rezeptoren 210, § 279, 327,
bis 330, 334—344.
Rhamnose s. Pentosen.
Rheotropismus 154.
Rhinosklerombazillen 1113 s.
Kapsel bazillen, Aerogenes.
Riechstoffe § 173.
Riesenwuchs 7, 1130.
Rohrzucker s. Disaccharide,
Invertase.
Romano wskyfärV)ung 47.
Röntgenstrahlen 1 52.
Röste des Flachsos und Hanfes 227.
R o s t p i 1 z o , Gifte 988.
Rotlaufbazillen, Gifte 956.
Stellung der — im System 1161.
Ruhrbazillen, Vergärung der
Zucker und Zuckeralkohole durch
— 301, 315, 318, 332, 420, Sänre-
bildimgdiu-ch — 341,343,Gifte946,
Angriffsstoffe — 1026,Abartenll55.
Haccharase 232.
Saccharomyces, Arten und
Kassen § 86, — neoformans 990,
Gifte des — 990, s. Hofe.
Salpeterbildung 598, 612.
Salze, als Lösungsmittel 35, als
Nahrungsstoffo 92, bei der Fer-
mentierung 767, bei der Farbstoff-
bildung 786, Wirkung der — auf
Gifte 879, auf Agglutination 1100.
Saprophyten 174, — als Krank-
heitserreger 582, 1152 -Gifte 975.
S a r c i n a mobilis 1135, Stellung
der — im System 1163.
Sarkosporidien, Gift 992.
Sauerkraut § 96a und 111.
Sauerstoff, Bedarf an — § 31,
Wege des Sauerstoffs Kap. XIII,
Einfluß des — auf Farbstoffbil-
dung § 254, — auf Giftbildung
§ 271, Veränderlichkeit des Ver-
haltens zum — § 352, vgl. Oxyda-
tion, Oxydasen.
Sauerteig § 96a und 111.
Säureamid e, Spaltung 589.
Säurefestigkeit 44, 74, Zu-
sammenhang der — mit Endo-
toxinbildung 915, — im System
1161, 1166. s. Wachs.
Säurelabbildner 289, 549.
vgl. § 99—112.
Säuren, Wirkung verdünnter —
auf Kl. 37, auf Fermentierungen
766, auf Gifte 857, Ernährung
mit organischen — 115, Spaltung
von razemischen — § 58, Bildung
von — aus Kohlehydraten § 97
bis 117, Verwertung der Bildimg
von — zur Unterscheidung von
Bakterien § 112, Oxydation (Vor-
zehrung) von — § 149.
Schädliche Parasiten 171, —
Stoffe s. Gifte.
Schallwellen, Wirkung 149.
Schimmelpilze Zusammen-
setzung § 23, — spalten razemische
Verbindungen § 58, — hydroly-
sieren Kohlehvdrate § 69 — 83,
Glykoside § 155, Fette § 136,
oxydieren Kohlehydrate § 119 bis
123, Fette § 149, oxydieren Ei-
weiß und bilden Ammoniak ans
Eiweiß § 172, 176, 178, 181 ff..
Gifte von — 988, Verwandtschaft
mit Bakt. 1161.
Schlamm, Selbstreinigung 572.
Schlangengift s. Kobragift.
Schlei m in Kl. 80, -gärung 404,
Zusammensetzung des — 409,
Veränderlichkeit der -bildung
§ 351, Hydrolyse des — § 73,
Vergärung des — 328.
Seh leim säure- Vergärung 445.
Schwefel, Gehalt an — 86,
Bedarf an — 92, Veränderungen
des — und seiner Verbindungen
Kap. XI, Abscheidung von — 643ff.
Schwefelsäure- Bildung ( ( iä-
rung) 643, 646, 648, Reduktion
der — 655, vgl. Schwefel.
Schwefelwasserstoff, Bil-
dung ((Järung) aus Sulfaten 655,
— aus organischen Verbindungen
634, aus Schwefel usw. 652,
Oxvdation des — 643, 646, 648,
— als Gift 805.
1182
Stichwörterverzeichnis.
Schweinepestbazillen, Gift
943, vgl. Paratyphus.
Schweinepest vir US, siehe
Chlamydozoen.
Schweinerotlauf s. Hotlauf.
Schweineseuche (Jift 9öl,
Schwerkraft, Wirkungen 154.
Seifige Milch 407.
Seitenketten 210, -theorie
§ 279, § 327 — 329, § 334.
Sekrete s. Säuren, Ammoniak,
Enzyme, Farbstoffe, (Jifte, An-
griffs-, Reiz- und Impfstoffe.
Sekundäre Kolonien 167.
SemiClostridium 406, 41 1.
Semi permeable Membran 4.
S e 1 e n i g e Säiu'e, Reduktion 659.
Selbstentzündung 463.
Selbsterhitzung 462.
Selbstinfektion 173, 1158.
Selbstverbrennung 691.
Selbstverdauung s. Auto-
lyse.
Selbst Vergärung 264.
Selbstvergiftung s. Auto-
intoxikation.
S e n f ö 1 , Entstehung 461.
S epsin, Vergiftung 810, 816, 914,
1119.
Serum, Bakteriolyse durch —
28 s. Abwehrstoffe, Heilserum.
S k a t o 1 s. Indol.
Soja 283.
Solanin, Bildung 481, 819.
Sommerdiarrhöe s. Cholera
infantum.
Soor, (iärfähigkeit 248, Giftig-
keit 990.
Sorbose s. Hexosen, -gärung
425.
Spalt ungsgärungen s. Gä-
rungen.
Spezifisches Gewicht 57.
S p i e ß b a z i 1 1 e n , als Fäulnis-
orrerrer 504 (Anm. 1), 1032.
Spirillen s. Vibrionen.
Spirochäten, als Fäulniser-
reger 504 (Anm. 1), (iifte der —
993, 1113, Virulenz der — 1157,
Stellnnpc der — im System 1162,
vgl. Wassermann s. Reaktion.
Sporen, Bedingungen ihrer Bil-
dung 137, Kojmlations Vorgänge
bei der Bildung von — 2 (Anm.),
Wassergehalt der — 57, Veränder-
liclikeit der -bildung § 347,
Widerstandsfäliißkeit der — § 350.
S])orogene Körner 48.
Sproßpilze s. Hefe.
Stammesgeschichte der Kl.
§ 359.
Staphylokokken, als Säure-
labbildner 289, spalten Eiweiß 520.
Angriff ßstoffe der — 1022, (Jifte
der — 966, Hämolysine der —
§ 312, Veränderlichkeit der —
§ 354. •
Stärke in Kl. 81, Verzuckerung
von — 214, saure Vergärung der
— 300, 302, 354, 365, 370, 371.
Bildung von — 415.
Steinbildung in der Galle 589.
Stickstoff, Gehalt der Kl. an
— 54. Bedarf an — 108, Er-
nährimg mit freiem — 112, 618,
626, -bindung im Boden 633,
-bildung (Gärung) aus Nitraten
und Nitriten 609, -bildung bei
der Fäulnis 560, Bildung von
-oxyden 615.
Stoff ansatz, -ausnützung, -Um-
satz und -verbrauch 708, -aufbau
s. Aufbau.
Stoffwechsel im allgemeinen
Kap. V, im besonderen Kap. VI
bis XIII, Beziehungen von —
und Kraftweclisel Kap. XIIJ.
-bilanzen § 232—236, Veränder-
lichkeit des § 353.
Stoffwechselerzeugnise,
Schädigung durch eigene — 156,
Förderung durch eigene — 165.
Schädigung durch fremde — 160,
Förderung durch fremde — 168,
— im allgemeinen Kap. V, — im
besonderen s. Kap. VI— XIII.
Strahlenpilze, als Humus-
bildner 381, als Eiweißzersetzer
533, Gifte der — 987, Stellung der
— im System 1161.
Streptokokken, ihre drei
Unterarten, als Milchsäurebak-
terien 285, § 99 ff., Unterschei-
dung der — voneinander 348.
Eiweißspaltung durch — 541,
-gifte 961, — Hämolysine 997.
Stellung der — im System 1163,
vgl. Pneumokokken.
Streptothrixs. Strahlenf)ilze.
Stromatolyse 12.
S t y r o 1 , Bildung 452.
S u 1 f a t , vgl. Schwefel und Schwe-
felsäure.
Sumpfgas, Ernährung mit —
116, -gärung der ZelluW
und des Gummis 374, der Essig-
St ichwörter Verzeichnis.
1183
säure 438, Milchsäure 442» Glykol-
säure 442, Brenzweinsäure 443,
Buttersäure 443, Äpfelsäure 444,
des Eiweißes 506, 560, des Fleisch-
extraktes 592, Bildung des —
(Grubengases) in Steinkohlen 384,
Vorkommen in der Luft 384.
Superoxydase 471.
Symbiose 168.
Synthesen s. Aufbau.
Syntoxoide 889.
Syphilis s. Spirochäten.
System der Bakterien § 359, der
Stoff Wechsel Vorgänge Kap. V.
T ab a k f ermentati o n § 157.
T a n n a s e 464.
Tartricus, Bac. 443, 445.
T a u r i n , Spaltung 589.
Tellurige Säure, Reduktion 659.
Temperatur, Einfluß auf Er-
nährung und Leben 145, auf Be-
wegungen 155, auf Fermente § 244,
Farbstoffe § 254, Gifte § 274, An-
griffsstoffe § 320, Impfstoffe § 333,
334, Veränderlichkeit des Ver-
haltens zur — § 352.
Teratologische Wuchsformen 7.
Talsperrenwasser, V^erderb-
nis und Reinigung des — 580.
Teegärung 46L
ThermophileKl. 147,1146.
Thermotaxis 155.
Toxalbumine 824, 873.
Tod der Kl. 130, durch Hunger
134, vgl. Desinfektion, Gifte, Lö-
sungsmittel.
Toxine 792, 813, vgl. Gifte.
Toxoide 832, 841, 881.
Toxone 838, 881.
Traubenzucker s. Hexosen,
Säure- luid Gasbildung aus —
Nährböden § 112.
Trehalase 239.
Trisaccharide s. Raffinose.
Tritotoxin 841.
Traubensäure, Spaltung 192.
Tropinogene § 322, 333.
Trypanosomen, Gifte 992,
Verhältnis zu Spirochäten 1162.
T r y p s i n , Verdauung der Kl.
durch — 23.
Tryptische Enzyme der Kl. 487.
Tryptophan, Spaltung 512,
Bildung 489, 540.
Tuborkelbazillen Stoffo68,74,Ab-
arten 1143, Gifte 978, Überenipfind-
lichkeit 1114, s. Säurefestigkeit.
Typhusbazillen, Vergärung
der Zucker und Zuckeralkohole
durch — 300, 308, 315, 318, 332,
420, Säurebildung durch — 342,
Eiweißspaltxmg d\u:eh — 515, 538,
Gift der — 936, Angriffsstoffe der
— 1026.
Tyrosinase 468.
Tyrotoxikon 818.
Cberempfindlichkeit § 344.
Ultraviolette Strahlen, Wir-
kung 153.
Umkehrbarkeit s. Reversi-
bilität.
Umsatzstoffe s. Fermente.
Undurchgängigkeit des
Plasmas 4, 42.
Unregelmäßige Formen 7,
Veränderlichkeit der — § 346.
U r e a s e 598.
Urobakterien § 195.
Uschinsk y sehe Nährlösung 1 15.
UvioTmilch 963.
Vakuolen 6, 47, 1146.
Vanillegärung 461.
Variabilität s. Veränderlichkeit.
Veränderlichkeit der Kl.
Kap. XVIII.
Verbrennungswärmen der
Nährstoffe 694, der Kl. selbst 714,
719, 726.
Verdauung der Kl. 23, -Vor-
gänge durch — 697, -enzyme 486,
vgl. Autolyse.
Verdichtungen s. Konden-
sationen.
Verflüssigungen s. Hydro-
lysen.
Vergärung s. die Gärungen der
einzelnen Stoffe, z. B. Kohle-
hydrate.
Vergiftung s. Gifte.
Vermiforme, Bact. 405.
V e r s e i f u n g der Fette 432, 435.
Verwesung 544, 556, von Pflan-
zenstoffen 567, — durch Säure-
verzehrung 448, Entstehung von
Kohle und Hnmusstoffen bei der
— 381, vgl. Fäulnis.
Verzehrung von Säuren 448.
Verzuckerung der Stärke 214,
des Dextrins 222, s. Hydrolysen.
Verzweigungen der Bakte-
rien 8, Bedeutung der — für die
Stammesgesclii eilte 1161, 1167.
1184
Stichwörterverzeiclinis.
Vibrionen, Milchsiiurebildung
307/8, Eiweißspaltung durch —
521. -gifte 935, Stellung der —
im System 1164, s. Cholera.
Virufenz § 51 u. 319, Theorie
der — § 328 u. 329, Bestimmung
der — 998, 1036, Veränderlich-
keit der — § 330, 356—358.
Viskose 411.
Volutin 48.
Vorratsstoffe 48, 415.
W a c h s in säurefesten Kl. 75, Be-
deutung des — 190, 985.
Wachstum 130, 134, vgl. Er-
nährung, Aufbau, Reizstoffe,
-widerstände vgl. Abwehrstoffe,
Desinfektionsmittel.
Wärme s. Temperatur, -ent-
wicklung der Kl. 736, -werte der
Stoff um Wandlungen 694.
Wasser, Selbstreinigung 569,
580, vgl. Abwasser.
W^asserbakterien 140, .748, 1141.
Wassergehalt der Kl. 56.
Wasserstoff, Ernährung mit
— 116, -gärung der Kohlen-
hydrate 321, — der Zellulose 374,
bei der Fäulnis 559, Bedeutung
des — für Reduktionen s. diese.
Wasserstoffsuperoxyd,
Spaltung 471, Wirkung auf Fer-
mente 771, auf Gifte und ihre Vor-
bindungen mit Serum 879, 894.
Wassermann scher Versuch
877, 903, -sehe Reaktion 1113.
Weil sehe Krankheit 974.
Weinbereitung 278.
Weinsäure, zur Ernährung 115,
Spaltung der razeraischen — 192,
Vergärung der — 444, s. R a u -
1 i n sehe Lösung.
Weißbier § 94 und 111.
Widerstandsfähi gkeit, in-
dividuelle Verschiedenheit 136,
Veränderlichkeit der — § 350,
s. Sporen, Desinfektion.
Wuchsstoffe 1064, vgl. Reiz-
stoffe.
Wurzelknöllchen§ 201, 202.
Wurzelpilze 625.
Xylinujn, Bacterium — , oxy-
diert Zuclver 387, höhere Alkohole
425, niedere Alkohole 430, bildet
Zellulose 415, erzeugt Sorbose 426.
X y 1 o s e 8. Pentosen.
Yoghurt § 111 8. Bulgariens.
Zelle, Natur der Bakterien. — 45,
Leistungen der — 124, s. Organi-
sation, Ernährung, Wachstum,
Kern.
Z e 1 1 u 1 a s e 229.
Zellulose in Kl. 78, Vergämnir
374, Oxydation 379, Bildung 415.
Zentralkörper 47, 1160.
Zersetzungen 8. Stoff wechsel-
vorgänge, Veränderlichkeit der —
§ 353.
Zerstörung der Kl. durch
mechanische Einflüsse 10, durcli
chemische Einflüsse 12, — vg].
Desinfektion, Fermente, Gifte,
Angriffs-, Reiz- und Impfstoffe.
Zimtsäure, Spaltung 452.
Zitronensäuregärung 387.
Vergämmg der — 445.
Zooglöen 408.
Zucker, Gehalt der Kl. an —
83, Ernährung mit — 115, Wand-
lungen der — im Stoffwechsel
Kap. VI, Einfluß des — auf
Fäulnis 577.
Zuckersäure, Bildung 386.
Zusammensetzung, che-
mische — der Kl. 51, Schwan-
kungen der — 59, Veränderlich-
keit der — § 349, vgl. Grara- und
Säurefestigkeit.
Zusammenwirken von Nähr-
stoffen 191, 8. Symbiose.
Zusamraenziehung des Pro-
toplasmas 3.
Zweigbildung der Bakterien
9, Bedeutung der — für die natür-
lichen Verwandtschaft der Kl.
1161, 1167.
Z y m a s e der Hefe 253, der Bak-
terien 304.
Z y m i n 255.
Zymogene 775.
Zymoexzitatoren 768.
Zymoparalysatoren 769.
Z y s t i n , Spaltimg 638.
Z V t a s e 229, auch anderer Name
für Komplement (s. d.).
VERLAG VON F, C. W, VOGEL IN LEIPZIG^
Soeben erschienen:
Zweite, vollständig neubearbeitete Auflage
des
Handbuches der Kinderheilkunde
Ein Buch für den praktischen Arzt
Herausgegeben von
Prof. Dr. M. PFAUNDLER und Prof. Dr. A. SCHLOSSMANN
in München in Dtoddod
unter Mitwirkung von
Prof. Dr. B. BENDIX-Berlin, Prof. Dr. J. von BÖKAY-Budapest, Dr. W.
CAMERER- Stuttgart, Dr. S. ENGEL - Düsseldorf, Prof. Dr. E. FEER-
Heidelberg, Prof. Dr. H. FINKELSTEIN-Berlin, Prof. Dr. R. FISCHL-Prag,
Dr. W. FREUND-Breslau, Dr. J. K. FRIED JUNG-Wien, Dr. D. GALATTI-
WiEN, Dr. E. GALEWSKY-Dresden, Privatdoz. Dr. F. HAMBURGER-Wien,
Privatdoz. Dr. R. HECKER-München, Privatdoz. Dr. C. HOCHSINGER-Wibn,
Dr. A. F. JAPHA-Berlin, Privatdoz. Dr. J. IBRAHIM-München, Privatdoz.
Dr. W. KNÖPFELMACHER-WiBN, Prof. Dr. J. LANGER-Graz, Prof. Dr. L.
LANGSTEIN-Berlin, Dr. C. LEINER-Wien, Privatdoz. Dr. E. MORO-MOnchsn,
Privatdoz. Dr. P. MOSER -Wien, Prof. Dr. H. NEUMANN-Berlin, Dr. R.
NEURATH - Wien, Prof. Dr. K. von NOORDEN-Wien, Prof. Dr. M.
PFAUNDLER-MüNCHEN, Prof. Dr. H. PFISTER-Charlottenburg, Prof. Dr.
C. Frh. von PIRQUET-Breslau, Prof. Dr. W. PRAUSNITZ-Graz, Prof. Dr.
R. W. RAUDNITZ-Prag, Dr. O. ROMMEL-München, Prof. Dr. B. SALGE-
Freiburg I. B., Dr. B. SCHICK-Wien, Prof. Dr. A. SCHLOSSMANN-Düssel-
DORF, Prof. Dr. C. SEITZ-München, Prof. Dr. P. SELTER-Solingen, Prof.
Dr. F. SIEGERT-Köln, Dr. P. SOMMERFELD-Berlin, Dr. J. H. SPIEGEL-
BERG-Zell. -Ebenhausen, Prof. Dr. W. von STARCK-Kiel, Prof. Dr. W.
STOELTZNER-Halle, Prof. Dr. M. STOOSS-Bern, Dr. N. SWOBODA-Wien,
Prof. Dr. M. THIEMICH-Magdeburg, Privatdoz. Dr. J. TRUMPP-München,
Privatdoz. Dr. J. ZAPPERT-Wien.
Das Handbuch erscheint in vier Bänden in Groß-Oktav-Format mit
2194 Druckseiten, 516 Textfiguren und 69 zum größten Teil bunte Tafeln.
Preis des kompletten Werkes broschiert SO M., in 4 Bände gebunden 60 M,
— — Einzelne Bände werden nicht abgegeben. —
Es ist somit für das komplette Werk gegen die i. Auflage eine
Preisermäßigung von 10 M, eingetreten.
Inhaltsverzeichnis nächste Seite.
r
INHALTSANGABE.
I. Band.
Einleitung. Von Prof. Dr. A. Schloß mann in
Düsseldorf.
Allgemeine Pathogenese und Pathologie des Kindes-
altere. Von Privatdozent Dr. F. Hamburger
in Wien.
Allgemeine Prophylaxis. Von Prof. Dr. B. Bendiz
in Berlin.
Allgemeine Therapie. Von Prof. Dr. H. Neumann
in Berlin.
Mortalität und Morbidittt im Kindesalter. Von Prof.
Dr. W. Prausnitz in Graz.
Milch. Von Prof. Dr. R. \V. Raudnitz in Prag.
Weibliche Brust. Von Dr. S. Engel in Düsseldorf.
Stoffwechsel und Emihrung im ersten Lebensjahr.
Von Dr. W. Camerer in Stuttgart.
Stoffwechsel jenseits des erstes
Von Prof. Dr. A. SchloOmann
und Dr. P. Sommerfeld in
Ern&hruag und
Lebensjahres.
in Düsseldorf
Berlin.
Erkrankungen der Neugeborenen. Von Privatdozent
Dr. W. Knöpfelmacher in Wien.
Frühgeburt und Lebensschwäche. Von Dr. O. Rom-
me 1 in München.
Asphyxie und Atelektase. Von Dr. O. Rommel in
Mündien.
SklerSdem und Sklerem. Von Dr. O. Rommel io
München.
Erkrankungen in der Pubertätszeit. Von Prof . De
C. Seitz in München.
II. Band.
Erkrankungen des Blutes und der blutbereitenden
Organe. Von Dr. A F. Japha in Berlin.
Hämorrhagische Erkraukungen. Von Privatdoeent
Dr. R. Hecker in München.
Barlowsche Krankheit. Von Prof. Dr. W. v. Starck
in Kiel.
Rachitis. Von Prof. Dr. W. Stoel tzner in Halle a.S.
Diabetes mellitus. Von Prof. Dr. K. v. Noorden
in Wien.
Diabetes insipidus. Von Prof. Dr. K. v. Noorden
in Wien.
Lymphatische Konstitution, Neuro-Arthritismus und
exsudatire Diathese. Von Prof. L'^r. M. Pfaund-
ler in München.
Scharlach. Von Dr. B.Schick in Wien.
Masern« Von Privatdozent Dr. P. Moser in Wien.
Röteln. Von I^f. Dr. J. v. Bökay in Budapest.
Dukes* ,,Vierte Krankheit'*. Von Prof. Dr. J. v. Bö-
kay in Budapest.
Brythema infectiosum. Von Prof. Dr. M. Pfaund-
ler in München.
Varicellen. Von Dr. N. Swoboda io Wien.
Vakzination. Von Prof. Dr. C. v. Pirquet in Bres-
lau.
Diphtherie. Von Privatdozent Dr. J. Trump p in
München.
Epidemische Parotitis. Von Privatdozent Dr. B.
Moro in München.
Bauchtyphus. Von Prof. Dr. R. Fi seh 1 in Prag.
Dysenterie (Ruhr). Von Prof. Dr. J. Langer in
Graz.
Influenza. Von Dr. J. H. S piegel berg in Munehen.
Keuchhusten. Von JI>r. R. Neurath in Wien.
Akuter Gelenkrheumatismus. Von Privatdozent Dt.
J. Ibrahim in München.
Syphilis. Von Privatdozent Dr. C. Hochsinger in
Wien.
Tuberkulose. Von Prof. Dr. A. Seh I o 0 m a n n in
Düsseldorf.
Skrofulöse. Von Prof. Dr. B. Salge in Frriburgt.B.
Serumkrankheit. Von Prof. Dr. C v. Pir q uet in
Breslau und- Dr. B. Schick in Wen.
III. Band.
Erkrankungen der Mundhöhle. Von Privatdozent
Dr. £. Moro in München.
Erkrankungen der Tonsillen, des Pharynx und des
Ösophagus. Von Prof. Dr. med. et phil. H. Fin-
kel stein in Berlin.
Ernährungskrankheiten des Säuglings. Von Prof.
Dr. R. Fischl in Prag.
Lokale Erkrankungen des Magens und Darmes im
frühesten Kindesalter. Von Prof. Dr. R. Fischl
in Prag.
Magendarmerkrankungen älterer Kinder. Von Prof.
Dr. R. Fischl in Prag.
Pylorusstenosen im SäugUngsalter. Von Prof. Dr.
M. Pfaundler in München.
Erkrankungen des Wurmfortsatzes. Von Prof. Dr.
P. Seit er in Solingen.
Tierische Parasiten. Von Prof. Dr. J. La n ger in Graz.
Erkrankungen des Bauchfells. Von Prof. Dr. M.
. Stooß in Bern.
Erkrankungen der Leber. V<mi Prof. Dr. M. StooB
in Bern.
Pathologie des Stoffwechsels. Von Dr. W. Freund
in Breslau.
Darmflora. Von Privatdozent E. Moro io München.
Vergiftungen. Von Prof. Dr. A. SchloOmann in
Düsseldorf.
Erkrankungen von Nase, Luftröhre, Broocfaiea,
Lunge und Pleura. Von Prof. Dr. E. Feer in
Heidelberg.
Erkrankungen des Kehlkopfes. Von Dr. D. Ga-
latti in Wien.
Erkrankungen des Thymus, Status lymphaticus und
plötzliche TodesfUle im KindesaUer. Van Dr.
J. K. Friedjung in Wien.
Erkrankungen des Kreislau&ystems. Von Privat*
dozent Dr. C. Hochsinger in Wien.
Erkrankungen der SchUddrOse. Von ProL Dr.
F. Siegert in Köln.
IV. Band.
Erkrankungen des Urogenitalsystems. Von Prof.
Dr. L. Langstein in Berlin.
Eigenheiten des kindlichen Zentralnervensystems.
Von Prof. Dr. H. Pfister in Charlottenburg.
Organische Erkrankungen des Nervensystems. Von
Privatdozent Dr. J. Zappert in Wien.
Funktionelle Erkrankungen des Nervensystems. Von
Prof. Dr. M. Thicraich in Magdeburg,
Erkrankungen der Meningen. Von Prof. Dr.
M. Thicmich in Magdeburg.
Hautkrankheiten (mit Ausnahme der tuberkulösen).
Von Dr. E. Galewsky in Dresden.
Tuberkulöse Erkrankungen der Haut. Von Dr.
C. Leiner in Wien.
Register zu Bd. I— IV.
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig.
Soeben erschienen als Supplementband zum Handbuch
der Kinderheilkunde:
Chirurgie und Orthopädie
im
Kindesalter
von
Prof. Dr. Fritz Lange und Dr. H. Spitzy
in München . Privatdozent in Oraz
Mit 21 zum Teil farbigen Tafeln und 221 Textfiguren
Preis broschiert M. 20.—, gebunden M. 23.—
Die deutsche Literatur hat seit Karewski 1894 kein Werk über die chirur-
gischen und orthopädischen Erkrankungen im Kindesalter aufzuweisen, obwohl
der weitausgreifende Ausbau der Kinderheilkunde, die genauere Erkenntnis der
physiologischen und pathologischen Zustände im Kindesalter, ganz besonders
in der chirurgischen Auffassung vieler Krankheitsbilder eines Wandels bedarf.
Das vorliegende Werk soll diese Lücke ausfüllen, es sollen in ihm dem Kinder-
arzte in knappester Form die wichtigsten chirurgischen Indikationen und thera-
peutischen Winke gegeben werden.
Das Hauptgewicht wurde auf jene Kapitel verlegt, die von der Chirurgie
der Erwachsenen differieren, die in den großen Handbüchern keine spezielle
Ausarbeitung erfahren haben.
So die Operationen an Säuglingen, die Säuglingshernien, angeborene
Mißbildungen und ihre Frühoperation, die Fracturen im frühen Kindesalter,
die Wachstumsdeformitäten, die Bauchchirurgie im Kindesalter, sowie jene Infekte,
die einer chirurgischen oder orthopädischen Behandlung zugänglich sind.
Die neuen Werte, die die Biologie und Antropologie für die Aetiologie
vieler Krankheitstypen geprägt, wurden besonders berücksichtigt, und dement-
sprechend die Prophylaxe und körperliche Pädagogik in den Vordergrund
gerückt, bezüglich der Technik der großen Operationen, soweit sie nicht im
Kindesalter spezifische Abänderungen erfahren, wurde auf die entsprechenden
Handbücher verwiesen.
Die klinischen und therapeutischen Erfahrungen basieren hauptsächlich
auf dem großen Krankenmaterial der Kinderklinik Oraz, und entspringen
persönlichen langjährigen Erfahrungen, deren Niederschlag in dem Buche
wiedergegeben sein soll.
Auf diese Weise sei dem Prinzipe des Werkes aus der Praxis für die
Praxis geschrieben zu sein, Rechnung getragen. Die Haltungsanomalien der
Wirbelsäule stammen aus der Feder eines der bedeutendsten Vertreter der
modernen Orthopädie Professor Dr. F. Lange in München.
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig.
In Vorbereitung befindet sich als Supplementband zum
Handbuch der Kinderheilkunde:
Die Ohrenlcranlcheiten
im
Kindesalter
von
Dr. Gustav Alexander*
a. o. Professor an der k. k. Wiener UniversitiU
Vorstand der Ohrenabteilang der allgemeinen Poliklinik in Wien.
Das Werk wird in Ergänzung des Handbuches der Kinderheilkunde
eine eingehende und auf der Höhe der gegenwärtigen Forschung und
Lehre stehende Abhandlung der Klinik und Behandlung der Ohrenkrank-
heiten bieten. Der Kinderarzt ist häufig genug veranlaßt, selbständig und
ohne Zuziehung eines Ohrenarztes den Ohrbefund und den eventuellen
Bestand einer Ohrerkrankung an seinen kleinen Patienten festzustellen.
Das Buch ist nun in erster Linie dazu bestimmt, dem Kinderarzt nach
jeder Richtung verläßliche, diagnostische und therapeutische Anweisungen
zu geben. Es ist selbstverständlich, daß hierbei die Ohrerkrankungen des
Säuglingsalters und der akuten Infekte sehr eingehend berücksichtigt
werden. Die Angliederung an das Handbuch von Pfaundler und
Schlossmann bringt es auch mit sich, daß die Frage der Taubstummheit,
der Taubstummenbildung, der Erziehung der Schwerhörigen, die Schul-
arztfrage und die konstitutionellen Ohrenkrankheiten ausführlich anatomisch-
klinisch erörtert werden.
Das Gehörorgan läßt im Kindesalter gegenüber dem des Erwachsenen
wesentliche Verschiedenheiten erkennen, denen nicht bloß eine anatomisch-
theoretische, sondern auch klinische Bedeutung zukommt, und die in Dia-
gnostik und Therapie nicht vernachlässigt werden dürfen. Aus diesem
Grunde mußte die Anatomie und die Physiologie des Gehörorganes des
Kindes grundlegend dargestellt werden. Wie für alle Abhandlungen des
Handbuches ist als obere Altersgrenze die erreichte Pubertät fixiert worden.
So kommt es, daß vielfach auch die Ohrenkrankheiten der Erwachsenen,
und endlich die gesamte Otochirurgie und die Abhandlung der otitischen
Erkrankungen des Hirns, der Hirnhäute und der Blutleiter in den Rahmen
der Darstellung einbezogen wurden.
Das Buch wird mehrere farbige Tafeln und eine große Anzahl vob
Textfiguren enthalten.
J
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig.
In Vorbereitung befindet sich als Supplementband zum
Handbuch der Kinderheilkunde:
Ansmerkniiilniiiien des RlndesolteR
von
Prof. Dr. O. Eversbusch,
Vorstand der kgl. Universitätsklinik und Poliklinik für Augenkranke, München.
Mit Abbildungen.
Wie die Kindererkrankungen im allgemeinen, so sind auch in der
Neuzeit die Krankheiten des Auges im Kindesalter fortgesetzt ein viel
und gern behandelter Gegenstand der pädiatrischen und ophthalmolo-
gischen Forschung geblieben.
Das Ergebnis dieser, verbunden mit der auf einer eigenen langjährigen
praktischen Wirksamkeit beruhenden Erfahning beabsichtigt die kurze
monographische Darstellung des Verfassers auch dem Kreise der Ärzte
zu vermitteln, die weder auf diesem Gebiete spezialistisch vorgebildet
noch auch spezialistisch tätig sind.
Wie das Hauptwerk will auch diese Zugabe vor allem dem prak-
tischen Arzte, insbesondere dem Hausarzte, ein Ratgeber für Tun und
Lassen, wie beim gesunden, so auch beim kranken Kinde sein.
Es soll daher nicht nur was nosologisch bemerkenswert ist, sondern
auch — und in höherem Grade — das prophylaktisch und propädeu-
tisch Wichtige berücksichtigt werden.
Darum muß der Leser Genaueres vor allem über die vornehmlich
im kindlichen Lebensalter vorkommenden Augenkrankheiten erfahren.
So sind denn von den äußerlich zutage tretenden Erkrankungen der
Augen u. a, die blennorrhoische Bindehaut-Entzündung der Neugeborenen,
die krupöse und diphtheritische Conjunctivitis, die vielgestaltigen Manifesta-
tionen der sogenannten skrofulösen Ophthalmie: (Ekzem des Lidrandes,
der Blepharospasmus, die exanthematischen Erkrankungen der Conjunctiva
und Cornea), der Frühjahrskatarrh, die Follikular-Entzündung der Con-
junctiva und die Keratomalacie, die Vaccine-Blepharitis usw.; kurz die
wichtigen Krankheitsformen, bei denen die richtige Erkennung der Krank-
heit und das erste ärztliche Handeln nicht selten von ausschlaggebender
Bedeutung ist, eingehender behandelt; aus gleichen Erwägungen die here-
ditär-syphilitischen und tuberkulösen Erkrankungen der Cornea und Uvea,
die metastatische Uvealentzündung, das infantile Glaukom und die häufig-
sten Starformen des Kindesalters und die beachtenswerten Anomalien
der Refraktion und Akkommodation.
Verlag von F, C. W. VOGEL in Leipzig.
In Vorbereitung befindet sich als Supplementband zum
Handbuch der Kinderheilkunde:
Die Sprach- und Stimmstörungen
im
Kindesalter
von
Dr. Max Nadoleczny, München
Eine kurze monographische Bearbeitung der Sprach- und Stimm-
störungen im Kindesalter, welche in allen anderen Lehrbüchern noch
fehlt, dürfte einem wirklichen Bedürfnisse entsprechen. Der einleitende
Abschnitt soU einen Überblick über die Physiologie und insbesondere
auch die Psychologie der Sprachentwickelung beim Kmde geben, aus
dem sich dann in einem weiteren Kapitel die Hemmungen derselben
ableiten lassen. Die Häufigkeit der Sprachstörungen sowie ihre Be-
deutung für Schule und Leben werden mit besonderer Beachtung
schulärztlicher Interessen dargestellt werden. An diese allgemeine Dar-
stellung wird sich die spezielle Pathologie und Therapie der einzelnen
Sprachstörungen anzureihen haben, z. B. Stammeln, Stottern, femer die
symptomatischen Störungen bei verschiedenen organischen und funktio-
nellen Krankheitsformen einschließlich der Pubertätsstörungen. Beson-
dere Berücksichtigung werden ferner die Sprachstörungen schwach-
sinniger Kinder finden. Den Schluß des ersten Teils soll eine Dar-
stellung der dyslogischen Sprach- bezw. Redestörungen bilden.
Die stimmhche EntWickelung vom Säugling bis zur Mutations-
periode, insbesondere die Sprech- und Singstimme des Schulkindes wird
in einem einleitenden physiologischen Kapitel des zweiten Teils be-
sprochen werden. Hieran schließen sich Abschnitte über die Patho-
logie, Therapie und Prophylaxe der Stimmstörungen einschUeßlich der
Pubertätsstörungen. Gerade auf dem Gebiete der Stimmpflege fehlte
es bis jetzt an einer zusammenfassenden Arbeit, welche alles für Kinder-
ärzte Wissenswerte enthält.
! r-
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig.
Lehrbuch
der
Physiologie des Menschen
von
Prof. Dr. N. Zuntz und Prof. Dr. A. Loewy
Berlin. Berlin.
Unter Mitwirkung von
d u B o i s-R e y m o n d (Berlin), C o h n h e i m (Heidelberg), Ellen-
b e r g e r (Dresden), E x n e r (Wien), Johansson (Stockholm),
K r e i d 1 (Wien), weiland Langendorff (Rostock), M e t z n e r
(Basel), Müller (Rostock), Nagel (Rostock), Schenck (Mar-
burg), Scheunert (Dresden), Spiro (Straßburg), Verworn
(Göttingen) und Weiß (Königsberg)
763 Seiten mit 306 Abbildungen und 2 Tafeln.
Preis M. 24. — , gebunden M. 26. — .
Wenn mir jemand die Frage vorgelegt hätte, ob es möglich sei
ein brauchbares Lehrbuch der Physiologie im Umfange des vorliegenden
durch CoUaboration von 17 Autoren entstehen zu lassen, muß ich offen
bekennen, ich hätte große Bedenken nicht verhehlt. Denn es wachsen
die Schwierigkeiten für ein Sammelwerk sowohl mit der Zahl der Mit-
arbeiter wie auch mit der Beschränkung an Raum, die man dem ein-
zelnen auflegen muß. Wenn trotzdem das vorüegende Lehrbuch ein
nach jeder Richtung gelungenes ist, so muß einerseits die Redaktion
mit zielbewußter Energie ihres Amtes gewaltet haben ; auf der anderen
Seite haben sich aber die Mitarbeiter offenbar dem aufgestellten Pro-
gramm und dem redaktionellen Szepter willig gebeugt. Nur auf diese
Weise konnte der Guß so gelingen wie hier, und nur so konnte ein durch-
aus einheitliches Werk entstehen. Keiner der beteiligten Autoren hat
sein Kapitel als das allerwichtigste betrachtet, dem ein verhältnismäßig
größerer Raum eingeräumt werden muß als den andern, und harmonisch
gefügt erscheint das Buch als eine literarische Einheit. Ich kann es mir
ersparen auf Einzelheiten einzugehen, denn es sind lauter anerkannte
Meister des Faches, die hier zusammengearbeitet haben, und so findet
j
^ Verlag von F. C. W. VO G E L in Leipzig |p)
man kein einziges Kapitel, das nicht weit über die Mittelmäßigkeit er-
haben wäre. Die Kapitel Stoffwechsel von Zuntz, Verdauung von
Ellenberger und Scheunert, AUgemeine Physiologie von
Verworn, und manches andere mehr sind Kabtnettstücke klarer
DarsteUung. Die Leser dieser Zeitschrift werden es allerdings bedauern,
daß gerade das Kapitel Milch nicht so ganz auf der Höhe des übrigen,
z. B. auch des Kapitels Innere Sekretion des gleichen Autors steht. An
der Behauptung, daß der Phosphor der Frauenmilch fast ausschüeßlich
in organischer Bindung vorhanden sei, ist Referent zu sehr mitschuldig,
um noch weiter auf das unrichtige derselben einzugehen. Aber auch in
bezug auf die abgesonderten Mengen Frauenmilch und ihre Zusammen-
setzung wissen wir doch mancherlei, was in der bald zu erwartenden
2. Auflage sicher unter Berücksichtigung unserer speziellen Fachliteratur
sich ausführen ließe. Selbstverständlich können solche Kleinigkeiten
weder den Wert des in Rede stehenden Kapitels im ganzen noch etwa
gar den des gesamten Werkes im geringsten beeinträchtigen. Ich halte
dasselbe vielmehr für eine vortreffliche Bereicherung der Literatur.
Gerade ein Buch dieses Umfanges hat in der Physiologie gefehlt, während
uns ja die letzte Zeit groß angelegte und ausführliche Werke über die$e
gesamte Wissenschaft und Teile derselben gebracht hat. Trotzdem
glaube ich, daß das Lehrbuch mehr sein wird als nur ein Lehrbuch für
den Studenten: ich glaube, es wird ein Handbuch im besten Sinne des
Wortes für den Arzt darstellen, ein Buch, das man auf dem Schreibtisch
stehen hat und mit Hilfe dessen man seine Fälle physiologisch durch-
denken kann. Der Praktiker, der es ernst nimmt mit seiner Küentel,
ist ja doch nichts anderes als Vertreter der angewandten Physiologie.
Tagtäglich stößt man dabei auf Fragen, die man rasch beantwortet
haben muß. Und dabei wird der Zuntz-Loewy ein getreuer
Helfer sein. Auf meinem Schreibtisch ist schon Platz für ihn geschafft.
Prof. Dr. A. Schloßmann (Düsseldorf)
im Archiv für Kinderheilkunde, 32. Band, 19 10.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
Soeben erschienen:
Die Störungen der Sprache
Von
weil Dr. Adolf Kussmaul,
Professor in Straßbuxg
4. Auflage
herausgegeben und mit Kommentar nebst Ergänzungen versehen
von
Prof. Dr. Hermann Gutzmann,
Leiter des Univenitilts-Anibulatoriuni für Sprachstörungen zu Berlin
broschiert M. lo. — , gebunden M. ii.25.
Das Werk des großen Klinikers Kussmaul erscheint hiermit in
neuer Auflage. Wer Kussmaul's Werk zur Hand nimmt, wünscht sein
Wort zu hören. Der Herausgeber hat deshalb in der neuen Auflage
Text und Anordnung unverändert bestehen lassen. Damit sich aber
der Leser über den heutigen Standpunkt der Wissenschaft leicht unter-
richten und kritisch vergleichen könne, damit er die zu genauerem
Studium schwebender und schwieriger Fragen nötigen literarischen
Hinweise bequem zur Hand habe, hat der Herausgeber, Herr Professor
Gutzmann, einen kleinen Kommentar zu den einzelnen Kapiteln und
Abschnitten verfaßt, in dem er veränderte Auffassungen und ergänzende
Erfahrungen in kurzen Zügen objektiv darzustellen sich bemüht hat.
Aus diesem Kommentar, dessen Vorhandensein den Genuß der Lektüre
nicht stören kann, wird der Leser immerhin erfahren, wie modern der
weitsichtige klinische Meister auch jetzt noch ist.
Das
Sexualleben des Kindes
Von
Dr. Albert Moll
SanltAtsrat in Beriin
broschiert M. 5.—; gebunden M. 6.50
Verlag von F. C W. VOGEL in Leipzig.
Herbst igog erschien:
Fünfte neubearbeitete Auflage
Die pathologisch -histologischen
Untersuchungsmethoden
von
Prof. Dr. G. Schmort
Geh. Medizinalrat und Prosektor am Stadtkrankenhause zu Dresden.
Preis M. 8.75, gebunden M. 10.—.
Prager medizinische Wochenschrift: Kaum 2 Jahre sind
seit dem Erscheinen der vorigen Auflage dieses mit Recht so
außerordentlich geschätzten Leitfadens vergangen und schon hat
die ununterbrochen fortschreitende histologische Technik das Er-
scheinen einer neuen bedingt.
Zentralblatt für Chirurgie: Die neue Auflage hat ver-
schiedene Erweiterungen und Ergänzungen erfahren, und darf wohl
für sich einen dominierenden Platz unter den mit der gleichen
Materie sich befassenden Werken in Anspruch nehmen.
St Petersburger medizinische Wochenschrift: Der
vierten Auflage dieses in Laboratorien unentbehrlichen Buches ist
jetzt nach 2 Jahren die fünfte gefolgt und bringt außer den alt-
eingebürgerten Methoden manches Neue, was sich in der Praxis
seitdem bewährt hat.
Medizinische Klinik: Nach kaum 2 Jahren ist die neu-
bearbeitete Auflage des bekannten und unentbehrlichen Buches
erschienen, das einer empfehlenden Besprechung nicht bedarf.
j
r
1^ Verlag von F. C. W. VO G E L in Leipzig. ie>
Die Krankenpflege In der Chlrursie
von
Dr. H. A. Laan in Utrecht
Einzig autorisierte Übersetzung aus dem Holländischen von
Dr. med. Albert Caan
Mit einem Vorwort von Professor Dr. A« Scfaloßmann, Direktor der Akadem.
Klinik für Kinderheilkunde in Düsseldorf
Mit 327 Abbildungen. Preis brosch. M. 10. — , gebunden M. 11.25
Man schenkt zurzeit allerorts der Krankenpflege ernste Beach-
tung und sucht dieselbe durch gute Schulung (Vorträge, Kurse) des
Pflegepersonals in jeder Hinsicht zu fördern. Einen gleichen Zweck
verfolgt das vorliegende, treffliche Werk von Laan. Es will ein Führer
und Ratgeber sein für die Krankenschwester und hat sich die
Aufgabe gestellt, speziell die „chirurgische" Schwester aus-
zubilden; und zwar will es erreichen, daß die Schwester nicht
allein mechanisch und schablonenhaft, sondern mit Ver-
ständnis und im vollen Bewußtsein der Tragweite ihres
Handelns ihr Amt erfüllen kann. Mit der Verantwortlichkeit
wächst die Gewissenhaftigkeit. Von diesem Gedanken sind die Aus-
führungen aller Abschnitte des Buches beseelt. Immer wird das Zweck-
mäßige einer jeden Funktion erörtert. Und mit Recht. Weiß eine
Schwester, warum sie eine gewisse Handlung ausführen muß, dann
wird sie sie auch richtig tun. Das gilt vor allen Dingen von der
Desinfektion. Weiß die Schwester, warum sie sich streng waschen
und desinfizieren muß, so wird sie auch in diesem Punkte, der er-
fahrungsgemäß aus Mangel an den nötigen Kenntnissen so leicht für
unnötig gehalten und vernachlässigt wird, die größte Gewissenhaftig-
keit walten lassen. So wird die Schwester, bevor sie in die praktische
Krankenpflege eingeführt wird, zunächst mit den Haupttatsachen aus
der Lehre von der Wunde und dem Wesen der Infektion und deren
schädlichen Folgen vertraut gemacht. Bei der Bearbeitung gerade
dieser schwierigen Aufgabe hat Verfasser es verstanden, nur so viel
zu bringen und nur das zu besprechen, was die Schwester unbedingt
wissen und können muß, damit ihr chirurgische Kranke mit vollem
Vertrauen überlassen werden können, und vermeidet so die Gefahr,
die Schwester durch allerlei unvollständige und halbverstandene An-
gaben aus der Pathologie und Therapie der Wunde zum Selbstbe-
handeln zu verleiten oder gar dem Kurpfuschertum Vorschub zu leisten.
(^ Verlag von F. C. W. VO G E L in Leipzig. 1^
Erst nach diesen mehr allgemeinen Belehrungen wird die Schwester
eingehend in die praktische Krankenpflege eingeführt. Es ist
unmöglich alle Einzelheiten, die reiche Fülle der Lehren, gutcR Rat-
schläge, die in dem Buch enthalten sind, im Referate wiederzugeben.
Im einzelnen werden in sechs Abschnitten folgende Themata be-
handelt:
Die Lehre von der Wunde (I) und Infektion (II), sehr eingehend
die Desinfektion und ihre Technik, die Sterilisation der Instrumente
und des Verbandmateriales, die Prinzipien der Wundbehandlung nüt
Einschluß der ersten Hufe (Notverband, primitive Blutstillung) bei
plötzlichen Dnglücksf allen (III).
Ein besonderer Abschnitt (IV) ist der Operationsschwester
gewidmet. Hier finden sich wichtige Belehrungen über Vorbereitung
zur Operation, Instrumentieren, Narkose und über die subku-
tanen Injektionen. Der Schlußteü dieses Abschnittes handelt von
den Instrumenten und ihrer Bedeutung. Verfasser verlangt, daß (üe
Operationsschwester unbedingt die gebräuchlichsten Instnunente und
deren Verwendung kennen muß, femer daß sie imstande sein muß,
den einzelnen Phasen einer Operation so weit zu folgen, um die
nötigen Instrumente gleich bereit zu halten und so nicht unwesentlich
zur Vermeidung einer zu langen Dauer von Operation und Narkose
beizutragen. Es ist dies eine hohe Anforderung, die Verfasser an die
Operationsschwester stellt, aber sie ist gerechtfertigt. Zur Operations-
schwester eignet sich nicht jede Schwester!
Die ganze Darstellimg ist durchflochten von einer Reihe von
kleinen Ratschlägen und Kunstgriffen, von deren Kenntnis die Schwester
großen Nutzen haben wird.
Das Gleiche gilt von den folgenden, nicht minder wichtigen Ab^
schnitten, die die Aufgabe der Stationsschwester, der Privat- und
Gemeindepflegerin behandeln. Hier finden sich goldene Regeln
der Krankenpflege überhaupt niedergelegt: Belehrungen über
Nachbehandlung Operierter, über die Lagerung der Kranken, über
Ernährung, über Verbände, über allgemeine Hygiene. Spezielle Rat-
schläge zur Pflege und Nachbehandlung der Diphtherie (mit Berück-
sichtigung der Intubation, der Tracheotomie und deren Instrumen-
tarium), der Krankheiten des Bauches (Magenfisteln, Ernährung) und
endlich der Kopfkrankheiten (Hals- und Mundoperationen) beschheßen
den lehrreichen Abschnitt.
Im ganzen ist das Buch ein herrliches Werk, leicht faß-
lich und anregend geschrieben, mit vielen guten Bildern aus-
gestattet, das wohl wert ist, die weiteste Verbreitung zu finden.
r
Verlag von F. C. W. VOGEL in Leipzig.
Einführung in die Lelire
vom
Bau und den Verrichtungen
des Nervensystems
von
Prof. Dr. Ludwig Edinger
Ärztlicher Direktor des learologiBcheii Inetitates in Fr»iikfurt a. Main.
Mit i6i Abbildungen und i Tafel.
Preis M. 6. — , geb. M. 7.25.
Kritiken aus Zeitschriften:
Zentralblatt ffir Nervenhellkunde: Edingers anregende Art der
DaisteUung ist bekannt, wir finden sie auch in dem vorliegenden kleinen
Buche, das jedem zu empfehlen ist, der sich auf dem behandelten Gebiete
orientieren will und nicht die Zeit hat, sich in das große Buch des
gleichen Autors (Vorlesungen über den Bau der nervösen Zentralorgane,
2 Bände) zu vertiefen.
Anatomlseher Anzeiger: Die vorliegende „Einführung'' dürfte für
Studierende, aber auch für Lehrende in der Anatomie, Physiologie und
Pathologie des Nervensystems gleich brauchbar sein und zu ferneren
Studien und Forschungen anregen.
Zentralblatt ffir normale Anatomie: In 15 Vorlesungen gibt der
bekannte Frankfurter Neurologe einen ganz vorzüglichen Überblick
über die Haupttatsachen von dem Baue des Nervensystems. Klar und
anregend geschrieben dürfte das Werkchen für den Anfänger eine
treffliche Introduktion in diese schwierige Materie bilden. Es ist außer-
ordentlich reichlich nüt gut gewählten Abbildungen ausgestattet, die
den Text auf das beste unterstützen.
Deutsehe medizinische Wochenschrift: Mit dem vorliegenden Buch
hat Edinger in mustergültiger Weise eine kurze Orientierung über die
Tatsachen der Anatomie des Nervens3^tems für den praktischen Arzt
als Basis seiner klinischen Arbeit wiedergegeben. Er hat es in aus-
gezeichneter Weise verstanden, aus der Fülle des bekannten das aus-
c3t Verlag von F. C W> VOGEL in Leipzig. ^
zuwählen, was entweder prinzipielle Bedeutung hat, oder für die
Kliniker von Wichtigkeit ist. Auf dem engen Raum von 190 Seiten
das zu erreichen, dazu gehören die eminenten, die taktischen Fähig-
keiten Edingers.
Berliner klinische Woebensehrift: Das 190 Seiten starke Büchlein
zeichnet sich durch die außerordentliche Klarheit der Darstellung aus
und ist mit zahlreichen Abbildungen versehen, die gerade dem An-
fänger auf diesem schwierigen Gebiet zum Teil das Verständnis über-
haupt erst ermöglichen.
Münchner medizinische Wochenschrift: Edingers „Einfüh-
rung", auf der Siunme unserer heutigen histologischen, anatomischen
und vergleichend anatomischen Kenntnisse über das Zentndnerven-
system basierend und durch zahlreiche historische, embryologische,
physiologische, psychologische (speziell tierpsychologische) und patho-
logische Hinweise und Erörterungen gewürzt, füllt eine lebhaft emp-
fundene Lücke in der Literatur auf das erfreulichste aus, insofern es
den, welcher nicht in die Tiefen der Detailarbeiten sich zu versenken
beabsichtigt, ausgezeichnet orientiert, dem beginnenden Spezialisten
aber als geeignetste Vorbereitung zum Studium ausführHcherer Werke,
etwa der ,, Vorlesungen, über den Bau der nervösen Zentralorgane" des
gleichen Verfassers, zu dienen vermag.
Vorlesungen aber den
Bau der nervösen Zentralorgane
des Menschen und der Tiere
für Ärzte und Studierende
von
Prof. Dr. Ludwig Edinger
Ärztlicher Direktor des nearologiscben Institnts in Frankfurt a. Main.
Erster Band:
Das Zentralnervensystem des Menschen u. der Säugetiere
Siebente, umgearbeitete und vermehrte Auflage
Mit 268 Abbildungen. Preis M. 12.—, geb. M. 13.50
Zweiter Band:
Vergleichende Anatomie des Gehirns
Siebente, umgearbeitete und vermehrte Auflage.
Mit 283 Abbildungen. Preis M. 15. -, geb. M. 16.50.
Verlag von F. C. W. VOG EL in Leipzig.
igoQ erschien:
Die ROntsenunteßnthuns der Brnstorsone
nnd die Ersebnlse nr die
^ntiiolosie und Psucholosie
von
Professor Dr. Hans Arnspergcr, Heidelberg
Mit einem Vorwort von Geh. Rat Prof. Dr. von Krehl
Mit 34 Abbildungen im Text und 27 Tafeln
Preis M. 12. — , gebunden M. 13.50
Schmidts Jahrbacher. In dem Vorworte schildert Krehl kurz und sehr
treffend die Gefahren und Übelstände, die aus einer Spezialisierung der Röntgen-
untersuchung entstehen können. Der behandelnde Arzt ist nicht in der Lage,
sie anzuwenden, der Röntgenspezialist kennt den Fall nicht und es gibt „Röntgen-
diagnosen", die ohne Zusammenhang mit dem Gesamtgebiet entstehen, und die,
weil sie Beziehungen weder zur pathologischen Anatomie, noch zur pathologischen
Physiologie haben, gewissermaßen in der Luft stehen. Wenn solche Diagnosen,
weiter Auslegung fähig, unter geheimnisvollen Andeutungen den Kranken, wie
es modernen Gebräuchen entspricht, direkt gesagt werden, so ist das Unglück
leicht fertig. „Die große Schlagader ist etwas erweitert, sonst nichts. In der
Gegend der Lungenwurzel ist ein Schatten, man muß an ein Aneurysma der
Aorta, oder an Drüsen, oder an eine Geschwulst denken I Jetzt hat der Kranke
seinen Schrecken und der Arzt weiß genau soviel wie vorher." Sehr richtig I
ruft man zu diesen Worten unwillkürlich aus eigener trüber Erfahrung und
nimmt das Buch, das solchem Unfug abhelfen soll, gern in die Hand.
St, Peter8bur|;er medizinische Wochenschrift: Es ist unzweifelhaft eine
große Wahrheit, auf welche Prof. L. Krehl zu Beginn dieser vortrefflichen Arbeit
von Arnsperger hinweist. Die Röntgenologie ist auf dem Gebiete der inneren
Medizin als Hilfswissenschaft nicht mehr zu entbehren. Aber sie hat sich nicht
als SpezialWissenschaft von dieser ganz und gar loszulösen. Eine Röntgendiagnose,
die sich nicht in den gesamten Bau unserer klinischen Diagnostik eingliedert,
schwebt in der Luft. Wenn dieses schon in gewissem Sinne von der chirurgischen
Röntgendiagnostik gesagt werden kann, so trifft es in ganz besonderem Maße
das Gebiet der internen Röntgenologie. Diesen Vorbedingungen genügt das
Werk Arnsperger, welches dem großen Forscher Wilhelm Erb gewidmet ist,
ganz und gar.
»ai Verlag von F. C. W. VOOEL in Leipiig. IC»
Pathologische Physiologie
Ein Lehrbuch
für Studierende und Ärzte
Toa
Dr. Ludolf Krehl
ordentl. Professor und Direktor der Xedizinischen Klinik in Heidelberg
Beehflte neu bearbeitete Auflage.
Preis 15 M., gebunden 16.50 M.
Krittken aus Zeitschriften:
Zentralblaä für Physiologie.
„Krehl's Paihologischo Physiologie" ist ein Lehibnch in dea Wortes bester
Bedeutung, das die Aufgabe „bei Studierenden und Ärzten das Interesse fflr die
Theorie des pathologischen Geschehens zu fördern'* in hohem Grade erfüllt
0. ▼. Fürth (Wien).
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Der Besprechung, die ich Ober das ausgezeichnete Werk in den letzten beiden
Jahren an dieser Stelle veröffentlicht habe, ist etwas Wesentliches nicht anzu-
schließen; man kann nur das Lob wiederholen, daß ihm ein hoher pidagogischer
Wert innewohnt und daß es deshalb jedem Arzt und Studierenden zum Stodium
aufs wärmste empfohlen werden kann.
Münchner medizinische Wochenschrift.
Wir haben in dieser Wochenschrift den hohen Wert des Krehl'schen Lehr>
buches, das einzig in seiner Art dasteht, bei der Besprechung der frQheren Auf-
lagen wiederholt gepriesen und könnten bereits Gesagtes nur wiederholen.
Stintzing.
Wiener Klinische Wochenschrift
Ein Standardwerk, wie nur wenige Nationen aufweisen können, hat Rrebl mit
seinem Lehrbuch der pathologischen Physiologie geschaffen.
Biochemisches Zeniralbiatt^
Diese Auflage ist so überraschend schnell auf die vor kurzem hier angezeigte
vierte gefolgt, daß sich daraus besser wie aus jeder Kritik die Brauchbarkeil des
Krehl'schen Werkes ergibt. Oppenheimer.
Zentralblatt für innere Medizin.
Nach iVi Jahren hat der verdienstvolle Forscher seinem ausgezeichneten Werke
die fünfte Auflage folgen lassen, ein Beweis, welch stetig wachsender Befiebtheit
sich das Buch erfreut, und daß es seiner Aufgabe, bei Studierenden und Ärzten
das Interesse für die Theorie des pathologischen Geschehens zu fördern, in fellitem
Umfange nachgekommen ist. Ruppert (Magdebui]^.